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In den Schatten der magischen Türme von Francofortia, einer Stadt, die vom unberechenbaren Manastrom lebt, entdeckt der niedere Netzwärter Kaelen eine Verschwörung, die bis in die höchsten Spitzen der herrschenden Konvergenz reicht. Als er der Sache zu nahe kommt, wird er mit einem Kalten Mal gebrandmarkt – einem tödlichen Archonten-Siegel, das ihm langsam die Magie und das Leben entzieht. Gejagt von Golems und Elitewachen, bleiben ihm nur wenige Tage. Seine einzige Hoffnung ist die brillante, ausgestoßene Runen-Hackerin Elara. Gemeinsam beginnen sie eine verzweifelte Jagd durch die vergessenen Schatten-Netze, die gefährlichen Schwarzmärkte des "Sumpfes" und dringen schließlich bis ins Herz des bestbewachten Ortes der Welt vor: des Archonten-Turms. Doch während Kaelen um sein Leben kämpft, wird das Mal, das ihn töten soll, zu einer unkontrollierbaren Waffe – einem Schlüssel, der das gesamte magische Fundament von Francofortia zum Einsturz bringen könnte.
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Seitenzahl: 101
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der Archonten-Code
Von
C. Windmark
Kapitel 1: Der Manastrom und die Schatten der Türme
Der Geruch von nassem Basalt, ozongeschwängerter Luft und dem fernen, süßlichen Verwesungsgeruch von fehgeschlagener Alchemie hing über Francofortia.
Kaelen zog den Kragen seiner schweren, lederbesetzten Kutte enger. Es war die dritte Stunde vor der Dämmerung, die sogenannte "Zwielichtwacht", und die Stadt erwachte zu einem Leben, das die Sterblichen jenseits der Nebelgrenzen niemals sehen würden.
Er stand am Ufer des Manastroms, jenes reißenden Flusses aus reiner, flüssiger Magie, der die Stadt in zwei Hälften teilte. Für die Uneingeweihten war es nur der Main. Für Kaelen und die Seinen war es die Ader, die Francofortia nährte und gleichzeitig zu verschlingen drohte. Das Wasser, wenn man es so nennen konnte, war nicht nass, sondern kalt; es leuchtete in einem ungesunden, pulsierenden Türkis, das Schatten warf, die sich gegen die Gesetze der Physik bewegten.
Kaelen war ein Geringer. Ein "Netzwärter", Dritte Klasse. Seine Aufgabe war es, die sekundären Leitungsglyphen in den älteren Vierteln zu warten – dort, wo die Magie spröde wurde wie alter Lack.
Er blickte über den Strom nach "Süd-Enklave", dem Viertel der Brauer und Alchemisten, wo die Luft immer von seltsamen Dämpfen und dem Geruch fermentierter Tränke erfüllt war. Dorthin musste er heute nicht. Sein Weg führte ihn in das Herz der Bestie.
Er wandte sich um und blickte nach Norden, dorthin, wo die wahren Herrscher der Stadt thronten.
Die Skyline von Francofortia war kein Zeugnis von Stahl und Glas. Sie war ein Monument aus Obsidian, lebendem Gestein und gebundenem Licht. Die Türme der "Konvergenz" ragten wie die Zähne eines toten Gottes in den Himmel. Es gab den "Turm der Goldenen Waage", Sitz der Gilde der Händler und Geldwechsler, und daneben die "Zwillingsnadeln", wo die Bankiers der Magie nicht mit Geld, sondern mit reiner Essenz handelten.
Und über ihnen allen thronte der "Archonten-Turm", der Sitz des Ewigen Konzils, das die Verteilung des Manastroms kontrollierte. Von dort oben wurde entschieden, welche Gilde aufblühte und welches Viertel im energetischen Schatten versank. Kaelen spürte das kalte, dominante Summen des Turms selbst hier unten am Ufer. Es war eine ständige Erinnerung an seinen Platz in dieser Stadt.
Sein Chronometer, ein kleines Messinggerät, das mit einem gefangenen Zeitelementar lief, vibrierte an seinem Gürtel. Zu spät. Wieder einmal.
Kaelen rannte. Er mied die breiten, mit Leuchtsteinen gepflasterten Avenuen, wo die Wächter-Golems der Konvergenz patrouillierten, und nahm stattdessen die verwinkelten Gassen des alten Kerns. Hier, rund um den "Ältestenplatz" – ein Ort mit schiefen, knarrenden Fachwerkhäusern, deren Holzbalken mit Schutzrunen gegen den Zahn der Zeit und Schlimmeres bedeckt waren – war die Magie alt und störrisch. Hier regierten nicht die Konzerne der Türme, sondern die alten Familien und Zirkel, die ihre Macht direkt aus den Grundfesten der Stadt zogen. Der Geruch von Pergament und getrockneten Kräutern hing in der Luft.
Er erreichte die "Untergrund-Passage", ein Netz aus Tunneln, das die Stadt durchzog. Die Sterblichen nannten es U-Bahn. Die Magier nutzten es als Äther-Bahn. Ein klobiger, von einem eingesperrten Luftelementar angetriebener Wagen wartete zischend in der Haltestelle "Alte Oper", die jetzt ein Versammlungsort für die Barden-Gilde war.
Er sprang hinein, gerade als die arkanen Türen sich schlossen. Der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, der ihn gegen die Wand aus poliertem Granit warf. Es gab keine Fenster. Stattdessen zeigten flimmernde Illusionen an den Wänden die vorbeiziehenden Ley-Linien – ein gefährliches Netz aus blauen und roten Energiefäden, das die Bahn durch das Erdreich navigierte.
Sein Ziel war das "Portal-Viertel", der chaotischste Ort in Francofortia. Es war der Hauptankunftspunkt der Stadt, aber nicht für Züge. Hier rissen die Dimensions-Weber die Schleier zwischen den Welten auf. Es war ein Ort des ständigen Kommens und Gehens, ein Schmelztiegel der Kulturen, Spezies und Gefahren. Und es war der Ort, an dem das magische Netz der Stadt am stärksten beansprucht wurde.
Die Äther-Bahn hielt mit einem kreischenden Geräusch, das klang wie das Sterben eines Metallgeistes. Kaelen stolperte hinaus in den Lärm.
Das Portal-Viertel war ein Albtraum aus Architektur und Energie. Die Luft roch nach Schwefel, exotischen Gewürzen und Angst. Hohe, schäbige Gebäude lehnten sich aneinander, als ob sie Trost suchten. Dazwischen flackerten die Portale: schimmernde Risse in der Realität, die nach Asgard, in die Schattenreiche oder einfach nur ins benachbarte Mainz-Magica führten.
Ein Oger in der Uniform der Stadtwache brüllte einen Kobold an, der versuchte, ungestempelte Ware durch einen Zollposten zu schmuggeln. Händler boten Illusions-Gewänder, gebundene Schatten und "garantiert sichere" Glücksbringer an. Es war das Viertel, das niemals schlief, weil der Schlaf hier oft tödlich war.
"Du bist spät, Kaelen!", bellte eine Stimme.
Meister Borin stand vor dem Wartungsschacht 3B. Er war ein stämmiger Mann mit einem Bart, in den er Messingzahnräder geflochten hatte. Er war der Vorarbeiter der Netzwärter, ein Mann, der mehr von fließender Magie verstand als die meisten Akademiker, aber dem die "reine Geburt" fehlte, um jemals in die Türme aufzusteigen.
"Der Manastrom war heute Nacht... dickflüssig", log Kaelen. "Die Gezeiten waren gegen mich."
Borin knurrte. Er hasste Ausreden, aber er respektierte den Strom. "Dickflüssig? Unsinn. Faulheit ist es. Egal. Wir haben ein Flackern in Sektor Vier. Die Händlergilde im 'Zeilzentrum'-Nexus beschwert sich."
Der "Zeilzentrum"-Nexus war kein Einkaufszentrum. Es war ein riesiger, trichterförmiger Bau aus Glas und Energie, ein Marktplatz, wo Händler ihre Waren nicht physisch, sondern als reine Konzepte anboten. Ein Flackern dort war teuer.
"Was ist es?", fragte Kaelen und zog seine Handschuhe an, deren Fingerkuppen mit dünnem Kupferdraht durchzogen waren.
"Parasit", sagte Borin knapp. "Ein astraler Schlamm. Hat sich an die Hauptleitung gesaugt. Du gehst rein, reinigst die Leitung und versiegelst den Riss, durch den er gekommen ist. Standardprozedur."
Kaelen hasste Parasiten. Sie waren glitschig, dumm und klammerten sich an die Wärme der Magie.
Er öffnete die schwere Eisenluke des Schachts 3B. Darunter lag nicht die Kanalisation, sondern das Nervensystem von Francofortia. Ein Tunnel, kaum schulterbreit, durchzogen von dicken, pulsierenden Kabeln aus gebundenem Licht. Sie waren die Adern, die das Mana von der Konvergenz in die Stadt pumpten. Es war warm hier unten und roch nach ionisiertem Staub.
Kaelen zündete einen Kaltlicht-Stein an und klemmte ihn sich zwischen die Zähne. Er begann, sich durch den Schacht zu zwängen. Die Glyphen an den Wänden leuchteten schwach, als er vorbeikam – eine Sicherheitsmaßnahme.
Er kroch fast zwanzig Minuten lang, das Summen der Energie wurde lauter, fast schmerzhaft. Dann sah er es.
Die Hauptleitung, normalerweise ein strahlendes, stabiles Blau, war hier geschwollen und dunkelviolett verfärbt. Ein gallertartiger, schwarzer Klumpen, so groß wie ein Hund, hatte sich um die Leitung gewickelt und pulsierte im Takt eines langsamen Herzschlags. Ein astraler Schlamm.
"Okay, Hässlicher", murmelte Kaelen. "Zeit zu gehen."
Er zog sein Standardwerkzeug hervor: einen "Resonanz-Stab", im Grunde ein verherrlichter Stimmstock. Er musste die Frequenz des Parasiten finden und sie dann umkehren, um ihn von der Leitung zu "schütteln".
Er setzte den Stab an. Der Parasit zuckte und stieß ein mentales Wimmern aus, das Kaelens Zähne vibrieren ließ. Kaelen konzentrierte sich, ignorierte den Gestank von verdorbener Magie. Er drehte den Regler am Stab, suchte die Frequenz. Das Summen stieg an.
Plötzlich spürte er etwas anderes. Eine zweite Frequenz.
Sie war nicht schleimig oder dumm wie die des Parasiten. Sie war kalt, präzise und unendlich überlegen. Sie versteckte sich hinter der Signatur des Parasiten.
Kaelen erstarrte. Das war kein Zufall. Das war Sabotage.
Der Parasit war nicht hierher gekrochen. Er war platziert worden. Jemand nutzte den Schlamm als Deckung, um die Leitung anzuzapfen. Um Magie abzuleiten, hier, direkt im Herzen des Portal-Viertels. Das war nicht nur illegal, das war ein Affront gegen die Konvergenz selbst.
Kaelen schluckte. Er hätte jetzt den Parasiten entfernen und so tun sollen, als hätte er nichts bemerkt. Das war der sichere Weg. Netzwärter, Dritte Klasse, lebten länger, wenn sie nicht neugierig waren.
Aber die Arroganz dahinter erzürnte ihn. Die Türme kontrollierten alles, und doch wagte es jemand, ihnen direkt unter der Nase Energie zu stehlen.
Er veränderte die Einstellung seines Stabes, nicht um den Parasiten zu vertreiben, sondern um die zweite Frequenz zu isolieren. Er wollte sehen, wer es war.
Ein Fehler.
In dem Moment, als sein Stab auf die versteckte Frequenz einrastete, schoss eine Welle reiner, eisiger Energie durch das Werkzeug. Sie traf Kaelen wie ein Schlag in die Magengrube. Der Kaltlicht-Stein zersprang zwischen seinen Zähnen und stürzte den Schacht in absolute Dunkelheit.
Kaelen schrie auf. Der Schmerz war blendend. Es war nicht die Hitze einer Verbrennung, sondern die Kälte einer Seelenvereisung.
Er spürte, wie der Parasit über ihm aufplatzte, seine glitschigen Überreste regneten auf ihn herab. Die versteckte Frequenz war verschwunden, hatte ihre Spuren verwischt.
Kaelen lag im Dunkeln, zitternd, der Geruch von Ozon und verbranntem Schleim in seiner Nase. Seine Hand, die den Stab gehalten hatte, fühlte sich taub und tot an.
Er hatte in etwas hineingestochert, das weit über seiner Gehaltsklasse lag. Er hatte einen Schatten berührt, der direkt aus den hohen Türmen geworfen wurde. Und jetzt wusste dieser Schatten, dass ein kleiner Netzwärter im Schacht 3B gewesen war.
Er wischte sich den Schleim aus dem Gesicht. Er war kein Held. Er war nur ein Mann, der versuchte, in einer Stadt zu überleben, die von Magie und Gier angetrieben wurde. Aber in diesem Moment, in der stinkenden Dunkelheit unter dem Portal-Viertel, wusste Kaelen, dass sein altes, unauffälliges Leben gerade zu Ende gegangen war.
Kapitel 2: Das kalte Mal und die Gassen von Bockenwarte
Die Dunkelheit im Schacht war vollkommen, aber es war keine leere Finsternis. Sie war dickflüssig vom Gestank des geplatzten Parasiten – ein Geruch wie tausend Jahre alter Staub, nasses Fell und verbranntes Kupfer. Kaelen lag auf dem Rücken, der kalte Schleim sickerte durch seine Kutte. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, ein panischer Vogel in einem zu kleinen Käfig.
Das Schlimmste war nicht die Dunkelheit oder der Gestank. Es war das Nichts.
Seine linke Hand, die den Resonanz-Stab gehalten hatte, existierte nicht mehr. Er wusste, dass sie noch da war – er konnte das Gewicht des Armes spüren, der schlaff auf seiner Brust lag – aber jede Empfindung war wie von einem Dimensionsspalt verschluckt worden. Es war keine Taubheit, wie wenn ein Glied einschläft. Es war eine Leere. Eine absolute, kalte Auslöschung.
Der Schock wich der Angst. Nicht die Angst vor dem Saboteur, sondern die unmittelbare, tierische Angst eines Netzwärters, der im Dienst verletzt wurde. Er würde gemeldet werden. Es gäbe eine Untersuchung. Fragen.
Wer hat dich autorisiert, die Frequenz zu wechseln? Warum hast du den Parasiten nicht einfach nach Protokoll entfernt?
Er musste hier raus.
Mit einem Stöhnen rollte er sich auf die Seite. Er stützte sich mit seiner rechten, gesunden Hand ab. Der Boden des Tunnels war rutschig von der geplatzten Kreatur. Er robbte rückwärts, Zentimeter um Zentimeter, seine linke Hand schleifte nutzlos neben ihm her wie ein Stück totes Fleisch. Jeder Zentimeter war eine Qual der Demütigung. Er, der die Leitungen kannte wie seine eigene Westentasche, kroch nun wie ein Wurm durch seinen eigenen Arbeitsplatz.
Das schwache, bläuliche Licht des Schachteinstiegs schien unendlich weit entfernt. Es dauerte, was sich wie eine halbe Ewigkeit anfühlte, bis er die Eisenleiter erreichte. Er klemmte seinen nutzlosen linken Arm unbeholfen zwischen seinen Körper und die Wand und begann den Aufstieg nur mit seinem rechten Arm und den Beinen. Es war ein unwürdiges, schweißtreibendes Gerangel.
Als sein Kopf endlich durch die Luke brach, sog er die schwefelhaltige Luft des Portal-Viertels ein wie ein Ertrinkender.
Meister Borin stand genau dort, wo er ihn verlassen hatte, die Arme verschränkt, und kaute auf einem Stück getrocknetem Manti-Wurzel. Er sah nicht besorgt aus. Er sah verärgert aus.
"Bei den Zähnen des Archonten, Kaelen, was hast du da unten getrieben? Eine Teestunde gehalten?", bellte er. "Die Leitung zum Nexus ist wieder stabil, aber der Energiefluss hat Schluckauf. Es hat drei Beschwerden von der Händlergilde gegeben. Drei!"
Kaelen zerrte sich aus dem Loch und fiel fast auf die Knie. Er verbarg instinktiv seine linke Hand in den Falten seiner Kutte. "Der Parasit", keuchte er, die Lüge formte sich schwer auf seiner Zunge. "Er war... anders. Instabil. Als ich ihn mit der Frequenz traf, ist er detoniert. Hat die Leitung kurzgeschlossen."
Borin kniff die Augen zusammen. "Detoniert? Astraler Schlamm detoniert nicht. Er löst sich auf. Er quietscht. Er stinkt. Aber er detoniert nicht."
