Der Dämonenjäger von Rom, Die Satansklaue & Der schwarze Spiegel - Peter Dubina - E-Book

Der Dämonenjäger von Rom, Die Satansklaue & Der schwarze Spiegel E-Book

Peter Dubina

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Beschreibung

Das Böse wartet in der Dunkelheit … DER FLUCH DER BORGIAS: Er hat alles vergessen: seinen Namen, sein Leben und den Grund, der ihn hierher geführt hat. Nur eine seltsame Erinnerung brennt wie Feuer im Kopf des Mannes, der in der Nähe von Rom zu sich kommt: das Bild einer schönen Frau, die in Todesgefahr schwebt – Lucrezia Borgia. Welche Verbindung hat er zu dieser Frau, die vor 500 Jahren lebte? Und welche dunklen Schatten aus der Vergangenheit drohen, ihn in der Gegenwart einzuholen? AUS DEM REICH DER TOTEN: Sie war ein hochbegabtes Medium – doch nun ist die junge Abigail tot. Die Polizei spricht von einem tragischen Unfall, doch Privatdetektiv Glenn Riordan hat Zweifel: Er beschließt, selbst in den kleinen englischen Ort zu reisen, in dem das Schicksal seiner Schwester besiegelt wurde. Schnell findet er Hinweise auf unheimliche Vorkommnisse in der Gruft von Schloss Morgan. Ist hier wirklich ein mächtiger Hexer am Werk, der die Macht hat, die Toten aus ihren Gräbern zu rufen? Ein packender Horror-Sammelband für alle Fans von Stephen King und H.P. Lovecraft.

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Seitenzahl: 437

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

 

DER DÄMONENJÄGER VON ROM: Die Christenheit trauert um den Papst. Jesuitenpater John Ermin ist schockiert, als man ihm ein Gerücht zuträgt: Der Heilige Vater soll keines natürlichen Todes gestorben sein! Plötzlich geschehen vor seinen Augen merkwürdige Dinge. Hat sich tatsächlich eine uralte Prophezeiung erfüllt – und bedeutet dies, dass der Antichrist aus der tiefsten Hölle emporsteigen wird, um die Welt zu unterwerfen?

DIE SATANSKLAUE: New York in den 80er Jahren. Die Stadt ist ein modernes Babylon, laut, dreckig und gefährlich. Hier lebt Matthew Easton, dessen Leben seit zwölf Monaten einem Höllentrip gleicht: Seine Ehe ist zerbrochen, er hat all sein Geld verloren und nun scheinbar auch seinen Verstand. Jede Nacht quälen ihn rätselhafte Träume. Kann der Psychologe Dr. Antropus ihm helfen?

Sammelband-Originalausgabe September 2025

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2025 dotbooks

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane, die im Sammelband enthalten sind, finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH. München

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ma)

 

ISBN 978-3-98952-432-3

 

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Peter Dubina

Der Dämonenjäger von Rom, Die Satansklaue & Der schwarze Spiegel

Drei Horror-Romane in einem eBook

 

Der Dämonenjäger von Rom

 

Die Christenheit trauert um den Papst. Auch der Jesuitenpater John Ermin ist tief betroffen – und schockiert, als man ihm ein Gerücht zuträgt: Der Heilige Vater soll keines natürlichen Todes gestorben, sondern Opfer eines heimtückischen Giftmordes geworden sein! Zunächst will Ermin dies nicht glauben. Doch dann geschehen vor seinen Augen merkwürdige Dinge. Hat sich tatsächlich eine uralte Prophezeiung erfüllt – und bedeutet dies, dass der Antichrist aus der tiefsten Hölle emporsteigen wird, um die Welt zu unterwerfen? Es gibt nur einen Menschen, der Ermin bei seinen fieberhaften Ermittlungen helfen kann: Privatdetektiv Hal Amico, ein exkommunizierter Benediktinermönch …

Kapitel 1

 

Der Papst war tot. Als er starb, hatte die größte aller Glocken in der Peterskirche einen dumpf dröhnenden Schlag getan, ohne daß eines Menschen Hand sie berührte – ein böses Omen.

Er hatte den Heiligen Stuhl nur dreißig Tage inne, dann hörte sein Herz auf zu schlagen. Die Zeremonienmeister, Notare und Ärzte hatten seinen Heimgang mit ihrer Unterschrift bestätigt. Sein Ring und sein Siegel waren zerbrochen worden. Während der ganzen Nacht hatten es die Glocken aller Kirchen von Rom mit ihren langsamen, rhythmischen, düsteren Schlägen verkündet: Der Papst ist gestorben.

Der Jesuitenpater John Ermin, Sekretär der Ritenkongregation, die sich mit Dogmen- und Glaubensfragen befaßte, stieg die breite Freitreppe herunter, die vom Hauptportal des Petersdoms zum Petersplatz hinabführte. John Ermins Gesicht wirkte müde, denn er hatte die halbe Nacht in einer Seitenkapelle der Basilika für die Seele des toten Papstes gebetet.

Es war noch früh am Morgen. Teile der Kuppel des Petersdoms, des Vatikanischen Palastes und – gegen den Tiber-Fluß hin – der Festungswerke der mittelalterlichen Engelsburg lagen schon im fahlgelben Schein der Frühsonne. Aber die von dem Barockbaumeister Bernini geschaffenen Säulengänge, die den Petersplatz umschließen, der Obelisk mitten auf dem Platz, die beiden Springbrunnen und die schwarzen, eisernen Kandelaberlaternen waren noch in erdbraune Schatten gehüllt. Ebenso die überlebensgroßen steinernen Heiligenfiguren, die die Kolonnaden krönten.

Jedesmal, wenn John Ermin diese riesigen, scheinbar mitten in der Bewegung zu ewigem Schweigen erstarrten Gestalten sah, überkam ihn ein Schaudern. Es war, als weckte dieser Anblick eine unbestimmte Angst vor einer mit Worten nicht auszudrückenden, drohenden Gefahr in ihm. Um diese frühe Stunde wirkte der Petersplatz wie ausgestorben. Doch als John Ermin für einen Augenblick auf der Freitreppe innehielt, sah er, daß der große Platz, der im ersten Morgenlicht eine bedrückende Weite atmete, doch nicht völlig leer war. Auf den Stufen des östlichen der beiden Springbrunnen saß ein Mann – in sich zusammengesunken, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen verborgen.

Trotzdem erkannte ihn John Ermin sofort. Es war Giuliano Boscati, ein alter Gärtner aus den vatikanischen Anlagen, der im Ruf stand, das ›Zweite Gesicht‹ zu haben – also ein Geisterseher zu sein –, und der deshalb von den meisten Menschen gemieden wurde.

Unter den abergläubischen Römern galt Giuliano Boscati als ein Mann mit dem ›bösen Blick‹. Die Menschen wichen ihm aus, wenn sie ihm begegneten, und bekreuzigten sich hinter seinem Rücken. John Ermin aber war Ire, und er glaubte nicht an den ›bösen Blick‹. Er wußte, daß diese seltsame Veranlagung wie ein Fluch auf dem alten Mann lastete, der ihn sein ganzes Leben hindurch wie ein zweiter Schatten begleitet hatte. Das ›Zweite Gesicht‹ zwang ihn, ein einsames, menschenscheues Leben Zu führen.

»Trauerst du um den Toten, Giuliano?« fragte John Ermin, als er den Alten erreicht hatte. Er legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Daran tust du gut, denn er war ein großer Mensch und ein großer Papst. Aber nach ihm wird einer kommen, der die Kirche hoffentlich ebensogut regiert. So ist es nun einmal im Leben eingerichtet: Niemand ist unersetzlich. Wir alle werden geboren, um uns einem höheren Willen zu unterwerfen.«

Der alte Mann hob den Kopf.

»Dieser Papst wird schwer zu ersetzen sein, Pater John«, sagte er. »Er war ein Bollwerk des Lichts gegen die Mächte der höllischen Finsternis. Nun, da er tot ist, kommen die Dämonen aus der Nacht der ewigen Verdammnis hervorgekrochen und strecken ihre mit Blut und Unrat besudelten Klauen nach dem Stuhl des Heiligen Petrus – dem Herz der Christenheit – aus. Pater, ich habe Satan heute nacht über den Petersplatz schreiten sehen. Er schien so siegesgewiß, als hätte er die Grundfesten der Kirche schon mit seinen Krallen gepackt und zum Einsturz gebracht. Als hätte er schon das gotteslästerliche Zeichen seines höllischen Triumphs auf ihren Trümmern aufgerichtet. Es war ein entsetzlicher Anblick.«

»Es wird ein schlimmer Traum gewesen sein, der dich heimgesucht hat, Giuliano«, entgegnete John Ermin. »Aber jetzt geht die Sonne auf und verscheucht die Schatten der Nacht. Du brauchst keine Furcht mehr zu haben.«

»Es war nicht die flüchtige Gestalt eines bösen Traums, die mich geängstigt hat, Pater«, beharrte der Alte. »Es war der leibhaftige, aus der Hölle aufgestiegene Satan. Er kam so dicht an mir vorbei, daß ich ihn mit ausgestreckter Hand hätte berühren können.«

John Ermin fühlte, wie der alte Mann unter seiner Hand zusammenschauderte und erzitterte. Er suchte in der Tasche seiner Soutane nach einem Lire-Geldschein und drückte ihn Boscati in die Hand.

»Hier – geh und kauf dir ein Glas Wein oder Schnaps. Vielleicht wird das die Schatten vertreiben, die dich quälen«, sagte er.

»Ja, sie quälen mich. Mein ganzes Leben hindurch haben sie mich gequält. Sie verfolgen mich, wohin immer ich gehe«, stöhnte der Alte. »Aber was ich sehe, Pater, sind nicht Schattengestalten des Wahnsinns. Es sind wirkliche Dinge, auch wenn andere Menschen sie nicht sehen können. Viele Leute halten mich deshalb für wahnsinnig oder für einen Lügner. Aber Sie, Pater John, wissen, daß ich nicht verrückt bin und daß ich die Wahrheit sage. Sie glauben mir doch, nicht wahr? Sie lachen nicht über mich.«

»Nein, ich lache nicht über dich, Giuliano«, entgegnete John Ermin ernst. »Aber ich muß jetzt gehen und in …«

Weiter kam er nicht, denn Boscatis Gesicht verzerrte sich plötzlich zu einer Maske nackter Angst. Sein Blick war auf einen Punkt hinter John Ermins Rücken gerichtet. Seine plötzlich kraftlose Hand ließ den Geldschein fallen, der zu Boden flatterte.

»Da – da – da!« war alles, was er hervorbrachte. Seine zitternde Hand deutete zum Dach der Säulengänge um den Petersplatz empor. Unwillkürlich fuhr John Ermin herum, doch seinen Augen bot sich nur der vertraute Anblick der steinernen Heiligenfiguren.

»Was siehst du, Giuliano?« fragte er, den Alten mit beiden Händen an den Schultern ergreifend. Er hatte den deutlichen Eindruck, daß der alte Mann von einer Vision heimgesucht wurde. Boscati log nicht, das Entsetzen auf seinem Gesicht war nicht gespielt.

»Ich sehe Satan dort oben zwischen den Heiligenfiguren stehen«, brachte der andere stockend über die blutleeren, bleichen Lippen. »Er sieht aus wie ein Schatten, schwärzer als die finstere Nacht, aber seine Augen lodern wie Höllenfeuer.«

»Ich glaube, du solltest diesen Platz besser verlassen«, sagte John Ermin. »Es ist nicht gut für dich, noch länger hierzubleiben. Er übt keinen, guten Einfluß auf dich aus. Dort oben stehen nur dieselben Steinfiguren wie schon seit Jahrhunderten.«

Der alte Mann ließ den Kopf sinken.

»Ich sehe schon, daß auch Sie mir nicht glauben, Pater«, murmelte er. »Aber ich lüge nicht. Und es wird der Tag kommen, da werden Sie begreifen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Lassen Sie mich nur noch eine kurze Weile hier sitzen. Dann werde ich gehen, bevor all die Menschen kommen, die von dem toten Papst Abschied nehmen wollen.«

Fernes, dumpfes Donnergrollen bildete den Hintergrund für seine Worte. Im Norden, über der lichtblauen Bergkette der Abruzzen, stiegen violette Wolkenschleier und -türme auf.

Ein Gewitter nahte.

»Tu was du willst, Guiliano«, sagte John Ermin. »Aber je eher du den Petersplatz verläßt, um so besser wird es für dich sein.«

Er wandte sich von dem alten Mann ab und schritt durch plötzlich einsetzende Windstöße auf den Vatikanischen Palast zu, in dem er einen kleinen Raum bewohnte. Die Worte Boscatis waren nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben – Boscatis Visionen hatten immer auf irgendwelche Weise ihre Erfüllung im wirklichen Leben gefunden –, doch John Ermin zwang sich, nicht mehr daran zu denken.

Als er den Vatikanischen Palast betreten hatte, hielt ihn der Pförtner auf.

»Es ist Besuch für Sie da, Pater John«, sagte er. »Ein Mann. Er wollte seinen Namen nicht nennen. Er wartet in dem kleinen Besuchsraum neben dem Blauen Zimmer auf Sie.«

Als John Ermin die Tür zum Besuchsraum öffnete, drehte sich der Mann, der bisher aus dem Fenster geblickt hatte, nach ihm um.

Ermin wußte sofort, wem er gegenüberstand.

Er war Hal Amico schon einmal begegnet. Aber die verächtliche, abschätzige Haltung dieses Mannes gegenüber der Kirche hatte ihn tief verletzt. Von da an hatte er es vermieden, auch nur ein Wort mit Amico zu reden. Er war überrascht und verblüfft, daß der Mann ausgerechnet ihn – noch dazu um diese Stunde –aufsuchte.

Hal Amico war ein Italo-Amerikaner, ein dunkelhaariger, gutaussehender Mann, dem es die Frauen leicht machten, ihre Gunst zu gewinnen. Früher war er ein Angehöriger des Benediktiner-Mönchsordens gewesen, aber er hatte weder das Gelübde der Armut noch das der Enthaltsamkeit einzuhalten vermocht. Er war deshalb aus dem Orden ausgestoßen und exkommuniziert worden. Jetzt arbeitete er als Privatdetektiv in Rom. Er hatte ein hartes, scharfgeschnittenes Gesicht, und der Zug um seine Mundwinkel verriet Brutalität.

Aber es gab Frauen, die gerade das liebten.

Als er sich umdrehte, klafften sein Mantel und sein graues Jackett auseinander und ließen die Pistole sehen, die Amico mit sich führte.

»Amico, was suchen Sie hier?« fragte John Ermin. »Jetzt verstehe ich, warum Sie an der Pforte Ihren Namen nicht nennen wollten. Man hätte Sie weggejagt …«

»… weil ich ein Abtrünniger bin«, vollendete Amico Ermins Satz. »Das wollten Sie doch sagen?« Bitterkeit und Feindschaft brannten wie eine verzehrende Flamme in seinen Augen. »Sie haben recht. Einem exkommunizierten ehemaligen Mönch würde sich die Tür des Vatikanpalastes nicht geöffnet haben. Deshalb verschwieg ich meinen Namen. Ich bin gekommen, um Sie von einem Gerücht in Kenntnis zu setzen, das in der römischen Unterwelt die Runde macht – zwischen Mördern, Zuhältern, Prostituierten und üblen Ganoven. Wie gesagt, es handelt nur um ein Gerücht. Aber ich dachte, Sie sollten es wissen. Nur frage ich mich jetzt – da ich Ihre unversöhnliche Feindschaft spüre –, ob es richtig von mir war, herzukommen.«

»Ich hege keine Feindschaft gegen Sie«, sagte John Ermin. »Sie selbst –nicht ich – haben sich als Abtrünniger bezeichnet. Die Kirche hat Sie erst exkommuniziert und ausgestoßen, nachdem Sie sich schon selbst von der Kirche entfernt hatten. Was wollen Sie von mir, Amico?«

Hal Amico blickte John Ermin ins Gesicht, und ein halb verächtlicher, halb höhnischer Zug des Triumphs zuckte um seine Mundwinkel.

»Es heißt in der römischen Unterwelt, der Papst sei ermordet worden«, entgegnete er. »Er sei durch Gift umgekommen, das sich in dem Kelch befunden hätte, den er bei der letzten Meßfeier benützte.«

Ermin fühlte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich.

»Haben Sie den Verstand verloren?« fuhr er den anderen an. »Wie können Sie einem solchen Gerücht Glauben schenken? Damit kommen Sie zu mir? Sie müssen wirklich verrückt sein.«

Ein gefährlicher Funke leuchtete in den Tiefen von Amicos Augen auf, ein Funke, der jedem, der ihn kannte, als Warnung gedient hätte.

»Ich habe weder den Verstand verloren, noch bin ich ein Lügner«, entgegnete er scharf. »Ich bin mit diesem Gerücht zu Ihnen gekommen, weil Sie mir weniger in Riten und Dogmen erstarrt zu sein schienen als die übrigen Angehörigen der römischen Kurie. Aber ich lasse mich weder von Ihnen noch von jemand anderem beleidigen. Noch ein abfälliges Wort, und Sie werden es bis an das Ende Ihrer Tage bereuen, das verspreche ich Ihnen.«

»Wollen Sie mir etwa drohen?« fragte John Ermin.

»Ich versuche nicht, Ihnen zu drohen. Ich drohe Ihnen. Und das ist keine leere Warnung. Was, glauben Sie, ist das Leben eines Menschen im Rom von heute wert, wenn selbst der Papst einem Mordanschlag zum Opfer fallen kann?«

»Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu beleidigen, Amico«, sagte John Ermin. »Doch ich lasse mir auch von niemandem drohen. Was nun das Gerücht über diesen angeblichen Papstmord angeht, so glaube ich kein Wort davon. Ich durchschaue nicht Ihre Beweggründe, Amico. Warum sollten ausgerechnet Sie, ein abtrünniger Mönch, der Kirche einen Dienst erweisen wollen?«

Hal Amico sah sein Gegenüber lange schweigend an, doch in seinem Gesicht arbeitete es. Seine kantigen Kiefermuskeln zuckten, seine Lippen wurden immer schmäler, seine Augen verengten sich.

»Es gibt keine Worte, um auszudrücken, wie ich deinen Hochmut hasse, Jesuit!« entgegnete er mit heiser klingender Stimme. Seine Worte waren eine einzige Beleidigung – schrecklicher Haß sprach aus ihnen –, aber John Ermin erkannte plötzlich, daß es Worte waren, die aus einer zutiefst verwundeten Seele kamen. Hal Amico hatte seinen Ausschluß aus der Kirche niemals verwunden. Das war es, was ihn ungerecht, haßerfüllt und gefährlich machte.

Unwillkürlich empfand John Ermin Mitleid mit dem Mann. Und doch: Amico war gekommen, um ihn zu warnen. Es mußte demnach noch immer eine ungebrochene, innere Verbindung zwischen ihm und der Kirche geben.

»Ich fange an, zu verstehen. Sie haben Ihren Glauben an Gott niemals verloren, auch wenn Sie der Kirche den Rücken gekehrt haben«, sagte John Ermin.

»Nein, ich glaube an nichts und niemanden«, entgegnete Hal Amico hart. »Wie Sie selbst sagten: Ich bin ein Abtrünniger. Ihr habt mich verstoßen. Die Kirche hat mich verdammt. Ihr habt alle den Stab über mir gebrochen. Ihr habt mich verurteilt und das Urteil vollstreckt. Ich hasse euch.«

»Wenn Sie die Kirche wirklich hassen, wenn Sie nicht mehr an Gott glauben, dann nennen Sie mir einen Grund, warum Sie hierhergekommen sind, um mich zu warnen«, forderte John Ermin.

Amico tat einen Schritt auf ihn zu. Seine Hände waren geballt, und einen Augenblick lang glaubte Ermin, der andere würde ihn zusammenschlagen. Doch dann sanken Hal Amicos Fäuste herab. Der Zorn in seinem Gesicht erlosch, als hätte der Wind eine Kerzenflamme ausgeblasen. Und plötzlich wirkten seine Züge müde, ja erschöpft.

»Gehen Sie meinetwegen zur Hölle, verdammter Priester«, murmelte er. »Ich werde kein zweites Mal hierher kommen, um Sie zu warnen. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Jetzt bedaure ich beinahe, daß ich es tat.«

Er wandte sich auf dem Absatz um und ging hinaus. Die Tür fiel hart hinter ihm ins Schloß. John Ermin war allein. Er versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Ihm war, als erwachte er aus einem schlimmen Traum.

Plötzlich fielen ihm tausend Fragen ein, die er noch an Hal Amico hätte richten müssen.

Er eilte zur Tür und öffnete sie, doch der Korridor draußen war bereits leer. Er lief zum Portal und stieß die Eingangstür auf. Er kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie ein Wagen die Via Belvedere hinabfuhr und in die Via Angelica einbog.

Zornig und enttäuscht stand John Ermin oben auf der Freitreppe. Er kehrte in das Gebäude zurück, verließ es unmittelbar darauf wieder auf der anderen Seite und betrat den Petersplatz. Er wollte mit seinen Gedanken allein sein. Es waren Gedanken, die ihn selbst erschreckten.

Konnte das wahr sein, was Hal Amico ihm erzählt hatte? War es möglich, daß der Papst durch Gift ermordet worden war?

Inzwischen hatte sich der Himmel verdüstert, die Gewitterfront aus dem Norden war bedrohlich hoch heraufgestiegen. Die Sonne war verschwunden, der graue Himmel glühte wie geschmolzenes Metall, ergossen zwischen Wolkentürmen.

Fernes Wetterleuchten flammte in gebrochenem Rot. Zwielicht lag über der Kuppel des Petersdoms. Es war eine schicksalhafte Stimmung für den Morgen nach der Nacht, in der der Papst gestorben war.

Stand nicht in der Bibel, daß sich die Sonne auch verfinsterte, als Jesus auf Golgatha am Kreuz starb? Und war nicht der Nachfolger des Apostels Petrus auf dem Stuhl des Papstes gleichzeitig auch der Nachfolger Jesus von Nazareths?

Der alte Mann saß noch immer auf den Stufen, die zu dem östlichen der beiden Springbrunnen auf dem Petersplatz hinaufführten. John Ermin ging auf ihn zu. Noch bevor er ihn erreicht hatte, hob Boscati schon den Kopf und sah ihm entgegen.

»Das Unheil steigt herauf von Saronia«, sagte er. Saronia war eine Stadt im Norden Italiens. »Das Böse erhebt sich und wirft seinen Schatten auf das ewige Rom.«

»Es ist nur ein Gewitter. Die Schatten stammen von den Wolken«, entgegnete John Ermin. Doch Boscati schien ihn nicht zu hören.

»Ich sehe, daß Sie bald sterben werden, Pater«, fuhr er fort, und seine Stimme klang, als käme sie von weither. »Aber ich werde Ihnen vorangehen in die ewige Dunkelheit, die die Menschen den Tod nennen.«

John Ermin konnte nicht verhindern, daß ein kalter Schauer über seinen Rücken rann.

»Siehst du den Teufel noch immer dort oben?« fragte er und deutete zum Dach der Kolonnaden empor. Der Alte nickte schwerfällig.

»Er steht noch immer dort – schwarz wie die Todsünde – und will seine Klauen in die Welt schlagen. Er ist siegessicher, denn nur ein einziger Mensch kann seinen höllischen Triumph verhindern. Aber dieser Mensch ist schwach, sehr schwach.«

»Was siehst du, Giuliano?« fragte John Ermin. Er bewegte seine Hand vor dem Gesicht des Alten hin und her, doch dessen Augen starrten unentwegt geradeaus, als blickten sie über unendliche Abgründe hinweg in eine andere Welt.

»Ich sehe – ich sehe …«, murmelte Boscati. Dann erstarrte sein Gesicht plötzlich und wurde grau vor Angst. »Er hebt die Hand. Es ist eine Klaue aus Feuer, Tod und Verdammnis. Sie trägt das Zeichen des Bösen. Sie ist wie die Klaue einer Wolfsspinne. Er hebt sie –hebt sie … Und jetzt deutet er – o Gott! – Er deutet auf mich – mich – mich …«

Er schrie auf und fuhr von der Stufe des Springbrunnens empor. John Ermin versuchte, ihn festzuhalten. Aber der alte Mann entwickelte eine unglaubliche Kraft, mit der er Ermins Hände einfach beiseite fegte. Beide Hände vors Gesicht geschlagen, taumelte er blindlings über den riesigen leeren Platz. Ein unbestimmtes Grauen bannte John Ermin an der Stelle fest, wo er stand. Er brauchte mehrere Sekunden, um wieder zur Besinnung zu kommen. Dann lief er hinter der taumelnden, schwankenden, stolpernden Gestalt her, die über den Petersplatz eilte. »Warte, Giuliano! Es ist nur ein Gewitter, das dich ängstigt! Bleib stehen! Sei ohne Furcht! Bleib stehen!« schrie er. Aber seine Stimme ging im Krachen eines plötzlich losbrechenden, gewaltigen Donnerschlags unter.

Er war schon bis auf fünfzig Schritt an den alten Mann herangekommen, als dieser auf seiner Flucht gegen einen der eisernen Laternenkandelaber stieß, die den Obelisk in der Mitte des Petersplatzes umgaben. Im gleichen Augenblick zerriß der Gewitterhimmel unter einem Blitzstrahl, als wäre eine gewaltige flammende Fackel vom Himmel zur Erde niedergeschleudert worden.

Der Blitz schlug in den eisernen Laternenmast, gegen den Boscati blindlings getaumelt war. Der Körper des alten Mannes schien sich von der Erde emporzuheben. Dann wurde John Ermin von der gewaltigen, elektrischen Entladung – mehr als zehntausend Ampere – wie von der Wucht einer explodierenden Granate zu Boden geschleudert.

Als er sich benommen wieder aufrichtete, sah er, daß Boscati auf der Erde lag. Ermin taumelte auf ihn zu. Aber Boscati war tot, daran konnte es keinen Zweifel geben. Der Körper des alten Mannes wies schwerste Verbrennungen auf. Rauch stieg von der Leiche empor.

»O Gott!« murmelte John Ermin mit starren Lippen. Dann fiel er neben dem Toten auf die Knie. Noch immer halb benommen von der ungeheuerlichen Wucht des Blitzschlages bezeichnete er Stirn, Mund und Brust des Toten mit dem Kreuzzeichen.

Während er betete, schien es ihm, als sei Boscati durch den Blitzstrahl zum Schweigen gebracht worden, bevor er noch mehr von seinem Wissen preisgeben konnte. Stand sein Tod wirklich in einem Zusammenhang mit den Visionen, die er kurz zuvor gehabt hatte?

Schritte und Stimmen näherten sich. Hände griffen John Ermin unter die Arme, halfen ihm, aufzustehen. Er sah sich von Menschen umringt, deren Gesichter er jedoch nur schattenhaft wahrnahm. »Ist Ihnen etwas geschehen, Pater? Hat der Blitz Sie gestreift?« fragte ihn jemand. »Seit Jahrhunderten hat kein Blitz mehr auf dem Petersplatz eingeschlagen. Und noch nie zuvor ist ein Mensch hier durch einen Blitzstrahl ums Leben gekommen.«

»Mir fehlt nichts«, murmelte er. »Laßt mich los! Kümmert euch um den Mann da! Aber ich fürchte, dem hilft nichts mehr. Der Blitz muß durch seinen Körper hindurchgegangen sein.«

»Es war wie eine Hinrichtung«, sagte der andere. »Ich habe es mit angesehen. Er wurde zwei, drei Meter vom Boden emporgerissen, als der Blitz ihn traf. Den macht keiner wieder lebendig.«

John Ermin befreite sich von den Händen, die ihn stützten. Er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, die sich um die Unfallstelle versammelt hatte. Aber anstatt in den Vatikanpalast zurückzukehren, wankte er auf die Straße zu, die den Petersplatz mit dem Stadtgebiet von Rom verband.

Er hatte das Gefühl, einen schrecklichen Fehler begangen zu haben, als er Hal Amico nicht hatte anhören wollen. Er mußte unbedingt mit dem Mann reden. Er wurde das Gefühl nicht los, daß etwas Schreckliches geschehen würde, wenn er Amico nicht rechtzeitig fand.

Er stieß Menschen beiseite, die ihm entgegenkamen. Die Menge wurde immer dichter. Sie waren gekommen, um Abschied von dem toten Papst zu nehmen. Es begann zu regnen. Schwere Tropfen klatschten auf das Pflaster. Trotzdem kamen immer mehr Menschen. Aber der Tod des Papstes, so schien es John Ermin, war nicht das eigentliche Unheil, das über die Kirche hereingebrochen war. Dahinter – im Schatten der ewigen, höllischen Verdammnis – lauerte etwas anderes, weitaus Schrecklicheres. Etwas, das keinen Namen hatte – es sei denn den einen, der der schlimmste von allen war: Satan.

Als John Ermin, von seinen eigenen Gedanken erschreckt, mitten im Schritt innehielt, ohne auf den Regen zu achten, der ihm ins Gesicht schlug wie die Geißel eines mittelalterlichen Büßers, der durch Selbstbestrafung den Zorn Gattes zu besänftigen suchte, da war ihm, als sei der gewaltige Petersplatz plötzlich von Gelächter erfüllt. Doch so lachte kein Mensch. John Ermin hatte noch nie zuvor in seinem Leben solch ein Lachen gehört. Es klang abgrundtief böse. Ein unbeschreiblicher satanischer Triumph schwang darin mit. Ermin fror plötzlich bis ins Herz hinein. Doch die Kälte, die ihn zittern ließ, kam weder vom Wind noch vom Regen. Sie war aus Angst geboren. John Ermin war, als hätte der Schatten des Todes ihn berührt. Und noch immer gellte das Lachen und hallte wider aus den Kolonnaden rund um den Petersplatz. Aber, niemand außer Ermin schien es zu hören. Die Menschen gingen einfach weiter, und der Ausdruck auf ihren Gesichtern ließ erkennen, daß sie von dem teuflischen Lachen unberührt geblieben waren.

John Ermin drehte sich mit einem Ruck um. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, eine von Flammen umloderte, nachtschwarze Gestalt zwischen den steinernen Heiligenfiguren auf dem Dach der Bernini-Kolonnaden zu sehen – genau an der Stelle, auf die Boscati kurz vor seinem Tod gedeutet hatte. Ermin fuhr sich mit einer Hand über die Augen – doch als er wieder hinsah, war der Platz leer. Und auch das , Gelächter war verstummt. Er, hörte nur noch das Getrappel unzähliger Füße auf dem Pflaster des Petersplatzes und das Gemurmel tausender betender Stimmen.

Was war mit ihm geschehen? War er von einer Vision heimgesucht worden, wie sie Boscati sein Leben lang gequält hatten? Oder war er einem Trugbild zum Opfer gefallen, das seine überreizten Nerven ihm vorgegaukelt hatten? Das menschliche Unterbewußtsein, so hatte man ihn gelehrt, brachte manchmal erschreckende Phantasmagorien hervor. Aber gewöhnlich geschah das nur bei geisteskranken, schizophrenen Personen. Als Jesuit und später als Sekretär der Ritenkongregation war er äußerst strengen Schulungen des logischen Verstandes unterworfen worden. Er wußte, daß die meisten Erscheinungen mit religiösen Inhalten auf gewollte oder ungewollte Sinnestäuschungen zurückzuführen waren – die Kirche legte bei Erscheinungen aller Art die denkbar strengsten Maßstäbe an. Aber es gab auch Erscheinungen – guter oder böser Natur –, die sich nicht erklären ließen.

War es also wirklich Satan gewesen, den er gesehen und dessen entsetzliches triumphierendes Lachen er gehört hatte?

Kapitel 2

 

Als John Ermin den Wagen., an der Haltestelle ›Villa Borghese‹, verließ, hatte es aufgehört zu regnen. Doch der Asphalt auf der Via Veneto glänzte noch von Nässe.

Die Via Veneto gehört zu den berühmtesten und verrufensten Straßen Roms. In den Hotels und Restaurants zu beiden Seiten der Via Veneto wird mehr Geld mit Prostitution, Raub, ja sogar bezahlten Mordaufträgen umgesetzt als an irgendeinem anderen Ort in Rom – ausgenommen vielleicht die Stazione Termini, der Hauptbahnhof, und das Stadtviertel Trastevere.

Der Regen und die frühe Morgenstunde hatte zwar verhindert, daß die Tische der Straßen-Cafés schon dicht besetzt waren, aber die käuflichen Frauen standen bereits in grellbunten Kleidern, zigarettenrauchend, neben den Hoteleingängen und warteten auf Kundschaft. Viele Hotels entlang der Via Veneto sind Absteigen und erfüllten denselben Zweck wie öffentliche Häuser.

Auf dieser Straße – wie in den meisten Straßen Roms – läuft jede Frau, die Goldschmuck trägt, Gefahr, daß ein Räuber ihr im Vorbeijagen den Schmuck herunterreißt. Die Diebe fetzen selbst goldene Ohrringe aus blutenden Wunden. Und die Männer auf der Via Veneto, unter deren linkem Arm sich das Jackett auffällig bauscht, tragen dort nicht ihr Scheckbuch oder den zusammengefalteten ›Il Messagero‹, sondern eine Schußwaffe in einer Schulterhalfter.

An den Theken der Bars lehnten Zuhälter in teuren Anzügen. Ihre teuren ausländischen Wagen waren am Straßenrand geparkt. Jeder dieser Wagen kostete so viel; wie eine sechsköpfige Familie in den römischen Armenvierteln brauchte, um ein Jahr zu leben. Aber Verderbtheit und Verbrechen hatten sich allezeit besser bezahlt gemacht als harte Arbeit. Und es gab keine Art von Laster und Begierde, die man mit Geld auf der Via Veneto nicht hätte befriedigen können. Hier war selbst die Luft erfüllt vom Gestank moralischer Verkommenheit.

Während John Ermin unter den gleichgültigen, abschätzigen oder verächtlichen Blicken der Frauen die Straße entlangschritt, kam ihm unwillkürlich die Weissagung des Priesters Giovanni Bosco in den Sinn: »O Rom, was wird aus dir werden? Undankbares Rom, sündenbeladenes Rom, verkommenes Rom! So tief bist du gesunken, daß du nichts anderes suchst und nichts anderes bewunderst als Luxus und die Befriedigung deiner Sinnengier. Hast du denn vergessen, daß deines Gottes Kreuz und Glorie auf Golgatha stand? O Rom, Gottes Zorn wird über dich kommen, und er wird vierfach schrecklich sein …«

John Ermin bog in eine der Seitenstraßen ein, die in die Via Veneto mündeten. Nach einigem Suchen fand er die richtige Hausnummer. Es war ein altes, verkommen wirkendes Gebäude. Er stieg eine schmutzige Steintreppe hinauf bis in das dritte Stockwerk. Dort läutete er an einer Tür.

Nichts rührte sich. Er läutete noch einmal. Wieder nichts. Er drückte die Klinke herab. Die Tür schwang nach innen auf. Von einem kurzen Korridor zweigten mehrere Türen ab. Hinter einer ertönte das Gemurmel von Stimmen.

Ermin öffnete und trat über die Schwelle. Im nächsten Augenblick saß ihm der kalte Stahl einer Pistolenmündung im Genick.

»Keine Bewegung, oder du bist ein toter Mann«, sagte eine Männerstimme. Dann fügte sie hinzu: »Sind Sie es, Ermin? Verdammt, kommen Sie nie wieder unangemeldet in einen Raum, in dem ich mich befinde. Fast hätte ich Ihnen eine Kugel durch den Kopf gejagt. Ich habe viele Feinde in Rom. Ich bin nur deshalb noch am Leben, weil ich härter zuschlage und schneller schieße als meine Gegner.«

Die Fensterläden waren halb geschlossen. In dem Raum herrschte graues Zwielicht. Der Druck der Pistolenmündung verschwand aus John Ermins Nacken, und Hal Amico trat in sein Blickfeld. Er mußte hinter der Tür gestanden haben, als Ermin über die Schwelle trat – ein Zeichen dafür, daß der Privatdetektiv immer auf der Hut war, weil er offenbar um sein Leben fürchtete.

»Die reichen Männer einer ganzen Anzahl von römischen N… von Weibern, meine ich, denen ich zu einem Scheidungsgrund und einer reichen Abfindung verholfen habe, haben professionelle Killer auf meine Fährte gesetzt. Die Italiener sind ein nachtragendes Volk. Wer mir eine Kugel ins Herz schießen würde, könnte von verschiedenen Auftraggebern mindestens zwanzigtausend Dollar kassieren.«

Hal Amico warf die Pistole auf den Tisch und griff nach einer Flasche Brandy, die dort stand. Er sah John Ermin fragend an, doch dieser schüttelte nur den Kopf. Amico zuckte daraufhin geringschätzig mit den Mundwinkeln, füllte ein Glas bis zum Rand und stürzte den Brandy hinunter.

Auf dem Tisch stand noch ein zweites Glas, dessen Rand dick mit Lippenstift beschmiert war. Das machte John Ermin mit einemmal klar, daß er und Amico nicht allein in dem Raum waren.

Er wandte den Kopf und sah, daß eine junge Frau auf dem Rand des Bettes saß. Sie war eine von den hübschen Frauen, die auf der Via Veneto ihrem Gewerbe nachgingen – und sie war vollkommen nackt. Mit der Trägheit, die alle Süditalienerinnen auszeichnet, zog sie ihre Seidenstrümpfe an. Sie hatte ein klassisch schönes Profil, langes haselnußbraunes Haar, das offen über ihre Schultern fiel, und eine Haut wie goldgetönter Alabaster.

»Das ist meine Art zu leben«, sagte Hal Amico, als Ermin unwillkürlich den Blick abwandte. Er füllte sein Glas abermals mit Brandy. »Fühlen Sie sich etwa dadurch beleidigt, Pater?«

»Ich bin nicht so schnell zu beleidigen«, entgegnete John Ermin. »Ich habe aber Mitleid mit Ihnen, weil ich ahne, daß das Leben, das Sie führen, Sie nicht glücklich macht.«

Das Glas, das eben noch in Hal Amicos Hand gewesen war,› ging an einer Wand zu Bruch. Trotz des herrschenden Zwielichts konnte Ermin erkennen, daß das Gesicht des Italo-Amerikaners bleich vor Zorn war.

»Ich brauche Ihr Mitleid nicht. Noch ein solches verdammt hochmütiges Wort, und ich schlage Sie zusammen«, stieß Amico wütend hervor. »Ich habe Männer schon wegen geringerer Beleidigungen halbtot geschlagen.«

»Mich zusammenzuschlagen, wäre keine Heldentat. Ich bin nicht so stark wie Sie«, sagte John Ermin.

Amico starrte ihn mit zusammengepreßten Lippen an. Plötzlich wandte er Ermin den Rücken zu und herrschte das Mädchen an: »Raus! Los, raus mit dir! Zieh dich im Badezimmer an! Geh hinaus, oder ich werfe dich auf die Straße, so, wie du bist!«

Sie floh davon wie ein Schatten. Die beiden Männer blieben allein zurück. Amico griff nach der Brandyflasche, setzte sie an die Lippen und leerte sie halb in einem einzigen Zug.

»Es lag kein Grund vor, das Mädchen zu beschimpfen«, sagte John Ermin. »In jeder Art von Liebe, auch in der sündigsten, lebt ein Funke der Liebe Gottes.«

Hal Amico setzte die Brandyflasche hart auf den Tisch zurück.

»Ich glaube, Sie kennen die römischen Flittchen nicht, Pater«, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme. »Die glauben nur an den Lohn für ihre Liebesdienste. Was suchen Sie überhaupt hier?«

»Ich wollte vorhin nicht an Ihre Warnung glauben, der Papst sei vergiftet worden. Ich glaube eigentlich noch immer nicht daran«, antwortete John Ermin. »Aber inzwischen habe ich Dinge erlebt, die mich Ihre Worte in einem etwas anderen Licht sehen lassen. Ich bin gekommen, um mehr von Ihnen zu erfahren.«

Amico lehnte sich gegen den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Er war in einen schäbigen, abgetragenen Schlafrock gekleidet.

»Ich habe Sie nicht belogen, Ermin«, sagte er. »Wenn auch die vatikanischen Ärzte keine Vergiftungserscheinungen bei dem Toten fanden, so besagt das gar nichts. Es gibt Gifte, die keine erkennbaren Spuren im Körper des Opfers hinterlassen – und doch tödlich sind.«

»Aus welchem Grund sollte irgendein Mensch den Papst ermordet haben? Das ergibt doch keinen Sinn.«

»In Rom geschehen gegenwärtig Dinge, die scheinbar überhaupt keinen Sinn ergeben. Aber dennoch sind sie tödlich nicht nur für einen Menschen, sondern für Millionen Menschen. Es sind schlimme Dinge, John Ermin. Höllische Dinge. Sie lassen sich nur schwer in Worte kleiden. Niemand würde freiwillig an solchen Dingen rühren. Trotzdem sind sie wahr. Die Hölle streckt ihre Hände aus nach der Kirche.«

»Erzählen Sie mir, was Sie wissen«, forderte John Ermin.

»Nur, wenn Sie mich darum bitten«, antwortete Amico herausfordernd.

»Also gut, ich bitte Sie darum.«

Hal Amico starrte Ermin wie vom Donner gerührt an. Er hatte Widerstand erwartet. Nun, da der Widerstand ausblieb, wußte er offenbar nicht, was er sagen sollte. Ihm selbst wäre es schwergefallen, um etwas zu bitten. Doch Ermin wand ihm eben dadurch, daß er bat, die Waffen des Hochmuts und des Spotts aus der Hand.

»Ich weiß nicht viel von dem Mord. Nur soviel: Er ist geschehen«, stieß er hervor und griff nach der Brandyflasche. »Der Papst ist vergiftet worden, soviel steht fest Es mag wie Wahnsinn klingen, aber hinter der Tat stehen höllische, dämonische Kräfte. Eine finstere Macht schickt sich an, Besitz von der Welt zu ergreifen, von der Kirche, von allen Menschen.«

»Es ist noch keine Stunde her, seit ich Ähnliches zu hören bekam«, entgegnete John Ermin. »Ein Mann, der als Geisterseher galt, den ich persönlich aber nicht für einen Lügner hielt, erzählte mir, er hätte Satan siegesgewiß über den Petersplatz schreiten sehen.«

»Und was ist mit ihm geschehen?«

»Er ist tot, Amico. Ein Blitzstrahl hat ihn getötet.«

»Und da erwarten Sie von mir, daß ich Ihnen helfe und dasselbe Schicksal herausfordere?« fragte Hal Amico. Er nahm einen weiteren Schluck Brandy aus der Flasche. »Welchen Grund sollte ich dafür haben? Ich, ein Abtrünniger, ausgestoßen aus der Kirche?«

»Erinnern Sie sich an die Worte des heiligen Bernard von Clairveaux: Auch der Sünder ist der Liebe Gottes teilhaftig. Wer einmal der Kirche angehört hat, kann nicht für alle Zeiten verloren sein mag er auch die Kirche verfluchen, er bleibt doch eines ihrer Glieder.«

»Man merkt, daß Sie Jesuit sind«, sagte Amico, die Brandyflasche absetzend. »Sie haben wahrhaftig gelernt, Menschen zu überreden. Aber als Jesuit haben Sie auch gelernt, Ihren logischen Verstand zu gebrauchen. Wäre ich an Ihrer Stelle, ich würde den Worten eines Hal Amico keinen Glauben schenken. Sie aber tun es. Ich will wissen, aus welchem Grund Sie es tun.«

»Vielleicht gerade darum, weil man mich gelehrt hat, klar zu denken«, gab John Ermin zurück. »Ich glaube daran, daß das gute und das böse Prinzip Gestalt annehmen können. Gott und der Satan, sie sind beide auf unerklärliche Weise mit der Seele jedes einzelnen Menschen verstrickt. Vielleicht glaube ich auch an Ihre Worte, weil ich – für einen Augenblick, für einen Sekundenbruchteil nur – eine Vision hatte, in der ich Satan triumphierend über dem Petersplatz stehen sah. Aber das mag auch nur eine Sinnestäuschung gewesen sein.«

Hal Amico schüttelte den Kopf, ohne ein Wort zu sagen. Er hielt John Ermin neuerlich die Brandyflasche hin, doch dieser wehrte wieder ab. Amico trank noch einen Schluck.

»Ich habe keinen Grund, die Kirche zu lieben, Ermin«, sagte er dann. »Sie hat mich ausgestoßen. Zugegeben, ich war nicht imstande, die Gelübde einzuhalten, die ich bei meinem Eintritt in den Benediktinerorden ablegte. Ich bin nicht dafür geschaffen, mich in die Bibel zu versenken. Ich halte nichts von geistigen Waffen. Ich wehre mich damit,« – er hob die Pistole hoch – »und Weiber und Schnaps, Schießereien, Spielbanken und schmutziges, leichtes Geld sind mein Leben. Trotzdem kam ich zu Ihnen, um Sie vor den dunklen Mächten zu warnen, die in Rom ihr höllisches Spiel treiben. Ich kann nicht sagen, warum ich es getan habe. Aber es ist nun einmal geschehen.«

John Ermin konnte den seelischen Zwiespalt, der Amico innerlich fast zerriß, beinahe körperlich fühlen. Dieser Mann haßte die Kirche. Er haßte sie in einem Ausmaß, das ihn beinahe blind machte für seine eigene Schuld – doch er kam nicht von ihr los. Aller Brandy und alle Frauen der Via Veneto vermochten die Tatsache nicht auszulöschen, daß Hal Amico in seiner eigenen Vorstellung noch immer die Kutte der Benediktiner trug. Er war auf Gedeih und Verderben an die Kirche geschmiedet, die er so sehr haßte. Doch John Ermin beschloß, nicht mehr an diese nicht vernarbte, noch offene Wunde in der Seele Amicos zu rühren. Denn er wußte, daß er sich den anderen dadurch zum ewigen Todfeind gemacht hätte.

»Woher wissen Sie von dem Mord, wenn es einen solchen wirklich jemals gegeben hat?« fragte er statt dessen.

»Ich habe zwangsläufig Umgang mit der römischen Unterwelt«, antwortete Hal Amico. »Männer, die ihren Bruder für hundert Lire umbringen würden, vertrauen sich mir an. Sie halten mich für einen der ihren – nun, vielleicht bin ich es auch –, und so erfahre ich Dinge, an die kaum ein anderer Mensch herankommt.«

»Gibt es irgendwelche Zeugen, die bestätigen können, was Sie mich glauben machen wollen?« verlangte John Ermin zu wissen.

Amico zuckte mit den Schultern.

»Es gibt einen Menschen, der mehr von diesen Dingen weiß als ich«, sagte er. »Es ist der Wächter der Kapuzinergruft unter der Kirche Santa Maria. Jedenfalls wurde mir das berichtet. Ich habe nicht weiter nachgeforscht, weil mir die Nachricht zu diesem Zeitpunkt selbst unglaublich erschien. Es soll sich um einen alten Mönch handeln. Ich kann nicht sagen, in welchem Zusammenhang er mit dem Mord steht. Nur soviel: Er scheint die Nachricht darüber aufgebracht zu haben.«

Hal Amico nahm neuerlich einen Schluck aus der Brandyflasche. Er hatte schon reichlich viel getrunken; aber er schien noch immer nicht betrunken zu sein. Er mußte ungeheuer viel Alkohol vertragen können.

»Ich habe vorhin nicht umsonst gesagt, daß das Böse in ganz Rom in Aufruhr geraten ist«, fuhr er fort. Seine Stimme klang jetzt nachdenklich, so, als versuchte er, Dinge, die sich jedem menschlichen Begreifen entzogen, doch zu erfassen. »Alles, was verbrecherisch ist in Rom, scheint sich, wie von einem geheimen, teuflischen Willen besessen, zusammenzuscharen. Ich weiß keine Erklärung dafür. Aber es ist so, wie ich behaupte. Von der Stunde an, als der Papst starb, geschahen gespenstische, unbegreifliche Dinge.«

»Doch der Wächter der Kapuzinergruft weiß mehr, als Sie mir sagen können?« fragte John Ermin.

»Ja. Vielleicht sollte man versuchen, ihn zum Sprechen zu bringen. Ich hatte bisher nur noch keinen Grund dazu. Wenn man ihn hart genug anfaßt, wird er vielleicht die Wahrheit sagen. Es gibt für jeden Menschen ein Mittel, um ihn zum Sprechen zu bringen. Und das« – Hal Amico hob abermals die Pistole hoch – »oder das« – er deutete mit dem Pistolenlauf auf das Kreuz, das an einer Kette um Ermins Hals hing – »ist es, was die Menschen am meisten fürchten: den Tod des Körpers oder den Tod ihrer Seele. Eines von beiden zwingt jeden Menschen dazu, die Wahrheit zu sprechen. Aber meistens ist es mehr der Tod als die ewige Verdammnis, die sie schreckt.«

»Ich glaube, der Mann, von dem Sie sprechen, fürchtet den Tod nicht«, entgegnete John Ermin.

»Meinen Sie, weil er seine Tage unter Totenschädeln und -gebein in der Kapuzinergruft verbringt?« fragte Amico. »Ich glaube, daß das seine Furcht vor dem Tod nur noch steigert.«

»Sie haben wohl keine Angst vor dem Tod?«

»Nein«, sagte Amico sehr ruhig, sehr gelassen, »denn ich glaube, daß der Tod nur ewige Dunkelheit, ewiges Vergessen ist. Und ich habe schon als Kind verlernt, mich vor der Dunkelheit zu fürchten.«

»Sagt Ihnen der Name Saronia etwas?« fragte John Ermin.

Amico zuckte als Antwort mit den Schultern.

»Nun, es spielt auch keine Rolle«, murmelte Ermin. »Ein Mann nannte diesen Namen, kurz bevor er starb. Wenn Sie wirklich davon überzeugt sind, daß der Wächter der Kapuzinergruft mehr von dem Verbrechen weiß, von dem Sie reden, dann sollten wir ihn fragen.«

Hal Amicos männlich schönes Gesicht verzog sich zu einem geringschätzigen Lächeln.

»Wissen Sie, daß es eine alte Weissagung gibt, nach der einer der vier letzten Päpste durch die Hand eines Mörders sterben soll?« fragte er. »Und in der Reihe der Papstbildnisse in der Sixtinischen Kapelle sind nur noch vier Plätze frei. Es mag sein, daß der prophezeite Mord jetzt geschehen ist.«

Kapitel 3

 

Die Wände der fünf unterirdischen Kapellen unter der Kirche ›Santa Maria della Concezione‹ waren hinter aufeinandergeschichteten menschlichen Gebeinen derart verborgen, daß das Mauerwerk kaum noch zu sehen war. Die sterblichen Überreste von viertausend Kapuzinermönchen waren hier sorgfältig zusammengetragen worden.

Tod, Tod und nochmals Tod, wohin man sah.

John Ermin fiel das Atmen schwer. Ihm, der aus dem Norden kam, war das düstere Interesse, das die Südländer, vor allem die Italiener, an allen Stadien des Todes hegten, unerklärlich und widerwärtig. Es schien ihm gotteslästerlich, die Toten aus ihren Gräbern zu nehmen und ihre Schädel und Gebeine öffentlich zur Schau zu stellen. Das erzeugte nur Angst und Aberglauben.

Er schritt hinter Hal Amico durch zwei, drei der Totenkammern – und die in Kapuzinerkutten gehüllten Mumien schienen sich im flackernden Kerzenschein zu bewegen, ihn mit ihren leeren Augenhöhlen zu verfolgen, mit ihren nackten Zähnen anzublecken.

»Kein schöner Anblick, nicht wahr, Pater?« sagte Amico. »Aber auf diese Weise erhält die Kirche ihre Macht über die Gläubigen.«

»Dieser Ort des Todes hat nichts mit der Kirche zu schaffen. Mir kommt er vor wie eine Szene aus der Hölle«, entgegnete John Ermin. »Diese Totengrüfte sind nur ein Beweis für die entsetzliche geistige Verfassung der Menschen aus dem Mittelalter, die sie einst eingerichtet haben.«

Bevor er weitersprechen konnte, ertönten schlurfende Schritte, und im Durchgang zur nächsten unterirdischen Kapelle erschien eine in eine Kapuzinerkutte gehüllte Gestalt. Unwillkürlich schrak John Ermin zusammen.

Im ersten Augenblick hatte es ihm geschienen, als hätte eine der zur Schau gestellten Mumien, plötzlich wieder zum Leben erwacht, die Kapelle betreten. Doch der Mann war kein Gespenst, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, wenn auch verkrüppelt – er hatte einen Buckel, schiefe Schultern, und sein rechter Arm hing viel tiefer herab als der linke.

»Pater Felice«, sagte Hal Amico, bevor der Mönch ein Wort über die pergamentartigen, blutleeren Lippen bringen konnte, »wir sind hier, um Ihnen eine Frage zu stellen: Was wissen Sie von dem Mord, dem der Papst zum Opfer gefallen ist?«

Der Mönch zuckte bei diesen Worten wie unter einem Schlag zusammen. Er wich vor Amico zurück, drehte sich um und wollte aus der Kapelle flüchten. Doch Hal Amico war schneller. Mit zwei, drei raschen Schritten hatte er den Mönch eingeholt, ergriff ihn an der Kutte und stieß ihn gegen die Mauer, wobei er ihm den rechten Arm festhielt.

»Hören Sie auf !« rief John Ermin. »Wollen Sie den Mann verletzen?«

»Er kriegt nur, was er verdient«, entgegnete Amico hart. »Das macht ihm bestimmt keine Angst. Aber vielleicht fürchtet er, daß seine unsterbliche Seele der ewigen Verdammnis anheimfällt, wenn er einen Meineid schwört. Sie tragen ein Kreuz um den Hals, Ermin. Halten Sie es ihm vors Gesicht!«

John Ermin war von dem Ausbruch Hal Amicos so überrascht und verwirrt, daß er dessen Befehl befolgte. Amico packte die rechte Hand des Mönchs und drückte sie mit eisernem Griff auf das silberne Kreuz.

»Jetzt sprich, Pater Felice. Aber sag die Wahrheit, wenn du nicht willst, daß deine Seele zur Hölle fährt.«

»Lassen Sie mich los!« keuchte der Mönch. »Ich weiß überhaupt nicht, was Sie von mir wollen.«

»Dein Fluchtversuch hat dich verraten, Pater Felice«, sagte Hal Amico. »Außerdem geht in der römischen Unterwelt das Gerücht um, du wüßtest von dem Mord.«

»Ich weiß nichts.«

»Pater Felice«, sagte Hal Amico, »hör mir zu! Hör mir gut zu!« Er hielt die rechte Hand des Mönchs mit seiner Linken auf dem silbernen Kreuz fest; mit der Rechten zog er die Pistole.

»Das Leben hat es nicht sehr gut mit dir gemeint, Pater Felice«, sagte er. »Aber vielleicht möchtest du trotzdem noch nicht sterben. Außer uns dreien befindet sich augenblicklich, niemand in diesen unterirdischen Kammern. Keiner wird den Schuß hören.«

»Das können Sie – das dürfen Sie nicht tun, Amico!« fiel ihm John Ermin ins Wort. »Sie können nicht einen Menschen kaltblütig niederschießen.«

»Wenn Sie wüßten, was ich in meinem Leben schon alles getan habe, würden Sie anders sprechen«, entgegnete Hal Amico. »Nun, Pater Felice, ich zähle jetzt bis drei …«

»Lassen Sie mich am Leben!« flehte der Wächter der Kapuzinergruft. »Ich werde alles sagen, was ich weiß. Es … waren Männer in den unterirdischen Kapellen hier. Sie sprachen davon, den Papst zu ermorden. Sie› gehörten einem Orden an, aber ich weiß nicht, welchem. Einer von Ihnen trug eine schwarze Binde über dem rechten Auge.«

»Wie war sein Name?«

»Den weiß ich nicht. Ich schwöre, daß ich nicht weiß, wer die Männer waren. Ich habe sie nur durch einen Zufall belauscht. Glauben Sie mir doch, ich sage die Wahrheit.«

»Ich glaube dir, Mönch«, sagte Hal Amico. Er ließ den Wächter der Kapuzinergruft los und schob die Pistole ins Futteral. »Aber wenn du weißt, was gut für dich ist, dann vergiß, daß ich jemals an diesem Ort war.«

»Ja! Ja, ich habe es schon vergessen«, beteuerte der Mönch..

»Fiel bei dem Gespräch, das du mit angehört hast, überhaupt kein Name?«

»Es war die Rede von einem Mönch namens Pio. Er soll sich im Kloster ›San Paolo fuori le mura‹ aufhalten. Aber ich weiß nicht, in welchem Zusammenhang er mit den Geschehnissen um den Tod des Papstes steht.«

Das war alles.

Bedrückt folgte John Ermin Amico aus der Totengruft. Die aufwärts führende Treppe mündete rechts vom Hochaltar der Kirche ›Santa Maria della Concezione‹.

Als die beiden Männer in Hal Amicos Wagen saßen, sagte John Ermin: »War es wirklich nötig, den Mann so hart anzufassen?«

»Er hatte Angst, die Wahrheit zu sagen, deshalb mußte ich ihm noch mehr Angst einjagen.«

»Hätten Sie ihn wirklich umgebracht, wenn er geschwiegen hätte?«

»Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Vielleicht hätte ich es getan«, antwortete Hal Amico. »Ich weiß, es heißt: Du sollst nicht töten. So steht es in den zehn Geboten. Aber ich glaube, daß sich die Kirche in tödlicher Gefahr befindet. Wir müssen den unheimlichen Feind ausfindig machen, bevor er sie vernichtet.«

»Wer könnte das sein?«

»Es gibt nur einen, dem an der Zerstörung von Glauben, Religion und Kirche gelegen sein kann.«

»Sie meinen Satan.«

»Ja. Aber das Böse selbst kann sein Zerstörungswerk nicht allein vollbringen. Es muß sich dazu der Menschen bedienen, vom Teufel besessene Menschen.«

»Ich glaube nicht, daß das Böse es wagen würde; seine Krallen nach der Kirche auszustrecken«, entgegnete John Ermin, von Zweifeln erfüllt.

»Es hat seine Klauen schon mehr als einmal in die Kirche geschlagen«, sagte Hal Amico. »Unter den Borgia-, Caraffa- und Borghese-Päpsten Alexander VI., Paul IV. und Paul V. wurde der Vatikan von Machtgier und Mord beherrscht. Borgias Hände waren bekanntermaßen blutbefleckt. Caraffa schuf die Inquisition, die Tausende auf den Scheiterhaufen schickte. Borgheses erste Tat auf dem Heiligen Stuhl war ein Todesurteil gegen einen Mann, der es gewagt hatte, seinen wenig vorbildlichen Lebenswandel zu geißeln.«

Hal Amico zündete sich eine Zigarette an, dann blickte er Ermin ins Gesicht und stellte die Frage, vor der dieser sich gefürchtet hatte, seit sie die Kapuzinergruft verlassen hatten.

»Sie kennen sich unter dem römischen Klerus aus. Gibt es da einen Mann mit einer schwarzen Binde über dem rechten Auge? – Haben Sie nicht gehört? Ich habe Sie etwas gefragt«, fügte er hinzu, als John Ermin schweigend und wie erstarrt dasaß.

»Sie haben recht, es gibt so einen Mann«, antwortete John Ermin schließlich. »Aber er gehört nicht dem römischen Klerus an. Zur Papstwahl haben sich einige tausend Geistliche in Rom versammelt. Die meisten von ihnen sind noch in der Stadt. Einer von ihnen – er kommt aus Saronia – trägt eine schwarze Augenbinde.«

Und er fügte hinzu: »Boscati hat den Namen Saronia erwähnt. Er sagte, das Unheil ziehe aus der Richtung von Saronia herauf. Doch ich habe seinen Worten keinen Glauben geschenkt.«

»Saronia. Ich habe darauf gewartet, daß Sie diesen Namen aussprechen würden«, sagte Hal Amico. »Das bestätigt meine Vermutung. Als ich noch dem Benediktinerorden angehörte, Ermin, hatte ich viel Zeit für geheime Studien. Ich habe mich auch mit dem Sinn religiöser Weissagungen beschäftigt. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an eine, die im Zusammenhang mit Saronia stand. Sie wird dem französischen Hellseher Nostradamus aus dem sechzehnten Jahrhundert zugeschrieben. Es ist der dreiundsiebzigste Vierzeiler der sechsten Zenturie seiner Voraussagungen. Und er lautet: ›Der Satanspriester wird nach Rom kommen. Nahe der Pforte wird er Herberge nehmen, außerhalb der Mauern. Der von Saronia hat einen geheimen Pakt mit dem höllischen Dämon geschlossen. Durch eine schwarze Teufelsmesse in einem unterirdischen Gang wird er sich selbst verraten.‹ Von Anfang an habe ich vermutet, daß diese unheildrohende Prophezeiung in einem Zusammenhang mit dem vorhergesagten Mord stehen müsse. Wo hat der Kardinal von Saronia Quartier genommen, Ermin?«

»Im Benediktinerkloster ›San Paolo fuori le mura«‹, antwortete John Ermin nach langem, qualvollen Schweigen.

»›San Paolo fuori le mura‹ – ›Sankt Paulus vor den Mauern«‹, sagte Hal Amico. »Genauso, wie es in der alten Prophezeiung steht: Kloster und Kirche liegen nahe an einem der Stadttore des alten Roms, aber außerhalb der früheren Stadtmauern.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie den Kardinal von Saronia für den Antichrist halten?« fragte John Ermin mit rauher Stimme. Eine Übelkeit, wie er sie nie zuvor in seinem Leben gespürt hatte, stieg in ihm auf.

»Ich behaupte gar nichts«, gab Amico zur Antwort. »Aber welcher Kardinal hat wohl die größten Aussichten, zum neuen Papst gewählt zu werden?«

»Sicher der von Saronia. Um ein Haar wäre er schon aus der letzten Wahl als Sieger hervorgegangen. Wahrscheinlich wird er bei der neuen Wahl triumphieren.«

Amico nahm noch einen Zug aus, seiner Zigarette, dann warf er den Stummel aus dem Wagenfenster.

»Wenn es eine dunkle, dämonenhafte Macht gibt, der daran gelegen wäre, die Kirche von Grund auf zu zerstören, Ermin, dann gäbe es für sie nur einen Weg, dieses Ziel mit Sicherheit zu erreichen: Wenn ein vom Satan Besessener auf den Heiligen Stuhl gelangen, wenn man ihm die dreifache Krone des Papstes aufs Haupt setzen würde, dann könnte er sein finsteres Werk tun. Er könnte die Kirche von innen heraus zerstören: und niemand vermöchte ihn daran zu hindern.