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Eine atemlose Suche zwischen fesselnder Versuchung und tödlicher Gefahr.
Ein Serienmörder versetzt ganz Chicago in Angst und Schrecken: Er entführt junge Frauen und bringt sie auf grausame Weise um. Als die Reporterin Elise McBride tagelang nichts von ihrer Schwester Ashley hört, wächst ihre Sorge. Ist Ashley das nächste Opfer geworden?
Bei ihren Nachforschungen begegnet Elise dem attraktiven Ex-Cop Trent Brady, der ihr seine Hilfe anbietet. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche und kommen einander immer näher - bis Elise selbst ins Visier des Mörders gerät ...
Knisternde Spannung für Leserinnen und Leser von Shiloh Walker, Cynthia Eden und Linda Howard.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 503
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Liebe Leserinnen und Leser
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Epilog
Danksagung
Liebe Leserinnen und Leser
Die Delta-Force-Trilogie:
Blicke nicht zurück
Die Last der Schuld
Es gibt kein Entkommen
Eine atemlose Suche zwischen fesselnder Versuchung und tödlicher Gefahr.
Ein Serienmörder versetzt ganz Chicago in Angst und Schrecken: Er entführt junge Frauen und bringt sie auf grausame Weise um. Als die Reporterin Elise McBride tagelang nichts von ihrer Schwester Ashley hört, wächst ihre Sorge. Ist Ashley das nächste Opfer geworden?
Bei ihren Nachforschungen begegnet Elise dem attraktiven Ex–Cop Trent Brady, der ihr seine Hilfe anbietet. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche und kommen einander immer näher – bis Elise selbst ins Visier des Mörders gerät …
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
Shannon K. Butcher absolvierte eine Ausbildung als Wirtschaftsingenieurin. Bei der Zusammenarbeit mit ihrem Mann Jim Butcher entdeckte sie ihr eigenes Talent als Autorin. Seither schreibt sie mit großem Erfolg Liebesromane.
SHANNON K. BUTCHER
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Mrugalla und Richard Betzenbichler
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2009 by Shannon K. Butcher
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Love You to Death«
Originalverlag: Forever, Hachette Book Group USA, New York. Forever is an imprint of Grand Central Publishing.
This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2011/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Kerstin Fuchs
Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven von © Volodymyr TVERDOKHLIB/Shutterstock; Avesun/iStock/Getty Images Plus; Ensup/iStock/Getty Images Plus
eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-7517-2038-0
be-ebooks.de
lesejury.de
Dieses Buch ist allen liebenden Schwestern dieser Welt gewidmet, in erster Linie aber meiner eigenen.
dreißig Tage lang habe ich mich für „Mein auf ewig“ im Kopf eines wahnsinnigen Serienmörders aufgehalten. Eins können Sie mir glauben: Das war mehr als genug. So interessant dieser Besuch auch war, so froh bin ich, dort nicht länger verweilen zu müssen. In dieser Zeit habe ich oft über die Schulter geschaut, auf die Rückbank meines Wagens, unter mein Bett. Nur für alle Fälle.
Glücklicherweise hatte ich professionelle Hilfe bei der Erstellung des Täterprofils. Allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass es mir so viel Angst machen würde, einen Charakter in Anlehnung an verschiedene real existierende Personen und real begangene Verbrechen zu erschaffen.
Dieses Buch öffnete mir die Augen für eine Welt, über die ich mir noch nie wirklich Gedanken gemacht hatte. Natürlich wird in den Nachrichten immer wieder über Morde und Entführungen berichtet, aber diese Geschichten sind immer weit weg. Mein Buchprojekt zwang mich, mich sowohl in den Kopf des Täters als auch in den des Opfers zu versetzen. Und danach war für mich auf einmal jede Geschichte in den Nachrichten außerordentlich real – so real, dass ich Albträume bekam.
Ich war mir nicht sicher, ob es mir gelingen würde, über zwei Menschen zu schreiben, die sich in solch schwierigen Zeiten ineinander verlieben. Ich kann nur hoffen, dass es mir gelungen ist. Elise und Trent und ihre Liebe zueinander erhellen die dunklen Abschnitte dieses Buchs. Ihre Beziehung macht deutlich, wie wichtig es ist, jemanden an seiner Seite zu haben, auf den man sich verlassen kann, wenn das Leben plötzlich völlig aus den Fugen gerät.
Ich werde den Schluss von „Mein auf ewig“ an dieser Stelle nicht verraten – aber wenn Sie sich dafür entscheiden, sich in den Kopf eines Serienmörders zu begeben, kann ich Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie das Licht an, und verriegeln Sie die Tür!
Viel Spaß!
Shannon K. Butcher
In ein Haus einzubrechen war längst nicht so einfach, wie es im Fernsehen immer aussah. Elise McBride klemmte die kleine Taschenlampe zwischen die Lippen, knickte die verbogene Ecke ihrer Kreditkarte zurück und versuchte erneut, sie zwischen Tür und Türstock zu schieben. Wieder ohne Erfolg. Nur dass die Karte jetzt eine Plastikschicht weniger hatte und der Magnetstreifen zerstört war.
Klasse! Auf Reisen eine neue Kreditkarte organisieren zu müssen, war schließlich ein ganz besonderes Vergnügen.
Elise ließ den Kopf gegen die Haustür sinken. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Nachdem sie tagelang nichts von ihrer sonst so mitteilsamen Schwester gehört hatte, war sie überzeugt, dass Ashley in Schwierigkeiten steckte. Und zwar in ziemlich großen.
Ihr Instinkt sagte ihr, dass irgendetwas nicht stimmte. Sicher, Ashley neigte dazu, gelegentlich einen heißen Typen aufzugabeln, mit dem sie dann zu seltsamen Abenteuern aufbrach, bei denen es immer irgendwie um Kunst ging. Aber so lange war sie noch nie verschwunden gewesen.
Elise hatte im Lauf der letzten Tage bestimmt ein Dutzend Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ihrer Schwester hinterlassen. Aber Ashley hatte sie nie zurückgerufen.
Bei der Polizei hatte man ihr versprochen, sie würden jemanden bei Ashleys Haus vorbeischicken. Aber was war, wenn sie das vergaßen? Oder wenn sie Elise einfach angelogen hatten, um sie loszuwerden? Wenn ihre Schwester verletzt oder bewusstlos im Haus lag? Wenn sie das Gedächtnis verloren hatte und sich irgendwo in irgendeinem Krankenhaus aufhielt, unfähig, jemanden anzurufen, weil sie nicht mehr wusste, wer sie war? Wenn sie mit dem Wagen in einen Graben gerutscht war, darin feststeckte und noch niemand sie gefunden hatte?
Hör auf! Reiß dich zusammen! Diese Litanei, was alles passiert sein konnte – Elise klang ja schon wie ihre Mutter! Nach deren Überzeugung starb man typischerweise in einem Graben, bekleidet mit schmutziger Unterwäsche, nachdem man von Jungs überfallen worden war, die immer nur das Eine wollten.
Ashley ging es gut! Es musste ihr einfach gut gehen! Elise brauchte bloß herauszufinden, wo sie diesmal steckte, und die Antwort auf diese Frage ließ sich mit Sicherheit in dem winzigen Haus ihrer Schwester finden.
Kurz überlegte Elise, ob sie ein Fenster einschlagen sollte, aber es war bereits drei Uhr nachts. Haven, Illinois, war eine ruhige Kleinstadt, und Elise fürchtete, die Nachbarn könnten die Polizei rufen, wenn sie Glas klirren hörten. Und sie konnte schließlich nicht riskieren, wegen Einbruchs verhaftet zu werden, wenn ihre Schwester in Schwierigkeiten steckte.
Vielleicht hatte Ashley irgendwo einen Schlüssel versteckt; schließlich vergaß oder verlor sie dauernd irgendetwas. Nachdem sie jahrelang von ihrer Familie verhätschelt worden war, musste sie jetzt allein mit ihrer Nachlässigkeit und Gedankenlosigkeit zurechtkommen – wie zum Beispiel damit, dass sie dauernd ihren Schlüssel verlegte. Angeblich war ihr das ganz gut gelungen. Sie hatte Elise immer wieder versichert, dass sie keinen Aufpasser brauchte – egal, wie viele Sorgen ihre große Schwester sich machte.
Und Elise machte sich jeden Tag aufs Neue Sorgen. Sie sorgte sich darum, dass Ashley sich so sehr in ihrer Malerei verlieren könnte, dass sie zu essen vergaß. Sie sorgte sich darum, dass Ashley beim Fahren einen Vogel entdecken könnte, den sie malen wollte, ihm hinterherschauen und gegen einen Baum rasen würde. Sie sorgte sich darum, dass Ashley irgendwann den falschen Mann mit nach Hause nehmen und ihm – statt ein vergnügliches Wochenende mit ihm zu verbringen – zum Opfer fallen würde.
Ashley vertraute Männern viel zu sehr, ließ sich viel zu leicht von einem freundlichen Lächeln und einem selbstbewussten Augenzwinkern einwickeln. Eines Tages würde sie deswegen noch in Schwierigkeiten geraten.
Wenn nicht genau das bereits passiert war.
Um das herauszufinden, musste Elise unbedingt ins Haus kommen.
Die Veranda war übersät mit Rasenschmuck und Blumentöpfen, aber das alles wirkte fehl am Platz, leblos. Ein Dutzend Windspiele hing von der Decke. Elise wäre es nur recht gewesen, wenn ein Lüftchen aufgekommen wäre und sie alle Geräusche überdeckt hätten, die sie selbst vermutlich verursachen würde. Direkt neben der Tür stand in einem schmiedeeisernen Gestell eine mundgeblasene Kugel. Der Boden war aus Mosaikfliesen gefertigt, die einen stilisierten Pfau darstellten – zweifellos Ashleys Entwurf.
Elise kippte das Gestell leicht zur Seite und leuchtete mit der Taschenlampe darunter. Kein Schlüssel. Sie suchte unter den Blumentöpfen, den Froschskulpturen, den Gartenzwergen. Nicht mal unter der Türmatte wurde sie fündig. Sie ließ den Strahl der Taschenlampe über die Veranda und die im Licht glitzernden Windspiele gleiten.
Elise spürte, wie ihre Panik und ihr Frust wuchsen. Kalter Schweiß rann ihr über den Rücken, und sie begann in der kühlen Mailuft zu zittern.
Sie würde doch ein Fenster einschlagen müssen. Eine andere Lösung gab es nicht; sie konnte schließlich nicht ewig hier draußen rumstehen. Möglicherweise befand sich die Antwort auf die Frage, wohin ihre Schwester verschwunden war, ja im Haus.
Elise steckte sich die Taschenlampe wieder zwischen die Zähne und zog die Jacke aus. Wenn sie sich die um die Hand wickelte, dämpfte das vielleicht ein wenig das Geräusch. Ansonsten konnte sie nur hoffen, dass die Nachbarn alle im Tiefschlaf lagen.
Während sie die Jacke auszog, legte sie den Kopf ein wenig zurück, und dabei fiel ihr Blick zufällig auf die Silhouette eines Schlüssels. Elise richtete den Lichtstrahl der Taschenlampe auf das Windspiel neben der Tür. Es war aus kleineren Haushaltsgegenständen gefertigt, einem stumpfen Messer, einem Dosenöffner, einem Schlüssel, mehreren bunten Glasscherben und Draht. Das Ganze war mit farbigen Spiralen bemalt, die Elise sofort als das Werk ihrer Schwester erkannte. Sogar der Schlüssel war angemalt.
Ashley würde doch wohl kaum so blöd sein, den Haustürschlüssel gut sichtbar dort hinzuhängen? Nein, es musste sich um einen alten Schlüssel handeln.
Andererseits – so war Ashley nun mal. Wenn der Schlüssel gerade herumgelegen hatte, als die Kreativität sie packte, würde sie keine Sekunde gezögert haben, ihn mit einzuarbeiten.
Vorsichtig, um ja keinen Lärm zu verursachen, packte Elise das Windspiel und nahm es vom Haken. Sie löste den Schlüssel heraus und steckte ihn ins Schloss. Er glitt problemlos hinein und ließ sich genauso problemlos umdrehen.
Elise öffnete die Haustür, zögerte dann aber, den ersten Schritt zu machen. Wenn es ihr nicht gelang, ihre Schwester zu finden, lag das jetzt nur noch an ihr – nicht mehr an einer verschlossenen Tür.
Ein Teil von ihr fürchtete, es könne ihr nicht gelingen, Ashley zu finden. Der andere Teil fürchtete genau das Gegenteil: dass sie sie finden würde, aber zu spät.
Stell dir einfach vor, du hättest keine Angst! So verfuhr sie immer, wenn es bei einer Reportage, an der sie arbeitete, gefährlich wurde. Dann drückte sie das Kreuz durch, tat so, als sei ihr nicht mulmig, als würde sie nicht vor Angst zittern, und machte einfach weiter. Als freiberufliche Journalistin hatte sie nur die Wahl zwischen Weitermachen oder Verhungern – also machte sie weiter. Nur dass diesmal deutlich mehr auf dem Spiel stand. Ihre niedliche, viel zu vertrauensselige Schwester brauchte sie, und sie konnte sie nicht im Stich lassen.
Elise trat ein.
Trent Bradys flatterhafte Nachbarin hatte offenbar mal wieder die Stadt verlassen, und dennoch schlich jemand in ihrem Haus herum. Um drei Uhr morgens.
Sein Polizisteninstinkt, den er seit zwei Jahren abzutöten versucht hatte, erwachte mit aller Macht wieder zum Leben. Er griff nach seiner Waffe. Nur dass natürlich kein Holster mitsamt Waffe an seiner Hüfte hing – oder jemals wieder dort hängen würde. Aber den reflexartigen Griff an die Hüfte hatte er sich bisher einfach nicht abgewöhnen können.
Trent legte die Schlaftablette zur Seite, die er gerade hatte nehmen wollen. Sie würde ihm sowieso nicht helfen. Das taten die Dinger nie.
Durch sein Küchenfenster beobachtete er, wie der Einbrecher ungeschickt den Strahl der Taschenlampe mal hierhin und mal dorthin lenkte. Wer auch immer derjenige war, er war auf jeden Fall ein Anfänger. Der Statur nach zu urteilen, war er auch noch ziemlich jung – also gerade im richtigen Alter, um ihm eine Lektion zu erteilen.
Trents Mund verzog sich zu einem Lächeln. Schon lange hatte er nicht mehr das Vergnügen gehabt, einem Jugendlichen eine Lektion zu erteilen. Er hatte beinahe schon vergessen, wie viel Spaß ihm das immer gemacht hatte. Beinahe.
Innerhalb von Sekunden war er in seine Jeans und seine grasfleckigen Schuhe geschlüpft. Er war schon aus der Tür, als ihm einfiel, dass er gar nicht die Polizei angerufen hatte. In seiner Aufregung hatte er ganz vergessen, dass er weder die Pflichten noch die Rechte eines Polizisten hatte.
Trent ging wieder ins Haus, rief rasch seinen Kumpel bei der Polizei von Haven an, weigerte sich aber zu warten, bis dieser kam. Die kleine Ashley McBride war ein nettes Mädel, auch wenn sie meist nicht mal wusste, welcher Wochentag gerade war. Er würde nicht zulassen, dass irgendein Ganove ihr Haus verwüstete.
Dass der Ganove – im Gegensatz zu Trent – vielleicht eine Waffe hatte, konnte ihn auch nicht bremsen. Vielleicht sollte er sich mal ein paar Gedanken darüber machen, was er da tat, doch das verschob er auf später. Sehr viel später. Sein Leben war so schon beschissen genug, da musste er es nicht auch noch mit jeder Menge Psychogelaber überfrachten.
Er lief über die Straße und schlich sich leise auf die Veranda. Die Eingangstür war zu. Er drehte vorsichtig den Türknauf. Die Tür war nicht zugesperrt.
Anfänger!
Trent betrat vorsichtig das Haus und lauschte, wo sich der Eindringling aufhielt. Ashleys Haus war ein einziges Künstlerchaos. Überall standen Leinwände herum, und jede ebene Fläche war mit Lappen, Farbtöpfen, Pinseln oder Papier bedeckt. In ihrem Wohnzimmer standen mehr Möbel als bei ihm im ganzen Haus, und dazwischen blieb nur wenig Platz, um sich hindurchzuschlängeln.
Das gesamte Viertel war während des Baubooms nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Ashleys Haus hatte den gleichen Grundriss wie seins, sodass er sich trotz der Dunkelheit recht gut zurechtfand.
Aus dem Schlafzimmer kam ein Geräusch, als würde dort jemand herumwühlen.
Ein Adrenalinstoß ließ Trents Herz schneller schlagen. Von einer Sekunde auf die andere waren alle seine Sinne geschärft, und er fühlte sich stark und kräftig. Die Reaktion war so heftig, dass ihm fast schon ein wenig schwindelig wurde, und ihm wurde bewusst, dass der Adrenalinjunkie in ihm schon viel zu lange auf seine Droge hatte verzichten müssen.
Durch die Wohnzimmerfenster fiel ein wenig Licht von den Straßenlaternen herein. Außerdem hatten sich seine Augen inzwischen einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt. Langsam schlich er auf das Zimmer zu, aus dem die Geräusche gekommen waren.
Plötzlich hörte er einen dumpfen Schlag, gefolgt von einem leisen Schmerzenslaut. Als Trent sich ins Zimmer schob, erhob sich der Einbrecher gerade aus der Hocke.
Er war nur knapp einen Meter von Trent entfernt, und Trent reagierte ganz instinktiv: Er packte den Teenager, schleuderte ihn gegen die Tür, bog ihm die Arme nach oben und lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen ihn. Falls der Einbrecher eine Waffe hatte, blieb ihm so keine Chance mehr, nach ihr zu greifen.
Der Teenager stieß einen hohen Angstschrei aus, der sogleich wieder erstarb, als würde ihm die Luft wegbleiben. Verzweifelt setzte er sich gegen Trents Griff zur Wehr, aber seine Kräfte reichten nicht aus. Allerdings pressten sich bei dem Gerangel seine Brüste gegen Trents nackten Oberkörper.
Brüste? Einen Moment lang war Trent vor Schock wie gelähmt. Der Einbrecher war kein Teenager. Der Einbrecher war eine Frau. Nicht, dass das irgendetwas geändert hätte. Gegen das Gesetz verstieß sie trotzdem.
Sie nutzte seine kurzzeitige Verwirrung, um die eine Hand seinem Griff zu entziehen und ihm einen Faustschlag gegen den Kopf zu versetzen. Der Schlag dröhnte durch seinen Schädel, hielt ihn aber nicht auf. Er fing ihre Hand wieder ein und lehnte sich so schwer gegen sie, dass ihre Rippen knackten.
Sie riss das Knie hoch, aber er stand zu nah, als dass sie richtig hätte Schwung holen und ihn kraftvoll treffen können. Ihr Knie glitt an seinem Oberschenkel ab, aber er wollte trotzdem nicht riskieren, dass sie es noch mal versuchte und vielleicht doch noch einen Treffer landete.
Er wirbelte sie herum, verdrehte ihr die Arme hinter dem Rücken und lehnte sich wieder schwer gegen sie. Sie versuchte, ihm den Hinterkopf ins Gesicht zu rammen, aber ihr Scheitel reichte nur bis zu seinem Kinn, sodass sie nur sein Schlüsselbein traf. Ihr helles Haar war zu einem Knoten hochgesteckt, was den Stoß zusätzlich abmilderte. Vermutlich würde es nicht mal einen blauen Fleck geben.
Eins musste er ihr lassen: Sie gab nicht leicht auf. Obwohl sie eindeutig die Unterlegene war und offensichtlich weder eine Waffe noch einen Komplizen hatte, kämpfte sie weiter.
Sie trat ihm so kräftig auf die Zehen, dass ihm der Schmerz bis in den Oberschenkel hinaufschoss.
„Nicht besonders klug“, sagte er und drückte ihre Arme weiter nach oben, wodurch ein derartiger Zug auf ihre Schultergelenke entstand, dass auch ein erwachsener Mann laut aufgeschrien hätte.
Der Schmerzenslaut, den sie von sich gab, war so weiblich, dass Trent sich wie das letzte Arschloch vorkam, weil er ihr so wehtat. Dabei hätte sie sicher nicht erst groß überlegt, wenn sie die Chance bekommen hätte, ihm wehzutun.
Er verminderte den Druck ein wenig, was nur bewies, wie lasch er in den letzten beiden Jahren geworden war. Lasch und nutzlos.
„Lassen Sie mich los!“, befahl sie. Doch sie war zu atemlos, um wirklich überzeugend zu klingen.
„Keine Chance! Wer sind Sie, und was tun Sie hier?“
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen! Was tun Sie im Haus meiner Schwester?“
„Schwester?“ Oh verdammt! Das war ganz und gar nicht gut.
Trent drehte sie um – diesmal deutlich sanfter – und sah ihr ins Gesicht. Es war zu dunkel, um viel zu erkennen, aber im Licht der Taschenlampe, die sie hatte fallen lassen, konnte er ihre Gesichtszüge zumindest schemenhaft ausmachen. Ihre Lippen waren nicht so voll wie Ashleys, aber Kinn und Nase waren genauso fein geschnitten und ihr Haar genauso hell.
„Wie heißen Sie?“, fragte er, um sicherzugehen.
„Elise McBride.“
Trent kannte diesen Namen. Ashley hatte oft genug von der heiß geliebten Elise gesprochen. Er ließ sie so abrupt los, als wären ihr plötzlich Stacheln gewachsen. „Es tut mir schrecklich leid“, versicherte er ihr rasch. „Ich bin Ashleys Nachbar, und ich dachte, Sie wären ein Einbrecher. Habe ich Ihnen wehgetan?“
Sie ließ sich gegen die Tür sinken und rieb sich die rechte Schulter. Ihr Atem ging viel zu schnell. „Alles in Ordnung. Die Nachbarschaftswache funktioniert hier ja verdammt gut!“
So konnte man das natürlich auch sehen. Tatsache war, dass er das hier ganz schön vermasselt hatte. Und die Sirene, die jetzt in der Ferne zu hören war, machte die Sache auch nicht besser. In ein paar Minuten würde seine Schmach ihren Höhepunkt finden.
Elise konnte nicht aufhören zu zittern. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, sie würde das Gleiche erleben, was ihrer Schwester zugestoßen sein musste. Sie war überzeugt gewesen, sie müsse sterben, überzeugt, dass der Mann, der sie völlig wehrlos gemacht hatte, sie töten würde.
Und es hatte nichts gegeben, womit sie ihn hätte aufhalten können.
Mit einem Mal erschien ihr Ashleys Verschwinden noch viel unheilvoller. In jenem kurzen Moment völliger Hilflosigkeit war Elises Hoffnung, ihre Schwester gesund und munter wiederzufinden, schlagartig erloschen. Sie belog sich nur selbst, wenn sie in solchen Fantasien schwelgte.
Schreckliche Dinge passierten nun mal. Und das Rumoren in ihrem Bauch war ein untrügliches Zeichen dafür, dass Ashley etwas Schreckliches zugestoßen war.
Sie zitterte am ganzen Körper, und auch das Atmen fiel ihr nach wie vor schwer. Ihre Lungen fühlten sich richtiggehend nutzlos an. Das Adrenalin baute sich allmählich ab, und sie war nur noch ein einziges Häufchen Elend.
Das Geräusch der Sirene kam näher. Eigentlich war Elise noch überhaupt nicht danach, der Polizei gegenüberzutreten. Sie musste sich unbedingt zusammenreißen, schließlich wollte sie die Polizei dazu bringen, ihr bei der Suche nach Ashley zu helfen. Wenn sie wie ein verwelktes Mauerblümchen aussah, war das nicht unbedingt hilfreich.
Elise drückte den Rücken durch, der ihr beinahe genauso schlimm wehtat wie ihr Hinterkopf. Dieser Typ war wirklich aus hartem Holz geschnitzt. Sie hätte sich beinahe den Schädel eingeschlagen, als sie ihm damit einen Stoß versetzt hatte.
Was nicht zu den klügsten Dingen gehörte, die sie je getan hatte.
„Setzen Sie sich doch einen Moment hin“, sagte er und deutete auf Ashleys Bett. „Sie wirken ganz schön mitgenommen.“ Elise ließ sich auf das Bett fallen, froh, eine Stütze für ihre zitternden Beine zu finden. „Wer sind Sie?“, fragte sie ihn.
„Trent Brady. Ich wohne gegenüber.“
Der Name kam ihr bekannt vor. „Aha! Sie sind also Ashleys ‚scharfer Gärtner‘.“ Ashley hatte so oft von ihm gesprochen, dass Elise sich schon gefragt hatte, ob er nur ihrer Fantasie entsprungen sei. Männer, die so hilfsbereit waren und keine Gegenleistung erwarteten, gab es einfach nicht.
„Oh! Ja, ich mähe ihren Rasen.“
„Und Sie reparieren ihr Auto, beseitigen Wespennester und flicken zerbrochene Mülltonnen wieder zusammen. Sie redet ununterbrochen von Ihnen.“
Verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen, als sei ihm das peinlich. „Ashley redet viel, wenn der Tag lang ist.“
Elise konnte im Dunklen nicht viel erkennen, aber als Trent sich gegen sie gepresst hatte, hatte sie genug von seinem Körper spüren können, um zu wissen, dass der Mann in Bestform war. Er war hilfsbereit, und bescheiden war er offensichtlich auch.
Ein Wunder, dass Ashley sich nicht schon mindestens dreimal in ihn verliebt hatte, seit sie dort wohnte. Aber sie hatte immer behauptet, er sei nicht ihr Typ. Vielleicht war er schwul?
Er streckte die Hand nach dem Lichtschalter aus.
„Die Mühe können Sie sich sparen. Ich hab’s schon versucht. Die Sicherung muss rausgeflogen sein.“
„Ich kümmere mich darum, sobald die Polizei hier ist.“
Elise seufzte. Sie fürchtete sich vor dem, was jetzt auf sie zukam. „Mit der Polizei wollte ich sowieso noch reden. Warum also nicht gleich jetzt?“
„Worüber wollten Sie mit der Polizei reden?“, fragte er misstrauisch.
„Darüber, dass meine Schwester verschwunden ist. Und darüber, was die Polizei deswegen zu tun gedenkt.“
Elise empfing den Polizisten an der Haustür. Er war etwa fünfzig, sein kurz geschnittenes Haar war ergraut, genau wie sein Schnurrbart. Obwohl er keine Uniform trug, fuhr er einen Wagen mit dem Emblem des Polizeireviers von Haven.
Er musterte sie einmal kurz, dann wanderte sein Blick über ihre Schulter hinweg zu dem Mann, der direkt hinter ihr stand. „Guten Morgen, Trent“, sagte er. „Verrätst du mir, was hier los ist?“
„Tut mir leid, Bob, falscher Alarm! Ich habe sie für einen Einbrecher gehalten.“
Officer Tindle ließ die Mundwinkel hängen und sah Elise an. „Und – sind Sie eingebrochen?“
„Nein. Das Haus gehört meiner Schwester. Ich habe einen Schlüssel.“ Was nicht direkt gelogen war, auch wenn es nicht genau wiedergab, was sich abgespielt hatte.
„Gut. Für Papierkram ist es noch viel zu früh am Morgen. Und für Ärger ebenfalls. Wie heißen Sie, Ma’am?“
„Elise McBride. Ich bin Ashleys Schwester.“
„Ach ja. Sie sind diejenige, die ihre Schwester als vermisst gemeldet hat.“
„Ja, Sir. Genau deshalb bin ich hier. Um Ashley zu finden. Ich hoffe, Sie können mir helfen.“
Die Leute in den Häusern um sie herum waren von der Polizeisirene wach geworden und starrten jetzt aus ihren erleuchteten Fenstern.
Der Polizist stieß einen Seufzer aus, der tief aus seiner breiten Brust zu kommen schien. „Na los, Kinder, gehen wir nach drinnen. Wir wollen doch hier auf der Veranda keine Szene machen.“
Elise trat zur Seite, um den Polizisten hereinzulassen. Dabei strich sie aus Versehen mit dem Arm über Trents nackte Brust. Erst als sie die Hitze spürte, die seine Haut abstrahlte, wurde ihr bewusst, wie kalt ihr war. Verdammte Nerven!
Trent wich aus, und sofort war alle Wärme verschwunden. Der Polizist schloss die Tür hinter sich.
„Warum ist es hier so dunkel?“, fragte er.
„Eine Sicherung ist rausgeflogen“, entgegnete Trent. „Das passiert dauernd. Ich kümmere mich drum.“ Er durchquerte das Zimmer, als würde er hier wohnen, und verschwand auf der Treppe nach unten.
Kurz fragte Elise sich, wie nah er und Ashley sich wohl wirklich standen. Immerhin wusste er, dass es ihre Sicherungen öfter mal raushaute und auch, wo sich der Sicherungskasten befand. Ihre Schwester hatte ihr von ihren Freunden erzählt – in allen Einzelheiten, auch wenn Elise darüber nicht gerade begeistert war. Aber Trent war immer nur der „scharfe Gärtner“ gewesen.
„Nun, Miss McBride! Erzählen Sie doch mal, wieso Sie um drei Uhr in der Früh hier aufgekreuzt sind.“
Elise zuckte mit den Schultern. „Ich bin nach Chicago geflogen, habe mir einen Mietwagen genommen und bin hierher gefahren. Das hat seine Zeit gedauert.“
„Von wo sind Sie gekommen?“
Plötzlich floss der Strom wieder, und die Lampe badete sie in hellem Licht. In der Küche begann irgendein Gerät zu piepsen. Der Deckenventilator im Wohnzimmer setzte sich gemächlich in Bewegung.
Die plötzliche Helligkeit ließ Elise blinzeln. „Aus Hongkong.“
Er zog die buschigen Augenbrauen hoch. „Das ist ein ganz schön weiter Weg. Leben Sie dort?“
Elise entdeckte ihr Spiegelbild in einem der Fenster und erschrak beim Anblick ihres Haarknotens, der sich bereits halb aufgelöst hatte. Sie war schon seit Stunden unterwegs, und das sah man ihrer Frisur deutlich an.
Elise zog die Nadeln aus den Locken und strich sich mit den Fingern durchs Haar. „Manchmal. Ich bin Journalistin. Ich habe an einer Reportage gearbeitet.“
Kaum hatte sie das Wort „Journalistin“ ausgesprochen, zuckte Officer Tindle zusammen. „Sie wollen hier doch wohl keinen Ärger machen?“
Elise wusste genau, was er damit sagen wollte, aber sie tat so, als hätte sie keine Ahnung. „Ärger? Was meinen Sie damit?“
„Damit meine ich, dass Sie Geschichten über Frauen schreiben, die in Haven verschwunden sind.“
„Eine Frau ist verschwunden. Das ist doch wohl eine Meldung wert, finden Sie nicht auch?“ Er brauchte nicht zu wissen, dass sie normalerweise nicht über so was schrieb. Meistens verfasste sie Reportagen über Entwicklungen im Außenhandel, manchmal auch Glossen, Letztere allerdings mehr zum Spaß, weil sie kaum Geld dafür bekam. Sollte er ruhig glauben, dass sie die schmutzige Wäsche der Stadt in aller Öffentlichkeit waschen würde. Vielleicht würde er sich dann ein bisschen kooperativer zeigen.
„Wir wissen nicht, ob sie verschwunden ist“, sagte Trent, der gerade die Treppe hochkam. „Ashley verduftet öfter mal für ein paar Tage.“
Elise drehte sich um, um ihn zusammenzustauchen, weil er so abschätzig von ihrer Schwester sprach, doch bei seinem Anblick verschlug es ihr die Sprache. Der scharfe Gärtner war mehr als nur scharf. Er war absolut umwerfend.
Er trug kein Hemd, und das war nur gut so, denn diesen Oberkörper zu verhüllen, wäre ein Verbrechen gewesen. Straffe, sonnengebräunte Haut umschmeichelte gut trainierte Muskeln. Seine Schultern waren breit und kräftig, seine Arme fest und lang. Jedes Mal, wenn er atmete, hob und senkte sich gleichmäßig sein mächtiger Brustkorb. Und das Schönste daran war, dass er nichts davon bewusst zur Schau stellte: Weder hatte er seine Körperbehaarung abrasiert noch sich eingeölt oder gar mit Bräunungsmittel eingesprüht. Sein Haar müsste eigentlich dringend mal wieder geschnitten werden.
Er gab sich keine Mühe, gut auszusehen. Er war einfach ein gut aussehender Mann.
„Himmelherrgott noch mal!“, murmelte der Polizist. „Könntest du dir vielleicht ein Hemd anziehen? Gegen dich sehen wir Normalsterblichen ja total alt aus.“
„Gleich“, erwiderte Trent. Er musterte Elise von oben bis unten, sodass sie sich wünschte, sie hätte eine Haarbürste zur Hand. „Ich glaube, die Lady wollte gerade etwas sagen.“
Oh ja, das wollte sie! Elise konnte sich nur nicht mehr erinnern, was, also wandte sie die Augen von Trent ab und versuchte, sich zu konzentrieren.
„Trent hat recht, Miss McBride! Nachdem Sie ihre Schwester als vermisst gemeldet hatten, haben sich zwei meiner Kollegen mit der Sache beschäftigt. Sie haben die Nachbarn befragt, und alle haben das Gleiche gesagt: Ashley ist manchmal tagelang verschwunden. Das ist nichts Ungewöhnliches.“
„Das schon. Aber sie bleibt nie so lange weg, ohne mit mir zu telefonieren.“
„Vielleicht ist ihr Telefon kaputt“, sagte Trent. „Oder sie hat nur noch wenige Freiminuten.“
Elise hatte nicht vor, sich von seinem guten Aussehen einschüchtern zu lassen. Vorsichtshalber hielt sie den Blick jedoch auf sein Gesicht gerichtet. Was nicht unbedingt half, da es aus einer Zusammenstellung der faszinierendsten männlichen Gesichtszüge zu bestehen schien und kaum weniger attraktiv war als der Rest von ihm. Dennoch gelang es ihr, bei der Sache zu bleiben. „Ashley hält es nicht aus, auch nur einen Tag nicht mit mir zu reden. Sie erzählt mir alles. Notfalls hätte sie sich ein Telefon geliehen oder mich aus einer Telefonzelle per R-Gespräch angerufen. Ich sage Ihnen, da stimmt was nicht! Ihren Nachbarn mag das ganz normal vorkommen, aber das ist es nicht. Wenn das normal wäre, hätte ich nicht alles stehen und liegen lassen und wäre um die halbe Welt geflogen, um herauszufinden, was los ist.“
Trents blaue Augen blitzten interessiert auf. „Wann haben Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen?“
„Freitagnachmittag.“
„Trent“, sagte Officer Tindle warnend. „Wenn du in dieser Sache was unternehmen willst – nun, du weißt ja, dass da noch ein Job auf dich wartet. Aber solange du keine Marke trägst, hältst du dich da raus!“
„Da haben wir doch schon drüber geredet“, entgegnete Trent, und es klang fast wie ein Knurren. „Ich bin kein Cop mehr.“
„Dann geh nach Hause und kümmere dich um deinen eigenen Kram.“
„Na gut.“ Trents Lippen wurden schmal. „Bin schon weg.“
Er ging mit geballten Fäusten an ihnen vorbei. Seine Rückenmuskulatur war angespannt, und es gelang Elise nicht, den Blick abzuwenden. Der Hintern dieses Mannes war wie ein Magnet, dem sich ihre Augen einfach nicht entziehen konnten. Nicht, dass ihr der Anblick unangenehm gewesen wäre.
Sie hatte keine Ahnung, was zwischen diesen beiden Männern ablief, und es war ihr auch egal. Sie wollte nur eins: Ashley finden. Wenn der Polizist meinte, Trent sei dabei im Weg, würde sie ihn gern ziehen lassen.
Selbst auf die Gefahr hin, diesen magnetischen Hintern nie mehr wiederzusehen.
Noch nie in seinem Leben hatte Trent solche Entzugserscheinungen gehabt. Anders konnte man es wirklich nicht nennen. Alles in ihm lechzte danach, sich auf die Sache zu stürzen. Er wollte hören, was Elise Bob erzählte, und seine Meinung dazu äußern. Er wollte bei der Untersuchung dabei sein, wollte helfen, Ashley zu finden. Er wollte endlich wieder etwas Sinnvolleres tun, als Löcher zu graben und Rasen zu mähen.
Zu schade, dass es keine Rolle mehr spielte, was er wollte.
Dass Bob ihn an die freie Stelle bei der Polizei von Haven erinnert hatte, war ein gemeiner Trick, und das war Bob mit Sicherheit auch bewusst.
Inzwischen war fast eine Stunde vergangen, und die meisten Nachbarn hatten sich wieder schlafen gelegt. Die Häuser lagen im Dunkel, genau wie Trents. Nur dass die Nachbarn – im Gegensatz zu Trent – die angenehme Wärme ihres Betts genossen. Zumindest stellte Trent sich das so vor, während er aus seinem Küchenfenster starrte und irgendetwas zu erhaschen versuchte, was ihm Aufschluss über die Ereignisse im Haus gegenüber gab.
Klar – vermutlich hatte Ashley sich mal wieder mit irgendeiner Zufallsbekanntschaft eingelassen und war in ein langes Wochenende abgeschwirrt. Aber wenn er sich nun irrte? Wenn sie wirklich in Schwierigkeiten steckte?
Das ging ihn nichts an. Er war kein Polizist mehr. Freund und Helfer, diesen Job erledigten jetzt andere. Er brauchte dringend noch ein bisschen Schlaf, bevor er am Morgen die Sprinkleranlage installierte. Gräben ausheben – das war jetzt sein Job.
Immerhin war er durch die Arbeit so muskulös geworden, dass er die Aufmerksamkeit von Frauen erregte. Das war mit Sicherheit einer der Vorteile von körperlicher Arbeit. Vor allem, wenn die Frau, deren Aufmerksamkeit er erregte, an der richtigen Stelle die richtigen Rundungen hatte. Ashley war zaundürr und die meiste Zeit mit Farbe bekleckert. Wenn er sie sah, musste er immer an Grundschulkinder und Schmetterlinge denken. Ihre Schwester dagegen war außerordentlich weiblich. Nicht sehr groß, aber wohlproportioniert. Besonders an einigen Stellen …
Er konnte noch immer ihren Busen an seiner Brust spüren. Silikon war da nicht im Spiel gewesen.
Als ob das irgendeine Bedeutung hätte! Er würde sich auf nichts einlassen. Nicht auf das, was eventuell mit Ashley passiert war, und schon gar nicht auf ihre Schwester.
Gegenüber stieg Bob Tindle gerade wieder in seinen Wagen und fuhr los.
Trent krallte sich an der Arbeitsplatte fest, um nicht in Versuchung zu geraten, bei Ashley anzurufen und herauszufinden, worüber Elise und Bob geredet hatten.
Das ging ihn nichts an.
Warum zum Teufel konnte er sich dann nicht vom Fenster lösen und den Versuch unternehmen, vor der Arbeit noch ein paar Stunden zu schlafen?
Eine Minute später trat Elise aus dem Haus, sperrte die Tür ab und ging zu ihrem Wagen.
Trent war schon halb über die Straße, bis ihm bewusst wurde, was er tat.
Elise sah ihn kommen und blieb an der Tür ihres Mietwagens stehen. „Was wollen Sie?“
„Was hat Bob gesagt?“
Sie betrachtete seinen nackten Oberkörper und zog genervt eine Augenbraue hoch. „Fragen Sie ihn doch selbst!“
„Er wird es mir nicht sagen. Er findet, das geht mich nichts an.“
„Und warum sollte ich es Ihnen dann sagen?“ Sie schob eine Strähne ihres blonden Haars hinter das Ohr. Die wilden Locken waren jetzt sorgfältig gebürstet und fielen wie seidige Wellen über ihre Schultern.
„Weil ich Ihnen vielleicht helfen kann.“
Sie warf ihm einen Blick zu. Ausgerechnet Sie? „Und wie?“, erwiderte sie. „Ich brauche niemanden, der irgendwelche Fitnessgeräte vorführt.“
Trent biss die Zähne zusammen, um die bissige Bemerkung zu unterdrücken, die ihm auf der Zunge lag. Es war schon so grauenhaft genug, völlig nutzlos zu sein, aber das auch noch von Elise bestätigt zu bekommen, frustrierte ihn maßlos. „Ich war früher Polizist.“
„Früher?“
„Ja.“
„Und jetzt sind Sie es nicht mehr?“, hakte sie nach, und sie klang dabei ziemlich argwöhnisch.
„Ja.“
„Warum nicht?“
Darüber würde er mit ihr nicht sprechen. Nicht in einer Million Jahre. „Lange Geschichte.“
„Dann eben ein andermal.“ Sie öffnete die Wagentür.
Trent musste sie unbedingt aufhalten. Er hatte keine Ahnung, warum ihm die ganze Sache so naheging, aber so war es nun mal. Vielleicht lag es an dem Adrenalinstoß, den er ihretwegen vorhin bekommen hatte. Er wollte mehr. Wenn sie jetzt einfach ging, war er draußen aus der Sache.
„Warten Sie!“, sagte er und packte sie am Arm. „Wohin wollen Sie?“
Sie trug eine kurzärmelige Bluse, und so berührten seine Finger ihre seidenweiche Haut. Ihre Muskeln hingegen fühlten sich fest und kräftig an. Er musste sich zwingen, nicht mit dem Daumen über ihre Haut zu streichen, um sie noch besser spüren zu können.
„Ashleys Wagen suchen.“
„Es ist schon spät.“
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Nicht in Hongkong. Meine innere Uhr ist noch auf die dortige Zeit eingestellt. Ich kann jetzt nicht schlafen.“
„Hongkong?“
„Da hatte ich gerade beruflich zu tun, als Ashley verschwunden ist.“
Sie war den ganzen weiten Weg hierher geflogen, um nach ihrer Schwester zu sehen? Sie musste sich wirklich Sorgen machen.
„Lassen Sie mich mitkommen“, platzte er heraus, ohne erst darüber nachzudenken. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich.
Sie starrte bedeutungsvoll auf seine Finger, die noch immer ihren Arm umklammerten. Trent ließ los, konnte es sich aber nicht verkneifen, dabei mit den Fingerspitzen die zarte Haut auf der Innenseite ihres Arms entlangzugleiten. Ein mieser Trick, aber durchaus den Versuch wert. Schon lange hatte er nicht mehr etwas so Weiches wie Elise McBrides Haut berührt.
„Haven ist ziemlich klein. Das schaffe ich auch allein.“
„Im Vergleich zu Hongkong vielleicht. Aber so klein, wie die Stadt auf den ersten Blick wirkt, ist sie nicht. Sie werden sich verfahren.“
Elise zuckte mit den Schultern. „Ashley hat mir von all ihren Lieblingsplätzen erzählt. Und ich bin durchaus in der Lage, nach dem Weg zu fragen.“
Trent ignorierte den Seitenhieb. „Um vier Uhr in der Früh? Sobald Sie von der Interstate runter sind, werden Sie kaum noch eine offene Tankstelle finden.“
Sie starrte ihn viel zu lange an. „Wieso sollte ich Sie mitnehmen?“, fragte sie schließlich. „Sie glauben ja nicht mal, dass meine Schwester in Schwierigkeiten steckt.“
„Vielleicht tut sie das ja wirklich. Vielleicht auch nicht. Wie auch immer – jedenfalls kenne ich diese Stadt besser als Sie.“
„Ich habe Erfahrung mit fremden Städten. Ich komme schon zurecht.“
„Mit einem Fremdenführer geht es aber schneller. Und schneller ist besser, nicht wahr?“
Einer ihrer Mundwinkel verzog sich andeutungsweise zu einem Grinsen. „Ein wahres Wort von einem wahren Gentleman.“
Auf einmal schien es ihm nicht mehr unvorstellbar, eines Tages mit einer Frau wie Elise Sex zu haben. Doch sein kurzer Ausflug ins Reich der Fantasie endete abrupt, als sie humorlos und ungeduldig schnaubte.
„Steigen Sie ein! Ich will nicht noch mehr Zeit verlieren.“
Gary Maitland strich seiner Frau die blonden Locken aus der Stirn. Obwohl Wendys Augen geschlossen waren, konnte er sich lebhaft an ihr strahlendes Blau erinnern und daran, wie sie gefunkelt hatten, wenn sie lachte. Oder weinte.
„Ich kann nicht lange bleiben. Aber ich wollte vor der Arbeit unbedingt kurz vorbeischauen. Ich habe so viel zu tun gehabt, dass ich einfach nicht genügend Zeit für dich hatte.“
Mit dem Finger fuhr er ihre schön geschwungenen Augenbrauen nach. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihn hören konnte, aber diese Besuche machte er auch mehr für sich als für sie.
Seit dem Unfall vermisste er sie so sehr, dass es körperlich wehtat. Es war ihm nicht möglich gewesen, die Lücke zu füllen, die sie hinterlassen hatte, aber es war ihm immerhin gelungen, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
„Es würde dir gefallen, was ich aus dem Haus deiner Eltern gemacht habe. Der Teich ist jetzt viel größer. Und tiefer. Den Steg habe ich allerdings gelassen – den, wo wir immer gesessen haben, damals, als wir uns gerade kennengelernt hatten.“
Auf dem Steg hatten sie so manches getrieben – und nichts davon hätte ihren Eltern gefallen. Die alten Planken und das gesplitterte Holz bargen eine Menge Erinnerungen.
Auf diesem Steg hatte er sie zum ersten Mal zum Weinen gebracht.
Sie hatte so schön ausgesehen, als die Tränen in ihren Augen im Mondlicht geglitzert hatten! Das war eine seiner schönsten Erinnerungen – eine der vielen, denen er sich jeden Tag aufs Neue hingab.
„Den Keller habe ich ebenfalls renoviert. Jetzt haben wir jede Menge Platz für Gäste, dann bist du nicht so allein, wenn ich zur Arbeit fahre.“
Bei dem Gedanken an Arbeit sah Gary auf die Uhr. Er brauchte über eine Stunde, um zu seiner Arbeitsstelle zu kommen, und er musste allmählich los. Außerdem waren seine Finger vor Kälte schon ganz taub.
Er beugte sich hinunter und gab Wendy einen Kuss auf die Stirn. „Heute Abend bringe ich dir was Besonderes mit. Ich habe das perfekte Geschenk für dich gefunden.“
Wendy würde nie mehr die Alte sein, aber er kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, was ihr gefiel.
Sie war immer gern unter Menschen gewesen. Sein kleiner geselliger Schmetterling war von einer Person zur nächsten geflattert und hatte allen stets ein Lächeln entlockt. Jetzt, wo sie nicht mehr in der Lage war, in die Welt hinauszugehen und neue Freunde kennenzulernen, konnte er ihr wenigstens welche ins Haus bringen.
Sie brauchte ja nicht zu wissen, dass die Geschenke, die er ihr brachte, ihm nicht gut genug waren. Das würde sie nur aufregen.
Gary zog seiner Frau das Laken über den Kopf und verließ die Kühlkammer, in der er ihre Überreste aufbewahrte. Sorgfältig verschloss er die Tür und steckte den Schlüssel ein.
Jetzt, wo Wendy tot war, brachte ihn die Suche nach der perfekten Frau fast um den Verstand. Die Lücke, die ihr Tod in seinem Herzen hinterlassen hatte, musste unbedingt gefüllt werden. Die Leere fraß ihn bei lebendigem Leib auf. Er musste dem ein Ende setzen – doch das Einzige, was diese Lücke füllen konnte, war nun mal die perfekte Frau.
Noch hatte er sie nicht aufgespürt, aber er gab die Hoffnung nicht auf. Irgendwo dort draußen war sie, und Gary würde sie finden.
„Biegen Sie da vorne links ab“, sagte Trent.
Elise gehorchte und lenkte den Wagen in eine holprige Straße. Sie befanden sich im älteren Teil der Stadt, weit entfernt von der geleckten historischen Altstadt, und die Gebäude hier waren nichts als traurige, heruntergekommene Ziegelhaufen.
„Fahren Sie ein bisschen langsamer, damit ich die Seitenstraßen überprüfen kann.“
Elise drückte den Knopf, mit dem alle Türen verriegelt wurden, und umklammerte das Lenkrad fester. „Hier würde sich Ashley doch nicht rumtreiben, oder?“
Trent zuckte mit den Schultern. „Sally’s Bar ist der In-Treffpunkt für junge Singles, vor allem für die von der Uni. Ashley ist dahin gegangen, wo es Männer gab.“
Empört straffte Elise die Schultern. „So, wie Sie das sagen, klingt es, als wäre sie so was wie eine Schlampe!“
Abwehrend hob er die Hände. „Sie brauchen nicht gleich so kratzbürstig zu werden! Ich mag Ashley. Sie ist wirklich in Ordnung, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sie mit ganz schön vielen Männern ausgeht. Wenn Sie denken, das macht sie zur Schlampe, ist das ganz allein Ihre Interpretation. Ich zähle nur die Tatsachen auf.“
„Und Tatsache ist, dass ein Mann, der mit mehreren Frauen ausgeht, ein Playboy ist, und wenn eine Frau das Gleiche macht, ist sie eine Hure.“
„Doppelmoral ist Teil des Lebens. Finden Sie sich damit ab.“
Elise starrte ihn einen Moment lang schweigend an, bevor sie die Aufmerksamkeit wieder auf die Straße richtete. „Wie schade, dass sich hinter so einem schönen Körper ein dermaßen zynischer Mann verbirgt.“
Er gab ein amüsiertes Knurren von sich. „Wenn Sie das für zynisch halten, haben Sie ein sehr behütetes Leben geführt.“
Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen, und sie spürte, wie Wut und Frust in ihr aufstiegen. Wie viele Jahre hatte sie unter den schützenden Fittichen ihrer Mutter verloren! Sie war schon bald dreißig, und erst vor drei Jahren war sie wirklich aus dem Nest geflogen. Nach dem Tod ihrer Mutter. Traurig, dass sie so lange hatte abwarten müssen, um ihr eigenes Leben in Angriff zu nehmen.
„Sparen Sie sich Ihre Kommentare, sonst können Sie zu Fuß nach Hause gehen“, sagte sie.
„Habe ich einen wunden Punkt getroffen?“, fragte er freundlich.
Elise hielt den Wagen an und entriegelte die Türen. Dann drehte sie sich ihm zu und starrte ihn an. „Rein oder raus?“
Trent besaß doch glatt die Frechheit, sie anzugrinsen. „Sie sind ganz anders als Ihre Schwester.“
„Und Sie sind alles andere als ein Gentleman.“
Sein Grinsen wurde noch breiter. „Ich glaube, ich werde Sie mögen, Elise McBride.“
„Das ist ziemlich unwahrscheinlich.“
Trent lehnte sich zurück, als ob er es sich bequem machen wollte. „Sally’s ist zwei Straßen weiter auf der rechten Seite. Sobald wir auf dem Parkplatz nachgesehen haben, fahre ich mit Ihnen zu der Uni, an der Ashley studiert.“
„Heißt das, Sie wollen ab sofort brav sein?“
„Wie ein Engel.“
Elise schnaubte ungläubig. „Das soll ich Ihnen glauben!“
„Wer ist denn jetzt hier der Zyniker?“
Elise fuhr zu der Kneipe, aber Ashleys limonengrüner Volvo war nirgendwo zu entdecken. Sie fuhren die Straßen um die Uni herum ab, fanden ihn aber auch dort nicht. Als Elise in den Parkplatz eines Lebensmittelladens einbog, um zu überlegen, was sie als Nächstes tun sollte, wurde es bereits hell.
„Könnte sie mit einem ihrer Freunde aus der Stadt rausgefahren sein?“, fragte Trent. „Irgendwohin aufs Land, wo ihr Handy keinen Empfang hat?“
„Sie hat nichts davon erzählt, dass sie irgendwas in der Richtung vorhätte, aber sie ist manchmal ziemlich spontan.“
Trent brach in schallendes Gelächter aus. Elise starrte ihn vorwurfsvoll an. „Tut mir leid“, sagte er. „Aber ‚spontan‘ beschreibt nicht mal ansatzweise, wie Ashley drauf ist.“
„Sie tun so, als würden Sie meine Schwester besser kennen als ich.“
„Sie ist seit einem Jahr meine Nachbarin. Hat sie Ihnen mal erzählt, wie wir uns kennengelernt haben?“
„Sie hat Sie erwähnt, aber das war auch alles.“
„Ihr Rasen war so hoch, dass es gegen städtische Vorschriften verstieß, also bin ich rübergegangen und habe ihn gemäht. Ich dachte, sie wäre vielleicht krank.“
„Sie nennt Sie ihren ‚scharfen Gärtner‘. Einmal hat sie auch Ihren Namen erwähnt, aber danach hat sie ihn wohl vergessen.“
Trent verdrehte die Augen. „Die meiste Zeit weiß sie nicht mal, welchen Wochentag wir haben. Kein Wunder, dass sie sich keine Namen merken kann.“
„Sie ist nicht blöd“, schoss Elise zurück. Sie würde nicht zulassen, dass er ihre Schwester beleidigte.
Er hob beschwichtigend die Hände. „Natürlich nicht. Ich denke, sie gehört zu den Leuten, die so klug sind, dass sie im Alltag manchmal nicht alles auf die Reihe kriegen.“
Besänftigt schluckte Elise die Worte herunter, die ihr bereits auf der Zunge lagen.
„Also“, fuhr Trent fort. „Ich schiebe meinen Rasenmäher über die Straße, um mich um ihren Garten zu kümmern, und als ich ankomme, steht ihr Wagen mit offener Tür und laufendem Motor da, ihre Haustür ist ebenfalls sperrangelweit offen. Ich befürchte, sie könnte vielleicht krank oder verletzt sein, also klopfe ich. ‚Komm rein‘, ruft sie laut, ohne zu wissen, wer ich bin.“
Elise drehte sich der Magen um. Ashley war schon immer viel zu vertrauensselig gewesen.
„Ich gehe also rein“, fuhr Trent fort. „Und sie steht in der Küche, die Arme bis zu den Ellbogen in irgendeiner Ton- oder Gipsmasse. Auf der Arbeitsfläche stapelt sich das ganze dreckige Geschirr, und das Spülbecken ist voll von diesem Zeug.“
„Sie experimentiert gern mit unterschiedlichen Werkstoffen.“
„Ja, so was Ähnliches hat sie auch gesagt. Und dann hat sie gefragt, ob sie mich mit dem Zeug beschmieren darf, um einen Abdruck zu machen. Die gute Frau kannte nicht mal meinen Namen.“
„Sie trugen vermutlich kein Hemd?“
„Nein. Ich wollte den Rasen mähen, und es war heiß.“
„Dann sind Sie selbst schuld.“
Ohne ihren Einwurf zu beachten, fuhr er fort: „Was ich sagen will: Sie war schon seit zwei Stunden zu Hause, und sie hatte vergessen, den Motor abzustellen oder irgendeine von ihren Türen zu schließen. Das heißt: Wenn sie auf irgendwas gestoßen ist, das sie interessiert hat, dann ist sie vielleicht auf und davon, ohne sich bei Ihnen zu melden.“
Und wenn er nun recht hatte? Wenn sie längst nicht so viel über ihre Schwester wusste, wie sie glaubte?
„Ich hoffe, Sie haben recht, Trent. Ich hoffe, Ashley ist mit einem sexy Typen nach Paris geflogen und beschmiert ihn dort mit Ton oder mit was auch immer. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Irgendwas sagt mir, dass was nicht stimmt.“
„Ihr Instinkt. Sie sollten auf ihn hören. Wenn Sie das nicht machen, wird es Ihnen später vielleicht leidtun.“
„Sie sagen das, als würden Sie aus Erfahrung sprechen.“
Er drehte den Kopf zur Seite und starrte die Tür des Lebensmittelladens an. „Wann hatten Sie es zum ersten Mal? Dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmt?“
„Samstagmorgen, nach hiesiger Zeitrechnung. Ashley hat mich immer angerufen, um mir von ihren Freitagabend-Abenteuern zu berichten, aber diesmal nicht. Ich habe eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen und versucht, mir keine Gedanken zu machen. Ich bin ins Bett gegangen und habe schlecht geschlafen. Als ich aufgestanden bin und gesehen habe, dass sie nicht zurückgerufen hatte, habe ich noch mal versucht, sie zu erreichen. Wieder und wieder habe ich angerufen. Ziemlich bald hat sich nach dem ersten Klingeln gleich ihr Anrufbeantworter eingeschaltet, als hätte sie das Handy ausgeschaltet.“
„Oder als wäre der Akku leer.“
„Genau. Ich habe die Polizei angerufen und den nächsten Flug nach Chicago genommen.“
„Sie haben einfach alles stehen und liegen lassen? Sie sind eine gute Schwester.“
Elise atmete kräftig aus in der Hoffnung, dadurch ein bisschen Spannung loszuwerden. Aber es funktionierte nicht. „Wir werden ja sehen, wie gut ich bin.“
„Was soll das heißen?“
„Das heißt, dass ich sie gar nicht erst hätte allein wohnen lassen sollen. Ich weiß doch, wie sie ist – wie zerstreut sie manchmal sein kann –, aber sie wollte unbedingt ihre Freiheit. Und ich meine auch. Also haben wir nach dem Tod unserer Mutter beschlossen, getrennte Wege zu gehen.“
„Sie ist eine erwachsene Frau, kein Kind. Sie können nicht ein Leben lang die Verantwortung für sie übernehmen.“
Elise schüttelte den Kopf und spürte, wie ihre Locken ihr dabei über den Nacken strichen. Vermutlich war ihr Haar schon wieder völlig zerrauft. „Ich habe zugestimmt, weil es mir gelegen kam – nicht, weil es gut für Ashley war. Jetzt weiß ich das.“
Trent sah sie stirnrunzelnd an. Inzwischen war es hell genug, dass sie seine Gesichtszüge recht deutlich erkennen konnte. Seine Augen waren blau und rund um die Pupille golden gesprenkelt. Wenn das Sonnenlicht darauf fiel, schienen diese Pünktchen aufzuglühen.
Elise hätte das eigentlich gar nicht bemerken dürfen. Aber als er sie richtiggehend sorgenvoll ansah, kam sie nicht umhin, die Goldflecken wahrzunehmen, genau wie die Bartstoppeln auf seinem Kinn oder sein Haar, das ihm zerzaust über die Ohren fiel. Trent Brady war eine Ablenkung, die Elise sich nicht leisten konnte, die ihr nichtsdestotrotz aber durchaus entgegenkam. Wenn er neben ihr saß, wurde die schreckliche Angst ein wenig erträglicher. In seiner Nähe fühlte sie sich nicht ganz so allein.
„Und? Wollen Sie bei ihr einziehen und für den Rest Ihres Lebens mit ihr zusammenwohnen?“
„Nein, nur bis sie heiratet. Es muss doch irgendwo einen Mann geben, der sie so sehr liebt, dass er sich gern um sie kümmert – und das hoffentlich besser als ich.“ Sie grinste ihn an. „Wie wär’s denn mit Ihnen? Hätten Sie nicht Lust auf den Job?“
Trent lachte auf. „Tut mir leid. Sie ist ein nettes Mädel, aber nicht mein Typ.“
Elise musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu fragen, wie sein Typ denn aussah. Sie wollte es gar nicht wissen. Sie brauchte es auch nicht zu wissen. Sie würde nur so lange hierbleiben, bis sie Ashley gefunden hatte, und dann wieder zu ihrer Arbeit zurückkehren.
Höchste Zeit für einen Themenwechsel. „Was würden Sie mir denn als Nächstes vorschlagen? Ich habe so etwas noch nie gemacht. Wie man für Reportagen recherchiert, weiß ich, da habe ich genügend Erfahrung – aber ob das reicht, um Ashley zu finden?“
„Überlassen Sie das der Polizei!“
Das war leichter gesagt als getan. „Das geht nicht. Ich kann nicht rumsitzen und warten, ob sie wieder auftaucht oder ob jemand sie findet. Und wenn man sie nicht findet? Oder wenn es dann bereits zu spät ist?“
„Das wird schon nicht passieren“, entgegnete Trent mit so viel überzeugender Autorität, dass sie gar nicht anders konnte, als ihm zu glauben. „Sie wird gesund und munter wieder auftauchen, und Sie werden ihr ordentlich die Leviten lesen, weil sie Sie dermaßen in Angst und Schrecken versetzt hat.“
Sie sah ihn lange an und suchte in seinem Gesicht nach einem Hinweis, dass er ihr soeben eine faustdicke Lüge aufgetischt hatte, fand aber nichts. „Sie haben gesagt, Sie wären Polizist gewesen. Sie sollten doch besser als alle anderen wissen, dass so etwas oft ganz anders ausgeht.“
„Niemand liebt Ashley so sehr wie Sie. Niemand wird sich so sehr für sie einsetzen wie Sie. Machen Sie Bob die Hölle heiß, den Rest erledigt er dann schon.“
„Ist es das, was Sie tun würden, wenn es um Ihre Schwester ginge? Sich zurücklehnen und die Arbeit anderen überlassen?“
„Nein.“
„Was würden Sie denn dann tun?“
Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Fragen Sie mich, was Sie tun sollen – oder fragen Sie mich, was ich tun würde?“
„Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen. Was kann ich tun, um Ashley zu finden?“
Er schwieg so lange, dass Elise schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete. Er saß da und starrte sie an, während die Sonne allmählich höher stieg und den Wagen aufheizte. „Sie werden nicht aufgeben, stimmt’s?“
„Nein, das werde ich nicht.“
Wieder seufzte er. „Falls Bob Sie fragt: Von mir haben Sie das nicht.“
„Ich weiß nicht mal mehr, wie Sie heißen.“
Er nickte zufrieden. „Rufen Sie die Flughafenpolizei an, und fragen Sie nach, ob Ashleys Wagen auf einem der Parkplätze dort steht, nur um auszuschließen, dass sie irgendwohin geflogen ist. Sehen Sie ihre Bank- und Kreditkartenunterlagen durch. Schauen Sie nach, ob Sie irgendetwas finden, das darauf hindeuten könnte, wo sie ist. Wenn Sie nichts finden, versuchen Sie zu rekonstruieren, was sie in den Stunden vor ihrem Verschwinden getan hat. Achten Sie auf Dinge, die nicht in ihre üblichen Verhaltensmuster passen. Versuchen Sie, von ihrem Handyanbieter zu erfahren, über welche Sendemasten sie Ihre Anrufe erreicht haben. Auf die Weise kann man ebenfalls nachvollziehen, wo sie sich aufgehalten hat.“
„Sonst noch was?“
„Nichts, was Sie allein tun sollten.“
„Gut. Dann tue ich es auch nicht.“
„Sie lügen.“
Es war ihr zuwider, dass er sie so leicht durchschaute. „Jetzt sagen Sie’s mir schon, verdammt noch mal!“
Trent schüttelte den Kopf. Sein Haar fiel ihm in die Stirn und verbarg teilweise seine Augen. „Nein. Aber ich fahre mit Ihnen noch zu einer weiteren Stelle, wo Ashleys Wagen stehen könnte, bevor Sie mich nach Hause bringen. Ich will nicht zu spät zur Arbeit kommen. Mein kleiner Bruder ist mein Boss, und der wird richtig ekelhaft, wenn ich unpünktlich bin.“
„Warum wollen Sie es mir nicht sagen?“
„Weil Sie sich nur in Schwierigkeiten bringen würden. Tun Sie das, was ich Ihnen gesagt habe!“
„Und wenn nichts dabei rauskommt?“
Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen. „Dann werden Sie wohl meine Hilfe in Anspruch nehmen müssen.“
Trent kam zu spät zur Arbeit. Der Pick-up seines Bruders stand bereits an der Baustelle, vollgeladen mit PVC-Röhren.
Er parkte hinter Sams Ford und machte sich, während er den verdorrten Rasen überquerte, auf den zu erwartenden Rüffel gefasst.
„Du bist spät dran!“, rief ihm Sam über seine nackte, schweißbedeckte Schulter hinweg zu. Er rammte die Schaufel entlang der orangefarbenen Linie in den Boden, die sie am Tag zuvor auf das Gras gepinselt hatten.
„Tut mir leid.“
„Kein Wort der Erklärung? Keine Geschichte von geilen Frauen, die dich gegen deinen Willen ans Bett gefesselt haben?“
Trent nahm sich eine Schaufel, suchte sich eine Stelle zum Graben aus und legte los. „Nein.“
„Ach ja, ein Gentleman genießt und schweigt. Aber halt – jetzt habe ich doch glatt vergessen, dass du neuerdings nicht mal mehr genießt.“
Trent trat das Schaufelblatt tief in die Erde. „Lass mich in Ruhe, Sam!“
„Strafe muss sein. Außerdem – Mom macht sich Sorgen um dich.“
Trent spürte, wie sich die Muskeln in seinem Rücken verspannten und sich sein Nacken verkrampfte. „Das ist doch nichts Neues. Sie macht sich schon seit unserer Geburt Sorgen um uns.“
„Kannst du ihr das verdenken? Du kommst nie zu Besuch. Du rufst nie an. Du arbeitest, dann gehst du nach Hause. Was für ein beschissenes Leben!“
„Ich habe es mir selbst so ausgesucht.“
„Dann bist du genauso blöd, wie du hässlich bist.“
„Können wir nicht einfach arbeiten, statt wie Waschweiber rumzujammern?“
Sam lachte, und es war genau das Lachen, mit dem er Trent schon seit ihrer Kindheit nervte. Trent wusste genau: Wenn Sam so lachte, gingen die Sticheleien erst richtig los. „Mom und Dad machen dieses Wochenende einen Grillabend. Du musst auch kommen.“
„Ich habe zu tun“, entgegnete Trent.
„Das wird dir diesmal nichts nützen. Außerdem hat Mom ein Mädchen aus der Kirchengemeinde eingeladen, das sie dir unbedingt vorstellen will. Dad behauptet, sie hätte ordentlich Holz vor der Hütte.“
Der Gedanke, dass sein Dad auf Brüste achtete, war an sich schon verstörend genug, auch ohne Sams Kommentar. „Kein Interesse.“
„Na gut! Ich habe sowieso die älteren Ansprüche.“
„Sie ist eine Frau und kein Stück Land“, erwiderte Trent.
Sam zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Erzählst du mir jetzt, wieso du zu spät kommst, oder soll ich Mom bitten, uns Mittagessen zu bringen?“
Das war eine ernst zu nehmende Drohung. Sam war Moms Liebling. Er hatte die Gartenbaufirma seines Vaters übernommen, damit Dad in Ruhestand gehen konnte. Er hatte einen Universitätsabschluss. Mit Auszeichnung. Er war schwer auf der Suche nach der richtigen Frau, um seinen Eltern Enkelkinder schenken zu können. Sam würde es nichts ausmachen, wenn seine Mutter vorbeikäme, ihnen bei der Arbeit zusähe, ihnen Mittagessen brächte und ein bisschen mit ihnen plauderte. Er würde ihre Aufmerksamkeit genießen.
Natürlich würde sie Sam auch nicht die ganze Zeit nach seinem Liebesleben ausfragen oder danach, warum er sich nicht mal mit jemandem über das „unterhielt“, was in Chicago passiert war. Sam würde sie auch nicht all die ach so hilfreichen Ratschläge erteilen, wie man eine gute Frau fand, sie an sich band und damit das Leben lebenswert machte.
Trent konnte gut darauf verzichten, auch nur ein weiteres Mal von seiner Mutter nach seinem Sexualleben gefragt zu werden.
„Das würdest du mir nicht antun“, sagte er.
„Und ob! Schon allein wegen dem Unterhaltungswert. Es ist herrlich mit anzusehen, wie du dich windest!“
„Du bist ein grauenhafter Bruder!“
Sam grinste. „Das klingt, als würdest du das Handtuch werfen. Also, spuck’s aus! Wieso kommst du so spät? Du bist doch sonst immer pünktlich.“
„Die Schwester meiner Nachbarin ist gestern Nacht angekommen.“
„Oha! Mir gefällt, welche Richtung das nimmt. ‚Liebes Penthouse …‘“
„Meine Nachbarin wird vermisst, du Idiot! Du könntest ruhig mal ein bisschen Mitgefühl zeigen.“
Sams amüsierter Gesichtsausdruck verschwand von einer Sekunde auf die andere. Entsetzt starrte er Trent an. „Redest du etwa von Ashley?“
„Genau?“
„Wie lange?“
„Was, wie lange?“
„Wie lange wird sie schon vermisst? Hat irgendjemand die Polizei informiert? Eine Vermisstenanzeige aufgegeben?“ Sam schleuderte ihm die Fragen entgegen wie Fausthiebe.
„Seit Freitag. Ja und ja. Was zum Teufel ist mit dir los, Sam?“
Sam zog die Schaufel aus dem Boden. „Wir sollten nach ihr suchen. Das Mädchen hat höchstens noch zwei Gehirnzellen; die restlichen sind von den Ausdünstungen aus den ganzen Farben abgetötet worden. Jemand muss sich um die Sache kümmern.“
„Die Polizei ist informiert. Uns geht das nichts an.“
„Mir egal. Komm, wir suchen sie!“ Sam ging auf seinen Wagen zu.
Trent trat ihm in den Weg. „Die Polizei kümmert sich drum. Die finden sie schon.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ja“, log Trent. Er wusste, was jungen hübschen Frauen alles passieren konnte, aber davon sollte sein kleiner Bruder nichts mitbekommen.
Sam schien sich ein wenig zu entspannen. „Wir sollten sie trotzdem suchen.“
„Das habe ich schon. Deshalb bin ich auch zu spät gekommen. Ihre Schwester und ich sind herumgefahren und haben nach ihrem Auto Ausschau gehalten.“
„Nach dem knallgrünen Volvo? Der müsste doch leicht zu finden sein.“
Das stimmte. Umso mehr machte Trent sich Sorgen, dass Elise recht hatte und etwas Schreckliches passiert war. Aber sein Bruder war auch so schon aufgewühlt genug, deshalb behielt er das lieber für sich. „Wir haben ihn nirgendwo gesehen“, sagte er lediglich.
„Vielleicht ist sie weggefahren.“ Sam klang gleichzeitig hoffnungsvoll und besorgt.
Trent zuckte mit den Schultern. „Das habe ich Elise auch gesagt. Sie glaubt allerdings, es müsse irgendein Problem geben, weil Ashley sich nicht bei ihr gemeldet hat.“
„Ach verdammt!“, fluchte Sam. „Als wenn ich noch irgendwas brauchen würde, um das ich mir Sorgen machen muss.“
„Dann lass es einfach bleiben! Die Polizei kümmert sich drum. Und Elise ebenfalls.“
Sam schien sich noch ein wenig weiter zu entspannen. „Hoffen wir, dass sie ein bisschen mehr Grips hat als ihre Schwester.“
„Hat sie. Und hübscher ist sie auch.“
„Du spinnst wohl! Hübscher als Ashley kann man gar nicht sein! Nur deshalb hat sie bis jetzt noch keiner umgebracht.“
„Hoffen wir’s.“
„Was zum Teufel soll das nun wieder heißen?“
„Elise hat ein komisches Gefühl.“