Death de LYX - Wenn ich dich kriege - Ralph Sander - E-Book

Death de LYX - Wenn ich dich kriege E-Book

Ralph Sander

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Beschreibung

Death de LYX: Die besondereThriller-Reihe von LYX - jeden Monat eine neue Zerreißprobe für die Nerven! Kate Mulligan erwacht aus einem tiefen Schlaf und findet sich auf einer abgeschieden Farm irgendwo in Texas wieder. Sie kann sich nicht erinnern, wie sie hergekommen ist, und auch den Farmer und seinen Sohn hat sie noch nie gesehen. Als beide darauf beharren, dass sie nicht Kate Mulligan, sondern Shannon O'Riley, die Verlobte des Farmersohns ist, beginnt sie langsam zu begreifen, welch furchtbarer Albtraum hier auf sie wartet ... Death de LYX - regelmäßig spannende Kurzgeschichten mit Nervenkitzel-Garantie als E-Book. Stöbern Sie auch in den anderen Titeln der Reihe!

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

Epilog

Über den Autor

Weitere Bücher

Impressum

RALPH SANDER

Wenn ich dich kriege

Zu diesem Buch

Kate Mulligan erwacht aus einem tiefen Schlaf und findet sich auf einer abgeschieden Farm irgendwo in Texas wieder. Sie kann sich nicht erinnern, wie sie hergekommen ist, und auch den Farmer und seinen Sohn hat sie noch nie gesehen. Als beide darauf beharren, dass sie nicht Kate Mulligan, sondern Shannon O’Riley, die Verlobte des Farmersohns ist, beginnt sie langsam zu begreifen, welch furchtbarer Albtraum hier auf sie wartet …

1

Ein Ventilator.

Ein Deckenventilator.

Der sich unablässig drehte.

Bis ihr schwindlig wurde.

Kate schloss die Augen, um nicht diese andauernde Bewegung sehen zu müssen. Sie zog die Brauen zusammen und versuchte sich zu erinnern, wo sie sich befand und wie sie hergekommen war. Das Letzte, woran sie sich erinnern konnte, war ein Bus, in dem sie gesessen hatte. Aber wo war sie hingefahren? Und wo war sie hergekommen?

Vorsichtig schüttelte sie den Kopf. Ob das tatsächlich ihre letzte Erinnerung war, konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Sie strengte ihren Verstand an, aber sobald sie versuchte, diesen Bildern eines Busses auf den Grund zu gehen, war es so, als würde sie in einen dichten Nebel geraten, der ihr die Orientierung nahm und sie ziellos umherirren ließ.

Ehe sie die Augen vorsichtig wieder öffnete, drehte sie den Kopf zur Seite, um den Ventilator nicht wieder sehen zu müssen. Sie lag bis zur Taille zugedeckt auf einem luxuriös großen Doppelbett und trug ein leichtes Baumwollnachthemd. Im Zimmer war es warm, und nur der Ventilator sorgte für einen gleichmäßigen, kühlen Luftzug. Trotzdem suchte sie die Wand über dem Nachttisch neben dem Bett ab und entdeckte mehrere Kippschalter. Nur einer von ihnen zeigte nach unten. Da es taghell war und keine Lampe im Zimmer brannte, musste das der Schalter für den Ventilator sein.

Sie streckte sich, bis sie ihn erreicht hatte, drückte ihn nach oben und ließ sich wieder zurück aufs Bett sinken. Sekundenlang schien es so, als hätte sie mit ihrer Aktion nichts bewirkt, aber dann stellte sie fest, dass der Ventilator tatsächlich langsamer wurde und kurz darauf zum Stillstand kam.

»Schon besser«, murmelte sie, und nachdem sie sich noch einen Moment länger ausgeruht hatte, setzte sie sich auf und rutschte zur Bettkante. Kate reckte die Arme und merkte, dass sie sehr wohl bei Kräften war. Im Liegen war ihr das nicht so vorgekommen, was vermutlich an dieser seltsamen Kombination aus weit entfernter Benommenheit und einer völlig klaren Wahrnehmung ihrer Umgebung lag. Es war ein Zustand, den sie einfach nicht in Worte fassen konnte.

Kate stand auf und ging zum Fenster, schob den beigefarbenen Vorhang zur Seite und kniff die Augen zusammen. Durch den ziemlich dünnen Stoff war es im Zimmer bereits hell gewesen, aber jetzt tauchte der Sonnenschein sie in gleißendes Licht. Nachdem sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, kniete sie sich auf das dicke Kissen, das auf der Fenstersitzbank lag, und sah, dass sie sich im ersten Stock eines Gebäudes befand. Gleich unterhalb des Fensterbretts befand sich das leicht geneigte Holzdach einer Veranda. Ein Streifen aus fester Erde erstreckte sich vom Haus bis zu einem Zaun, dahinter begann eine kräftig grüne, saftig wirkende Weide, die so weit reichte, wie Kate sehen konnte. Tiere erblickte sie nicht, auch keine Menschen.

»Das könnte Texas sein«, überlegte sie halblaut. Diese Vermutung half ihr aber auch nicht weiter, da sie keinen Bezug zu diesem Bundesstaat herstellen konnte. »Definitiv nicht Arizona«, ergänzte sie murmelnd. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, musste es kurz nach Mittag sein.

Mitten am Tag und sie lag im Schlafanzug … in einem ihr unbekannten Schlafanzug in einem fremden Bett? Was zum Teufel war denn nur geschehen? Sie wandte sich vom Fenster ab und betrachtete das Zimmer etwas genauer. Zu beiden Seiten des Betts standen Nachttische, an der Wand ihr gegenüber hatte eine lange Kommode Platz gefunden. Links von ihr stand ein großer, wuchtiger Schrank, der aus dem gleichen dunkel gebeizten Holz wie alles hier im Zimmer und an den Rändern der Türen mit kunstvollen Schnitzereien verziert war. In einer Ecke stand ein Tisch mit zwei Stühlen, und auf dem Tisch lag ein Buch. Auf den Nachttischen stand je eine kleine Lampe mit dunkelblauem Schirm, die Birnen der Deckenlampe waren mit den gleichen Schirmen versehen.

Das Ganze besaß einen ähnlich formalen Charme wie ein Zimmer in einem Hotel, das sich gern zur obersten Liga gezählt hätte, aber über das Mittelmaß nicht hinaus reichte. Nicht etwa, weil es nicht bezahlbar gewesen wäre, diesen Luxus nachzuempfinden, sondern weil derjenige, der das hier eingerichtet hatte, noch nie eines von den wirklich teuren Hotels zu Gesicht bekommen hatte und damit auch gar nicht wusste, was dort Standard war.

Sie zuckte zusammen, als auf einmal der Türknauf gedreht wurde und die Tür aufging. Ein Mann kam herein, mit einer Hand balancierte er ein Tablett, mit der anderen machte er die Tür weiter auf. Sein Blick war auf das Tablett konzentriert, auf dem eine Tasse Kaffee, ein Glas Orangensaft und ein Teller mit Rührei und Speck stand. Die Flüssigkeiten schwappten bedenklich hin und her, aber irgendwie brachte der Mann es fertig, dass nichts überlief. Nachdem er die Tür leise hinter sich zugedrückt hatte, stutzte er, da sein Blick auf das Bett fiel. Aus dem Augenwinkel bemerkte er den Schatten, den Kate warf, und drehte sich zu ihr um.

»Du bist auf, das ist schön«, sagte er und lächelte sie an.

Kate betrachtete ihn, aber ganz egal, wie lange sie diese Gesichtszüge auch musterte, sie war sich sicher, den Mann noch nie gesehen zu haben. Er schien Ende dreißig oder Anfang vierzig zu sein, also gut zehn Jahre älter als sie. Sein leicht angegrautes Haar trug er ordentlich gescheitelt, die Koteletten reichten etwa bis zur Hälfte der Ohren. Er war glatt rasiert und trug keine Brille. Gekleidet war er in ein kariertes Hemd und Jeans, dazu Sportschuhe, aber das konnte daran liegen, dass er sich im Haus befand. Ansonsten hätten nämlich Cowboystiefel viel besser zu seinem Erscheinungsbild gepasst. Er war mindestens einen halben Kopf größer als sie. Sein Gesicht wurde nicht durch irgendwelche Narben verunziert, die Nase war schmal und gerade, also hatte er sie sich vermutlich noch nie gebrochen. Das bedeutete, er war entweder noch nie in eine Schlägerei verwickelt worden oder aber er hatte seinen Gegner so schnell zu Boden geschickt, dass der ihn gar nicht erst hatte treffen können.

Sein Gesicht wirkte eher unscheinbar. Er konnte sich in einer Menschenmenge bewegen ohne aufzufallen und wäre rasch wieder vergessen.

»Wie fühlst du dich?«, fragte er, nachdem er das Tablett auf dem Tisch abgestellt hatte.

Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Entschuldigen Sie, aber … kennen wir uns?«, erwiderte sie.

Der Mann wurde schlagartig ernst. Sein freundliches Lächeln verschwand und wich einem Ausdruck, der zwischen Entsetzen und Resignation schwankte. »Du weißt nicht, wer ich bin?«

Kate zuckte mit den Schultern. »Nein, ich habe Sie noch nie gesehen. Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern«, fügte sie dann noch hinzu, denn wenn sie konsequent sein wollte, konnte sie nicht darauf beharren, ihn noch nie gesehen zu haben. Er konnte ihr in einem Supermarkt oder einer Mall dutzendmal entgegengekommen sein oder beim Italiener am Nebentisch gesessen haben – sie hätte ihn einfach vergessen.

»Oh nein«, murmelte er bestürzt. »Ich bin Gene.«

»Angenehm, Kate Mulligan«, entgegnete sie höflich.

»Kate Mulligan?«, wiederholte er ungläubig und flüsterte mehr zu sich selbst: »Nicht schon wieder.«

»Nicht was schon wieder?«, hakte sie ungewollt erschrocken nach.

»Ich … warte hier, ich bin gleich zurück«, sagte er hastig und ging zur Tür. »Du kannst ja schon mal einen Happen essen. Vielleicht … wenn du nicht auf leeren Magen nachdenken musst … vielleicht dann …«

»Vielleicht was?«, rief sie ihm nach, aber er hatte das Zimmer bereits verlassen.

Kate stand da und schaute verdutzt zur Tür. Sollte sie ihm folgen? Immerhin war sie keine Gefangene, also konnte sie sich auch frei bewegen. Sie ging zur Tür, drehte den Knauf und atmete erleichtert auf, als sie sich öffnete. Tatsächlich! Man hatte sie hier nicht eingesperrt.

Im Flur, der nur von dem Licht erhellt wurde, das durch die Oberlichter über den Türen dorthin gelangte, begab sie sich zur Treppe am anderen Ende. Der Mann war bereits nicht mehr zu sehen. Entweder hatte er sich so beeilt, dass er mit deutlichem Vorsprung im Erdgeschoss angekommen war, oder er war in eines der vier anderen Zimmer auf dieser Etage verschwunden.

Als Kate jemanden reden hörte, hielt sie kurz inne. Dann erkannte sie Genes Stimme, die andere Stimme klang um einiges älter.

»Tatsächlich?«, fragte der Mann mit der tieferen Stimme.

»Ja, sie hat sich mir wieder als Kate Mulligan vorgestellt«, antwortete Gene. »Ich dachte, diese Phase hätte sie hinter sich, aber … offenbar doch nicht. Der Arzt hatte doch schon solche Fortschritte feststellen können, und jetzt … ich finde, das ist ein herber Rückschlag.«

»Na ja«, sagte der andere. »Vielleicht hat es ja auch gar nichts zu bedeuten. Möglicherweise kann sie diese scheinbaren Erinnerungen noch nicht so ganz von den echten unterscheiden. Außerdem ist sie gerade erst aufgewacht. Als ich vor einer halben Stunde nach ihr gesehen habe, da hat sie noch fest geschlafen. Ich könnte mir vorstellen … okay, ich bin auch nur Laie auf dem Gebiet, trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass sie im Traum diese Kate war, und nach dem Aufwachen bringt sie das jetzt durcheinander.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

»Am besten wird es sein«, fuhr die ältere Stimme fort, »wenn du dich an das hältst, was der Doc gesagt hat. Wenn sie wieder glaubt, Kate zu sein, dann musst du ihr einfach ganz in Ruhe noch einmal erklären, was passiert ist. Du musst nur eben sehr geduldig sein. Der Doc hat gesagt, dass das eine Weile dauern kann.« Die Stimme wurde lauter, so als würde der Mann hinter Gene herrufen. »Vergiss nicht, dass sie vorgestern fast wieder ganz die Alte war.«

»Ja, Dad, ich weiß«, entgegnete Gene. »Ich werde sehen, wie sie reagiert. Notfalls muss der Doc aber wieder herkommen.«

»Ich rufe ihn vorsorglich schon mal an.«

Eine Tür wurde zugezogen, dann waren Schritte auf der Treppe zu hören. Kate zögerte kurz, doch schließlich kehrte sie in das Schlafzimmer zurück, in dem sie aufgewacht war. Es gab zwar keinen Grund, wieso sie von dem fremden Mann nicht im Flur gesehen werden durfte, dennoch wollte sie es nicht.

Im Schlafzimmer ging sie zum Tisch und setzte sich, rührte aber nichts von den Dingen an, die auf dem Tablett standen. Gleich darauf kam Gene herein.

Sie drehte sich zu ihm um und sagte leise: »Hallo, da sind Sie ja wieder.«

Gene nickte, kam näher und deutete auf den freien Stuhl. »Darf ich?«

»Ja, sicher.« Sie beobachtete ihn aufmerksam, während er ihr gegenüber Platz nahm und sie zögerlich anlächelte.

»Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll«, gestand er ihr. »Das Ganze ist für dich womöglich sehr erschreckend, aber ich versichere dir, du musst keine Angst haben. Es ist alles in Ordnung, und das Einzige, was wir jetzt noch mit vereinten Kräften schaffen müssen, ist dein Gedächtnis wiederherzustellen.«

Kate nickte. »Ja, ich weiß, ich habe nämlich unter anderem keine Erinnerung daran, wie ich hergekommen bin.«

»Weißt du denn noch, wo du hergekommen bist?«, fragte Gene.

Sie schüttelte den Kopf. »Das ist alles in einen dichten Nebel getaucht, so als könnte ich es fast sehen, aber dann doch wieder nicht.«

»Und gibt es denn irgendetwas, woran du dich erinnern kannst? Etwas Konkretes?«, forschte er nach.

»Mein Name. Ich weiß, wie ich heiße, wann und wo ich geboren bin …«

Gene streckte den Arm aus, als wollte er ihr Handgelenk umfassen, doch seine Hand schwebte dicht über ihrem Arm. »Darf ich?«, fragte er schließlich.

»Ich … ich denke schon.« Seine Finger fühlten sich kühl und klamm auf ihrer Haut an. Es war ein unangenehmes Gefühl, aber sie ließ sich nichts anmerken und sagte auch nichts.

»Weißt du, das Gedächtnis kann einem manchmal hässliche Streiche spielen«, begann er zu reden. »Wir vergessen verschiedene Dinge, andere bleiben einem für immer im Gedächtnis, und in manchen Fällen gaukelt einem der eigene Kopf Dinge und Ereignisse vor, die sich so gar nicht abgespielt haben.«

Kate sah ihn abwartend an.

»In deinem Fall trifft von allem etwas zu. Du kannst dich an kaum etwas erinnern, und das Wenige entspricht dabei nicht mal den Tatsachen.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Du heißt nicht Kate Mulligan, du heißt Shannon O’Riley.«

Kate zog die Brauen hoch. »Wie bitte?«

»Du heißt Shannon O’Riley, du hast bis vor Kurzem in New York gelebt«, fuhr Gene fort. »Wir haben uns vor ziemlich genau sechs Monaten in der Starbucks-Filiale kennengelernt, in der du gearbeitet hast. Du hast mir damals schon erzählt, dass deine Vermieterin dir das Leben zur Hölle macht und versucht, dich rauszuekeln. Du hast dich dagegen gewehrt, aber vor drei Wochen hat sie, während du gearbeitet hast, deine Wohnung komplett räumen lassen und all deine Habseligkeiten auf den Müll geworfen …«

Unwillkürlich sah sie sich um.

»Ja, genau deswegen wirst du hier nichts von den Dingen entdecken können, die dir mal gehört haben«, sagte er, da er ihre Gedanken zu erraten schien.

»Es ist alles weg?«, flüsterte sie fassungslos. »Alles? Meine Fotoalben? Meine Bücher? Meine … Unterlagen?«

»Auch die«, bestätigte er ernst. »Dad hat die Angelegenheit bereits unseren Anwälten übergeben, die werden dafür sorgen, dass diese Frau dir alles ersetzt und für alle Kosten aufkommt, die dir durch diese Schweinerei entstehen.« Er tätschelte ihren Handrücken. »Darüber musst du dir also keine Gedanken machen. Deine Ex-Vermieterin kann gar nicht genug Geld zusammenkratzen, um einen Anwalt zu bezahlen, der auch nur ein Viertel so gut ist wie die Kanzlei, die meinen Vater, mich und jetzt auch dich vertritt. Du weißt ja, wie effizient die arbeiten.«

»Weiß ich das?«

Gene zuckte kurz mit den Schultern. »Ja, aber wir sollten uns nicht mit diesen kleinen Dingen aufhalten. Dafür haben wir später immer noch Zeit. Du hattest deine Wohnung nicht mehr, daraufhin wurdest du bei Starbucks entlassen, und da du nicht mehr wusstest, was du tun solltest, habe ich dir vorgeschlagen, zu uns auf die Ranch zu kommen. Und das hast du gemacht, seit zweieinhalb Wochen lebst du jetzt hier bei mir.« Er wurde ernster. »Alles war perfekt … bis vor einer Woche.«

»Was war denn vor einer Woche?«

»Vor einer Woche wolltest du unbedingt mit mir zu den Rindern fahren«, antwortete er. »Wir haben die Quads genommen, und unterwegs bist du mit deinem Quad in ein Schlagloch geraten. Die Maschine ist umgekippt, und du bist mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen. Zum Glück hast du deinen Helm getragen, darum hast du nicht mal eine Beule abbekommen. Allerdings warst du eine Zeit lang ohnmächtig, und als du aufgewacht bist, hattest du dein Gedächtnis verloren. Das Einzige, woran du dich erinnert hast, war ein Name. Aber nicht dein Name, sondern Kate Mulligan. Zwei Tage später war Kate vergessen und du wusstest wieder, dass du Shannon O’Riley bist. Du konntest dich auch wieder an New York und Starbucks und deine Vermieterin erinnern, und wir alle dachten schon, jetzt geht es wieder bergauf.« Er schaute betrübt drein. »Aber heute auf einmal weißt du wieder nicht, wer Shannon ist, und du behauptest, Kate Mulligan zu sein.«

»Ich kenne keine Shannon O’Riley«, beharrte sie. »Ich weiß auch nichts von New York und Starbucks oder einer Vermieterin, die alle meine Sachen auf den Müll geworfen hat.«

»Shannon O’Riley hat eine Vergangenheit, sie ist eine reale Person, die reale Dinge erlebt hat«, erwiderte er bedächtig. »Kate Mulligan ist nur ein Name, ganz ohne Geschichte, ganz ohne einen Platz auf dieser Welt.«

Kate musste daran denken, wie sein Vater zu ihm gesagt hatte, er müsse geduldig sein. Sie presste die Lippen zusammen und versuchte, sich in seine Lage zu versetzen. Ganz zweifellos musste es sehr frustrierend sein, mit einem Menschen über Dinge zu reden, an die er sich nicht erinnern konnte, und noch frustrierender war es, wenn dieser Mensch seinerseits auf Tatsachen beharrte, die gar nicht zutrafen. Wenn sie Gene jetzt sofort für etwas hätte loben müssen, dann wäre es ganz sicher seine Geduld gewesen. Sie an seiner Stelle wäre vermutlich längst lauter und energischer geworden. Seine Vorgehensweise war viel angemessener. Er redete nicht wie jemand, der ihr seine Meinung aufzwingen wollte, vielmehr versuchte er behutsam, sie in eine Richtung zu lenken, die sie zu ihrer wahren Erinnerung zurückführte.

Doch es war egal, ob man sie anschrie, ihr zuflüsterte, ihr Geld bot oder was auch immer unternahm, etwas in ihr sträubte sich dagegen, Kate Mulligan aufzugeben und zu Shannon O’Riley zu werden. Für dieses Sträuben gab es keinen rationalen Grund. Sie wusste weder etwas über Kate noch über Shannon, Kate klang nur etwas vertrauter als Shannon.

Aber vielleicht hatte sie ja eine gute Freundin gehabt, die Kate Mulligan hieß? Oder hatte sie den Namen vielleicht nur irgendwo aufgeschnappt, und er war ihr im Gedächtnis geblieben? Was Gene ihr erzählte, hörte sich zumindest schlüssig an. Es war keine von diesen Geschichten, in denen die Heldin verwirrt und blutbeschmiert auf einer einsamen Landstraße aufgefunden wurde und nicht mehr wusste, wer sie war. Sie stand nicht völlig ohne Wissen über ihre Vergangenheit da, sie hatte Gene, der ihr etwas über ihr Leben vor dem Unfall und dem Gedächtnisverlust erzählen konnte – auch wenn sie absolut keine Erinnerung daran besaß.

Das Problem daran war nur, dass es ihr zuwider war, sich auf etwas verlassen zu müssen, was andere ihr sagten. Es löste bei ihr ein Gefühl von Hilflosigkeit aus, das ihr gar nicht gefiel, gegen das sie aber nichts tun konnte. Entweder sie glaubte Gene, dann musste sie das aber bedingungslos tun und nichts von dem anzweifeln, was er sagte, weil sie sich sonst nur selbst verrückt machen würde. Oder sie glaubte ihm nicht und wartete stattdessen darauf, dass ihre Erinnerung von allein zurückkehrte. Letzteres wäre ihr lieber gewesen, aber sie wusste nicht, wie lange sie darauf würde warten müssen, und vor allem stellte sich die Frage, was sie in der Zwischenzeit tun sollte.

»Ich weiß nicht, was ich tun und sagen soll«, erwiderte sie nach langem Schweigen. »Shannon O’Riley mag eine Vergangenheit haben, aber ich erinnere mich an nichts von dem, was Sie mir erzählt haben. Kate Mulligan ist ein Name, der aus irgendeinem Grund in meinem Gedächtnis hängen geblieben ist, aber das ist auch schon alles.« Sie sah Gene lange nachdenklich an, schließlich fragte sie: »Sie sprachen davon, dass wir uns in New York kennengelernt haben, aber … wieso habe ich mich ausgerechnet an Sie gewandt, als ich meine Wohnung und meine Arbeit verloren habe?«

Gene kniff die Augen zu, als müsste er gegen Tränen ankämpfen. Dementsprechend erstickt klang seine Stimme, als er dann sagte: »Weil du meine Verlobte bist, Shannon.«

2

»Wir … wir sind verlobt?«, flüsterte Kate.

Gene nickte und sah sie so traurig an wie ein Hund, den man vor einem Supermarkt angebunden und dann vergessen hatte. »Seit drei Monaten. Es war Liebe auf den ersten Blick.«