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Mit diesen Geschäften wird unsere Umwelt verzockt! Wer heute Wasser, Böden und Rohstoffe zu Profiten macht, entscheidet über unsere Zukunft
»Einer der besten Investigativ-Reporter des Landes.« Markus Lanz
Wer heute Wasser, Böden und Rohstoffe zu Profiten macht, entscheidet über unsere Zukunft. Denn während öffentlich noch erhitzte Scheindiskussionen um Heizungen und E-Autos geführt werden, hat im Hintergrund der Ausverkauf unserer natürlichen Ressourcen längst begonnen. Dabei schauen Verantwortungsträger oft hilflos zu oder machen sich sogar zu Komplizen, wenn Einzelne im großen Stil Gewinne einfahren und das Gemeinwohl den Kürzeren zieht.
SZ-Wirtschafts-Journalist Uwe Ritzer zeigt mit seinen investigativen Reportagen nicht nur, wie unsere Umwelt ausverkauft wird, sondern auch, wer dafür die Verantwortung trägt.
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2025
So wird unsere Umwelt verzockt! Wer heute Wasser, Böden und Rohstoffe zu Profiten macht, entscheidet über unsere Zukunft.
Konflikte um sauberes Wasser und fruchtbare Böden werden härter, die Debatte um Verbrauch und Verschwendung von Rohstoffen und von Konsumgütern nimmt zu. Während öffentlich noch erhitzte Scheindiskussionen um Heizungsgesetze und den Protest der Letzten Generation geführt werden, hat der Ausverkauf der Natur bereits begonnen. Denn natürliche Ressourcen, die uns allen gehören, werden von Einzelnen längst zu Profiten gemacht. Verantwortungsträger schauen viel zu oft hilflos zu oder machen sich sogar zu Komplizen, während das Gemeinwohl den Kürzeren zieht. Wer heute noch glaubt, die Umwelt allein mit Verboten für den Ottonormalverbraucher retten zu können, verschließt willentlich die Augen vor denen, die sie in Wirklichkeit den eigenen Interessen opfern.
SZ-Wirtschaftsjournalist Uwe Ritzer, der mit seinen investigativen Reportagen und seinem Buch Zwischen Dürre und Flut bereits bewiesen hat, wie schnell es auch bei uns zum Wassernotstand kommen kann, zeigt nun, dass unsere Umwelt nicht nur verzockt wird, sondern auch, wer dafür die Verantwortung trägt.
Uwe Ritzer, Jahrgang 1965, ist Wirtschaftskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und wurde als Investigativreporter unter anderem bekannt für seine Berichte über krumme Geschäfte in der Energiewirtschaft und die Enthüllung des ADAC-Manipulationsskandals. Für seine Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Wächterpreis, dem Henri-Nannen-Preis und dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis. Als Autor erschienen von ihm Die Affäre Mollath (2013, mit Olaf Przybilla), Lobbykratie (2016, mit Markus Balser) sowie Markus Söder und Die Spiele des Jahrhunderts (2018 und 2020, beide mit Roman Deininger). Zuletzt erschien bei Penguin sein Buch Zwischen Dürre und Flut, das 2023 sowohl für den Wirtschaftsbuchpreis wie auch für den Preis als Wissensbuch des Jahres nominiert war.
»Einer der besten Investigativ-Reporter des Landes.« Markus Lanz
www.penguin-verlag.de
UWE RITZER
WASSER, BODEN, ROHSTOFFE
Wer mit unseren Ressourcen Profite macht und was wir dagegen tun können
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Copyright © 2025 Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Lektorat: Nina Schnackenbeck
Umschlaggestaltung: Favoritbuero
Umschlagabbildung[en]: © Ibad Bagirov/shutterstock
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-32830-6V001
www.penguin-verlag.de
Für Marie-Claire und Emil, Céline und Julian, Holly und RubyWeil ich an sie und ihre Zukunft glaube
1. Einstieg
Die Deutschen, ihre Bauern und der Green Deal
»No more hot air, please«
Das verpfuschte Heizungsgesetz
Warum es der Einzelne allein nicht richten kann
Flugscham oder eine Frage der Gerechtigkeit
Von Ausbeutern und reichen Ignoranten wie Elon Musk
2. Unser Wasser
Der Wassermilliardär, den keiner kennt
Tarnname »Project Aqua«
Es wird allen genommen, ohne zu geben
Zwischen Dürren und Fluten
»Andere haben Öl, wir haben Wasser« – die Vorräte schrumpfen
Warum Berlin ohne Braunkohle vor einem Problem steht
Der Braunkohleausstieg und das Wasser
Der Leag-Konzern: Ein Riese zwischen Milliardenförderung und Klüngelei
Die Verteilungskämpfe um Wasser nehmen zu
Teil des Problems und der Lösung: Die Landwirtschaft
Richtig, aber nahezu wirkungslos: Die Nationale Wasserstrategie
3. Unser Boden
Das Vermächtnis des Hans-Jochen Vogel
Immer mehr Nutzer brauchen Boden
Wem gehört der Boden?
Boden wird immer knapper, weil …?
Das ICE-Desaster von Nürnberg
Kirche versus Landwirte
Problematische Sorglosigkeit
Die Schweizer Post kauft Wald in Thüringen
Die gewaltige KTG-Pleite
Der Trick mit den Share Deals
G8-Dinner auf dem Merckle-Gutshof
Ein Firmenjäger und ein Konzern schlagen zu
Finanzinvestor bremst Bauern aus
Der Bauernbonze und die Discounter-Familie
Wer sind denn nun die Bösen?
Der Fall Dennree
Wie die EU Landraub sponsert
4. Unsere Rohstoffe
Die Weltmacht, die keiner kennt
Die Geschäfte mit den Unverzichtbaren
Die Geschundenen von Espinar
Der skrupellose Mr. Rich
Der deutsche »Metal Man«
Fragwürdige Geschäftspraktiken
Dan Gertler und die »Paradise Papers«
So läuft das Geschäft
Die Schweiz: »Versteckt, heimlich und intransparent«
Eine Frage der Verantwortung
Die große Verschwendung
Das Elend mit den Smartphones
Was getan werden muss
1. Wir brauchen eine andere Klimapolitik
2. Bodengenossenschaften unterstützen
3. Bodenspekulanten kräftig zur Kasse bitten
4. Die Share-Deal-Trickserei beenden
5. Die großen Wasserschlucker zur Kasse bitten
6. Die Nationale Wasserstrategie umsetzen
7. Deutschland braucht ein Wassermanagement
8. Kreislaufwirtschaft anstatt Rohstoffverschwendung
9. Mehr Druck auf die Schweiz und die Finanzwelt
10. Reparieren statt wegwerfen
Dank
Quellen
Literaturliste
Dieses Buch ist über weite Strecken ein Wirtschaftsthriller. Der Klimawandel ist die Kulisse für die Handlung. Schauplätze sind unter anderem Berlin, das tiefste Bayern, Nord- und Ostdeutschland, das Steuerparadies Schweiz, Peru. Ich werde beschreiben, wie einige wenige sich an Allgemeingütern vergreifen und damit gewaltige Profite erwirtschaften. Während wir in Deutschland uns in hitzigen, kleinteiligen Diskussionen um Heizungen, Elementarversicherungen gegen Unwetterschäden oder über die Frage, ob Verbrenner oder E-Auto heillos verzetteln. Und so tun, als könnte der und die Einzelne richten, wobei die internationale Politik versagt.
Es geht um Geschäftemacher und multinationale Konzerne, die Wasser, Boden sowie unverzichtbare Rohstoffe im großen Stil ausbeuten. Ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl und ausschließlich für ihre eigenen Zwecke. Zu Lasten des Klimas, der Umwelt, unserer Zukunft und unserer Geldbeutel. Sie drängen uns zu einem verschwenderischen Konsumverhalten, um daraus wiederum neue Profite zu schlagen. Wir alle sind als einzelne Bürgerinnen und Bürger davon betroffen, genauso aber kleine und große Firmen, die redlich wirtschaften.
Da ist zum Beispiel der nahezu völlig unbekannte Unternehmer Michael Schäff, der mit der kostenlosen Ausbeutung von 10 000 Jahre altem und reinstem Tiefengrundwasser binnen weniger Jahre zu einem der reichsten Deutschen wurde. Und der seine gewaltigen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit in ein undurchsichtiges Firmengeflecht unter anderem in den Steuerparadiesen Liechtenstein und Schweiz verschob. Gewinne mit dem Allgemeingut Wasser, das in Deutschland immer knapper wird.
Oder der Stromkonzern Leag. In den Händen internationaler Investoren agiert er im Osten Deutschlands mit fragwürdigen Methoden, hat Kommunen und Behörden gut im Griff und ist zugleich der größte Wasserschlucker weit und breit. Während sich die Hauptstadt Berlin allmählich Sorgen um ihre Trinkwasserversorgung machen muss.
Da sind auch reiche Familien wie die Aldi-Albrechts und globale Finanzinvestoren, die mit Landwirtschaft nichts zu tun haben, aber geschickt rechtliche Lücken ausnutzen und sich vorwiegend in Ostdeutschland Boden in großem Stil aneignen. Über fragliche gesellschaftsrechtliche Konstruktionen sichern sie sich Zugriff auf Agrarflächen zu Preisen, bei denen durchschnittliche Landwirte nicht mehr mithalten können. Auch im großstädtischen Bereich blüht die Spekulation. Während Boden hierzulande immer knapper, zugleich aber für die Allgemeinheit und den Klimaschutz immer notwendiger wird, werden einige Grundbesitzer, ohne dafür irgendeine Leistung zu erbringen, immer reicher. Und warum eigentlich kaufte sich die Schweizer Post in Thüringen ein riesiges Waldgebiet?
Da sind auch gewaltige Konzerne wie Glencore oder Trafigura, deren Namen kaum einer kennt, die jedoch das weltweite Geschäft mit für die Digitalisierung und erneuerbare Energien unverzichtbaren Rohstoffen kontrollieren. Ein in weiten Teilen schmutziges Geschäft, bei dem Umwelt und Trinkwasser vergiftet, Menschen vertrieben und ausgebeutet werden. Und es wird weitgehend unkontrolliert vor unserer Haustüre abgewickelt, in der Schweiz. Um die Dimension zu verdeutlichen: Allein der Konzern Glencore ist vom Umsatz her größer als der Nahrungsmittelmulti Nestlé und die Pharmariesen Sandoz und Roche zusammengenommen.
Diese Ausverkäufer unserer Ressourcen agieren weitgehend aus dem Schatten heraus. Die breite Öffentlichkeit nimmt sie nicht wahr, sie segeln geschickt unter dem medialen Wahrnehmungsradar. Kaum jemand stellt sich ihnen in den Weg; die Politik arrangiert sich, lässt sie in Ruhe – oder verdrängt das Problem. Niemand scheint gewillt oder in der Lage zu sein, die Ausverkäufer zu stoppen. Die globale Finanzwelt am wenigsten, im Gegenteil: Sie unterstützt und befeuert ihr Treiben jedes Jahr mit zig Milliarden Euro. Auf all dies werde ich in den folgenden Kapiteln näher eingehen. Zu Beginn ist es freilich erst einmal nötig, sich dem großen Ganzen zu widmen, den Rahmenbedingungen, unter denen sich all die Fragwürdigkeiten abspielen.
Den Nährboden liefert eine Klimapolitik, die zumindest in Deutschland mit Karacho an die Wand gefahren ist.
Weil weder Politiker und Politikerinnen noch Klimaaktivisten und -aktivistinnen die breite Masse der Menschen im Kampf gegen die Erderwärmung überzeugen. Statt sie mitzunehmen, drohen sie mit immer neuen Sanktionen und Belastungen oder bringen sie mit provokanten Aktionen unnötig gegen sich auf. Siehe das missratene Heizungsgesetz. Gewiss, Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif und ohne zum Teil auch einschneidende Veränderungen. Doch anstatt ein schlüssiges Gesamtpaket mit überzeugenden Anreizen vorzulegen, hantiert die Politik mit unausgegorenen Ideen und Vorschlägen und überfordert so die von Kriegen und Krisen ohnehin schon verunsicherten Menschen. Genauso wenig hilft es, in den rhetorischen Alarmismus der »Letzten Generation« zu verfallen, oder das Problem einfach zu negieren, wie Rechtspopulisten, Verschwörungstheoretiker und andere Ahnungslose es tun.
Allzu häufig wird von der Politik und in öffentlichen Debatten hierzulande der absurde Eindruck erweckt, man könnte die Probleme in Zusammenhang mit der Erderwärmung privatisieren und individualisieren. Gerade so, als hätte jede und jeder Einzelne mit Einsicht, ein bisschen gutem Willen und ein paar Euro die Möglichkeit, den Klimawandel aufzuhalten. Worüber diskutierte Deutschland 2024 leidenschaftlich, als Starkregen und Überflutungen einige Regionen heimsuchten? Nicht über längst überfällige, staatliche Milliardeninvestitionen in Regenrückhaltesysteme und ein dringend notwendiges, nationales Wassermanagement. Sondern über Elementarversicherungen, die jeder und jede Einzelne tunlichst abschließen sollte. Der Kampf gegen den Klimawandel ist jedoch eine globale (!) Gemeinschaftsaufgabe, kein Privatissimum.
Wer die Verantwortung von der internationalen Politik und der Wirtschaft auf die Einzelnen abzuwälzen versucht und gleichzeitig die rücksichtslosen Ressourcenausbeuter nicht stoppt, muss sich nicht wundern, wenn sich viele Menschen beim Thema Klimawandel innerlich abmelden. Und damit eines der größten Probleme der Menschheit auf fatale Weise in den Hintergrund gedrängt wird. Mit unabsehbaren Folgen für die Menschheit und damit auch für uns in Deutschland.
Um es klarzustellen: Ich will mit diesem Buch niemanden missionarisch bekehren, bevormunden oder auch nur belehren. Ich möchte eine andere Perspektive liefern. Ich bin kein Aktivist, sondern Journalist; Wirtschafts- und Investigativjournalist, um präzise zu sein. Meine Aufgabe sehe ich darin, Fakten und Entwicklungen zu recherchieren, zu beschreiben, in größere Zusammenhänge einzuordnen – und damit im besten demokratischen Sinne Transparenz herzustellen und Informationen zu vermitteln. Die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen, bleibt jedem Menschen selbst überlassen.
Gehen wir das Ganze systematisch an und werfen wir erst einmal einen Blick auf das große Ganze.
Berlin, Anfang August 2023. Prof. Dr. Dirk Messner nimmt hinter einem Tisch und vor einer tiefblauen Wand Platz, die jeder Fernsehzuschauer und jede Fernsehzuschauerin hierzulande aus den Nachrichtensendungen kennt. Seit 1. Januar 2020 Chef des Umweltbundesamtes (UBA), ist der promovierte Politikwissenschaftler und Nachhaltigkeitsexperte in den großen Saal im Haus der Bundespressekonferenz gekommen, wo sonst hauptsächlich Regierungsmitglieder und deren Sprecher den Hauptstadtjournalisten und -journalistinnen Rede und Antwort stehen. Und zwar auf deren Einladung hin, so verlangt es die Tradition.
Vor seiner Zeit an der Spitze des UBA war Messner (Jahrgang 1962, habilitiert an der Freien Universität Berlin und Autor von etwa 500 Fachpublikationen) Direktor des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen in Bonn. Unter seiner Führung entwickelte sich das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik zwischen 2003 und 2018 zu einer internationalen Topadresse, was Forschung über globale und nachhaltige Entwicklung angeht.
Messner selbst ist über Deutschland hinaus ein gefragter Experte für Themen wie Globalisierung, Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung und Wandel. Nun will er über ein »wirklich spannendes Thema« reden, wie er gleich zu Beginn verspricht. Deutschland stecke in einem historischen Umbruch. Nur, dass viele das so nicht wahrhaben wollen. »Wir befinden uns mitten in der Transformation zur Klimaneutralität und zur umweltverträglichen Wirtschaft«, sagt Messner. »Das Energiesystem wird auf Erneuerbare umgestellt, die Antriebssysteme der Automobilindustrie werden neu entwickelt und wir wollen in den grünen Wasserstoff reingehen.«
Und das in unruhigen Zeiten. Die Folgen der Corona-Pandemie sind längst noch nicht überwunden; weder wirtschaftlich noch mental, was sich allein schon an der nicht zuletzt im Zuge der Pandemie immer aggressiver gewordenen Diskussionskultur im Lande zeigt. Dann ist da der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und der daraus resultierende Krieg im Osten Europas. Samt seinen Auswirkungen, wie steigende Energiepreise, Inflation, eine wirtschaftliche Schwäche mit Krisen in vielen Branchen und vor allem in der Industrie, aber auch eine um Frieden und ihren Wohlstand besorgte, tief beunruhigte Gesellschaft.
Dirk Messner präsentiert an diesem Augusttag die »Umweltbewusstseinsstudie 2023«. Um Antworten auf eine zentrale Frage unserer Zeit zu geben: Wie wichtig ist den Deutschen eigentlich Natur und Umwelt, wie wichtig ist ihnen Klimaschutz? Die Antworten verblüffen. Einerseits. »Die Menschen haben ein hohes Umwelt-, ein hohes Problembewusstsein«, fasst Dirk Messner ein wesentliches Ergebnis der Studie zusammen. »Sie verstehen, dass Umwelt- und Klimaprobleme auch in schwierigen politischen Situationen keine Luxusprobleme sind.« Dann folgt das große ABER: »Sie haben aber auch Sorge und Unsicherheit, ob das alles sozial und wirtschaftlich gut zusammengehen kann.« Und wenn es schon kein Kanzler und keine Ministerin, überhaupt kein verantwortlicher Politiker und keine Politikerin wo und aus welcher Partei auch immer tut, gibt der Chef des Umweltbundesamtes den Seelentröster und Mutmacher: »Wenn wir die Transformation ins Rollen bringen, werden wir einen Wachstumsschub erleben.«
Nur: wann wird das sein?
Was Dirk Messner und sein Publikum zu diesem Zeitpunkt nicht wissen können: Zwei Monate später werden Terroristen der palästinensischen Hamas Israel überfallen, friedliche Zivilisten und Zivilistinnen ermorden und verschleppen, was wiederum zu einer heftigen militärischen, ja, kriegerischen Reaktion Israels im von Palästinensern bewohnten Gaza-Streifen führen wird. Der nächste Krieg also, die nächsten weltpolitischen Turbulenzen, der nächste Schub in Sachen gesellschaftliche Verunsicherung. Anderthalb Jahre nach Messners Prophezeiung steckt Deutschland nicht in einem Aufschwung, sondern in einer Rezession.
Die Erderwärmung und der damit verbundene Klimawandel mutieren angesichts all dessen binnen weniger Jahre von einem politischen und gesellschaftlichen Topthema zu einem Grundrauschen. Einerseits da und zu präsent, um negiert und ignoriert zu werden. Andererseits rutscht Klimaschutz in der allgemeinen Wahrnehmung und der Prioritätenliste stetig nach hinten und die Debatten darüber werden leiser. Lauter werden die Zukunftsängste in der Industrie, die Berichte über immer mehr Firmenpleiten und über Arbeitsplätze, die gestrichen werden.
Im Winter 2023/24 rollt eine Welle über das Land, nein – eigentlich rollt sie über die gesamte EU hinweg. Bauern protestieren, in Deutschland vordergründig gegen die Besteuerung von Agrardiesel, welche die Ampelregierung in Berlin einführen will. Wochenlang tuckern die Landwirte mit ihren Traktoren in die Innenstädte, blockieren Verkehrswege und bauen sich auf zentralen Plätzen auf. Sie fühlen sich als Nahrungsmittelversorger prinzipiell nicht genug wertgeschätzt, wünschen die Ampel samt ihrer (in Wirklichkeit überschaubaren) Agrardieselbesteuerung zum Teufel und nutzen die durchaus vorhandenen Grundsympathien in weiten Teilen der Bevölkerung für ihren Berufsstand als Schwungrad für ein weitergehendes Ziel: Der als Beitrag der EU im Kampf gegen den Klimawandel 2019 von der Brüsseler Kommission unter Vorsitz der Deutschen Ursula von der Leyen vorgestellte Green Deal soll ausgehöhlt und am besten abgeschafft werden.
Der Green Deal ist ein in manchen Details ohne Zweifel überreguliertes und überbürokratisiertes Programm. Seine grundlegende Stoßrichtung ist der Klima- und Naturschutz. Die EU will die Netto-Treibhausgasemissionen auf ihrem Gebiet bis spätestens 2050 auf null reduzieren. Der Green Deal verfolgt einen bislang beispiellosen, umfassenden Ansatz. Er setzt an den Finanzmärkten ebenso an wie bei der Energieversorgung oder bei klimaschädlichen Industrien und Branchen. Nur so kann es gehen. Klimaschutz ist zuvörderst die Aufgabe der internationalen Politik. Denn um die großen Mengen an schädlichen Treibhausgasen zu reduzieren, müssen vor allem die Industrieländer ran. Spielen sie nicht mit, wird es nichts.
Doch im Juni 2024 ist Europawahl und die Landwirte machen sich diesen Umstand erfolgreich zunutze. Offenkundig eingeschüchtert von den Bauernprotesten und auf Druck vieler Parteien und Mitgliedsstaaten, korrigiert die EU noch vor der Wahl in Windeseile ihre eigenen Vorgaben nach unten – oder kassiert sie sogar ganz. Aus Angst, die Landwirte könnten noch mehr auf die Barrikaden gehen und rechtspopulistische Kräfte auf dem Kontinent beflügeln, wird der Green Deal ausgehöhlt.
Die Landwirte nutzen den Zeitgeist für sich. Tatsächlich ergeben Meinungsumfragen vor der Europawahl und die Auswertung der späteren Wahlergebnisse ein einhelliges Bild: Im Ranking der Politikfelder, die den Menschen in den 27 Mitgliedsstaaten für ihre Wahlentscheidung besonders wichtig sind, stand 2020 der Klimaschutz ganz oben. Vier Jahre später findet er sich nach Friedenssicherung (26 Prozent), sozialer Sicherheit (23 Prozent) und Zuwanderung (17 Prozent) mit 14 Prozent abgeschlagen auf Platz vier.
Das Beispiel der Bauern, nämlich mit dem Druck von der Straße den Green Deal zumindest aufzuweichen, motiviert Nachahmer. Am 1. Oktober 2024 ziehen zwei einflussreiche deutsche Wirtschaftslobbyverbände nach, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Sie tun dies zwar nicht mit Traktordemos und Geplärre auf Kundgebungen, sondern eleganter mit einer von ihnen in Auftrag gegebenen und bezahlten Studie. Diese kommt zu dem Ergebnis, dass die EU ihr für 2030 angepeiltes Ziel einer Reduzierung der Treibhausgase um 55 Prozent ohnehin nicht mehr erreichen werde. Ebenso wenig das für 2040 geplante Ziel einer 90-prozentigen Reduzierung.
Grund genug für die Wirtschaftsverbände, alles in Frage zu stellen. »Die Formulierung immer neuer höherer Klimaziele führt zu einer tiefen Verunsicherung in der Breite der Wirtschaft«, beklagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Man sehe »schon jetzt, dass beispielsweise die für 2030 formulierten Ziele nur schwer erreichbar sein werden. In vielen Unternehmen vergrößert sich die Sorge, dass die politischen Einsparziele zu noch mehr Regulierungen und weiteren Preiserhöhungen für Energie führen.«
Aus der Perspektive des Lobbyisten hat sich der Wind gedreht. »Während in früheren Jahren viele Unternehmen auch Chancen in der Energiewende für den eigenen Betrieb sahen, überwiegen seit zwei Jahren deutlich die Risiken«, sagt Dercks und warnt: »Die Politik sollte daher aufpassen, dass nicht ganze Branchen bei den Themen Energiewende und Klimaschutz fast völlig die Zuversicht verlieren. Denn ohne private Investitionen wird die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft nicht gelingen.«
Wenige Tage später veröffentlicht der Marktforscher GfK die Ergebnisse seiner jährlichen Konsumentenstudie »GfK Consumer Life«. Tenor: »Der Klimawandel bewegt die Deutschen weniger stark als die Inflation oder die Sorge, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können.« Nachhaltiges Einkaufen sei für die Menschen hierzulande zwar weiterhin ein Thema, aber eben nicht mehr im bisherigen Ausmaß.
Doch Deutschland kommt auch voran.
Fast zeitgleich zur GfK-Studie gehen amtliche Zahlen ein wenig unter, die Sven Giegold, grüner Politiker, einige Jahre Mitglied des Europäischen Parlaments, von Dezember 2021 bis November 2024 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, im Spätsommer 2024 nennt. Im laufenden Jahr würden bereits 57 Prozent des Stroms in Deutschland und 50 Prozent innerhalb der EU aus Wind, Sonne, Wasser und anderen regenerativen Quellen erzeugt. Fast fünf Millionen Deutsche produzieren inzwischen über eigene Solaranlagen Strom, Tendenz steigend. Das, so Giegold, bringe große Wertschöpfung in die Regionen. Das ungelöste Problem: In Stoßzeiten vor allem im Sommer steht der erneuerbar erzeugte Strom im Überfluss zur Verfügung, während er zu anderen Zeiten noch knapp ist.
Schon im Frühjahr 2024 hatte das Umweltbundesamt gemeldet, dass Deutschlands Treibhausgasemissionen 2023 um zehn Prozent zurückgegangen seien. Die von der Bundesrepublik für 2030 angepeilten Klimaziele wären erreichbar, so die Prognose. Und am Nikolaustag 2024 meldete das im Umgang mit Daten unbestechliche Statistische Bundesamt, dass im dritten Quartal 2024, also von Juli bis einschließlich September, 63,4 Prozent des hierzulande erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen wurden. Fast zwei Drittel also – so viel wie noch nie in einem dritten Quartal.
Es tut sich also was, der klimafreundliche Umbau kommt voran. Doch es ist ein schmaler Grat und viele andere Umstände stören und behindern diesen Umbau, der für sich genommen schon eine gewaltige Herausforderung darstellt. Die deutsche Wirtschaft kämpft gleichzeitig um ihre internationale und globale Wettbewerbsfähigkeit, gegen die negativen Folgen des Ukrainekriegs, gegen hohe Energiepreise, Rezession, Bürokratie und einen noch nie dagewesenen Fachkräftemangel. Ausgerechnet Deutschlands wichtigste, weil größte Branche leidet überdies an eigenen Unzulänglichkeiten: Die deutschen Autohersteller schaffen es nicht, schnell günstige E-Autos auf den Markt zu bringen, die im globalen Maßstab preislich und technisch wettbewerbsfähig sind. Dahinter verbirgt sich aber auch ein mentales Problem: Viele Autohersteller samt ihren Zulieferern, aber auch weite Teile der Bevölkerung hängen am Verbrenner. Sie ignorieren völlig, dass das Thema Transformation weltweit längst durch ist. Die Reise geht global unaufhaltsam Richtung E-Mobilität und andere alternative Antriebsformen. Statt trotzig am Althergebrachten festzuhalten, wäre es besser, sich dem Neuen in jeder Hinsicht zu öffnen.
Allein China investiert Hunderte Milliarden Euro in den Ausbau der E-Mobilität. Das Land ist global der wichtigste Treiber dieser Technologie, aber auch der wichtigste Absatzmarkt für deutsche Autobauer. Doch nun hängen chinesische Firmen mit ihren reichweitestarken und bezahlbaren E-Modellen die schlechtere und teurere Konkurrenz aus Wolfsburg, Stuttgart, München oder Ingolstadt ab. Der Versuch der EU, sie mit Zöllen draußen zu halten, zeugt von fast rührender Hilflosigkeit. Und er ist undurchdacht, denn er wird umgekehrt die Aktivitäten der deutschen und europäischen Autoindustrie in China behindern und ihre Interessen stören.
Erschwert wird wirksame Klimapolitik auch durch das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024. Mit Donald Trump kehrt ein Mann ins Weiße Haus zurück, der den Klimawandel für eine Erfindung hält und ihn prinzipiell ignoriert. Bei seinen Reden im Wahlkampf fiel er mit dem Schlachtruf auf: »Drill, Baby, drill«; übersetzt etwa »Bohren, Baby, bohren«. Gemeint war die Ausbeutung fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas aus dem Boden.
Noch bevor er sein Amt Anfang Januar 2025 antritt, kündigt Trump an, so schnell wie möglich aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen zu wollen. Dass sein größter Buddy und Wahlkampfspender Elon Musk der Mann hinter dem größten E-Autobauer Tesla ist – geschenkt. Bereits während seiner ersten Amtszeit hatte Trump für die USA das Klimaabkommen gekündigt. Es war eine der ersten Amtshandlungen seines zwischenzeitlichen Nachfolgers Joe Biden, die USA wieder zur Mitstreiterin des Pariser Abkommens zu machen. Nun geht die Reise wieder rückwärts. Trump hat vor seiner Amtsübernahme auch angekündigt, Umweltbehörden aushöhlen zu wollen, Schutzverordnungen zugunsten der seinen Wahlkampf finanzierenden Erdölindustrie zu lockern und auch an anderen Stellen keine Klimaschutzpolitik betreiben zu wollen. Alles deutet darauf hin, dass ausgerechnet eines der klimaschädlichsten Länder sich aus dem Kampf gegen den Klimawandel verabschieden wird.
Andererseits ist die Klimawende zum Positiven erstaunlich weit vorangekommen. Die Internationale Energieagentur IEA erwartet, dass bereits im Jahr 2030 die Hälfte des Stroms weltweit aus erneuerbaren Quellen stammen wird. Die globalen Investitionen in Wind- und Sonnenenergie würden die Förderung von Öl, Gas und Kohle schon heute um das Doppelte übersteigen. In ihrem »World Energy Outlook 2024« geht die IEA sogar davon aus, dass Elektroautos weltweit stark zunehmen werden, während die Nachfrage nach Benzin spätestens ab 2030 weltweit drastisch sinken wird. Schon jetzt gebe es Anzeichen für ein Überangebot an fossilen Energieträgern.
Die IEA-Experten glauben, dass logischen marktwirtschaftlichen Gesetzen folgend die sinkende Nachfrage die Gewinnmargen der Öl- und Gaskonzerne derart drücken wird, dass diese Unternehmen weniger Öl und Gas fördern werden, um das Angebot zu verknappen und so die Preise hoch zu halten. Unterm Strich würden dann aber auch weniger dieser fossilen Brennstoffe verheizt.
Zudem hat die USA in Person ihres Präsidenten Joe Biden mit dem Inflation Reduction Act (IRA) 2022 einen Pfosten in Sachen Klimaschutz eingerammt. Dabei handelt es sich um ein mehr als 370 Milliarden US-Dollar umfassendes Investitionsförderprogramm für Unternehmen, die an erneuerbaren Energien und speziell an Technik für die E-Mobilität arbeiten. Viele Firmen auch aus Deutschland und anderen europäischen Ländern haben in den USA entsprechend investiert und die Fördermöglichkeiten des IRA genutzt. Experten und Expertinnen sagen, dass allein dank dieses Programms in den Vereinigten Staaten etwa 330 000 Arbeitsplätze neu entstanden seien. Donald Trump tobte zwar im Wahlkampf und nannte den IRA realitätsfern »den wahrscheinlich größten Betrug der Geschichte«. Doch ein Stopp des Förderprogramms oder gar ein Rückgängigmachen würde definitiv Investoren aus den USA und auch aus dem Ausland verschrecken. Es würde Jobs kosten und die USA im Bereich Zukunftstechnologie zurückwerfen. Darum gibt es selbst in der republikanischen Partei Widerstände gegen eine Rücknahme des IRA. Nicht zuletzt Trumps Schwiegersohn Jared Kushner hat viel Geld in ein kalifornisches Solarunternehmen investiert, das wiederum vom IRA profitiert.
Trotz solch positiver Ansätze schreitet der Klimawandel voran. Er ist kein rein nationales, sondern ein globales Problem, das von weltweiten Faktoren bestimmt wird. Keines, das man in Deutschland (allein) lösen kann, auch wenn angesichts vieler Diskussionen hierzulande dieser Anschein entstehen könnte.
Die Fakten sind nun einmal so, wie sie sind. Das Auswärtige Amt in Berlin warnt, die Erderwärmung verschärfe Konflikte, destabilisiere ganze Gesellschaften und beeinträchtige Frieden und Stabilität auf der ganzen Welt. Seit 1995 ist der Klimawandel eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache. Selbst Ignoranten und Ignorantinnen, die ihn allen Fakten zum Trotz nicht für größtenteils menschengemacht halten, müssten sich eigentlich eingestehen, dass er längst begonnen hat. Ein Monat mit Rekordtemperatur nach dem anderen in Deutschland. Ende 2024 zog der Deutsche Wetterdienst eine alarmierende Jahresbilanz: »In Deutschland war noch nie seit Messbeginn 1881 ein Jahr so warm wie 2024.« Erschreckend sei vor allem, »dass 2024 das Vorjahr gleich um außergewöhnliche 0,3 Grad übertroffen hat. Das ist beschleunigter Klimawandel«, so ein DWD-Sprecher. Mit 10,9 Grad Celsius lag die tägliche Durchschnittstemperatur um 2,7 Grad über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961 bis 1990 (8,2 Grad). Im Vergleich zur aktuellen und wärmeren Vergleichsperiode 1991 bis 2020 (9,3 Grad) betrug die Abweichung 1,6 Grad. Der DWD in seiner Mitteilung: »Damit setzte sich der beschleunigte Erwärmungstrend fort, der bereits in den Jahren 2023 (10,6 Grad) und 2022 (10,5 Grad wie 2018) zu neuen Höchstwerten geführt hatte. 2024 sorgte zugleich dafür, dass der lineare Temperaturtrend seit Messbeginn (1881 – 2024) jetzt auf 1,9 Grad gestiegen ist. 2023 lag er noch bei 1,8 Grad.
Die Folgen von alledem: Unübersehbare Veränderungen von Flora und Fauna. Missernten. Dürren und Fluten. Die Wasservorräte selbst im wasserreichen Deutschland schrumpfen in dramatischem Ausmaß – obwohl 2024 als regenreiches Jahr in die Geschichte einging. Warum das so ist, darauf werde ich in diesem Buch noch näher eingehen.
Der Kampf gegen diese und andere Folgen des Klimawandels kommt bestenfalls schleppend voran; zu langsam, um der Entwicklung Einhalt zu gebieten. Trotz der gefühlt schon ewigen Debatten, der Warnungen unzähliger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und der Versprechen von Regierungen und klimarelevanten Konzernen erreichten die weltweiten Treibhausgasemissionen 2023 einen Höchststand. Zu diesem Ergebnis kommen die Vereinten Nationen, nachzulesen im »Emissions Gap Report« ihres Umweltprogramms UNEP. Der auf die Verantwortlichen gemünzte Titel des Berichts: »No more hot air, please«. Auf deutsch: »Bitte keine heiße Luft mehr«. Demnach wurden 2023 Treibhausgase mit einer Klimawirkung von 57,1 Gigatonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Das waren 1,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor, wo der Zuwachs bereits bei 1,2 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 gelegen hatte. Zum Vergleich: In den zehn Jahren vor der Corona-Pandemie waren UN-Expertinnen und -Experten zufolge die weltweiten Treibhausgasemissionen jährlich um durchschnittlich 0,8 Prozent gestiegen.
Treibhausgase in der Atmosphäre, hauptsächlich Kohlendioxid, sind einer der wichtigsten Faktoren für die Erderwärmung. Für gut ein Viertel der globalen Emissionen 2023 war der Energiesektor verantwortlich, hauptsächlich durch die Erzeugung von Strom aus nichterneuerbaren Energiequellen wie Öl und Gas. Im Klimaschädlichkeits-Ranking folgen das Transportgewerbe (also Flüge, Schiffe, Lkw und Auto) mit 15 Prozent sowie Landwirtschaft und Industrie mit jeweils elf Prozent. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen fordern die Vereinten Nationen nachdrücklich mehr Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel, vor allem von den großen Industriestaaten, deren Treibhausgasausstoß besonders hoch ist.
»Im Wesentlichen bräuchten wir eine globale Mobilisierung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und Tempo«, sagt UNEP-Chefin Inger Andersen bei der Vorstellung der Zahlen im Oktober 2024. Noch drastischer formuliert es UN-Generalsekretär António Guterres: »Wir spielen mit dem Feuer, aber es gibt keine Zeit mehr zu verlieren. Entweder schließen die Staats- und Regierungschefs die Emissionslücke, oder wir stürzen kopfüber in eine Klimakatastrophe, unter der die Ärmsten und Schwächsten am meisten leiden werden. Überall auf der Welt zahlen die Menschen einen schrecklichen Preis.«
Die Zeit drängt. Um die Erderwärmung auf das von der Weltgemeinschaft beschlossene Ziel von für Mensch und Natur noch verträglichen 1,5 Grad Plus zu begrenzen, müssten die jährlichen Treibhausgasemissionen verglichen mit der Menge von 2019 um 42 Prozent bis zum Jahr 2030 und bis 2035 um 57 Prozent sinken. Davon ist man weit entfernt. Geht es global aber weiter wie bisher, wären die Folgen nach Aussage der UN-Experten »katastrophal«. Es liefe dann auf eine Erwärmung von 3,1 Grad Celsius in diesem Jahrhundert hinaus. Und selbst wenn alle bestehenden Zusagen zur Emissionssenkung eingehalten werden, würde die Temperatur um 2,6 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter steigen. Dies würde unumkehrbare »Kipppunkte« bedeuten, wie Wissenschaftler es nennen. Soll heißen: Die Eiskappen schmelzen weg, der Meeresspiegel steigt unkontrollierbar und extreme Wetterphänomene nehmen zu. Wodurch wiederum Mensch und Natur gleichermaßen Schaden nehmen würden, von zerstörten Ernten bis hin zur dauerhaften Unbewohnbarkeit weiter Landstriche.
All diese wissenschaftlichen Prognosen treffen auch auf Deutschland immer häufiger zu. Dürre und Trockenheit wechseln sich rasant mit Extremwetter und Überschwemmungen ab. Alles gleichermaßen schädlich für Mensch und Natur. Da waren die Hitzejahre 2018, 2019, 2020 und 2022, unterbrochen 2021 von der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal mit allein dort 135 Todesopfern. Auch benachbarte Regionen wurden vom Hochwasser heimgesucht. 2023 und (mehr noch) 2024 waren europaweit geprägt von Unwetterkatastrophen.
Weil die Klimakrise sich nicht an von Menschen gezogenen Staats- oder Verwaltungsgrenzen orientiert, hätte es im Frühjahr 2024 eigentlich auch die Bewohnerinnen und Bewohner von Flensburg, Rostock, Wanne-Eickel, Straubing oder Baden-Baden beunruhigen müssen, dass die spanische Region Katalonien unter Dürre und Wasserknappheit derart litt, dass die Springbrunnen in Barcelona nicht mehr mit Wasser befüllt werden konnten. Die Regionalregierung kam kaum mehr nach mit Appellen an die eigene Bevölkerung, doch um Himmels Willen kein Wasser zu verschwenden und sparsamst damit umzugehen. Mancherorts wurde Trinkwasser rationiert. Die öffentlichen Versorger steuerten auf einen Versorgungsnotstand zu.
Im anschließenden Sommer erlebte Südeuropa eine noch nie erlebte monatelange Hitzewelle mit häufig weit mehr als 40 Grad Temperatur. In Athen wurde die Akropolis für Touristen und Touristinnen geschlossen; bei über 50 Grad wird Sightseeing lebensgefährlich. Selbst die hartgesottenen Strandurlauber und -urlauberinnen mieden das obligatorische Sonnenbad an den Stränden am Mittelmeer.
Fast zeitgleich veröffentlichte The Lancet, eine der ältesten und renommiertesten Fachzeitschriften für Medizin mit Sitz in Großbritannien, eine umfangreiche Analyse zum Zusammenhang von Klimawandel und etwaigen damit verbundenen Gesundheitsgefahren. Mehr als 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt haben daran mitgearbeitet. Die Ergebnisse sind besorgniserregend. Allein 2023 waren die Menschen weltweit durchschnittlich 50 Tage mehr gesundheitsgefährdenden Temperaturen ausgesetzt, als dies ohne den Klimawandel der Fall gewesen wäre. Im selben Jahr starben in diesem Zusammenhang mehr als anderthalbmal so viele Menschen über 65 Jahre wie im Durchschnitt der 1990er-Jahre. Knapp die Hälfte der globalen Landfläche litt mindestens einen Monat unter extremer Dürre – das war der zweitgrößte Wert seit 1951.
Zu viel Hitze macht aggressiv. Zwei Forscherinnen und ein Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung konnten 2022 nachweisen, dass die Zahl der Hatespeech-Einträge auf der Kurznachrichtenplattform Twitter (heute X) an Tagen mit einer Temperatur von mehr als 27 Grad Celsius deutlich zunimmt. Ganz schlimm ist es, wenn das Thermometer auf mehr als 42 Grad ansteigt. Für ihre Studie glichen die Forschenden Tweets aus 773 US-amerikanischen Städten in den Jahren 2012 bis 2020 mit den jeweiligen Temperaturdaten ab.
Hitze und Dürre waren auch der Grund, weshalb 2022 die Versorgung von 151 Millionen Menschen mit Ernährung stark in Mitleidenschaft gezogen war. Extreme Wetterbedingungen seien, so die Forschenden weiter, der Grund für den Ausfall von 512 Milliarden Arbeitsstunden, knapp 50 Prozent mehr als im Mittel der 1990er-Jahre. Die Arbeitsproduktivität sinkt bei großer Hitze also, den daraus resultierenden Einkommensverlust bezifferten die Expertinnen und Experten auf 835 Milliarden US-Dollar. Und weil wir schon bei den volkswirtschaftlichen Folgen sind: 2023 verursachten Wetterextreme nach Angaben des Onlinebrokers Freedom24 weltweit Schäden von mindestens 250 Milliarden Euro.
Hitze und starke Niederschläge, Dürren und Fluten hängen untrennbar zusammen. Sie sind Teile ein und derselben Entwicklung, des Klimawandels eben. Wobei mehr Niederschlagsmengen nicht automatisch die unterirdischen Wasserspeicher neu auffüllen. Wenn viel Wasser auf die Erde prasselt, bedeutet dies noch lange nicht, dass der Boden dieses Wasser sofort dankbar verarbeiten kann. Ein extremes Beispiel dafür spielte sich im Oktober 2024 im Südosten Spaniens ab.
Die Region versank binnen Stunden unter unvorstellbaren Wassermassen, die durch Starkregen binnen kürzester Zeit einen riesigen Landstrich unter Wasser setzten. Es dauerte Tage, bis das ganze Ausmaß der Katastrophe sichtbar wurde; mehrere Hundert Menschen verloren ihr Leben, unzählige Häuser wurden in Mitleidenschaft gezogen, 150 000 Menschen waren teilweise tagelang ohne Strom, Plünderer zogen durch die Städte, die Hilfskräfte waren heillos überfordert. In der Region um Valencia wurden Felder und Obstplantagen verwüstet; Reporterinnen und Reporter vor Ort verwendeten Begriffe wie »Apokalypse«, »Horrorflut« und »Chaos«. An nur einem Tag sei in dieser Region so viel Regen gefallen wie sonst in einem ganzen Jahr, rechneten Meteorologen vor.
Zwischen 2014 und 2023 gab es auf rund 60 Prozent der globalen Landfläche weit mehr Niederschläge im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990. Doch nicht nur das Risiko für gefährliche Überschwemmungen und damit einhergehende Wasserverschmutzung ist gestiegen; die Erderwärmung fördert auch die Ausbreitung bestimmter Mückenarten, die Infektionskrankheiten wie das Denguefieber übertragen. 2023 wurden dem Lancet-Bericht zufolge mehr als fünf Millionen Fälle der gefährlichen Infektionskrankheit Dengue registriert, die durch das gleichnamige, von Mücken verbreitete Virus übertragen wird – ein Negativrekord. Generell hat die Hälfte der Erdbevölkerung keinen Zugang zu einer flächendeckenden und effektiven Gesundheitsversorgung.
Unmittelbar vor dem Weltklimagipfel im November 2024 in Baku, der Hauptstadt des Ölstaates Aserbaidschan, veröffentlichte Indicators of Global Climate Change (IGCC), ein Zusammenschluss internationaler Klimaforschender, weitere objektiv besorgniserregende Zahlen. 2023 wurden demnach weltweit so viele Treibhausgase freigesetzt wie nie zuvor. Der Klimawandel beschleunige sich, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Fast zeitgleich schlug auch der EU-Klimawandeldienst Copernicus Alarm: 2024 werde das heißeste Jahr der Erdgeschichte werden, so die Forschenden, die recht behielten. Das erste Jahr nämlich, in dem die Erderwärmung ein Plus von mehr als 1,5 Grad erreicht, gemessen am Mittel der vorindustriellen Zeit. »Dies stellt einen neuen Meilenstein in der globalen Temperaturaufzeichnung dar und sollte als Beschleuniger dienen, um die Ziele für die bevorstehende Klimakonferenz zu erhöhen«, sagt Samantha Burgess, Deputy Director vom Copernicus Climate Change Services.
Die Zahl 1,5 hat eine hohe Symbolkraft, denn bei der Weltklimakonferenz 2015 in Paris hatten die Staaten vereinbart, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber unter 1,5 Grad zu bleiben. Spätestens jetzt läuft die Zeit davon.
Man muss kein Klimaaktivist sein, um das zu erkennen, es reicht bereits, den Wissenschaftlern zuzuhören und ihre Ergebnisse nachzulesen. Immer drängender fordern die Expertinnen des UN-Klimasekretariats (UNFCCC) ehrgeizigere Maßnahmen, auch von der Europäischen Union. Wolle Europa seine Klimaziele erreichen, müsse es schnell handeln, sagt William Lamb, Wissenschaftler am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), dem Newsletter-Dienst SZ Dossier. Deutschland und andere Mitgliedsstaaten müssten »starke politische Maßnahmen« ergreifen und vor allem so schnell wie möglich aus fossilen Brennstoffen aussteigen. Und sie müssten mit anderen Nationen zusammenarbeiten, um die Klimaziele zu erreichen, so Lamb weiter, »insbesondere mit den Ländern, in denen die Emissionen am schnellsten steigen, wie Indien, China, Indonesien und anderen«.
Wer sind die Staaten mit dem meisten klimaschädlichen Ausstoß?
2023 war China für gut 31 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich, also knapp ein Drittel. Gefolgt von den USA (13 Prozent), Indien (8,1 Prozent), Russland (4,8) und Japan (2,6 Prozent). Deutschland rangierte im globalen Ranking auf Rang neun mit einem Treibhausgasanteil von 1,58 Prozent. Legt man die Kohlendioxidemissionen pro Einwohnerin und Einwohner zugrunde, ist dem Statistischen Bundesamt zufolge Saudi-Arabien mit 17,2 Tonnen pro Kopf der Klimasünder Nummer eins. Gefolgt von Kanada (14,9 Tonnen), Russland (14,5), Australien (14,2) und den USA (13,8). China rangiert mit 9,2 Tonnen vor Deutschland (7,1) und der EU insgesamt (5,7 Tonnen pro Kopf und Jahr). Die 20 größten Industrienationen (G20) verursachten 2023 zusammen 83 Prozent der CO2-Emissionen.
Es braucht also in erster Linie internationales und weltpolitisches Handeln, um den Klimawandel zu bremsen, zu stoppen und die Klimakatastrophe zu verhindern.
In Deutschland aber zelebrieren wir lieber klimapolitisches Kleinklein. Wir maßen uns gerne den Irrglauben an, dass, wenn wir etwas richtig machen, unserem guten Beispiel selbstverständlich der Rest der Welt folgen wird. Diesen Anspruch tragen wir auch gerne vor uns her, allen voran deutsche Politiker, wenn sie im Ausland auftreten. Diese Haltung trägt Arroganz in sich. Jene eitle Besserwisserei, die uns auch in der Wahrnehmung in Nachbarländern allzu häufig und nicht zu Unrecht als unsympathische Oberlehrer dastehen lässt.
In Deutschland machten wir diesbezüglich eine klimapolitisch verheerende Erfahrung: das beispiellose Gewürge um ein neues Heizungsgesetz.
Dabei verfolgte die Ampelregierung einen pragmatischen, nachvollziehbaren und mit Zahlen und Fakten gut begründbaren Ansatz: Für 30 Prozent des klimaschädlichen Kohlendioxidausstoßes hierzulande sind das Heizen und Kühlen von Gebäuden verantwortlich. Das sind deutlich mehr schädliche Treibhausgasemissionen als der komplette motorisierte Individualverkehr mit Auto, Lastwagen und Motorrädern zusammengenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die schädlichen CO2-Emissionen in diesem Sektor binnen 20 Jahren zwar um zwölf Prozent gesunken. Aber das ist eben bei Weitem nicht genug und die Reduktion verläuft zu langsam angesichts einer Erderwärmung, die nicht irgendwann kommen wird, sondern bereits begonnen hat.
Daraus lässt sich mit guten Gründen politischer Handlungsbedarf ableiten. Doch ein entsprechender Entwurf eines neuen Heizungsgesetzes aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erweist sich als unausgegoren und handwerklich stümperhaft. Und er wurde derart schlecht von den Verantwortlichen kommuniziert und begründet, dass eine konstruktive Debatte darüber, womit private Haushalte in Zukunft möglichst klimaschonend heizen sollen, unmöglich wird. Zu den Kernfragen, nämlich, unter welchen technischen, wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen man dieses Ziel erreichen kann, fliegen regierungsintern halbgare und realitätsfremde Vorschläge hin und her. Was davon an die Öffentlichkeit kommt, fällt den Grünen und dem von ihnen abgestellten zuständigen Minister Robert Habeck schmerzhaft auf die Füße.
Der Gesetzesvorschlag, der von Insiderinnen und Insidern zweifellos nicht ohne politische Absicht bereits in einem frühen Stadium durchgestochen wurde, läuft auf zeitnahe Verbote von Heizungen mit fossilen Brennstoffen wie Erdgas und Öl hinaus. Prinzipiell eine gute Absicht, fossile Brennstoffe sind de facto Klimakiller. Doch was bewirkt ihr Verbot, wenn die notwendige alternative Technik nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung steht? Wenn die Preise für solche Heizsysteme so hoch sind, dass Millionen Menschen sie sich nicht leisten können? Wenn die Finanzierung und die Vorgaben hastig zusammengerührter Subventionsprogramme nicht ins Laufen kommen? Wenn Fristen, ab denen neue Bestimmungen gelten sollen, in der Praxis niemals eingehalten werden können? Allein deshalb nicht, weil es nicht genügend Wärmepumpen auf dem Markt gibt, die Öl und Gas ersetzen sollen. Die Lieferzeiten sind lang und es gibt viel zu wenige Heizungsmonteure für den Einbau – der Fachkräftemangel lässt grüßen. Selbst wer einen Betrieb für die Umrüstung findet, muss sich auf monatelange Wartezeiten einstellen.
Derweil explodieren, dem marktwirtschaftlichen Gesetz von (geringem) Angebot und (gewaltiger) Nachfrage folgend, parallel zur Gesetzesdebatte die Preise für Heizungen mit Wärmepumpen samt deren Einbau. Und natürlich gibt es politische Sperrfeuer en masse; aus der konservativen Opposition heraus, aber auch vom in Sachen Klimapolitik ohnehin prinzipiell ignoranten und destruktiven Regierungspartner FDP. Die populistischen Gegner der Heizungspläne und rechtspopulistische Klimaleugnerinnen und -leugner haben bei ihrer Agitation ein leichtes Spiel. Selten wirkte eine Regierung bei einem zentralen Vorhaben hilfloser als die Ampel. Es entsteht allein durch die Heftigkeit, die Ungezügeltheit und die Dauer der Debatte obendrein der Eindruck, als würde sich am Einzelthema Heizungen das große Ganze wesentlich entscheiden.
Das Thema Heizung evoziert zudem das Gefühl, als wollte die Politik den Kampf gegen den Klimawandel auf den Einzelnen abwälzen. Und dann fällt all dies zeitlich auch noch zusammen mit steigenden Energiepreisen, nachdem die Bundesrepublik sich politisch entschlossen hatte, nicht mehr beim bis dato wichtigsten Billiggaslieferanten Russland einzukaufen, der Kriegstreiberei des Wladimir Putin wegen.
Die Folge dieser Mixtur aus politischem Pfusch und äußeren Einflüssen ist verheerend: In weiten Teilen der Bevölkerung machen sich Unsicherheit und Unverständnis, Ärger und Wut breit. Viele Menschen sind ratlos und fühlen sich überfordert; auch solche, die grundsätzlich durchaus bereit wären, in Klimaschutz zu investieren. Stattdessen wenden sie sich mit Grausen ab. Der Umstand, dass hier etwas handwerklich und kommunikativ verbockt wird, was aber prinzipiell in die richtige Richtung geht, verpufft nahezu wirkungslos. Mit der Folge, dass der klimapolitisch Ignorante oder die Unwillige ein Alibi für sein und ihr Nichtstun geliefert bekommt. Die klimapolitisch (auch in Sachen eigene Heizung) Handlungswilligen zucken verunsichert zurück – und warten ab.
Zurück bleibt ein klimapolitisches Trümmerfeld. Die (Regierungs-)Politik hinterlässt den fatalen Eindruck, mit dem Thema Klimaschutz überfordert zu sein. Und so schwindet in Summe die Akzeptanz für wirksame Klimapolitik und das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in politische Handlungsfähigkeit bei diesem elementaren Thema.
Was wäre besser gewesen? Letztlich genau das, was viele Monate später kommt: ein zeitlich gestaffeltes staatliches Zuschusssystem mit verbindlichen, leicht verständlichen Vorgaben. Wer bis zu diesem oder jenem Zeitpunkt seine Heizung klimafreundlich ersetzt, erhält Förderung in dieser oder jener Höhe. Klare Regeln plus finanzielle Anreize. Dies folgt genau dem Prinzip, nach dem in Deutschland auch viele Energiegenossenschaften funktionieren. Und zwar ausgerechnet auf dem traditionell konservativeren Land, wo sich ökoradikaler Umtriebe unverdächtige Bürgerinnen und Bürger zusammentun und als Genossenschaft mit Windrädern oder Photovoltaikanlagen Strom produzieren. Den nutzen sie selbst günstig oder verkaufen ihn. Am Ende haben alle etwas davon. Die Haushalte profitieren finanziell, das Klima wird geschützt und das sorgt wiederum für Akzeptanz. Gute Klimapolitik im Kleinen nutzt die Grundbereitschaft vieler Menschen, die ihren Beitrag leisten wollen, wenn sie ihn für sinnvoll erachten und davon auch noch profitieren können. Ein Anreizsystem, das Menschen mitnimmt, für eine Idee begeistert und sie am damit verbundenen Wandel partizipieren lässt, ist im Zweifel besser als jedes Verbot und jede Einschränkung. Gutes und Sinnvolles tun und damit auch noch Geld verdienen – besser geht es kaum.
So entstünde der Rückhalt, den Klimapolitik braucht. Denn sie ist in einem demokratischen System nur dann erfolgreich, wenn es für sie starke Mehrheiten gibt. Dann erst sind die gewählten Politikerinnen und Politiker in der Lage, klimafreundliche Gesetze zu beschließen und Vorgaben zu erlassen, gegebenenfalls auch mit Einschränkungen und Beschränkungen für den und die Einzelne. Der Umbau von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft hin zu Klimaneutralität funktioniert nur, wenn zumindest eine Mehrheit im Land dahintersteht. Wer handelt, wie Wirtschaftsministerium und Regierung beim Heizungsgesetz gehandelt haben, verspielt jedoch jegliche Akzeptanz.