Deep Space Band 1 - Jonas Simmons - E-Book
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Deep Space Band 1 E-Book

Jonas Simmons

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Beschreibung

Das Jahr 2731: Die Föderation bittet das technologisch weitaus fortschrittlichere Deep-Space-Konsortium um Hilfe, um seltsame Energieanomalien auf einer ihrer Kolonien zu untersuchen. Mit dem Forschungsschiff Aesculap macht sich der bekannte Wissenschaftler Dr. Brunner mit einer kleinen Crew, darunter der Forschungsassistent Mark Lambert und die Offiziersanwärterin Alice Pearson, auf den Weg. Für Mark und Alice wird es eine Reise voller Abenteuer, auf der sie weit weg ihrer Heimat auf sich allein gestellt sind, um den Gefahren einer unbekannten Station zu begegnen. Von ihren Entscheidungen hängen nicht nur ihre eigenen Leben, sondern am Ende auch die ihrer Freunde und vielleicht sogar die Zukunft des gesamten Konsortiums ab.

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Urheberrechtlich geschütztes Material

Deep Space 1

1. Auflage

Copyright ©2023 by Jonas Simmons

Lektorat: Xenia Wucherer | Equal Writes –

https://equalwrites.de

Buchsatz: Juliana Fabula | Fabula Grafikdesign –

https://julianafabula.de/grafikdesign

Covergestaltung: Chris Gilcher / Buchcoverdesign.de –

https://buchcoverdesign.de

Unter der Verwendung von Stockdaten von Adobe Stock

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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, sowie Orten und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Impressum

Herstellung und Verlag

Erschienen bei Argyraspides UG, Hohenwestedt

eISBN: 978-3-9825779-1-3

Inhalt

PROLOG AN BORD DER SOKRATES

DIE HANDELSSTATION

LAMBDA CUSTODIA

ANKUNFT IN TARAWA

EIN UNWIDERSTEHLICHES ANGEBOT

UNRUHEN

SUPPE IST DIE BESTE MEDIZIN

FEUERFLIEGEN

ANOMALIEN

IM EIS

FÜR HORATIO

ZENTAUREN

SALLYS PLAN

DAS NOTSIGNAL

FLUCHT VON CUSTODIA II

DIE WAHRHEIT IN EINER LÜGE

PRISMA

EPILOG

CUSTODIA II

MARK

SALLY

ALICE

PROLOG AN BORD DER SOKRATES

»Schönheit und Gefahr liegen oft dicht beieinander.«

Dr. Bernhard Brunner brauchte scheinbar nur seine Finger auszustrecken, um mit ihnen in die Wirbel des Gasriesen einzutauchen, der das gesamte Panoramafenster ausfüllte. »Die Stürme auf Alpha Ceti V gehören zu den stärksten im Umkreis von hundert Lichtjahren«, ergänzte er und riss sich von dem spektakulären Anblick los.

»Man wird niemals der Schönheit des Universums überdrüssig, nicht wahr, Doktor?«, ertönte die tiefe Stimme der gleichnamigen Bord-KI des Forschungsschiffes Sokrates hinter ihm.

Dr. Brunner nickte knapp in Richtung des Hologramms. Es zeigte einen alten Mann mit weißem Haar und Bart, der in archaisch wirkender Tunika und mit vor dem Bauch gefalteten Händen dastand.

Es wollte Dr. Brunner einfach nicht gelingen, diese Darstellung der KI als alt-griechischen Philosophen zu billigen. Etwas so Fortschrittliches in einem solchen Gewand zu zeigen, erschien ihm nicht richtig. Er verdrängte seinen Ärger darüber mit einem kurzen Kopfschütteln und rückte seinen knielangen Mantel mit den Insignien des wissenschaftlichen Dienstes zurecht.

Er warf einen kurzen Blick zurück auf die Wolkenmassen vor dem Fenster, seufzte und schritt die paar Stufen von der Plattform hinunter zu einer Konsole.

»Du wirst diesen außergewöhnlichen Treffpunkt nicht wegen seiner Schönheit gewählt haben, Bernhard!«, bemerkte das Hologramm von Sokrates und folgte ihm gemächlich.

»Nein«, gab Dr. Brunner sofort zu. »Vielen Dank erst einmal, dass du den Abflug der Sokrates verzögert hast, damit wir uns hier treffen können.« Er machte eine vage Geste hinaus ins All. »Offiziell befinde ich mich im Transit nach Central. Mein Pilot war nicht sehr erbaut davon, einen Abstecher hierher zu machen, aber ich habe ihm erklärt, dass ein alter Freund gerade vor Ort ist.«

Dr. Brunner lächelte milde und lehnte sich gegen die Konsole. Er betrachtete Sokrates nachdenklich.

»Das klingt sehr geheimnisvoll!«, entgegnete die KI und verschränkte seine Arme hinter seinem Rücken. »Liege ich richtig mit der Annahme, dass dein Besuch etwas mit der Botschaft zu tun hat, die ich dir übermittelt habe? Über das Thema, das uns beiden am Herzen liegt?«

Dr. Brunner nickte und Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn.

»So ist es. Die Bürokraten von Central und meine Forschungskollegen in Tau Signum brauchen nichts davon zu erfahren.«

»Ich weiß nicht, was mich mehr beunruhigt, deine letzten Worte oder dieses heimliche Treffen. Das passt nicht zu dir.«

»Findest du?«, fragte Dr. Brunner und hob eine Augenbraue. »Ich habe meine Gründe. Viel interessanter finde ich allerdings, welche Neuigkeiten du hast? In deiner Botschaft hast du dich sehr vage ausgedrückt.«

Das Hologramm deutete auf das Terminal und es erwachte zum Leben. Sokrates stellte sich neben Dr. Brunner.

»Es gab eine Nachricht von unserer Freundin aus der Föderation«, erklärte Sokrates. Dr. Brunner starrte ihn an. Er konnte seine Aufregung kaum verbergen.

»Eine Nachricht von Dr. Van Dyken?« Er tippte auf die Anzeige und eine Videobotschaft wurde abgespielt. Sie war bereits fast zehn Tage alt, wie er mit einem missfälligen Brummen zur Kenntnis nahm. Er warf Sokrates einen raschen Blick zu.

»Warum erhalte ich sie erst jetzt?«

Die KI öffnete seine Arme in einer unschuldigen Geste.

»Der Geheimdienst hat sie lange Zeit zurückgehalten, ich habe dich sofort verständigt, als ich Einblick erhielt.«

Auf dem Display erschien Dr. Van Dyken, eine Frau mittleren Alters mit einem schmalen Gesicht voller Sommersprossen. Sie machte einen gehetzten Eindruck auf Dr. Brunner. Schneeflocken wirbelten durchs Bild und blieben an ihren Haaren hängen. Der Wind ließ ihre rotblonden Locken tanzen. Ohne große Floskeln kam sie sofort auf den Punkt.

»Die Anomalien kommen regelmäßig«, erzählte sie. »Wir haben eine Abweichung von nur wenigen Millisekunden gemessen. Zudem haben unsere Scanner etwas entdeckt … etwas Metallisches.« Ihre Augen blickten groß und verzückt in die Kamera. »Ich bin davon überzeugt, dass wir es hier mit keinem natürlichen Phänomen zu tun haben! Das ist viel mehr! Ich spüre es!« Van Dyken sah sich hastig um, ehe sie weitersprach. »Ich übersende dir eine Analyse der Zusammensetzung des Metalls. Du musst eure Regierung davon überzeugen, dass unserem Hilfegesuch stattgegeben wird!« Wieder ging sie dicht an die Kamera heran. »Bernhard, was wir hier gefunden haben, ist so großartig und sensationell, es könnte alles verändern!«

Das Bild am Ende der Nachricht zeigte den leidenschaftlichen und flehenden Blick von Dr. Van Dyken.

»Hast du ihre Daten analysiert?«, fragte Dr. Brunner und sah vom Display auf.

»Natürlich.«

»Und?«

»Die Übereinstimmung mit unseren Proben ist erstaunlich«, erklärte Sokrates. »Dieselbe Legierung.«

»Soll das heißen, sie haben in der Föderation etwas gefunden? Etwas, was unseren Entdeckungen in Tau Signum ähnelt, aber aktiv ist?«

Sokrates ging hinüber zu einem größeren Holoprojektor. Er deutete Dr. Brunner an ihm zu folgen. Das Gerät projizierte die Formeln und Grafiken von Van Dyken. Daneben erschienen die Daten ihrer eigenen Proben. Mit einmal trat Schweiß auf die Stirn des Doktors.

»Unglaublich!«

»In der Tat.«

Dr. Brunner umrundete das Hologramm und schüttelte immer wieder den Kopf. Er blieb stehen und warf Sokrates einen aufgeregten Blick zu.

»Wie weit ist die Sonne Lambda Custodia von Tau Signum entfernt?«

»Etwa einhundertsechzig Lichtjahre«, antwortete Sokrates prompt.

Dr. Brunner rieb sich das Kinn.

»Die Zusammensetzung des Metalls kann kein Zufall sein. Wenn es wahr ist, hat Andrea Recht! Es ist eine Sensation!«, murmelte er. »Wurde die Mission in der Zwischenzeit vom Aufsichtsrat genehmigt?«

»Ja«, bestätigte die KI. »Wie erwartet hat man dir die Verantwortung für das Projekt übertragen.«

Dr. Brunner atmete aus und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Wieder war er einen Schritt weiter gekommen.

»Es ist allerdings ein Prisma-Projekt«, fügte Sokrates nach einer Pause hinzu.

»Das war zu erwarten«, entgegnete Dr. Brunner tonlos und spielte mit einem Anstecker an seinem Mantel, der gleich neben dem wissenschaftlichen Abzeichen angebracht war. Er zeigte ein Dreieck, auf das ein Lichtstrahl traf und diesen in die Grundfarben aufspaltete.

»Du scheinst nicht glücklich darüber zu sein«, bemerkte Sokrates und verschränkte die Arme.

»Ich bin mir nicht sicher, ob die Ziele von Prisma mit meinen Zielen übereinstimmen.«

»Kannst du das präzisieren?«, fragte Sokrates. »Du leitest ihre Forschungsabteilung in Tau Signum! Sie haben dir viel zu verdanken, aber eure Ziele weichen voneinander ab?«

Dr. Brunner seufzte. »Sie richten ihre Aufmerksamkeit auf die falschen Dinge. Du weißt, was wir dort gefunden haben! Sie versuchen es nicht einmal annähernd zu verstehen, geschweige denn zu erforschen!«

Er fuchtelte er mit einer Hand umher, als wolle er die Stimmen seiner Kritiker aus seinem Kopf vertreiben. »Vielleicht ändert sich jetzt alles. Vielleicht ist diese Mission genau das Richtige zur rechten Zeit, um sie aufzuwecken!«

Sokrates schwieg und schaltete das Hologramm der Analyse ab. Er schlenderte wieder zurück zum Aussichtsfenster.

»Sie haben die Aesculap für diese Mission ausgewählt«, erklärte die KI. »Ein gutes Schiff, Captain Njestjew hat das Kommando. Hast du dir schon Gedanken über die wissenschaftliche Crew gemacht?«

»Ursprünglich wollte ich allein reisen, aber Prisma verlangt eine mehrköpfige Besetzung, also habe ich vor Monaten schon nach einem Assistenten Ausschau gehalten.«

»Erfolgreich?«

Dr. Brunner nickte. »Ein vielversprechender junger Mann. Ich habe mich vor einem Vierteljahr seiner angenommen. Er erwartet mich auf Central.«

»Aus den Reihen von Prisma?«

»Nein, ein außenstehender Student! Prisma hat mir zwar diverse Kandidaten vorgeschlagen, sie sind allerdings zu tief involviert, wenn du verstehst, was ich meine.« Dr. Brunner seufzte. »Ich brauchte jemanden, der unvoreingenommen an die Sache herangeht.«

Sokrates sah ihn überrascht an.

»Du hast ihn nicht eingeweiht?«

»Nein.«

Sokrates blinzelte, sagte aber nichts weiter dazu. Er wandte sich wieder dem Panoramafenster zu. »Wenn du erlaubst, würde ich gern noch jemanden vorschlagen.«

Dr. Brunner runzelte die Stirn. »Noch jemanden?« Ein Assistent war ihm eigentlich schon zu viel. Er stellte sich neben das Hologramm.

»Eine solche Mission verlangt eine wissenschaftliche KI«, stellte Sokrates fest. »Für die Besetzung dieser Position habe ich jemanden aus einer Liste von Bewerbern ausgewählt. Ich hätte die Mission gern selbst betreut, allerdings ist die Sokrates für andere Aufgaben vorgesehen. Ich werde eine enge Vertraute schicken, Sally ist ihr Name. Du wirst sehr zufrieden mit ihr sein.«

»Davon bin ich überzeugt. Ist sie vertrauenswürdig?«

»Absolut.«

Beide betrachteten schweigend das Farbspiel der Stürme von Alpha Ceti V.

»Ich werde mich unverzüglich auf den Weg nach Central machen«, verkündete Dr. Brunner einige Minuten später. »Es gibt vieles vorzubereiten.«

»Dem stimme ich zu. Ich wünsche dir viel Glück, Bernhard.«

»Danke Sokrates, hoffen wir, dass Dr. Van Dyken bis zu unserer Ankunft warten kann!«

DIE HANDELSSTATION

»Öffnen Sie wieder die Augen, Lambert!«

Vorsichtig tat Mark, was sein Mentor von ihm verlangte. Er atmete auf. Ihre Kabine auf dem Transferschiff sah unverändert aus. Im Gegensatz zu den meisten Passagieren hatten sie den Sprungvorgang hier verbracht. Ein Umstand, für den er dankbar war. Er konnte sich nichts Peinlicheres als eine Panikattacke vor allen Mitreisenden vorstellen. Sein Herz schlug langsamer und er drehte blinzelnd den Kopf zu dem hochgewachsenen Doktor im Sessel neben ihm.

Dr. Brunner sah aus wie ein Mann Anfang siebzig. Mark wusste aber aus dem ID-Verzeichnis des Konsortiums, dass er kurz vor seinem einhundertzwanzigsten Geburtstag stand. Gerüchten zufolge hatte er seine äußere Verfassung allein einer asketischen Lebensweise und dem ausschließlichen Genuss natürlicher Lebensmittel zu verdanken. Mark glaubte eher an die ein oder andere Zellkur auf einem der Planeten des Elysiumsystems.

Dr. Brunner lächelte auf seine milde, nachsichtige Art. Mark kam sich dabei jedes Mal wie ein Kind vor, das etwas falsch gemacht hatte und von seinem wohlwollenden Vater zurechtgewiesen wurde.

»Ich kann es nicht glauben, dass Sie nach so vielen Sprüngen immer noch die Augen schließen«, sagte Dr. Brunner mit einem Schmunzeln. »Langsam sollten Sie sich daran gewöhnen, Lambert. Ihnen stehen noch viele interstellare Reisen bevor, vorausgesetzt, Sie wollen weiterhin mein Assistent bleiben.«

»Sicher, Dr. Brunner.«

Auf die Anspielung auf ein Ende seiner Karriere ging er nicht ein. Der Doktor hatte ihn nicht ausgewählt, weil er Hyperraumsprünge mochte, sondern weil er auf dem Gebiet der Astrophysik und Astrogeologie unter den Besten seines Jahrgangs rangierte. Zu Marks Bedauern hatte ihn diese Mission ereilt, bevor er mit seiner Doktorarbeit fertig geworden war, aber wie konnte ein Student einer solchen Anfrage widerstehen? Zugegeben, die Aussicht auf all die Reisen zwischen den Sternen hatte einen bitteren Beigeschmack. Mark verabscheute Hyperraumsprünge, weil der Gedanke an die physikalischen Kräfte, die dabei auf etwas so Zerbrechliches wie dem menschlichen Körper einwirkten, ihn jedes Mal um den Verstand brachte. Der Vorgang an sich dauerte zwar nur einen Wimpernschlag, hinterließ aber ein mulmiges Gefühl in Marks Magengrube. Diesen Aussichten zum Trotz hatte er sich auf dieses Abenteuer eingelassen. Es war zu verlockend gewesen, zumal der Doktor als Genie galt. Mark hatte ihn schon bei mehreren Gastauftritten in den Hörsälen erlebt.

Glücklicherweise beließ es Dr. Brunner dabei und wandte sich den Bildschirmen zu. Darauf war eine schematische Darstellung der Handelsstation zu sehen. Sie war vor fünfzig Jahren von dem Konsortium an der imaginären Grenze zum Gebiet der Föderation errichtet worden. Die Vorstellung, wie es dort sein würde, am Treffpunkt zweier so unterschiedlicher Kulturen, ließ sein Herz höher schlagen. Es herrschte reger Verkehr, wie Mark an den vielen Symbolen erkannte, die auf der Anzeige hin- und herflogen.

»Im Vergleich zu anderen Stationen ist sie ziemlich klein«, fragte sich Mark halblaut. »Hat das einen Grund?«

Von Dr. Brunner kam keine Reaktion. Die Handelsstation bestand nicht aus dem üblichen Ringgebilde, sondern hatte ein zentrales Habitat unter einer großen Kuppel.

»Treffen wir dort auf den Rest des Teams?«

»Ja, Captain Njestjew und die Aesculap erwarten uns«, brummte der Doktor und kratzte sich an seiner Hakennase.

»Die Aesculap ist doch eine ganz neue Generation von Forschungsschiffen, oder nicht?«

Der Doktor nickte knapp. Die Aesculap war ein Forschungskreuzer der jüngsten Baureihe, ausgestattet mit den fortschrittlichsten Technologien, die man sich im Konsortium wünschen konnte. Auf der Akademie hatte Mark sich immer gewünscht, eines Tages Dienst auf so einem Schiff zu verrichten. Sicherlich waren auch die Sprünge mit so einem Kreuzer angenehmer. Wieder spürte er ein leichtes Kribbeln in der Magengegend und fragte sich, ob das von dem vergangenen Sprung herrührte oder eher Vorfreude war.

»Stößt noch jemand zum Team dazu?«

»Niemand.«

»Niemand?«

Mark runzelte die Stirn. Diese Mission war so bedeutend und Dr. Brunner verzichtete auf ein Team?

»Die KI der Aesculap wird uns zur Seite stehen. Mehr ist nicht nötig«, erklärte der Doktor und widmete sich wieder den Monitoren.

»Ich verstehe«, sagte Mark resigniert. Eine KI würde in allen wissenschaftlichen Fragen unterstützen können, wie sollte er als Student da mithalten? Der Doktor warf seinem Assistenten ein spöttisches Lächeln zu, als hätte er seine Gedanken erraten.

»Machen Sie sich bereit, Lambert! Wir docken in wenigen Minuten an!«

Mark stapfte mit hängenden Schultern davon und machte sich daran ihr Reisegepäck zusammenzusuchen.

Auf der Station angekommen, gaben sie dieses zum Weitertransport auf und gingen in die oberen Stockwerke, wo sie die große Kuppel mit ihren Gärten und Freizeitbereichen aufsuchten. Es war früher Abend und die Beleuchtung spiegelte das wider. Noch konnte er die Sterne nicht durch die riesigen Fenster hereinschimmern sehen. Nicht mehr lange und der Blick ins All wäre frei.

Mark bemerkte, dass Dr. Brunner inzwischen an einem Terminal Halt gemacht hatte. Mit eiligen Schritten folgte er ihm und warf hastige Blicke nach links und rechts, um einen Eindruck von der Station zu erhalten.

»Wissen Sie, wo es langgeht?«, fragte Mark schnaufend, als er den Doktor eingeholt hatte.

»Ja, hier gibt es ein Café unter der Kuppel. Dort treffen wir uns mit dem Captain.«

Nachdem der Doktor den Zielort auf der Stationskarte ausfindig gemacht hatte, steuerte er zielstrebig durch einen Park. Die Wege wurden von Zypressen gesäumt und führten an ein paar Kunstwerken aus Stein und Metall vorbei. Mark hatte kaum eine Gelegenheit, den Ort auf sich wirken zu lassen. Das Café erreichten sie völlig überraschend, denn der Innenhof wurde durch geschickt platzierte Pflanzen von der übrigen Kuppel abgeschirmt. Sie setzten sich an einen Tisch und bestellten Getränke.

Es dauerte nicht lange, bis zwei Männer den Innenhof des Cafés betraten. Beide trugen die Uniformen der Raummarine, wobei Mark gleich die aufwändigen Rangabzeichen auffielen. Der eine war groß, größer noch als der Doktor, und schlank. Der andere war kräftig gebaut und kleiner.

»Ah, Captain Njestjew!«, rief Dr. Brunner und stand auf. Mark tat es ihm gleich, hielt sich aber im Hintergrund.

»Dr. Brunner!«, erwiderte der große Offizier und lächelte erfreut. »Es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen!« Seine Stimme war tief und schwer. Die beiden Männer schüttelten sich die Hände.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Captain. Der Aesculap und ihrer Crew wird eine große Ehre zuteil. Der erste Flug eines Schiffes durch Föderationsraum seit dem Krieg, und noch dazu der Besuch einer ihrer Planeten!«

Der Captain nickte stolz und bedächtig, ehe er seinen ersten Offizier Nan-Yin Wong vorstellte und Mark die Hand schüttelte.

»Sie sind Mr. Lambert? Der Assistent von Dr. Brunner?«, fragte er freundlich und musterte ihn aufmerksam. Mark musste sich beherrschen, nicht das Gesicht zu verziehen. Vermutlich würde er ab jetzt immer nur ›der Assistent‹ sein.

»So ist es, Mark Lambert, sehr erfreut!«

Ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren, wandte sich der Captain wieder Dr. Brunner zu. Mark ließ die Schultern sinken. Er war in diesem Spiel nur eine Randfigur. Was hatte er anderes erwartet? Schließlich kam er frisch von der Akademie und war kein so berühmter Wissenschaftler wie Dr. Brunner.

»Die Aesculap wurde für die Mission entsprechend modifiziert«, erklärte der Captain. »Unsere SAL-Kommunikation wurde mit erweiterten Sicherheitsmechanismen versehen, ebenso die meisten Zugriffe auf die Datenbank. Dies ist zwar lästig, aber so können wir zumindest sicher sein, dass im Fall eines …Unglücks keine Informationen in die falschen Hände fallen.«

Mark horchte auf. Ein Unglück?

»Die Codes sind nur wenigen Mitgliedern der Mission zugänglich, dazu gehören Sie, Dr. Brunner, mein erster Offizier und ich natürlich. Alle weiteren Informationen zum Umgang mit den Einheimischen, Auszüge aus dem Föderationsgesetz und dergleichen finden Sie in Ihren Quartieren auf der Aesculap. Machen Sie sich damit vertraut!« Der Captain seufzte und fuhr sich nervös durchs Haar, ehe er weiterredete. »Da unser Sprungantrieb deutlich effizienter arbeitet als einer der ihren, und die Admiralität sich darüber einig ist, unseren Aufenthalt so kurz wie möglich zu halten, hat man uns gestattet in direkter Linie nach Lambda Custodia zu fliegen. Es gibt einen klaren Flugplan mit genauen Angaben, wann wir wo zu sein haben. Im Klartext bedeutet das, wir dürfen keinen anderen Stern anfliegen außer das Ziel unserer Mission.«

Dr. Brunner schnaubte. Mark brauchte ihn nicht ansehen, um zu wissen, dass er rot anlief.

»Was soll dieser Unsinn? Wir sind nicht darauf aus, die New-Age-Föderation auszuspionieren oder ihre Welten zu erobern! Mit einem Forschungsraumschiff!«

Mark presste die Lippen zusammen. Auch wenn ihm die Ausbrüche des Doktors manchmal peinlich waren, hatte er gelernt, dass er in solchen Augenblicken am besten seinen Mund hielt.

Der Captain hob die Hände.

»Das sind alles nur Vorsichtsmaßnahmen! Ich kann die Föderation schon verstehen.«

Dr. Brunner wollte zu einer wütenden Antwort ansetzen, aber der Captain schüttelte den Kopf. »Das sind die Regeln, Doktor. Entweder wir halten uns daran oder die Mission ist gestorben! Wir müssen die Forderungen der Föderation befolgen, wenn wir uns in ihr Territorium begeben!«

Dr. Brunner schnaubte erneut und schien jede weitere Bemerkung hinunterzuschlucken.

Mark nutzte die Pause und fragte: »Aber den Planeten dürfen wir betreten, oder?«

»Das wird sich vor Ort zeigen«, sagte der Captain vage. »Die lokalen Behörden sind informiert, wir haben Willkommens-Codes und dergleichen. Ich schätze mal, ja.«

Mark nickte und spürte wieder das Kribbeln im Bauch. Was erwartete sie wohl an ihrem Zielort? Der Doktor schien weniger begeistert zu sein.

»Willkommens-Codes, Behörden … pff. Klingt nach einer Menge Bürokratie«, grollte er, aber schon weniger verärgert als davor, wie Mark mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. »Ich hatte gehofft, dass deren Team die Dringlichkeit des Anliegens an diese Behörden weitergegeben hätte! Sie haben uns um Hilfe gebeten, nicht andersherum.«

»Lassen wir es auf uns zukommen«, befand der Captain knapp. »Sie haben noch zwei Stunden, ehe Sie an Bord gehen sollten. Genießen Sie die Vorzüge der Zivilisation, meine Herren!«

Er grinste und reichte jedem von ihnen die Hand.

Mark spähte zu Dr. Brunner hinüber, der noch immer in düsteres Schweigen gehüllt war. Er wollte die Stille gerade mit einem Kommentar über die Station brechen, als der Doktor vor sich hin murmelte.

»Das war zu erwarten gewesen. Dennoch, jede Verzögerung ist von Bedeutung. Es gibt so viele Faktoren, durch die unsere Aufgabe scheitern könnte.«

Mark schluckte. Dr. Brunner schien zum ersten Mal seit dem Antritt der Reise besorgt.

»Waren Sie dabei?«, fragte er. »Ich meine, als vor fünfzig Jahren das Friedensabkommen unterzeichnet wurde?«

Der Doktor zuckte zusammen und sah ruckartig auf, als habe er nicht damit gerechnet, dass noch jemand am Tisch säße.

»Dabei?«, wiederholte er verwirrt. »Nein. Ich habe allerdings an den Fünfzigjahrfeierlichkeiten teilgenommen, hier auf der Handelsstation.«

»Dann haben Sie doch bestimmt schon Leute der Föderation gesehen, oder nicht?«

»Sicher.«

»Wie waren die so?«

»Wie, ›wie waren die‹? Es sind Menschen, Lambert. Menschen wie wir alle. Keine grünen Männchen.«

Mark kaute auf seiner Unterlippe. Es gab so vieles, was er gern wissen würde.

»Haben Sie jemals Informationen über die Kolonien der Föderation erhalten?«

»Nicht mehr als Ihnen bekannt sein dürfte.«

»Also betreibt die Föderation wirklich aufwändige Terraformierungen auf ihren Planeten?«

»Soweit ich weiß.«

Mark schwieg. Es hieß, die Föderation würde Planeten in blühende Gärten verwandeln, aus leblosen Felsbrocken Paradiese erschaffen. Das Deep-Space-Konsortium machte das zwar auch, aber nur wenn der wirtschaftliche Aufwand gerechtfertigt war. Es war rentabler nach Systemen mit Planeten zu suchen, die auch ohne großen Aufwand Leben beherbergen konnten. Ihm brannten so viele Fragen auf den Lippen.

»Ich habe gelesen, dass der Zutritt für Föderationsbürger nur in beschränkten Bereichen der Handelsstation erlaubt ist, ist das wahr?«

»Ja«, entgegnete der Doktor. »Wenn Sie jemanden aus der Föderation begegnet wären, hätten Sie das bemerkt.«

»Warum?«

Der Doktor lachte leise.

»Überzeugen Sie sich selbst, Lambert! Sie haben den Captain gehört, zwei Stunden Freizeit bleibt Ihnen noch. Besuchen Sie den Markt der Begegnung, den Ort, wo Föderation und Konsortium aufeinandertreffen. Ich habe jedenfalls Besseres zu tun.«

Mit diesen Worten stand Dr. Brunner auf.

»Seien Sie pünktlich, Lambert! Die Aesculap wartet nicht.«

Mark nickte. Sollte der Doktor doch seine besseren Angelegenheiten regeln. Er jedenfalls würde diesem Markt einen Besuch abstatten. Die Chance konnte er sich nicht entgehen lassen.

Marks Vorfreude wurde durch eine lange Menschenschlange getrübt, die sich vor dem Zugang zum Markt gebildet hatte. Alle Besucher mussten durch eine Kontrolle der Zollstation, ihre ID-Karte vorzeigen. Da es keine einheitliche Währung gab, bekam jeder nach Zahlung der Zutrittsgebühr einen Chip mit aufgeladenem Guthaben. Mark hatte genügend Zeit, die Bestimmungen des Marktes zu studieren. Sie wurden überall auf Monitoren entlang der Zugangswege angezeigt. Wie zu erwarten war, durfte man keine gefährlichen oder verbotenen Gegenstände mit sich führen, weder auf den Markt noch zurück. Die eingeblendete Liste solcher Gegenstände war lang, sodass er schon bald das Interesse daran verlor. Immer wieder warf er nervöse Blicke in Richtung der Zollabfertigung. Warum ging alles so unglaublich langsam, wenn man keine Zeit hatte?

Nach einer geschlagenen halben Stunde war er endlich an der Reihe und lud sich ein kleines Guthaben auf den Einkaufschip. Zusätzlich überreichte ihm der Zollbeamte einen elektronischen Marktführer in Form eines MiniComPads. Mark bedankte sich und eilte zu den Zugangskorridoren.

Mit klopfendem Herzen durchquerte er das letzte Tor und blieb dann staunend auf der anschließenden Plattform stehen, von der er auf den Markt der Begegnung herabblicken konnte.

Die Halle war groß und trotz seines erhöhten Standpunktes hatte er Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Das Stimmengewirr vermischte sich mit lauter Musik und reißerischen Werbeslogans. Hunderte fremde Gerüche stiegen ihm in die Nase. Er trat dicht an die Brüstung heran, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Der Aufbau erinnerte ihn stark an die ComGrounds, kleine Märkte im Konsortium. Die Geschäfte und Buden, ja, sogar Zelte, standen dicht an dicht gedrängt. Die Pfade dazwischen bildeten ein unregelmäßiges Netz, auf dem sich jede Menge Menschen wie Ameisen ihre Wege bahnten. Bunte Lichterketten, Lampions und Leuchtreklame strahlten, wohin er auch blickte. Vergebens suchte er nach einem Orientierungspunkt.

»Zum Glück habe ich den Marktführer«, murmelte er und startete das Gerät. Mit einer fröhlichen Stimme beglückwünschte ihn das ComPad zu seinem Besuch und erklärte ihm die wesentlichen Regeln.

»Mitglieder der Föderation können ihre Eingänge der Halle an den grünen Symbolen erkennen, welche über den Zugangskorridoren angebracht sind. Die Zugänge des Konsortiums werden mit blauen Symbolen markiert.«

Mark blickte auf. In der Tat, hinter ihm leuchtete das Emblem des Deep-Space-Konsortiums über dem Tor in heller blauer Farbe: ein dreimal unterbrochener Kreis, in der Mitte die drei Planeten von Alpha Ceti, dem zentralen System des Konsortiums. Auf der anderen Seite der Halle erkannte er das Symbol der New-Age-Föderation in Grün, ein Planet in einem Dreieck, mit einem nach oben geschwungenen Pfeil.

Er warf einen letzten Blick über die Brüstung und lief dann die breite Treppe hinunter. Unten angekommen ließ er sich von einer unsichtbaren Strömung treiben. Die Geschäfte auf dieser Seite der Halle gehörten alle zum Konsortium, das erkannte er unschwer an den angebotenen Waren. Bei technischen Artikeln legten die Händler großen Wert darauf, alte und längst überholte Ware anzubieten, die sie sonst nicht mehr oder nur zu einem geringen Preis verkaufen konnten.

An einem solchen Geschäft mit minderwertiger Unterhaltungselektronik sah er die ersten Menschen der Föderation, zumindest glaubte er das. Sie inspizierten die Geräte und unterhielten sich. Mit ein wenig Konzentration verstand er ihr Gespräch. Die Sprache klang fast so wie das im Konsortium vorherrschende Standard. Irgendwo hatte er mal gehört, dass die Sprachvielfalt in der Föderation jede Menge lokale Dialekte und Sprachen kannte.

Einige von ihnen trugen Bordoveralls mit verschiedenen Logos und Schriftzügen darauf, andere steckten in formellerer Kleidung, die jedoch nichts mit der ihm bekannten Mode zu tun hatte. Im Deep-Space-Konsortium herrschten eng geschnittene Maßanfertigungen aus synthetischen Fasern vor. Das, was die Leute aus der Föderation an diesem Ort am Leib hatten, war aus gröberem Stoff gefertigt, machte aber einen soliden Eindruck. Mark empfand sie eher als schäbig.

Als einer der Männer seinen gaffenden Blick auffing, wandte er sich rasch ab und kaufte an einem Automaten eine Flasche Wasser. Dabei dachte er an seine Unterhaltung mit dem Doktor und musste schmunzeln. Nein, es waren wirklich keine grünen Männchen.

Rastlos setzte er seine Reise durch das Getümmel fort, verließ schon bald die breiteren Hauptwege und tauchte in schmalere Gassen ein. Er wollte die andere Seite kennenlernen, die mit den Geschäften der Föderationshändler.

Das Angebot war vielfältig und bestand hauptsächlich aus Nahrungsmitteln und hochwertigen Kleidungsstücken, weniger Technik, da es dafür im Konsortium keine Abnehmer gab. Trotzdem blieb er an den Ständen mit Gerätschaften stehen, um einen Eindruck von den aktuellen Apparaturen der Föderation zu bekommen.

Vor allem eine Auslage mit automatischen Wasserfiltern erregte seine Aufmerksamkeit. Es gab eine Menge ähnlicher Verkaufsstände. Da im Konsortium Urlaub in der Wildnis eine beliebte Freizeitbeschäftigung war, schien es für die vielen unterschiedlichen Artikel einen regen Absatz zu geben. Die Auswahl reichte von Zelten aus extraleichten Stoffen, die man zu winzigen Paketen zusammenfalten konnte, bis hin zu einem Multi-Energiequellen-Kocher. Wie der Name schon sagte, konnte dieser mit vielen Arten der Energie betrieben werden–je nachdem, was der Planet hergab, auf dem man sich befand. Der Trend im Deep-Space-Konsortium ging derzeit dazu über, mit minimalistischem Gepäck die raue Umwelt der Kolonien zu bezwingen. Was für die Menschen der Föderation vermutlich zum Überleben beitrug, war für die andere Seite ein Hilfsmittel für einen Wochenendausflug.

Mark löste sich von der ausliegenden Campingausrüstung, als ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine junge Frau ins Auge fiel. Sie hatte etwa schulterlange, braune Haare, die sie zu einem Zopf gebunden trug. Anhand ihres maßgeschneiderten Einteilers aus grau-weißer Synthetikfaser konnte er sie eindeutig dem Konsortium zuordnen. Nicht nur wegen ihrer Kleidung stach sie aus der Masse heraus: Mark konnte nicht anders, als ihre makellose Schönheit zu bewundern. Mehrere Männer drehten sich nach ihr um, als sie an ihnen vorbeiging.

Die Frau betrat das gegenüberliegende Geschäft, das die Aufschrift ›Lebensmittel und Naturapotheke‹ führte und vor dessen Eingang Räucherstäbchen brannten. Der beißende Geruch ließ ihn seine Nase rümpfen. Eine Gruppe Männer und Frauen der Föderation lungerten auf Stühlen im Schatten zwischen ein paar palmenähnlichen Pflanzen herum und Mark entging nicht, dass sie immer wieder einen glühenden Zigarettenstummel herumgaben. Sie boten ihn auch der Frau an, aber sie winkte nur verneinend mit einer Hand und verschwand im Inneren des Ladens.

Mark blieb stehen und zögerte. Sollte er der jungen Frau folgen? Sie faszinierte ihn auf eine unheimliche Art und Weise. Was wollte sie in dem Laden? Er gab sich einen Ruck und ging auf das Geschäft zu.

»Willste auch mal?«, fragte ein Mann aus dem Schatten und hielt ihm den glühenden Stummel hin. Wie hypnotisiert betrachtete Mark die Zigarette.

»Was ist das?«

Sofort bereute er es, Interesse gezeigt zu haben, denn der Mann kam auf ihn zu und eine Frau kicherte. Eine undefinierbare Wolke wehte ihm entgegen und er unterdrückte den plötzlichen Hustendrang. Es war Mischung aus Schweiß, Öl und einem würzig blumigen Duft. Der Geruch allein wäre nicht so schlimm gewesen, aber sein Gegenüber brauchte dringend ein Bad und einen sauberen Overall.

»Das?«, fragte der Mann und fuchtelte mit der Zigarette vor seinem Gesicht herum. »Ist ein überaus wirksames Mittel gegen jede Art von Schmerz. Jede!«

Er grinste breit, tippte mit der freien Hand auf Marks Brust und deutete hinauf zu seinen Schläfen.

»Kopfschmerzen oder Herzschmerzen, ist egal. Mit dem Zeug ist alles halb so schlimm. Nach ner ordentlichen Session AVE dazu kannst du in ner halben Stunde wieder klar denken. Keine Nebenwirkungen, nichts, die Kopfschmerzen sind dann wie weggeblasen.«

›Was hatte der Kerl gesagt? AVE? Was war das nun wieder?‹ Mark trat einen kleinen Schritt zurück und stieß unvermittelt gegen einen anderen, der sich ihm von hinten genähert hatte. Nervös blickte er sich um.

»Danke, aber ich habe derzeit keine Schmerzen! Vielen Dank! Ich verzichte«, murmelte er.

»Ach komm schon, irgendeinen Schmerz hat doch jeder?«, sagte der Mann mit dem Stummel und lachte.

»Ich nicht«, erwiderte Mark mit fester Stimme und schlüpfte rasch zwischen den beiden hindurch in den Laden. Lautes Lachen begleitete ihn.

Drinnen war das Licht gedämpft und Rauchschwaden der vielen Räucherstäbchen waberten unter der Decke. Der Geruch war angenehmer als draußen, wofür Mark dankbar war. Ihm hing noch immer der üble Gestank des Typen vor der Tür in der Nase. Neugierig sah er sich um. Ein Gewirr aus Regalen und Kühlkammern machte es schwierig, die Größe des Raumes zu erfassen. Außer dem Summen der Kühlaggregate war alles ruhig. Er konnte die Frau nirgends entdecken, also betrachtete er die Auslegeware.

In Kühlboxen lagerten jede Menge ihm unbekannte Lebensmittel in unterschiedlichen Formen und Größen. Manche von ihnen schwammen in grünlichen Flüssigkeiten oder waren in eigenen Atmosphärenbehältern untergebracht, die wie kleine Terrarien aussahen. Er kam an einem Behälter voller schwarzer Nacktschnecken vorbei, die widerwärtige Schleimfäden hinter sich her zogen. Angeekelt verzog er das Gesicht und ging schnell weiter.

Es folgte eine Abteilung, in der kleine Dosen und Schachteln in Glasvitrinen aufbewahrt wurden. Nur wenige trugen eine lesbare Aufschrift, manche hatten nur Symbole oder altterranische Schriftzeichen zu bieten. Er versuchte ein paar zu entziffern, als er die Stimmen zweier Frauen hörte, die sich nur wenige Meter weiter leise unterhielten.

»Werden die Impfungen empfohlen oder sind sie zwingend notwendig?«, fragte die jünger klingende Stimme. Mark schob sich dichter heran und fühlte sich ein wenig schäbig wegen seiner Lauscherei.

»In dem Paket ist alles vorhanden, was Sie brauchen«, erklärte eine ältere Frau geduldig. »Nur die Hälfte davon ist obligatorisch, die andere Hälfte wird nur zur Sicherheit empfohlen. Normalerweise sind medizinische Einrichtungen immer gut erreichbar, aber die Terratechniker sind oft auf sich allein gestellt, wenn sie ihre Arbeit machen. Da kann es schon mal brenzlig werden, wenn sie dem Ökosystem ohne Schutz ausgeliefert sind.«

»Das kann ich verstehen«, entgegnete die Jüngere. »Ich kaufe es!«

Mark hielt es nicht mehr aus, hüstelte und trat hinter dem Regal hervor.

Die brünette Frau sah kurz auf und lächelte Mark an. Als ihre tiefgründigen, braunen Augen die seinen trafen, wurde ihm ganz warm hinter den Ohren.

»Ah, mehr Kundschaft, einen Moment«, sagte die deutlich ältere Besitzerin des Ladens, die ihre grauen Haare zu einem hohen Knoten gebunden trug. Sie nickte Mark zufrieden zu, ehe sie ein größeres Paket über den Tresen schob. »Hier ist jedenfalls alles drin, was Sie brauchen, die ganze Bandbreite. Es kommt nicht oft vor, dass jemand von euch, also aus dem Konsortium, so etwas bei mir kauft.«

»Es ist für wissenschaftliche Zwecke!«, erklärte die junge Frau und ließ sich den Kauf auf ihrem Chip bestätigen.

»Dachte ich mir«, erwiderte die Händlerin und drehte den Kopf wieder in Marks Richtung. »Und wie kann ich Ihnen helfen, junger Mann?«

»Ich … äh …«, er schaute von der Ladenbesitzerin zu dem Paket und zur lächelnden Brünetten. »Mich interessiert, was die Leute da draußen rauchen … also auch nur aus, ähm, wissenschaftlichem Interesse natürlich!«

Die Händlerin zog amüsiert die Augenbrauen hoch und schürzte die Lippen zu einem spöttischen Grinsen.

»Das würde mich auch interessieren!«, sagte die junge Frau. Mark seufzte leise, da hatte er sich wohl doch nicht zum Narren gemacht.

»Es handelt sich um einen Tabak aus Nicotiana Tabacum, versetzt mit Blättern des Jevoa Baumes von Shangri-La«, erklärte die Händlerin. »Nur ein kleiner Anteil. Dieser reicht aus, um wie ein starkes Schmerzmittel zu wirken, ohne die üblichen Nebenwirkungen der industriell hergestellten chemischen Wirkstoffe.« Sie holte ein kleines Päckchen hinter ihrem Tresen hervor und hielt es hoch. »Es sieht schlimmer aus als es ist«, bemerkte die Händlerin amüsiert, der Marks skeptischer Blick nicht entgangen waren.

»Die Leute sind ein wenig neben der Spur und empfinden eine Art Hochgefühl beim Genuss der Zigarette, aber der Stoff selbst macht nicht abhängig und die Wirkung verfliegt relativ schnell«, fuhr sie fort. »Die schmerzstillenden Eigenschaften halten jedoch noch ein paar Stunden an.«

»Nur ein kleiner Anteil?«, fragte die junge Frau und Mark nickte, auch ihm war dieses Detail aufgefallen. »Was bewirkt ein größerer Anteil?«

Die Händlerin verzog das Gesicht.

»Das geht von Halluzinationen bis hin zu Bewusstlosigkeit und Lähmung verschiedener Organe, im schlimmsten Fall zum Tod.«

»Ist die Pflanze legal?«, platzte es aus Mark heraus. In seinem Kopf ging er die Liste der verbotenen Substanzen durch, konnte sich aber nicht an Jevoa erinnern. Die Verkäuferin sah die beiden schief an.

»Alle Waren werden nach dem Gesetz des Handels zwischen Föderation und Konsortium ausgewählt«, betonte sie. »Die Zigaretten sind völlig legal. Natürlich gibt es schwarze Schafe im Geschäft, die gibt es immer.« Sie verstaute das kleine Päckchen wieder unter dem Tresen. »Das Leben in den äußeren Kolonien ist hart und kein Urlaub. Die Leute sehnen sich nach Dingen, die ihnen ihre Schmerzen oder Einsamkeit nehmen oder die eintönige Arbeit erleichtern. Ich kann es ihnen nicht verübeln, dass sie das AVE nutzen oder wenn ihnen das zu teuer ist, sich das Leben mit diversen anderen Mittelchen versüßen.«

Mark blieb skeptisch. Von solchen Zigaretten sollte er die Finger lassen, wenn sie auf ihrer Mission eine angeboten bekämen. Die einzigen Suchtmittel, mit denen er sich je beschäftigt hatte, waren Energieriegel und andere Aufputschmittel, die für das Leben eines Studenten unabdingbar waren.

»Was ist AVE?«, fragte er, nachdem er das Wort schon zum zweiten Mal gehört hatte.

»Advanced Virtual Experience, ein VR Netzwerk, welches quasi überall zur Verfügung steht und den Nutzern darin beinahe grenzenlose Möglichkeiten virtueller Erfahrungen bietet.«

»Das ist alles höchst interessant, aber ich muss leider weiter!«, sagte die junge Frau und griff nach der Verpackung auf dem Tresen.

»Soll ich Ihnen helfen?«, bot Mark sofort an und deutete auf das klobige Paket auf dem Tisch.

»Nein danke!«, erwiderte die Frau und warf ihm ein weiteres umwerfendes Lächeln zu. »Vielen Dank. Ich muss mich beeilen! Einen schönen Tag noch!«

Sie griff nach dem Paket und klemmte es sich mühelos unter den Arm. Mit einem Nicken verschwand sie in Richtung Ausgang.

Warum hatte er nicht wenigstens nach ihren Namen gefragt?

»Soweit ich weiß, sind AVE Geräte auf dem Markt verboten, aber es gibt ein paar ähnliche Konsolen an einem Stand nicht weit von hier, soll ich Ihnen den Weg beschreiben?«, fragte die Verkäuferin.

»Nein, vielen Dank«, antwortete Mark, der sich immer noch den Kopf darüber zerbrach, warum er nicht darauf bestanden hatte, das Paket zu tragen.

»Wenn Sie an den Lebensmitteln nicht interessiert sind, so vielleicht an ein wenig Technik?«, fuhr die Frau fort. »Ich habe hier ein paar der bei uns üblichen Scanner, die Dinger analysieren in Sekundenbruchteilen Lebensmittel und ihre Zusammensetzung. So können Sie gleich erkennen, ob Sie dagegen allergisch sind oder ob das Lebensmittel noch genießbar ist!«

Mark betrachtete die ausliegenden Geräte. Sie waren alle klein und passten in eine Handfläche.

»Ich weiß nicht, wir haben zwar solche Geräte, aber der Bedarf ist gering. Die meisten Nahrungsmittel werden so gezüchtet, dass Allergien eher selten ein Problem sind.«

»Das hilft Ihnen aber nur wenig, wenn Sie hier auf dem Markt ein Thalasso-Sandwich kaufen oder eine Lumpa-Larve von Neu Amazonien kosten wollen. Die kommen nicht aus irgendwelchen Genpool-Gärtnereien!«

Mark betrachtete den Apparat. Er bezweifelte, dass die Verkäuferin ihn gehen lassen würde, ohne dass er nicht wenigstens etwas gekauft hatte.

»Na gut, ich nehme so einen Scanner!«, entschied er und deutete auf eine Schachtel. Vielleicht war es nicht zu spät, die andere Frau einzuholen und sie nach ihrem Namen zu fragen.

»Sehr gut! Sie können damit auch JevZigs auf einen überhöhten Anteil Jevoa untersuchen«, sagte sie augenzwinkernd. »Möchten Sie auch eine Packung davon?«

Sie griff unter den Tresen und förderte erneut das Päckchen Zigaretten zutage. Mark schüttelte den Kopf. Mit so etwas wollte er lieber nichts am Hut haben. Außerdem stand Jevoa bestimmt auf der Liste der verbotenen Dinge. Spätestens die Kontrollen an Bord der Aesculap würden sie zutage fördern. Zigaretten in dieser Form gab es im Konsortium schon lange nicht mehr. Er reichte der Frau den Chip, die damit den Kauf verbuchte, und verabschiedete sich rasch.

Draußen war weit und breit kein grau-weißer Einteiler zu sehen. Er seufzte und ließ die Schultern hängen. Mit einem Blick auf die Uhrzeit machte er sich schleunigst auf den Rückweg und ließ das Marktlabyrinth hinter sich.

Dr. Brunner erwartete ihn vor der Schleuse, an der die Aesculap angedockt lag. Er hatte die Arme hinter seinem Rücken verschränkt und blickte durch das dicke Glas eines Fensters hinaus zu dem Raumschiff. Er wippte leicht auf und ab. Ein Zeichen seiner Ungeduld.

»Ich hoffe, es hat sich für Sie gelohnt, Lambert?«, fragte er schroff, ohne sich umzudrehen.

»Wie bitte?«

Mark atmete schwer. Die letzten hundert Meter hatte er im Laufschritt zurückgelegt, da er die Entfernung unterschätzt hatte.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragte Dr. Brunner und drehte sich mit gerümpfter Nase zu ihm um.

»Räucherstäbchen«, stieß er hervor und trat neben den Doktor, um einen Blick auf die Aesculap zu werfen.

»Räucherstäbchen?« Der Doktor schnüffelte erneut und machte einen halben Schritt zur Seite. »Junger Mann, ich erwarte von meinen Assistenten, dass sie einen klaren Kopf bewahren. Bewusstseinsverändernde Substanzen können Ihre Angst vor Hyperraumsprüngen auch nicht kurieren, viel eher …«

Mark hob eine Hand und unterbrach damit den Doktor. Dieser zog missbilligend die Augenbrauen hoch und warf ihm einen düsteren Blick zu.

»Ich habe keinerlei Substanzen zu mir genommen, Dr. Brunner«, erklärte er ruhig. »Ich habe mich nur in der Nähe aufgehalten. Mein Kopf ist klar, Sie können darauf zählen!« Er registrierte, dass der Doktor zwar noch immer die Nase rümpfte, aber nicht mehr finster dreinblickte.

»Nun gut.«

Gemeinsam betrachteten sie den hellen, glänzenden Rumpf des Raumschiffes, die geschwungenen Linien und den eleganten Aufbau.

»Ein Prachtstück«, stellte der Doktor fest. »Die Aesculap ist das beste Schiff, das wir für die Mission bekommen konnten. Die Pegasus-Klasse besitzt eine abtrennbare Laborsektion, wir brauchen noch nicht einmal eine Basis auf dem Planeten!«

Es musste wirklich außergewöhnlich sein, wenn Dr. Brunner sich zu solchen Äußerungen hinreißen ließ. Der Gedanke an die vielen vor ihnen liegenden Sprünge machte sich mit einem leisen Grummeln in seiner Magengegend bemerkbar.

»Ja, sie ist etwas Besonderes!«, murmelte er rasch.

Eine Lautsprecherdurchsage rief die Passagiere auf, das Schiff zu betreten. Sie rissen sich von dem Anblick los und betraten den Zugangstunnel durch die Schleuse. Am Eingang zur Aesculap empfing sie Captain Njestjew persönlich. Hinter ihm stand ein riesiger Mann, dessen Arme voller Muskelberge waren. Die Anwesenheit von Dr. Brunner schien ihm nicht im Geringsten zu imponieren.

»Herzlich willkommen auf der Aesculap!«, begrüßte sie der Captain und bat sie mit einer Handbewegung hinein.

»Ein Prachtschiff!«, sagte Dr. Brunner und folgte dem Captain ins Schiff. Der Riese blieb an der Luftschleuse zurück. Mark warf ihm ein Grinsen zu, als er an ihm vorbei die Aesculap betrat. Der Mann zeigte keine Regung, nicht einmal ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Mark fielen sofort die Narben seitlich am haarlosen Kopf auf. Nur ein mit kybernetischen Implantaten ausgestatteter Mann konnte so groß und kräftig sein. Bestimmt gehörte er zum Sicherheitspersonal, aber warum genügte kein normaler Trupp für die Mission? Ein Mod, ein modifizierter Mensch, wie man sie zu Hause nannte, als Wächter schien ihm deutlich übertrieben.

Als sie endlich ihr Quartier erreicht hatten, ließ sich Mark in einen Sessel fallen. Dr. Brunner hatte ihm eröffnet, dass sie sich eine Unterkunft teilen würden. Mark hätte schreien können. Durfte er denn überhaupt keine Privatsphäre haben?

»Ich hoffe, Sie haben die Broschüre über das Verhalten während unseres Aufenthaltes im Föderationsraum gelesen?«, fragte Dr. Brunner. »Falls nicht, wäre nun ein guter Zeitpunkt! Ich empfehle Ihnen vor allem die Passagen über den Genuss von Lebensmitteln und anderen Substanzen«, riet ihm der Doktor schnippisch und verschwand kurz darauf in seiner Schlafkabine.

Mark sah ihm griesgrämig hinterher und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich würde er auf der gesamten Reise keine ruhige Minute bekommen. Als hätte er es geahnt, öffnete sich die Tür der Schlafkabine erneut.

»Und informieren Sie sich gründlich über die Unterlagen, die uns von den Kollegen der Föderation zur Verfügung gestellt worden sind!«, rief der Doktor. »Wenn wir angekommen sind, möchte ich Ihre Meinung dazu hören!« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ach ja, und haben Sie bereits die nötigen Impfungen für den Aufenthalt bekommen? Falls nicht, melden Sie sich doch bitte auf der Krankenstation! Ich werde mich nun zurückziehen und ein wenig schlafen. Bitte wecken Sie mich rechtzeitig vor dem letzten Sprung!«

Die Tür schloss sich mit einem kaum wahrnehmbaren Zischen und ließ Mark sprachlos in dem Sessel zurück.

Er tippte lustlos auf seinem Handgelenkcomputer herum und gähnte. Vielleicht konnte er ein Nickerchen machen und später all die Aufgaben erledigen, die ihm aufgetragen worden waren? Er schüttelte den Kopf. Nein, eine Dusche würde den Geruch der Räucherstäbchen vertreiben und danach würde er sich frisch genug fühlen, die angeratene Lektüre durchzugehen.

Sauber und wieder munter setzte er sich an das Terminal in seiner Schlafkabine. »Computer, ich möchte die Unterlagen über die New-Age-Föderation einsehen, außerdem rufe die Daten der Mission der Föderationswissenschaftler im System Lambda Custodia auf.«

»Sehr gern«, antwortete die modulierte Stimme des Computers.

»Wie heißt die Bord-KI der Aesculap?«, fragte Mark beiläufig.

»Ich bin Sally«, ertönte eine andere, angenehme, weibliche Stimme aus dem Lautsprecher. »Ich hoffe Sie fühlen sich wohl, Mr. Lambert?« Die Stimme kam ihm vertraut vor, aber er konnte sie nicht zuordnen.

»Ja, danke der Nachfrage. Du kannst mich auch einfach Mark nennen, das ist mir lieber.«

»Wie du möchtest, Mark. Die angeforderten Unterlagen stehen zum Abruf bereit. Möchtest du eine visuelle Anzeige oder sollen sie abgespielt werden?«

»Ich lese sie mir durch, vielen Dank!«

»Gern. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«

Er tippte mit seinem Zeigefinger gegen seine Lippen und antwortete dann halb im Scherz: »Wenn du den Doktor etwas freundlicher und weniger herrisch machen könntest …«

Die KI lachte. Bei dem Lachen baute sich das Bild eines umwerfenden Lächelns in seinem Gedächtnis auf. Eine Idee formte sich in seinem Kopf.

»Hast du Zugriff auf die Personendaten der Handelsstation?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Nein, die Daten der Handelsstation gehören einer Sicherheitsstufe an, für die ich keine Freigabe habe. Es tut mir leid.«

Mark ließ die Schultern wieder sinken.

»Kein Problem«, log er und konzentrierte sich auf den Bildschirm. »Zeig mir die Informationen über die Föderation und gib mir eine halbe Stunde vor dem letzten Sprung Bescheid. Ich muss dann den Doktor wecken!«

»Sehr gern. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt an Bord der Aesculap, Mark!«

LAMBDA CUSTODIA

Mark blickte aus dem Fenster ihres Quartieres. Die Aesculap entfernte sich von der Handelsstation. Als Eskorte bis zur Grenze gesellte sich ein Kreuzer des Konsortiums zu ihnen. Daneben registrierte er eine Gruppe kleinerer Schiffe in ihrem Schlepptau. Diese gehörten sicher zu den Nachrichtenagenturen, die hofften, einen letzten Kommentar des Captains oder von Dr. Brunner aufzuschnappen. Vergebens, denn alles, was von nun an auf der Aesculap passierte, unterlag der strikten Geheimhaltung.

Ihre Mission hatte endlich begonnen. Marks Herz schlug schneller und ein Hochgefühl ergriff von ihm Besitz.

Die Kleinraumer und der Kreuzer blieben bald zurück und die Aesculap wurde von einem Kriegsschiff der Föderation in Empfang genommen. Die harten, gedrungenen Konturen des Schiffes kamen Mark bedrohlich vor und er zog sich in seinen Sessel zurück.

Ein kurzes Piepen kündigte eine weitere Übertragung an und er hörte aufmerksam zu. Der Captain wiederholte, was Mark schon wusste. Bis zu ihrem Zielpunkt würden sie keinen Planeten anfliegen, der erste von vier Sprüngen stand in wenigen Minuten an.

Marks Magen formte sich zu einem Knoten. Ehe er sich weiter mit seiner Sprungangst auseinandersetzen konnte, kündigte der Computer eine private Nachricht für Dr. Brunner an.

»Von wem?«, fragte Markt mit gerunzelter Stirn.

»Absender ist Dr. Van Dyken, Andrea. Herkunft ist die Föderation.«

»Die Nachricht in Dr. Brunners Schlafraum weiterleiten«, befahl er. Van Dyken. Wo hatte er diesen Namen schon einmal gehört? Der Doktor hatte sie nie erwähnt. Vermutlich war sie es, die beim Konsortium um Hilfe gebeten hatte. Warum sandte sie jetzt eine private Nachricht?

Vermutlich würde er mehr wissen, wenn er endlich mal mit den Berichten der Föderationswissenschaftler beschäftigten, wie Dr. Brunner ihm aufgetragen hatte.

»Sprung in drei Minuten«, verkündete der Computer. Mark seufzte und entschied sich dafür, den Vorgang lieber in seinem Bett zu verbringen. Er eilte hinüber in sein eigenes kleines Schlafabteil, wo eine Bettnische und ein Spind für seine Kleidung und andere persönliche Gegenstände auf ihn wartete. Er legte sich auf die weiche Matratze, drehte den Härtegrad auf sein gewohntes Niveau hoch und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.

»Sprungvorgang eingeleitet.«

Mark schloss die Augen und unbewusst verkrampfte sich sein ganzer Oberkörper. Der Sprung dauerte weniger als eine Sekunde und im Inneren der kleinen Kabine spürte er nur ein leichtes Vibrieren. Zwanzig Lichtjahre innerhalb eines Wimpernschlags. Der Gedanke daran, dass sein Körper gerade diese Distanz zurückgelegt hatte, reichte aus, damit sein Mund trocken wurde und Schweiß auf seine Stirn trat. Er atmete tief durch und fragte sich, ob Jevoa sein Problem lösen konnte. Nein, sicher nicht.

Benommen setzte er sich auf die Kante seines Bettes und wischte den Schweiß mit der Decke ab. Er musste seine Sprungangst in den Griff bekommen. Ablenkung war ein Anfang.

»Computer, zeig mir bitte die Broschüre zum Aufenthalt im Gebiet der New-Age-Föderation, Verhaltenskodex, Ratschläge und so weiter.«

Die Aesculap verbrachte die nächste Stunde im Leerraum mit einer Standardanalyse der Systeme. In dieser Zeit wühlte er sich durch die umständliche Lektüre. Er fand keinen Eintrag über Jevoa oder das AVE. Besuchern wurde aber vom Verzehr oder der Verwendung unbekannter Substanzen, Lebens- und Genussmittel dringend abgeraten. Die übliche Standardküche der Föderation wurde als durchaus empfehlenswert beschrieben.

Allgemeine Verhaltensweisen und Rituale gab es scheinbar nicht, da diese von Planet zu Planet unterschiedlich ausfallen könnten. Den Auszug zur Gesetzgebung übersprang Mark. Er hatte nicht vor irgendwelche illegalen Aktivitäten durchzuführen und würde vermutlich kaum von Dr. Brunners Seite weichen.

Mit einem Seufzen wandte er sich vom Monitor ab und wartete auf die nächste Sprungansage. Dabei wanderten seine Gedanken zurück zu dem bezaubernden Lächeln und er grinste. Tja, diese Chance hatte er verpasst. Er hätte sich ohnehin nicht getraut. Schon auf der Akademie war er in puncto weibliche Bekanntschaften zu schüchtern gewesen. Er seufzte und mit einem letzten Gedanken an vergeudete Gelegenheiten fielen ihm die Augen zu.

»Sprungvorgang abgeschlossen«, ertönte wieder eine Ansage und Mark blinzelte. Er schreckte hoch. Hatte er den Sprung verschlafen?

»Computer, haben wir eben den zweiten Sprung durchgeführt?«

»Der vierte Sprung wurde eben absolviert.«

»Der vierte?«, Mark riss die Augen auf. »Zeige Standort.«

Der Monitor blendete eine Sternenkarte ein und zeigte die Aesculap mit einem kleinen blinkenden Symbol an.

»Lambda Custodia«, murmelte Mark, als er den Namen des nahen Sterns erkannte. Sie hatten das Ziel ihrer Reise erreicht.

Schlagartig waren die Magenkrämpfe vergessen. ›Der Doktor!‹ Er hatte ihn nicht geweckt! Und seine Lektüre der Missionsdaten hatte er ebenfalls nicht absolviert!

»Computer?«, fragte er hastig. »Weckprogramm für Dr. Brunner einleiten. Ich glaube, er bevorzugt Neo Jazz, oder war es was anderes? Egal! Ausführen!«, rief er und zog sich um. Für die Ankunft bei Lambda Custodia hatte er sich einen längeren Mantel und weiße Hosen zurechtgelegt.

»Dr. Brunner wurde bereits von mir geweckt«, ertönte Sallys Stimme. »Er hat angeordnet, dich schlafen zu lassen.«

Mark sah perplex in Richtung des Lautsprechers. »Er hat tatsächlich von mir gesprochen?« Es geschahen noch Wunder.

Nachdem er sich eingekleidet hatte, verließ er seine Schlafkabine und blieb prompt stehen, als er den Doktor im angrenzenden Raum vorfand. Er studierte eine Holografie des Sonnensystems.

»Hallo Dr. Brunner.«

Der Doktor brummte nur zur Antwort. Er hatte eine Hand an seinem Kinn und betrachtete Abbildungen und Datenreihen. Lambda Custodia war ein Stern der Klasse V und lag am Rande des erforschten Raumes der Föderation. Mark las in der eingeblendeten Beschreibung, dass die Kolonie in der letzten Kolonisationswelle in Besitz genommen worden war. Somit lag sie am Ende einer langen Reihe von Sprungtoren, die bei New Earth ihren Anfang nahm. New Earth war der Regierungssitz der Föderation, das hatte ihm die Reisebroschüre schon verraten.

Die Verwendung von Sprungtoren für Reisen zwischen den Systemen interessierte Mark. Fast alle Raumschiffe des Konsortiums verfügten über eigene Sprungantriebe. Ein Tornetzwerk war deshalb nicht notwendig. Vielleicht bekam er die Gelegenheit und konnte dazu während ihres Aufenthaltes mehr erfahren. Ein schriller Pfeifton riss ihn aus seinen Überlegungen.

»Dr. Bunner, ich erwarte Sie auf der Brücke«, durchdrang die Stimme des Captains die Kabine.

»Sofort!«, antwortete Dr. Brunner und blickte zu Mark hinüber. »Möchten Sie mich begleiten, oder brauchen Sie noch etwas Zeit?«

Marks Blick verdüsterte sich. Er suchte nach einem Unterton in der Stimme des Doktors, wurde aber nicht fündig. Da war nichts. Kein Sarkasmus, kein Vorwurf, keine Schadenfreude. Er schluckte seinen Ärger herunter.

»Klar möchte ich!«

Wenig später erreichten sie durch eine Sicherheitsschleuse die Brücke der Aesculap. Mark war vorher nie persönlich auf einer Raumschiffbrücke gewesen und blieb stehen, während Dr. Brunner unbeeindruckt weiterging.

Die Brücke besaß nur wenige Stationen für ein Schiff dieser Größe. Sie hatte Platz für maximal drei Offiziere und den Captain. Zwei der gut gepolsterten Sitze waren belegt, eine junge Offizierin mit blonden Haaren und ein kräftiger Mann saßen jeweils zu beiden Seiten des Eingangs. Sie trugen die schwarzblaue Uniform der Raummarine. Als sie eintraten, sahen sie nicht auf, und Mark beschleunigte seine Schritte, um zum Doktor aufzuschließen.

»Captain Njestjew, was gibt es?«, fragte Dr. Brunner den Captain, der an einem hohen Sessel lehnte und konzentriert auf die holografischen Anzeigen blickte.

»Wir haben unser Ziel erreicht, Dr. Brunner. Lambda Custodia.« Er machte eine Geste Richtung Anzeigen. »Mein Kommunikationsoffizier hat bereits Kontakt aufgenommen. Wir sollen auf Warteposition neben dem Sprungtor anhalten und abwarten, bis sie unser Anliegen geklärt haben.«

»Was gibt es da zu klären?«, fragte Dr. Brunner verärgert. »Man könnte meinen, ein so pedantisch aufgestellter Flugplan wäre Grund genug, unser Kommen vorzubereiten?«

Der Captain zuckte mit den Achseln. »Vermutlich haben sie ihre Befehle. Bürokratie …«

Dr. Brunner schnaubte und wandte sich zum Gehen.

»Geben Sie uns Bescheid, wenn wir fortfahren können, Captain.«

»Wie Sie wünschen.«

Mit großen Schritten verließ der Doktor die Brücke ebenso schnell, wie er sie betreten hatte. Mark ließ seine Augen sehnsüchtig durch den Raum schweifen. Gern wäre er länger geblieben. Als er dem Doktor folgen wollte, fing er den Blick der Offizierin auf. Sie zwinkerte und fokussierte sich dann wieder auf ihre Konsole.

»Lambert?«, rief der Doktor von der Tür und Mark eilte ihm hinterher.

Vanessa Li blieb mit ihrer geschulterten Reisetasche stehen und sah sich um. Vor den riesigen Übertragungstafeln versammelten sich überall Gruppen von Koloniebewohnern und erschwerten ihr das Vorankommen. In den vielen Gesichtern der Umstehenden las sie Faszination, Erschrecken und Neugierde über die Ankunft der Aesculap. Die Reise des Schiffes wurde von etlichen Nachrichtensendern übertragen und jetzt schon als das Jahrhundertereignis gefeiert. Zwei Sender hatten es sogar geschafft, das Raumschiff auf seiner streng geheimen Sprungroute zu erwischen. Sie seufzte und blickte zu der nächsten Tafel auf.

»Was Sie hier sehen, sind die Bilder der Aesculap, des Forschungsschiffes aus dem Konsortium auf dem Weg zur Kolonie Custodia II«, berichtete der Nachrichtensprecher.

Ein schlanker, silberner Körper flog durchs Bild.

»Kurz darauf wurden unsere Aufnahmen von den Behörden unterbrochen. Für die meisten von Ihnen ist es vermutlich das erste zivile Schiff des Deep-Space-Konsortiums, das Sie jemals zu Gesicht bekommen haben! Sprecher der Regierung wollten keinerlei Angaben dazu machen, wie viele Menschen an Bord des Schiffes sind, oder was sonst noch alles unter der eleganten, aber fremden Hülle auf die Bewohner von Custodia II wartet. Fakt ist, es ist gewaltiger als unsere Reporter vermutet haben.«

Überall ertönten vereinzelte ›Oh‹- und ›Ah‹-Rufe. Alle versuchten, einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Vanessa sah sich um. Nur die wenigsten Menschen waren so alt wie ihre Großeltern, die sie besuchen wollte. Großvater erzählte gerne Geschichten aus dem Krieg gegen das Konsortium, in dem er als Unteroffizier auf einem Kreuzer gedient und noch größere und gewaltigere Schiffe als die Aesculap gesehen hatte.

Bei der Landung und in der Wartezeit auf einen Shuttle zur Hauptstadt hatte sie bereits das Meiste der Übertragungen gesehen. Außerdem hatte die lange Reise sie ermüdet. Gerade wurde zum wiederholten Male die Ankunft des Raumschiffes gezeigt, das in einem Lichtblitz nahe am Sprungtor erschien, und nicht durch das Tor selbst in das Sonnensystem gelangte.

»Was für ein Ereignis!«, intonierte der Sprecher begeistert. »Das Schiff erreicht in dieser Sekunde Lambda Custodia! Vor wenigen Stunden an der Handelsstation gestartet und nun hier! Eine beeindruckende Demonstration der Technologie des Deep-Space-Konsortiums. Das unterstreicht die Vermutungen unserer Korrespondenten, dass dies nicht nur eine wissenschaftliche Mission, sondern auch eine politische Erinnerung an die Machtverhältnisse ist, die zwischen uns und denen des Konsortiums herrschen.«

Vanessa brummte ungehalten. Die Medien schlachteten das Ereignis wieder einmal aus. Zweifellos war sie beeindruckt, aber ihr gingen derzeit ganz andere Gedanken durch den Kopf. Ihre Großeltern waren die typischen Pioniere einer frisch besiedelten Welt. Ihr Großvater hatte für sein gesamtes Geld ein Stück Land erstanden und bestritt seinen Lebensunterhalt seitdem von der Landwirtschaft. Die kürzlich vorgestellten Richtlinien zur Terraformierung könnten seinen Traum von einem besseren Leben in einer neuen Kolonie zunichtemachen. Die Regierung wollte viele nicht abgeschlossenen Vorhaben einfrieren und um Jahrzehnte hinauszögern. Für einen Landbesitzer, der große Pläne mit seinem Grund und Boden hatte, konnte das den Ruin bedeuten. Kaum fruchtbare Landstriche konnten in wenigen Jahren bereits für wunderbare Erträge sorgen, wenn die Terraformierung weiter vorangetrieben wurde.

Von diesen Verordnungen sagte natürlich niemand etwas in den Nachrichten. Nicht jetzt, da dieses Schiff aufgetaucht war. ›Wie praktisch‹, dachte sie bitter, ›Eine gelungene Ablenkung der Medien.‹

Hinzu kam ihr angefangenes Studium der Terratechnik. Sie war die Jüngste in ihrem Jahrgang und galt als Wunderkind, auch wenn sie da anderer Meinung war. Was sollte wunderbar daran sein, wegen seines geringen Alters von niemandem respektiert zu werden? Klar, sie konnte mit den Professoren über hochkomplexe biologische Zusammenhänge reden, aber was brachte ihr das?

Sie drehte den Kopf in Richtung der großen Monitore, wischte sich mit einer Hand die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht und betrachtete die Aesculap. Viele Bürger waren schon zuvor der Meinung, dass die New-Age-Föderation an einem Wendepunkt in ihrer Geschichte angekommen wäre – und dann taucht ein Raumschiff des Deep-Space-Konsortiums bei einem so entlegenen Planeten auf. Was mochte das alles bedeuten?

Die Aesculap wartete eine ganze Weile tatenlos auf einer Parkposition. Dr. Brunner fluchte und schimpfte, wie es Mark noch nicht gehört hatte, bis er sich in seine Schlafkabine zurückzog und seinen Assistenten sich selbst überließ.

Mark hielt es für eine gute Gelegenheit, die verschlafene Zeit auszugleichen und holte sich seine Impfungen in der Krankenstation ab. Von dort aus besuchte er das Forschungsmodul, einem gekapselten Teil des Schiffes, welches abdocken und sogar als autarkes Raumschiff auf Planeten landen konnte.

»Willkommen im Forschungsmodul Mark«, begrüßte ihn Sallys Stimme freundlich.

»Hallo Sally! Wie geht’s?«

»Wie immer geht es mir hervorragend, danke der Nachfrage«, sagte sie. »Bei Dr. Brunner habe ich erhöhte Stresswerte feststellen können. Hat das mit der verweigerten Genehmigung zum Weiterflug zu tun?«

»Ja!«, antwortete Mark. »Unsere Aufenthaltsgenehmigung ist nicht von allzu langer Dauer, das könnte die gesamte Mission gefährden.«

»Ich verstehe. Was kann ich für dich tun?«

Inzwischen hatte Mark eine Analyseeinheit erreicht und ließ sich auf die Polsterung sinken.

»Gib mir noch einmal eine Zusammenfassung über Lambda Custodia. Ich möchte mich für die Mission vorbereiten.«

»Sehr gern.«

Eine holografische Darstellung des Sonnensystems wurde angezeigt.

»Lambda Custodia ist ein Stern der Klasse V, der von fünf Planeten umkreist wird. Davon sind zwei besiedelt und terraformiert. Auf einem wird Bergbau betrieben. Zwei vom Typ Gasriesen sind noch nicht erschlossen. Die besiedelten Planeten sind Custodia I und II. Unsere Mission wird die Aesculap nach Custodia II bringen.«

»Okay, gib mir eine Zusammenfassung von Custodia II.«

»Der in etwa 1,8 Erdmassen große Planet Custodia II wird seit 2683 terraformiert und befindet sich in Phase 1 der Besiedlung. Am Äquator befinden sich sowohl oberflächlich als auch unter Wasser große Agrarkulturen. Die Hauptstadt Tarawa hat eine aktuelle Population von 9.870 Einwohnern und dient hauptsächlich der Verarbeitung, Verpackung und dem Abtransport der erzeugten Lebensmittel. Soll ich fortfahren?«

Knapp zehntausend Kolonisten, wenn es hochkam, fünfzehntausend auf dem gesamten Planeten. Von seiner Heimat war er es gewohnt, dass planetare Hauptstädte Megadome mit Millionen oder mehr Einwohnern waren. Schon allein eines ihrer Scoutschiffe, die zur Kolonisierung neuer Systeme verwendet wurden, war darauf ausgelegt, eine Viertelmillion Menschen zu versorgen und unterzubringen. Über die Art und Weise der Kolonisierung, wie sie die Föderation betrieb, wusste er hingegen nichts. Dieser Planet wurde seit knapp fünfzig Jahren terraformiert und die Kolonie schien noch in den Kinderschuhen zu stecken.

»Überspringen wir die unwichtigen Fakten über die Zusammensetzung der Bevölkerung, Wirtschaftswachstum und Pro-Kopf-Einkommen«, sagte er. »Was kannst du mir über das Forschungsprojekt der Föderation erzählen?«

Zwar hatte Dr. Brunner ihm eine Zusammenfassung gegeben, aber es konnte nicht schaden andere Quellen zu befragen.

»Über das Forschungsprojekt kann ich derzeit nur öffentlich bekannte Informationen abrufen, Mark. Detailinformationen der Föderation sind klassifiziert. Du besitzt nicht die nötige Freigabestufe.«

»Ich besitze nicht die nötige Freigabe?«, hakte er nach. »Wie kann das sein? Ich bin Dr. Brunners Assistent, sollte ich da nicht über dieselben Zugänge verfügen wie er?«

»Es steht mir nicht zu, darüber zu urteilen.«

Mark schwieg und starrte auf den Bildschirm, auf dem sich immer noch eine Simulation von Custodia II drehte.

»Na schön!«, seufzte er. »Dann gib mir die zugänglichen Missionsdaten.«

Sally begann mit der Einleitung, die Mark kannte und bei seinem ersten Gespräch von Dr. Brunner gehört hatte. Im Grunde ließ sich alles darauf abkürzen, dass es auf dem Planeten Custodia II seit nunmehr etwa zehn Jahren zu Energieanomalien in der nördlichen Polregion kam. Da dies erst im Laufe der Terraformierung passierte, waren die Wissenschaftler und Geotechniker der Föderation in heller Aufregung. Der Bericht erwähnte, dass Stimmen laut wurden, die von fehlgeschlagener Terraformierung sprachen, von geologischen Prozessen, die erst durch die Umwandlung des Planeten in Gang gesetzt worden wären. Energieanomalien, geothermische Vorgänge, ja sogar Vulkanausbrüche und Erdbeben, so etwas war nicht selten, oft ein wünschenswerter Nebeneffekt. Meistens dämmten die Terratechniker diese Erscheinungen ein, ließen die Energien entweichen, bauten Thermalkraftwerke oder nutzten erloschene Vulkane als Zugang zu den mineralstoffreichen, unteren Schichten der Planetenoberfläche. Hier lag der Fall anders. Die Anomalien waren so sonderbar, dass die Föderation eine Forschungsstation errichtete. Der Stand der Technik versprach nach ersten Analysen nur geringen Erfolg. Jetzt kam das Konsortium ins Spiel.

Der Forschungsausschuss des Deep-Space-Aufsichtsrates wurde kontaktiert und setzte sich lange mit dem Thema auseinander, bevor er beschloss, den Kollegen in ihrer Not zu helfen die Anomalien zu untersuchen. Nach dem Motto: Forschung überwindet alle Grenzen.

Die Föderation sträubte sich ein wenig. Bei Lambda Custodia II handelte es sich zwar um einen Randplaneten, aber er lag fernab der Handelsstation, sodass Güter und Menschen des Konsortiums durch den Föderationsraum befördert werden mussten. So etwas hatte es noch nie gegeben. Die Regierungen einigten sich darauf, dass Deep-Space die nötigen Maschinen und das Personal zur Wartung dieser zur Verfügung stellen sollte, während die Föderation Wissenschaftler zum Planeten entsendete. Natürlich würde die Projekthoheit in den Händen der Föderation liegen.

So weit, so gut. Doch jetzt musste etwas passiert sein, was fachliche Hilfe des Konsortiums verlangte.

Mark merkte nicht, dass Sally ihre ausschweifenden Erläuterungen beendet hatte, bis die Stille erdrückend wurde.

»Sonst noch etwas?«, fragte er verlegen, ohne zu wissen, was sie zuletzt gesagt hatte.

»Es liegen noch die Ergebnisse der bisher veröffentlichten Daten vor, sowie eine Aufstellung des beteiligten Personals.«

»Zeige mir die Ergebnisse.«

Der Planet verschwand und eine Vielzahl an Datenreihen zusammen mit Versuchsstrecken und deren Resultaten wurden gezeigt.