Delta Force - Blicke nicht zurück - Shannon K. Butcher - E-Book
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Delta Force - Blicke nicht zurück E-Book

Shannon K. Butcher

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Beschreibung

Eine Frau in größter Gefahr - ein Mann, der um ihr Leben und ihre Liebe kämpft.

Als die Kryptologin Noelle Blanche vom Militär gebeten wird, an einer Geheimoperation mitzuarbeiten, lehnt sie zunächst ab. Doch dann brechen maskierte Männer mit Waffen in ihre Wohnung ein und bedrohen sie. Noelle hat keine andere Wahl, als dem attraktiven Agenten zu vertrauen, den das Militär zu ihrem Schutz entsandt hat. David Wolfe hat mit den Angreifern noch eine Rechnung offen, hat diese Terrorgruppe doch einst seine Frau auf brutale Weise ermordet. Schon bald stellt er jedoch fest, dass er tiefere Gefühle für die hübsche Noelle hegt. Kann er sie beschützen und verhindern, dass sich die Vergangenheit wiederholt?

"Nichts für schwache Gemüter und doch ein wunderbar romantisches Buch! Shannon Butcher ist eine äußerst vielversprechende neue Autorin - eine echte Entdeckung!" Romantic Times

Die Delta-Force-Trilogie von Shannon K. Butcher - Spannung pur!

Band 1: Blicke nicht zurück
Band 2: Die Last der Schuld
Band 3: Es gibt kein Entkommen

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.




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Seitenzahl: 462

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

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Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

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Aus der Feder von Shannon K. Butcher

Danksagung

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Mein auf ewig

Die Delta-Force-Trilogie:

Blicke nicht zurück

Die Last der Schuld

Es gibt kein Entkommen

Über dieses Buch

Eine Frau in größter Gefahr – ein Mann, der um ihr Leben und ihre Liebe kämpft.

Als die Kryptologin Noelle Blanche vom Militär gebeten wird, an einer Geheimoperation mitzuarbeiten, lehnt sie zunächst ab. Doch dann brechen maskierte Männer mit Waffen in ihre Wohnung ein und bedrohen sie. Noelle hat keine andere Wahl, als dem attraktiven Agenten zu vertrauen, den das Militär zu ihrem Schutz entsandt hat. David Wolfe hat mit den Angreifern noch eine Rechnung offen, hat diese Terrorgruppe doch einst seine Frau auf brutale Weise ermordet. Schon bald stellt er jedoch fest, dass er tiefere Gefühle für die hübsche Noelle hegt. Kann er sie beschützen und verhindern, dass sich die Vergangenheit wiederholt?

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Shannon K. Butcher absolvierte eine Ausbildung als Wirtschaftsingenieurin. Bei der Zusammenarbeit mit ihrem Mann Jim Butcher entdeckte sie ihr eigenes Talent als Autorin. Seither schreibt sie mit großem Erfolg Liebesromane.

SHANNON K. BUTCHER

DELTA FORCE

Blicke nicht zurück

Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Hackländer

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2007 by Shannon K. Butcher

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »No Regrets«

Originalverlag: Forever, Hachette Book Group USA, New York. Forever is an imprint of Grand Central Publishing.

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2011/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Birgit Sarrafian

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven von © MRBIG_PHOTOGRAPHY/iStock/Getty Images Plus; Avesun/iStock/Getty Images Plus; Ensup/iStock/Getty Images Plus

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-2039-7

be-heartbeat.de

lesejury.de

Für Jim Butcher, meinen extrem begabten Ehemann, der mir trotz des scheinbar hoffnungslosen Unterfangens erfolgreich beigebracht hat zu schreiben. Ich danke dir für deine unermüdliche Geduld und deinen unerschütterlichen Glauben. Ohne dich hätte ich das nie geschafft. Du bist meine Inspiration.

1

Auf dem Parkplatz eines kleinstädtischen Supermarkts in den Rocky Mountains wurde David Wolfe von seiner Vergangenheit eingeholt. Die Sonne schien an jenem späten Novembertag wärmend auf sein dunkles Haar, aber sie befreite ihn nicht von der eisigen Vorahnung, die sich mit jedem Schritt tiefer in seine Knochen fraß, als er auf seinen ehemaligen befehlshabenden Offizier zuging.

Colonel George Monroe hatte sich entspannt gegen Davids Jeep gelehnt und versperrte ihm den Fluchtweg.

»Was wollen Sie hier, Sir?«, fragte David in einem scharfen Tonfall, der sein Missfallen deutlich zum Ausdruck brachte.

Colonel Monroe durchbohrte David mit einem Blick, der jeden weniger selbstbewussten Mann hätte erbleichen lassen. Monroes schwarzes Haar war durchzogen von stahlgrauen Strähnen, die das Alter mit sich brachte, und er hatte die emotionslosen Augen eines Mannes, der in seinem Leben zu viel Leid gesehen hat. Doch in seinem weißen Polohemd und der kakifarbenen Hose wirkte er eher wie ein pensionierter Golfer denn wie ein Befehlshaber der geheimsten Eliteeinheit der Welt.

»Sie sind nicht leicht zu finden, Wolfe«, sagte Monroe.

»Ich wollte auch nicht gefunden werden, Sir«, erwiderte David. »Ich bin überrascht, dass Sie es überhaupt bis hierher geschafft haben.«

»Wir haben das Geld zurückverfolgt, das Sie Ihrer Schwester für die Operation ihres Sohnes überwiesen haben.«

David stieß einen derben Fluch aus. Er hatte den Betrag Hunderte Meilen entfernt angewiesen, und das unter dem Pseudonym eines Pseudonyms eines Mannes, der nicht einmal existierte. Monroe hätte ihn niemals finden dürfen.

Es sei denn, ihm war außergewöhnlich viel daran gelegen.

Ein unheilvolles Gefühl kroch David eiskalt über den Rücken. Was auch immer Monroe von ihm wollte, es konnte nichts Gutes bedeuten. Wichtige Befehlshaber des Militärs lauerten einem nicht auf einem Supermarktparkplatz auf, nur um über alte Zeiten zu plaudern.

»Was wollen Sie?«, fragte David.

»Wir brauchen Sie, Wolfe. Es gibt da eine … Angelegenheit.«

»Ihre Angelegenheit interessiert mich nicht«, erwiderte David, gefolgt von einem verzögerten »Sir«.

Monroes Lippen zuckten amüsiert. »Wie ich sehe, haben Sie den Respekt vor Ihren Vorgesetzten noch nicht verloren.«

»Nein, aber ich werde gleich die Geduld verlieren, deshalb sollten Sie sich jetzt besser von meinem Jeep entfernen und sich für Ihre Angelegenheit jemand anders suchen. Ich habe die Delta Force vor zwei Jahren verlassen, schon vergessen?«

Monroe rührte sich nicht von der Stelle. David kam allmählich zu dem Schluss, dass er Monroe wohl beweisen musste, was er in all den Jahren unter seinem Kommando gelernt hatte, nämlich mit den Waffen zu kämpfen, die einem gerade zur Verfügung standen. Und wenn einem nichts zur Verfügung stand, kämpfte man notfalls mit nichts. Davids Muskeln spannten sich, und er taxierte Monroe, um ihn möglichst schnell und effizient zu überwältigen.

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Wolfe«, sagte Monroe, als hätte er Davids brutale Gedanken gelesen. »Ich bin nicht so dumm zu glauben, ich wäre Ihnen in einem fairen Zweikampf gewachsen, daher habe ich mir Verstärkung mitgebracht. Etwa hundert Meter hinter Ihnen im Gebüsch lauert ein Scharfschütze. Er ist nicht so gut wie Grant, aber er ist gut genug.« Ein kurzes bedrohliches Grinsen flackerte über Monroes Gesicht.

David erstarrte, als er die Bedrohung einer tödlichen Waffe in seinem Nacken spürte. Wenn er Monroe auch nur anrührte, wäre es das Letzte, was er in seinem Leben tun würde.

»Sie sind ein elender Bastard, Sir«, sagte David.

»Das sagt meine Frau auch immer, aber sie kennt mich längst nicht so gut wie Sie.« Monroe gab dem Scharfschützen ein Zeichen abzuwarten – in Alarmbereitschaft zu verharren. »Ich brauche Sie für diesen Einsatz, und ich akzeptiere kein Nein.«

»Das werden Sie wohl müssen. Ich bin Ihnen nichts schuldig. Ich habe mit allem reinen Tisch gemacht. Grant und Caleb sind die Einzigen, denen ich einen Gefallen schulde, und sie sind nicht diejenigen, die mich hier um etwas bitten.« Er musste einen Anflug von Schuldgefühlen unterdrücken, als er die Namen seiner besten Freunde nannte – Männer, denen er unzählige Male das Leben verdankte. Männer, denen er vor zwei Jahren den Rücken gekehrt hatte, sodass sie ihren Kampf für die Freiheit fortan ohne ihn führen mussten.

Monroe legte den Kopf schräg und blickte David tief in die Augen. Er war einer der wenigen Männer, die ihn unbeirrt ansehen konnten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Sie irren sich. Sie sind mir etwas schuldig.«

Der unerwartet sanfte Tonfall in Monroes Stimme beunruhigte ihn. Männer wie Monroe waren nicht sanft – nicht gegenüber ihren Frauen und Kindern und erst recht nicht gegenüber Männern wie David, die sie an die grauenvollsten Orte der Welt schickten, um dort die niederträchtigsten Menschen zu töten, die diese Erde je gesehen hatte.

»Was zum Teufel reden Sie da?«, fragte David.

»Ich war derjenige, der dem Rest der Truppe bei Ihrem letzten Einsatz befohlen hat, sich zurückzuziehen.«

Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, als er an den gescheiterten Einsatz dachte und daran, wie viel er dabei verloren hatte. Sein Körper zitterte, und die Einkäufe knirschten in seinen verkrampften Händen. Er schloss die Augen und stellte sich gezwungenermaßen dem Schrecken seiner zwei Jahre alten Erinnerungen, die ihm noch immer schmerzlich frisch erschienen.

»Sie haben diesen Befehl erteilt?« Der plötzliche Mangel an Luft in seinen Lungen ließ seine Worte wie ein heiseres Flüstern klingen.

»Das habe ich«, erwiderte Monroe. »Und ich würde es wieder tun.«

Hätte Monroe ihm diesen kleinen Racheakt nicht ermöglicht, so wäre er ohne Frage durchgedreht. Die Schuldgefühle hätten ihn bei lebendigem Leib zerfressen.

»Hat man Sie dafür zur Rechenschaft gezogen?«, fragte David.

Monroe wandte den Blick ab. Seine grauen Augen glitten unruhig hinüber zu dem Wald, wo der Scharfschütze in Davids Rücken lediglich auf ein Zeichen wartete, ihn zu töten. »Das ist jetzt unwichtig. Wichtig ist nur, dass ich Ihre Hilfe benötige. Ich hatte nie vor, Ihnen diesen Gefallen abzuverlangen, aber mir bleibt keine andere Wahl. Sie müssen für diese Operation zurückkehren. Es stehen Menschenleben auf dem Spiel.«

Finstere, qualvolle Erinnerungen überschwemmten Davids Verstand, während er verzweifelt versuchte, sie zurückzudrängen – Ströme von Blut, Schmerz und Tod, gehüllt in das düstere Gewand von Albträumen.

»Ich werde nicht zurückkehren«, knurrte David. Der raue Klang seiner Stimme kam ihm selbst fremd vor. »Ich kann nicht. Ich habe in diesem Job zu viel verloren, um jemals zurückkommen zu können.«

Monroes Lippen bildeten eine finstere Linie. »Der Schwarm ist zurückgekehrt. Sie haben wieder angefangen zu morden.«

David hatte das Gefühl, als hätte man ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt, so sehr schockierte ihn diese Neuigkeit. »Das ist unmöglich. Ich habe sie alle getötet. Ich habe das Gebäude in Brand gesteckt und dafür gesorgt, dass niemand mehr lebendig da herauskommt.«

Im Bruchteil einer Sekunde durchlebte er jeden Moment seines letzten Einsatzes aufs Neue. Er spürte die blinde Wut, die ihn gepackt hatte, als er sie alle tötete, spürte die finstere Genugtuung, dass der Schwarm nie wieder zuschlagen würde, spürte diese entsetzliche Leere, weil er genau wusste, dass, ganz gleich, wie viele Männer er auch umbrachte, er die Toten nicht ins Leben zurückholen konnte. Seine Rache änderte rein gar nichts.

Nach einem Augenblick extremer Anspannung gelang es ihm, sich gegen die Flut albtraumhafter Erinnerungen erneut abzuschotten – jene Bilder zu verdrängen, die seinen Verstand zersetzten, bis er zu zerbrechen drohte.

»Vier Zivilisten wurden bereits getötet, und das Leben einer jungen Frau steht auf dem Spiel. Ich brauche Sie. Die Frau braucht Sie.«

»Sie wollen, dass ich diese Frau beschütze?«, fragte David ungläubig. »Dann müssen Sie wirklich verzweifelt sein.«

Monroe nahm einen tiefen, erschöpften Atemzug. »Sie kennen den Schwarm. Sie kennen seine Vorgehensweise. Und Sie wissen, was mit der Frau passiert, wenn Sie versagen.«

Heiße, unbändige Wut kochte in David hoch und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack von Galle. Zwei Jahre lang hatte er geglaubt, jedes einzelne Mitglied des Schwarms ausgelöscht zu haben. Bevor er Delta verließ, hatte er dafür gesorgt, dass diese Mistkerle nie wieder einem Unschuldigen etwas zuleide tun konnten.

Aber er hatte sich getäuscht. Er hatte sich zwei Jahre lang getäuscht.

»Wo ist der Schwarm jetzt?«, fragte David. Seine Stimme klang fast wie ein Knurren. »Ich werde jeden Einzelnen von ihnen eigenhändig töten.«

»Wir wissen nicht, wo sie sich aufhalten. Aber wir wissen, was sie wollen.«

»Die Frau«, vermutete David.

Monroe nickte. »Dr. Noelle Blanche. Heften Sie sich an ihre Fersen, und Sie müssen den Schwarm nicht suchen. Er wird Sie finden.«

Ein langsames, grausames Lächeln breitete sich über Davids Züge. »Wo ist sie?«

***

»Ich muss mit dir reden.«

Noelle Blanche fuhr zusammen und richtete den Blick auf die Person, die ihre Konzentration so unsanft unterbrochen hatte.

Professor Joan Montgomery, Noelles langjährige Mentorin und Freundin, stand in der Tür zu Noelles beengtem Büro und wirkte gleichermaßen besorgt wie entsetzt.

Joan war eine von Noelles Dozentinnen an der University of Kansas gewesen. Sie hatte ihr nicht nur einen ersten Vorgeschmack auf Latein gegeben, durch Joans Einfluss hatte sich Noelles akademischer Werdegang geradezu radikal verändert. Ihr Mathematikstudium hatte einen Haken zur Linguistik geschlagen, und sie war in der skurrilen Position einer habilitierten Dozentin für Mathematische Linguistik gelandet.

Noelle zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und schob den äußerst faszinierenden, ansatzweise kyrillischen Text beiseite, den ihr ein Kollege aus Russland heute Morgen gemailt hatte. »Ich habe in fünfzehn Minuten ein Seminar in linearer Algebra, aber bis dahin bin ich frei.«

Joans Gesichtsausdruck ließ ihr Unbehagen erkennen. »Der Dekan hat mich geschickt, um deine Entscheidung wegen dieses Forschungsstipendiums in Erfahrung zu bringen. Er will nicht länger warten.«

Noelle unterdrückte einen resignierten Seufzer. »Ich habe ihm bereits gesagt, dass ich kein Stipendium annehmen werde, das vom Militär finanziert wird.«

Joan strich sich ihr grau meliertes, schulterlanges Haar hinters Ohr und zog einen ausgemusterten orangefarbenen Siebzigerjahrestuhl heran, um sich zu Noelle zu setzen. »Warum nicht? Du bist die Einzige in unserem Fachbereich, die dazu in der Lage ist. Verdammt, vielleicht bist du sogar die Einzige im ganzen Land, die dazu in der Lage ist!«

Noelle schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch ihre roten Locken, um sie hinter den Bügeln ihrer Brille hervorzuholen.

»Das ist nicht wahr. Ich kenne mindestens vier Personen, die sich auf dem Gebiet besser auskennen als ich, und zwei von ihnen leben hier in den Vereinigten Staaten. Für mich ist die Kryptologie nur ein Hobby. Diese Leute machen das hauptberuflich.«

»Aber denen hat die Regierung kein fettes Stipendium angeboten«, erinnerte sie Joan. »Deine Leistung ist offenbar mehr wert, als du selbst ahnst.«

Noelle stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Meine Schwester ist die Klügere von uns beiden. Vielleicht sollten sie die mal fragen. Oder sonst irgendwen. Nur bitte nicht mich.«

»Warum willst du es nicht tun? Ich finde, das Ganze klingt vollkommen harmlos. Du sollst schließlich keine Bombe basteln oder so was.«

»Sie wollen, dass ich ein mathematisch basiertes Verschlüsselungssystem entwickle, das sie für militärische Zwecke nutzen können.«

»Und?«, fragte Joan, während sie Noelle verständnislos ansah. »Meinst du, du kriegst das nicht hin?«

Noelle vollführte mit ihrer blassen Hand eine ausladende Geste, mit der sie den Schiefen Turm von Bürokratia um ein Haar vom Tisch gefegt hätte. »Natürlich kriege ich das hin. Im Kopf habe ich diese Algorithmen schon zur Hälfte fertig, weil ich mein Gehirn einfach nicht davon abhalten kann, im Schlaf an dem Problem herumzutüfteln. In zwei Monaten habe ich diese Aufgabe erledigt, ob ich will oder nicht, aber darum geht es nicht.«

»Worum geht es dann? Du wirst dir deine Stelle an der Uni gewiss nicht sichern, indem du einen Haufen leicht verdientes Geld einfach so ausschlägst.«

»Wenn ich dem Militär ein Werkzeug liefere, dann werden sie es auch nutzen. Und irgendwann werden sie es offensiv nutzen. Und dann werden Menschen sterben, und ich habe eine Mitschuld daran. Das kann ich nicht verantworten.«

»Wenn du es nicht tust, wird es jemand an einer anderen Uni tun«, gab Joan zu bedenken, während ihre Züge weicher wurden. »Du bist zwar hochintelligent, und ein anderer würde vermutlich fünf Jahre für etwas brauchen, das du in zwei Monaten schaffst, aber irgendwann wird es jemandem gelingen. Das Militär wird sein Werkzeug so oder so bekommen.«

»Aber nicht von mir«, entgegnete Noelle. »Wenigstens werde ich kein Blut an den Händen haben, auch wenn das bedeuten sollte, dass sie mich hier rausschmeißen.«

»Wegrationalisieren«, korrigierte Joan, während sie das Gesicht verzog.

»Auch egal.« Es lief in jedem Fall darauf hinaus, dass Noelle ihren Job verlor.

Eine bedrückende Stille erfüllte den Raum, die nur von dem leisen Brummen der billigen Neonlampe an der Decke unterbrochen wurde.

»Nicht egal«, sagte Joan. »Du wirst wegrationalisiert.«

Der traurige Tonfall ihrer Stimme ließ Noelle aufhorchen. »Sie haben dich hergeschickt, um mich zu feuern, richtig?«

Joans braune Augen blickten in Noelles dunkelgrüne. »Wenn du dieses Forschungsstipendium ablehnst, wird man dich Ende des Wintersemesters entlassen.«

Entlassen. Noelle kam es so vor, als würde ihr der altmodische Stuhl unter dem Hintern weggezogen. Eigentlich hätte es sie nicht schockieren dürfen, aber das tat es. Es war eine Sache, darüber nachzudenken, seine Stelle vielleicht zu verlieren, aber eine ganz andere, zu wissen, dass dies tatsächlich geschehen würde. Und wann. »Ganz sicher?«

Joan nickte, wobei ihr graues Haar sanft gegen ihr Kinn schlug. »Deshalb hat man mich zu dir geschickt. Der Fachbereich würde dich und dein außergewöhnliches Talent nur ungern verlieren, aber wir können uns die zusätzlichen Kosten derzeit nicht leisten. Da dein Gehalt aus dem Budget der Linguistik stammt, haben wir das letzte Wort in dieser Angelegenheit. Es tut mir leid.«

Noelle schloss die Augen. Was sollte sie jetzt tun? Eine Stelle zu finden, bei der sie nicht ständig fragen musste: »Auch Pommes dazu?«, war nahezu unmöglich. Es verhielt sich nicht gerade so, als würden ihre potenziellen Arbeitgeber bei ihr Schlange stehen und sie anflehen, für sie zu arbeiten. Mathematische Linguistik war nicht gerade ein florierendes Gewerbe. Mit einem so obskuren Beruf wie dem ihren würde sie Monate, wenn nicht Jahre brauchen, um eine angemessene Stelle zu finden – vermutlich sogar eine, die erst speziell für sie eingerichtet werden müsste. Und was würde sie in der Zwischenzeit tun?

Sie hatte massenhaft Schulden in Form von Studiendarlehen angehäuft, um ihre Promotion zu finanzieren. Die Ratenzahlungen waren höher als alle übrigen Lebenskosten zusammengenommen. Sie würde sich die Geldeintreiber eine Weile lang vom Hals halten können, aber über kurz oder lang brauchte sie ein vernünftiges Einkommen – und mit dem Braten von Hamburgern würde sie sich das nötige Geld sicher nicht verdienen.

Noelle versuchte, die aufkeimende Panik hinunterzuschlucken, die ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. Es ging hier lediglich ums Geld. Sie würde schon einen Weg finden, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen.

»Du kannst das Stipendium immer noch annehmen«, gab Joan zu bedenken.

Noelle wünschte, es wäre so einfach. Sie war durchaus versucht, das Angebot anzunehmen und sich das Leben leicht zu machen. Aber für jemanden, der mit sechzehn Jahren angefangen hatte zu studieren, war »leicht« nun mal nicht der gängige modus operandi. »Ich kann nicht. Es ist Blutgeld.«

»Jetzt werd mal nicht melodramatisch«, warf Joan ihr vor. »Niemand verlangt von dir, dass du jemanden umbringst. Im Gegenteil, es kann sogar sein, dass du mit deiner Arbeit Leben rettest.«

»Und wenn du dich irrst?« Noelle stand auf und schob ihren Laptop in die schwarze Nylonhülle. »Das Risiko kann ich nicht eingehen. Ich könnte nachts nicht mehr schlafen, wenn ich mich ständig fragen müsste, ob meinetwegen vielleicht unschuldige Menschen sterben.«

»Wir reden hier über deine Karriere – deine gesamte Zukunft hängt von dieser Entscheidung ab.«

»Wer von uns beiden wird denn hier melodramatisch?«, spottete Noelle.

»Ich meine es ernst. Wenn du dieses Stipendium ausschlägst, wirst du höchstwahrscheinlich nicht so bald eine vergleichbare Stelle finden. Aber wenn du diese Herausforderung annimmst, hast du gute Chancen, in akademischen Kreisen als die Frau berühmt zu werden, die die mathematische Linguistik revolutioniert hat.«

Noelle verdrehte die Augen. »Ich bin mir sicher, das werden sie auf meinen Grabstein schreiben – direkt hinter den Teil, in dem geschrieben steht, dass ich dazu beitrug, Tausende unschuldiger Zivilisten zu töten in einem Land, wo Kinder nicht mal wissen, was Mathematik ist.«

»Ich werde nicht zulassen, dass du dir das antust«, sagte Joan. »Du bist zu gut, um deine gesamte Karriere in den Sand zu setzen, nur weil irgendetwas passieren könnte.«

»Aber diese Entscheidung liegt nicht bei dir. Du hast mir immer zur Seite gestanden, schon als alle anderen noch mit dem Finger auf mich gezeigt haben und über das dürre Mädchen lachten, das eindeutig mehr Grips hatte als Sozialkompetenz. Du bist mehr als meine Mentorin, du bist meine Freundin, und deshalb kannst du so etwas nicht von mir verlangen. Ich werde mit meiner Arbeit nicht dazu beitragen, andere zu töten, ganz gleich für wie wichtig irgend so ein General das Ganze hält.«

Noelle schob sich einen Stapel Hausaufgaben in die Tasche und weigerte sich, die Frau anzusehen, die sie immerzu gut beraten und bedingungslos unterstützt hatte. »Ich werde dich am Wochenende anrufen«, sagte Joan, »nachdem du Zeit hattest, darüber nachzudenken.«

Noelle machte sich nicht die Mühe, ihr zu sagen, dass sie bereits mehr als genug darüber nachgedacht hatte. Ihre Entscheidung war gefallen. Und um absolut sicherzugehen, dass sie ihre Meinung nicht ändern würde, sobald sie in finanzielle Panik geriet, holte sie ihren Laptop wieder heraus und tippte den Befehl ein, der alle Daten, die mit diesem Projekt zusammenhingen, unwiederbringlich von ihrer Festplatte löschen würde. Nun gab es kein Zurück mehr.

Im Frühjahr würde sie ohne Arbeit dastehen, aber zumindest würde sie noch in den Spiegel blicken können. Und das ließ sich durch kein Stipendium der Welt aufwiegen.

***

Man mochte sie vielleicht wegrationalisieren, aber bis zum Frühjahr hatte Noelle noch Arbeit. Sie war gerade im Begriff, sich ihren Freitagabend mit der Korrektur ungeschickt gelöster Analysis-I-Hausaufgaben zu vertreiben, als in ihrem winzigen Mietshaus das Licht ausging. Mit einem Seufzer, der aus tiefster Seele kam, öffnete sie eine Schublade und holte eine der vielen Taschenlampen hervor, die überall in ihrem Haus bereitlagen. Man hatte ihr immer weismachen wollen, dass alte Häuser Charme und Charakter besäßen, aber ihrer Erfahrung nach besaßen sie eher lärmende Rohre, zugige Ritzen und fehlerhafte Installationen. Das war nun schon das dritte Mal diese Woche, dass in dem uralten Schaltkasten eine Sicherung durchgebrannt war.

Sich mehr auf ihr Gedächtnis als auf ihre Sehkraft verlassend, begab sich Noelle in Richtung Keller und stieg vorsichtig die nackte Holztreppe hinunter. Mit geübten Griffen wechselte sie die Sicherung, die sie erst zwei Tage zuvor neu eingesetzt hatte. Sie nahm sich fest vor, Mr Hasham auf das Problem anzusprechen, wenn sie ihm das nächste Mal die Miete zahlte.

Trotz der neuen Sicherung blieb es im Haus dunkel. Das war ihr noch nie passiert.

Plötzlich hörte sie über sich das Zerbersten einer Glasscheibe und das dumpfe Geräusch von Scherben, die auf den Holzboden prasselten.

Noelle zuckte zusammen, erstarrte, lauschte. Die Geräusche kamen von der Hintertür.

Jemand brach in ihr Haus ein.

2

Noelles Herz trommelte wie wild gegen ihren Brustkorb, während sie hektisch die Taschenlampe ausschaltete, um sich im dunklen Keller zu verstecken. Über sich hörte sie, wie mindestens zwei Personen mit langsamen, gemessenen Schritten den Raum durchquerten.

Noelle hoffte inständig, die Einbrecher würden sich einfach nehmen, was sie wollten, und wieder verschwinden. Sie schlich sich so leise wie möglich über den staubigen Fußboden zurück zur Treppe. Der Keller war fast leer, und die einzige Versteckmöglichkeit befand sich unterhalb der knarrenden Holztreppe.

Noelle hielt den Atem an, bis ihre Lungen brannten. Sie lauschte angespannt, wie sich die Schritte dem oberen Treppenabsatz näherten. Ein Lichtstrahl fiel in den Keller und beleuchtete die Stelle, wo sie wenige Sekunden zuvor noch gestanden hatte. In der Mitte des weißen Lichtkreises, der sich langsam über den Boden bewegte, befand sich ein roter Punkt – wie der eines Laserpointers, den sie in ihren Vorlesungen benutzte.

Oder wie der Laser einer Waffe.

Noelle atmete erschrocken ein, als diese Erkenntnis sie überkam. Das da oben waren keine Straßenkids, die sich mit einem gestohlenen Fernseher ein paar Mücken verdienen wollten. Wer auch immer sich in ihrem Haus befand, war professionell bewaffnet.

Noelle bemerkte das leise Klappern der Batterien im Plastikgriff ihrer Taschenlampe, die sie in ihren zitternden Händen hielt. Der weiße Lichtkreis schwang zu ihr herüber und zeichnete zu ihrer Linken den zackigen Schatten der Treppenstufen auf den Boden, der sie an spitze schwarze Zähne erinnerte. Der rote Punkt wirkte nun deutlich heller, und sie konnte den Laserstrahl erkennen, der von den Staubpartikeln in der muffigen Kellerluft reflektiert wurde.

Noelle schnappte unwillkürlich nach Luft, und das Blut pulsierte ihr lautstark in den Ohren. Sie beobachtete den Lichtkreis und sah, wie er sich zusammenzog und heller wurde, während sein Besitzer die Treppe betrat.

Das Holz der alten Stufen knarrte unter dem Gewicht des Mannes. Als er die erste Stufe hinunterstieg, konnte Noelle seine schweren Kampfstiefel erkennen.

Mit angehaltenem Atem zog sie sich in den hintersten Winkel ihres Verstecks zurück. Sie umklammerte die Taschenlampe in dem Bewusstsein, dass dies ihre einzige Waffe war. Ihr war ebenso bewusst, dass sie ihr gegen Männer mit echten Waffen wenig nutzen würde.

Plötzlich hörte sie einen scharfen Knall, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, der aus ihrem Wohnzimmer zu kommen schien. Der Stiefel auf der Treppe veränderte seine Position, als hätte sich der Mann umgedreht, um einen Blick hinter sich zu werfen. Der Lichtkreis verschwand für einen Moment. Sie hörte ein Ächzen und das abscheuliche Geräusch berstender Knochen, dann sah sie, wie die Gestalt des Mannes langsam die Treppe hinunterstürzte und schlaff gegen die harten Kanten der hölzernen Stufen prallte.

Als der Mann am Fuß der Treppe auf dem dreckigen Boden aufschlug, waren seine dunklen Augen weit geöffnet. Sie blickten Noelle geradewegs an.

Sie erstarrte vor Angst. Es dauerte einige panische Herzschläge lang, ehe sie begriff, dass der Mann tot war. Sein Gesicht wurde zum größten Teil von einer schwarzen Skimaske verdeckt, aber sie konnte seine toten Augen deutlich erkennen; sie waren glasig und starr.

Die kleine Taschenlampe, die auf seiner Waffe montiert war, warf einen schimmernden Lichtkegel an die Wand unmittelbar zu ihrer Linken. Der Staub, den der aufschlagende Männerkörper hochgewirbelt hatte, breitete sich aus und kroch ihr in die Lungen. Ihre Brust verkrampfte sich von der Anstrengung, nicht zu husten.

Die Treppe ächzte erneut, und ihr Blick schnellte gerade noch rechtzeitig nach oben, um zu sehen, wie ein neues Paar Stiefel verstohlen die oberste Treppenstufe betrat.

Diesmal waren die Stiefel größer.

Der Mann stieg am äußersten Rand der Treppe nach unten, damit die Stufen möglichst wenig Geräusche verursachten. Noelle legte sich eine Hand über Mund und Nase, um ihren Hustenreiz zu unterdrücken. Der Mann bewegte sich mit Vorsicht und einer antrainierten Geschmeidigkeit, die darauf schließen ließ, dass er dies nicht zum ersten Mal tat. Ganz im Gegenteil.

Seine Waffe besaß keinerlei Beleuchtung, aber nun, da Noelle ihn durch die Treppenstufen hindurch sehen konnte, bemerkte sie, dass er einen Apparat vor der Stirn trug – vermutlich ein Nachtsichtgerät, wie man es beim Militär verwendete.

Er hockte sich neben den toten Mann am Fuß der Treppe und legte ihm zwei Finger an den Hals. Selbst während er dessen Puls überprüfte, ließ er den Blick keinen Moment lang sinken.

Er griff nach irgendetwas, das sich am Kopf des Toten befand, und steckte es sich ins Ohr – vermutlich eine Art Kommunikationsgerät, dachte Noelle.

Dann sah er sich im Raum um. Als er Noelle durch sein Nachtsichtgerät erspähte, verharrte er reglos.

Kalter Schweiß rann zwischen ihren Brüsten herab. Sie umklammerte die Taschenlampe, als würde sie einen Baseballschläger in den Händen halten. Vorsichtig zwang sie ihre zitternden Beine, sich anzuspannen und auf den einzig möglichen Fluchtweg zuzubewegen – die Treppe.

»Dr. Blanche?«, fragte der Mann beinahe flüsternd.

Er kannte ihren Namen. Das war ein gutes Zeichen, oder?

»Ich bin nicht hier, um Ihnen etwas anzutun. Ich bin gekommen, um Sie von hier fortzubringen, bevor es Ihre Feinde tun.« Er streckte eine behandschuhte Hand nach ihr aus. Seine Gestalt war ganz in Schwarz gehüllt. Sogar sein Gesicht war hinter den Augenlöchern der Maske schwarz geschminkt. Er hielt seine Waffe mit der unbewussten Selbstsicherheit einer Person, die regelmäßig mit Waffen zu tun hatte.

Noelle hoffte inständig, dass er sie nicht anlog. Sie war es nicht gewohnt, auf ihren Instinkt zu hören, daher war ihre Intuition ziemlich eingerostet, aber sie hatte das Gefühl, dass der Mann die Wahrheit sagte. Er war hier, um ihr zu helfen.

Logisch betrachtet, wäre es das Vernünftigste gewesen, über die Treppe nach oben zu stürmen und es der Polizei zu überlassen, wer hier Freund oder Feind war. Es war ein großartiger Plan. Ihr einziger Plan. Doch als hätte der Mann ihre Überlegung geahnt, veränderte er seine Position, sodass sie an ihm vorbeimusste, um zur Treppe zu gelangen. Sie hatte in ihrem Leben genug über Statistik gelernt, um zu wissen, dass das Gelingen ihres Plans ungefähr so wahrscheinlich war wie ein Sechser im Lotto.

Das schmerzhafte Pochen ihres Herzens zerstreute ihre verworrenen Gedanken. Außer ihrem Pulsschlag hörte sie das erneute Ächzen der alten Holzdielen. Über ihnen befand sich noch eine weitere Person.

Noelles Herz schlug einen Salto und landete tief in ihrer Magengrube.

Der Mann vor ihr zeigte keinerlei Regung. Er hob einen behandschuhten Finger an seine Lippen, um Noelle zum Schweigen zu ermahnen. Dann kniete er sich hin, um das Licht an der Waffe des toten Mannes auszuknipsen.

Der Keller versank in staubigem Dunkel. Ihre Augen weiteten sich, aber es war kein wahrnehmbarer Lichtschein vorhanden. Sie war blind.

Noelle widerstand dem Drang, den kleinen Plastikschalter an ihrer Taschenlampe zu betätigen, um einen Teil ihrer Angst mit ein wenig Licht zu verscheuchen. Sie wusste, dass sie damit ihren Aufenthaltsort preisgegeben hätte, und zwar nicht nur dem Mann hier unten, sondern auch dem im Erdgeschoss.

Ihr eingerosteter Instinkt alarmierte sie, schleunigst aus dem Haus zu fliehen. Nur schade, dass er dies nicht fünf Minuten eher getan hatte.

Vorsichtig streckte Noelle die Hand aus, um nach der Treppe zu tasten, während sie sich langsam einen Schritt vorwagte. Doch noch ehe ihr Fuß den Boden berührte, hatte der Mann, der sich mit ihr im Keller aufhielt, die Distanz zwischen ihnen überbrückt, um ihr seine Hand auf den Mund zu pressen und sie mit seinem Körper gegen die gemauerte Kellerwand zu drücken.

Ein erschrockener Schrei gurgelte in ihrer Kehle, aber seine Hand verhinderte, dass der Laut nach außen drang.

Der Mann neigte den Kopf zu ihr herunter, bis sein Mund ihr Ohr streifte. Seine Worte waren nicht mehr als ein Hauch, sodass sie ihn kaum verstehen konnte. »Seien Sie still, dann bringe ich uns beide lebend hier raus.«

Noelle hatte keine Ahnung, worum es hier eigentlich ging oder was diese Leute in ihrem Haus zu suchen hatten. Aber eines stand fest: Sosehr sie sich auch wünschte, von hier zu fliehen, sie hatte keinerlei Chance, sich zu bewegen, solange er es nicht zuließ. Ihr Körper wurde so hart gegen die Kellerwand gepresst, dass sie die Ritzen zwischen den einzelnen Ziegelsteinen in ihrem Rücken spürte.

Noelle nickte verkrampft, um ihm mitzuteilen, dass sie gehorchen würde. Offenbar zufriedengestellt, verringerte er den Druck seiner Hand. Noelle nahm einen tiefen Atemzug, der ihre Brust dehnte und sie noch dichter an den Mann herandrückte. Die Hitze seines Körpers drang durch die vielen Schichten ihrer Kleidung, die sie vor der Kälte in ihrem zugigen Haus schützte. Sie spürte die harten Metallteile seiner Militärausrüstung und die steifen Ränder seiner kugelsicheren Weste an ihrem Bauch und ihrem Busen. Ihre Nase befand sich auf Höhe seines Schlüsselbeins, und sie roch das verwirrende Geruchsgemisch von Leder, Kordit und dem Duft seines warmen männlichen Körpers.

Eine weitere knarrende Fußbodendiele verriet ihnen den Aufenthaltsort des Eindringlings im Erdgeschoss. Er befand sich in Noelles Schlafzimmer, und das Krächzen und Ächzen der Holzdielen schien darauf hinzudeuten, dass er etwas suchte. Oder jemanden.

Im Keller war es stockfinster, aber sie spürte die ruhige, gleichmäßige Atmung ihres Bewachers, die sich mit ihrem eigenen hektischen Atem vermischte. Falls der Mann nervös war, so ließ er sich dies deutlich weniger anmerken als sie selbst.

Sein Selbstvertrauen war auf seltsame Art und Weise beruhigend.

Er veränderte seine Haltung, und sie fühlte den warmen Druck seiner Lippen an ihrer Ohrmuschel. Seine große, behandschuhte Hand schwebte noch immer über ihrem Mund. Noelle zweifelte keinen Moment daran, dass er jeden Schrei im Keim ersticken würde, noch bevor sie genügend Atem geschöpft hätte, um auch nur einen Pieps von sich zu geben.

»Bleiben Sie hier!«, befahl er ihr mit leiser, scharfer Stimme. »Ich werde uns freie Bahn verschaffen, damit wir Sie sicher hier herausbekommen.«

»Aber …«

Seine Hand versiegelte ihren Mund und verhinderte, dass ihr noch weitere Worte entweichen konnten. »Ich weiß, was ich tue. Ich werde Sie hier rausholen, sobald die Luft rein ist.«

Noch bevor Noelle mit ihm diskutieren konnte, war er bereits verschwunden und hatte sie in der Dunkelheit allein gelassen, ohne dabei das geringste Geräusch zu verursachen.

Noelle hatte nicht die Absicht, sich ein zweites Mal von einem bewaffneten Mann im Keller festsetzen zu lassen. Ihr Bauchgefühl verriet ihr, dass der Fremde die Wahrheit sagte – dass er ihr tatsächlich helfen wollte. Doch ihr Verstand argumentierte, dass er als Einzelner gegen mehrere bewaffnete Männer zu kämpfen hatte. Wenn es ihm nicht gelänge, ihnen freie Bahn zu verschaffen, wie er es ausdrückte, wäre sie bei ihrer Flucht auf sich selbst gestellt.

Die Erinnerung war ihr einziger Wegweiser, als sie ihre Taschenlampe in die Jeans steckte, nach der Treppe tastete und sich langsam vorwärtsbewegte. Das trockene, splitterige Holz zerkratzte ihre Hände, aber sie weigerte sich, das einzige Objekt loszulassen, das ihr den Weg in die Freiheit weisen konnte. Ihr Turnschuh stieß gegen einen schlaffen, schweren Gegenstand. Die Leiche des toten Mannes.

Noelle schauderte vor Abscheu, während sich ihr Magen verkrampfte. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht auf den Kellerboden zu kotzen. Dann verdrängte sie die Tatsache, dass es sich um eine Leiche handelte, und kniete neben dem Mann nieder, um seinen Körper abzutasten, bis sie die kalte, glatte Oberfläche seiner Waffe fühlte. Streng darauf bedacht, nicht versehentlich den Abzug zu betätigen, nahm sie die Waffe in die Hand, sodass sie sie notfalls benutzen konnte. Ihre Finger zitterten, und ihre Haut war feucht vor Angstschweiß. Sie hatte arge Zweifel, dass sie tatsächlich jemanden umbringen konnte, und hoffte inständig, ein möglicher Angreifer würde dies nicht auf Anhieb bemerken.

Über sich hörte sie erneut einen Knall und das dumpfe Geräusch eines zu Boden stürzenden Körpers. Ein Schauder von Panik lief ihr über den Rücken, während sie sich fragte, wen von den beiden Männern es wohl getroffen hatte.

Sie betete, dass es nicht der Mann mit der gebieterischen Stimme und dem Geruch von Leder auf der Haut war.

***

David nahm die Waffe des Mannes an sich, den er soeben getötet hatte. Ein prüfender Blick durch sein Nachtsichtgerät bestätigte ihm, dass die Munition nicht tödlich war. Betäubungspfeile.

Die Männer, die es auf Dr. Blanche abgesehen hatten, waren nicht hier, um sie zu töten. Sie brauchten sie lebend.

Der Gedanke hätte David beruhigen sollen, aber der Schwarm war schon häufiger daran interessiert gewesen, seine Geiseln am Leben zu halten. Zunächst.

Bittere Erinnerungen schossen ihm durch den Kopf, bei denen sich ihm der Magen umdrehte. Er hatte schon einmal versagt, als es darum ging, eine Frau zu retten. Sie war gestorben. Er hatte nicht vor, diesen Fehler zu wiederholen.

David hängte sich den Riemen der fremden Waffe über die Schulter und ging zurück in den Flur, um den Hauptwohnbereich zu betreten. Die Tür zum Keller stand offen, genau wie die zersplitterte Glastür, die von der Küche aus in den Garten führte. Kalte schwarze Nachtluft kroch über die alten Bodenfliesen und schlang sich um Davids Fußgelenke. Der Geruch von verbranntem Laub und Kaminholz wehte zu ihm herein und erinnerte ihn an Lagerfeuer und zahllose frostige Nächte auf kaltem, feindlichem Gebiet.

Bislang hatte er drei Männer umgelegt. Das Funkgerät in seinem Ohr brummte von einer weiteren Männerstimme, die aufgeregt versuchte, mit ihren Kollegen in Kontakt zu treten. Hätte David diesen feindlichen Einsatz geleitet, so hätte er mindestens noch einen weiteren Mann außerhalb des Gebäudes positioniert, für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Frau aus der Falle ihres eigenen Hauses entfliehen konnte.

Ein Schatten fiel auf die Betonstufe vor der Küchentür und verriet David, dass dort draußen ein weiterer Mann lauerte. Zu seiner Linken hörte er das Knarren der Holztreppe, und ihm wurde schlagartig bewusst, dass Noelle im Begriff war, dem Mann geradewegs ins Schussfeld zu laufen. David ging in die Hocke, um Noelle auf ihrem Weg in die Küche zu decken. Die mattschwarze Lackierung seiner Waffe, einschließlich des Dämpfers, vermischte sich mit den Schatten der Dunkelheit. Wenn ihn irgendetwas verraten sollte, dann allenfalls die Tatsache, dass sein Schatten dunkler war als die Nacht, die ihn umgab.

Langsam schob sich sein Gegenspieler durch die Tür und machte sich damit selbst zur Zielscheibe. Doch bevor David den Abzug betätigen konnte, kam Noelle in die Küche und trat zwischen David und sein Ziel.

Innerlich fluchend, richtete David die Waffe abrupt zur Decke. »Runter!«, rief er.

Der Mann in der Tür duckte sich und feuerte einen Pfeil ab, der Noelle am Arm traf.

Sie zuckte zusammen, und die Waffe in ihren Händen fiel mit einem metallischen Geklapper zu Boden. Ihre Akte besagte, dass sie keinerlei Kampfausbildung besaß, insofern war es erstaunlich, dass sie in Sekundenschnelle reagierte. Dem Geräusch seiner Stimme folgend, wirbelte sie herum und duckte sich, während sie ihren Kopf mit den Armen schützte.

David vernahm einen dumpfen Knall, als ein weiterer Betäubungspfeil aus der Waffe schoss und sich in Noelles Körper bohrte.

Sie schrie auf, riss sich den Pfeil reflexartig aus dem Arm und schleuderte ihn zu Boden, als wäre er eine lebende Schlange. Mit ungeschickten Fingern versuchte sie, sich auch den zweiten Pfeil aus dem Arm zu ziehen, doch es war zu spät. Der Schaden war bereits angerichtet. Ihr Körper geriet ins Wanken, als das Gift plötzlich Wirkung zeigte. David erhob sich, legte die Waffe an und drückte zweimal ab. Die Kugeln trafen sein Opfer jeweils einen Zentimeter über jedem Auge.

Noch bevor der Tote am Boden aufschlug, hatte David seine Waffe heruntergenommen und rannte zu Noelle. Sie drückte mit den Fingern auf die Wunde an ihrem Arm, und ein dunkler Fleck wuchs auf dem feinen hellen Stoff ihres Sweatshirts an – vermutlich eher Betäubungsmittel als Blut, da sie sich den zweiten Pfeil so schnell herausgezogen hatte. Der erste Pfeil hingegen hatte lange genug in ihrer Haut gesteckt, um seinen Zweck zu erfüllen. Das Gift breitete sich bereits in ihrem Körper aus.

David wagte es nicht, das Nachtsichtgerät abzunehmen, um ihre Verletzungen zu untersuchen. Sie konnte jeden Moment ohnmächtig werden, und er brauchte sie in wachem Zustand, um den zweiten Teil seiner Mission erfüllen zu können.

Noelle verdrehte unkontrolliert die Augen und warf den Kopf hin und her, als könnte sie ihn nicht gerade halten.

David packte sie an den Schultern und rüttelte sie unsanft. »Bleiben Sie wach, Noelle!«, befahl er ihr mit einem leisen Knurren in der Stimme. »Wo sind Ihre Forschungsunterlagen?«

Sie kniff die Augen zusammen und riss sie dann weit auf, sichtlich bemüht, den Blick auf sein Gesicht zu fokussieren. »Auf dem Laptop«, brachte sie hervor, während sie in einer zittrigen Bewegung auf den kleinen Schreibtisch in ihrem Wohnzimmer deutete.

»Und Ihre Notizen?«

Ihre Augenlider fielen zu, und David zog einen Injektionsstift aus seiner Weste, der ein ausreichend starkes Stimulanzmittel enthielt, um sie noch einige Minuten wach zu halten – lange genug, um alle nötigen Informationen in Erfahrung zu bringen. Er hatte den Stift für eine kleinere Person dosiert als für sich selbst, aber als er ihren schlanken Oberarm umfasste, wurde ihm bewusst, dass die Dosierung immer noch zu hoch war. Er hatte Überwachungsfotos von Noelle gesehen, doch er hatte nicht geahnt, dass sie unter ihrer weiten Kleidung derart zierlich gebaut war. Selbst die verringerte Menge konnte in ihrem Fall eine Überdosis darstellen.

Sie müssen die Frau um jeden Preis retten. Wir brauchen sie lebend.

Die Anweisungen an ihn waren eindeutig. Hätte auch nur der Hauch einer Möglichkeit bestanden, dass er ihretwegen für den Tod einer weiteren Frau verantwortlich wäre, so hätte er diesem Auftrag den Rücken gekehrt, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzublicken.

Er verabreichte Noelle das Mittel und rüttelte erneut an ihren zarten Schultern.

»Wo sind Ihre Notizen? Ihre Aufzeichnungen?«

Mühsam versuchte ihr Mund, Worte zu formen. »Keine Notizen«, murmelte sie. »Hier.« Noelle tippte sich mit einem schlaffen Finger an die Schläfe.

Ihr Blick wurde glasig, ihre Gesichtszüge erschlafften. Sie war weggetreten.

»Verdammt!«, fluchte David, während er inständig hoffte, dass ihre Behauptung, sie habe alles im Kopf, nicht reine Angeberei war. Es erleichterte ihm die Arbeit ungemein, wenn er neben seiner Rettungsaktion nicht auch noch auf Zerstörungsmission gehen musste.

Bevor noch weitere ungebetene Besucher aufkreuzen konnten, nahm er Noelle auf den Arm und legte sie sich nach Art eines Feuerwehrmanns über die linke Schulter, sodass er trotzdem noch seine Waffe bedienen konnte. Er riss die Laptopkabel aus der Wand und steckte das krakenartige Bündel mitsamt dem Computer in die danebenliegende Laptoptasche.

Sobald David seine Last – bestehend aus lebloser Frau und Laptop – sicher im Griff hatte, nahm er die Waffe hoch und begab sich zu seinem Pick-up.

Der letzte ihrer Feinde bewachte den Fluchtwagen. Davids Arm zuckte leicht, als er dem Mann zwei gedämpfte Schüsse in den Hals verpasste. Noelle rührte sich nicht einmal.

***

Owen hob den Rand der Gardine an und sah zu, wie Dr. Blanche weggetragen wurde. Von seinem Beobachtungsposten auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus hatte er per Funk mitgehört, wie seine Männer einer nach dem anderen ermordet wurden.

Ein Jammer. Er hatte erhebliche Mühe in ihre Ausbildung investiert.

Während er den US-Soldaten dabei beobachtete, wie er die Frau davontrug, rührte sich irgendetwas in seiner Erinnerung. Die Bewegungen des Mannes, seine Art zu töten kamen ihm irgendwie vertraut vor.

Owen stutzte und spürte, wie sich die breiten Brandnarben auf seiner Stirn in Falten legten. Vielleicht erkannte er nicht diesen speziellen Mann, sondern vielmehr Männer seines Schlages. Sie hatten sich allesamt einem Ideal verschrieben, das sie niemals realisieren konnten.

Vergeudetes Talent.

Es war fast schon eine Schande, dass jemand, der so viel Talent besaß wie er, in wenigen Stunden tot sein würde. Und die Frau, die er in den letzten Stunden seines Lebens beschützt hatte, würde schon bald davon überzeugt werden, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Oder sie würde ihren toten Kollegen Gesellschaft leisten.

Einfach und gründlich, wie Owen es liebte.

In der Ferne hörte er das Heulen von Sirenen. In Kürze würde die Polizei hier eintreffen, und dann wollte er längst über alle Berge sein.

Owen ließ die Gardine zurückfallen und stieß aus Versehen ein gerahmtes Foto um, das auf einem Tisch vor dem Fenster stand. Er hob es auf und stellte es sorgfältig zurück an seinen Platz, während er sich fragte, wie der Fotograf es geschafft hatte, jedes der sieben Enkelkinder mit einem strahlenden Lächeln und offenen Augen einzufangen. Es waren entzückende Kinder mit Pausbacken und leuchtenden Augen.

Während Owen über den blutigen Körper der alten Dame, die hier gelebt hatte, hinwegstieg, fragte er sich, ob wohl eines dieser Kinder ihre Leiche finden würde.

3

David jagte mit seinem Pick-up den Highway hinunter, bis die Lichter der Stadt Lawrence nur noch einen schwachen Schimmer am nächtlichen Horizont darstellten. Es waren kaum Autos unterwegs, und nach mehreren Spur- und Geschwindigkeitswechseln konnte er sich einigermaßen sicher sein, dass ihnen niemand aus der Stadt gefolgt war. Aber Kansas war flaches Land, und in der klaren Herbstluft musste ein Verfolger nicht besonders nah herankommen, um sich an ihre Fersen zu heften.

Er klappte sein Handy auf und wählte Monroes Privatnummer.

»Monroe«, antwortete der Colonel nach dem ersten Klingeln.

»Ich hab sie, Sir. Schicken Sie ein Säuberungsteam in ihr Haus.«

»Wovon sprechen wir?«

»Fünf Leichen, ein Kleinbus. Noch fahrtüchtig.«

»Haben Sie alle Unterlagen?«, fragte Monroe.

»Ich glaube, ja. Durchsuchen Sie ihr Haus, um sicherzugehen, aber sie sagt, sie hätte alles im Kopf. Keine Notizen.«

»Verdammt! Ich wusste zwar, dass sie klug ist, aber so was ist schon beängstigend, selbst für eine Intelligenzbestie.«

David betrachtete Noelles reglose Gestalt auf dem Beifahrersitz. Sie schien alles andere als beängstigend, aber er hatte sich nicht gerade ausführlich mit ihr unterhalten. Im Moment wirkte sie eher verwundbar. Er sah in regelmäßigen Abständen zu ihr rüber, um sicherzustellen, dass sie noch atmete.

Er hatte keine Möglichkeit herauszufinden, mit welchem Betäubungsmittel man sie außer Gefecht gesetzt hatte oder wie viel davon in ihren Blutkreislauf gelangt war. Ihn beruhigte allein die Tatsache, dass der Schwarm sie offenbar lebend wollte. Ansonsten hätten ihre Angreifer scharfe Munition verwendet. Er hoffte nur, dass deren Informationen besser waren als seine und dass der Schütze das Betäubungsmittel ihrem zierlichen Körperbau entsprechend dosiert hatte.

Sonst würde sie vermutlich nie wieder aufwachen. Und wenn sie Noelle verloren, verloren sie zugleich ihre letzte und einzige Chance, den vielleicht kompliziertesten Chiffretext zu entschlüsseln, der seit Ende des Kalten Krieges aufgetaucht war. Und aus diesem Grund wollten sowohl der Schwarm als auch Monroe sie um jeden Preis lebend in die Hände bekommen.

»Ich werde sie in ein Krankenhaus bringen«, sagte David.

»Nein. Dort wäre sie nicht sicher. Sie haben die entsprechende Ausbildung, um selbst mit einer solchen Situation umzugehen, also gehen Sie damit um.«

»Der Gedanke gefällt mir nicht. Sie braucht professionelle medizinische Betreuung.«

»Wenn Sie die Frau in ein Krankenhaus bringen, ist sie vor Sonnenaufgang tot. Und Sie ebenfalls. Das ist ein Befehl, Captain. Kein Krankenhaus.«

David widerstand dem Drang, Monroe zu sagen, er könne sich seinen Befehl in den Arsch stecken, und warf stattdessen einen Blick auf Noelle. Ihre roten Locken waren ihr über die Augen gefallen, aber er konnte deutlich die Kontur ihrer Wangen erkennen. Ihre Haut war extrem blass, und das beunruhigte ihn. Wenn er sie schon nicht in ein Krankenhaus bringen durfte, dann musste er sie am nächstbesten Ort verstecken, den er im Rahmen seiner flüchtigen Recherche für diesen Einsatz ausgespäht hatte. Nicht allzu weit entfernt gab es ein kleines Motel, wo er sich Zeit nehmen konnte, Noelle ein wenig eingehender zu untersuchen und die Drogen aus ihrem Körper herauszubekommen, damit sie endlich wieder zu Bewusstsein kam.

»Ich melde mich, sobald wir an einem sicheren Ort sind.«

»Wo bringen Sie sie hin?«

David wusste nicht, ob ihre Unterhaltung abgehört wurde, daher wollte er Monroe lieber keine Details nennen. »Ich werde es Sie wissen lassen. Halten Sie einen Wagen bereit, damit wir ihn gegen den hier austauschen können – für den Fall, dass wir verfolgt wurden.«

»Ist die Wahrscheinlichkeit hoch?«

»Nein. Ich habe alle potenziellen Verfolger abgehängt. Ich glaube, die Luft ist rein. Aber Vorsicht ist besser als Nachsicht.«

»Richtig. Melden Sie sich so schnell wie möglich.«

»Ja, Sir.«

David gab Gas, bis das letzte Auto hinter ihm etwa einen Kilometer weit entfernt war, und fuhr an der nächsten Ausfahrt ab. Nachdem er die Scheinwerfer ausgeschaltet hatte, hielt er hinter einer Kurve an und wartete ab, ob noch ein weiteres Fahrzeug die obskure Ausfahrt nach Nirgendwo in Kansas wählte. Er nutzte die Gelegenheit, um sich das Gesicht mit feuchten Tüchern zu reinigen, die er eigens für diesen Zweck eingepackt hatte. Als er die Theaterschminke einigermaßen los war und sich davon überzeugt hatte, dass ihnen niemand folgte, fuhr David die schmale, holprige Straße entlang, bis sie jenes billige Motel erreichten, das nur Bargeld akzeptierte und auf die Bedürfnisse notgeiler Paare und verirrter Reisender spezialisiert war.

Eine neonfarbene Leuchtschrift, die auf freie Zimmer hinwies, pulsierte träge vor sich hin, während David auf den Parkplatz einbog und den Pick-up nahe genug an das Fenster der Rezeption heranfuhr, um Noelle im Auge behalten zu können, während er selbst hineinging und ihnen ein Zimmer besorgte.

Der Mann im Büro wandte sich von seinem flackernden Schwarz-Weiß-Fernseher ab und drückte seine Nase an die Fensterscheibe, um in die Dunkelheit zu spähen.

David warf einen Blick auf Noelle, die in sich zusammengesunken auf dem Beifahrersitz seines Fords saß. Er hatte sie zwar angeschnallt, aber während der Fahrt war sie immer weiter nach unten gerutscht, sodass sie eher tot wirkte als schlafend.

Er würde Noelle niemals hinauf ins Zimmer bekommen, ohne sie zu tragen, was selbst einem Motelangestellten, der nicht gerade der Hellste war, seltsam vorkommen musste. David hatte diesen Ort aufgrund seiner abgeschiedenen Lage ausgewählt, und das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war, in einer halben Stunde die hiesige Polizei auf der Matte stehen zu haben und ihr erklären zu müssen, warum er eine bewusstlose Frau mit sich herumschleppte.

Auch wenn er einen falschen Pass in der Brieftasche hatte, den selbst die modernste Polizeidienststelle nicht würde entlarven können, wäre sein vorgesetzter Offizier doch gewiss nicht erfreut darüber, die Spur eines Soldaten verwischen zu müssen, nur weil dieser an der simplen Aufgabe gescheitert war, einer Frau für wenige Stunden ein sicheres Quartier zum Schlafen zu besorgen.

David rutschte auf der Sitzbank näher an Noelle heran und zog sie in eine aufrechte Position. Sie stieß einen leichten Seufzer aus, und ihr Kopf kippte nach vorn und sackte ihm auf die Schulter. Ihr Mund drückte sich sanft gegen seinen Hals, und ihr warmer Atem strömte über seine Haut wie eine Liebkosung.

Davids Körper reagierte, wie es von einem männlichen Körper nicht anders zu erwarten war – einem Körper, der seit zwei Jahren keine Frau mehr berührt hatte. Nach seinem letzten Delta-Einsatz hatte er sich von der Welt zurückgezogen – und das voll und ganz. Seine Lust sollte nicht der Grund dafür sein, dass womöglich noch eine weitere Frau zu Schaden kam – nicht einmal, wenn diese ihm lediglich als Lustobjekt diente.

Er biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und zerlegte im Geiste sämtliche Waffen, die er jemals in der Hand gehabt hatte.

Während er die Augen geschlossen hielt, stieg ihm ein Geruchsgemisch von Erdbeershampoo und schlafender Frau in die Nase, das all seine Gedanken über den Haufen warf. Sein Körper spannte sich von dem lästigen Rausch pulsierenden Blutes, das aus seinem Gehirn in tiefere Regionen strömte.

David fluchte innerlich, während sich an seinem Haaransatz Schweißperlen bildeten.

Warum konnte es nicht ein Mann sein, den er hier retten musste? Warum musste es eine zarte, hübsche Frau sein, die roch wie der Frühling und sich ebenso warm anfühlte?

Der Motelangestellte starrte David neugierig an und legte seine Hände wie Scheuklappen an die Augen, um besser sehen zu können.

Er musste die Erwartungen des Mannes erfüllen, um dessen Misstrauen gar nicht erst zu wecken. David hatte demnach die Wahl zwischen notgeil und verirrt. Er war sich sicher, welche Rolle man ihm eher abkaufen würde.

Während David innerlich um Stärke flehte, beugte er sich zu Noelle herunter und vergrub seine Nase kühn in ihrem Nacken. Es war bei Weitem nicht das Schlimmste, was er im Laufe seiner Karriere auf sich genommen hatte, um nicht weiter aufzufallen. Noelles Haut war außergewöhnlich zart, und obwohl er das Ganze nur spielte, konnte er es sich nicht verkneifen, die Haut unterhalb ihres Ohrs sanft zu küssen.

Sie schmeckte so verführerisch wie frische Erdbeeren mit Sahne.

David unterdrückte einen derben Fluch und befahl seinen Händen, sich aus ihrem Haar zu befreien. Er hatte keine Ahnung, wie sie dorthin gelangt waren, aber das weiche, geschmeidige Gefühl ihrer roten Locken, die ihm sanft durch die Finger glitten, brannte ihm auf der Haut. Er fragte sich unwillkürlich, ob ihr Haar wohl auch an anderer Stelle so weich und feurig wäre und ob sie seinen Namen seufzen würde, wenn er mit seinen Fingern hindurchstrich.

Noelle atmete zufrieden aus und sank schwer gegen seinen Körper. Ihre goldgerahmte Brille hing ihr schräg im Gesicht, die Bügel hoffnungslos in ihrem Haar verhakt.

Mit einiger Willensanstrengung machte er sich bewusst, was er hier eigentlich tat – er nutzte die Situation schamlos aus, auch wenn er es im Grunde zu ihrem eigenen Wohl tat. Noelles Akte besagte, dass sie nicht verheiratet war, aber sie konnte ohne Weiteres einen Freund oder gar Verlobten haben. David hatte kein Recht dazu, eine Frau zu vernaschen, die höchstwahrscheinlich einem anderen gehörte – einem Mann, der sie nicht in Lebensgefahr brachte, nur weil er neben ihr im Auto saß.

Der Gedanke hatte dieselbe Wirkung, als hätte ihm jemand Eiswasser über die Hose gekippt. Er ließ von Noelle ab, rückte ihre Brille und ihren Kopf zurecht, sodass sie bequem in ihrem Sitz ruhte, und bemühte sich, sie so wenig wie möglich zu berühren.

Der Mann hinter der Scheibe grinste David lüstern an und hielt ihm zum Ansporn den gehobenen Daumen hin, während er sich sein dreckiges Unterhemd kratzte. Voller Vorfreude wartete er darauf, dass die Show im Pick-up weiterging.

David rutschte ein wenig von Noelle weg, sodass ihr Körper ihn nicht mehr berührte. Er konnte den Duft ihrer Haut immer noch riechen, aber er war sich ziemlich sicher, dass er ihn auch dann nicht vergessen würde, wenn sie sich am anderen Ende der Welt befände.

Einige gedehnte Sekunden später gelang es ihm, endlich wieder normal zu atmen und sich die weite Jacke überzustreifen, um seine Waffen darunter zu verstecken. Er stieg aus dem Wagen und schloss Noelle darin ein – zum Schutz vor ihm selbst.

***

Flackerndes Neonlicht und der Geruch von starkem Kaffee zwangen Noelles Gehirn zum Neustart. Ihr Kopf fühlte sich an wie der Hallenboden bei einem Metallica-Konzert, und ihr Mund schmeckte noch weitaus schlimmer.

Zitternd tastete sie nach dem Wasserglas, das für gewöhnlich auf ihrem Nachttisch stand, aber ihre schwere Hand hatte sich kaum gerührt, als sie auf etwas Hartes, Warmes stieß.

Aufkeimende Panik versetzte dem verbliebenen Adrenalin in ihrem Körper einen Kick, sodass es durch sie hindurchrauschte wie das Feuer einer Zündschnur. Sie schlug die Augen auf, und das spärliche Licht des Zimmers jagte ihr einen stechenden Schmerz durch den Kopf, der sie laut aufstöhnen ließ.

»Ruhig«, sagte eine leise, tiefe Stimme dicht neben ihr. Zu dicht.

Eine breite Hand schob sich in ihren Nacken und half ihr, sich ein wenig aufzurichten. Sie spürte den kühlen Rand eines Glases an ihren Lippen.

»Trinken Sie.«

Eine kalte Flüssigkeit benetzte ihre Lippen, und sie öffnete den Mund, damit sie ihr nicht übers Kinn lief.

Dann zwang sie ihre Augen, sich erneut zu öffnen und an das Neonlicht zu gewöhnen, das zwischen den schäbigen Hotelvorhängen hindurchblitzte. Jedes Aufflackern der Leuchtschrift ließ ihre Schläfen schmerzhaft pulsieren.

»Die Kopfschmerzen sollten bald nachlassen. Diese Tabletten werden Ihnen helfen.«

Harte, bittere Pillen wurden ihr in den Mund geschoben und zersetzten sich langsam auf ihrer Zunge. Als sie das Glas erneut an ihrem Mund spürte, war sie froh über den kühlen Schwall Wasser, der ihr über die Lippen quoll und die Tabletten hinunterspülte.

Das Licht der Nachttischlampe ließ sie blinzeln. Prompt veränderte der Mann seine Haltung, sodass sein Schatten auf ihr Gesicht fiel. Ohne Brille war ihr Blick unscharf, aber sie erkannte mühelos seine breiten Schultern und den kurzen, stacheligen Militärhaarschnitt, der sich vor dem Licht der Nachttischlampe scharf abzeichnete. Der Mann war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt, und sein Arm hielt immer noch das Gewicht ihrer Schultern, damit sie trinken konnte. Die glühende Wärme seiner Hand brannte sich durch alle drei Lagen ihrer Kleidung, und sie spürte die selbstverständliche Kraft, die durch seinen Arm pulsierte – die Mühelosigkeit, mit der er sie hielt.

Seltsamerweise erkannte sie seinen Geruch – eine Mischung aus Leder, Mann und Kordit. Sie war sich absolut sicher, dass er derjenige war, der sie lebend aus ihrem Haus gebracht hatte.

Im Bruchteil einer Sekunde kehrten alle Ereignisse des vergangenen Abends zurück in ihr Bewusstsein, und Noelle hatte Mühe, ihre Panik unter Kontrolle zu halten. Mit einiger Willensanstrengung zwang sie sich, logisch und rational zu denken. Wenn sie sich tatsächlich in Gefahr befand, würde sie all ihren Verstand brauchen.

Allmählich beruhigte sie sich so weit, dass sie wieder einigermaßen klar denken konnte. Sie war noch am Leben. Niemand schoss auf sie.

Noelle schluckte schwer, um ihre Stimme zu lösen. »Wer sind Sie?«, war ihre erste Frage.

»David.« Seine Stimme klang tief und leise. Sie fragte sich, ob er wohl lediglich auf ihre Kopfschmerzen Rücksicht nahm oder ob er immer so sprach, als wollte er sichergehen, dass kein anderer mithörte.

»Gut. David. Wo sind wir? Warum bin ich hier? Wer waren die Männer in meinem Haus?«

Er ignorierte ihre Fragen und bettete sie wieder auf das Kissen. Sie fühlte sich schlapp und kraftlos, ungefähr wie am dritten Tag einer Magen-Darm-Grippe. Sie hatte nicht einmal genügend Kraft, sich selbst aufzusetzen. Plötzlich breitete sich ein neues Gefühl von Panik in ihrer Magengrube aus.

David musste die Angst in ihrem Gesicht gesehen haben, denn er legte ihr beruhigend eine Hand auf die Stirn und hielt sie davon ab, sich hektisch hin und her zu werfen. »Die Kraftlosigkeit wird sich bald legen. Das ist nur die Nachwirkung des Betäubungsmittels, mit dem man Sie beschossen hat.«

»Betäubungsmittel?« Noelle erinnerte sich an den scharfen Schmerz in ihrem Arm und daran, dass sie sich irgendetwas Spitzes herausgezogen hatte. Ihr war zu dem Zeitpunkt nicht wirklich bewusst gewesen, was mit ihr geschah, doch im Nachhinein wurde ihr klar, dass man sie offenbar mit Betäubungspfeilen beschossen hatte, wie man sie in der Regel bei Tieren einsetzte.

David fuhr mit seinem Daumen beruhigend über ihre Schläfe und hob ihre Augenlider, um sich ihre Pupillen anzusehen. »Ich habe Sie untersucht und Ihnen etwas gegeben, das dem Betäubungsmittel entgegenwirkt. Die Kraftlosigkeit ist nur vorübergehend. Es wird Ihnen bald wieder gut gehen. Versprochen.«

Noelle funkelte ihn ungläubig an. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich bin oder warum diese Männer in mein Haus eingedrungen sind. Man hat auf mich geschossen. Zweimal!