Der Baron im Blauen Haus - Helmut Haberkamm - E-Book

Der Baron im Blauen Haus E-Book

Helmut Haberkamm

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Beschreibung

Vom fränkischen Bauernsohn zum General im amerikanischen Revolutionskrieg: Helmut Haberkamm erzählt packend vom Leben Johann Kalbs 1776 erklären die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Unabhängigkeit. Im Krieg gegen die Weltmacht England steht George Washington an der Spitze einer zusammengewürfelten Armee von Freiwilligen. Unterstützt wird er von den französischen Generälen Lafayette und de Kalb. Bei der Schlacht in Camden in South Carolina 1780 wird Baron de Kalb tödlich verwundet und infolgedessen bis heute als amerikanischer Freiheitsheld verehrt. Als er im Sterben liegt, zieht sein bewegtes Leben in seinem Geist noch einmal vorüber. Die wechselvolle Karriere bis zum Brigadegeneral in der französischen Armee, seine Familie bei Versailles mit der jungen Frau und den drei unmündigen Kindern, seine Freundschaft mit Washington und Lafayette, die Jugend in Franken, seine Kindheit als Bauernsohn in Hüttendorf bei Erlangen. Und auch die dunklen Flecken seiner Vergangenheit tauchen wieder auf ... -Ein Roman über das außergewöhnliche Leben einer viel zu wenig bekannten historischen Gestalt: Geboren als deutscher Bauernsohn, wurde Johann Kalb mit 17 Jahren Soldat, als Baron de Kalb Offizier in der französischen Armee, um später als amerikanischer General die blutige Geburtsstunde der USA mitzuerleben -In Amerika berühmt, in seiner deutschen Heimat ein unbeschriebenes Blatt: Neun Städte und sechs Distrikte sind heute in den USA nach Kalb benannt

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Seitenzahl: 154

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Helmut Haberkamm, 1961 in Dachsbach im mittelfränkischen Aischgrund aufgewachsen, lebt und arbeitet bei Erlangen. Er wurde als Dialektlyriker bekannt und verfasste neben vielen Gedichtbänden Theaterstücke, Sachbücher, Songtexte, Romane und Erzählungen. Außerdem ist er Initiator und künstlerischer Leiter des fränkischen Mundartfestivals »Edzerdla«.

Bei ars vivendi erschienen zuletzt der Roman Das Kaffeehaus im Aischgrund (2016), das literarische Sachbuch Kleine Sammlung fränkischer Dörfer (2018), die Erzählsammlung Die warme Stube der Kindheit (2019) sowie der Lyrikband Edzerdla hammers (2024).

Umschlaggestaltung: Armin Stingl/ars vivendi

unter Verwendung einer Zeichnung

von Kurt Neubauer (Vorlage Doris Reichel)

Autorenfoto: Andreas Riedel

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Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (1 Auflage 2025)

© 2025 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar.

Lektorat: Elmar Tannert

Typografie und Ausstattung: ars vivendi

eISBN 978-3-7472-0743-7

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Der Herr Baron im Engelland

goldnen Abschied er dort fand

durchstochen und durchschossen

sein Blut hat er vergossen

Ruhm und Ehre er dort fand

Baron von Kalb im Engelland

Inhalt

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Danksagung

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Wo ich jetzt liege, da stehe ich nicht mehr auf.

Ich weiß, was die Stunde geschlagen hat. Der ganze Körper wird schwächer.

Die Müdigkeit kommt in einer großen, weichen Welle. Immer wieder ist sie da und zieht mich fort in den Schlaf. Wenn ich wieder aufwache, schmerzen die Wunden. Als hätte mir jemand glühend heiße Nägel in den Leib gerammt. Es ist ein Brennen, das ausstrahlt und sticht und zieht. So muss es sich anfühlen, wenn dir eine feurige Fackel in die Haut gedrückt wird.

Die Verbände sind nass und gerötet. Die drei Kugeln haben trichterförmige Löcher gerissen. Die Bajonette acht Stiche. Man hat sie gezählt und untersucht.

Aber ich lebe, ich atme. Ich halt schon was aus. Ich sehe noch alles klar vor mir. Den Tisch, die Stühle, das Bett, die Zimmerdecke.

Ich kann Stimmen hören, englische, französische, einmal sogar eine deutsche. Der Wundarzt der Engländer. Mein treuer Adjutant Dubuysson. Einer der britischen Soldaten kommt 2aus Hessen. Ein Deutscher, den sein Landgraf an die englische Armee verkauft hat. Er sprach mich auf Deutsch an. In seiner drolligen Mundart. Ein anständiger Kerl. Er hat mich rasiert. Seine Finger waren rauh und hart. Aber das Rasiermesser beherrschte er wie Löffel und Pinsel. Er wusste auf Anhieb, wo ich herkomme. Franken, irgendwo zwischen Ansbach, Nürnberg, Bamberg. Erstaunlich! Nach so vielen Jahren. Ich bin doch Franzose, was denn sonst?

Baron von Kalb im Engelland. So gut wie tot.

Sachense doch so was nit, Herr Baron.

Man bemüht sich um mich, kommt an mein Bett. Wischt mir Schweiß von der Stirn und vom Gesicht. Gibt mir frisches Wasser zu trinken. Wechselt die Verbände, drückt einen Schwamm auf die brennenden Stellen, ein kühles Tuch. Das tut gut. So gut.

So gut wie tot. So oft schon gesehn. Miterlebt. Wie das Blut hinausströmt und das Herz immer langsamer schlägt.

Aber ich bin zäh. Nachgeben hat es bei mir nie gegeben. Ich kann was aushalten. Auch die drückende Hitze hier. Von draußen kommt hellgraues Licht herein. Der Himmel sieht aus wie Magermilch, wie Seifenlauge. Wie die fahle Blässe von Sterbenden.

Dass ich hier sterben soll, in South Carolina – was für ein Aberwitz! One of history’s many cruel ironies. In diesem amerikanischen Hinterland. In einem Hinterwäldlerkaff in der Pampa! Tausende Meilen entfernt von Frankreich, meiner Frau, unsern Kindern.

Anna, mon amour, warum hab ich mich nur auf dieses unselige Abenteuer eingelassen? Ich hatte doch alles, was ein Mann sich wünschen kann. Wir waren vorzüglich gestellt, 3lebten mit drei gesunden, klugen, fröhlichen Kindern in der schönsten Wohlhabenheit.

Anna, du Sonne meiner Jahre, warum hab ich dich verlassen und bin in diesen fernen, fremden Krieg gezogen? Ein Mann im sechsten Lebensjahrzehnt? Ein Vater von drei noch nicht volljährigen Kindern? Mir kommt es jetzt vor wie ein böser Traum. Der alte brennende Ehrgeiz hatte mich wieder heimgesucht und an der Ehre gepackt, am Stolz. Ein großer General werden, glorreiche Siege, Glanz und Ruhm! Im Triumph heimkehren, um zum Feldmarschall ernannt zu werden! Ganz oben landen, am Olymp!

Was für eine Torheit! Mein Ehrgeiz hat mich niedergestreckt. Nicht die Engländer haben mich zu Fall gebracht, mein ureigener Stachel im Fleisch war es. Die unersättliche Ehrsucht. Dieser gefräßige Dämon in mir. Immer wollte ich mehr und höher hinaus, seit meiner Jugend. Was werden, was sein, was bewegen. Aufsteigen, immer weiter, immer mehr. Mich auszeichnen, hervortun, die anderen übertreffen. Der strahlende Sieger im schönen Licht.

Der Hochmut des scheinbar Bescheidenen! Immer dieser Geltungsdrang hinter dem Angesicht von Disziplin, Eifer und Pflicht! Mon Dieu, es ist alles so eitel. Aber das Schicksal zahlt es mir heim. Es lässt mich bluten für all die Vermessenheit. Der ganze Irrsinn fließt mit meinem Blut aus mir heraus.

Was für eine Schlacht! Wie unnötig dies alles gewesen ist! Wir hätten todsicher gesiegt, wenn es nach mir gegangen wäre. Hätte ich den Oberbefehl gehabt, hätte jeder gewusst, was er zu tun hat. Da hätte jeder seinen Mann gestanden, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Aber dieser unfähige Gates hat alles zunichte gemacht. So viele Mühen und Widerwärtigkeiten! 4Alles vergebens wegen diesem stolzen Hohlkopf. Was für eine lächerliche Niederlage! Zwei Drittel der Armee nehmen Reißaus und lassen uns im Stich. Während wir uns todesmutig vorkämpfen zum möglichen und nahen Sieg! Meine tapferen Marylander! Man könnte heulen, so aberwitzig und grausam ist das Ganze! Eine Farce!

Und meine treuen Marylander, unerschrocken, unverzagt – und dennoch auf verlorenem Posten. Geschlagen. Aufgerieben.

Die Unfähigkeit der eigenen Leute hat uns den Sieg gekostet.

Und mir kostet sie das Leben.

Baron von Kalb im Engelland.

So gut wie tot.

So also sieht es aus: das Ende.

5

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Hab ich geschlafen?

Wo bin ich? Im Blauen Haus, sagen sie.

Das Haus von Dr. Isaac Alexander, dem Wundarzt hier in Camden. Ein rechtschaffener und kundiger Mann. Er gibt mir Weidenrinde, Mohnsaft und Zaubernuss.

You better set your house in order, Sir.

Wie lange geben Sie mir noch?

Several hours, one night, maybe another day, who knows?

Alles geordnet, alles geregelt, alles erledigt. Anweisungen für meine Habseligkeiten. Briefe diktiert an meine Soldaten, an Washington, an den Kongress, an den Kriegsminister, an meine Frau Anna und die Kinder.

Mein Adjutant kümmert sich um alles. Der treue Dubuysson, der hilfreiche Geist. Eine gute Seele. Stets hat er seine Pflicht erfüllt. Er warf sich auf mich, und ich hörte ihn verzweifelt rufen: Verschont ihn! Das ist Baron de Kalb! General de Kalb! Mit seinem Leib fing er noch die Stiche und Säbelhiebe auf, die für mich bestimmt waren. Keine Sekunde ließ er mich im Stich. Er hätte jede Kugel aufgefangen, wenn er 6gekonnt hätte. Drei Musketenkugeln und acht Bajonettstiche. Draußen ist es hell und heiß. Das schwüle Wetter drückt und zehrt. Man kann sich zu nichts aufraffen. Es schlägt einen nieder. Diesmal bringt es mich um.

Es zieht und brennt im Leib. Ich bin ein zertrümmertes Gefäß. Aber kein Scherbenhaufen. Mein Leben ist so unendlich viel mehr als dieses Ende.

Ein Schlachtfeld, das bedeutet immer Kampf und Sterben. Zurück bleiben Trümmer und Tote. So ist es nun einmal. Glorienschein und Leichenberge.

Ach, der schwere, zerbrochene Körper. Staub in den Falten. Dreckspuren und Blutkrusten. Die Flecken und Furchen der Haut. Die Adern aufgetrieben wie Baumwurzeln im Waldboden. Alle Gliedmaßen schwer wie Holzstämme. Wund und taub zugleich. Ein elender Knochensack, weiter nichts mehr.

Einer gibt mir Wasser zu trinken aus einem Zedernholzfass. Er schöpft es mit einer Kalebasse heraus. Es schmeckt frisch und kühl. Das Aroma des Baums strömt noch mit hinein in den Mund. Was für eine Labsal!

Linderung für das Stechen, Ziehen, Brennen unter der Haut.

Aber ich will es ihnen zeigen: Ich bin zäh wie ein Zimmermannsnagel.

Kein Gejammer, keine Klagen, kein Bedauern.

Ich bin kein Rührei, kein wehleidiger Jammerlappen. Meiner Lebtage nie gewesen.

Wenn der Arzt kommt, lächle ich. Ein kurzer, entschiedener Dank.

Immer vernünftig sein. Gefasst und ergeben. Haltung. Form. Anstand.

7

Das gehört sich so. Ich bin Offizier.

Jeder weiß Bescheid. Das Ende ist nah. Ich kann gehen.

Was heißt gehen? Einnicken, dösen, schlafen.

Alles geht seinen Gang. Hinübergehen.

Hinüber.

Dahin.

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3

Diese verdammte Schlacht!

General Washington hatte ursprünglich ja mich zum Oberbefehlshaber des Feldzugs im Süden ernannt. Wie ich mich gefreut hatte! Endlich zog ich in die Schlacht! Endlich konnte ich zeigen, was ich zu leisten imstande war. Nichts lieber wollte ich als mich auszeichnen, Ruhm erwerben!

Drei Jahre war ich schon in Amerika und hatte noch keine echte Schlacht selbst erlebt. Mit Schießen, Kämpfen, Erobern. Stattdessen ewig nur hin- und herziehen mit meiner Division, exerzieren und patrouillieren, die Engländer beobachten, Befestigungen anlegen und inspizieren, für Verpflegung und Ausrüstung sorgen, die Winterquartiere beziehen und die Truppe auf Vordermann bringen. Wochenlang schlief ich auf dem blanken Erdboden, eingehüllt in meinen Reitermantel als Schlafdecke, den Kopf auf einem Tornister oder Handkoffer als Kissen. Früh und abends Brot und Wasser, mittags etwas Fleisch und Gemüse. Frugale Mahlzeiten, fürwahr, ein spartanisches Leben unterm amerikanischen Himmel. Beileibe nichts Heroisches. Und keine Gelegenheit, mich im echten Kampf 9auszuzeichnen! Ewig nur herumziehen, beobachten, abwarten, unterbrochen von einem plötzlichen Scharmützel hie und da. Nichts für einen Offizier wie mich. Ich habe es stoisch ertragen. Das ist meine Natur.

Dann endlich ging es los. Wir zogen Richtung Süden, um der von den Engländern belagerten Stadt Charleston zu Hilfe zu eilen. Ein wichtiger Umschlagplatz für wertvolle Güter: Baumwolle, Indigo, Terpentin, Weizen, Mais, Tabak, Reis, Rum und Felle. Ich war voll Hoffnung, voll Tatendrang.

Was dann aber folgte, war eine Kette von Enttäuschungen. Schon in Virginia war es unmöglich, Proviant zu bekommen für meine Soldaten. Von den Bürgermeistern und dem Gouverneur kamen Vertröstungen und leere Versprechen. Ihre Dummtrödeligkeit war unerhört. Verstärkungen sollten angeblich auf dem Wege sein. Wir bekamen sie nicht zu Gesicht. Ich hätte sie auch gar nicht ernähren können mit unserem kümmerlichen Vorrat. Dabei war Virginia eine reiche Kolonie. Selbst Washington als Virginier hatte es schwer mit seinen Landsleuten.

Viele Tage verstrichen sinnlos beim Warten auf Transportpferde und Wagen. Auf das Papiergeld des Kongresses, um die allernotwendigsten Lebensmittel zu kaufen. Die amerikanische Armee konnte den Soldaten lange Zeit überhaupt keinen Lohn bezahlen. Wenn sie dann endlich Sold bekamen, war er durch die rasante Geldentwertung aufs Lächerlichste zusammengeschmolzen. Ein gewöhnliches Pferd kostete zwanzigtausend Dollar! Die Preise für Proviant und Ausrüstung verdoppelten sich binnen Jahresfrist. Was ich an einem einzigen Tag ausgeben musste, war praktisch mein halber Jahressold! Mein Pferd musste ich mir selbst kaufen – zu einem unverschämten Preis! 10Die Händler und Gastronomen nutzten die Not der Stunde schamlos aus. Gleichzeitig brüsteten sie sich aber als Patrioten, die bereit sind, für Freiheit und Unabhängigkeit angeblich jedes Opfer zu bringen.

So war die Lage, und so sieht sie immer noch aus. Wir brauchten ständig dringend Brot, Salz, Mehl, Butter und Fleisch für unsere Soldaten. Die Stimmung war schon äußerst gereizt, ich durfte keine Meuterei riskieren. Zu viele Soldaten waren schon nachts unbemerkt getürmt oder hatten sich beim stundenlangen Marschieren seitwärts aus dem Staub gemacht. Am Ende wäre ich als General dagestanden mit einer Division ohne Soldaten. Ein Popanz. Das wollte ich mit allen Mitteln verhindern.

Aber, ach Gott, keine Unterstützung, keine Redlichkeit, keine Tugend im Staate Virginia. So ging es los. Dazu noch die Respektlosigkeit. Als die Offiziere meiner Division endlich eine Zuteilung an Tee, Kaffee, Rum, Tabak, Zucker und Seife erhielten, hieß es sofort: Nur für die Amerikaner! Mir als französischem General sollte nichts davon gegeben werden. Ich verzichtete mit der größten Nonchalance und kam bequem ohne diese Annehmlichkeiten aus. Das imponierte ihnen. Von da an galt ich als einer von ihnen. A tough cookie.

Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Die Division musste auf dem besten Wege weiter nach North Carolina. Ich suchte die Marschroute aus durch fruchtbare Täler, mit Einwohnern, die der amerikanischen Sache gewogen waren. So kamen wir immerhin zu dürftiger Verpflegung, Ausrüstung und Unterkunft.

Aber das Wetter! Von der unerträglichen, drückenden Hitze hier macht man sich als Mitteleuropäer keine Vorstellung. Noch 11schlimmer sind aber die Unwetter und gewaltigen Stürme. Sie können wüten wie die schrecklichsten Heere. Am meisten zermartern einen jedoch die Insekten, die Mücken, Käfer und Zecken in tausenderlei Gestalt und Farbe. Wie mich die Viecher zerstochen und drangsaliert haben! Ungeziefer und drückende Schwüle. Kein Entkommen und keine Abhilfe.

Wo blieben nur die verdammten Milizen aus Virginia und North Carolina? Man hatte sie uns immer wieder versprochen und angekündigt. Keine Spur von ihnen. Dann erfuhr ich, dass die Miliz von North Carolina nicht käme, weil sie sich dem Befehl eines Fremden, eines französischen Generals, nicht unterordnen wollten. Caswell, ihr Befehlshaber, war auf seinen eigenen Ruhm erpicht. Die Miliz bestand aus tollkühnen Freiwilligen, die von Befehl und Gehorsam nichts wissen wollten. Sie waren undiszipliniert und schlampig ausgebildet. Der große amerikanische Rebell Caswell hatte sich und seine Krieger maßlos überschätzt. Viel Maulheldentum und überspanntes Freiheitsgeschrei. Was für ein Verhängnis!

Was Verpflegung und Unterstützung für unsere Soldaten anging, bot sich in North Carolina das gleiche Bild wie in Virginia. Keinerlei Vorkehrungen waren getroffen worden für meine Division, keine Lebensmittel vorhanden, keine Wagen, keine Pferde. Von den Milizen ganz zu schweigen. Tagelang mussten sich alle Soldaten von nichts anderem als Pfirsichen ernähren, dann von Maiskolben! Es war ein Trauerspiel, wie wenig wir unterstützt wurden, wie wenig vorbereitet war.

Es hat mich zermürbt. Ich war zornig und ausgezehrt, durfte es aber nicht zeigen. Eine Schwermut ohnegleichen erfasste mich. Wieder dieses herzzerreißende Heimweh nach Anna, unsern Kindern, dem schönen Landhaus, dem Garten. 12Sehnsucht nach Frieden, der wertvoller ist als all der Ruhm auf den Feldern der Ehre. Ich musste mich zusammenreißen, Fassung bewahren, Haltung zeigen.

Mittlerweile war die Nachricht zu uns durchgekommen, dass Charleston kapituliert hatte. Von den Milizen des Staates war es schändlich im Stich gelassen worden. Da kam auch noch dieser tolldreiste General Gates auf seinem Rennpferd dahergesprengt aus dem Norden. Er zeigte mir ein Schreiben des Kongresses: Die Politiker in Philadelphia hatten ihn zum Oberbefehlshaber im Süden ernannt, ohne dass Washington etwas davon wusste. Er hätte nie geduldet, dass der selbstherrliche, eigenmächtige Gates mich als Generalissimus ablöste.

Aber Gates war eben beim Volk populär. Der Held von Saratoga, der die Engländer dort geschlagen und viele Rotröcke gefangen genommen hatte. Dass andere Offiziere die wahre Arbeit geleistet hatten und er bloß die Lorbeeren einheimste in der Öffentlichkeit, wussten nur die wenigsten. Washington kannte diesen Emporkömmling sehr gut. Gates hasste Washington aus genau diesem Grund. Am liebsten hätte er ihn entmachtet und sich selbst zum König der amerikanischen Armee gemacht. Aber seine Lorbeeren aus dem Norden sollten ihm im Süden zu Disteln und Dornen werden. Wegen so einem Armleuchter ins Gras beißen zu müssen, was für eine bittere Schmach!

Selbstverständlich sagte ich ihm, dass ich froh sei über sein Kommen. Jede Hilfe sei hochwillkommen angesichts des Nachschubmangels und des Schwindens der Truppenstärke durch Krankheit, Fahnenflucht und Verabschiedung. Von diesen Tatsachen wollte Gates gar nichts hören. Großmächtig verkündete er, dass Verpflegung und Ausrüstung unterwegs seien 13und vielleicht schon am nächsten Tag eintreffen würden. Kein Wort davon war wahr.

Dann gab er Befehl, dass die Soldaten gleich am nächsten Tag weitermarschieren sollten, auf der kürzesten Route Richtung Camden. Was für ein Irrsinn! Ich sagte ihm, das sei nicht ratsam angesichts der Erschöpfung der Truppen. Die von ihm vorgeschlagene Marschroute führt zudem durch unfruchtbares, sandiges und sumpfiges Land. Es bietet keinerlei Nahrungsquellen, kaum Einheimische, die Unterstützung bringen könnten. Zudem waren die Farmen schon von den Engländern ausgeplündert worden, da gab es nichts mehr zu holen.

An army marches on its stomach!

Die alte Soldatenweisheit tat er ab als Gewäsch. Nichts da, Papperlapapp, das wird sich finden, wir müssen die Engländer möglichst schnell überraschen und zurücktreiben!

Gates hatte wirklich keine Ahnung von kluger Heerführung. Das war der Anfang vom Ende.

Mein Gott, dieses Ende.

Good grief, was für ein Ende.

14

4

Hab ich geschlafen?

Mir ist kalt. Ich zittere wie ein nasser Hund. Kalter Schweiß in dieser Hitze.

Die Arme liegen neben meinem Leib wie Äste im Schnee. Ich kann sie nur mit größter Mühe heben.

Hilflos wie ein Säugling, eingewickelt und versorgt. Weit weg von allem und jedem.

An den wichtigen Dingen können wir gar nichts ändern. Am Wetter, an der Natur, am eigenen Körper, am Schicksal.

Das ewige Zirpen der Grillen, die die Stunden zerreiben. Unaufhaltsam rieseln die Sandkörner im Stundenglas. Mein Ende kommt unwiderruflich. Da hilft kein Gewehr, kein Geschütz, keine Streitkraft der Welt.

Es ist aber kein bitteres Ende. Nein, ich bin nicht bitter. Ich sag es immer wieder: Ich bin froh, dass mich der Ewige den Tod eines Soldaten sterben lässt.

Gott sei dank hab ich zeitlebens meine Pflicht getan.

Was wird aus meinen Papieren? All den Briefen, Listen und Aufzeichnungen? Den Rechnungen, Quittungen, Belegen für 15Ausgaben. Alles fein säuberlich aufgeschrieben. Alles ist da. Ich muss es Dubuysson noch einmal ausdrücklich sagen. Ein Inventar wäre gut. Eine genaue Aufstellung für meine Frau und den Minister. Ich muss Anweisungen geben, dass alles akkurat übergeben wird. Das ist meine Pflicht. De rigueur, keine Frage.

Das Haus bestellen. Alles muss seine Ordnung haben.

Was sind das für Geräusche?

Männerstimmen, Schreie, Gesprächsfetzen. Ich kann nichts verstehen.

Schritte von schweren Stiefeln auf Holzdielen. Türenschlagen. Lauter fremde Leben.

Ich komm nicht mehr auf die Füße. Ich lieg in den letzten Zügen.

Man muss aushalten. Sich abstrampeln im Sand und Sumpf.

Hätte ich jemals hierhergehen sollen? Was verschlug mich in diese tödliche Öde? Was tue ich hier? Backwater, sagen sie dazu. Bumpkin Town. Hicksville, South Carolina.

Wo die Tage viel zu hell, zu heiß sind. Entweder zu trocken oder zu feucht. Die Nächte viel zu dunkel, zu schwül, zu lang.