Der Donnerstagsmordclub und der unlösbare Code - Richard Osman - E-Book

Der Donnerstagsmordclub und der unlösbare Code E-Book

Richard Osman

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Beschreibung

Der nächste Coup des kultigen Ermittlerquartetts is finally here! Wer hat schon Zeit, über ungelöste Mordfälle nachzudenken, wenn eine Hochzeit zu planen ist?  Für den Donnerstagsmordclub war es ein ruhiges Jahr. Joyce ist mit der Erstellung von Tischplänen beschäftigt und damit, wer wen zum ersten Tanz aufzufordern hat. Elizabeth trauert. Ron hat mit familiären Problemen zu kämpfen, und Ibrahim therapiert noch immer seine Lieblingsverbrecherin. Doch als Elizabeth einen Hochzeitsgast trifft, der in Schwierigkeiten steckt, sind Entführung und Tod dem Donnerstagsmordclub wieder dicht auf den Fersen. Ein Bösewicht will Zugang zu einem unknackbaren Code und schreckt vor nichts zurück, um ihn zu bekommen. Und schon sind die vier Hobbydetektive wieder zurück in ihrem Element: Mörder zu jagen und Rätsel zu lösen und dabei klüger als die Polizei zu sein!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Donnerstagsmordclub und der unlösbare Code

Richard Osman ist Autor, Produzent und Fernsehmoderator. Seine Serie über die vier scharfsinnigen und liebenswerten Ermittlerinnen und Ermittler des Donnerstagsmordclubs hat ihn über Nacht zum Aushängeschild des britischen Krimis und Humors gemacht. Für sein Debüt Der Donnerstagsmordclub wurde er bei den British Book Awards 2020 zum »Autor des Jahres« gewählt. Er lebt mit Frau und Katze in London.

Der nächste Coup des kultigen Ermittlerquartetts is finally here!

Wer hat schon Zeit, über ungelöste Mordfälle nachzudenken, wenn eine Hochzeit zu planen ist? 

Für den Donnerstagsmordclub war es ein ruhiges Jahr. Joyce ist mit der Erstellung von Tischplänen beschäftigt und damit, wer wen zum ersten Tanz aufzufordern hat. Elizabeth trauert. Ron hat mit familiären Problemen zu kämpfen, und Ibrahim therapiert noch immer seine Lieblingsverbrecherin.

Doch als Elizabeth einen Hochzeitsgast trifft, der in Schwierigkeiten steckt, sind Entführung und Tod dem Donnerstagsmordclub wieder dicht auf den Fersen. Ein Bösewicht will Zugang zu einem unknackbaren Code und schreckt vor nichts zurück, um ihn zu bekommen. Und schon sind die vier Hobbydetektive wieder zurück in ihrem Element: Mörder zu jagen und Rätsel zu lösen und dabei klüger als die Polizei zu sein!

Richard Osman

Der Donnerstagsmordclub und der unlösbare Code

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Sabine Roth

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Die Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel The Impossible Fortune bei Viking, PRH UK

© 2025 by Richard Osman

© der deutschsprachigen Ausgabe

2025 by Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin

Alle Rechte vorbehalten

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Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka

Umschlagmotiv: © Look and Learn / Bridgeman Images; © Bridgeman Images; shutterstock / Elena Pimonova; ONYXprj; Marina Roma

Autorenfoto: © Conor O’Leary

ISBN 978-3-8437-3655-8

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

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1

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Samstag

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Sonntag

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Montag

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Dienstag

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Mittwoch

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Wieder Donnerstag

Die nachfolgenden sechs Wochen und vier Tage

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Anhang

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für Mat und Anissa

Prolog

0

Übers Bombenbauen findet man alles im Internet. Man muss nur wissen, wo.

Was man dafür braucht. Wo man es bekommt. Anleitungen zum Zusammenbasteln. Es gibt sogar Videos: Männer mit Sturmhauben, Schraubenzieher in der Hand. Die in ihrer Ytong-Garage an der Werkbank stehen und Drähte verlöten.

Von Risiken ist eher wenig die Rede. Aber auf die kommt man zur Not auch selbst. Vorsicht mit explosiven Materialien, das muss einem ja wohl keiner sagen, oder? Und dass zu Hause kein so guter Ort zum Testen ist, auch nicht.

Es gibt Anleitungen für große Bomben, kleine Bomben, Nagelbomben, chemische Bomben, alle Bomben, die man sich nur wünschen kann.

Klein bis mittelgroß, das passt für den Zweck wohl am besten. Stabil genug, um sie mit sich herumzutragen, leistungsstark genug, um zu töten.

Letztlich ist die Wahl auf eine dieser Rundum-sorglos-Websites gefallen, die einem alles abnehmen. Die einem die Bombe quasi auf den Leib schneidern, sie liefern, sogar beim Anbringen helfen, wenn nötig. Diese spezielle Firma hat ausgezeichnete Bewertungen. Sie bietet sogar eine Geld-zurück-Garantie, falls die Bombe aus irgendeinem Grund nicht zündet. »Kein Knall, keine Knete«, so lautet ihr Werbespruch.

Billig kommt es nicht gerade – man muss das Fachwissen rechnen, die Herstellungskosten, die Lieferung und, das ist der größte Faktor, die absolute Diskretion, die man braucht. So gesehen beläuft sich der Preis für ein Menschenleben auf plus / minus £ 27 000. Immerhin kommt keine Mehrwertsteuer dazu. Aus naheliegenden Gründen.

Aber die paar Extra-Pfund sind es wert. Wenn die Bombe schließlich hochgeht, wird Geld keine Rolle mehr spielen.

Wobei Geld sowieso nicht das Thema ist. Fast im Gegenteil, könnte man sagen.

Also dann, keine Zeit zu verlieren.

Die Uhr tickt, und nicht nur sie.

1

Joyce

Ich weiß, ich habe ewig nicht mehr geschrieben, ich habe schon ein richtig schlechtes Gewissen deshalb.

Sie haben sich bestimmt schon gefragt, wo ich mich herumtreibe. Ob ich mich vielleicht mit einem Polizeihundeführer auf die Bahamas abgesetzt habe. Das habe ich neulich tatsächlich geträumt. Und wurde dann wach, weil Alan einem Eichhörnchen draußen vor dem Fenster nachbellte.

Nein, es war nur so ein Trubel mit der Hochzeit und allem, dass ich kaum wusste, wo mir der Kopf steht.

Da waren die Blumen, da war die Torte – dass ein Kuchen dermaßen teuer sein kann! Margarine, Eier, Zucker, mehr ist es ja nicht. Na gut, die Dekoration, aber trotzdem. Und dann natürlich das Kleid, da hatten wir es sehr lustig, es gab für alle einen Bucks Fizz. Sogar in einem Nagelstudio war ich – ich hatte Nagelstudios natürlich schon vorher gesehen, mich aber nie in eins reingetraut. Sie waren ganz reizend da. Vielleicht heiratet ja noch mal jemand, dann gehe ich wieder.

Morgen ist es so weit. Eine Donnerstags-Hochzeit? Ich weiß. Irgendwie scheinen wir auf die Donnerstage abonniert.

Es passiert ja nicht jeden Tag, dass das einzige Kind heiratet. Bei manchen Leuten hier in Coopers Chase heiraten schon die Enkelkinder, aber Joanna hat sich eben Zeit gelassen, und ich glaube, das war sehr schlau von ihr. Egal, was ich über die Jahre an Gegenteiligem gesagt haben mag. Zu denken, dass sie letztes Jahr um diese Zeit noch mit dem Fußball-Präsidenten zusammen war!

Vor Paul.

Joanna und Paul haben sich übers Internet kennengelernt. Die Leute – na ja, Ron – sagen mir immer, ich soll es mit Online-Dating probieren, aber ich hätte zu sehr Angst, an jemanden zu geraten, dem es nur um meine Bankdaten geht. Ibrahim hat mir streng verboten, anderen Spaziergängern im Park Alans Namen zu verraten, weil sie dadurch auf mein Passwort kommen könnten. Ich habe ihm gesagt, dass Alans Name in keinem meiner Passwörter vorkommt, aber er besteht trotzdem darauf. Wenn ich also nach Alans Namen gefragt werde, behaupte ich, er heißt Joyce. Und wenn dann jemand meinen Namen wissen will, sage ich, ich muss leider weiter.

Ich habe die Blumen und die Torte und das Kleid erwähnt, all diese Dinge, aber ich habe noch nicht erwähnt, dass Joanna und ich über jedes einzelne davon gestritten haben, und nicht nur darüber. Zum Beispiel soll es keine Kirchenlieder geben, nur die Backstreet Boys. Es ging so weit, dass ich irgendwann sagte: »Wenn du meine Hilfe nicht willst, sag es mir einfach«, und Joanna sagte: »Ich will deine Hilfe nicht, Mum«, und ich brach in Tränen aus, und dann weinte auch Joanna und sagte, natürlich wolle sie meine Hilfe, und ich sagte, ich weiß ja, dass ich mich zu sehr einmische, und mitten hinein in diese Szene platzte der arme Ibrahim und ging gleich rückwärts wieder aus dem Zimmer. Wie ich immer sage, Ibrahim ist sehr gewitzt, außer wenn es um Hunde und Passwörter geht.

Joanna und ich haben unterschiedliche Vorstellungen vom Heiraten, wie nicht anders zu erwarten. Wenn wir schon beim Gluten geteilter Meinung sind, werden wir es bei fast allem anderen auch sein. Es gibt meine Art, die Dinge anzugehen (erprobt im Lauf eines langen, glücklichen Lebens), und es gibt Joannas Art, sie anzugehen. »Die Londoner Art«, wie Ron sie nennt.

Den ersten Streit hatten wir keine Minute, nachdem sie und Paul mir erzählt hatten, dass sie heiraten wollen. Ich war überglücklich. Ich meine, sie kannten sich noch nicht sehr lange, und man sieht ja alle möglichen Geschichten auf Netflix, aber ich war trotzdem überglücklich. Paul ist ein herzensguter Mensch, ganz anders als Joannas sonstige Männer, die durch die Bank entweder Millionäre oder Amerikaner sein mussten. Nichts gegen Millionäre oder Amerikaner, man denke nur an George Clooney, aber die Würze liegt in der Abwechslung, und Paul ist Professor an der Universität (der von Middlesex nur, aber immerhin). Und Universitätsprofessor ist nun mal eine Lebensstellung, wie es Fußball-Präsident oder Millionär eben nicht sind.

Also, der erste Streit.

Ich hatte Joanna umarmt und Paul umarmt, und ich fragte Joanna, ob es denn eine große Hochzeit sein würde, und sie sagte, nein, ganz und gar nicht, sie wolle eine kleine, intime Hochzeit, und ich sagte, genau weiß ich die Worte nicht mehr, etwas wie: »Ach, wie jammerschade, aber gut, ist ja egal«, etwas recht Neutrales eben, und sie sagte: »Was ist schade?« Sie sagte es sehr beherrscht, weil Paul da war, aber ich merkte schon, dass sich etwas zusammenbraute, also dachte ich, oh-oh, wie komme ich da wieder raus?, und ich sagte: »Ach, hör nicht auf mich, ich dachte nur, bei einer älteren Braut gibt es doch sicher sehr viele Leute, die gerne kommen würden«, und sie sagte, immer noch ganz beherrscht, »eine ältere Braut?«, und ich dachte, oje, das war’s, Joyce, und ich sagte: »Nein, nicht älter, ich meine ja nur, bei vielen Leuten, die mit Ende vierzig heiraten, ist es die zweite Ehe, nach einer Scheidung zum Beispiel«, und auch das half nicht wirklich. Paul warf etwas ein, aber wir beachteten ihn nicht, weil wir beide wussten, dass wir an einem sensiblen Punkt unserer Auseinandersetzung angelangt waren. Joanna lächelte (aber nicht mit den Augen, das ist immer so ein Warnzeichen, nicht wahr?) und sagte, sie hätte sich nun mal eine kleine Hochzeit gewünscht, und es sei schließlich ihre Hochzeit, da könnte sie das ja wohl bestimmen. Da war natürlich was dran, aber Sie kennen mich, mein Kopf war voll mit Brautjungfern und gut aussehenden Livrierten und Blumensträußen und Tanzen. So wie bei Bridgerton, falls Sie das gesehen haben. Eine große Schar froher Gäste, die sich alle die Tränen aus den Augen wischen und mir Komplimente über meinen Hut machen. Ich würde natürlich in der ersten Bank sitzen und Elizabeth, Ron und Ibrahim in der Reihe hinter mir, sodass sie sich zu mir vorbeugen und mir zuflüstern konnten, wie wunderschön ich aussah. Das ging mir alles im Kopf herum, als ich sagte: »Das musst du natürlich am besten wissen. Du weißt ja immer alles am besten.« Woraufhin Joanna Paul bat, in die Küche zu gehen und uns einen Tee zu machen.

Wenn ich das so geschrieben sehe, scheint mir auch, dass ich es vielleicht anders hätte angehen können.

Joanna beugte sich dicht zu mir heran und sagte, sie würde jetzt nicht ausrasten, weil Paul sie noch nie hatte ausrasten sehen und es wahrscheinlich besser war, wenn sie erst mal anderthalb Jahre oder so verheiratet wären, bevor er sie so richtig wütend erlebte (es war leider der falsche Zeitpunkt dafür, aber eigentlich hätte ich ihr gern gesagt, dass das sehr weise von ihr war. Als ich Gerry die erste richtige Szene machte, wohnten wir schon in unserer Zwei-Zimmer-Wohnung in Hayward Heath, und ich war schwanger, zurück konnte er also nicht mehr). Dann sagte sie, sie wolle nun mal eine kleine Hochzeit, ohne Heckmeck, aber mit viel Liebe, und ich sagte, wobei ich schon weiß, dass ich besser gar nichts mehr gesagt hätte, dass eine große Hochzeit kein Heckmeck ist und ob sie vielleicht gerade ein bisschen durcheinander wäre, und Paul streckte den Kopf durch die Tür und fragte, wo denn die Milch sei, und wir sagten beide: »Kühlschrank«, ohne den Blick voneinander zu wenden.

Dabei wusste ich ja eigentlich, dass sie im Recht war. Wirklich. Nur hatte ich mich auf ihre Hochzeit schon gefreut, da war sie noch gar nicht geboren, und es im Kopf alles zigtausendmal durchgespielt, und das machte mich ein bisschen bockig. Jetzt ist mir das völlig bewusst, aber in dem Moment war es das nicht. Als Gerry und ich heirateten, konnten wir uns eine große Hochzeit nicht leisten. Es war ein wunderschöner Tag, aber ganz klein und bescheiden. Nur unsere Eltern, die Nachbarn aus der Nummer 17 (die aus der 13 allerdings nicht, woran ein Vorfall mit einem Heckenschneider schuld war), Gerrys Trauzeuge aus der Arbeit, ein paar Kolleginnen von mir aus dem Krankenhaus und zwei Cousinen, die sich partout nicht abwimmeln ließen. Hinterher gab es Sandwiches im Pub (dem Nebenraum), und am nächsten Tag arbeiteten wir beide wieder.

Das alles erzählte ich jetzt Joanna. Ich wusste, dass ich in der Defensive war, und ich dachte, wenn ich Gerry erwähne, mache ich vielleicht etwas Boden gut. Und Joanna beugte sich vor und umarmte mich, und sie sagte: »Ich sehe immer dieses Bild vor mir, wie Dad mich zum Altar führt«, was für mich längst kein Bild mehr ist, sondern einfach die Wirklichkeit, so oft habe ich es mir schon ausgemalt, und ich umarmte sie auch und sah ein, dass das Leben nun mal nicht Bridgerton ist.

Also dachte Joanna an ihren Vater, weinend, und ich weinte auch und dachte auch an ihn, und Paul kam mit zwei Tassen Tee ins Zimmer zurück und sagte: »Zucker habe ich auch keinen gefunden, aber ich habe mich nicht zu fragen getraut«, genau wie es Gerry gesagt hätte, und mir ging auf, dass es mir völlig unwichtig war, ob die Hochzeit groß oder klein sein würde, wichtig waren nur meine wunderbare Tochter und dieser nette, liebe Mann. Wobei, egal ob groß oder klein, einen neuen Hut würde ich mir von Joanna nicht ausreden lassen.

Paul gab uns beiden unseren Tee und dazu jeweils ein Kleenex, und ich sagte Joanna, dass ich sie lieb hatte, und sie sagte, sie hätte mich auch lieb, und Paul sagte: »Nur damit ich es weiß, wo ist denn nun der Zucker?«, und ich sagte, in dem Schrank über der Mikrowelle, und Joanna wollte wissen, ob ich zurzeit irgendwelche Juwelen oder Kokain in der Mikrowelle aufbewahre oder vielleicht eine Schusswaffe, und ich sagte, nein. Das letzte Jahr war in der Hinsicht sehr ruhig.

Wir treffen uns natürlich trotzdem noch jeden Donnerstag, Elizabeth, Ron, Ibrahim und ich, und wir besuchen uns täglich in unseren Wohnungen (Elizabeth weniger, sie braucht noch etwas Zeit), aber in ein richtiges Verbrechen verwickelt waren wir schon länger nicht mehr.

Ich sagte Joanna, dass Elizabeth und Ron und Ibrahim sich so für sie freuen würden und dass sie es sicher verstehen würden, wenn sie zu einer so kleinen Hochzeit nicht eingeladen wurden, und Joanna sagte, aber selbstredend würden sie eingeladen, und ich sagte, nein, nein, das ist zu viel, eine kleine Hochzeit ist eine kleine Hochzeit, da hätten doch sicher andere Leute ein größeres Anrecht, worauf Joanna fragte: »Mum, wenn du von einer großen Hochzeit sprichst, an wie viele Leute denkst du denn da?«, und ich sagte, na ja, vielleicht zweihundert, das ist die Zahl, die mir immer vorgeschwebt hat, und sie lachte. Ihre Freundin Jessica (Jacinta? Jemima?), sagte sie, hätte achthundert Gäste bei ihrer Hochzeit gehabt, in Marokko.

Also fragte ich Joanna, was für sie denn eine kleine Hochzeit sei, und sie sagte: »So um die zweihundert, Mum.«

Da haben wir es. Joanna bekommt die kleine Hochzeit, die sie immer wollte, und ich bekomme die große Hochzeit, die ich immer wollte. Manchmal zahlt es sich aus, eine andere Sichtweise zu haben als seine Kinder.

Dann fragte ich, ob Bogdan und Donna auch kommen dürften, oder vielleicht Chris und Patrice, und Joanna sagte, ich solle den Bogen nicht überspannen, aber sie könnten am Abend dazukommen, wo wir um die vierhundert Leute sein würden. Eine kleine Hochzeit, dass ich nicht lache, Joanna.

Meine Kleider für morgen sind gebügelt und liegen auf dem Gästebett ausgebreitet. Ich gehe regelmäßig hin und schaue sie an. Mein neuer Hut ist in seiner Schachtel. Mark von den Robertsbridge Taxis hat einen Minibus organisiert, in dem er uns morgen alle zur Trauung fährt. Die übrigens nicht in einer Kirche stattfinden wird, wie das in meinen Träumen der Fall war, sondern in einem wunderschönen Landhaus in Sussex, das tatsächlich noch viel schöner ist, als eine Kirche es gewesen wäre, was nur wieder zeigt, dass man seinen Träumen nicht immer trauen darf. Oder vielleicht eher, dass Träume von anderen manchmal auch ihre Berechtigung haben.

Wenn ich das nächste Mal von mir hören lasse, bin ich schon Schwiegermutter. Paul hat übrigens einen Vater, Archie, der Witwer ist, schnurrbärtig, Anfang achtzig, und mir so vorkommt, als müsste sich mal jemand ein bisschen um ihn kümmern. Ich habe auf dem Sitzplan nachgeschaut, und wir sitzen nebeneinander am Haupttisch.

Denn wenn sich die Verbrechen rar gemacht haben im letzten Jahr, dann hat es die Romantik erst recht.

Dann also auf morgen, und auf ein Maximum an Romantik und ein Minimum an Verbrechen.

Donnerstag

2

Elizabeth spürt wieder etwas. Was genau sie spürt, kann sie nicht sagen. Aber irgendetwas ist da, und es ist nicht nur der Brandy. Sie ist alarmbereit, aber noch ohne zu ahnen, warum.

Zu ihrer Linken hält Ron sein Bier in die sinkende Sonne von Sussex. »Ich war auf vielen Hochzeiten, hauptsächlich meinen eigenen, aber die hier war bis dato die beste. Auf Joanna.«

»Auf Joanna«, sagt Ibrahim und erhebt sein Whiskyglas. Bei der Trauung hat er noch mehr geweint als Joyce.

»Und auf Paul«, mahnt Joyce. »Vergesst Paul nicht.«

»Aber diese Rede von seinem Freund!«, beschwert sich Ron.

Pauls Trauzeuge. Der Mann beschäftigt Elizabeth.

»Er war eben nervös«, sagt Joyce.

»Trotzdem«, sagt Ron. »Deswegen kotzt man doch nicht! War schließlich nicht seine Hochzeit.«

»Es hat die Aufmerksamkeit etwas über Gebühr auf ihn gelenkt«, stimmt Ibrahim ihm zu.

Selbst vor der unseligen Übelkeitsattacke schien etwas mit ihm nicht ganz zu stimmen. Ist es das, was Elizabeth spürt? Sie könnte schwören, dass er zu ihr herübergesehen hat. Ganz kurz nur, aber absichtsvoll.

»Wie war es für dich, Elizabeth?«, fragt Ibrahim sie.

Elizabeth überlegt ein Weilchen und bringt ein kleines Lächeln zustande. Das Lächeln ist echt, das weiß sie, und sie weiß auch, dass es irgendwann wieder größer werden wird. »Es war schön – sie haben sehr glücklich gewirkt. Und Joyce sieht auch sehr glücklich aus.«

»Sie hat ja auch eine halbe Flasche Schampus im Leib«, bemerkt Ron.

Joyce hickst leise. Die vier Freunde blicken schweigend in den Sonnenuntergang. Sie haben die Steinterrasse des Herrenhauses für sich. Von drinnen dringt Musik und Gelächter zu ihnen.

Elizabeth blickt auf ihre Freunde und denkt an Stephen. Joyce merkt es, Joyce merkt alles, und legt ihr die Hand auf den Arm.

»Auf jeden Fall danke, dass du gekommen bist, Elizabeth«, sagt sie. »Das kann nicht leicht für dich sein.«

»Unsinn«, sagt Elizabeth, drauf und dran, ihnen allen einen Vortrag über innere Ressourcen zu halten. Aber Joyce hat recht, es ist nicht leicht. Schier unmöglich, um genau zu sein. Sie nippt an ihrem Brandy und senkt den Blick. »Unsinn.«

Hinter ihnen tritt Joanna durch die Flügeltür auf die Terrasse. »Ich hab mich schon gefragt, wo ihr alle abgeblieben seid. Was ist das hier draußen? Der Fixer-Club?«

Ron steht auf und umarmt sie. »Wir müssen bloß mal fünf Minuten verschnaufen. Was macht der Trauzeuge?«

»Nick?«, sagt Joanna. »Der ist am Rehydrieren.«

Nick, so hieß er. Nick Silver.

»Und das Tischtuch?«, fragt Ibrahim.

»Das war nicht mehr zu retten«, sagt Joanna. »Dafür gibt’s die Kaution. So, wer kommt jetzt mit rein zum Tanzen? Mum? Alle wollen mit dir tanzen. Aus irgendeinem Grund scheinen sie völlig hingerissen von dir.«

»Ich bin ja auch hinreißend«, sagt Joyce mit einem erneuten kleinen Hickser. »Was dachtest du denn, wo du es herhast?«

Ron hilft ihr beim Aufstehen. »Vielleicht will ja Pauls Dad ein Tänzchen mit dir?«

»Nicht interessiert«, sagt Joyce.

»Nun ja«, sagt Ibrahim. »Dafür, dass du das ganze Essen über die Hand auf seinem Knie hattest …«

»Ich habe ihn in der Familie willkommen geheißen«, sagt Joyce.

»So nennt man das jetzt also.« Ron leert sein Pint.

»Ibrahim«, sagt Joanna, »hättest du vielleicht Lust, mit mir zu tanzen?«

»Mit dem größten Vergnügen«, sagt Ibrahim und erhebt sich. »Was soll’s denn sein? Foxtrott? Quickstep?«

»Was immer du zu ›Like a Prayer‹ von Madonna zustande bringst.«

Ibrahim nickt. »Dann heißt es improvisieren.«

Alle stehen jetzt und beginnen, sich auf die Tür zuzubewegen. Nur Elizabeth rührt sich nicht. Joyce legt ihrer Freundin die Hand auf die Schulter.

»Kommst du nicht?«

»Zehn Minuten noch«, sagt Elizabeth. »Geht ihr nur und amüsiert euch.«

Joyce drückt ihre Schulter kurz. Wie behutsam sie mit ihr umgeht seit Stephens Tod. Keine Lektionen, keine Predigten, keine hohlen Worte. Nähe, wenn sie gemerkt hat, dass Elizabeth Nähe braucht, Abstand, wenn sie spürte, dass Elizabeth allein sein muss. Ron war zur Stelle mit seinen Umarmungen, Ibrahim, der große Psychologe, hat sie sacht bald in diese Richtung gestupst, bald in jene, und sich eingebildet, sie merke es nicht. Aber Joyce? Elizabeth wusste schon immer, dass Joyce eine emotionale Intelligenz besitzt, an der es ihr selbst mangelt, aber der Takt, den sie dieses letzte Jahr ihr gegenüber bewiesen hat, sucht seinesgleichen. Die anderen verschwinden im Haus, und Elizabeth ist wieder allein.

Wieder? Elizabeth ist jetzt immer allein. Immer allein und niemals allein. Das Wesen der Trauer.

Die Sonne ist hinter den South Downs versunken. Immer allein, aber niemals allein. Elizabeth fühlt ihre Sinne wieder zum Leben erwachen. Aber was ist das, was sie spürt?

Von der Allee unterhalb der Terrasse, ein Stück links, dringt ein Laut an ihr Ohr. Ein Mann tritt hinter einer großen Eiche hervor und kommt auf sie zu.

Natürlich. Das ist es, was sie gespürt hat. Jemand ist da draußen zwischen den Bäumen. Als er die Steinstufen zur Terrasse heraufzusteigen beginnt, ins Licht, erkennt sie in der Gestalt Nick Silver, den Trauzeugen. Er nickt zu dem Stuhl neben Elizabeth hin.

»Darf ich?«

»Aber sicher«, sagt Elizabeth. Drinnen wird gejohlt. Das wird Ibrahims Tanzkünsten gelten. Nick Silver nimmt Platz.

»Sie sind Elizabeth«, sagt er. »Das wissen Sie natürlich schon.«

»Ich fürchte, ja«, sagt Elizabeth. Immerhin hat er das Hemd gewechselt. »Haben Sie etwas auf dem Herzen, Mr Silver?«

Nick Silver nickt. Er sieht zum Himmel hinauf und dann wieder zu ihr. »Es ist so, jemand hat mich heute Morgen zu ermorden versucht.«

»Aha«, sagt Elizabeth. Etwas in ihr läuft mit einem Ruck wieder an. Das ganze vergangene Jahr hindurch hat ihr Herz geschlagen wie eine Maschine, eine mechanische Pumpe, die sie gegen ihren Willen am Leben erhält, aber nun plötzlich ist es ein Organ aus Fleisch und Blut. »Sind Sie sicher?«

»Absolut«, sagt Nick. »Manche Dinge weiß man einfach, nicht wahr.«

»Aber können Sie es auch beweisen?«, fragt sie. »Viele aus Ihrer Generation neigen ja zum Dramatisieren.«

Nick hält sein Handy hoch. »Doch, kann ich.«

Eine bekannte Schwerkraft beginnt, an Elizabeth zu ziehen. Soll sie zur Seite springen, solange es noch geht?

»Hätte denn jemand einen Grund, Sie zu töten?«, fragt sie. Sie springt nicht zur Seite. Natürlich nicht. Wohin in aller Welt sollte sie auch springen? Rings um sie ist ja nur schwankender Boden.

Wieder ein Nicken. »Ja. Offen gestanden sogar einen sehr guten.«

Ein Weg scheint vor ihrem inneren Auge auf, ein Trampelpfad nur, von Unkraut überwuchert, aber dennoch, da ist er. »Und hätten Sie auch einen Namen für mich?«

»Das bleibt unter uns?«, fragt Nick. »Ich kann Ihnen vertrauen?«

»Diese Frage müssen Sie beantworten, Mr Silver. Nicht ich.«

Der Mann zittert, obwohl der Abend so warm ist. »Ich kann Ihnen Namen nennen, doch.«

»Gleich mehrere Personen wollen Sie umbringen?« Elizabeth zieht die Brauen hoch. »Sie wirken auf mich eigentlich recht harmlos.«

»Danke«, sagt Nick Silver.

»Warum wenden Sie sich damit an mich?«, fragt Elizabeth. »Und nicht, sagen wir, an unsere guten Freunde von der Polizei?«

»Ich habe …«, setzt Nick an. »Ich will damit nicht zur Polizei, aus verschiedenen Gründen, und Paul hat mir von Ihnen erzählt. Von dem Ruf, den Sie haben.«

»Da hat er wohl etwas übertrieben«, sagt Elizabeth. Dass man sogar vergessen kann, dass man einen Ruf hat!

»Und ich habe mich eben gefragt«, sagt Nick und sieht sie mit einer Furcht im Blick an, die sie im Lauf der Jahre so oft gesehen hat, der Furcht eines Mannes, der nur einen Fußbreit vom Abgrund entfernt steht, »wenn ich Ihnen alles erzähle, meinen Sie, dann würden Sie mir vielleicht helfen wollen?«

Elizabeth ist drauf und dran gewesen, abzusagen. Allein daheim zu bleiben und zu lesen. Dabei auf Stephens leeren Stuhl zu schauen. Sich zu kasteien. Aber stattdessen hat sie zugesagt. Eine innere Stimme hat ihr zugeflüstert, dass es an der Zeit ist, sich wieder hinauszuwagen. Sie dachte, es wäre vielleicht die Aussicht darauf, eine junge Liebe mitzuerleben, aber nein, es ist etwas viel Besseres. Es ist ein Trauzeuge in Todesangst.

Mit dem Verbrechen ist es wie mit der Liebe, wenn die Zeit reif ist, findet es dich. Hier sitzt sie nun also, bei der Hochzeit.

Ob sie ihm helfen wollen würde? Elizabeth sieht Nick an, nickt und nimmt seine Hand.

»Ja, Mr Silver, ich will.«

3

»Aber wenn es Security gibt?«, fragt Connie Johnson und beißt von ihrem Pain au Chocolat ab.

»Dann … töte ich sie?«, fragt Tia.

Connie nickt gedankenvoll. Ganz unsinnig klingt es nicht. Nicht ihr Mittel der Wahl, aber man kann Tia nicht vorwerfen, dass sie keine Bereitschaft zu konsequentem Handeln zeigen würde. Sie will Connie beeindrucken.

»Oder nehme ihre Familien in Geiselhaft?«, bietet Tia an, sichtlich in der Hoffnung, diesmal richtigzuliegen.

Das Ganze war Ibrahims Idee. Vielleicht nicht unbedingt in genau dieser Form, aber dafür kann ja nun Connie nichts, oder?

Als sie noch in Darwell in Haft saß, bevor der Prozess neu aufgerollt wurde und sie wegen Verfahrensfehlern freikam, hat Ibrahim ihr ein Projekt vorgeschlagen. »Sie müssen der Gesellschaft etwas zurückgeben, Connie«, sagte er. Es folgte eine kurze, aber erregte Debatte, in der er klarstellen musste, dass er damit nicht Geld oder irgendwelche anderen Reichtümer meinte, die sie im Lauf ihrer langen, fruchtbaren Karriere angehäuft hatte. Jemandem helfen, meinte er, der es nicht so gut getroffen hatte wie sie – »nein, nicht finanziell, keine Panik«, – und erklärte ihr, warum er glaubte, dass Connie eine herausragende Mentorin für einige der jüngeren Insassen von Darwell sein könnte. »Lassen Sie sie an Ihrer Weisheit teilhaben«, sagte er, »an den Lektionen, die das Leben Sie gelehrt hat.« Es würde auch ihr guttun, versprach er.

Tia Malone ist Connie in der Kunsttherapie aufgefallen, wo das Mädchen beim Klebstoffstehlen erwischt worden war. Eines Mittags hat sie sie dann angesprochen, und sie haben sich auf Anhieb verstanden. Ibrahim war begeistert von dieser Entwicklung und hat Connie prophezeit, dass ein solches Miteinander ungemein lohnend für sie sein wird.

»Fünfzig Riesen für dich«, sagt Tia. »Und fünfzig für mich.«

Connie schlürft ihren Flat White. Alles in allem war sie sieben Monate in U-Haft nach dieser saudummen Geschichte am Hafen von Fairhaven, mit dem Koks und den ganzen toten Typen, deren Namen sie vergessen hat. Es war nicht so schlimm, wie man meinen sollte. Dank ihrer Beziehungen nach draußen hatte sie als einzige Frau im ganzen Knast eine Pilates-Maschine und ein Streaming-Abo.

»Für fünfzig Riesen nehm ich einmal den Hörer in die Hand«, sagt sie. »Da muss ich mich nicht auf so was einlassen.«

»Bitte«, sagt Tia. »Das wäre so megacool. Und du hast doch gesagt, dass ich meinem Traum folgen soll.«

Das hat sie ihr tatsächlich gesagt, gleich bei der allerersten Sitzung. Sie mag Tia, mag ihren Ehrgeiz. Tia hat ihre Verbrecherlaufbahn damit begonnen, dass sie reichen Touristen im West End ihre Rolex-Uhren abgenommen hat. Sie waren zu viert, alle vier auf Fahrrädern, mit denen sie sich durch den Verkehr schlängelten und ihre Opfer einkreisten. Sobald sie sie umzingelt und die Rolex an sich gebracht hatten, tauchten sie ab in die Seitenstraßen und retteten sich ins sichere Vauxhall, ehe noch die ersten Sirenen ertönten. Tia war das einzige Mädchen der Gang und blieb bei den Überfällen immer stumm, damit niemand dahinterkam. Schließlich wurden sie doch erwischt, als ein Deliveroo-Fahrer, der wohl auf einen Orden oder so was aus war, sie bis in ihre Sozialsiedlung verfolgte und die Cops zu ihrem Verschlag führte. Aber selbst da nahmen die Bullen nur drei Jungen fest und gaben die Suche nach dem vierten, der ums Verrecken nicht zu finden war, irgendwann auf.

»Aber Tia, hundert Riesen!«, sagt Connie. »Was hab ich dir beigebracht? Träum doch nicht solche Popelträume!«

Connie muss zugeben, diese Mentorenarbeit macht Spaß. Tia hat noch eine Weile mit den Fahrradüberfällen weitergemacht, mit drei neuen Jungs jetzt als menschliches Schutzschild, aber sehr bald kam ihr eine Erleuchtung. Die Art Erleuchtung, die Connie zu schätzen weiß.

Darum treffen sie sich weiterhin einmal die Woche, in der Regal in Fairhavens neuestem veganem Café, So–ja!. Inzwischen gibt es in der Stadt mehr vegane als nichtvegane Cafés, aber so gnadenlos die Gentrifizierung Fairhavens auch voranschreitet, kann Connie doch zu ihrer Freude berichten, dass die Nachfrage nach Koks stabil bleibt.

»Hundert Riesen sind poplig?«, fragt Tia, vor sich einen Kokosriegel.

»Sag mir, was du rausgefunden hast«, sagt Connie. »Als ihr die Fahrradüberfälle gemacht habt.«

»Aber du weißt doch, was ich rausgefunden habe«, sagt Tia.

»Klar weiß ich das«, sagt Connie. »Erzähl’s mir trotzdem noch mal.«

Das ist eine Technik, die sie von Ibrahim abgekupfert hat. Ibrahim hat Connie dazu gebracht, sich selbst zuzuhören. Er weiß immer, wo er sie hinsteuern will, aber sie muss den Weg dorthin selbst finden. Wenn man einmal an einen Ort gefunden hat, kann man ihn erreichen, wann immer man möchte. Denkt zumindest Ibrahim, auch wenn es vermutlich Quatsch ist.

»Irgendein Tourist hat in einem Laden eine Rolex gekauft«, beginnt Tia gehorsam. »Einem Juwelierladen in Knightsbridge, auf den wir ein Auge hatten. Und dann sind wir vier ihm gefolgt und haben ihm die Uhr abgenommen und sie vertickt.«

»Und?«, insistiert Connie. Wenn Ibrahim das bei ihr macht, nervt es sie immer, aber wenn sie es selber macht, ist es ganz und gar nicht nervig. Ibrahim ist heute auf einer Hochzeit. Er hat ihr ein Bild geschickt. Von so einer Hochzeit träumt Connie auch. Vielleicht sollte sie da mal etwas nachhelfen. Tinder für Kriminelle, das wär’s. Jeder mit seinem neuesten Fahndungsfoto.

»Und«, sagt Tia, »das haben wir vielleicht fünfzehn, zwanzig Mal gemacht. Mit den Rädern hin, einen Kunden ausgeguckt, ihm die Uhr abgeknöpft, volles Risiko, wieder weg mit den Rädern. Fünfzehn oder zwanzig einzelne Raubüberfälle, fünfzehn oder zwanzig Möglichkeiten, geschnappt zu werden. Super für die Fitness, aber megariskant.«

»Und deshalb dachtest du …?« Ibrahims Kumpel Ron war auch auf dem Foto. Connie musste versprechen, ihn nicht umzubringen, trotz seiner sehr aktiven Rolle bei ihrer Festnahme. Aber da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Rache ist etwas, dem Connie ungern abschwört. Manchmal denkt sie, ohne das Gewicht all ihrer Rachepläne würde sie einfach wegwehen.

Tia verspeist das letzte Stück Kokosriegel. »Deshalb dachte ich irgendwann, na ja, sie kaufen die Uhren ja alle im selben Laden. Warum rauben wir also nicht einfach den Laden aus? Klauen alle fünfzehn Uhren auf einmal? Dieselbe Beute, aber nur einmal das Risiko, erwischt zu werden.«

Connie nickt. Über junge Leute wird jede Menge Blödsinn erzählt, aber Tia denkt auf jeden Fall klar und vernünftig, sie nimmt die Dinge in die Hand. Der letzte Schritt fehlt allerdings noch. Den muss sie aus eigener Kraft gehen.

»Und der Nachteil bei diesem Ansatz?« Ganz ehrlich, manchmal klingt sie genau wie Ibrahim. Letzten Dienstag war sie in einem Meeting, zu dem ein Kokain-Importeur mit einer Kugel im Bein kam, und sie hat ihm doch tatsächlich gesagt: »Der Schmerz vergeht, aber die Lektion, die der Schmerz dir erteilt, bleibt für immer.« Das hat sie Ibrahim lieber nicht erzählt, denn so stolz es ihn machen würde, von ihr zitiert zu werden, steht er ihren Geschäften doch nach wie vor ablehnend gegenüber.

»Mehr Planung im Vorfeld, bessere Sicherungssysteme, die man austricksen muss, längere Ermittlungen nach der Tat«, sagt Tia. »Aber das mag ich. Ich plan total gern. Das ist das, was mir am meisten Spaß macht.«

»Und er hat funktioniert? Der neue Plan?«

»Er hat super funktioniert«, sagt Tia. »Bis wir erwischt worden sind.«

»Aber erwischt worden wärt ihr irgendwann eh«, sagt Connie. »Bei irgendwas. Zu irgendeiner Zeit. Berufsrisiko. Dann doch lieber wegen was, was sich lohnt. Okay, weiter. Was hast du gelernt? Was ist dein neuer Plan?«

»Jetzt habe ich aus meinen Fehlern gelernt«, sagt Tia. »Diesmal weiß ich, wenn der Alarm losgeht, habe ich zwei Minuten. Keine Sekunde länger. Und wenn in der nächsten Vitrine die Kronjuwelen liegen – wenn die zwei Minuten um sind, hau ich ab.«

Connie nickt. »Das hast du gelernt?«

Tia schaut sie an, auf genau die gleiche Art, auf die Connie unzählige Male Ibrahim angeschaut hat. Tia weiß, das hier ist eine Fangfrage. Sie weiß, dass sie etwas anderes gelernt haben sollte, und sie wird helle genug sein, um herauszufinden, was.

»Na ja …« Tia denkt im Schweinsgalopp. Beziehungsweise sie denkt, während sie auf einem unbequemen Öko-Hocker sitzt. »Die Uhren hab ich anfangs alle einzeln geklaut.«

»Hmmm-hmmm«, macht Connie.

»Und dann hab ich irgendwann kapiert, dass sie ja alle im selben Laden gekauft sind, also kann ich einfach hingehen und da fünfzehn auf einmal klauen.«

»Also …?« Eine Mutter schiebt einen Kinderwagen vor dem Fenster des Cafés vorbei und schaut hinein. Was mag sie sehen?, fragt sich Connie. Eine blonde Frau in einem teuren Sportanzug, die mit einem schwarzen Teenager beim Kaffee sitzt? Sie ahnt nicht, dass Connie hier und jetzt, in diesem Café, in diesem Moment, Tias ganzes Leben verändert.

»Also …« Tia spielt auf Zeit.

»Ich hab’s dir gesagt, Tia«, sagt Connie. »Folg deinem Traum. Hunderttausend ist gar nichts.«

»Also …« Tia geht im Geist Antwort um Antwort durch, bis sie endlich die richtige findet. »Wo kriegt der Laden seine Rolexe her?«

Bingo.

Jetzt wird Tia methodisch. »Der Laden in Fairhaven, den ich ausrauben will, hat fünfzehn Rolexe. Aber in Lewes wird es einen Laden geben, der auch fünfzehn hat. Und in Brighton einen mit noch mal fünfzehn. Und die müssen ja alle irgendwo hergekommen sein.«

»Das würde man meinen, ja«, sagt Connie. Kein Wunder, dass Ibrahim seine Arbeit so viel Spaß macht. Dieses Gefühl, wenn man einen Durchbruch erzielt, das hat echt was.

Tia nickt jetzt heftig, denkt mit Feuereifer weiter. »Ein Lagerhaus, irgendwo unten beim Hafen wahrscheinlich, das find ich raus. Und wir erbeuten nicht hunderttausend, sondern eine Million. In einem Aufwasch.«

»Ein Lagerhaus auszurauben ist schwierig«, gibt Connie zu bedenken.

»Leicht auszurauben ist gar nichts«, sagt Tia. »Wenn man also schon was ausraubt …«

»Dann besser was Großes«, vollendet Connie. »Okay, ich bin dabei.«

Tia strahlt und zieht einen Block aus ihrem Rucksack. Connie fasst den Rucksack ins Auge. Den hat Tia garantiert schon seit ihrer Schulzeit. Ist damit zu ihren Prüfungen gegangen, hat ihn lässig baumeln lassen, wenn sie an der Bushaltestelle mit einem Jungen geredet hat. Und schau sie jetzt an.

»Als Erstes brauchen wir Komplizen«, sagt Tia und kritzelt etwas in ihren Block. »Leute, denen wir trauen können.«

Was für ein Gefühl! Connie muss es Ibrahim lassen: Wo er recht hat, hat er recht.

4

Ibrahim tanzt mit Joanna. Er spürt eine Leichtigkeit, eine Anmut in sich, die ihm im wahren Leben abgeht. Treppauf tut ihm alles weh, treppab tut ihm noch mehr weh. Doch hier, auf dem Tanzparkett, inmitten der lauten Musik und der blinkenden Lichter, fühlt er keinerlei Schmerz.

Auch andere tanzen, darunter Patrice und Chris, letzterer so täppisch, wie man es bei ihm erwartet. Donna bugsiert Bogdan auf der Tanzfläche herum, ebenfalls nicht sehr erfolgreich. Bogdan mag vieles sein, Liebhaber, Kämpfer, Maler und Tapezierer, aber ein Tänzer ist er eindeutig nicht.

Dagegen merkt Ibrahim, dass sich um ihn und Joanna ein Kreis gebildet hat. Dass ihnen die anderen beim Tanzen zusehen. Rhythmisches Klatschen begleitet jetzt ihre Schritte.

»Meinst du, es ist zu früh?«, fragt Joanna an seinem Ohr.

»Zu früh?«

»Ich kenne Paul doch erst ein halbes Jahr.«

Ah, darum dieser Tanz. Joanna braucht Ibrahims Rat. Das kann ihm nur recht sein, er tanzt für sein Leben gern, und er gibt für sein Leben gern Ratschläge.

»Und wann hast du dich in ihn verliebt?«

»Vor einem halben Jahr«, sagt Joanna. »Liebe auf den ersten Blick. Ist dir das auch mal passiert?«

»Ja«, sagt Ibrahim.

Madonna singt, Ibrahim spürt den Beat im ganzen Körper. Joanna sagt etwas, und Ibrahim signalisiert ihr, dass er sie nicht verstanden hat.

»Ob du einsam bist«, wiederholt Joanna. Das überrascht ihn nun doch.

»Unter Einsamkeit verstehen die Leute ja ganz unterschiedliche Dinge«, sagt er. Was schließlich stimmt.

»Stimmt«, sagt Joanna. »Aber das beantwortet meine Frage nicht.«

»Ich habe Ron«, sagt Ibrahim. »Ich habe deine Mutter. Manchmal sogar Elizabeth.«

Joanna nickt. Der Kreis um sie ist größer geworden, das Klatschen lauter. Natürlich ist er einsam.

»Also«, sagt Joanna. »Mache ich einen Fehler?«

Ibrahim lächelt. Ausnahmsweise mal keine schwierige Frage.

»Hast du Joyce gefragt, ob ihr zu früh heiratet?«

Joanna schüttelt den Kopf.

»Dann hast du deine Antwort ja schon.«

»Aber ich habe sie doch nicht gefragt.«

»Eben«, sagt Ibrahim. »Die Lösung für jedes Dilemma liegt darin, wen du um Rat fragst.«

Joanna dreht sich unter seinem Arm weg, umfunkelt von Lichtern. Sie dreht sich wieder in seinen Arm hinein.

»Na gut. Weiter, Professor.«

»Du stehst vor einem Dilemma«, sagt Ibrahim. »Ist es zu früh? Hat die Liebe wirklich wie der Blitz eingeschlagen? Weh mir, wo wird mir Antwort? Wo finde ich die Wahrheit? An wen soll ich mich wenden? Wer steht mir bei in dieser Stunde der Not?«

Joanna sieht über Ibrahims Schulter. »Euer Polizistenfreund ist gerade über einen Rollstuhl gefallen.«

Ibrahim dreht sich um. Chris, der, wie sie erfahren haben, zurzeit einen Schusswaffenlehrgang mitmacht, entschuldigt sich überschwänglich. Ibrahim wendet sich wieder Joanna zu. »Du brauchst also einen weisen Ratgeber. Deine Mutter würde sich da anbieten, aber du hast sie nicht gefragt. Was könnte der Grund sein?«

»Na ja, du kennst sie«, sagt Joanna.

»Allerdings«, sagt Ibrahim. »Joyces einziges Ziel im Leben ist dein Glück. Das setzt sie unter beträchtlichen Druck. Weiß der Himmel, was sie dir sagen würde vor lauter Angst, das Falsche zu antworten, dir einen schlechten Rat zu geben. Zu deiner Mutter gehst du also nicht. Und zu deinem Vater kannst du nicht gehen.«

»Richtig«, sagt Joanna.

»Weil er tot ist«, führt Ibrahim aus. »Gestorben.«

Joanna lacht laut auf. »Und dafür zahlen die Leute dir Geld?«

»Aber dein Vater würde dir den besten Rat geben«, fährt Ibrahim fort. »Dein Vater würde die Wahrheit wissen.«

Joanna nickt, den Kopf auf Ibrahims Schulter.

»Und ich bin der Nächstbeste«, sagt Ibrahim. »Alt, allgemein als weise anerkannt, frag, wen du willst, jeder wird dir das Gleiche sagen.«

Joanna lacht wieder. Die Leute lachen zu den unpassendsten Gelegenheiten, das ist Ibrahim im Lauf der Jahre schon oft aufgefallen.

»Du hast also deine Frage: Allmächtiger, ist das alles zu früh, ist Paul wirklich der Richtige für mich? Frage ich meine Mutter, die in Panik geraten wird, oder frage ich meinen Vater, der mir in die Augen schauen und die Wahrheit sehen wird? Ich will meinen Vater fragen, denn ich weiß die Wahrheit ja schon und brauche nur jemanden, der sie auch sieht. Natürlich ist es nicht zu früh. Du hast deine große Liebe gefunden, und du wusstest es so gewiss, wie man es weiß, wenn man einen Diamanten gefunden hat. Oder ein KitKat, bei dem eine Rippe aus reiner Schokolade besteht, was mir einmal passiert ist …«

»Bleib beim Thema, Ibrahim«, sagt Joanna.

»Wenn wir vor einem Dilemma stehen«, sagt Ibrahim, dessen KitKat-Geschichte übrigens wahr ist, aber vielleicht führt sie hier wirklich zu weit, »dann fragen wir die Person, die uns die Antwort geben wird, die wir bereits kennen. Und deshalb hast du mich gefragt. Paul ist wunderbar, du bist wunderbar, dieser Tag ist wunderbar.«

Ihr Tanz kommt zum Ende, so wie jeder Tanz einmal enden muss.

»Wer war deine große Liebe?«, fragt Joanna ihn.

»Ein junger Mann namens Marius«, sagt Ibrahim. »Er ist auch tot, so wie dein Vater.«

Joanna drückt ihn noch etwas fester. »Deshalb hast du so was Einsames. Du wartest darauf, dass du ihn wiedersiehst.«

»Ich sehe ihn jetzt in diesem Moment«, sagt Ibrahim, während »Like a Prayer« langsam ausklingt. »Er saß bei der Trauung neben mir. Aber ich schaue besser mal nach Chris, nicht, dass er sich verletzt hat.«

Joanna zeigt auf den Kreis der Zuschauer. »Ich fürchte, dazu wirst du keine Zeit haben.«

Ibrahim folgt ihrem Blick. Eine Menge Frauen scheinen auf ihn zuzustreben.

Joanna küsst ihn auf die Wange. »Danke.«

Ihr Platz wird augenblicklich von Patrice eingenommen. Sie streckt die Hand nach der von Ibrahim aus.

»Du musst dich aber wirklich nicht verpflichtet fühlen«, baut Ibrahim vor.

»Verpflichtet?«, sagt Patrice. »Ich musste eine von den Brautjungfern aus dem Weg rempeln.«

5

Elizabeth studiert die Fotos auf ihrem Handy. Ein silbernes Auto vor einem sehr edlen Haus. Und etwas, was da nicht sein sollte. Dann mehrere Nahaufnahmen. Äußerst aussagekräftige Nahaufnahmen.

»Glauben Sie mir jetzt?«, fragt Nick.

»O ja«, sagt Elizabeth. An der Unterseite des Wagens ist ein schwarzes Kästchen angebracht. In Großaufnahme sieht es für Elizabeth wie eine erschreckend professionelle Autobombe aus. »Darf ich fragen, wie Sie die überhaupt bemerkt haben?«

»Sicherheitsüberprüfung«, sagt Nick. »Mein Job. Ich habe nach Trackern geschaut.«

»Und wo ist die Bombe jetzt?«

»Jetzt? Ich habe sie da einfach gelassen. In den Restmüll hätte ich sie ja schlecht werfen können.«

»Sie haben sie drangelassen? Sie haben eine scharfe Bombe unter Ihrem Auto gelassen?«

»Ich musste zu einer Hochzeit«, sagt Nick und zeigt über die Schulter.

Elizabeth nickt. »Und wenn sie irgendwann im Lauf des Tages detoniert, wie Bomben das ja manchmal tun sollen, dann darf sie ruhig einen Ihrer Nachbarn töten?«

»Ich wohne in der Hampton Road«, sagt Nick.

Die Hampton Road, na gut. Große Häuser, riesige Grundstücke. Falls die Bombe hochgeht, wird sich höchstens jemand über die Ruhestörung beschweren.

»Außerdem kennen Sie meine Nachbarn nicht.«

»Erzählen Sie mir Ihre Geschichte«, sagt Elizabeth. »Und dann befassen wir uns mit der Bombe.«

Nick setzt zum Sprechen an, aber sein Hirn ist ihm im Weg. Er hat Angst, was bei Elizabeth ein kleines Prickeln auslöst.

Sie sitzt ganz still da und wartet. Es kann ein bisschen dauern, aber wenn man sich lange genug ruhig hält, kommen sie irgendwann. Trotzige Kleinkinder, übermütige Kätzchen, Männer mit Geheimnissen. Wenn sie sich an nichts abarbeiten können, wird ihre nervöse Energie ihnen irgendwann selbst zu dumm, und schon kommen sie an.

»Wir haben es nur zwei Leuten gesagt«, sagt Nick.

»Zwei Leuten was gesagt?«

Nick bläst die Backen auf und wirft einen Blick über die Schulter.

»Erzählen Sie die ganze Geschichte«, befiehlt Elizabeth. »Aber nicht zu lang, das Leben ist kurz. Tut mir leid, wenn ich das so hart sage.«

»Angefangen hat es an der Uni«, sagt Nick. »Paul und ich hatten eine …«

»Nein«, sagt Elizabeth. »Fangen Sie nicht bei der Uni an. Fangen Sie diese Woche an.«

»Um wirklich zu verstehen, was …«, sagt Nick.

»Nein«, sagt Elizabeth, etwas strenger jetzt. Mit Amateuren muss man manchmal streng sein. Die Erfahrung hat sie bei Joyce gemacht, wobei Joyce inzwischen natürlich fast schon ein Profi ist. »Beginnen Sie mit der Überschrift, und von da können wir ins Detail gehen, falls mein Interesse reicht. Sie haben zehn Wörter. Sonst gehe ich wieder rein zur Party. Irgendwann werden sie schon ein Lied spielen, das ich auch kenne.«

»Das überfordert mich gerade irgendwie«, sagt Nick.

»Fünf Wörter sind schon weg.« Elizabeth steht auf.

Nick hält sie am Arm fest. »Die wollen etwas, was wir haben.«

»Schon besser«, sagt Elizabeth und setzt sich wieder. Offenbar ist sie doch nicht mit Stephen gestorben. Sie lebt. Sie schließt die Augen und leistet ihm stumme Abbitte. Ich bin noch hier, Liebster. Noch hier, obwohl du weg bist. Dann muss ich wohl das Beste draus machen.

»Und was haben Sie? Von dem Sie zwei Leuten erzählt haben?«

»Einen Zugangscode«, sagt Nick. »Einen sechsstelligen Zugangscode. Ich habe einen, und meine Geschäftspartnerin hat auch einen.«

»Name der Geschäftspartnerin?«

»Holly. Holly Lewis.«

»Und jemand könnte Ihnen diese Zugangscodes abjagen wollen, die Sie beide haben?«

»Sie sind sehr wertvoll, ja«, sagt Nick. »Also, extrem wertvoll.«

»Und wo ist Ihr Code?«, fragt Elizabeth.

»In meinem Kopf«, sagt Nick.

»Nirgends sonst?«

»Hinterlegt bei einer Anwaltskanzlei mehrere hundert Meilen von hier«, sagt Nick. »Wenn Holly oder ich sterben, bekommt der andere den Code. Aber nicht mal der Anwalt weiß, was er da hat. Der einzige Ort, wo jemand meinen Code finden kann, ist hier oben.« Er zeigt auf seinen Kopf.

»Dann will Sie also jemand um eines Codes willen töten, der nur in Ihrem Kopf existiert? Beziehungsweise der nur in Hollys Kopf existiert?«

»Ja«, sagt Nick. »Ich weiß niemanden, der sonst helfen könnte. Die Polizei kann ich auf gar keinen Fall in die Nähe der Festung lassen.«

»Der Festung?«, fragt Elizabeth. Die Geschichte wird immer wilder. Und doch …

»O Mann«, sagt Nick. »Das klingt so bescheuert, wenn ich es laut sage. Sie müssen mich wirklich am Anfang beginnen lassen. Ich habe eine Firma. Eine Sicherheitsfirma.«

»Eine Sicherheitsfirma, verstehe«, sagt Elizabeth. Das ist nun wirklich interessant. Nur wenig auf der Welt ist gefährlicher als die Sicherheitsbranche.

»Wir sind auf Cold Storage spezialisiert«, sagt Nick. »Wissen Sie, was das ist?«

Das weiß Elizabeth nicht, aber sie muss zugeben, es klingt vielversprechend. »Ich nehme an, da geht es nicht um Kühl-Gefrierkombinationen?«

»Ganz richtig«, sagt Nick. »Holly und ich bewahren dort etwas sehr Wertvolles auf, und Anfang der Woche haben wir zwei Leuten davon erzählt.«

»Ah ja«, sagt Elizabeth.

»Und plötzlich«, sagt Nick, »ist eine Bombe unter meinem Lexus.«

»Wie heißen diese beiden Leute?«

»Kennen Sie einen Davey Noakes?«

»Ich kenne zum Glück überhaupt keinen Davey«, erwidert Elizabeth.

»Ravey Davey, so wurde er genannt. Wenn Sie in den Neunzigern Ecstasy gekauft hätten, wäre er Ihnen bestimmt ein Begriff.«

»Ich werde Ron fragen«, sagt Elizabeth.

»Aber dann wurde ihm das Pflaster zu heiß«, sagt Nick. »Also hat er sich stattdessen auf High-End-Technologie verlegt.«

»Legale High-End-Technologie?«

»Nein.«