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Ein Schallplattenhänder in New Orleans wird erschossen aufgefunden. Kommissar Peterson begibt sich auf die Spurensuche und das ist gar nicht so einfach in einer Stadt, die 2012 von neun Millionen Touristen besucht wurde. Während Peterson noch in der touristischen Umgebung Erkundigungen einzieht und sein Augenmerk auf Bourbon Street richtet, ist er schon selbst in mysteriöse Umstände geraten. Sogar das Motiv für die Tat liegt im Dunkeln. Doch plötzlich klärt sich mit der tatkräftigen Hilfe seines Kollegen alles auf...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Gabriele Delpy
Der Charme von New Orleans
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1: Ein Schallplattenhändler in French Quarter
Kapitel zwei: Nicht jeder Park ist Louis Armstrong Park
Kapitel 3: Die Sängerin Norma an einem heißen Tag
Kapitel 4: Eine Touristin im Vieux Carrée
Kapitel 5: Kakerlake gegen Ochsenfrosch
Kapitel 6: Kommissar Harald Peterson am Tatort
Kapitel 7: Touristen, Touristen
Kapitel 8: Der Souvenirhändler Davis und seine Fotos
Kapitel 9: Ein Bourbon in Bourbon Street
Kapitel 10: Der Kommissar und die Wäscherei
Kapitel 11: Auszug der Kakerlaken
Kapitel 12: Norma und das Klima
Kapitel 13: Seit wann arbeitet der Kommissar im Hotel?
14: Der Kommissar und sein Assistent Sam besprechen, was zu tun ist
Kapitel 15: Harald Peterson und Maggie sprechen über den Tag
Kapitel 16: Neuigkeiten aus Bourbon Street
Kapitel 17: Der Souvenirhändler Davis tut sein Bestes
Kapitel 18: Kommissar Zufall spielt mit
Kapitel 19: Der Ochsenfrosch bleibt nicht allein
Kapitel 20: New Orleans, eine Stadt mit Charme
Impressum neobooks
Es ist ein Tag wie jeder andere in New Orleans. Ein Schallplattenhändler hadert mit seinem Schicksal, das ihn dazu zwingt, an diesem wunderschönen sonnigen Sommertag wie gewohnt seiner Arbeit nachzugehen zu müssen.
Er wohnt in French Quarter, einem Touristenviertel. New Orleans selbst ist eine
Industriestadt mit einem wichtigen Hafen am Mississippi und Zugang zum Golf von Mexiko. Crescent City oder Big Easy, wie sie auch genannt wird, ist die größte Stadt im Bundesstaat Louisiana. Der Hurrikan Katrina hat die Einwohnerzahl durch zahlreiche Emigranten von über 450 000 sinken und dann auf über 340 000 ansteigen lassen. New Orleans ist Tropenstürme gewöhnt, aber nicht solcher Kategorie.
Besucher, die nach French Quarter oder Vieux Carree kommen, werden sicherlich die schönen typischen Häuser in der Altstadt bewundern, die Innenhöfe und berühmten schmiedeeiseren Balkonbalustraden. French Quarter gehört zu den Stadtvierteln, die nach dem Hurrikan zügig restauriert wurden.
Aber zu allererst wird man in das berühmte Viertel gehen, um die Atmosphäre des Jazz aufzunehmen. Zu Recht nennt man New Orleans auch Wiege des Jazz. Der Geschäftsmann, der mit Jazz-Musik seinen Lebensunterhalt verdient, wohnt in einem Haus in einer ruhigen Nebenstraße, genauer gesagt in der Wohnung im ersten Stock. Im Erdgeschoss ist sein fast antik zu bezeichnendes Musikgeschäft. Der schlanke Mann mit dem festen Lebensrhythmus hat sich die frisch gewaschene und gebügelte Wäsche sorgfältig zurechtgelegt. Beim Anziehen bedauert er an diesem Tag mehr als sonst, die vertrauten und schattigen Wohnräume verlassen zu müssen. Ehrlicher Weise gibt er vor sich selbst zu, dass es nicht so sehr das Widerstreben ist, arbeiten zu müssen, als die Abneigung, sich zu festgesetzter Zeit an einem bestimmten Ort wie seinem Geschäft aufhalten zu müssen.
Würde man ihn danach fragen, dann wäre seine Antwort, dass seine Arbeit ihm im
Großen und Ganzen Spaß macht. Das Wichtigste daran ist, dass er sich für Jazz-Musik interessiert und mit Menschen zu tun hat, die seine Musikvorliebe teilen. Aus dem Umgebung New Yorks stammend, hat er in seiner Kindheit Klavierspielen gelernt und eine Zeitlang davon geträumt, Pianist zu werden. Dieses Lebensziel ist ihm später abhandengekommen. In der ersten Etage des Hauses steht das Klavier, das ihm seine Tante vermacht hat, doch spielt er nur selten darauf.
Seine weiteren Lebensumstände führten ihn unter anderem nach Europa, wo er als Ein- und Verkäufer für mehrere große Firmen arbeitete. Seine Liebe zur Musik sorgte dafür, dass er die Stilrichtung Jazz nie aus den Augen verlor. Zusätzlich entwickelte er, begeistert von den Flohmärkten in Good Old Europe, eine Sammelleidenschaft für Schallplatten und Bücher, die mit Jazz zu tun haben. Zurück in den Staaten behielt er sein Faible für Antiquitäten bei und erwarb sich so mit der Zeit einen ansehnlichen Bekanntenkreis.
Seine Tante, der er das Haus verdankt, war in Folge des Hurrikans Katrina verstorben. Sie hatte die Überschwemmungen miterleben müssen und danach die Wiederherstellung ihres Hauses vorangetrieben. Die Ereignisse hatten ihr viel Kraft geraubt. Die Erbschaft des kleinen Hauses in New Orleans hatten ihn dann auf die Idee gebracht, ein Geschäft zu eröffnen und er ist stolz, dass er sich seit nunmehr über fünf Jahren in der Stadt, die die Wiege des Jazz ist, recht erfolgreich behaupten kann. Dennoch kann er es nicht vermeiden, sich zuweilen etwas antiquiert zu fühlen
In der Bücherecke wartet sein kleiner Computer auf ihn und ein interessanter Suchauftrag für eine alte Jazz-Aufnahme. In der kleinen, selbst angelegten Datenbank hat er Adressen von Jazz-Liebhabern archiviert, mit denen er korrespondiert. Suchaufträge vermögender und exzentrischer Kunden sind rar gesät und der Gewinn bei erfolgreicher Suche rechtfertigt die Mühe und den Aufwand.
Der Schallplattenhändler hatte vor Jahren einen Erfolg verbucht mit einem
Notentextausschnitt von Scott Joplins, einem der erfolgreichsten Ragtime-Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts. Scott, der in Honky Tonks und Saloons in St.Louis gespielt hat, war 1893 auf der Weltausstellung in Chicago aufgetreten. Der Satz ´It´s never right to play Ragtime fast´ stammt von ihm. Musikalisch schöpft aus den Werken Scott Joplins der mit sieben Oscars ausgezeichnete Spielfilm Robert Redfords ´Der Clou´, von 1973.
Am vergangenen Wochenende hat ihm ein Bekannter auf einer Jazz-Veranstaltung von einer angeblich existierenden, aber unbekannten Paul-Whiteman-Aufnahme erzählt, und dieser aktuelle Suchauftrag führt nach San Francisco.
Beim Ankleiden denkt er darüber nach, wen aus seinem Bekannten- und Kundenkreis er unverfänglich anschreiben könne. Am besten meldet er sich bei zwei ihm bekannten Antiquitätenhändlern.
Das schöne, sonnige Wetter verstärkt sein Bedauern, sich in das Geschäft setzen zu müssen, und er würde lieber einen Ausflug in die Stadt machen, bummeln, Kaffeetrinken und Zeitunglesen. Andrerseits läuft ihm das Geld nicht hinterher, und die Anforderung, sich an die sich ständig verändernden Medien anpassen zu müssen, hat ihn schon die eine oder andere schlaflose Nacht gekostet. Dabei sieht er sich vor dem Problem, inwieweit er seine Art, ein Schallplatten- und Musik-CD-Geschäft zu führen, stilistisch mit New Orleans, seinem Verständnis davon und den Anforderungen einer modernen Zeit in Einklang bringen soll.
Wie er weiß, verflüchtigt sich seine Unlust beim Ankleiden. Er hat sich eine hellgraue Anzugskombination mit weißem Hemd und schwarzer Schleifenkrawatte zurechtgelegt. Die, wie er findet, kühle Anzugfarbe passt zu seinen blauen Augen und setzt einen überzeugenden Akzent, der mit den schwarzen, kurzen Haaren über einem feingeschnittenen Gesicht harmoniert. Der ein wenig tragische Ausdruck seines Gesichts und die leichte Melancholie, die davon auszugehen scheint, hängt möglicherweise mit seiner Musikvorliebe für Blues zusammen und spiegeln einen Charakterzug.
Der Mann, der auf farblich abgestimmte Kleidung Wert legt, hat sich versehentlich dunkelblaue Socken statt hellgrauer herausgelegt. Auf dem Weg zum Kleiderschrank kommt er am Klavier vorbei, das seine Tante ihm vermacht hat. Die Noten von “Nacht in Tunesien” liegen noch da, und automatisch hat er die bekannte Melodie im Sinn. Doch dann wird ihm das Thema für den schönen Vormittag zu Ernst und er wechselt zu der Titelmelodie von “Paulchen Panther”, deren Variationen er liebt. Manchmal hat er das Problem, dass sich eine Melodie bei ihm festsetzt und dann wird er seinen Ohrwurm den ganzen Tag nicht mehr los.
Die Melodie erinnert ihn plötzlich an eine Diskussion mit einem Jugendlichen, die er anlässlich seines Besuchs eines Jazz-Festivals in Montreux geführt hat. Damals hatte der junge Mann am Genfer See ihn nach dem Weg zum Bahnhof in diesem merkwürdigen französischen Ort gefragt. Ohne viel Umschweife hat er ihn damals in ein Café eingeladen und ein Gespräch begonnen. Nach dem Thema Schweiz und französische Sprache diskutierten sie die Frage, ob Jazz-Musik altmodisch und langweilig wirkt, und es gelang ihm mit Hilfe der Pink Panther Melodie, einen Streit zwischen dem Jugendlichen und seinen Eltern zu lösen. Viele Menschen wissen wenig über Jazz; solche Erkenntnis ist dem Plattenhändler nicht neu. Der amerikanische Komponist Henry Mancini hatte die großen Leidenschaften Big Band, Swing und Jazz, und diese Musikvorliebe hat sich in seinen Filmmusiken zum rosaroten Panther genauso niedergeschlagen wie in denen mit Inspektor Clouseau und vielen anderen Werken.
Sinnierend steht er vor dem Schrank und denkt über die unpassende Farbe von den
Socken nach, die er versehentlich herausgenommen hatte. Im Januar 2013 ist Claude Nobs, der 1967 mit anderen das Montreux Jazz Festivals ins Leben gerufen hat, in Folge eines weihnachtlichen Schi-Unfalls verstorben und für einen Augenblick denkt er melancholisch an die vergangene Zeit. Kurz erwägt er für den Sommer einen Kurzurlaub in der Schweiz, kann sich aber auf Anhieb nicht dazu durchringen. Es würde nicht mit den Jam Sessions zusammenpassen, die bereits in seinem Terminkalender stehen, und zudem plant er den Kurzurlaub in San Francisco. The Big Apple erschiene ihm interessanter. Ausgehend von New Orleans verbreitete sich im zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts Jazz von Süden aus nach Chicago, Illinois bis nach New York und er denkt an das Isaac Stern Auditorium in Carnegie Hall, das als einer der besten Konzertsäle der Welt gilt, und wie er seinen Freitag-Abend in San Francisco verbringen kann.
Der Mann Anfang vierzig ist unverheiratet und hat keine eigenen Kinder. Darauf befragt, ob er solchen Zustand bejaht, würde er sicherlich seiner festen Junggesellenabsicht Ausdruck verleihen, sich seine persönliche Freiheit und die Ungebundenheit des unverheirateten Mannes zu bewahren.
Vormittags setzt er sich als Erstes in die Bücherecke des Geschäfts, und erledigt das, was vom Vortag liegen geblieben ist oder was er sich vorgenommen hat. Meist liest er dann ein wenig, berät interessierte Touristen und kommt seiner Art des Verkaufs nach. Schallplatten, Musik-CDs, Fotografien, Drucke, Poster und Bücher über Jazz-Größen wechseln so den Besitzer.
Einem Impuls folgend entscheidet er sich gegen den Spazierstock, den er in einer Laune passend zum Anzug gekauft hat. Er hätte zu exzentrisch gewirkt.
Er geht gern spazieren und kennt in dem Viertel, in dem er wohnt, bald jedes Haus und jeden Strauch. Besonders die Geschichte der Häuser und ihrer Bewohner faszinieren ihn. Aber ein rein geschäftsmäßiges Aussehen sind dem geplanten Tagesverlauf angemessener und fördern die Kaufwünsche der Touristen, die seinen ein wenig abseits liegenden Verkaufsraum besuchen.
Es ist kurz vor elf und gut gelaunt summt er seinen Ohrwurm vor sich hin. Frisch geduscht und sorgfältig gekleidet, begibt er sich pünktlich ins Erdgeschoss, macht die Rollos hoch, schließt die Türen auf und stellt die Werbetafeln auf.
Er ist stolz auf die Stelltafeln. Alte Emaille-Schilder, die er nach langer Suche ausfindig gemacht hat. Zuerst hatte er Bedenken, die Sachen nach draußen auf den Bürgersteig zu stellen, weil jemand die Schilder mitgehen lassen könne. Es handelt sich dann um einen unwiederbringlichen Verlust, so hatte er seinen freundlichen Nachbarn erklärt. Doch diese hatten nach einer Zeit seine Bedenken für überflüssig erklärt und zum Glück Recht behalten.
„Oh Mann, Sie machen Quakquakquak wie eine Ente und nicht Quäkquäkquäk wie eine Gans.“ Mit solcher Stimme hört sich der Mann filmreif an.
„Was soll das? Bist du doof und redest mit der?“
„Mann, lass mich doch. Wenn ich mit der reden will, dann rede ich eben mit der.
Was mischst du dich ein?“
Erst der dritte Farbige mischt sich tatsächlich ein und beruhigt die beiden anderen, die sich über das sonderbare Gehabe einer ältlichen Touristin in einem gepflegten Park in New Orleans wundern. Entweder hat die Frau einen übersteigerten Hang zu Exzentrik und Skurrilität oder einen Sonnenstich oder beides.
In dem kleinen, baumbestandenen Park ist weder Ente noch Gans oder ein anderer Vogel zu sehen, was angesichts des lauten und reichhaltigen Vogelgezwitschers, das überall zu hören ist, ein wenig verwunderlich wirkt, aber niemanden auffällt oder zu stören scheint. Die kleine Gruppe der Schwarzen, die sich im Park aufhält, hat sich vielleicht Melodie und Musik abgesprochen, vielleicht entspringen beide jedoch einer einfachen und natürlichen Lebensfreude an dem schönen Sonnentag. Die jungen Männer sind gut ernährt und ordentlich gekleidet in weißem Hemd oder T-Shirt und langen Jeans. Sie haben nicht einmal ein Bier dabei, zwei sitzen auf einer sauberen Bank aus dunkel gebeiztem Naturholz mit schwarzen schmiedeeisernen Befestigungen an den Seiten rechts und links. Die Ränder sind reich verschnörkelt und es ist eine Holzbank im typischen New Orleans-Stil. Die zwei Männer auf der Bank haben ein rhythmisches, eher leises Trommeln gestartet und von den drei Männern, die vor der Bank stehen, fallen ebenfalls zwei automatisch in eine Art wiegenden Tanzschritt, während der dritte ruhig stehen geblieben ist. Sie singen einen unbekannten und schwer verständlichen Text, der ein wenig stammelnd oder abgehackt wirkt, und von dem ein Fremder auf Anhieb nicht mit Sicherheit sagen kann, ob es Jazz ist oder Cajun-Musik, also eine Art Volksmusik.
Cajun ist ein Slang-Ausdruck oder eine Kurzform für Acadians, wie sich die Kanadier und ihre Nachfahren nannten, die im achtzehnten Jahrhundert aus Kanada, dem sagenhaften Akadien, in den Süden auswanderten und nach New Orleans gelangten. Sie bewahrten sich in weiten Teilen eine eigene Sprache, das französisch geprägte Cajun, und eine eigene Kultur, die im Laufe der Zeit durch die Vermischung mit anderen Kulturkreisen auch afro-amerikanische Züge annahm. Cajun-Speisen sind kräftiger gewürzt und haben sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt, die sie von der kreolischen Küche abgrenzen. Beide Kulturkreise leben nebeneinander, allerdings gibt es mehr Cajun als Kreolen in den Sumpfgebieten Louisianas.
Die wenigen Hausfrauen, die am Vormittag durch den Park gehen auf dem Weg zum Einkauf oder bepackt vom Supermarkt zurückkommen, achten nicht besonders auf die Schwarzen. Auch eine junge Mutter, die ihren Kinderwagen durch das satte und frische Grün schiebt, findet nichts Ungewöhnliches am fröhlichen Gebaren der jungen Männer an einem friedlichen Morgen. Einzig die Vögel im Park sahen sich durch den Gesang wahrscheinlich aufgefordert, ein lautstarkes Gezwitscher zu starten und folgen dabei ihren Vorstellungen von Melodienlehre.
Die ältere Frau hat sich ganz unverfänglich zu der Gruppe bei der Holzbank gestellt und mit einem unmelodischen Quaken begonnen. Verblüfft hören die Männer, die sich dabei zuerst wohl nichts gedacht haben, auf zu singen und das rhythmische Klopfen auf der Holzbank erstirbt. Stille kehrt ein. Zwei der großen und schlanken
Männer, die vor der Bank standen, gehen ein paar Schritte zur Seite und mustern die Frau. Der Dritte hat sie angesprochen, und so ist es wohl zu einer Art Gespräch über den Inhalt des Liedes gekommen, der sich für einen Außenstehenden genauso wenig schnell erschließen lässt wie die Bedeutung des Quakens, das die Frau von sich gegeben hat, auf Anhieb nachvollziehbar ist.
Ihr Äußeres wirkt seltsam. Der Tropenhelm lässt solchen Gedanken aufkommen. Eine weiße kurzärmelige Bluse, am Bauch verknotet und für eine Frau ihres Alters ungewöhnlich, betont einen quadratisch wirkenden Brustkorb. Die dunkelblaue Jeans schlackert um die mageren Beine. Nach kurzer Zeit erscheint die Unterhaltung ein wenig aggressiv und die Frau gar nicht so, als wolle sie sich von den jungen, schwarzen Männern im Park einschüchtern, geschweige denn belehren lassen. Da sie es mittlerweile drangegeben hat, sich vor die Gruppe zu stellen und durchdringend zu quaken, und durch schwarz umrandete Brillengläser amüsiert die hervorgerufenen Effekte beobachtet, redet der Mann, der stehen geblieben ist, begütigend auf die Frau mit dem Tropenhelm ein. Er scheint der Älteste aus der Gruppe zu sein.
„Warum tragen Sie so eine Brille, Ma´am?“
Sie sieht den Mann an wie ein Gespenst und antwortet erst nach einer Weile.
„Weil ich sonst nichts sehe. Glauben Sie, ich würde sonst eine Brille tragen bei diesen Temperaturen?“
„Aber Sie könnten auch eine Sonnenbrille tragen, Ma´am, nicht wahr?“
Seine Stimme hört sich weich an und er spricht langsam. Sie sieht ihn einfach an und wartet, was er als Nächstes sagt, aber er spricht nicht weiter.
„Im Prinzip haben Sie Recht. Ich hätte die Sonnenbrille mitnehmen sollen. Dann wäre es nicht so hell.“
Begütigend hebt er die Hände und zeigt helle Handinnenflächen.
„Sie haben die Sonnenbrille im Hotel vergessen, nicht wahr, Ma´am?“
Verwundert sieht sie auf seine Hände, bis sie versteht.
„Ja, ich habe die Sonnenbrille tatsächlich im Hotel vergessen.“
„Und Sie sind aus dem Hotel direkt losgegangen, um den Louis Armstrong Park zu suchen, Ma´am, nicht wahr, und Sie sind bestimmt erst heute in New Orleans angekommen.“
„Was wollen Sie damit sagen?“ Ihr Kampfgeist ist erwacht.
„Gar nichts, Ma´am, jedenfalls nichts Besonderes. Sie könnten einfach zum Hotel zurück gehen und sich die Sonnenbrille holen. Es ist ein schöner Tag heute, nicht wahr?“
Bevor sie erneut anfangen kann, seine freundlichen Fragen mit einem durchdringenden Quaken zu beantworten, hat er sie freundlich an der Schulter gefasst und deutet auf ein Schild.
„Sehen Sie, Ma´am, hier ist nicht der Louis Armstrong Park. Ich bin mir da ganz sicher. Hier ist nicht der Louis Armstrong Park.“
Damit lässt er sie einfach stehen und beginnt, mit den anderen zu sprechen.
Der annähernd quadratische Park mit den Bäumen an den Rändern ist viel zu klein für den Louis Armstrong oder Satchmo Park. Wahrscheinlich haben die Einheimischen den Park aufgesucht, um der Hitze zu entfliehen. Weißeichen, Wacholder, Pinien und Zedern, Kiefern, Magnolien, gelber Jasmin und weitere Sträucher spenden Schatten und man nimmt einen würzigen Geruch wahr, der durch einige große und kleine, eingestreut gepflanzte Teebäume eine interessante Note erhält.
Ein kreisrunder Weg aus einer graugelben Sand-Kies-Mischung führt um einen zentralen gepflegten Rasenplatz, der von zwei Wegen in den vier Himmelsrichtungen durchbrochen ist. Die mittig führenden gelben Sandwege münden wiederum auf einen sehr kleinen Platz im Zentrum des ganzen Parks. Dort suggeriert ein schmiedeeisernes verschnörkeltes Kunstwerk einen Brunnen und somit Wasser.
Vielleicht ist das Wasser abgestellt, vielleicht stellt das Kunstwerk etwas Anderes dar. Die Blumen in den darum befindlichen Beeten sind zweifelsfrei reichlich gegossen und lockern die kleine Baumlandschaft farblich auf.
Das Sonnenlicht taucht das Auge des Betrachters quasi in eine Palette unterschiedlicher grüner Farben. Dunkelgrüne Nadeln der Koniferen und sattgrünes, saftiges Laubwerk, beide sind variantenreicher als das bloße Grasgrün und überwuchern sich in den Farbschattierungen ihrer jeweiligen Standorte, aufgelockert und unterbrochen von sanfteren, olivfarbenen Tönen der Melaleuca-Blätter, deren Blattunterseiten hell schimmern.
Zuerst hat die ältere Dame an dem eisernen Kunstwerk eine Abkühlung gesucht und nicht gefunden. Es ist Hochsommer und bei über 30°Celsius herrscht morgens eine relative Luftfeuchte von über 90%, die im Laufe des Tages objektiv betrachtet immer mehr abnimmt. Die Entbehrung ließ sie ihre Enttäuschung nur unvollkommen verkraften. So ist sie dann wohl zu der Gruppe junger Schwarzer gegangen, die unter den Bäumen vor einer Holzbank stehen und angefangen haben zu singen. Vielleicht wollte sie auch nur die verschnörkelten schwarzen typischen New Orleans Schmiedeeisen an der Bank bewundern.
Mittlerweile hat sie das Schild gelesen und genug beobachtet.
Mit der Frage „Was steht ihr hier im Park herum und gammelt? Habt ihr hier nichts anderes zu tun als vor euch hin zu gammeln?“ beginnt die blasse Frau mit den verschwitzten und klebrigen schwarzen Haaren auf der Stirn vor den Männern auf und ab zu gehen. Dabei biegt sie den Rücken so, dass sie sich mit dem Oberkörper in die Brust wirft und gleichzeitig den Allerwertesten nach hinten herausstreckt wie bei einer Ente. Dazu stellt sie die Füße beim Gehen nach außen, was an Charlie Chaplin erinnert, streckt die Arme nah am Körper längs nach unten und winkelt die
Hände nach außen ab. So watschelt sie mit ein wenig eingeknickten Knien einige Schritte an der Gruppe vorbei, um dann kehrtzumachen und umzukehren. Diesen Vorgang wiederholt sie einige Male. Ihr Gebaren wirkt urkomisch. Die zwei der Männer auf der Bank müssen lachen und halten sich den Bauch dabei fest. Der eine, der vor der Bank steht, stößt den anderen an und macht die Frau nach, indem er versuchsweise einige Schritte hinter ihr her watschelt. Der schafähnliche Gesichtsausdruck der Frau verstärkt ihre Lächerlichkeit. Wegen ihres sichtlichen Erfolgs vergnügt, stellt sie sich schließlich vor die Männer und sieht von unten schelmisch zu ihnen auf. Schließlich ergreift der Älteste der Männer erneut das Wort.
„Tschuldigung, Ma´am, aber wir gammeln hier nicht herum.“