Demonica – Zhubaal - Larissa Ione - E-Book

Demonica – Zhubaal E-Book

Larissa Ione

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Beschreibung

Eine neue Novella aus der Welt von Demonica

Der gefallene Engel Zhubaal ist die rechte Hand des Todes. Vor fast einem Jahrhundert verlor er die Liebe seines Lebens, doch nicht einmal der Tod kann ihn davon abhalten, nach ihr zu suchen. Denn er weiß, dass ihr eine zweite Chance gewährt wurde, ein zweites Leben in einem neuen Körper. Doch wie kann er sie finden, wenn sie selbst sich nicht an ihr früheres Leben erinnert?

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Seitenzahl: 232

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Inhalt

TitelZu diesem BuchEintausendundeine dunkle NachtBegriffserläuterungen123456789101112131415DanksagungDie AutorinDie Romane von Larissa Ione bei LYXImpressum

LARISSA IONE

Demonica

Zhubaal

Ins Deutsche übertragen von Bettina Oder

Zu diesem Buch

Der gefallene Engel Zhubaal ist die rechte Hand des Todes. Vor fast einem Jahrhundert verlor er die Liebe seines Lebens, doch nicht einmal der Tod kann ihn davon abhalten, nach ihr zu suchen. Denn er weiß, dass ihr eine zweite Chance gewährt wurde, ein zweites Leben in einem neuen Körper. Doch wie kann er sie finden, wenn sie selbst sich nicht an ihr früheres Leben erinnert?

Eintausendundeine dunkle Nacht

Es war einmal in der Zukunft …

Ich war eine Schülerin, fasziniert von Geschichten und Gelehrsamkeit. Ich studierte Philosophie, Poesie, Geschichte, das Okkulte und die Kunst und Wissenschaft der Liebe und der Magie. In meines Vaters Haus hatte ich eine umfangreiche Bibliothek und sammelte Tausende Bände fantastischer Erzählungen.

Ich lernte alles über uralte Rassen und längst vergangene Zeitalter. Über Mythen und Legenden und Träume sämtlicher Völker des Jahrtausends. Und je mehr ich las, desto stärker wurde meine Vorstellungskraft, bis ich entdeckte, dass ich imstande war, in die Geschichten hineinzureisen … um tatsächlich ein Teil von ihnen zu werden.

Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte auf meinen Lehrer gehört und meine Gabe respektiert, so wie ich es hätte tun sollen. Wenn ich das getan hätte, würde ich euch jetzt nicht diese Geschichte erzählen. Aber ich war vermessen und verwirrt, prahlte mit meinem Wagemut.

Durch meine Neugier auf die Mythen von Tausendundeine Nacht verlockt, reiste ich eines Nachmittags in das alte Persien zurück, um mit eigenen Augen zu sehen, ob es der Wahrheit entsprach, dass Shahryar (auf Persisch: , »König«) jeden Tag eine neue Jungfrau heiratete und die Ehefrau des vorherigen Tages köpfen ließ. Es stand geschrieben, und ich hatte gelesen, dass er zu der Zeit, als er Scheherazade begegnete, der Tochter des Wesirs, eintausend Frauen getötet hatte.

Doch irgendetwas ging schief. Ich kam inmitten der Geschichte an und tauschte den Platz mit Scheherazade – ein Phänomen, das sich noch nie zuvor ereignet hatte und das ich bis zu diesem Tag nicht erklären kann.

Jetzt sitze ich in dieser weit zurückliegenden Vergangenheit fest, und das Einzige, was ich tun kann, um mich zu schützen und am Leben zu bleiben, ist das, was sie tat, um sich zu schützen und am Leben zu bleiben.

Jeden Abend lässt der König nach mir rufen und lauscht meiner Stimme, wenn ich Geschichten erzähle. Und wenn die Nacht endet und die Morgendämmerung einsetzt, höre ich genau dann auf, wenn er atemlos zuhört und sich nach der Fortsetzung verzehrt. Und so verschont der König mein Leben einen weiteren Tag, damit er den Rest meiner düsteren Geschichte erfährt.

Sobald eine Geschichte endet … beginne ich mit einer neuen … wie der, die du, lieber Leser, in diesem Moment vor dir liegen hast.

Begriffserläuterungen

Die Aegis – Eine Gruppe menschlicher Krieger, die ihr Leben der Aufgabe gewidmet haben, die Welt vor dem Bösen zu schützen. Zwietracht innerhalb ihrer Reihen führte vor Kurzem dazu, dass sich ihre Mitgliederzahl reduziert und ihr Ziel drastisch verändert hat.

Das Allerheiligste – Ein Reich innerhalb von Sheoul-gra, das aus fünf Ringen besteht, von denen ein jeder Seelen von Dämonen enthält, und zwar gestaffelt nach ihrem Grad an Bösartigkeit, wie er durch die Ufelskala definiert wird. Das Allerheiligste wird von dem gefallenen Engel Hades und seinen Wächtern – allesamt gefallene Engel – geführt. Der Zugang zum Allerheiligsten ist streng begrenzt, da die Dämonen, die darin verwahrt werden, jegliches Objekt und jede lebende Person aus der Außenwelt ausnutzen können, um die Flucht zu ergreifen.

Daeman – Jegliches Wesen, für gewöhnlich dämonischen oder engelhaften Ursprungs, das die Seelen der Toten anzieht. Einige daemani sind in der Lage, die Seelen daran zu hindern, in ihre Körper einzutreten, während andere dies hilflos über sich ergehen lassen müssen. Nur wenige daemani sind imstande, die Seelen wieder freizugeben, ohne sich in der Nähe anderer daemani zu befinden oder Hilfe durch einen Zauber, einen mystischen Gegenstand oder ein anderes Wesen zu erhalten, das über angeborene oder erlernte Extraktionsfähigkeiten verfügt.

Emim – Die flügellosen Nachkommen zweier gefallener Engel. Emim verfügen über eine Vielzahl der Kräfte gefallener Engel, auch wenn ihre Kräfte im Allgemeinen schwächer und von begrenztem Umfang sind.

Gefallener Engel – Die meisten Menschen halten gefallene Engel grundsätzlich für böse; allerdings kann man sie in zwei Kategorien unterteilen: wahre gefallene und ausgestoßene. Ausgestoßene Engel wurden aus dem Himmel verbannt und leben, an die Erde gefesselt, ein Leben, das weder wahrhaftig gut noch wahrhaftig böse ist. In diesem Zustand ist es ihnen möglich, wenn dies auch nur äußerst selten geschieht, sich die Wiederaufnahme in den Himmel zu verdienen. Oder aber sie wählen das Dämonenreich, Sheoul. Indem sie Sheoul betreten, vervollständigen sie ihren Fall und werden zu wahren Gefallenen, die ihren Platz als Dämonen an Satans Seite einnehmen.

Höllentore – Vertikale Portale, die für Menschen unsichtbar sind und die Dämonen dazu benutzen, um zwischen Orten auf der Erde und Sheoul hin und her zu reisen.

Memitim – An die Erde gebundene Engel, deren Aufgabe es ist, wichtige Menschen zu beschützen, die man Primori nennt. Memitim bleiben so lange an die Erde gefesselt, bis sie ihre Pflichten vollständig erfüllt haben. Damit haben sie sich ihre Flügel verdient und steigen in den Himmel auf. Siehe: Primori

Primori – Menschen und Dämonen, deren Leben durch das Schicksal dazu bestimmt ist, die ganze Welt auf fundamentale Art zu beeinflussen.

Radianten – Die mächtigste Klasse himmlischer Engel, die existiert, abgesehen von Metatron. Im Gegensatz zu anderen Engeln verfügen Radianten über unbegrenzte Macht in allen Reichen und sind in der Lage, nach Belieben durch Sheoul zu reisen, mit sehr wenigen Ausnahmen. Diese Bezeichnung erhält jeweils immer nur ein Engel. Es können niemals zwei von ihnen gleichzeitig existieren, und sie können nicht ausgelöscht werden, außer durch Gott oder Satan. Das Äquivalent unter den gefallenen Engeln wird Schattenengel genannt. Siehe: Schattenengel

Schattenengel – Die mächtigste Klasse gefallener Engel, die existiert, abgesehen von Satan und Luzifer. Im Gegensatz zu anderen gefallenen Engeln verfügen Schattenengel über unbegrenzte Macht in allen Reichen und besitzen die Fähigkeit, sich Zutritt zum Himmel zu verschaffen. Diese Bezeichnung erhält immer nur ein Engel, und sie können niemals ohne ihr Äquivalent, einen Radianten, existieren. Schattenengel können nur von Gott oder Satan ausgelöscht werden. Das himmlische Äquivalent wird Radiant genannt. Siehe: Radiant.

Sheoul – Dämonenreich, tief in den Eingeweiden der Erde gelegen; nur durch Höllentore oder Wandeltore zu erreichen.

Sheoul-gra – Eine Art Aufbewahrungsbecken für Dämonenseelen. Ein Reich, das unabhängig von Sheoul existiert und von Azagoth überwacht wird, der auch unter dem Namen Sensenmann bekannt ist. Innerhalb von Sheoul-gra befindet sich das Allerheiligste, in dem sich Dämonenseelen in einem qualvollen Schwebezustand befinden, bis sie wiedergeboren werden.

Sheoulisch – Universelle Dämonensprache, die alle Dämonen beherrschen, auch wenn die meisten Spezies darüber hinaus ihre eigene Sprache besitzen.

Ufelskala – Ein Bewertungssystem für Dämonen, das auf deren Grad von Bösartigkeit basiert. Sämtliche übernatürlichen Kreaturen und schlechten Menschen können in einen der fünf Ränge eingestuft werden, wobei die fünfte Stufe die Schlimmsten der Schlimmen enthält.

1

In Sheoul, dem Dämonenreich, das zuweilen auch Hölle genannt wird, war das Böse überall.

Es triefte in Schlieren schwarzer Säure, die sich mit leisem Zischen in den Stein fraß, von den nackten Felswänden. Es waberte in Nebelschwaden durch die feuchte Luft, die nach Schwefel und verfaulendem Fleisch stank. Und es quoll unter Vex’ Blick aus einem Riss mitten in der Luft, den nur Leute wie sie sehen konnten.

Ihr schwarzes Haar mit den violetten Spitzen, das sowieso schon kurz und stachelig in die Luft ragte, richtete sich sogar noch mehr auf, als sich das Ding aus dem Riss quetschte: die Seele eines toten Dämons, die sich soeben aus irgendeinem Reich, einer mystischen Umfriedung oder etwas Ähnlichem herausgearbeitet hatte. Der zahnpastaähnliche Klumpen nahm eine durchsichtige, annähernd humanoide Gestalt an, nur seine glühenden, blutroten Augen waren klar und deutlich zu erkennen. Eine bösartige Welle der Wut und des Hasses ging von der Seele aus, sodass Vex zurückwich, auch wenn es ihr unmöglich war, zu entkommen.

Sie war das, was ihre Eltern einen daeman genannt hatten – eine Art Magnet für Dämonenseelen, eine Person, an der Seelen klebten wie Fliegen am Leim. Ihren Worten zufolge waren die meisten daemani nicht imstande, dies zu verhindern, und das war echt nervtötend. Wenn ein Dämon in der Nähe von Vex starb, hatten nicht mal die persönlichen daemani des Sensenmanns, Kreaturen namens Senslinge, eine Chance, die Seele einzusammeln, ehe sie in Vex hineingesaugt und als Glyphe auf ihrer Haut gespeichert wurde.

Der Dämon kreischte – ein Laut, den nur sie oder eine andere seelensensible Person hören konnte –, während er darum kämpfte, nicht in das Gefängnis ihres Körpers hineingesaugt zu werden. In dem vergeblichen Versuch, das Unvermeidliche zu vermeiden, flüchtete sie; ihre in festen Stiefeln steckenden Füße eilten behände über den mit Felsbrocken übersäten Boden, der in diesem Teil von Sheoul allgegenwärtig war.

Aber ganz gleich, wie schnell sie rannte, jedes Mal, wenn sie über die Schulter nach hinten sah, hatte sich die Entfernung zwischen ihr und der Seele verringert. Näher. Näher. Oh, Scheiße –

Eine Feuerkugel aus Schmerz explodierte an ihrem unteren Rücken und stieß sie um, sodass sie einen Abhang hinabstürzte, der mit dornenbesetzten Ranken überwuchert war, die ihr die Haut aufkratzten und um ein Haar den Rucksack abgerissen hätten. Aber was ihr die Tränen über die Wangen strömen ließ, war das Leid der Seele, das sich in ihr ausbreitete.

Grauenhafte Schmerzen erschütterten ihren Körper, als würden eine Million Höllenfeuerameisen unter ihrer Haut krabbeln, als sie sich mühsam aufrappelte und sich mithilfe ihrer Klauen den Abhang hinauf zum Pfad zurückarbeitete. Der Dämon in ihr attackierte ihren Geist, kreischte so hoch, dass es sie fast um den Verstand brachte.

»Frau.«

Die tiefe, raue Stimme erschreckte sie, so wie sie wohl auch die Seele erschreckt haben musste, die sich seit Neuestem als blinder Passagier bei ihr eingenistet hatte, da der Dämonengeist endlich Ruhe gab und ihr damit die Chance, zu Atem zu kommen.

Heimlich zog sie eine der Klingen hervor, die sie in ihrem Stiefel verborgen hatte, richtete sich auf und starrte zu dem riesigen, gepanzerten Ritter auf. Er musste wenigstens zweieinhalb Meter groß sein, und aus dem mattschwarzen Helm ragten Hörner. Die Haut seiner langen, mit Klauen bewehrten Hände und seines zerfurchten Gesichts, der einzigen sichtbaren Teile seines Körpers, war mahagonifarben. Sie verzog das Gesicht, als sich seine rissigen Lippen bewegten und schiefe und faulige, aber dennoch scharfe Zähne und gut fünfzehn Zentimeter lange Stoßzähne sichtbar wurden – der Albtraum jedes Zahnarztes.

»Wer bist du?« Das Symbol, das in das Schulterstück seines Panzers geritzt war, zeichnete ihn als Diener des Nekromanten aus, dessentwegen sie gekommen war. Aber seit Monaten schon versuchte jemand, sie zu töten, und bis sie wusste, um wen es sich handelte und warum man ihren Tod wollte, musste sie besonders vorsichtig sein.

»Ich bin Othog«, knurrte er. »Du bist hier, um den großen und grauenhaften Frank zu sehen?«

Das Wort Frank bedeutete in irgendeiner obskuren Dämonensprache sicher etwas Schauriges, aber Vex musste sich anstrengen, keine Miene zu verziehen.

»Ja«, erwiderte sie und verbarg die Klinge in ihrer Handfläche. Längst hatte sie einen Spalt in seiner Rüstung ausgemacht, in den sie das Messer stecken konnte, sollte ihr der Kerl komisch kommen. »Ich bin hier, um den … Frank zu sehen.«

Er machte eine weit ausholende Geste, woraufhin sein Panzer protestierend kreischte wie Nägel auf einer Tafel. »Hier entlang.«

Dämonen waren nicht unbedingt die vertrauenswürdigsten Leute, darum hielt sie ihre Waffe bereit, als sie ihm einen ausgetretenen Pfad entlang folgte, von dem sie hätte schwören können, dass er eben noch nicht da gewesen war. Während sie den Weg entlangtrotteten, stießen knochige Hände durch die Vegetation und schnappten nach ihnen, und immer wieder formten sich Pfützen einer Flüssigkeit, bei der es sich ihrem Dafürhalten nach nur um Blut handeln konnte, um sich gleich darauf wieder aufzulösen. Es kam ihr vor wie eine kleine Ewigkeit, auch wenn vermutlich nur einige Minuten vergangen waren, als sie einen Gang erreichten, der tief in einen Berg hineinzuführen schien. Auf den dunklen Wänden pulsierten Adern, als ob der Berg selbst lebendig wäre. Vielleicht war er das. Sheoul war seltsam und gefährlich. Darum hatte sie ja auch beschlossen, in der Welt der Menschen zu leben.

Nicht dass die Menschen nicht auch seltsam und gefährlich wären, aber als übernatürliches Wesen hatte sie von den schwachen Sterblichen wenig zu befürchten.

Ein paar Meter voraus strömte ein orangefarbenes Leuchten aus einer Öffnung im Berg, und als sie näher kamen, war die Luft nicht mehr feucht und heiß, sondern feucht und sengend heiß. Am Ende des Gangs bogen sie um eine Ecke, die von Säulen in Form von Fangzähnen gebildet wurde, so hoch wie ein Wolkenkratzer. Gleich darauf blieb sie wie angewurzelt stehen, und ihr Unterkiefer klappte nach unten.

Vor ihr lag eine gewaltige Höhle, die wie ein Bienenstock angelegt war; in die steil aufragenden Wände waren Löcher gehauen worden, zwischen denen bizarre, insektenartige Dämonen herumflitzten. Über ihren Köpfen befand sich etwas, von dem sie annahm, es handle sich um ausgehöhlte Tunnel, die wie verbindendes Gewebe kreuz und quer von einer Wand zur anderen verliefen.

»Der große und grauenhafte Frank ist dort.« Othog zeigte auf einen Kerl, der glatt als Zwilling ihrer Eskorte durchgehen könnte, nur dass Frank größer war. Und breiter. Und seine Hörner waren mit Blut und Stücken getrockneten Fleisches bedeckt.

Bezaubernd. Sie konnte Dämonen wirklich nicht ausstehen.

Dennoch drückte sie die Schultern durch und schritt über den Boden, der aus festgetretener Erde zu bestehen schien. Unterwegs stieß sie auf diverse alte Knochen und Schädel, die sie mit gezielten Fußtritten aus dem Weg beförderte. Frank stand neben einem blubbernden Bottich von der Größe eines Weinfasses; seine Hände bewegten sich durch den widerwärtigen grünbraunen Dampf, der aus der kochenden Flüssigkeit aufstieg.

»Entschuldigung, Sir«, sagte sie höflich. Dämonen wie er waren auf jede Menge anmaßendes Gehabe gefasst, darum war sie immer darauf aus, sie aus der Fassung oder aber dazu zu bringen, sie zu unterschätzen. »Ich bin gekommen, um dich zu sehen.«

Als er sich zu ihr umwandte, verzogen sich seine Lippen zu einem grotesken Grinsen. »Ein Emim.« Seine enormen Stoßzähne ließen seine Worte genuschelt klingen, als ob er betrunken wäre. »Eine von deiner Sorte habe ich schon seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen.«

Sie hatte keine Ahnung, woher er wusste, dass sie ein Emim war, das Kind zweier gefallener Engel. Aber das war vermutlich auch egal. »Ja, ich bin etwas richtig Besonderes«, erwiderte sie trocken. »Aber wenn wir jetzt zum Geschäftlichen kommen könnten.«

»Du hast mir also etwas anzubieten.«

»Seelen. Ich habe vier … nein, fünf Seelen zu verkaufen. Eine ist wenigstens Stufe vier auf der Ufelskala und mehr wert als die anderen vier zusammen –«

»Halt’s Maul, Seelenfledderer«, zischte er. Seine wachsamen Augen blickten zu dem ihm – abgesehen von Othog – am nächsten stehenden Dämon, einer runzligen, fetten Kreatur, der etwas aus dem ledrigen Gesicht ragte, das wie metallene Stacheln aussah. Frank senkte die Stimme. »Sprich nicht von solchen Dingen.«

»Zunächst einmal ist die politisch korrekte Bezeichnung für jemanden wie mich daeman.« Sie sprach leise, vermochte aber ihren Ärger darüber, dass er sie Seelenfledderer genannt hatte, nicht zu verbergen. »Zweitens muss ich ein paar Seelen loswerden, aber niemand kauft sie noch. Ich bin bereit, sie dir mit einem Nachlass von fünfzig Prozent zu überlassen. Eine halbe Million für jeden der vier schwächeren. Drei Millionen für alle zusammen. Das ist ein höllisches Schnäppchen, wenn du mir das Wortspiel verzeihst.« Der Kerl lächelte nicht mal. Schwieriges Publikum. »Man hat mir gesagt, du bräuchtest sie.«

»Oh, sicher brauche ich sie.« Er rümpfte die rüsselartige Nase. »Aber nicht genug, um meine eigene Seele zu riskieren.«

Argh! Das war so frustrierend. Nicht nur frustrierend, sondern erschreckend. Die Dämonen in ihr stritten unaufhörlich, befanden sich in einem niemals enden wollenden Kampf darum, welche von ihnen wohl in der Lage wäre, von ihr Besitz zu ergreifen. Zum Glück war keine besonders stark oder böse … bis auf die, die Vex vor ein paar Minuten angegriffen hatte.

Die musste weg, und das so schnell wie möglich. »Was ist los? Warum haben auf einmal alle Angst, mit Seelen zu handeln?«

Der Dämon griff in das blubbernde Gebräu und zog etwas heraus, das wie ein Finger aussah. Dämonen waren ja so widerwärtig. Und der hatte den Nerv, sie zu beleidigen. Zum millionsten Mal dankte sie ihren Eltern dafür, sie im Reich der Menschen aufgezogen zu haben.

»Weil alle, die Seelen kaufen und verkaufen, vernichtet werden.« Er ließ den Finger in seinem Mund verschwinden.

Na, das erklärte zumindest, warum die Hälfte der Leute, die normalerweise von ihr kauften, verschwunden waren, und die andere Hälfte sich weigerte, sie zu sehen. »Von wem?«

»Ungewiss.« Ein Stück … uäääh … Fingernagel hing ihm aus dem Mundwinkel. »Es gibt Gerüchte, dass Satan alle Seelen für sich selbst will, aber das ergibt keinen Sinn, nicht, wo er doch bisher nie Probleme mit dem Seelenmarkt hatte.«

Othog räusperte sich. »Manche behaupten, dass Satan von Erzengeln vernichtet wurde, die jetzt Sheoul regieren.«

»Unsinn«, sagte Frank. Das Stück Finger war immer noch da und wackelte, wenn sich seine schuppigen Lippen bewegten. »Engel wären gar nicht dazu in der Lage, Satan so etwas anzutun. Nicht innerhalb von Sheoul, und ganz bestimmt nicht, ohne dass wir davon gehört hätten.«

»Und was ist dann deine Theorie?«, fragte sie. Es gab schon seit Monaten Gerüchte über einen möglichen neuen Herrscher in Sheoul, aber sie hatte keines davon geglaubt. Wer wäre schließlich imstande, Satan zu bezwingen?

Franks gespaltene Zunge schlängelte sich heraus, um das Stückchen Fingernagel zu erhaschen. Sie schluckte heftig, bemüht, sich nicht auf der Stelle zu übergeben. »Es wird gemunkelt, dass jemand namens Revenant auf dem Thron sitzt. Ich weiß nichts über ihn, aber wenn man meinen Quellen Glauben schenkt, ist er ein Verräter, der Satan hintergangen hat.«

Kein Dämon war mächtig genug, um Satan die Herrschaft zu entreißen. Was bedeutete, dass dieser Revenant nur eines sein konnte. »Ist er ein gefallener Engel?«

Frank stocherte mit einer langen Klaue in seinen Zähnen herum. »Manche sagen, er sei ein Schattenengel.«

Sie stieß einen leisen Pfiff aus. Ein Schattenengel stellte den Legenden zufolge die mächtigste Klasse gefallener Engel dar. Nur Satan und vielleicht Luzifer waren noch mächtiger. Auch wenn sie gehört hatte, dass Luzifer von einem der vier apokalyptischen Reiter vernichtet worden wäre.

Was lächerlich war. Die apokalyptischen Reiter waren ein Mythos, und Luzifer vermutlich ebenfalls. Mann, der einzige Grund, warum sie an Satan glaubte, war, dass ihre Eltern einst Engel gewesen waren. Und wenn sie sagten, dass er existierte, dann tat er es vermutlich auch.

»Hör mal, ich glaube, es spielt eigentlich gar keine Rolle, was er ist oder ob er überhaupt existiert. Ich muss unbedingt diese Seelen verkaufen.« Eigentlich musste sie sie nur loswerden. Das Problem war, dass sie dazu nicht imstande war, wenn sich kein anderer, genauso starker Seelenmagnet in ihrer Nähe befand, weil sie diese verdammten Seelen sonst einfach nur wieder einsaugen würde. »Gib mir einen Namen. Irgendeinen Namen.«

»Es gibt nur einen.« Frank fletschte seine Zähne, die offensichtlich noch nie eine Zahnbürste zu sehen bekommen hatten, und seine Stimme klang plötzlich tief und geheimnisvoll. »Und sein Name ist … Azagoth.«

Sie hatte das Gefühl, er erwartete von ihr, überrascht oder mächtig beeindruckt zu sein. »Wer zum Teufel ist Azagoth?«

Frank zeigte auf seinen Kumpel, ohne ihre Frage zu beantworten. »Er wird dich zum Eingang von Azagoths Reich bringen.«

Reich? Der Kerl hatte sein eigenes Reich? »Moment mal.« Sie vergrößerte den Abstand zu Othog. »Ich will erst mal wissen, wer dieser Typ ist.«

»Er ist jemand, dem ich lieber nicht gegenübertreten möchte.«

Na toll. Wenn schon der mächtigste Nekromant in der Ghul-Region von Sheoul diesem Azagoth nicht gegenübertreten wollte, dann wollte sie es lieber auch nicht. Aber sie war verzweifelt, brauchte unbedingt das Geld und musste vor allem den neuesten Passagier in ihrem Seelenzug loswerden. Darum gestattete sie es Othog, sie zu einem Höllentor zu führen, das sie zu einem Steinkreis tief in der Wildnis Russlands brachte.

»Ein Tropfen von Blut in der Mitte sollte dir Zugang gewähren.« Mit diesen Worten verschwand Othog im Wald, verschmolz praktisch mit dem Laub, ehe sie auch nur eine Frage hätte stellen können.

Okay, dann mal los. Sie hatte wohl keine andere Wahl. Also ritzte sie mit einem ihrer Messer ihre Fingerspitze und trat an den Kreis heran. Aber gerade als sie ihn betreten wollte, richteten sich ihre Nackenhärchen auf, und noch ehe sie eine Stimme hörte, wusste sie, dass sie nicht allein war.

»Emim. Lass mich sie töten.«

Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung zog sie zwei identische Messer aus den Scheiden an ihrer Hüfte und wirbelte zu den Neuankömmlingen herum. Vor ihr standen zwei riesige Kerle in schwarzen Umhängen mit Kapuzen, deren alterslose und dabei bemerkenswert gut aussehende Gesichter ihr wenig verrieten, abgesehen davon, dass sie vermutlich kein Problem hatten, Frauen ins Bett zu kriegen.

Beide trugen Schwerter auf dem Rücken, aber irgendetwas verriet ihr, dass sie ohne die Klingen sogar noch tödlicher waren. Sie war eine ausgezeichnete Kämpferin, aber angesichts der Macht, die diese Kapuzenheinis ausstrahlten, fühlte sie sich wie eine blutige Anfängerin.

Unter ihrer Haut regten sich die Dämonenseelen, aufgewühlt durch die Gegenwart der Neuankömmlinge.

»Wer seid ihr?«

Diese unhöflichen Ärsche würdigten sie keiner Antwort, aber als sie ihre prächtigen, gefiederten Schwingen ausbreiteten, wusste sie es.

Engel. So. Ein. Scheiß.

Der Engel zu ihrer Linken – der, der gesprochen hatte – stürzte sich auf sie, aber sie war bereit. Sie ließ sich fallen, rollte sich ab und traf ihn mit dem Fuß am Knie.

»Lass sie!«, ertönte die Stimme des rechten Engels, und nur einen Sekundenbruchteil später explodierte etwas Heißes neben ihrem Kopf, und sie wurde in den Dreck geschleudert. Einen Moment lang hielt sie sich für tot. Doch dann wurde sie von einer grausamen Hand in ihrem Nacken wieder auf die Füße gerissen.

»Was soll denn das?« Der linke Engel rappelte sich mit rauchenden Kleidern vom Boden auf; mit vor Wut brennenden Augen starrte er unter seiner Kapuze hervor und fixierte den rechten Engel. »Warum hast du sie beschützt?«

»Weil sie Seelen trägt.« Der rechte Engel drückte ihr den Hals zu und hielt sie damit davon ab, ihm mit aller Kraft auf den Fuß zu treten. »Wenn du sie tötest, entkommen sie. Wir müssen die Frau zu Azagoth bringen.«

»Oh, verdammte Scheiße«, fauchte sie. »Genau dahin wollte ich doch auch, als ihr Mistkerle mich ohne jeden Grund angegriffen habt.«

»Warum willst du zu ihm?« Der rechte Engel schob sie in die Mitte des Steinkreises, ohne den Griff in ihrem Nacken zu lockern. »Hat er dich zu sich gerufen?«

»Ob er mich zu sich gerufen hat? Warum sollte er mich zu sich rufen? Ich weiß ja noch nicht mal, wer dieser Azagoth-Idiot ist.«

Der linke Engel starrte sie an, als wäre sie schwachsinnig. »Er ist der Hüter der Seelen, du widerwärtiger Dämonentrottel. Schon bald wirst du vor dem Sensenmann stehen.«

2

Die rechte Hand des Sensenmannes zu sein war nicht der schlechteste Job der Welt, aber als Zhubaal den markerschütternden Schreien lauschte, wurde er daran erinnert, dass es wohl auch nicht der beste Job der Welt war.

Allerdings war es ein notwendiger, wenn er weiterhin darauf hoffen wollte, seine geliebte Laura wiederzufinden, deren Seele einmal hier in Sheoul-gra festgesessen hatte, dem Alcatraz der Seelen von Dämonen, gefallenen Engel und schlechten Menschen. Sie hatte einige Jahrzehnte hier verbracht, ehe sie freigelassen und wiedergeboren und ihre Seele in einen neuen Körper gesteckt worden war. Seitdem war Zhubaal auf der Suche nach ihrer neuen Identität, aber bislang war es ihm nicht geglückt, sie aufzuspüren.

Aber das würde es noch. Die Eide, die sie aneinander banden, waren unzerbrechlich. Rein. Und er war verdammt hartnäckig.

Er würde sie finden.

»Verdammt.« Razr, ein gefallener Engel, den Azagoth kürzlich zu Zhubaals eigener rechter Hand ernannt hatte, trat zu Z und starrte auf die Tür zum Büro ihres Chefs. »Wer ist denn da bei ihm drin?«

Z warf einen seitlichen Blick auf den Kerl, der, wie gewöhnlich, eine Art einfache, braune Mönchskutte und Flipflops trug. Zhubaal hatte keine Ahnung, warum er sich so anzog, und Razr weigerte sich, darüber zu reden, ganz gleich, wie sehr Z ihn auch abfüllte. »Irgendein Orphmagus mit grauenhaftem Urteilsvermögen, der dachte, er könnte den Sensenmann erpressen.«

»Scheiße.« Razr rieb sich den kahlen, mit Tattoos bedeckten Schädel. »Du wirst mir auftragen, die Schweinerei wegzumachen, hab ich recht?«

Mit einem fetten Grinsen klopfte Zhubaal ihm auf den Rücken. »Hör auf zu jammern. Das sollte für heute der letzte sein –« Er verstummte, als ihn ein starkes Kribbeln, das sich beinahe … sexuell anfühlte, in einer gewaltigen Welle überspülte.

Nicht dass er wüsste, wie sich eine sexuelle Welle anfühlte. Nicht wirklich.

Sicher, auch er verspürte Verlangen wie jeder normale gefallene Engel, aber einsame Orgasmen waren nichts, worüber es sich aufzuregen lohnte.

Und diese spezielle Welle bedeutete definitiv nicht, dass ein Orgasmus bevorstand. Sie bedeutete, dass jemand das Portal aktiviert hatte, das Sheoul-gra mit diversen Portalen des irdischen Reichs verband.

Ihnen stand Besuch ins Haus, und die intensive elektrische Strömung, die durch seine Adern pulsierte, bedeutete, dass es sich dabei nicht um den gewöhnlichen Dämonenabschaum handelte, der um eine Audienz mit der Person bettelte, die für die Reinkarnation der Seelen verantwortlich war. Was auch bedeutete, dass es sich bei ihrem Besuch höchstwahrscheinlich um einen egomanischen Mistkerl handelte.

Razr, der es ebenfalls fühlte, stieß ein trockenes Lachen aus. »Ich wette, jetzt wünschst du dir, du wärst derjenige, der gleich die Orphmagusbrocken von Azagoths Wänden schrubbt, was?«

Das nun nicht gerade, aber beinahe. Er war nicht in der Stimmung, sich mit irgendeinem arroganten Dämon oder oberheiligen Engel rumzuschlagen, der ihn nur daran erinnerte, wer er früher einmal gewesen war. Nicht, nachdem er gerade erst erfahren hatte, dass sich sein letzter Hinweis auf Lauras wiedergeborene Identität als falsch erwiesen hatte.

Zhubaal zeigte Razr den Mittelfinger, ehe er das Gebäude verließ und die Steinstufen hinabsprang, die in den Hof hinunterführten. Der Springbrunnen in der Mitte bedeckte seine bloßen Arme mit einem feinen Sprühnebel, als er daran vorbei zum Podest des Portals eilte, das wie ein Miniaturhelikopterlandeplatz zwanzig Meter entfernt lag.

Aus dem strukturlosen grauen Himmel über ihm schoss ein weißes Licht, und als es erloschen war, standen zwei Engel, die er wiedererkannte, innerhalb des Steinkreises auf dem Portalfeld. Er hatte keine Ahnung, wer die mit Waffen behangene Frau mit dem kurzen schwarzen Haar war, die sie bei sich hatten, aber sie war so sauer wie eine durchnässte Katze, die jemand im Nacken hält.

Der Engel, den Z lediglich unter seinem Codenamen Jim Bob kannte, hielt mit einer Hand ihren Nacken fest umklammert, sodass sie gezwungen war, mit ihren schenkelhohen Stiefeln auf Zehenspitzen zu laufen, während sie von der Plattform heruntertraten. Jedes Mal, wenn sie nach einer der Waffen griff, die sie überall an ihrem Körper in zahllosen Halftern verstaut hatte, wischte er ihre Hand weg, als wäre sie eine lästige Mücke.

Jim Bob schob sie nach vorne. »Wir fanden diese … Kreatur …, als sie gerade versuchte, durch das Portal einzubrechen.«

Die veilchenblauen Augen der Frau brannten vor Wut. Sie war hübsch, auf eine gefährliche Art, was sie nur noch hübscher machte. Oh, sie war nicht Zhubaals Typ; er hatte immer schon auf Frauen mit weniger Make-up, weniger Waffen und mehr Klamotten am Leib gestanden. Aber das hieß noch lange nicht, dass er eine verdammt heiße Frau nicht zu würdigen wusste, die aussah, als ob sie fähig wäre, ihn mit einem Happs zu verschlucken.

Als ob du wüsstest, wie das ist.

»Ich wollte nicht einbrechen.« Sie holte mit einem Fuß aus und trat Jim Bob vors Schienbein, doch er zuckte nicht mal. Aber schließlich war er auch doppelt so groß wie sie und gebaut wie ein Panzer. »Ich wollte das Portal aktivieren. Ihr wisst schon, wie eine ganz normale Person. Ihr gefiederten Heiligenscheine habt mich unterbrochen.«

Jim Bob riss sie von den Füßen und hielt sie auf Armeslänge entfernt von sich, wie man es mit einer Kanalratte tun würde. »Sie ist ein Emim