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Die Machtprobe zwischen Fortuna und der Liebesfee Amorosa beschert drei Handwerksgesellen das große Los. Wie der trunksüchtige Schuster Knieriem, der brave Tischler Leim und der prunkliebende Schneider Zwirn mit ihrem Haupttreffer zurecht- oder nicht zurechtkommen, das ist Gegenstand dieser "Zauberposse"? die zu Nestroys populärsten Stücken gehört.
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Seitenzahl: 74
Johann Nestroy
Der böse Geist Lumpazivagabundus
oder Das liederliche Kleeblatt
Reclam
1965 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2017
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961036-8
STELLARIS, Feenkönig
FORTUNA, Beherrscherin des Glücks, eine mächtige Fee
BRILLANTINE, ihre Tochter
AMOROSA, eine mächtige Fee, Beschützerin der wahren Liebe
MYSTIFAX, ein alter Zauberer
HILARIS, sein Sohn
FLUDRIBUS, Sohn eines Magiers
LUMPAZIVAGABUNDUS, ein böser Geist
vazierende Handwerksburschen
LEIM, ein TischlerGesell
ZWIRN, ein SchneiderGesell
KNIERIEM, ein SchusterGesell
RANTSCH, Wirt und Herbergsvater in Ulm
FASSEL, Oberknecht in einem Brauhause
NANNETTE, Tochter des Wirts
Kellnerinnen
SEPHERL
HANNERL
EIN HAUSIERER
EIN TISCHLERGESELL
STRUDL, Gastwirt »Zum Goldenen Nockerl« in Wien
HOBELMANN, Tischlermeister in Wien
PEPPI, seine Tochter
ANASTASIA HOBELMANN, seine Nichte
EIN FREMDER
GERTRAUD, Haushälterin in Hobelmanns Hause
RESERL, Magd daselbst
HACKAUF, Fleischermeister in Prag
EIN MALER
ERSTER BEDIENTER bei Zwirn
ZWEITER BEDIENTER bei Zwirn
ERSTER GESELL bei Zwirn
ZWEITER GESELL bei Zwirn
HERR VON WINDWACHEL
HERR VON LÜFTIG
[4]SIGNORA PALPITI
ihre Töchter
CAMILLA
LAURA
WIRT in einer Dorfschenke unweit Wien
WIRTIN in einer Dorfschenke unweit Wien
EIN REISENDER (Stellaris)
Zauberer, Magier und ihre Söhne, Nymphen und Genien, Gäste, Volk, Bauern, Handwerksleute verschiedener Zünfte usw., usw.
Die Handlung spielt teils in Ulm, teils in Wien, teils in Prag, teils im Feenreich.
Wolkenpalast des Feenkönigs
Mehrere alte Zauberer und Magier, darunter Mystifax, treten auf und stellen sich im Halbkreis, jeder führt einen erwachsenen Sohn an der Hand, darunter Hilaris und Fludribus. – Stellaris sitzt auf dem Throne.
CHOR DER ALTEN ZAUBERER.
Wir werden euch schon Mores lehren,
Ihr liederlichen Bursche, ihr!
Was nun geschehn wird, sollt ihr hören,
Der Feenkönig richtet hier.
Ihr kehrt im nächsten Augenblick
Zur Ordnung wiederum zurück.
STELLARIS.
Was versammelt euch so zahlreich an meines Wohnsitzes goldner Pforte? Was verlangt ihr von mir?
MYSTIFAX.
Mächtiger Beherrscher! Wir flehen um deine Hilfe. Es treibt sich ein böser Geist im Zauberland herum.
STELLARIS.
Wie heißt er?
MYSTIFAX.
Lumpazivagabundus.
STELLARIS.
Was tat euch dieser böse Geist?
MYSTIFAX.
Er hat sich der Herzen unserer Söhne bemächtigt und sie vom Pfade der Ordnung gelockt. Sie verabscheuen jetzt jede Beschäftigung, sie spielen, trinken, stürzen sich in tolle Liebesabenteuer – mit einem Wort: sie sind verloren, wenn du den bösen Geist nicht bannst.
STELLARIS.
Lumpazivagabundus, erscheine!
(Musik fällt ein. Lumpazivagabundus steigt im Vordergrunde aus der Versenkung.)
Die Vorigen. Lumpazivagabundus. Später Fortuna, Brillantine und Nymphen.
LUMPAZIVAGABUNDUS
(nach der Musik). Da bin ich! Was steht zu Befehl?
STELLARIS.
Du bist Lumpazivagabundus?
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Der bin ich und zugleich Beherrscher des Lustigen Elends, Beschützer der Spieler, Protektor der Trinker etc. etc.; kurzum, ich bin ein Geist aus ’n F.
STELLARIS.
Verwegener, der du’s wagtest, in das Feenreich zu dringen, ich verbanne dich von diesem Augenblick auf ewige Zeit.
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Ha, ha, ha, ha, ha! (Versinkt lachend.)
STELLARIS
(ehe Lumpazivagabundus noch ganz versunken ist). Halt!
LUMPAZIVAGABUNDUS
(kommt wieder auf der Versenkung in die Höhe). Haben mir Eu’r Herrlichkeit noch was zu sagen?
STELLARIS.
Du hast meinen Urteilsspruch mit Hohngelächter erwidert?
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Natürlich, weil er nichts nutzt. Ob ich da bin oder nicht, diese jungen Herren bleiben auf alle Fäll’ meine getreuen Anhänger; denn meine Grundsätze leben in ihnen fort.
STELLARIS
(zu den Söhnen). Wie? Ihr seid nicht ernstlich entschlossen, zur Ordnung zurückzukehren?
FLUDRIBUS
(vortretend). Ich nehme im Namen meiner Kameraden das Wort. Wir haben den größten Teil unseres Vermögens durchgebracht, ob wir das Restel haben oder nicht, das ist uns gleichviel; darum wollen wir das auch noch verjuxen.
ALLE SÖHNE.
Ja, wir wollen es verjuxen.
DIE VÄTER.
Entsetzlich!
[7]STELLARIS.
Und wenn ihr nichts mehr habt, was dann?
FLUDRIBUS.
Dann machen wir Schulden.
DIE SÖHNE.
Wir machen Schulden!
STELLARIS.
Und wenn ihr nicht bezahlen könnt, was dann?
FLUDRIBUS.
Dann lassen wir uns einsperren.
DIE SÖHNE.
Ja, ja, wir lassen uns einsperren.
FLUDRIBUS.
Da gibt sich hernach die Ordnung von selbst.
LUMPAZIVAGABUNDUS
(sich triumphierend die Hände reibend). Das sind meine Grundsätze.
MYSTIFAX
(zu Stellaris). Was sagen Euer Herrlichkeit nun dazu?
STELLARIS
(zu den Söhnen). Wenn ihr aber wieder bekämet, was ihr liederlicherweise verpraßt habt, würdet ihr dann ordentlich mit dem Eurigen haushalten?
HILARIS.
Der macht uns wieder reich.
FLUDRIBUS
(zu Stellaris). Ja, wenn wir wieder reich würden, würden wir auch wieder brav.
DIE SÖHNE.
Ja, dann würden wir brav.
STELLARIS.
Nun denn, Fortuna, nahe dich!
(Musik fällt ein. Mehrere Nymphen mit Füllhörnern treten auf, zuletzt Fortuna, ihr folgt ihre Tochter Brillantine.)
STELLARIS
(nach geendigter Musik). Fortuna, diese jungen Männer haben ihr Vermögen vergeudet; gib ihnen den verlornen Reichtum wieder.
FORTUNA.
Beherrscher des Feenreiches! Befehlen lasse ich mir nichts, auch nicht von dir; doch weil ich gerade guter Laune bin (zu Lumpazivagabundus) und dir, Elender, zum Trotze, mag es sein. (Zu den Söhnen.) Ich schütte mein Füllhorn über euch.
DIE SÖHNE.
Tausend Dank!
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Ha, ha, ha, das ist zum Totlachen! Durch die Fortuna will der mir meine Anhänger entreißen! Da werden grad noch ärgere Lumpen draus.
HILARIS.
Ich will aufrichtig sein; Reichtum wird mich nie bessern.
[8]MYSTIFAX.
Wie!? Was!? Mein Sohn, du wärst der Inkurabelste von allen?
HILARIS.
Nur ein Mittel gibt’s, das mich festhalten wird auf dem Pfade der Tugend, es ist Brillantinens Hand.
ALLE.
Was?
HILARIS.
Wir lieben uns.
FORTUNA
(entrüstet). Tochter!
BRILLANTINE.
Verzeihung, Mutter!
LUMPAZIVAGABUNDUS
(auf Hilaris zeigend). Den geb’ ich auf; die anderen alle aber sind und bleiben in meiner Macht.
STELLARIS.
Warum, Unhold?
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Weil die Fee Fortuna nicht imstande ist, mir einen Anhänger abwendig zu machen; aber der (auf Hilaris zeigend) – der steht unter dem Schutz meiner größten Feindin, die mich einzig und allein überall vertreibt.
FORTUNA
(stolz). Wer ist die Fee, die mächtiger ist als ich?
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Amorosa ist’s, die Beschützerin der wahren Liebe.
STELLARIS.
Amorosa!
(Musik fällt ein, Amorosa schwebt in einer lichten Wolke mit zwei Genien hernieder.)
LUMPAZIVAGABUNDUS.
Sie naht schon, die Mächtige, die mir oft meine fidelsten Brüderln entreißt! – Jetzt empfehl’ ich mich! Aber noch einmal, Madame Fortuna, Sie fürcht’ ich nicht; denn was meine wahren Anhänger sind, die machen sich nicht so viel aus Ihnen. Kommt’s Glück einmal, so werfen sie’s beim Fenster hinaus, und kommt’s zum zweitenmal und will sich ihnen aufdringen auf eine dauerhafte Art, so treten sie’s mit Füßen. – So behandeln meine echten Brüderln das Glück! – Gehorsamer Diener allerseits. (Tritt auf die Versenkung und versinkt unter Musik.)
Die Vorigen ohne Lumpazivagabundus. Amorosa.
AMOROSA
(Hilaris und Brillantinen an der Hand fassend und sich Fortuna nähernd). Fortuna! Ich vereine meine Bitte mit dem Flehen dieser beiden, beselige durch günstigen Ausspruch zwei Herzen, die sich der wahren Liebe geweiht.
FORTUNA
(zu Amorosa). Wie, Törichte, du hoffst, ich werde mich deinem Wunsche fügen, in einem Augenblick, wo eben ein frecher Unhold zu deinen Gunsten mich erniedrigte und du mit stolzem Blick auf mich herniedersiehst? Ich zerreiße das Band, das du um diese Herzen geschlungen.
BRILLANTINE UND HILARIS.
Weh’ uns!
STELLARIS.
Halt ein, bedenk’ erst, was du sprichst. Des Feenreiches unumstößliche Gesetze erlauben dir nicht, Hilaris’ Antrag unbedingt zu verwerfen; nur eine schwere Bedingung festzusetzen, deren Erfüllung die Liebenden trennt, deren Nichterfüllung aber sie auf immer vereint, nur dies ist dir gestattet.
FORTUNA.
Nun denn, so sei’s! Ich will eine Bedingung setzen, die zugleich jenem Frechen, der meine Macht verspottet und glaubt, nur du (zu Amorosa) allein seist ihm gefährlich, das Gegenteil beweisen soll. – Ich wähle unter den Sterblichen drei seiner Anhänger, lockere Gesellen, jedoch nur solche, welche schon der Armut drückend Los gefühlt. Diese will ich mit Reichtum überschütten; werfen sie, wie er gesagt, das Glück zum Fenster hinaus, so dringe ich es ihnen zum zweiten Male wieder auf; treten sie es dann mit Füßen, so erkenne ich mich als besiegt, und Hilaris werde meiner Tochter Gemahl; doch, wenn sie, wie kaum zu zweifeln ist, das Glück mit Dank empfangen und aus Furcht vor neuer Dürftigkeit mit weiser Mäßigung es sich fürs ganze Leben bewahren und ich sie so dem Lumpazivagabundus [10]entreiße, dann bin ich Siegerin, und Hilaris werde auf immer von meiner Tochter getrennt.
STELLARIS.
Wohlan! Nur eines hab’ ich noch hinzuzufügen, es gilt für beide Teile gleich. – Gelingt es dir, dem Lumpazivagabundus von den drei lockeren Gesellen auch nur zwei zu entreißen, so hast du schon gewonnen; treten hingegen auch nur zwei von ihnen das Glück mit Füßen, so hast du verloren. Dies beschwöre hier vor meinem Thron.
FORTUNA
(geht an die Stufen des Thrones und erhebt die Hand zum Schwur). Ich schwöre!
(Drei kurze starke Akkorde.)
STELLARIS.
Dein Schwur ist angenommen.
MYSTIFAX
(zu Amorosa). Und für die andern verlornen Söhne hier ist keine Rettung aus den Krallen des Lumpazivagabundus zu hoffen?
AMOROSA.