Delta Force - Die Last der Schuld - Shannon K. Butcher - E-Book

Delta Force - Die Last der Schuld E-Book

Shannon K. Butcher

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Er weiß, es war richtig, doch er kann sich selbst nicht verzeihen.

Vor achtzehn Monaten wurde Lana Hancock bei einer Mission in Armenien von Terroristen entführt und gefoltert. Gerettet wurde sie von Undercover-Agent Caleb Stone, der die Terrorgruppe infiltriert hatte. Nun versucht Lana, wieder ein normales Leben zu führen. Doch schon bald wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, als Stone erneut vor ihrer Tür steht. Die Terroristen haben es auf Lanas Leben abgesehen, und Stone soll sie beschützen. Aber kann sie dem Mann, der ihre Entführung damals nicht verhindern konnte, wirklich vertrauen?

"Nichts für schwache Gemüter und doch ein wunderbar romantisches Buch! Shannon Butcher ist eine äußerst vielversprechende neue Autorin - eine echte Entdeckung!" Romantic Times

Die Delta-Force-Trilogie von Shannon K. Butcher - Spannung pur!

Band 1: Blicke nicht zurück
Band 2: Die Last der Schuld
Band 3: Es gibt kein Entkommen

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.





Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 510

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

Aus der Feder von Shannon K. Butcher

Danksagung

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT

Mein auf ewig

Die Delta-Force-Trilogie:

Blicke nicht zurück

Die Last der Schuld

Es gibt kein Entkommen

Über dieses Buch

Er weiß, es war richtig, doch er kann sich selbst nicht verzeihen.

Vor achtzehn Monaten wurde Lana Hancock bei einer Mission in Armenien von Terroristen entführt und gefoltert. Gerettet wurde sie von Undercover-Agent Caleb Stone, der die Terrorgruppe infiltriert hatte. Nun versucht Lana, wieder ein normales Leben zu führen. Doch schon bald wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt, als Stone erneut vor ihrer Tür steht. Die Terroristen haben es auf Lanas Leben abgesehen, und Stone soll sie beschützen. Aber kann sie dem Mann, der ihre Entführung damals nicht verhindern konnte, wirklich vertrauen?

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Shannon K. Butcher absolvierte eine Ausbildung als Wirtschaftsingenieurin. Bei der Zusammenarbeit mit ihrem Mann Jim Butcher entdeckte sie ihr eigenes Talent als Autorin. Seither schreibt sie mit großem Erfolg Liebesromane.

SHANNON K. BUTCHER

DELTA FORCE

Die Last der Schuld

Aus dem amerikanischen Englisch von Anja Hackländer

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2008 by Shannon K. Butcher

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »No Control«

Originalverlag: Forever, Hachette Book Group USA, New York. Forever is an imprint of Grand Central Publishing.

This edition published by arrangement with Grand Central Publishing, New York, NY, USA. All rights reserved.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2012/2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Birgit Sarrafian

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven von © MRBIG_PHOTOGRAPHY/iStock/Getty Images Plus; Kiuikson/iStock/Getty Images Plus; Ensup/iStock/Getty Images Plus

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-2040-3

be-heartbeat.de

lesejury.de

Für meine Eltern, die die Kreativität in mir geweckt haben, mich die Freuden harter Arbeit lehrten und mir an jedem Tag meiner Kindheit zeigten, was es heißt, aufrichtig geliebt zu werden.

Ich vermisse dich, Mom.

Prolog

Armenien

Lana Hancock hoffte auf einen schnellen Tod. Der Sack über ihrem Kopf raubte ihr den Atem, ebenso wie der Gestank ihrer ermordeten Freunde. Durch einen winzigen Riss im Sack, von dem ihre Peiniger nichts ahnten, konnte sie Bethanys Augen sehen, die sie leblos anstarrten.

Sie versuchte sich abzuwenden, doch selbst die kleinste Bewegung jagte ihr einen stechenden Schmerz durch ihre gebrochenen Glieder. Boris, der Mann, der für die Knochenbrüche verantwortlich war, betrat die Höhle. Lana wusste, dass dies das Ende war. Was auch immer die Entführer Boris befahlen, er setzte es in die Tat um. Und sie hatte gehört, wie sie ihn aufforderten, Lana zu töten, kurz bevor sie die Höhle verlassen hatten. Seit Tagen, so kam es ihr zumindest vor, lag sie nun schon hier und wartete auf ihr Ende.

Sie würde ihre Familie vermissen. Ihre Freunde. Ihren Verlobten.

Sie wollte ihren Neffen aufwachsen sehen und ihn mit lärmendem Spielzeug verwöhnen, das ihre Schwester in den Wahnsinn treiben würde. Das Kinderschlagzeug, das sie ihm zum Geburtstag gekauft hatte, war immer noch in ihrer Abstellkammer versteckt. Sie hoffte, dass ihre Familie es finden und ihm geben würde, wenn man ihre Wohnung ausräumte.

Boris zog seine Waffe und durchquerte die staubige Höhle, um an Lanas Seite stehen zu bleiben. Er war ein schlanker Mann mit strahlend blauen Augen und Grübchen, von deren Anblick ihr übel wurde. Ein sadistischer Killer sollte keine Grübchen haben.

Seine schweren Stiefel blieben kurz vor ihrem Gesicht stehen. Ein winziger Teil von ihr hatte Angst, aber im Grunde war sie ihm dankbar, dass er die Waffe benutzen würde und nicht das Rohr. So ginge es wenigstens schnell. Das hoffte sie zumindest.

Sie bemerkte einen Schatten am Höhleneingang. Dann noch einen und noch einen. Vielleicht waren die Entführer zurückgekehrt, um ihr Ende mit anzusehen. Vielleicht waren es auch nur Halluzinationen. Es war ihr egal. Sie war zu erschöpft. Zu schwach.

Er beugte sich zu ihr herunter, um das Klebeband abzureißen, das den Sack an ihrem Hals zusammenhielt. Die Erschütterung ließ ihre gebrochenen Knochen knirschen, und ihr kehliger Schrei hallte in der Höhle nach.

Sie war offenbar ohnmächtig geworden, denn als sie die Augen öffnete, hockte ihr Mörder mit besorgter Miene vor ihr und schlug ihr gegen die Wange, um sie zu Bewusstsein zu bringen. Als er bemerkte, dass sie wach war, nickte er zufrieden und stand auf. Anscheinend wollte er sie nicht umbringen, solange sie bewusstlos war.

Er zielte auf ihren Kopf. Gott sei Dank! Wie die anderen würde auch sie durch einen Kopfschuss sterben. Kurz und schmerzlos.

Da legte sich ein breiter Arm wie aus dem Nichts um Boris’ Hals und riss seinen Kopf zurück, um ihm mit einem Messer die Kehle aufzuschlitzen. Ein Schwall von Blut ergoss sich aus der klaffenden Wunde, und seine Waffe fiel auf den felsigen Höhlenboden.

Lana versuchte herauszufinden, was hier vor sich ging, doch sie konnte den Kopf nicht bewegen. Oder ihre Augen lange genug offen halten.

»Wir müssen Sie hier rausbringen«, sagte eine tiefe, emotionslose Stimme, die sie irgendwo schon mal gehört hatte.

Ein neuerlicher Schmerz durchzuckte ihren Körper, und Lana begriff, dass sie hochgehoben wurde. Ihre gebrochenen Beine baumelten qualvoll über einem starken Männerarm, doch sie zwang sich, nicht zu schreien. Sie durfte ihren Entführern keinen Hinweis geben, dass sie im Begriff war zu entkommen.

Während der Mann sie aus der Höhle trug, befahl Lana ihren Augen, sich zu öffnen. Das grelle Licht quälte ihre Netzhaut, doch der Schmerz war ihr mehr als willkommen. Licht bedeutete Freiheit – etwas, das sie für immer verloren geglaubt hatte.

Der Mann legte sie auf den Boden und sprach leise mit jemandem in der Nähe. »Sie ist die einzige Überlebende.«

»Nicht mehr lange«, erwiderte der andere. »Schon gar nicht, wenn die herausfinden, dass sie ihnen lebendig entkommen ist.«

Lanas Körper pochte mit jedem Schlag ihres Herzens. Der Mann hatte recht, sie würde nicht mehr lange durchhalten. Sie spürte, wie sie von Sekunde zu Sekunde schwächer wurde. Vielleicht blutete sie innerlich.

Immerhin würde sie nicht in dieser Höhle sterben.

»Unser Team hat drei von ihnen ausgeschaltet.«

»Wie viele waren es?«

»Keine Ahnung. Ich habe nur zwei gesehen, und die nicht mal nahe genug, um sie identifizieren zu können. Ich hab meine Anweisungen von diesem hageren Typ namens Boris erhalten. Da draußen könnte noch ein Dutzend anderer Typen rumlaufen.«

»Hast du diesen Boris erledigt?«

»Ja.«

»Unsere Männer halten sich überall in den Hügeln versteckt. Wenn jemand entkommen ist, werden sie ihn finden«, sagte der andere.

»Das will ich hoffen.«

Lana war sich nicht sicher, was das alles bedeutete, doch sie hatte das Gefühl, sie sollte es wissen. Was die Männer besprachen, sagte ihr irgendetwas, aber ihr Gehirn war zu benebelt, um dahinterzukommen. Sie musste all ihre Kraft zusammennehmen, um nicht zu schreien.

Wenn sie schrie, würde man sie finden.

Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht, und Lana blickte geradewegs in das Antlitz von Miles Gentry – des Mannes, den ihre Entführer angeheuert hatten, um eine Grundschule in den USA in die Luft zu sprengen.

Lana hatte das Gefühl zu ersticken. Sie war nicht in Sicherheit. Nicht in seiner Gegenwart. Er war ein Monster – ein Mann, der bereit war, für Geld Kinder zu töten.

Er musste ihre Panik bemerkt haben, denn er strich ihr das filzige Haar aus dem Gesicht und sagte: »Schhh. Keine Sorge. Ich bin US-Soldat. Ich werde Ihnen nichts tun.«

Lügner! Lana versuchte, vor der Berührung zurückzuweichen, doch ihr Körper wollte nicht gehorchen, nicht kooperieren.

»Lass sie, Caleb! Du machst ihr Angst«, sagte der andere.

Caleb oder Miles, oder wie auch immer er heißen mochte, wich vor ihr zurück. Hinter ihm in den felsigen Hügeln bemerkte Lana zwei synchrone Lichtreflexe. Ein Fernglas.

In einem schmerzlichen Moment von Klarheit wurde ihr bewusst, dass man sie beobachtete.

Sie versuchte, dies den Männern mitzuteilen, doch ihre Lippen waren geschwollen und blutverklebt und nicht in der Lage, ein verständliches Wort zu formen.

Der Wind hob an und blies ihr Sand in die Lungen. Sie bemühte sich, nicht zu husten. Irgendjemand breitete ein Tuch über ihr Gesicht, um den Staub fernzuhalten. Doch es half nichts. Sie konnte den Hustenreiz nicht unterdrücken. Und sobald sie ihm nachgab, sobald ihre gebrochenen Rippen erschüttert wurden, schoss ihr ein quälender Schmerz durch den Körper, bis sie nur noch keuchen konnte.

Der Schmerz und der tagelange Mangel an Wasser und Nahrung waren einfach zu viel. Sie musste sich geschlagen geben. Sie konnte diese Qual nicht länger ertragen.

Lanas Verstand setzte aus, und sie ließ sich vom Nichts verschlucken.

1

Columbia, Missouri,

achtzehn Monate später

Caleb Stone hatte nichts in der Nähe dieser Frau verloren, die er achtzehn Monate zuvor um ein Haar umgebracht hätte. Allein die Vorstellung, Lana Hancock wiederzusehen, ließ ihn in kalten Schweiß ausbrechen. Dieser Auftrag würde kaum angenehmer werden, als sich eine Kugel einzufangen.

Lanas Büro der First Light Foundation lag inmitten einer Reihe heruntergekommener, eingeschossiger Mietbüros, in unmittelbarer Nähe einer ambulanten Klinik und eines Kopierladens. Der längliche Fertigbau war mit geringsten Mitteln errichtet worden und brauchte dringend einen frischen Anstrich. Die Morgensonne schimmerte durch das dichte Laub einer dekorativen Baumreihe, die den Parkplatz zur Straße hin säumte. Es war Ende Juli im tiefsten Missouri, und selbst im Schutz des Schattens hatte sich Calebs Wagen bereits unangenehm aufgeheizt.

Dennoch machte er keine Anstalten, das Fenster einen Spaltbreit zu öffnen oder die Klimaanlage einzuschalten. Bei allen Fehlern, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, würde er ohnehin in der Hölle landen. Da konnte er sich gut schon mal an das Klima gewöhnen.

Ein weiterer Wagen fuhr auf den Parkplatz und hielt an. Es war Lana Hancocks weißer Saturn.

Calebs Körper erstarrte, sein Magen füllte sich mit Säure. Das hier würde alles andere als angenehm werden.

Lana stieg aus dem Wagen, gerade mal fünfzehn Meter von ihm entfernt. Sie war ihm verdammt nah. Jede Faser seines Körpers verlangte danach, sich unauffällig zurückzuziehen, ehe Lana erneut verletzt werden konnte. Doch Rückzug war leider nicht angesagt. Colonel Monroe hatte ihn ausdrücklich hierherbeordert. Dieser Bastard.

Wenn Caleb auch nur im Entferntesten den Verdacht gehegt hätte, dass Lana möglicherweise in Gefahr schwebte, hätte er sich auf der Stelle als lebender Schutzschild angeboten, doch dem war nicht so. Monroe machte lediglich die Pferde scheu, weil der CIA irgendeine belanglose Plauderei mitgehört hatte. Der Colonel war der Meinung, der Schwarm sei erneut zurückgekehrt, doch das war unmöglich. Jene Terrorgruppe existierte nicht mehr. Caleb war selbst dabei gewesen, als sie den Schwarm vor einem halben Jahr ausgelöscht hatten. Sein Team hatte dafür gesorgt, dass niemand von denen überlebte.

Doch Monroe war felsenfest davon überzeugt, dass irgendetwas nicht stimmte, und deshalb befand sich Caleb nun in unmittelbarer Nähe der einzigen Überlebenden jener schlimmsten drei Tage seines Lebens. Lana Hancock.

Sie sah anders aus als bei ihrer letzten Begegnung. Zwar hatte sie immer noch dichtes braunes Haar, doch es fiel ihr nicht lang, filzig und blutverkrustet über den Rücken. Sie trug es in einem schulterlangen Bob, der ihr in einer geschmeidigen Welle um den Kopf wippte. Ihr Gesicht war nicht mehr blau und geschwollen von unzähligen Schlägen. Caleb konnte nicht anders, als ihren Anblick in sich aufzusaugen, um diese neue, gesunde Erscheinung von Lana gegen jenes grauenvolle Bild in seinem Kopf auszutauschen, das sich viel zu lange in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Damals, als sie besinnungslos in einem Militärhospital gelegen hatte, war es ihm nicht bewusst gewesen, doch jetzt erkannte er, wie hübsch Lana Hancock war. Ihre vollen Lippen hatten demnach nichts mit den Schwellungen zu tun gehabt.

Ein Mann mit einem Honda fuhr ebenfalls auf den Parkplatz und winkte Lana zu. Sie lächelte und winkte zurück. Zum ersten Mal bemerkte Caleb die tiefen Grübchen in ihren Wangen. Er hatte Lana noch nie lächeln sehen und somit bis jetzt nicht gewusst, was er verpasst hatte. Panik und Schmerz waren die einzigen Gesichtsausdrücke, die er an ihr kannte. Drei Tage und drei lange Nächte hatte er an ihrem Bett gewacht, doch weder die Panik noch der Schmerz waren aus ihrem Gesicht gewichen. Als er sich schließlich gezwungenermaßen zurück an die Arbeit begeben hatte, war er stets auf einen Anruf gefasst gewesen, dass Lana gestorben sei, doch dieser Anruf war ausgeblieben.

Obwohl er ihre Genesung aufmerksam verfolgt hatte, war dies das erste Mal, dass er sie seitdem zu Gesicht bekam. Lana auf eigenen Beinen stehen zu sehen erschien ihm wie ein Wunder. Es beruhigte und löste einen Teil jener Spannung, die sich in seinem Innern breitgemacht hatte, seit Monroe ihn hierherbeordert hatte.

Caleb beobachtete Lana mit einer Mischung aus Respekt und Ehrfurcht, als diese den heißen Asphalt überquerte, um zu ihrem Büro zu gelangen. Ihr Gang war gleichmäßig und geschmeidig, ihre Hüften bewegten sich unter den verblichenen Jeans mit einem eleganten Schwung. Wenn er sich nicht absolut sicher gewesen wäre, dass sie Monate gebraucht hatte, um überhaupt wieder laufen zu lernen, hätte er es ihren Bewegungen niemals angemerkt. Ihr Gang hatte nichts Zögerliches – kein schmerzliches Zusammenzucken, keine Unregelmäßigkeiten. Sie war ein Vorbild an geschmeidiger Anmut und femininer Stärke.

Ihr bequemes weißes T-Shirt und die passenden Turnschuhe waren absolut schlicht, und sie trug weder Schmuck noch Make-up. Statt einer Handtasche benutzte sie einen grünen Stoffrucksack, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Obwohl sie in keinster Weise jenen glamourösen Frauen glich, mit denen Caleb für gewöhnlich ausging, übte Lana auch ohne jeden Schnickschnack eine weitaus größere Anziehungskraft aus als alle anderen Frauen zusammengenommen.

Wenn ihm das Schicksal damit nicht einen Tritt in die Eier verpassen wollte, dann wusste er es auch nicht. Ganz gleich, wie sehr ihm Lana gefiel, sie würde ihn zweifellos eher anspucken, als ihn eines freundlichen Blickes zu würdigen. Was vermutlich für sie beide das Beste war.

Caleb zwang seine Lungen, möglichst normal zu atmen, und befahl seinem Herzen, sein rasendes Tempo zu reduzieren. Er hatte gewusst, dass ihn dieses Wiedersehen aufwühlen würde, doch bislang hatte er nicht geahnt, wie sehr. Er war noch nie einem Menschen begegnet, der sich, nachdem er fast gestorben wäre, so eindrucksvoll wiederaufgerichtet hatte wie Lana – und Caleb kannte viele starke, hoch motivierte Männer.

Lana war eine außergewöhnliche Frau. Hätte er sie unter anderen Umständen kennengelernt, wären die Dinge zwischen ihnen vielleicht anders gelaufen.

Hätte, wäre, wenn. Caleb erstickte jenen Gedanken, bevor er sich in ihm festbeißen konnte. Wäre konnte einen Mann das Leben kosten.

***

Lana hatte nicht einmal Zeit, sich Kaffee einzuschenken, ehe die erste Katastrophe des Tages über sie hereinbrach. Sie massierte sich die Schläfen, um die Spannungskopfschmerzen zu bekämpfen, die sich von Stunde zu Stunde sprunghaft steigerten. Doch Kopfschmerzen hin oder her, ihre Benefizveranstaltung in zwei Wochen rückte mit großen Schritten näher, und die würde sich nicht von allein organisieren. »Und er hat wirklich das Wort absagen benutzt?«, fragte sie Stacie, ihre Kollegin und Freundin.

Stacie Kramer war eine zierliche, elegant gekleidete Frau mit einem freigebigen Lächeln – und das, obwohl das Schicksal hartnäckig versucht hatte, ihr jeglichen Sinn für Humor zu rauben. Sie war alt genug, um eine Lesebrille zu benötigen, und jung genug, um sie zu hassen, daher hing die Sehhilfe meist unbeachtet an einer Perlenkette um ihren Hals.

Stacie blinzelte ihre Notizen an, während sie den Block auf Armlänge von sich hielt. »Seine genauen Worte waren: ›Sagen Sie meiner süßen Lana, dass ich dringend nach Mailand muss. Meine Muse hat mich verlassen, dieses Miststück. Ich bin mir sicher, dass ich sie dort finden werde, während sie mit anderen Männern herumhurt.‹«

»Na großartig«, erwiderte Lana. »Wenn uns Seine Künstlerische Eminenz Armand im Stich lässt, werden die anderen Künstler es nicht mehr für eine Ehre, sondern für eine Verpflichtung halten, an unserer Veranstaltung teilzunehmen.«

»Die Befürchtung habe ich leider auch«, erwiderte Stacie.

»Ich hätte ihn zwingen sollen, einen Vertrag zu unterschreiben, wie alle anderen Künstler auch.«

»Du hast es versucht, aber er hat sich strikt geweigert, schon vergessen?«

Lana seufzte, um ihren Frust ein wenig abzubauen. Die Veranstaltung sollte einem guten Zweck dienen. Warum konnte ihr das Schicksal nicht mal eine verdammte Pause gönnen? »Wie viele Künstler haben sich bislang bereit erklärt, uns ihre Werke zu spenden?«

»Zwölf. Sutter hat heute Morgen abgesagt, ohne den Vertrag unterschrieben zu haben.«

»Die Tatsache, dass Armand uns versetzt hat, macht also schon die Runde.« Lana unterdrückte einen Fluch. Wären ihr die unflätigen Worte herausgerutscht, hätte Stacie sie mit einem ihrer enttäuschten mütterlichen Blicke bedacht – und davon hatte Lana in ihrem Leben schon genug gesehen.

Ihre Stiftung, die First Light Foundation, erfolgreich in Gang zu bringen war sowohl schwieriger als auch befriedigender gewesen, als sie es sich je vorgestellt hätte. Natürlich war die Stiftung streng genommen immer noch nicht erfolgreich, aber der Erfolg stand kurz bevor – er war fast schon zum Greifen nah. Die Kunstauktion würde der Stiftung finanziell genug Leben einhauchen, um eine zweite Vollzeitkraft einstellen zu können. Und dann hätte Lana mehr Freiraum, um den Wirkungsbereich der Stiftung auszudehnen.

Die Zielsetzung von First Light war relativ simpel: Kindern einen sicheren Ort zu bieten, wo sie nach der Schule oder in den Ferien hingehen konnten, damit sie nicht auf die Idee verfielen, sich die Zeit mit Drogen oder Gewalt totzuschlagen. Lana versuchte, die Kids mit Kunst, Musik und Spielen zu beschäftigen, in der Hoffnung, dass ihnen für dumme Gedanken keine Zeit blieb. Die Stiftung bot ihnen zudem Hilfe bei den Hausaufgaben, organisierte sportliche Aktivitäten und kümmerte sich in einer Eins-zu-eins-Betreuung um Kinder, die besonders schwierig oder gefährdet waren. Dutzende freiwilliger Helfer aus der Umgebung investierten viel Zeit und Hingabe, um all dies zu ermöglichen, und Lana war stolz auf das, was sie erreicht hatte, auch wenn es bei Weitem nicht reichte.

Ihre Familie hingegen war der Ansicht, sie würde ihre Energie an ein hoffnungsloses Unterfangen verschwenden. Es sei unverantwortlich, in ihrem »Zustand« eine derart belastende und finanziell risikoreiche Aufgabe zu übernehmen – als wäre Lana nicht seit Monaten gesund und bei Kräften. Ihre Mutter hatte keinerlei Verständnis für Lanas Drang, sich gefährdeten Kindern und Jugendlichen zu widmen. Warum sollte sie sich eine solche Bürde auferlegen?

Doch im Gegensatz zu Lana war Madeline Hancock nie Eddie begegnet, der etwa zeitgleich mit Lana in der Physiotherapie war. Er hatte als Drogenfahnder gearbeitet, bis ihm ein Zehnjähriger mit einer Schusswaffe den Oberschenkel zertrümmerte und seine Karriere beendete. Eddie hatte dem Täter nicht nur vergeben, er hatte den Waisenjungen sogar adoptiert. Seither verbrachte er seine Zeit nunmehr damit, von Schule zu Schule zu ziehen, um mit den Schülern über Themen wie Drogen, Sex und Gangs zu reden.

Eddies Engagement für gefährdete Kinder hatte Lana zutiefst beeindruckt, und da sie selbst dringend einen Grund brauchte, um morgens aufzustehen, hatte sie beschlossen, sich der guten Sache anzuschließen. Es war ihr egal, ob ihre Eltern das Ganze befürworteten oder nicht. Sie tat das, was sie selbst für richtig hielt, und wenn sie nur einer Handvoll Kindern damit helfen konnte, so war es das wert.

Sie hatte etwas Gutes bewirkt. Vielleicht nicht viel, aber zumindest etwas. Und wenn die Auktion erfolgreich verlief, konnte sie noch viel mehr bewirken. Vielleicht würde sie ihren Wirkungsbereich auf St. Louis ausdehnen oder auf andere, kleinere Städte. Möglicherweise würde sie sogar so viel herumreisen, dass man ihren Aufenthaltsort nicht mehr vorhersagen könnte. Sie wäre endlich frei von dem Zwang, ständig über ihre Schulter zu schauen und sich zu fragen, ob derjenige, der sie in den Hügeln von Armenien beobachtet hatte, es womöglich immer noch auf sie abgesehen hatte.

Für diese Art von Freiheit war Lana bereit, nahezu alles zu geben.

Andererseits, wenn man sie wirklich tot sehen wollte, läge sie bereits unter der Erde. Es war albern, sich wegen irgendwelcher Hirngespinste den Kopf zu zerbrechen. Ihr Leben wandte sich allmählich zum Guten. Warum konnte sie dieses Geschenk nicht einfach annehmen und die Vergangenheit hinter sich lassen?

Eine geradezu paranoide Angst drohte sie zu überwältigen, doch Lana verdrängte sie mit einem Lächeln, das vermutlich ebenso falsch wirkte, wie es sich anfühlte. »Und wie läuft es mit der Suche nach einem Auktionator?«

Stacie ließ die Schultern sinken und verpasste dadurch ihrer makellos gebügelten Bluse unfreiwillig einige Falten. »Ich habe sechs von ihnen angerufen, aber keiner ist bereit, uns seine wertvolle Zeit zur Verfügung zu stellen.«

Lanas Spannungskopfschmerzen nahmen abrupt zu. Sie hatte letzte Nacht extrem schlecht geschlafen – nicht, dass das etwas Besonderes war.

»Ich werde versuchen, ob ich bei den anderen Auktionatoren auf unserer Liste etwas erreichen kann«, erwiderte Lana. »Ich könnte ein wenig Geld lockermachen, indem ich die Stromrechnung diesen Monat ein paar Tage später bezahle. Vielleicht gelingt es mir ja dadurch, jemanden zu locken, insbesondere wenn ich obendrein eine erstklassige Werbefläche in unserem Auktionskatalog zur Verfügung stelle.«

Stacie nickte und blinzelte erneut auf ihren Notizblock. »Ich werde mich um die Änderung der Auktionsliste kümmern, die sich mit freundlicher Unterstützung von Armand ergeben hat. Das Layout für den Katalog ist so gut wie fertig. Sobald wir einen Auktionator gefunden haben, können wir das Ganze in Druck geben. Die haben gesagt, die Drucklegung dauert circa drei Tage, wir haben also reichlich Zeit.«

»Na, wenigstens etwas«, sagte Lana, während sie sich ihr glattes Haar hinter die Ohren strich, um ihre hämmernden Schläfen besser massieren zu können. Noch zwei Wochen bis zur Auktion, dann konnte sie sich entspannen. »Ich übernehme heute Abend die Website, um die Liste der teilnehmenden Künstler zu aktualisieren. Und ich besorge uns heute noch einen Auktionator, sonst besuche ich einen Kurs und übernehme die verdammte Sache selbst.«

»Und woher willst du die Zeit nehmen, um einen Kurs zu besuchen? Und sei es nur für einen Tag? Du arbeitest doch jetzt schon siebzig Stunden die Woche. Wenn nicht mehr. Und was ist mit dem Jugendzentrum? Die Kinder sind doch der Grund, weshalb du diese Stiftung gegründet hast, und du hast sie seit Tagen nicht besucht. Sie vermissen dich.«

»Das werde ich auch noch irgendwie einschieben.«

»Du kannst nicht alles allein machen.« Stacie schenkte Lana ein mütterliches Stirnrunzeln.

»Ich versuche doch überhaupt nicht, alles allein zu machen. Ich will diese Auktion nur irgendwie über die Bühne bringen, ohne das Konto der Stiftung vollständig zu plündern. Jede Stunde, die ich selbst arbeite, muss ich nicht in eine fremde Arbeitskraft investieren.«

»Wenn es dir hilft, verzichte ich diesen Monat auf mein Gehalt.«

Lana schnaubte. »Du arbeitest doch eh schon für einen Hungerlohn. Wenn ich mir dein Gehalt schon nicht mehr leisten kann, stecken wir wirklich in der Tinte.«

»Ich habe einen Blick in die Bücher geworfen. Du hast dir seit drei Monaten keinen Gehaltsscheck mehr ausgestellt.«

Lana verzog das Gesicht. Sie versteckte ihre Finanzunterlagen nicht vor Stacie, denn für gewöhnlich war das auch gar nicht nötig. Stacie hasste alles, was mit Zahlen zusammenhing. Die meiste Zeit ihres Erwachsenendaseins hatte sie als verwöhnte Managergattin verbracht, die es nicht gewohnt war, einen Taschenrechner in die Hand zu nehmen. Doch dann waren ihr Mann und ihr Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und mit einem Mal hatte die Zeit des Verwöhntseins ein Ende.

»Ich werde keinen weiteren Gehaltsscheck annehmen, solange du dir selbst keinen ausstellst«, beharrte Stacie.

»Ich komme schon klar.«

Stacie zog die Augenbrauen hoch. »Lügnerin.«

Lana spürte, wie sich ihr ein Lächeln auf die Lippen drängte, und sie gab dem Impuls nach. »Es gehört sich nicht, seine Chefin eine Lügnerin zu schimpfen.«

»Bei dem Gehalt muss ich mir meinen Bonus eben woanders suchen«, neckte Stacie. »Aber ich meine es ernst. Du kannst dich nicht in Schulden stürzen, nur um die Stiftung am Leben zu erhalten.«

»Ich habe keine Schulden.« Noch nicht. Aber sie stand verdammt noch mal kurz davor. Sie hatte gerade eben so genug Geld, um diesen Monat ihre Rechnungen und die nötigsten Lebensmittel zu bezahlen, das war’s. Sie hatte keine Ahnung, wie es danach weitergehen sollte.

»Mm-hmm. Und wann hast du dir das letzte Mal ein Paar Schuhe gekauft? Oder eine neue Bluse? Du hast Woche für Woche dieselben Sachen an. Und dieser Rucksack, den du als Handtasche mit dir rumträgst, ist absolut grauenhaft.«

»Ich bin sauber und gepflegt. Und ich bin anständig gekleidet. Das reicht. Und außerdem bestimme ich hier die Kleiderordnung, also spar dir die Kommentare.«

Stacie schüttelte den Kopf, sodass der Haarknoten an ihrem Hinterkopf hin und her rutschte. Lana hatte keine Ahnung, wie sie es schaffte, das Ding den ganzen Tag über in Form zu halten, aber ihre Frisur hatte noch nie versagt. »Übertreib es nicht! Ich weiß, wie viel dir daran liegt, dass die Sache gut läuft, aber ohne dich läuft hier gar nichts. Wenn du dich übernimmst, bist du am Ende verschuldet und krank – und unsere Krankenversicherung ist ziemlich bescheiden.«

»Welche Krankenversicherung?«

»Eben.«

Lana hob abwehrend die Hände, um sich vor weiteren mütterlichen Angriffen zu schützen. Davon bekam sie am Wochenende schon genug. »In Ordnung. Ich werde mich zusammenreißen.«

»Gut«, erwiderte Stacie, während sie aufstand und einen Stapel Papier zurechtrückte, um ihn in eine Aktenmappe zu stecken. »Dann wirst du heute mit mir zusammen Feierabend machen. Keine Überstunden.«

Das Klingeln der Türglöckchen bewahrte Lana davor, Stacie anzulügen.

Sie blinzelte ins grelle Sonnenlicht, als sich die getönte Glastür unvermittelt öffnete. Der abrupte Wechsel von dunkel zu hell weckte in ihr immer noch einen Sturm von lebhaften Emotionen, genau wie manche Gerüche intensive Erinnerungen in ihr auslösten. Es war lange her, seit sie aus dieser Höhle ins Sonnenlicht getragen wurde, doch sie würde das Gefühl nie vergessen, aus ihrem Albtraum befreit zu werden. Trotz ihres blutenden, gebrochenen und misshandelten Körpers war ihr vor lauter Freude das Herz aufgegangen. Jedes Mal, wenn sie in strahlendes Sonnenlicht blickte, erinnerte sie sich an dieses Hochgefühl. Sie genoss die Helligkeit, genoss die Tatsache, zu leben und frei zu sein, um diese Empfindungen genießen zu können.

Doch jenes erhebende Gefühl erhielt umgehend einen Dämpfer. Als Lana die eintretende Person erkannte, wusste sie, dass sie in Schwierigkeiten steckte.

Caleb Stone.

Lana hätte ihn überall wiedererkannt, ganz gleich, ob unter dem Namen Caleb oder – wie sie ihn zuerst kennengelernt hatte – als Miles Gentry, korrupter Sprengstoffexperte und Handlanger ohne jegliche Moral.

Er war ein riesiger Mann – nicht nur groß, sondern vor allem massig – mit einer überwältigenden Präsenz, obwohl er etwa zwei Meter vor ihr entfernt stand. Er war über eins achtzig groß und brachte gut und gern hundert Kilo purer Muskelmasse auf die Waage. Seine starken Beine waren leicht gespreizt, und er hielt die Fäuste geballt, so als wollte er sich auf einen körperlichen Angriff vorbereiten.

Der Schock machte Lana sprachlos. Der Kugelschreiber entglitt ihren schlaffen Fingern und fiel zu Boden. Ihr Herz pochte wie wild und pumpte eine Welle schierer Panik durch ihren Körper. Caleb konnte unmöglich hier sein. Es handelte sich zweifellos um einen schlechten Scherz – eine optische Täuschung. Einen weiteren Albtraum.

»Madam«, begrüßte er sie mit seiner tiefen, ruhigen Stimme.

Das hier war kein Albtraum – oder vielleicht doch, nur leider war sie hellwach. Das hier war real. Caleb war hier und folterte sie aufs Neue, indem er die Erinnerungen an jene drei Tage wachrief. Jene Tage, als ihre Welt nur aus Schmerz und dem Klang seiner Stimme bestand. Er war an ihrer Seite geblieben, hatte ihr befohlen zu überleben, sich nicht aufzugeben. Sie war zu schwach und zu verwirrt gewesen, um irgendetwas anderes zu tun, als ihm zu lauschen und seinen Befehlen zu gehorchen, und deswegen – seinetwegen – war sie noch am Leben.

Manchmal hasste sie ihn dafür.

Es fiel ihr schwer, die Fassung zu bewahren. Caleb beobachtete sie, während er eine Reaktion auf seine Begrüßung erwartete. Was sollte sie ihm schon sagen? Sie wollte ihn anschreien, er solle verschwinden. Sie wollte ihre Fäuste in seinen stählernen Körper rammen, bis er sich nie wieder hier blicken ließe.

Sie schluckte heftig, um ihre verkrampften Stimmbänder zu lockern. »Was zum Teufel wollen Sie hier?«, fragte sie in einem bissigen Tonfall, bei dem Stacie überrascht ihre schmalen Augenbrauen hochzog.

Calebs Lippen spannten sich. Er warf Stacie einen abschätzenden Blick zu. »Können wir unter vier Augen reden?«

»Nein«, erwiderte Lana. Sie war sich nicht sicher, ob sie ohne Stacies Rückendeckung in der Lage wäre, ihre kühle Haltung beizubehalten. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, dass dieser Mann sah, wie sie ihre labile Fassung verlor. Sie hasste die Tatsache, dass er bereits wusste, wie zerbrechlich sie sein konnte.

Sie glaubte, so etwas wie Mitleid in seinen dunklen Augen zu entdecken, und wandte abrupt den Blick ab. Sie wollte sein Mitleid nicht. Sie wollte gar nichts, außer dass er verschwand.

»Es ist wichtig«, erklärte er. »Ich habe den Befehl, mit Ihnen zu reden.«

Wenn Zuhören der schnellste Weg war, ihn wieder loszuwerden, dann würde sie es tun. »Reden Sie! Ich bin eine viel beschäftigte Frau.«

»Unter vier Augen«, setzte er hinzu.

»Lana? Kennst du diesen Mann?«, fragte Stacie in einem besorgten Tonfall.

Ihre Hand lag bereits am Telefonhörer. Lana brauchte nicht viel Fantasie, um zu erraten, dass Stacie kurz davor war, Hilfe zu rufen. Das Letzte, was Lana jetzt gebrauchen konnte, war, dass Stacie in Panik die Polizei rief. Die beste – und schnellste – Lösung war wohl, sich das Ganze anzuhören und Caleb so schnell wie möglich wieder loszuwerden, ohne Einmischung von außen.

Sie starrte Caleb eindringlich an. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck!«, befahl sie ihm. Dann packte sie Stacie am Arm und führte sie in den Lagerraum am anderen Ende des Büros.

Der kleine Raum enthielt mehrere Regale mit Büromaterial und einen Fotokopierer. Hier drinnen war es stickig und beengt, aber Lana schloss nichtsdestotrotz die Tür.

»Wer ist der Kerl?«, wollte Stacie wissen.

»Das ist der Soldat, der mich aus der Höhle in Armenien befreit hat.«

Stacies Augen weiteten sich in einem absurden Anfall von Heldenverehrung. »Du hast mir nie erzählt, dass er so gut aussieht.«

»Da habe ich in dem Moment nicht wirklich drüber nachgedacht.« Sie hatte sich vielmehr vor Schmerzen gekrümmt.

Stacies Mundwinkel wanderten schuldbewusst nach unten. »Entschuldige. Das war furchtbar unsensibel von mir.«

Lana winkte ab. »Mach dir keinen Kopf. Gut aussehend oder nicht, ich will ihn so schnell wie möglich wieder loswerden.«

»Er hat dir das Leben gerettet, und du willst ihn nicht mal sehen? Das versteh ich nicht.«

Lana hatte niemandem erzählt, dass er zugleich der Mann war, der ihre Folter tatenlos mit angesehen hatte, anstatt etwas dagegen zu unternehmen. Als verdeckter Ermittler hatte er herauszufinden versucht, welche Grundschule die Terroristen in die Luft jagen wollten. Er hatte seine Tarnung nicht aufgeben können, nur um sie oder einen anderen Amerikaner ihrer Gruppe zu retten. Hätte er das versucht, wären womöglich Hunderte von Kindern gestorben.

Lana konnte durchaus nachvollziehen, dass er keine andere Wahl gehabt hatte, und hätte er sie damals gefragt, ob sie bereit wäre, für diese Kinder zu leiden, so hätte sie, ohne zu zögern, Ja gesagt. Doch das hieß noch lange nicht, dass sie diesen Mann wiedersehen wollte, um all den Horror und die Schmerzen erneut zu durchleben.

Ihr Leben wandte sich allmählich zum Besseren. Zwar keineswegs gut, aber immerhin akzeptabel. Sie konnte im Moment keinerlei Rückschläge verkraften – sie mochte nicht daran erinnert werden, was sie diese drei Tage gekostet hatten.

»Die Sache ist ziemlich kompliziert.« Lana verschluckte sich fast an dieser maßlosen Untertreibung.

»Was will er hier?«

»Ich hab keine Ahnung. Aber er wird es mir sicher verraten, sobald wir allein sind.« Schon bei dem Gedanken erfasste sie eine böse Vorahnung, die sie innerlich erschaudern ließ. Sie wollte nicht mit ihm allein sein. Die Situation erinnerte sie zu sehr an jene Zeit im Krankenhaus, erfüllt von Schmerz und Angst, als er ihre Rettungsleine gewesen war. Sie wollte sich nicht an diesen dunklen Ort zurückbegeben. Niemals. Nicht einmal in Gedanken.

»Er sieht nicht gerade danach aus, als wäre er gern hier«, sagte Stacie.

»Nein, weil er nicht dumm ist.«

»Soll ich ihn für dich abwimmeln?«

»Wenn ich der Meinung wäre, dass du das könntest, würde ich das Angebot dankbar annehmen, aber ich fürchte, das wird nicht funktionieren. Ich werde mir anhören, was er zu sagen hat, und dann soll er von hier verschwinden.«

»Ich wollte sowieso noch ein paar Dinge erledigen«, verkündete Stacie entgegenkommend. »Aber nur, wenn du wirklich mit ihm allein sein willst.«

Sie wollte keineswegs mit ihm allein sein, aber die starre Linie seines Kiefers ließ darauf schließen, dass Caleb nicht verschwinden würde, bevor er seinen Teil gesagt hatte. Und je schneller sie ihn loswürde, umso besser. »Geh nur«, erwiderte sie. »Ich komme schon klar.«

Lana begleitete Stacie aus dem Lagerraum. Caleb stand immer noch genau so da, wie sie ihn zurückgelassen hatten. Er sah sie mit feierlicher Miene an, und Lana musste ihren Blick erneut abwenden. Sie wusste nicht, wie sie die nächsten fünf Minuten überleben sollte, aber sie wusste, sie würde es irgendwie schaffen. Ihr Genesungsprozess hatte sie diese Lektion immer wieder aufs Neue gelehrt.

Stacie machte sich hastig aus dem Staub, und Lana steuerte auf die Kaffeemaschine zu. Sie konnte diesem Mann nicht gegenübertreten, ohne sich vorher zumindest mit Koffein vollzupumpen. Sie schüttete sich eine Tasse Kaffee ein und machte auf dem Absatz kehrt, um zu ihrem Schreibtisch zurückzugehen, als sie um ein Haar gegen seine muskulöse Brust gerannt wäre. »Verdammt noch mal! Schleichen Sie sich nicht so an!«

»Entschuldigung, Madam.« Er trat einen Schritt zurück, doch sie fühlte sich immer noch von ihm bedrängt. Dieser Mann hatte wirklich die Gabe, einen Raum mit seiner Präsenz auszufüllen.

Lana schauderte, als er sie erneut Madam nannte. So nannten die Leute für gewöhnlich ihre Mutter, und Lana wollte nicht wie ihre Mutter behandelt werden. »Nennen Sie mich Lana.«

»Lana«, wiederholte er, doch zu ihrer Bestürzung klang dies nur noch schlimmer. Zu hören, wie seine tiefe Stimme ihren Namen sagte, erfüllte sie mit düsteren Erinnerungen voll Qual und Schrecken. Sie wurde in jene furchtbare Zeit im Krankenhaus katapultiert, als um sie nichts existierte außer ihrem Schmerz und dem Klang seiner Stimme, die ihren Namen sprach. Sie spürte erneut jene Höllenqual, die ihr fast den Verstand geraubt hatte. Sie roch den Gestank der Klinik, ihr Blut, die Wärme seiner Haut. Sie sah nichts als Schwärze – ein gieriger Rachen, der sie mit Haut und Haaren zu verschlingen drohte.

Eine nur allzu bekannte Welle von Panik stieg in ihr auf. Sie konnte das nicht. Sie konnte nicht dorthin zurückkehren und jenen Albtraum erneut durchleben, und sei es nur für eine Sekunde. Sie war jede Nacht aufs Neue gezwungen, ihn zu durchleben, doch jetzt war helllichter Tag, und bei Tag musste sie davor sicher sein. Sie durfte nicht zulassen, dass die Angst auch tagsüber ihr Leben bestimmte. Ansonsten bliebe ihr überhaupt nichts mehr.

Die Kaffeetasse wurde ihren Händen entwunden, ehe sie das heiße Getränk verschütten konnte. Eine warme Hand fasste ihren Ellbogen und stützte sie. »Setzen Sie sich«, sagte er, während er sie zu einem Stuhl führte.

Lana setzte sich, unfähig etwas anderes zu tun. Sie rang mit ihren Erinnerungen, schob sie gewaltsam von sich, während sie ihrem Körper verzweifelt zu erklären versuchte, dass sie sich in Sicherheit befand. Hier in ihrem Büro. Bei helllichtem Tag. Hier konnte ihr niemand etwas anhaben.

»Bitte … bitte, gehen Sie!« Sie flehte ihn regelrecht an. Aus ihren Worten sprach keinerlei Stolz, keinerlei Selbstachtung, doch es war ihr egal. Er musste einfach von hier verschwinden und alle jene Erinnerungen mitnehmen.

»Das kann ich nicht.« Seine Stimme klang angespannt, steif. »Ich schwöre Ihnen, wenn ich nicht auf Befehl hier wäre, würde ich mich auf der Stelle umdrehen und Sie nie wieder belästigen. Aber das kann ich nicht.«

Lana schaffte es irgendwie, sich aus jenem zerstörerischen Sog der Vergangenheit zu befreien. Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war. Was ihr einen weiteren Grund gab, Caleb Stone zu hassen.

Lana wünschte nur, sie hätte die Kraft ihn zu hassen. Ein gesunder Hass hätte ihr Leben um einiges erleichtert. Wäre er nicht so ein verdammter Superheld gewesen, hätte sie ihn für das, was er getan hatte, ohne Weiteres hassen können.

»Sagen Sie einfach, was Sie zu sagen haben, und dann verschwinden Sie«, forderte sie ihn auf, während sie sich voller Wut die Tränen aus dem Gesicht wischte.

Calebs Lippen waren zu einer finsteren Linie gepresst. »Ich fürchte, so einfach ist das nicht.«

»Sie haben drei Minuten Zeit, um es zu vereinfachen, dann rufe ich die Polizei.«

Seine Stimme klang sanft, geradezu entschuldigend. »Mein Boss glaubt, dass Sie in Gefahr sind.«

Ein neuer Anfall von Panik ließ sie innerlich verkrampfen, bis sie kaum noch Luft bekam. Das Ganze sollte doch eigentlich vorbei sein. »Warum?«

»Wir haben ein paar Gesprächsfetzen aufgeschnappt – Unterhaltungen zwischen ziemlich üblen Menschen. Dabei ist Ihr Name gefallen. Mehrmals.«

Hatte irgendjemand herausgefunden, was sie in Armenien gesehen hatte? Hatte jemand den Riss in ihrer Maske bemerkt und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus gezogen? »Was haben die gesagt?«

»Leider nichts Belastendes, sonst wären wir längst eingeschritten. Aber mein Boss ist trotz allem besorgt. Er hat mich hergeschickt, um herauszufinden, ob Ihnen noch irgendetwas eingefallen ist, woran Sie sich erinnern können, oder ob Sie eine Ahnung haben, warum man Ihnen vielleicht etwas antun will.«

»Die hatten nie einen Grund, mir etwas anzutun. Leute wie die brauchen keinen Grund. Oder?«

Calebs Kiefer verkrampfte sich, und ein wütendes Funkeln trat in seine Augen. »Da haben Sie leider recht. Den brauchen sie nicht.«

Sie stellte nur ungern diese Frage, doch sie musste es wissen. »Glauben Sie auch, dass ich in Gefahr bin?«

Er sah ihr direkt in die Augen. »Wenn ich das glauben würde, hätte mich niemand zwingen müssen hierherzukommen. Im Gegenteil, man hätte mich nicht davon abhalten können.«

»Also bin ich in Sicherheit.« Bitte, bitte, lieber Gott, lass ihn Ja sagen!

»Bis ich mir dessen absolut sicher sein kann, werde ich mich in Ihrer Nähe aufhalten, um sie im Zweifelsfall zu beschützen.«

Lana bekam weiche Knie und war froh, dass sie saß. Sie ließ all ihre Wut in sich hochkochen, denn die war weitaus leichter zu ertragen als die Angst, die sich in ihrer Magengrube breitmachte. »Ich will Sie nicht in meiner Nähe haben, und auf Ihren Schutz kann ich ebenfalls verzichten. Außerdem, seit wann bekommen gewöhnliche Zivilisten einen privaten Bodyguard zur Seite gestellt?«

»Sie sind eine Ausnahme.«

»Warum?«

»Mein Boss glaubt, dass sie irgendetwas verheimlichen.«

Sie wussten es also nicht. Sie war weiterhin in Sicherheit. Ihre Familie war in Sicherheit. »Er und seine Männer haben mich fünf Tage lang verhört, nachdem ich gerade aufgewacht war. Ich werde Ihnen sagen, was ich denen gesagt habe. Ich habe in Armenien nicht das Geringste gehört, das von militärischem Nutzen sein könnte, weil ich deren Sprache nicht verstanden habe. Und ich habe nichts gesehen, weil ich einen Sack über dem Kopf hatte.« Sie sprach diese Lüge wie ein Politiker aus, ruhig und ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Also bitte. Raus! Aus meinem Büro!«

Er beugte sich mit seinem kräftigen Körper über sie, sodass sie sich gleichermaßen bedrängt wie beschützt fühlte. »Sie werden es mir nicht leicht machen, oder?«

Lana blickte zu ihm auf, doch aufgrund der grellen Neonleuchten in seinem Rücken konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten. »Können Sie mir einen einzigen Grund nennen, weshalb ich das tun sollte?«

»Nein, Madam. Keinen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man mich beauftragt hat herzukommen, um Sie zu beschützen und sie davon zu überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten, beziehungsweise so lange auszuharren, bis sie dazu bereit sind.«

»Dann haben Sie wohl bis zu Ihrer Pensionierung eine ziemlich lange, langweilige Zeit vor sich. Ich habe Ihnen nichts zu sagen, und daran wird sich auch nichts ändern.«

2

Von wegen eine Kugel einfangen. Caleb hätte sich freiwillig eine Kugel in die Eier jagen lassen, um Lana nicht erneut weinen zu sehen. Ihre Tränen hatten an seinem Herzen gezerrt wie rostiger Stacheldraht. Dies war eindeutig eine Art von Folter, auf die einen das Militär nicht vorbereitete. Caleb hatte all seine Willenskraft aufbieten müssen, um Lana nicht in die Arme zu nehmen. Als hätte er damit irgendetwas besser gemacht! Für wen hielt er sich eigentlich, dass er glaubte, die Frau trösten zu können, deren Probleme zum überwiegenden Teil auf seine Rechnung gingen?

Caleb verfluchte Monroe für diesen Einsatz. Sein Boss hätte wissen müssen, was Lana durchmachen würde, wenn sie Caleb erneut begegnete. Er hätte wissen müssen, was Caleb durchmachen würde. Dieser Bastard.

Caleb schob seinen Stuhl in die hinterste Ecke des Büros und versuchte, sich möglichst unsichtbar zu machen – keine leichte Aufgabe für einen Mann seiner Statur. Er weigerte sich zu verschwinden, und sie weigerte sich, seine Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen. Vorerst musste er sich mit dieser Pattsituation zufriedengeben. Wenn sie erst einmal über den Schock ihrer erneuten Begegnung hinweg war, würde sie ihm vielleicht zuhören. Bis dahin musste sich Caleb gedulden und die Augen offen halten.

***

Keine zehn Minuten nachdem sie es endlich geschafft hatte, Calebs stumme Gegenwart aus ihrem Bewusstsein zu verbannen, stolzierte Lanas Ex-Verlobter Oran Sinclair in ihr Büro. Er bewegte sich mit der arroganten Selbstsicherheit eines Mannes, der felsenfest davon überzeugt ist, dass ihm alle Blicke bewundernd folgen. Lanas Magen verkrampfte sich bei dem Anblick, der nichts als Wut und Abscheu in ihr auslöste – Wut, weil Oran einfach so hier hereinspaziert kam, als würde ihm der Laden gehören, und Abscheu, weil ihr der Egoismus dieses Mannes erst bewusst geworden war, nachdem er ihr das Herz gebrochen hatte.

Er war immer noch genauso gut aussehend wie damals, als sie sich im zweiten Studienjahr an der University of Missouri in ihn verliebt hatte. Mit seinem perfekt frisierten Haar und seinem fotogenen Vorzeigeaussehen hatte er sie absolut umgehauen. Sie war zu jung gewesen, um zu begreifen, dass das böse Erwachen erst Jahre später folgen würde.

So viel zum Thema wahre Liebe.

Oran rückte seine Krawatte zurecht und schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln – dasselbe Lächeln, das er der Presse schenkte, wenn er einen Prozess gewonnen hatte.

Er bedachte Caleb mit einem abschätzenden Seitenblick, während er zielstrebig auf ihren Schreibtisch zutrat. »Lana«, begrüßte er sie. Als sie ihm nicht die Hand reichte, griff er danach.

Seine Finger waren kalt und klamm, als wäre er nervös, was absoluter Quatsch war, denn Oran hatte in seinem ganzen Leben noch keine Nervosität verspürt. Er gedieh am besten unter Druck, florierte vor allem unter Stress – wie irgendein exotischer Pilz.

Lana entzog sich seinem Griff ein wenig zu hastig, sodass ihre Abneigung offen zutage trat. Caleb bemerkte die Geste und erhob sich von seinem Stuhl, um warnend einen Schritt vorzutreten. Lana schüttelte leicht den Kopf. Caleb runzelte missbilligend die Stirn, doch er blieb auf seiner Seite des Raums stehen.

»Willst du mir deinen Freund nicht vorstellen?«, fragte Oran mit einem Nicken in Calebs Richtung.

»Er ist nicht mein Freund. Ignorier ihn einfach. Das versuche ich auch.«

Orans Lächeln wurde breiter, und ein siegreiches Funkeln trat in seine Augen.

»Was willst du, Oran?«, fragte sie. »Bist du auf der Jagd nach Spendengeldern für deine Wahlkampagne, um deine hochtrabenden Pläne als Politiker endlich in die Tat umzusetzen?«

Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln, das seine strahlend blauen Augen mit feinen Fältchen umrahmte. »Nichts dergleichen, Liebling. Ich habe seit Ostern nichts mehr von dir gehört. Warum hast du nie zurückgerufen?«

»Weil ich dir nichts zu sagen habe. Mom hätte dich nicht zum Essen einladen sollen.«

»Sie macht sich eben Sorgen um dich.«

Das war nichts Neues.

Er fuhr fort. »Sie hat mir erzählt, dass du finanziell in der Klemme steckst. Ich wollte mit dir darüber reden, wie ich dir ein wenig unter die Arme greifen kann.«

In ihrem Kopf schrillten die Alarmglocken. Oran tat nie etwas aus purer Nächstenliebe. »Danke, nicht nötig«, erwiderte sie und setzte sich wieder hin, um ihn ohne ein weiteres Wort zu entlassen.

»Du hast es dir noch nicht einmal angehört«, ignorierte Oran ihre Abfuhr, während er einen Stuhl heranzog, um sich neben sie zu setzen.

»Das muss ich auch gar nicht. Was auch immer es ist, ich bin nicht interessiert.«

»Nicht mal, wenn ich dir anbiete, deine Stiftung über die nächsten fünf Jahre zu finanzieren?«

Lana blickte von ihren Notizen auf. Oran schenkte ihr jenes entwaffnende Lächeln, mit dem er ihr sechs Jahre zuvor mühelos das Herz geraubt hatte. Jenes Lächeln, das ihm unzählige Wählerstimmen einbringen würde.

Sein Angebot, die Stiftung zu unterstützen, klang zu schön, um wahr zu sein. Oran war kein großzügiger Mensch. »Du engagierst dich nur dann für einen wohltätigen Zweck, wenn die Presse es mitbekommt. Ich würde dir zuhören, wenn ich dir die Sache abkaufen könnte, aber ich kenne dich besser.«

Er streckte die Hand nach ihr aus, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht vor ihm zurückzuweichen und Calebs Aufmerksamkeit erneut auf sich zu lenken. Sie hasste es, bei dieser Unterhaltung einen Zuschauer zu haben. Das Ganze war so schon schlimm genug.

Er legte seine Hand an ihre Wange – die lächerliche Imitation einer zärtlichen Geste. »Du wirkst erschöpft. Du arbeitest zu viel, Lana. Ich weiß, wie viel dir die Stiftung bedeutet, und ich würde dir gern helfen.«

»Warum?« Sie wusste, wie sehr sie es verabscheuen würde, in seine Welt hineingezogen zu werden – in eine Welt, in der nichts zählte außer seinen politischen Ambitionen. Das musste sie sich immer wieder vor Augen halten.

»Kannst du mir nicht einfach glauben, dass ich dir schlicht und ergreifend helfen will, weil du mir etwas bedeutest?« Er klang aufrichtig.

»Nein.«

Er schenkte ihr ein selbstironisches Lächeln, das er vermutlich unzählige Male vor dem Spiegel trainiert hatte. »Das habe ich auch nicht erwartet. Ich weiß, es lief am Ende nicht besonders gut zwischen uns beiden, aber ich will dir beweisen, wie sehr ich das Ganze bereue. Ich hätte damals mehr Verständnis zeigen sollen.«

Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie Caleb die Szene ungeniert beobachtete, ohne sich auch nur den Anschein zu geben, als würde er ihnen ein wenig Privatsphäre einräumen.

Na wunderbar! Als wäre dieser Tag nicht schon peinlich genug verlaufen.

»Du hast gesagt, im Rollstuhl würde ich dir nichts nützen, Oran. Du hast gesagt, eine Frau, die dir vielleicht keine Kinder schenken kann, käme für dich nicht infrage. Verrate mir bitte mal, wie du noch weniger Verständnis hättest zeigen können.«

Oran warf einen skeptischen Blick auf Caleb, dann senkte er die Stimme. »Ich war ein Vollidiot. Es tut mir leid, Lana. Ich will es wiedergutmachen.«

»Indem du meine Stiftung finanzierst?«, fragte sie ungläubig.

»Indem ich uns eine zweite Chance gebe. Wir waren ein gutes Team.«

»Scheinbar nicht gut genug, um zu mir zu halten. Du hast mich eiskalt abserviert, noch bevor ich aus dem Krankenhaus war!«

Caleb stand erneut auf. Lana warf ihm über Orans Schulter hinweg einen strafenden Blick zu. »Halten Sie sich da raus! Das Ganze geht Sie nichts an.«

»Wer ist dieser Kerl?«, fragte Oran. »Kannst du ihn nicht rausschicken, damit wir beide vertraulich miteinander reden können?«

»Ihn rausschicken?« Sie kreischte beinah. »Das sieht dir ähnlich, Oran. Du glaubst, du kannst jeden herumkommandieren, als wäre er dein Dienstbote.«

»Ich gehe nirgendwohin«, sagte Caleb mit einem drohenden Knurren in der Stimme. Seine dunklen Augen waren fest auf Lana gerichtet, so als wollte er sie warnen, ihn nur ja nicht herauszufordern. Dabei hatte sie herzlich wenig Interesse daran, eine noch größere Szene anzuzetteln als mit Oran.

»Ignorier ihn einfach«, sagte sie zu Oran. »Er ist nicht von hier, du brauchst dich also nicht um seine Wählerstimme zu sorgen.«

»Es kränkt mich, dass du glaubst, ich würde an nichts anderes denken«, sagte Oran.

»Ich weiß, dass du an nichts anderes denkst.« Sie stieß ihren Zeigefinger hart gegen Orans Brust. »Du konntest es gar nicht abwarten, die Last einer behinderten Frau loszuwerden. Ich habe dir oft genug gesagt, dass es zwischen uns aus ist. Punkt. Wie kommst du auf den absurden Gedanken, dass ich dir eine zweite Chance geben würde?«

»Weil ich dafür sorgen kann, dass die First Light Foundation nicht bankrottgeht. Ich weiß, wie sehr du daran hängst.«

Er wusste es nur zu gut, und er nutzte dieses Wissen schamlos aus. Wenn sie auch nur den geringsten Grund gehabt hätte, ihm zu glauben, wäre sie vielleicht auf sein Spielchen reingefallen, aber sie wusste es besser. »Soll das heißen, du willst dir meine Vergebung erkaufen?«

»Nein. Ich weiß, das würde niemals funktionieren. Ich will nur, dass du endlich begreifst, wie leid es mir tut, dich so behandelt zu haben.«

»Und warum ausgerechnet jetzt? Warum nicht vor sechs Monaten, als ich mich abgemüht habe, diese Stiftung auf die Beine zu stellen? Ist dir etwa erst jetzt aufgefallen, was für ein mieses Arschloch du warst? Oder hat vielleicht irgendein Mitarbeiter deiner Wahlkampagne eine Vergleichsanalyse erstellt, bei der herauskam, dass ich eine bessere Partie abgebe als Brittney?«

Eine verräterische Röte breitete sich über seinen Hals aus.

»Du erinnerst dich doch noch an sie?«, fragte Lana. »Brittney? Die Frau, die du heiraten willst?«

»Sie könnte mir nie so viel bedeuten wie du – meine erste große Liebe.« Seine Finger strichen zart über ihre Wange, doch sie stieß seine Hand hart beiseite.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Caleb die Fäuste ballte, doch er hielt sich zurück.

Lana hatte für Orans lächerliche Bemerkung nur ein Schnauben übrig. Einst hätte er sie damit um den kleinen Finger gewickelt, doch diese Zeiten waren längst vorbei. »Dann solltest du sie vielleicht besser nicht heiraten.«

»Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest. Tief in deinem Innern weißt du, dass wir zusammengehören.« Er streckte erneut die Hand nach ihr aus, doch Lana lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Oran schien den dezenten Hinweis zu verstehen und ließ die Hand wieder sinken.

»Du liebst nur einen einzigen Menschen, und das bist du selbst. Ganz gleich, wie viel Geld du meiner Stiftung auch anbietest, es wird nicht genug sein, um dir meine Vergebung zu erkaufen.«

»Und wie wäre es mit deiner Zeit? Ich will schließlich nicht mehr als eine zweite Chance. Geh mit mir essen. Nur essen.« Seine Stimme klang schmeichlerisch.

»Warum willst du unbedingt mit mir essen gehen? Ich denke, du hast dich gerade verlobt?«

»Es läuft nicht besonders gut«, erklärte er.

»Was ist passiert? Hat sie etwa beim Abendessen mit dem Gouverneur die falsche Gabel benutzt?«

»Sei nicht albern! Ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass du die Frau bist, mit der ich wirklich zusammen sein will. Und wenn das bedeutet, dass ich deine beruflichen Pläne unterstützen muss, dann werde ich das tun.« Seine Worte klangen, als würde er ein gewaltiges Opfer erbringen, damit sie ihrer Arbeit nachgehen konnte.

Lana hatte plötzlich eine Eingebung und entschloss sich, ihre Theorie auf den Prüfstand zu stellen. »Was, wenn ich meinen Beruf aufgeben würde?«

»Du liebst deine Arbeit doch viel zu sehr. Das würde ich niemals von dir verlangen, Liebling.«

»Und warum nicht?«, fragte sie schmeichlerisch.

»Du leistest hervorragende Arbeit. Die Presse liebt dich. Warum um alles in der Welt solltest du das aufgeben wollen?«

Die Presse. Das war es also. Lana hatte in letzter Zeit im Mittelpunkt mehrerer großer Zeitungsberichte gestanden. Oran wollte sich also ein Stück vom Publicity-Kuchen abschneiden. »Ich bin mit dir fertig, Oran. Da ist die Tür!«

Lana wandte sich erneut ihrer Arbeit zu und versuchte, sich auf ihre Notizen zu konzentrieren. Die Worte ergaben keinerlei Sinn, doch Lana starrte sie an, als würden sie ihr die Weisheit des Lebens offenbaren.

Wie hatte sie nur jemals glauben können, dass Oran sie liebte? Inzwischen war ihr klar, dass dieser Mann zu derartigen Gefühlen überhaupt nicht fähig war. Er war nicht mehr als ein weiterer dummer Fehler, den sie in ihrem Leben begangen hatte.

»Bitte tu das nicht, Lana.« Sein sanfter, einfühlsamer Ton brachte sie beinah um den Verstand. Oran bot ihr alles, was sie sich wünschte, doch sie wusste, dass sein Angebot reine Augenwischerei war. Ganz gleich, wie sehr sie ihn liebte, er wäre niemals in der Lage, ihre Liebe so zu erwidern, wie sie es sich vorstellte. Wie sie es brauchte.

»Ich tue überhaupt nichts«, sagte Lana. »Ich habe dich nicht gebeten hierherzukommen. Ich habe dich um gar nichts gebeten. Ich bitte dich nur zu verschwinden.«

Caleb trat einen Schritt vor. Mit seinem finsteren Gesichtsausdruck wirkte er äußerst respekteinflößend. Oran schien die Bedrohung nicht zu erkennen. Andererseits wusste er auch nicht, wozu Caleb fähig war – ganz im Gegensatz zu Lana. Sie hatte mit angesehen, wie er jenen Mann getötet hatte, der für ihre Schläge und ihre Folter verantwortlich war. Bei ihm wirkte der Akt des Tötens geradezu beängstigend leicht.

»Ich will nicht, dass das Ganze so endet. Du und ich, wir könnten eine gemeinsame Zukunft haben. Komm zu mir zurück, und ich werde es dir beweisen.«

»Wir haben keine gemeinsame Zukunft, Oran. Du hast jede Chance darauf vertan, indem du mich im Stich gelassen hast, als ich dich am meisten brauchte.«

»Ich sag doch, es tut mir leid. Können wir die Sache nicht einfach begraben?«

»Dafür ist es zu spät«, sagte Lana.

»Sie hat Sie aufgefordert zu gehen«, mischte sich Caleb mit tiefer, fester Stimme ein. Er war immer noch einige Schritte auf Abstand, doch seine Gegenwart wirkte deswegen nicht weniger bedrohlich. »Sie sollten ihrem Wunsch nachkommen.«

»Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«, fragte Oran. Er rümpfte die Nase, als hätte er etwas Übles gerochen.

Lana reagierte nicht schnell genug, um Oran einen plausiblen Grund zu liefern, warum Caleb hier war.

»Ich bin derjenige, der Ihnen die Tür weist, falls Sie den Weg nicht alleine finden«, erwiderte Caleb. Seine Stimme klang ruhig, gedämpft.

Oran musterte Calebs kraftvollen Körper von oben bis unten. »Arbeiten Sie mit Lana zusammen?«

»Ja«, erwiderte Caleb im gleichen Moment, wie Lana »Nein« sagte.

Oran blickte von einem zum anderen. Sein fotogenes Lächeln war wie weggeblasen. »Lass dir mein Angebot durch den Kopf gehen, Lana! Ich gebe dir ein wenig Bedenkzeit, und dann komme ich zurück, um deine Antwort zu erfahren.«

»Die Antwort ist dieselbe, die ich dir schon vor Monaten gegeben habe. Dieselbe, die ich dir jetzt gebe. Spar dir die Mühe«, erwiderte Lana.

Oran zuckte mit den Schultern und ging zur Tür, während er sein berühmtes Seht-mich-nur-an-Lächeln aufsetzte, für den Fall, dass ihn von draußen jemand bemerkte. »Wir werden sehen. Vielleicht wird dir schon bald klar werden, wie sehr du mich brauchst.«

»Als ich dich wirklich brauchte, warst du nicht da. Diesen Fehler werde ich kein zweites Mal machen.«

***

Caleb hatte bereits in jungen Jahren gelernt, sein Temperament unter Kontrolle zu halten, da er schon immer größer und stärker gewesen war als die meisten anderen Kinder. Ohne Geduld und Selbstbeherrschung hätte er leicht jemanden verletzen können, und diese Tugenden hatten ihm stets gute Dienste erwiesen – bis heute.

Während Caleb zusah, wie Oran zur Tür hinausging, wünschte er sich, er hätte ihm eine Faust in seine perfekte Visage gerammt. Dem Mistkerl zwei blaue Augen zu verpassen wäre überaus befriedigend gewesen. Geradezu befreiend.

Er konnte kaum fassen, wie Oran so dumm gewesen sein konnte, Lana den Laufpass zu geben. Die Tatsache, dass er dies ausgerechnet in dem Moment getan hatte, als sie schwach und verletzlich gewesen war, ließ Caleb vor Wut die Fäuste ballen.

»Kommt dieser Typ immer so hier hereingeschneit?«, fragte Caleb.

Lanas Miene war starr vor Zorn, der sich nunmehr auf ihn richtete. Caleb hatte sich bewusst zurückgehalten, da er sich nicht in Lanas Privatangelegenheiten einmischen wollte, doch nun konnte er sich nicht länger zusammenreißen. Nicht nach diesem Auftritt.

»Er wird’s schon irgendwann begreifen.«

Caleb missfiel der Gedanke, dass sich Lana mit solchem Abschaum abgeben musste. Nicht, dass es ihn etwas anginge. Lana war eine erwachsene Frau und konnte so viele falsche Entscheidungen treffen, wie sie wollte. Er hatte weiß Gott oft genug dasselbe getan.

»Wenn es Sie irgendwie tröstet, er ist ein Vollidiot«, kommentierte Caleb. »Sie können froh sein, dass Sie ihn los sind.«

Lana atmete tief durch und starrte auf ihre Notizen. »Das ist mir inzwischen auch klar.«

Aber es war ihr nicht klar gewesen, als er sie hatte sitzen lassen – diese unterschwellige Botschaft schwang in ihren Worten mit.

Caleb ballte die Hände zu Fäusten und ermahnte sich, dass er nicht hier war, um Lanas Ex-Verlobten zu vermöbeln – so verlockend die Vorstellung auch sein mochte.

***

Lana hätte längst nach Hause gehen sollen, doch Caleb saß immer noch in ihrem Büro. Stacie war schon vor Stunden gegangen und hatte ihr zum Abschied jenes mütterliche Stirnrunzeln geschenkt, das Lana jedes Mal das Gefühl gab, neun Jahre alt zu sein. Stacie hatte ihr einmal mehr vorgeworfen, zu hart zu arbeiten, und sich mit den Worten verabschiedet, morgen besonders früh anfangen zu wollen.

Lana warf einen prüfenden Blick auf Caleb. Er hatte sich den ganzen Tag über kaum gerührt. Er war nur eingeschritten, als Oran partout nicht hatte verschwinden wollen. Er hatte die Burger gegessen, die Stacie ihm hinstellte, und sich höflich dafür bedankt. Er hatte die Toilette im hinteren Bereich des Büros mehrfach aufgesucht. Doch abgesehen davon, hatte er sich nicht von der Stelle gerührt.

Lana spürte, wie er sie beobachtete, doch wann immer sie aufsah, war sein Blick auf irgendetwas anderes gerichtet. Sie wünschte, er hätte sie unverhohlen angestarrt, dann hätte sie sich wenigstens beschweren können. Vielleicht hätte sie sogar den Nerv gehabt, die Polizei zu rufen und ihn wegen Verletzung ihrer Privatsphäre verhaften zu lassen.

Als wäre sie damit durchgekommen. Die hätten lediglich einen Blick in seine Akte geworfen und ihn vermutlich auf einen Drink eingeladen oder ihn zu einem Date mit ihren Schwestern überredet. Derartige Launen des Schicksals war Lana bereits gewöhnt.

Caleb beobachtete die Straße. Ab und zu kritzelte er etwas in ein kleines Notizbuch. Sie hatte keine Ahnung, was er da trieb, aber offensichtlich nahm es seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie nutzte die Gelegenheit, um ihn ausgiebig in Augenschein zu nehmen.

Er hatte sein schwarzes Haar in Armenien ein wenig länger getragen. Es war immer noch lang genug, um gegen sämtliche militärische Konventionen zu verstoßen, aber Caleb war nun mal alles andere als konventionell. Er tat Dinge, wie sich als Krimineller auszugeben, um sich in eine Terroristengruppe einzuschleusen. Er konnte kaum wie GI Joe herumlaufen und erwarten, von derlei Abschaum als Abschaum anerkannt zu werden.

Seine dunkle Haut war an den Händen und im Gesicht von hellen Narben übersät, wo sein gefährlicher Beruf Spuren auf seinem Körper hinterlassen hatte.

Sein Gesicht war weniger attraktiv als vielmehr … eindrucksvoll. Imposant. Sein Kiefer war breit und markant und von einem leichten Nachmittagsbart überzogen, der die harten, männlichen Konturen seines Gesichts betonte. Seine Augen waren tiefschwarz. Lediglich ein feiner goldbrauner Schimmer ließ erahnen, wo seine Pupille begann und die Iris endete. Sie konnte sich noch lebhaft an diese Augen erinnern. Sie waren das Erste gewesen, das sie erblickte, als sie im Krankenhaus erwacht war. In jenem Moment hatte sie gewusst, dass sie überleben würde.

Lana wollte diesen Mann nicht mögen, und sie wollte schon gar nicht, dass er sich in ihrer Nähe aufhielt, aber sie konnte nicht umhin, ihn zu respektieren. Er hatte etwas getan, wozu sie selbst vermutlich nie in der Lage wäre. Er hatte das Schicksal unschuldiger Menschen in seinen Händen gehalten und entschieden, wer von ihnen leben und wer sterben würde.

Um eine solche Verantwortung beneidete sie ihn keineswegs.

»Haben Sie vor, hier zu übernachten?«, fragte er, ohne ihr den Blick zuzuwenden. Die Nacht hatte sich inzwischen herabgesenkt, und er betrachtete Lana in der spiegelnden Oberfläche der getönten Fensterscheibe.

Sie spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss, als ihr schlagartig bewusst wurde, dass er sie dabei beobachtete, wie sie ihn beobachtete. »Nein. Ich bin so gut wie fertig. Erzählen Sie Ihrem Boss, sie hätten mich ausgiebig gefoltert, um etwas aus mir herauszubekommen, aber leider hatte ich nichts zu sagen. Ich will nicht, dass er einen schlechten Eindruck von Ihnen bekommt, nur weil sie bei dieser Mission versagt haben.«

»Wer sagt denn, dass ich versagt habe? Ich bin ein geduldiger Mensch, Lana.«

Lana schluckte aus reiner Gewohnheit einen derben Fluch hinunter, obwohl Stacie nicht einmal in Hörweite war. »Ich werde Sie morgen früh nicht hier reinlassen. Und dabei bleibt’s. Wenn Sie draußen in der Sonne brüten wollen, bitte, aber Sie werden sich nicht in diesem schönen kühlen Büro aufhalten.«

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich musste schon an heißeren Orten ausharren.«

Daran bestand kein Zweifel. Er hatte vermutlich schneebedeckte Berge bestiegen und krokodilverseuchte Gewässer durchschwommen, glühende Wüsten ohne Wasser durchquert und mit einem einzigen Satz Gebäude übersprungen. Er war ein verdammter Superheld. Er hatte Hunderten von Menschen das Leben gerettet. Vermutlich konnte er auch übers Wasser gehen, wenn er es versuchte.