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Die Hamburger Lesehefte PLUS umfassen neben dem Text und ausführlichen Wort- und Sacherläuterungen auch einen umfangreichen Materialteil, die Königs Materialien. Die Kombination schafft die Basis für eine eigenständige, vertiefende Analyse und fördert ein umfassendes Verständnis des Textes - ideal für den Einsatz im Schulunterricht.
Das zeichnet unsere Klassiker-Reihe aus:
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Seitenzahl: 170
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Text und Materialien
E. T. A. HOFFMANN
Der ArtushofDie Bergwerke zu Falun
Zwei Erzählungen
HAMBURGER LESEHEFTE PLUSKÖNIGS MATERIALIEN535. HEFT
Zur Textgestaltung Als Textvorlage diente der von Wulf Segebrecht unter Mitarbeit von Ursula Segebrecht herausgegebene 4. Bd. der „Sämtlichen Werke“ von E. T. A. Hoffmann, erschienen 1985 im Deutschen Klassiker Verlag, Frankfurt am Main. Der Text wurde den amtlichen Rechtschreibregeln behutsam angepasst.
Analysiert und interpretiert mit Textverweisen auf dieses Heft werden Die Bergwerke zu Falun in Königs Erläuterungen, Band 502, C. Bange Verlag.
1. Auflage 2025
Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.
Heftbearbeitung Text: Alfred Carl Groeger Heftbearbeitung Materialien: Dr. Oliver Pfohlmann Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis
ISBN: 978-3-8044-2565-1PDF: 978-3-8044-6565-7EPUB: 978-3-8044-7565-6 © 2025 by C. Bange Verlag GmbH, Am Graben 2, 96142 [email protected] – www.bange-verlag.de
ISBN: 978-3-87291-534-4PDF: 978-3-87291-725-6EPUB: 978-3-87291-675-4 © 2025 by Hamburger Lesehefte Verlag, Nordbahnhofstraße 2, 25813 [email protected] – www.hamburger-lesehefte.de
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Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.
Text
Der Artushof
Die Bergwerke zu Falun
Biografie
Wort- und Sacherklärungen
Materialien
Zugang
Er beherrschte die Kunst des Als-ob
Zur Epoche
Bergwerke, Natur und Wald in der Romantik
Auszug aus dem 5. Kapitel des Heinrich von Ofterdingen
Auszug aus Der Runenberg
Der merkwürdige Leichnam von Falun
Unverhofftes Wiedersehen
Selbstzeugnisse
Schauen mit den Augen des Geistes – das serapiontische Prinzip
Aus dem Rahmengespräch zu Der Artushof
Aus dem Rahmengespräch zu Die Bergwerke zu Falun
Deutungen
Elis’ Wunsch nach Rückkehr in den Schoß der Mutter
Der Sonderling als Exponent des romantischen Subjektivismus
Das Verhältnis von Imagination und Verkörperung im Artushof
Naives Handwerk und reflektiertes Kunstwerk in Hoffmanns Der Artushof
Wirkungsgeschichte
Das Bergwerk zu Falun, Ausschnitt aus dem 5. Akt
An den Knaben Elis
Gewiss hast Du, günstiger Leser! schon recht viel von der alten merkwürdigen Handelsstadt Danzig gehört. Vielleicht kennst Du all das Sehenswerte, was sich dort befindet, aus mancher Beschreibung; am liebsten sollt’ es mir aber sein, wenn Du selbst einmal in früherer Zeit dort gewesen wärest und mit eigenen Augen den wunderbaren Saal geschaut hättest, in den ich jetzt Dich führen will. Ich meine den Artushof. – In den Mittagsstunden wogte drängend und treibend der Handel den mit Menschen der verschiedensten Nationen gefüllten Saal auf und ab, und ein verwirrtes Getöse betäubte die Ohren. Aber wenn die Börsenstunden vorüber, wenn die Handelsherren bei Tische saßen, und nur Einzelne geschäftig durch den Saal, der als Durchgang zwei Straßen verbindet, liefen, dann besuchtest Du, günstiger Leser, der Du in Danzig warst, den Artushof wohl am liebsten. Nun schlich ein magisches Helldunkel durch die trüben Fenster, all das seltsame Bild- und Schnitzwerk, womit die Wände überreich verziert, wurde rege und lebendig. Hirsche mit ungeheuern Geweihen, andere wunderliche Tiere schauten mit glühenden Augen auf Dich herab, Du mochtest sie kaum ansehen; auch wurde Dir, je mehr die Dämmerung eintrat, das marmorne Königsbild in der Mitte, nur desto schauerlicher. Das große Gemälde, auf dem alle Tugenden und Laster versammelt mit beigeschriebenen Namen, verlor merklich von der Moral, denn schon schwammen die Tugenden unkenntlich hoch im grauen Nebel, und die Laster, gar wunderschöne Frauen in bunten schimmernden Kleidern, traten recht verführerisch hervor und wollten Dich verlocken mit süßem Gelispel. Du wandtest den Blick lieber auf den schmalen Streif, der beinahe rings um den Saal geht, und auf dem sehr anmutig lange Züge bunt gekleideter Miliz aus alter reichsstädtischer Zeit abgebildet sind. Ehrsame Bürgermeister mit klugen bedeutsamen Gesichtern reiten voran auf mutigen schön geputzten Rossen, und die Trommelschläger, die Pfeifer, die Hellebardierer schreiten so keck und lebendig daher, dass Du bald die lustige Soldatenmusik vernimmst und glaubst, sie werden nun gleich alle zu jenem großen Fenster dort hinaus auf den langen Markt ziehen. – Weil sie denn nun fortziehen wollten, konntest Du nicht umhin, günstiger Leser, insofern Du nämlich ein rüstiger Zeichner bist, mit Tinte und Feder jenen prächtigen Bürgermeister mit seinem wunderschönen Pagenabzukonterfeien. Auf den Tischen ringsumher lag ja sonst immer auf öffentliche Kosten [4]Papier, Tinte und Feder bereit, das Material war also bei der Hand und lockte Dich unwiderstehlich an. Dir, günstiger Leser! war so etwas erlaubt, aber nicht dem jungen Kaufherrn Traugott, der über ähnlichem Beginnen in tausend Not und Verdruss geriet. – „Avisieren Sie doch sogleich unsern Freund in Hamburg von dem zustande gekommenen Geschäft, lieber Herr Traugott!“ – So sprach der Kauf- und Handelsherr Elias Roos, mit dem Traugott nächstens in Kompanie gehen und dessen einzige Tochter Christina er heiraten sollte. Traugott fand mit Mühe ein Plätzchen an den besetzten Tischen, er nahm ein Blatt, tunkte die Feder ein und wollte eben mit einem kecken kalligraphischen Schnörkel beginnen, als er, nochmals schnell das Geschäft, von dem er zu schreiben hatte, überdenkend, die Augen in die Höhe warf. – Nun wollte es der Zufall, dass er gerade vor den in einem Zuge abgebildeten Figuren stand, deren Anblick ihn jedesmal mit seltsamer unbegreiflicher Wehmut befing. – Ein ernster beinahe düsterer Mann mit schwarzem krausem Barte ritt in reichen Kleidern auf einem schwarzen Rosse, dessen Zügel ein wundersamer Jüngling führte, der in seiner Lockenfülle und zierlicher bunter Tracht beinahe weiblich anzusehen war: die Gestalt, das Gesicht des Mannes erregten dem Traugott innern Schauer, aber aus dem Gesichte des holden Jünglings strahlte ihm eine ganze Welt süßer Ahnungen entgegen. Niemals konnte er loskommen von dieser beider Anblick, und so geschah es denn auch jetzt, dass statt den Aviso des Herrn Elias Roos nach Hamburg zu schreiben, er nur das wundersame Bild anschaute und gedankenlos mit der Feder auf dem Papier herumkritzelte. Das mochte schon einige Zeit gedauert haben, als ihn jemand hinterwärts auf die Schulter klopfte und mit dumpfer Stimme rief: „Gut, – recht gut! – so lieb’ ich’s, das kann was werden!“ – Traugott kehrte sich aus dem Traume erwachend rasch um, aber es traf ihn wie ein Blitzstrahl – Staunen, Schrecken machten ihn sprachlos, er starrte hinein in das Gesicht des düstern Mannes, der vor ihm abgebildet. Dieser war es, der jene Worte sprach, und neben ihm stand der zarte wunderschöne Jüngling und lächelte ihn an wie mit unbeschreiblicher Liebe. „Sie sind es ja selbst“, so fuhr es dem Traugott durch den Sinn. – „Sie sind es ja selbst! – Sie werden nun gleich die hässlichen Mäntel abwerfen und dastehen in glänzender altertümlicher Tracht!“ – Die Menschen wogten durcheinander, verschwunden im Gewühl waren bald die fremden Gestalten, aber Traugott stand mit seinem Avisobriefe in der Hand, wie zur starren Bildsäule geworden auf derselben Stelle, als die Börsenstunden längst vorüber und nur noch Einzelne [5]durch den Saal liefen. Endlich wurde Traugott Herrn Elias Roos gewahr, der mit zwei fremden Herren auf ihn zuschritt. „Was spintisieren Sie noch in später Mittagszeit, werter Herr Traugott“, rief Elias Roos, „haben Sie den Aviso richtig abgeschickt?“ – Gedankenlos reichte Traugott ihm das Blatt hin, aber da schlug Herr Elias Roos die Fäuste über den Kopf zusammen, stampfte erst ein klein wenig, dann aber sehr stark mit dem rechten Fuße und schrie, dass es im Saale schallte: „Herr Gott! – Herr Gott! Kinderstreiche! – dumme Kinderstreiche! – Verehrter Traugott – korrupter Schwiegersohn – unkluger Associé. – Ew. Edlen sind wohl ganz des Teufels? – Der Aviso – der Aviso, o Gott! die Post!“ – Herr Elias Roos wollte ersticken vor Ärger, die fremden Herren lächelten über den wunderlichen Aviso, der freilich nicht recht brauchbar war. Gleich nach den Worten: „Auf Ihr Wertes vom 20sten hujus uns beziehend“, hatte nämlich Traugott in zierlichem kecken Umriss jene beiden wundersamen Figuren, den Alten und den Jüngling, gezeichnet. Die fremden Herren suchten den Herrn Elias Roos zu beruhigen, indem sie ihm auf das Liebreichste zusprachen; der zupfte aber die runde Perücke hin und her, stieß mit dem Rohrstock auf den Boden und rief: „Das Satanskind, – avisieren soll er, macht Figuren – zehntausend Mark sind – fit!“ – Er blies durch die Finger und weinte dann wieder: „Zehntausend Mark!“ – „Beruhigen Sie sich, lieber Herr Roos“, sprach endlich der ältere von den fremden Herrn: „die Post ist zwar freilich fort, in einer Stunde geht indessen ein Kurier ab, den ich nach Hamburg schicke, dem gebe ich Ihren Aviso mit und so kommt er noch früher an Ort und Stelle, als es durch die Post geschehen sein würde.“ „Unvergleichlichster Mann!“, rief Herr Elias mit vollem Sonnenschein im Blick. Traugott hatte sich von seiner Bestürzung erholt, er wollte schnell an den Tisch, um den Aviso zu schreiben, Herr Elias schob ihn aber weg, indem er mit recht hämischem Blicke zwischen den Zähnen murmelte: „Ist nicht vonnöten, mein Söhnlein!“ – Während Herr Elias gar eifrig schrieb, näherte sich der ältere Herr dem jungen Traugott, der in stummer Beschämung dastand, und sprach: „Sie scheinen nicht an Ihrem Platze zu sein, lieber Herr! Einem wahren Kaufmann würde es nicht eingefallen sein, statt, wie es recht ist, zu avisieren, Figuren zu zeichnen.“ – Traugott musste das für einen nur zu gegründeten Vorwurf halten. Ganz betroffen erwiderte er: „Ach Gott, wie viel vortreffliche Avisos schrieb schon diese Hand, aber nur zuweilen kommen mir solche vertrackten Einfälle!“ „Ei, mein Lieber“, fuhr der Fremde lächelnd fort: „das sollten nun eben keine vertrackte Einfälle sein. Ich glaube in der [6]Tat, dass alle Ihre Avisos nicht so vortrefflich sind als diese mit fester Hand keck und sauber umrissenen Figuren. Es ist wahrhaftig ein eigener Genius darin.“ Unter diesen Worten hatte der Fremde den in Figuren übergegangenen Avisobrief dem Traugott aus der Hand genommen, sorgsam zusammengefaltet und eingesteckt. Da stand es ganz fest in Traugotts Seele, dass er etwas viel Herrlicheres gemacht habe als einen Avisobrief, ein fremder Geist funkelte in ihm auf, und als Herr Elias Roos, der mit dem Schreiben fertig geworden, noch bitterböse ihm zurief: „Um zehntausend Mark hätten mich Ihre Kinderstreiche bringen können“, da erwiderte er lauter und bestimmter als jemals: „Gebärden sich Ew. Edlen nur nicht so absonderlich, sonst schreib ich Ihnen in meinem ganzen Leben keinen Avisobrief mehr, und wir sind geschiedene Leute!“ – Herr Elias schob mit beiden Händen die Perücke zurecht und stammelte mit starrem Blick: „Liebenswürdiger Associé, holder Sohn! was sind das für stolze Redensarten?“ Der alte Herr trat abermals ins Mittel, wenige Worte waren hinlänglich, den vollen Frieden herzustellen, und so schritten sie zum Mittagsmahl in das Haus des Herrn Elias, der die Fremden geladen hatte. Jungfer Christine empfing die Gäste in sorgsam geschniegelten und gebügelten Feierkleidern und schwenkte bald mit geschickter Hand den überschweren silbernen Suppenlöffel. – Wohl könnte ich Dir, günstiger Leser! die fünf Personen, während sie bei Tische sitzen, bildlich vor Augen bringen, ich werde aber nur zu flüchtigen Umrissen gelangen, und zwar viel schlechteren als wie sie Traugott in dem ominösen Avisobriefe recht verwegen hinkritzelte, denn bald ist das Mahl geendet, und die wundersame Geschichte des wackern Traugott, die ich für Dich, günstiger Leser! aufzuschreiben unternommen, reißt mich fort mit unwiderstehlicher Gewalt! – Dass Herr Elias Roos eine runde Perücke trägt, weißt Du, günstiger Leser! schon aus Obigem, und ich darf auch gar nichts mehr hinzusetzen, denn nach dem, was er gesprochen, siehst Du jetzt schon den kleinen rundlichen Mann in seinem leberfarbenen Rocke, Weste und Hosen mit goldbesponnenen Knöpfen recht vor Augen. Von dem Traugott habe ich sehr viel zu sagen, weil es eben seine Geschichte ist, die ich erzähle, er also wirklich darin vorkommt. Ist es aber nun gewiss, dass Gesinnung, Tun und Treiben aus dem Innern heraustretend so die äußere Gestalt modeln und formen, dass daraus die wunderbare nicht zu erklärende nur zu fühlende Harmonie des Ganzen entsteht, die wir Charakter nennen, so wird Dir, günstiger Leser! aus meinen Worten Traugotts Gestalt von selbst recht lebendig hervorgehen. Ist dies nicht der Fall, so taugt all [7]mein Geschwätz gar nichts, und Du kannst meine Erzählung nur geradezu für nicht gelesen achten. Die beiden fremden Herrn sind Onkel und Neffe, ehedem Handel, jetzt Geschäfte treibend mit erworbenem Gelde, und Herrn Elias Roos’ Freunde, d. h. mit ihm in starkem Geldverkehr. Sie wohnen in Königsberg, tragen sich ganz englisch, führen einen Mahagoni-Stiefelknecht aus London mit sich, haben viel Kunstsinn und sind überhaupt feine ganz gebildete Leute. Der Onkel besitzt ein Kunstkabinett und sammelt Zeichnungen (videatur der geraubte Avisobrief). Eigentlich war es mir hauptsächlich nur darum zu tun, Dir, günstiger Leser, die Christina recht lebhaft darzustellen, denn ihr flüchtiges Bild wird, wie ich merke, bald verschwinden, und so ist es gut, dass ich gleich einige Züge zu Buch bringe. Mag sie dann entfliehen! Denke Dir, lieber Leser! ein mittelgroßes wohlgenährtes Frauenzimmer, von etwa zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, mit rundem Gesicht, kurzer ein wenig aufgestülpter Nase, freundlichen lichtblauen Augen, aus denen es recht hübsch jedermann anlächelt: „Nun heirate ich bald!“ – Sie hat eine blendend weiße Haut, die Haare sind geradezu nicht zu rötlich – recht küssige Lippen – einen zwar etwas weiten Mund, den sie noch dazu seltsam verzieht, aber zwei Reihen Perlenzähne werden dann sichtbar. Sollten etwa aus des Nachbars brennendem Hause die Flammen in ihr Zimmer schlagen, so wird sie nur noch geschwinde den Kanarienvogel füttern und die neue Wäsche verschließen, dann aber ganz gewiss in das Comptoir eilen und dem Herrn Elias Roos zu erkennen geben, dass nunmehro auch sein Haus brenne. Niemals ist ihr eine Mandeltorte missraten, und die Buttersauce verdickt sich jedesmal gehörig, weil sie niemals links, sondern immer rechts im Kreise mit dem Löffel rührt! – Da Herr Elias Roos schon den letzten Römer alten Franz eingeschenkt, bemerke ich nur noch in der Eile, dass Christinchen den Traugott deshalb ungemein lieb hat, weil er sie heiratet, denn was sollte sie wohl in aller Welt anfangen, wenn sie niemals Frau würde! – Nach der Mahlzeit schlug Herr Elias Roos den Freunden einen Spaziergang auf den Wällen vor. Wie gern wäre Traugott, in dessen Innerm sich noch nie so viel Verwunderliches geregt hatte als eben heute, der Gesellschaft entschlüpft, es ging aber nicht; denn wie er eben zur Tür hinauswollte, ohne einmal seiner Braut die Hand geküsst zu haben, erwischte ihn Herr Elias beim Rockschoß, rufend: „Werter Schwiegersohn, holder Associé, Sie wollen uns doch nicht verlassen?“, und so musste er wohl bleiben. – Jener Professor physices meinte: der Weltgeist habe als ein wackrer Experimentalist irgendwo eine tüchtige Elektrisiermaschine [8]gebaut, und von ihr aus liefen gar geheimnisvolle Drähte durchs Leben, die umschlichen und umgingen wir nun bestmöglichst, aber in irgendeinem Moment müssten wir darauftreten, und Blitz und Schlag führen durch unser Inneres, in dem sich nun plötzlich alles anders gestalte. Auf den Draht war wohl Traugott getreten, in dem Moment, als er bewusstlos die zeichnete, welche lebendig hinter ihm standen, denn mit Blitzes Gewalt hatte ihn die seltsame Erscheinung der Fremden durchzuckt, und es war ihm, als wisse er nun alles deutlich, was sonst nur Ahnung und Traum gewesen. Die Schüchternheit, die sonst seine Zunge band, sobald das Gespräch sich auf Dinge wandte, die wie ein heiliges Geheimnis tief in seiner Brust verborgen lagen, war verschwunden, und so kam es, dass, als der Onkel die wunderlichen halb gemalten halb geschnitzten Bilder im Artushof als geschmacklos angriff und vorzüglich die kleinen Soldatengemälde als abenteuerlich verwarf, er dreist behauptete: wie es wohl sein könne, dass das alles sich mit den Regeln des Geschmacks nicht zusammenreime, indessen sei es ihm selbst wie wohl schon mehreren ergangen; eine wunderbare fantastische Welt habe sich ihm in dem Artushof erschlossen, und einzelne Figuren hätten ihn sogar mit lebensvollen Blicken, ja wie mit deutlichen Worten daran gemahnt, dass er auch ein mächtiger Meister sein und schaffen und bilden könne wie der, aus dessen geheimnisvoller Werkstatt sie hervorgegangen. – Herr Elias sah in der Tat dümmer aus wie gewöhnlich, als der Jüngling solche hohe Worte sprach, aber der Onkel sagte mit recht hämischer Miene: „Ich behaupte es noch einmal, dass ich nicht begreife, wie Sie Kaufmann sein wollen und sich nicht lieber der Kunst ganz zugewandt haben.“ – Dem Traugott war der Mann höchst zuwider, und er schloss sich deshalb bei dem Spaziergange an den Neffen, der recht freundlich und zutraulich tat. „O Gott“, sprach dieser, „wie beneide ich Sie um Ihr schönes herrliches Talent! Ach könnte ich so wie Sie zeichnen. – An Genie fehlt es mir gar nicht, ich habe schon recht hübsch Augen und Nasen und Ohren, ja sogar drei bis vier ganze Köpfe gezeichnet, aber lieber Gott, die Geschäfte! die Geschäfte!“ „Ich dächte“, sprach Traugott „sobald man wahres Genie, wahre Neigung zur Kunst verspüre, solle man kein anderes Geschäft kennen.“ „Sie meinen, Künstler werden“, entgegnete der Neffe. „Ei, wie mögen Sie das sagen! Sehen Sie, mein Wertester, über diese Dinge habe ich denn wohl mehr nachgedacht als vielleicht mancher, ja, selbst ein so entschiedener Verehrer der Kunst, bin ich tiefer in das eigentliche Wesen der Sache eingedrungen, als ich es nur zu sagen vermag, daher sind mir nur Andeutungen [9]möglich.“ Der Neffe sah bei diesen Worten so gelehrt und tiefsinnig aus, dass Traugott ordentlich einige Ehrfurcht für ihn empfand. „Sie werden mir recht geben“, fuhr der Neffe fort, nachdem er eine Prise genommen und zweimal geniest hatte, „Sie werden mir recht geben, dass die Kunst Blumen in unser Leben flicht – Erheiterung, Erholung vom ernsten Geschäft, das ist der schöne Zweck alles Strebens in der Kunst, der desto vollkommener erreicht wird, je vortrefflicher sich die Produktionen gestalten. Im Leben selbst ist dieser Zweck deutlich ausgesprochen, denn nur der, der nach jener Ansicht die Kunst übt, genießt die Behaglichkeit, die den immer und ewig flieht, welcher, der wahren Natur der Sache entgegen, die Kunst als Hauptsache, als höchste Lebenstendenz betrachtet. Deshalb, mein Lieber! nehmen Sie sich das ja nicht zu Herzen, was mein Onkel vorbrachte, um Sie von dem ernsten Geschäft des Lebens abzuleiten in ein Tun und Treiben, das ohne Stütze nur wie ein unbehülflich Kind hin und her wankt.“ Hier hielt der Neffe inne, als erwarte er Traugotts Antwort; der wusste aber gar nicht, was er sagen sollte. Alles, was der Neffe gesprochen, kam ihm unbeschreiblich albern vor. Er begnügte sich zu fragen: „Was nennen Sie denn nun aber eigentlich ernstes Geschäft des Lebens?“ Der Neffe sah ihn etwas betroffen an. „Nun, mein Gott“, fuhr er endlich heraus, „Sie werden mir doch zugeben, dass man im Leben leben muss, wozu es der bedrängte Künstler von Profession beinahe niemals bringt.“ Er schwatzte nun mit zierlichen Wörtern und gedrechselten Redensarten ins Gelag hinein. Es kam ungefähr darauf hinaus, dass er im Leben leben nichts anderes nannte als keine Schulden, sondern viel Geld haben, gut Essen und Trinken, eine schöne Frau und auch wohl artige Kinder, die nie einen Talgfleck ins Sonntagsröckchen bringen, besitzen usw. Dem Traugott schnürte das die Brust zu und er war froh, als der verständige Neffe von ihm abließ, und er sich allein auf seinem Zimmer befand. „Was führe ich doch“, sprach er zu sich selbst, „für ein erbärmlich schlechtes Leben! – An dem schönen Morgen in der herrlichen goldenen Frühlingszeit, wenn selbst durch die finstern Straßen in der Stadt der laue West zieht und in seinem dumpfen Murmeln und Rauschen von all den Wundern zu erzählen scheint, die draußen in Wald und Flur erblühen, da schleiche ich träge und unmutig in Herrn Elias Roos’ räuchrichtes