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Schon seit Tagen war der Italiener Flavio Mantova unauffindbar. Was hat er in den Hamburger Dörfern Curslack und Neuengamme gesucht? Warum liegt seine Leiche plötzlich im Schilf? Anfangs getrieben von seiner Hausdame Erne wird Junghotelier Karl Kolberg, genannt Karlo, zum Aufklärer wider Willen. In der vermeintlichen Dorfidylle mit Gesangverein, Festumzügen, verschrobenen Sonderlingen und engstirnigen Amtsschimmeln tauchen immer neue Fragen auf, die Karlo jedoch nur höchst ungern mit dem emotionslos ermittelnden Kommissar Spannich bespricht. Wer beschmiert nachts sein Haus? Warum verhält sich Ernes Mann Hinrich so merkwürdig? Was hat der Restaurantbesitzer Franco Rossi zu verbergen? Wer ist der Herr mit dem schwarzen Smart? Und warum benimmt sich Karlo in Gegenwart der attraktiven Italienerin Gianna immer wie ein ausgemachter Idiot? Am Ende offenbart sich Karlo ein dunkles Familiengeheimnis aus vergangenen Zeiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Deich Mortale Silke Schopmeyer Roman
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sowie Übersetzungsrechte sind vorbehalten. Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Copyright © 2013 Silke Schopmeyer ♥ Schortzwerk
Süderquerweg 435
21037 Hamburg
Lektorat: Anja Schäfer
Cover: Ethylyn Stanzionewww.silkeschopmeyer.de
Zu diesem Buch:
Hamburg. Pulsierender Welthafen, elegante Villen an Elbe und Alster, Medienstandort, die sündige Meile auf St. Pauli. Kaum vorstellbar, dass schon seit vielen Jahrhunderten auch ein Landgebiet dazugehört. Die wunderschönen Vier- und Marschlanden mit ihren Deichen, Windmühlen, Dorfkirchen und endlosen Feldern versorgen Hamburg bis heute mit frischem Gemüse und Blumen. Vierländer Bauern zählten im achtzehnten Jahrhundert sogar zu den wohlhabendsten Landwirten Norddeutschlands. Auf der Landkarte mutet das Gebiet wie eine aufgeklappte Auster an, die viele Perlen bereithält. Dörfliche Traditionen, eine eigene Tracht, Kunsthandwerk werden mit Liebe zum Detail nach wie vor gepflegt. Über lange Jahre galten die - vor allem in den Wintermonaten - einsamen Deiche als literarisch unerschlossen. Das sollte sich mit dem ersten Band dieser Krimireihe ändern ... Ein unverhofftes Erbe hat den ehemaligen Hamburger Innenstadtbewohner Karl Kolberg in das Hamburger Dorf Curslack geführt. Der frischgebackene Single und Neubesitzer des Hotels Vierländer Hof ist ernsthaft bemüht, sich hier einzuleben. Sein Gesangverein Gaudi, alljährliche Festumzüge und auch die Fremdsprache Plattdeutsch gehören bald zu seinem Alltag. Als der Italiener Flavio Mantova im Vierländer Hof absteigt und kurz darauf verschwindet, gerät Karlo in einen Strudel von seltsamen Ereignissen, Verdächtigungen und illegalen Machenschaften. Was hat der verschwiegene Mantova in Curslack und Neuengamme gesucht? Anfangs getrieben von seiner resoluten Hausdame Erne wird Karlo zum Aufklärer wider Willen. In der vermeintlichen Dorfidylle tauchen immer neue Fragen auf, die der Hotelier jedoch nur höchst ungern mit dem emotionslos ermittelnden Kommissar Spannich bespricht. Wer beschmiert nachts sein Haus? Warum verhält sich Ernes Mann Hinrich so merkwürdig? Was hat der Restaurantbesitzer Franco Rossi zu verbergen? Wer ist der Herr mit dem schwarzen Smart? Und warum benimmt sich Karlo in Gegenwart der attraktiven Italienerin Gianna immer wie ein ausgemachter Idiot? Frauenliebling Pastor Christian Himmel, der verschrobene Nachbar Peter und Schulfreund Tobias stehen ihm bei seinen unverhofften Ermittlungen zur Seite. Schließlich stößt er auf ein Familiengeheimnis, das ihn mit einem der dunkelsten Kapitel der neueren deutschen Geschichte konfrontiert. Am Ende muss Karlo sogar um sein Leben fürchten.
“Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert,
ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“George Santayana
1 Im Schilf
2 Vor einer Woche im Zug - nel treno
3 Angekommen
4 Weg
5 Der Name - il nome
6 Gaudi
7 So viele Namen - tanti nomi
8 Absturz
9 Die Wahrheit - la verità
10 Verschwunden
11 Eingesperrt
12 Lange her
13 Gefunden
14 Spurensuche
15 Gegenwind
16 Geflohen
17 Die Mafia?
18 Alles Mist
19 Woanders
20 Neue Ufer
21 Herr Malzke
22 Getroffen
23 Verdächtigungen
24 In letzter Minute
25 Aufgeklärt
Epilog - Da capo
Feucht und glitschig fühlte sich der Rasen unter seinen Schuhen an. Hauslose Schnecken zogen auf den niedergetrampelten Grashalmen ihre Schleimspur. Mit müden Schritten schlurfte Karl Kolberg an dem rotgeklinkerten Gebäude vorbei. Die vorletzte Nacht steckte ihm noch in den Knochen. Froh über ein wenig Ablenkung hatte er diesem Treffen am frühen Dienstagmorgen zugestimmt. Wenigstens für ein paar Stunden konnte er sich so Ernes sorgenvollem Gesicht entziehen. Mehrere Computerausdrucke mit den Rennergebnissen einer vergangenen Ruderregatta hingen im Schaukasten. Entfernt vernahm er das Zuschlagen einer Autotür. Angestrengt blinzelte er in die Morgensonne, die das sanft grüne Gelände der Wassersportstätte in ein friedvolles Licht tauchte. Ein Blick auf den Steg zeigte ihm, dass der schmale gelbe Zweier bereits abgelegt hatte. Das rote Begleitmotorboot lag noch da.
„Morgen Karl.“ Nur wenige sprachen ihn noch so an. Bei allen anderen hieß er Karlo. „Na, konntest du dein Luxushotel so früh schon alleine lassen?“
„Das ist bei Erne in guten Händen!“
Mit einem gekonnten Satz sprang er zu seinem Vater ins Boot. Souverän warf Dieter Kolberg den Motor an, um kurz darauf abzulegen. Nachdem sie eine Holzbrücke unterquert hatten, folgte das Motorboot dem Doppelzweier, der ruhig durchs Wasser glitt. Bald waren die Männer auf gleicher Höhe angelangt.
„Hi Bine, alles klar?“, rief Karlo zum Boot herüber.
„Klaro Karlo!“, schrie seine jüngere Schwester zurück. „Jetzt zeigen wir dir mal, wie man richtig rudert!“
„Hallo Mandy!“, begrüßte er Sabines Partnerin, die nur kurz die Hand hob.
Mit tiefer sturmerprobter Stimme rief Trainer Dieter Kolberg seine Anweisungen in ein Megafon:
„So, meine Damen, wir haben viel vor. Die Qualifikation ruft. Die Konkurrenz schläft nicht. Jetzt zeigt mal, was ihr könnt!“
Kraftvoll glitt das Boot durch das Wasser, ohne dass die Heckspitze beim Einsetzen der Blätter ruckartig im Wasser abtauchte. Karlo war beeindruckt. Das war Rudern in höchster Vollendung. Sabine atmete bei jedem Schlag prustend aus. Mandy gab mit dem Durchzug ein lautes Stöhnen von sich. Ihre blonden Pferdeschwänze wippten im Takt. Nachdem sie die Ziellinie erreicht hatten, wurden die Mädchen vom Trainer angewiesen, sich vor der nächsten Einheit noch locker auszurudern. Sie manövrierten ihren Zweier unter einer Brücke hindurch und folgten dem Flusslauf.
Karlo saß auf der Bank im Boot und ließ die Morgenstimmung in dieser idyllischen Gegend auf sich wirken. Vielleicht sollte er seinen neuen Schwarm mit einer Bootsfahrt wieder besänftigen? Auf der einen Uferseite weidete eine Kuhherde auf sattem Grün. Dichtes Schilf umrahmte das stille Gewässer. Die einzigen Störgeräusche kamen vom Motor des Bootes und aus der rauen Kehle des Vaters, der die Ruderinnen in Abständen korrigierte.
„Ruhig rollen! Früher aufdrehen Mandy! Ja, so ist’s gut!“ Anerkennend drehte er sich zu seinem Sohn um. „Die haben echt was drauf, die Mädels.“
Karlos Vater hatte früher zu den Ruderern gezählt, die Frauenrennen als willkommene Pause zum Bierholen ansahen. Deshalb wollte er eigentlich auch nie das weibliche Geschlecht trainieren. „Rennen im Fraueneiner: Da sind sechs Teilnehmerinnen am Start. Sechs kommen ins Ziel. Alle heulen. Fünf weil sie verloren haben. Eine weil sie die Siegerin ist. Soll ich mir das antun?“ Die Erfolge seiner eigenen Tochter belehrten ihn bald eines Besseren.
„Die haben den richtigen Biss! So wie wir damals in unserem Achter in Luzern.“
Innerlich stellte sich Karlo schon auf eine der alten Erfolgsgeschichten seines Vaters ein. Mehr als dreißig Jahre her aber nach wie vor präsent. Sie waren schon echte Helden, die Männer des Ratzeburger Achters - nur ganz knapp geschlagen von den Russen. Während der Vater in Erinnerungen schwelgte, bemerkte sein Sohn, dass sich die Bugfrau einmal zu wenig umgesehen hatte und das Boot Kurs auf eine mit dichtem Schilf bewachsene Einbuchtung am Ufer nahm. Das brachte auch Dieter Kolberg wieder in die Gegenwart zurück.
„Mensch Mädel, du musst doch gucken, was hinter dir los ist! Wir sind hier nicht im Betonbecken!“ Der Trainer war ungehalten über jeden dummen Fehler.
Karlo sah den beiden dabei zu, wie sie versuchten, sich aus dem Schilf zu befreien. Da entdeckte er etwas Ungewöhnliches in dem Grün. War das nicht ein Seidenschal? Das rot-braune Muster kam ihm bekannt vor.
„Sabine, kommst du an den Schal da ran?“
Die Augen der Schwester folgten seinem ausgestreckten Arm. Vorsichtig versuchte sie, den Stoff mit dem Ruderblatt anzuheben. Plötzlich entfuhr ihr ein spitzer Schrei: „Oh, mein Gott!“
Karlo sah ihrem entsetzten Blick hinterher und erkannte schließlich die Umrisse eines menschlichen Körpers, der mit dem Gesicht nach unten an dem Stofffetzen hing. Bis auf unzählige Leichen im Fernsehen hatte er noch nie eine in natura gesehen. Entsetzt blickte er sich um. Und wenn da noch mehr im Wasser lagen? Einen kleinen Moment lang erinnerte er sich an einen Film, in dem Wassergeister die Insassen kleiner Fischerboote in die Tiefe gezogen hatten. Er wischte den Gedanken schnell weg und schaute auf die erstarrten Ruderinnen.
Die beiden zuvor noch rot geschwitzten Gesichter der Frauen hatten in kürzester Zeit eine blasse Färbung angenommen. Selbst Sabine war die Bräune aus dem Gesicht gewichen. Wie ein kleines Mädchen, das einen toten Vogel im Garten gefunden hatte, sah sie hilfesuchend ihren Vater an.
Der fand als erster die Fassung wieder und redete mit ruhiger aber bestimmter Stimme auf seine Schützlinge ein: „Meine Damen, wir rudern jetzt ganz in Ruhe zurück. Denkt nicht weiter über die Sache hier nach. Darum wird sich die Polizei kümmern.“
Wie vom Blitz getroffen griffen die Sportlerinnen wieder zu ihren Ruderblättern und fingen mechanisch an, sie zu bewegen. Ihre Augen waren noch immer stark geweitet vor Entsetzen.
„So was können wir jetzt überhaupt nicht gebrauchen. In zwei Wochen müssen wir durch die Qualifikation!“, presste Trainer Kolberg leise hervor.
„Schon klar, Papa.“
Zurück auf festem Boden eilte Karlo sofort zu seinem Auto, in dem er sein Handy liegengelassen hatte und verständigte die Polizei. Danach meldete er sich auch noch bei seiner Angestellten Erne im Hotel, um ihr mitzuteilen, dass es später werden könnte. Von der Leiche sagte er ihr noch nichts. Er musste erst mal seine Gedanken ordnen. Hatten Ernes Sorgen am Ende doch ihre Berechtigung?
Nach ungefähr einer halben Stunde fuhren zwei Polizeiautos sowie ein Kastenwagen mit Anhänger auf dem großen Parkplatz vor. Von dem Anhänger wurde ein großes Schlauchboot abgeladen und drei Männer in Trainingsanzügen liefen mit schnellen Schritten in Richtung Wasser. Nachdem sie sich noch kurz von Karlo die Fundstelle hatten beschreiben lassen, streiften sich zwei von ihnen Taucheranzüge über und setzten sich umgehend in das Boot. Sie fuhren jedoch nicht sofort los, sondern schienen auf etwas zu warten. Kurz darauf hielt ein dunkelblauer Audi mit getönten Scheiben auf dem Parkplatz. Ein Mann in Karlos Alter stieg aus. Mit staksigen Schritten, die an Storch oder Reiher erinnerten, eilte er zu seinen Kollegen. Äußerst unbeholfen stieg der Nachzügler ein und einer der Bootsinsassen ließ den Außenbordmotor an. Von der rasanten Anfahrt überrumpelt riss es den Audifahrer fast um.
Nach einer weiteren halben Stunde vernahmen Karlo und sein Vater erneut das Geräusch des Motors, und die Taucher legten wieder beim Regattazentrum an. Mit wackligen Beinen und einer beachtlichen Gesichtsblässe näherte sich der ungeübte Bootsfahrer Vater und Sohn, die auf einer hölzernen Picknickbank vor dem rotgeklinkerten Gebäude des Leistungszentrums saßen.
„Guten Tag die Herren, Spannich mein Name, Kommissar Spannich.“ Umständlich nahm er neben Karlo Platz. Mit einstudiert wirkenden Bewegungen zog er ein schwarzes Notizbuch aus der Manteltasche seines Trenchcoats, rückte sich mit zwei Fingern seine Nickelbrille zurecht und zückte einen silbernen Kugelschreiber. „Sie haben also eine leblose Person im Schilf aufgefunden. Darf ich fragen, was Sie auf dem Wasser zu tun hatten?“
Nachdem sich Karlo und sein Vater per Augenkontakt auf ihn als Berichterstatter geeinigt hatten, schilderte der Jüngere kurz, was vorgefallen war.
An einigen Stellen unterbrach der Kommissar seine Ausführungen mit knappen Fragen: „Ach ja?“ – „Im Schilf?“ – „Woher wissen Sie das?“ – „Gleich zurückgepaddelt?“
Im Verlauf des Gesprächs beschloss Karlo, dass ihm dieser Spannich unsympathisch war. Das mochte zum Teil an dessen akkurat gezogenem Seitenscheitel liegen, der die dünnen leicht fettigen Haare in zwei ungleiche Hälften teilte. Kein Mann Anfang dreißig trug freiwillig so eine Frisur! Am unangenehmsten jedoch war Karlo die penible Emotionslosigkeit des Polizisten. Natürlich hatte ein Kommissar ständig mit Leichen zu tun und konnte nicht immer echte Betroffenheit zeigen. Aber dieser Mensch hier war ihm eine Spur zu sachlich-forsch. So ein Verhalten degradierte jeden Toten zum gesichtslosen Objekt. Außerdem fühlte sich Karlo schon nach kürzester Zeit wie ein potenzieller Verdächtiger.
Mittlerweile hatten Spannichs Kollegen das Schlauchboot wieder aus dem Wasser gezogen. Auf einer nahegelegenen Holzbrücke stand ein Spaziergänger und beobachtete das Geschehen. Einer der Taucher näherte sich den drei Männern, um dem Kommissar etwas ins Ohr zu flüstern.
Dieser nickte nur und wandte sich mit bedeutsamer Miene an seine beiden Gesprächspartner: „Dürfte ich die Herren bitten, mir zu folgen?“ Umständlich zerrte er seine langen Beine eines nach dem anderen aus der Bank. Karlo und sein Vater taten es ihm gleich und trotteten dem wehenden Trenchcoat hinterher.
Da lag er im Gras. Auf dem Rücken. Neben ihm krochen ein paar hauslose Schnecken. Der Körper war etwas aufgedunsen, aber trotzdem konnte Karlo nicht nur an dem Schal erkennen, dass dies der verschwundene Flavio Mantova war.
Flach. Seit ein paar Stunden war dort draußen alles so flach. Eine einzige Ebene, die sich über unzählige Felder unterschiedlicher Größe und Farbe verteilte. Er mochte keine flache Landschaft. Bäume, Felder, Bäume, Felder, mal ein Dorf, selten eine Stadt. Viele Dörfer waren in die Ebene gebaut. Bei ihm zu Hause, da lebten die Menschen oben auf Hügeln und blickten ins Tal herunter. Zur besseren Verteidigung. Früher. Trotzdem sah die Umgebung in der hellen Maisonne hübsch aus, fast idyllisch, aber hätte er es sich so vorgestellt? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hätte er überhaupt keine grüne Landschaft zwischen den Städten erwartet. In seinen Gedanken hatte es hier nur Städte gegeben. Eine einzige graue Stadt mit unzähligen rauchenden Fabrikschornsteinen. So wie Mailand oder Turin. Ein riesen-großes Mailand oder Turin mit noch mehr Fabriken, noch mehr Grau, noch mehr Autos und noch mehr Beton.
Bis zu dieser unverhofften Reise hatte er nie besonders viel über dieses Land nachgedacht. Germania. Deutschland. An so vielen Orten war er gewesen – Frankreich, Spanien, auf einer Busreise in Prag und sogar einmal bei einem Cousin in Amerika - aber nie in Germania. Dieses Land und seine Menschen hatten ihn nie sonderlich interessiert. Das war vielleicht nicht ganz fair, weil i tedeschi, die Deutschen, die vor allem in den Sommermonaten seinen Laden aufsuchten, eher zu den angenehmeren Kunden gehörten. Auch wenn sie sich oft schlecht kleideten. Bevor sie den Mund aufmachten, konnte er ihre Nationalität bereits an den Schuhen ablesen. Nach seiner Erfahrung trug die überwiegende Mehrheit der tedeschi furchtbare Schuhe, wenn sie seinen Laden betraten. Man unterhielt sich dann vorwiegend auf Englisch. Manche der Kunden sprachen sogar ganz passabel italienisch. Bis auf oberflächliches Wettergeplänkel ließ er die Gespräche jedoch nie über das Geschäftliche hinausgehen. Schließlich waren es stranieri. Nein. Nach Germania musste er nie. Warum auch? Vor vielen Jahren waren einige seiner Nachbarn, Verwandte, Freunde in dieses Land ausgewandert, um dort zu arbeiten. Bei Heimatbesuchen erzählten die emmigrati dann beeindruckt von den breiten Straßen und den großen Autos. Voller Stolz sprachen sie von riesigen Fabriken. Leiser beschrieben sie die harte Arbeit darin. Nur mit halbem Ohr hatte er damals den Geschichten aus der Ferne gelauscht. Er hatte in dem kleinen Schuhgeschäft im Zentrum von Perugia als Verkäufer angefangen. Sein bescheidenes Gehalt reichte immer gerade für die Bedürfnisse seiner Frau Paola und der beiden Töchter Anna-Rita und Roberta. Zumindest konnten sie in Italien bleiben.
Die Mamma hatte nie über Germania gesprochen. Dieses Land dort oben jenseits der Alpen existierte einfach nicht in ihrem Wortschatz. Bis zu dem einen Morgen. Ihrem letzten Tag. Bald darauf fuhr ihr einziger Sohn das erste Mal durch Deutschland. Beklommene Neugier hatte sich in ihm breitgemacht. Die letzten Neuigkeiten hatten alles verändert. Er war noch immer so verwirrt. Alles schien sich seitdem um ihn zu drehen. Wie hatte er nur diese vielen Jahre in Ungewissheit leben können? So viele Jahre! Warum hatte sie ihm nicht früher davon erzählt? Oder für immer geschwiegen?
„In Hannover noch jemand zugestiegen?“
Sein schmächtiger Körper zuckte zusammen. Diese Sprache. Sie klang für ihn stets wie ein Befehl. Sie war hart und es fehlten ihr die Vokale. Bereits seit der italienisch-österreichischen Grenze nahm er eine innerliche Habachtstellung ein. Jetzt bloß keinen Fehler machen!
„Ihre habe ich schon gesehen, danke der Herr.“ Freundlich lächelte die uniformierte blonde Zugbegleiterin ihn an. Freundlichkeit. Lächeln. Niemals hätte er damit gerechnet. Ausgerechnet hier. Dafür konnte doch keine Zeit sein in diesem Land. Unsicher lächelte er zurück und steckte seine Fahrkarte wieder in die Innentasche seines perfekt sitzenden braunen Jacketts. Danach rückte er seinen Seidenschal mit dem eleganten braun-roten Paisley-Muster zurecht. Ein Geschenk von Paola zu seinem sechzigsten Geburtstag. Gedankenverloren sah er wieder aus dem Fenster auf die vorbeirauschende Landschaft. Bald würde er sein Ziel erreicht haben.
„Deutschland! Das ist Deutschland, wie es leibt und lebt. Deutschland den Bürokraten. Deutschland den Amtsstuten! Deutschland den ohne Geschmack gekleideten und schlecht frisierten Sachbearbeiterinnen! Ich wandere aus! Ich gehe überall hin, nur damit ich das hier nicht mehr ertragen muss!“ Wutschnaubend eilte Karlo direkt auf die Einfahrt seines Nachbarn Peter zu, der dort mal wieder an einem seiner Motorräder herumschraubte.
„Was’n los?“, fragte Peter irritiert nach.
Voller Wucht schoss Karlo eine leere Ölflasche in die gegenüberliegende Hecke. Dabei besprenkelte er sowohl Jeans als auch seine braunen Segelschuhe mit dem letzten Rest Öl aus dem nicht ganz zugeschraubten Behälter.
„Ach, Scheiße! Echt ’n Supertag heute!“, stieß Karlo hervor, während er ärgerlich an sich herunterblickte. „Diese inkompetente Erd-Fels. Die hat mich gefressen. Von Anfang an macht die Frau mir Schwierigkeiten.“
Gelassen wischte sich der Mechaniker an einem karierten Tuch die Hände ab und reichte es herüber. „Warst beim Amt?“
„Stimmt genau!“ Mit hektischen Bewegungen versuchte Karlo, die Ölspritzer von seinen Schuhen zu wischen. „Mensch, Peter, jetzt, wo du es sagst ... ich war ja beim Amt und nicht im Kasperletheater der Willkür.“ Er stellte die Säuberungsversuche bald ein und reichte Peter das ölige Tuch zurück.
„Die kannst du echt voll vergessen! Die Typen da beim Amt. Letzte Woche wollte der Baurat mein Motorrad auch nicht durchlassen.“
„Weil du aber auch keine Schraube an ihrem angestammten Platz gelassen hast! Kein Wunder!“, bemerkte Karlo mit nach wie vor verärgerter Miene.
„Fährt sich aber echt zehn mal geiler so. Lässt sich auch besser verticken.“
„Das mag ja sein, aber die werden schon ihre Gründe gehabt haben. Verkehrssicherheit und so.“ Karlo wollte lieber das Thema wechseln. Er hatte im Moment keine rechte Lust, sich einen weiteren nicht enden wollenden Motoren- und Geschwindigkeitsvortrag seines Nachbarn anzuhören. Peter Timmke bestritt einen Großteil seines sehr bescheidenen Lebensunterhalts mit dem Verkauf von wiederhergerichteten ehemals schrottreifen Motorrädern. „Na egal“, setzte Karlo wieder an. „Auf alle Fälle kann ich noch mal mindestens vier Wochen auf die Genehmigung für den Ausbau der oberen Zimmer warten, wenn sie überhaupt noch kommt.“
„Und was is mit deinen Restaurantplänen? Und der Terrasse?“, fragte Peter, während er sich einige ölverschmierte Haare aus dem ebenfalls öligen Gesicht wischte.
„Da muss noch irgend so ein anderes Amt mitreden. Auf den Bescheid warten die noch. Vielleicht kann ich ja pünktlich zu Weihnachten die Terrasse in Betrieb nehmen. Mit Glühwein und Pfeffernüssen!“
Nach einem Moment des Schweigens, in dem Peter ehrlich versuchte verständnisvoll dreinzuschauen, durchbrach er wie nach einem unverhofften Geistesblitz plötzlich die Stille: „Da war übrigens vorhin einer hier, wollte wohl ’n Zimmer oder so. Hab ich nicht verstanden, war ’n Ausländer. Der hat aber auch kaum den Mund aufgemacht.“
„Und was hast du ihm gesagt?“
„Dass er später noch mal wiederkommen soll. Läita, läita.“
„OK. War sonst noch was? Anrufe, Beschwerden, Gewinnbenachrichtigungen ...?“
„Nö. Nur mal wieder so ’ne Firma, die mit der Hausdame sprechen wollte, wegen Putzmittel. Hab ich abgewimmelt. Kannst dich auf mich verlassen.“ Mit einem souveränen Grinsen reichte er Karlo ein schnurloses Telefon über das Motorrad hinweg.
Etwas zähneknirschend nahm dieser den Apparat entgegen. „Is O.k. Aber das nächste Mal kannst du vielleicht doch besser mal die Nummer aufschreiben. Vielleicht will Erne so ein Wundermittel ja mal ausprobieren.“ Er machte Anstalten zu gehen und schwenkte kurz das Telefon. „Danke noch mal!“
„Geht klar, Mann. Bin ja hier.“ Peter winkte seinem Nachbarn noch kurz zu und begab sich wieder in die Hocke.
*
Mit energischen Schritten ging Karlo um die kleine reetgedeckte Zwei-Raum-Kate herum, in der Peter für wenige Euros im Monat wohnte. Sie befand sich an der Seite eines langgezogenen ebenfalls mit Reet gedeckten alten Bauernhauses. Der Vierländer Hof. Vor zwei Jahren hatte er dieses Haus samt Kate von seiner verstorbenen Tante Elfi geerbt. Elfi hatte vor vielen Jahren Onkel Albert aus Curslack geheiratet. Curslack zählt zu den Vier- und Marschlanden, die erstaunlicherweise auf Hamburger Stadtgebiet im Südosten liegen. Seit mehreren Jahrhunderten gilt dieser Landstrich als der Blumen- und Gemüsegarten Hamburgs. Zu dem Zeitpunkt der Erbschaft war der Vierländer Hof kein Hotel gewesen, sondern war verpachtet an einen ziemlich runtergewirtschafteten Supermarkt. Der Pächter wollte den Vertrag nicht verlängern. Dieses unverhoffte Geschenk bot für Karlo die langersehnte Chance zur grundlegenden Veränderung. Seit dem – mangels realistischer Alternativen - abgeschlossenen BWL-Studium hatte sich sein Leben in der Hamburger Innenstadt abgespielt, wo er mit seiner damaligen Freundin Sophie lebte und äußerst lustlos bei einer Unternehmensberatung arbeitete.
„Hiermit verfüge ich, dass mein Neffe Karl Kolberg mein Haus in Curslack erhalten soll.“ Im ersten Augenblick hatten ihn diese Worte komplett vor den Kopf gestoßen. Was sollte er mit einem Haus, in dem bestimmt drei bis vier Reihenhäuser Platz gehabt hätten, nur anfangen? Beim Stöbern auf dem Dachboden des alten Gebäudes war Karlo schließlich auf eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie gestoßen. Eine Familie im Sonntagsstaat stand steif vor der Eingangstür und lächelte verhalten in die Kamera. Über ihnen prangten die Buchstaben „Hotel Vierländer Hof“. Als er das sah, wusste Karlo endlich, was er tun wollte. Ein Hotel! Sein Hotel. Ein kleines Hotel auf dem Lande. Gemütlich, familiär, mit erschwinglichen Preisen. Er war von seiner Idee schlichtweg begeistert.
Sophie fand die Aussicht, aufs Land zu ziehen, um dort ein Hotel zu betreiben, nicht besonders verlockend. Außerdem hatte sie bereits andere Pläne. „Ich wollte es dir ja schon früher sagen, aber da ist diese Agentur in Düsseldorf.“
Karlo konnte sich noch gut an die anschließende Szene erinnern, zu der er sich hinreißen ließ. Irgendwann hatte er wutentbrannt das Haus verlassen, um seinen verletzten Stolz und die ungewisse Zukunft bei viel Bier zu vergessen. Nach einer Weile des Nachdenkens musste er sich jedoch eingestehen, dass ihre Beziehung schon seit längerer Zeit auf so eine Entwicklung zugesteuert war. Auch der rituelle samstägliche Austausch von Zärtlichkeiten konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der Leidenschaft der ersten Wochen nicht mehr viel übrig geblieben war.
Nach diesem Schicksalsschlag setzte er seine ganzen Hoffnungen auf die amtliche Genehmigung seiner Pläne. Das größte Problem bestand zunächst darin, das Wirtschafts- und Ordnungsamt der Vier- und Marschlande davon zu überzeugen, in Curslack so etwas Exotisches wie ein Hotel zu genehmigen. Es gab zwar einige Gaststätten mit jeweils zwei bis drei Fremdenzimmern, aber eben kein Hotel. Und die Glanzzeiten des Vierländer Hofs waren lange vorbei. Ihm ging es um die Genehmigung von zwanzig Zimmern, die er laut einem befreundeten Architekten problemlos in seinem großzügigen Gebäude unterbringen konnte. Auf Karlos berechtigte Frage, wo denn die Leute übernachten sollten, die hier im Landgebiet beruflich zu tun hätten, also Vertreter für Blumenzwiebeln, Monteure oder auch Gewächshausbauer antwortete ihm seine mürrische rothaarige Sachbearbeiterin Frau Erd-Fels, dass diese ja wohl ins benachbarte Bergedorf oder gar in Richtung Hamburger Innenstadt fahren könnten. „Mein Chef, der Herr Prinzling, sagt, dass wir uns da ganz genau an die Vorschriften halten müssen. Schließlich sind wir hier nicht im afrikanischen Busch, wo jeder machen kann, was er will!“
Das Warten hatte bald ein Ende. Nach langen Monaten des Bangens, in denen er bereits voller Optimismus und mit Hilfe eines großzügigen Bankkredits die Umbauarbeiten begonnen hatte, erhielt er endlich die langersehnte Konzession zur gewerblichen Zimmervermietung mit Frühstücksservice. Für zunächst zehn Zimmer. Eine Erweiterung der Konzession werde noch geprüft.
„Na also, das reicht ja erst mal für den Anfang“, konnte Karlo sich bei seinem vorläufig letzten Termin im Amt nicht verkneifen.
Zähneknirschend setzte Frau Erd-Fels ihren Stempel unter das Schriftstück und reichte es ihm mit spitzen Fingern. „Auch wenn wir von Amts wegen unsere Erlaubnis geben. Der Herr Prinzling sieht das Ganze ja völlig anders, globaler eben. Wir wollen unsere schönen Vier- und Marschlanden doch nicht zu einem Vergnügungspark verkommen lassen!“
Karlo war fassungslos. „Mein liebe Frau Erd-Fels, habe ich bei Ihnen ein Riesenrad oder ein Hotel beantragt?“
„Ja, aber die vielen Fremden, die dann hier herkommen! Haben Sie da noch nie drüber nachgedacht? Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Sagt Herr Prinzling.“
„Dann richten Sie Ihrem guten Herrn Prinzling aus, dass sich die Zeiten durchaus ändern können. Auch auf unserem Globus. Auch in den schönen Vier- und Marschlanden. Außerdem können sogenannte Fremde immer eine Bereicherung sein. Und gegen ein bisschen Reichtum haben bestimmt weder die Vierländer noch die Marschländer etwas auszusetzen. Soweit ich als Fremder das beurteilen kann!“
Auch wenn Hans alle Vögel, die den Hof anflogen, gern beobachtete, waren ihm die kleinen braunen Spatzen am liebsten. Ohne groß aufzufallen, lebten sie ihr kleines Leben. Ausgelassen turnten sie auf den Ästen und Sträuchern im Bauerngarten vor dem Haus herum. Oder sie hüpften in kleinen Sätzen über den lehmigen Boden. Den Nestbau erledigten die Spatzen genauso fröhlich zwitschernd wie die Nahrungssuche. Wenn sie dazu keine Lust mehr hatten oder alles erledigt war, flogen sie geschwind davon. Lange sah er ihnen von seiner Bank aus hinterher. Ob sie weit wegflogen? Wie es dort wohl sein mochte?
Er selbst war über die Stadtgrenze nie hinaus gekommen. Immer musste er arbeiten. So viel arbeiten. Ohne Arbeit kein Essen. Schon als kleiner Junge hatte er schwere Säcke mit Saatgut, Erde, Dünger oder anderem Material geschleppt. Und er war doch so ein schmächtiges Kind gewesen. Viel schmächtiger als die anderen. Als es hier noch Vieh gab, mussten ständig die Ställe ausgemistet werden. Von ihm. Wenn er nicht mehr konnte, wurde er ausgelacht oder geschlagen. Oder beides zugleich. Vom Vater oder von seinen Brüdern. Manchmal auch von den großen Jungs in der Schule. Er war nicht wie sie. Er war anders. Keiner half ihm. Die Lehrerin nicht und seine Brüder schon gar nicht. Er ging nicht lange zur Schule. Man brauchte ihn ja auf dem Hof. Mit den Jahren wurde sein Gang immer krummer. Sein Rücken erinnerte jeden Tag mehr an einen Bogen. Oder an einen Affen. Wie gerne wäre er ein Vogel, der jederzeit wegfliegen konnte. Wann und wohin er wollte. Einfach davon und keiner würde ihn suchen. Würde man ihn vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr da wäre? Mutti wahrscheinlich. Aber wer sonst? Er würde keinem fehlen. Hans wäre einfach weg.
Zaghaft öffnete er die elegant geschwungene weiße Eingangspforte, die ihm nur bis zum Bauch reichte, und ging langsam hindurch. Leise quietschend fiel sie wieder in ihr Schloss. Noch unentschlossen blieb er stehen und sah sich um. Mit kleinen Schritten folgte er dem sorgfältig geharkten Weg. Es roch nach frischem Weihrauch und Sommerblumen. Ein paar Vögel zwitscherten in der frischen Frühlingsluft.
Nach der Betrachtung mehrerer Grabmäler begann er sich zu fragen, weshalb es hier keine Fotos auf den Steinen gab. So konnte sich niemand ein Bild von dem Toten machen. Ein gesichtsloser Name hatte doch nur für den Angehörigen eine Bedeutung. Einige der für ihn teilweise unaussprechlichen Namen wiederholten sich. Auch die Blumen auf den Gräbern ähnelten sich sehr. So viele Blumen, aber sie gefielen ihm nicht. Unzählige Nadelbüsche, die teilweise die Sicht auf die Namen versperrten. Und deswegen war er doch hier. Wegen der Namen. Seines Namens. Würde er ihn hier finden? Langsam setzte er den Weg fort. Wie ein Metalldetektor suchten seine wachen Augen jeden Zentimeter der Umgebung ab.
Da! Auf dem Boden! Wie aus dem Nichts war ein kleiner Stein vor ihm aufgetaucht. Grau und unscheinbar lag er auf der Erde. Inmitten von wild wucherndem Unkraut. Während er sich hinabbeugte, setzte sein Herzschlag für einen kurzen Augenblick aus.
Toni Zaduri 19.5.91 – 21.5.91.
Nur zwei Tage. Ein kurzes Leben. Verstohlen bekreuzigte er sich. Bis auf die vertraut klingende Buchstabenkombination hatte dieser Fund nichts mit seiner Suche zu tun.
Für einen Moment legte er eine Pause ein und ließ sich auf einer nahegelegenen Bank nieder. Sein Blick blieb an ein paar Schnecken hängen. Ohne Haus sahen sie aus wie kleine Schlangen. Oder wie Exkremente von Tieren. Einige von ihnen machten sich über bereits zertretene Artgenossen her. Andere waren auf dem Weg zu frischem Grün. Ach, wie hatte die Mamma die Schnecken immer gehasst! Für sie waren diese Kreaturen sogar Vorboten für drohendes Unheil, weshalb sie sich bei ihrem Anblick oft bekreuzigte. Hinter der Bank lärmten Kinder in einem großen Garten. Er drehte sich um und sah ihnen beim Spielen zu.
„Geburt und Tod, eng miteinander verknüpft.“ Unbemerkt hatte sich ein Mann in schwarzer Anzughose und dünnem schwarzen Pullover der Bank genähert. Er war sehr groß. Paola hätte ihn bestimmt attraktiv gefunden. Ein gewinnendes Lächeln lag auf seinen Lippen.
„Sprechen Sie deutsch?“
Der fremde Friedhofsbesucher sah ihn irritiert an.
„Do you speak English?“
Schüchternes Nicken.
„Christian Himmel. Ich bin der Pastor dieser wunderschönen Kirche“, stellte er sich auf Englisch vor. Dabei machte er zunächst eine ausladende Armbewegung in Richtung des Kirchgebäudes und hielt ihm anschließend seine Hand hin.
Zaghaft erhob sich der kleine Mann langsam von der Bank und ergriff die ihm dargebotene Hand. Dabei lächelte er schweigend.
„Kann ich Ihnen behilflich sein? Suchen Sie etwas Bestimmtes?