Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel & Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt - Richard Osman - E-Book

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel & Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt E-Book

Richard Osman

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Beschreibung

DER DONNERSTAGSMORDCLUB UND DIE VERIRRTE KUGEL Im Puzzlezimmer der luxuriösen Seniorenresidenz Coopers Chase stapeln sich die Akten ungelöster Mordfälle. Und weil Joyce nun einmal ein Faible für Celebritys hat, ermittelt der Donnerstagsmordclub jetzt in dem Fall Bethany Waites. Die junge Journalistin nämlich war die Kollegin des attraktiven Anchormans der Lokalnachrichten und wurde vor fast zehn Jahren ermordet, weil sie den Strippenziehern eines riesigen Steuerbetrugs zu nahegekommen ist. Schneller als den Beteiligten lieb sein kann, wird aus dem cold case ein sehr heißer. Dann verschwindet auch noch Elizabeth und wird vor eine grausame Wahl gestellt: Töten oder getötet werden. Nicht, dass sie als ehemalige Geheimagentin keine Erfahrungen darin hätte, aber der Donnerstagsmordclub wäre nicht der Donnerstagsmordclub, wenn er keinen eleganteren Weg aus dieser Zwickmühle finden würde und ganz nebenbei die Bedrohung für seine Zwecke zu nutzen wüsste.  DER DONNERSTAGSMORDCLUB ODER EIN TEUFEL STIRBT IMMER ZULETZT Das hätten sie sich ja denken können, die Hobbyermittler des Donnerstagsmordclubs. Ein Jahr ohne Mordfall haben sie sich zu Weihnachten gewünscht, doch nur wenig später – dahin der fromme Wunsch. Der Tote: Kuldesh Shamar, ein Antiquitätenhändler, der sich am Morgen nach den Festtagen in seinem Laden einfindet und unglücklicherweise in ein Drogengeschäft verwickelt wird, was er am Abend mit seinem Leben bezahlt. Von dem wertvollen Paket, das er aufbewahren sollte, aber fehlt jede Spur. Nicht unbedingt zur Freude der Beteiligten. Mittendrin in dieser Löwengrube aus Dealern, Fälschern und Betrügern, die dem Paket hinterherjagen, die vier aus Coopers Chase. Und sie sind wütend, denn der Tote war nicht irgendwer, sondern ein alter Freund von Elizabeths Ehemann Stephen. Zieht euch warm an, möchte man den Ganoven da zurufen, aber nicht, weil gerade Winter ist.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel & Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt

Richard Osman ist Autor, Produzent und Fernsehmoderator. Seine Serie über die vier scharfsinnigen und liebenswerten Ermittlerinnen und Ermittler des Donnerstagsmordclubs hat ihn über Nacht zum Aushängeschild des britischen Krimis und Humors gemacht. Für sein Debüt Der Donnerstagsmordclub wurde er bei den British Book Awards 2020 zum »Autor des Jahres« gewählt. Er lebt mit Frau und Katze in London.

DER DONNERSTAGSMORDCLUB UND DIE VERIRRTE KUGEL

Im Puzzlezimmer der luxuriösen Seniorenresidenz Coopers Chase stapeln sich die Akten ungelöster Mordfälle. Und weil Joyce nun einmal ein Faible für Celebritys hat, ermittelt der Donnerstagsmordclub jetzt in dem Fall Bethany Waites. Die junge Journalistin nämlich war die Kollegin des attraktiven Anchormans der Lokalnachrichten und wurde vor fast zehn Jahren ermordet, weil sie den Strippenziehern eines riesigen Steuerbetrugs zu nahegekommen ist. Schneller als den Beteiligten lieb sein kann, wird aus dem cold case ein sehr heißer. Dann verschwindet auch noch Elizabeth und wird vor eine grausame Wahl gestellt: Töten oder getötet werden. Nicht, dass sie als ehemalige Geheimagentin keine Erfahrungen darin hätte, aber der Donnerstagsmordclub wäre nicht der Donnerstagsmordclub, wenn er keinen eleganteren Weg aus dieser Zwickmühle finden würde und ganz nebenbei die Bedrohung für seine Zwecke zu nutzen wüsste. 

DER DONNERSTAGSMORDCLUB ODER EIN TEUFEL STIRBT IMMER ZULETZT

Das hätten sie sich ja denken können, die Hobbyermittler des Donnerstagsmordclubs. Ein Jahr ohne Mordfall haben sie sich zu Weihnachten gewünscht, doch nur wenig später – dahin der fromme Wunsch. Der Tote: Kuldesh Shamar, ein Antiquitätenhändler, der sich am Morgen nach den Festtagen in seinem Laden einfindet und unglücklicherweise in ein Drogengeschäft verwickelt wird, was er am Abend mit seinem Leben bezahlt. Von dem wertvollen Paket, das er aufbewahren sollte, aber fehlt jede Spur. Nicht unbedingt zur Freude der Beteiligten. Mittendrin in dieser Löwengrube aus Dealern, Fälschern und Betrügern, die dem Paket hinterherjagen, die vier aus Coopers Chase. Und sie sind wütend, denn der Tote war nicht irgendwer, sondern ein alter Freund von Elizabeths Ehemann Stephen. Zieht euch warm an, möchte man den Ganoven da zurufen, aber nicht, weil gerade Winter ist.

Richard Osman

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel & Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt

Band 3 und 4 der Bestsellerreihe

Ullstein

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Sonderausgabe im Ullstein E-BookSeptember 2025

© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2025

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Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an [email protected]

Covergestaltung: zero-media.net, München

Autorenfoto: © Conor O'Leary

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ISBN 978-3-8437-3636-7

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2023 / List Verlag

© 2022 by Richard Osman

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel The Bullet That Missed bei Viking, PRH UK

Covergestaltung: Sabine Kwauka, MünchenTitelabbildung: © Florilegius, Look and Learn / Bridgeman Images; © alex74, OA_Creation, ArtMari, Mateusz Atroszko / Shutterstock                                                                E-Book powerded by pepyrusISBN 978-3-8437-2910-9

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt

© Ullstein Buchverlage GmbH, Friedrichstraße 126, 10117 Berlin 2023 / List Verlag

© 2023 by Richard Osman

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel The Last Devil To Die bei Viking, PRH UK

Covergestaltung: Sabine Kwauka Titelabbildung: © Look and Learn; Florilegius / Bridgeman Images; shutterstock / Artur Balytskyi; mountain beetle; ArtMari; Mateusz AtroszkoE-Book powerded by pepyrusISBN 978-3-8437-3056-3

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

Widmung

Motto

Erster Teil Hinter jeder Ecke ein bekanntes Gesicht

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Zweiter Teil Ein Prosit den neuen Freunden

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Dritter Teil Wir müssen euch so viel erzählen!

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Danksagung

Der Donnerstagsmordclub oder Ein Teufel stirbt immer zuletzt

Widmung

Donnerstag, 27. Dezember, 23 Uhr

Erster TeilWorauf wartet ihr noch?

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Zweiter TeilWas immer Sie suchen, hier werden Sie fündig!

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Dritter TeilAm schönsten ist es zu Hause

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Anhang

Danksagung

Anhang

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Cover

Titelseite

Inhalt

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

Der Donnerstagsmordclub und die verirrte Kugel

Widmung

Für Ingrid. Ich habe auf dich gewartet.

Motto

Zum Umkehren ist es zu spät, das steht fest. Jetzt heißt es Nerven bewahren und möglichst nichts falsch machen.

Bethany Waites wiegt die Gewehrkugel in der Hand.

Wer im Leben vorankommen will, muss seine Chancen erkennen. Erkennen, wie rar sie sind, und wenn eine kommt, beherzt zupacken.

»Wir sollten uns treffen und reden. Nur Sie und ich.« Das war der Wortlaut der Mail. Seitdem hat sie ihn im Geist zigmal abgespult. Soll sie? Soll sie nicht?

Eins bleibt noch zu tun, bevor sie ihren Entschluss fasst: Mike eine Nachricht schicken.

Mike kennt die Story, an der sie dran ist. Nicht die Einzelheiten – eine Reporterin muss ihre Geheimnisse hüten –, aber dass es eine brisante Sache ist, weiß er. Er ist für sie da, wenn sie ihn braucht, aber manche Entscheidungen muss man alleine treffen.

Was immer heute Nacht passiert, es wird ihr leidtun, Mike Waghorn zurückzulassen. Er ist ein guter Freund. Warmherzig und witzig. Das macht ihn bei den Zuschauern ja auch so beliebt.

Aber Bethany will höher hinaus. Und das hier könnte ihre Chance sein. Eine gefährliche zwar, aber dennoch.

Sie tippt ihre Nachricht und drückt auf Senden. Heute wird er nicht mehr antworten, nicht um diese Zeit. Was vermutlich ein Glück ist. Sie hört direkt seine Stimme: »Wer simst schon nachts um zehn? Nur irgendwelche Kids oder Stalker.«

Dann also los. Zeit für Bethany, am Glücksrad zu drehen. Wird sie leben, oder wird sie sterben?

Sie gießt sich einen Drink ein und wirft einen abschließenden Blick auf die Kugel.

Auf die Chancen im Leben.

Erster Teil Hinter jeder Ecke ein bekanntes Gesicht

1

»Ich brauch kein Make-up«, sagt Ron. Er hat sich einen extra unbequemen Stuhl ausgesucht, weil Ibrahim gesagt hat, im Fernsehen fläzt man sich nicht.

»So, meinen Sie?«, fragt die Maskenbildnerin, Pauline Jenkins, und bringt aus ihrer Tasche Pinsel und Schminkpaletten zum Vorschein. Sie hat auf dem Tisch im Puz­zlestübchen schon einen Spiegel aufgestellt. Er ist von Glühbirnen umrahmt, deren Licht sich in Paulines baumelnden kirschroten Ohrringen bricht.

Ron spürt einen kleinen Adrenalinschub. So müsste es immer sein. Ein Fernsehauftritt! Aber wo bleiben die anderen? Er hat ihnen gesagt, sie können dazukommen, »falls ihr Lust habt, ist ja keine große Sache«, und er wird am Boden zerstört sein, sollten sie nicht auftauchen.

»Die müssen mich so nehmen, wie ich bin«, sagt er. »Ich hab mir dieses Gesicht verdient. Es erzählt eine Geschichte.«

»Eine Gruselgeschichte, vermute ich mal«, bemerkt Pauline, indem sie erst eine ihrer Farbpaletten mustert und dann Rons Gesicht. Sie wirft ihm eine Kusshand zu.

»Nicht jeder muss ein Adonis sein«, sagt Ron. Seine Freunde wissen, dass das Interview um vier Uhr anfangen soll. Sie werden ihn doch jetzt nicht hängen lassen?

»Da sind wir uns einig, Schätzchen«, sagt Pauline. »Hexen kann ich nämlich auch nicht. Wobei Sie ja mal ganz vorzeigbar waren, stimmt’s? Wenn man den Typ mag.«

Ron schnaubt.

»Und ich mag den Typ, muss ich sagen. Ich fand so was schon immer klasse. Der große Kämpfer für die Arbeiter, das waren Sie doch? Immer an vorderster Front.« Pauline klappt eine Puderdose auf. »Und Sie glauben bis heute dran, oder? Recht den Entrechteten?«

Ron strafft unwillkürlich die Schultern, ein Stier, der in die Arena trabt. »Ob ich noch daran glaube? An Gleichheit? An eine gerechte Entlohnung? Wie heißen Sie?«

»Pauline«, sagt Pauline.

»Ob ich an den Wert der Arbeit und die Würde der Arbeiter glaube, Pauline? Mehr denn je!«

Pauline nickt. »Schön, schön. Dann halten Sie jetzt fünf Minuten die Klappe und lassen mich die Arbeit machen, für die ich bezahlt werde, nämlich die Zuschauer von South East Tonight daran zu erinnern, wie gut Sie mal aussahen.«

Rons Mund öffnet sich, aber es kommen, ganz untypisch für ihn, keine Worte. Pauline derweil rückt ihm mit der Puderquaste zu Leibe. »Würde der Arbeiter, schön wär’s. Aber Augen haben Sie! Wie Che Guevara, wenn er Werftarbeiter gewesen wäre.«

Im Schminkspiegel sieht Ron die Tür zum Puzzlestübchen aufgehen. Herein kommt Joyce. Er wusste ja, dass sie ihn nicht im Stich lassen würde. Schon weil sie weiß, dass Mike Waghorn da sein wird. Diese ganze Sache war streng genommen ihre Idee. Sie hat die Akte ausgesucht.

Und eine neue Strickjacke trägt sie! Natürlich. Er hätte sich Sorgen gemacht, wenn nicht.

»Hattest du nicht gesagt, du lässt dich nicht schminken, Ron?«, fragt Joyce.

»Die zwingen dich«, sagt Ron. »Das ist Pauline.«

»Hallo, Pauline«, sagt Joyce. »Da haben Sie sich ja ordentlich was vorgenommen.«

»Ich hab schon Schlimmeres gesehen«, sagt Pauline. »Ich war Maskenbildnerin bei Casualty.«

Wieder öffnet sich die Tür. Eine Kamerafrau kommt herein, gefolgt von einem Tontechniker, der seinerseits gefolgt wird von einem Schopf blitzweißen Haars, dem vornehmen Rascheln teuren Anzugstoffs und dem perfekt abgestimmten, dezent maskulinen Duft von Mike Waghorn. Ron sieht Joyce erröten. Wenn er nicht gerade Concealer aufgetragen bekäme, würde er mit den Augen rollen.

»Da wären wir also«, sagt Mike mit einem Lächeln, das mindestens so blitzt wie sein Haar. »Mike Waghorn. Der Eine, Einzige, lassen Sie sich mit nichts anderem abspeisen.«

»Ron Ritchie«, sagt Ron.

»Ich hätte Sie unter Tausenden erkannt, Mr Ritchie«, behauptet Mike und schüttelt ihm die Hand. »Kein bisschen verändert seit damals. Als wäre ich auf einer Safari und würde einen Löwen aus der Nähe sehen. Er hat doch entschieden was von einem Löwen, oder, Pauline?«

»Und sei’s nur der Raubtiergeruch«, stimmt Pauline zu, während sie Ron die Wangen pudert.

Ron sieht, wie Mike den Kopf langsam Joyce zuwendet, sieht seinen Blick über die neue Strickjacke gleiten. »Und darf man erfahren, wer Sie sind?«

»Joyce Meadowcroft.« Meine Güte, sie knickst ja fast!

»Was für ein hübscher Name«, sagt Mike. »Und Sie und der unvergleichliche Mr Ritchie sind ein Paar, nehme ich an?«

»O Gott, nein, was für ein Gedanke, Himmel, nein. Nein«, stammelt Joyce. »Wir sind nur Freunde. Nichts für ungut, Ron.«

»Freunde, soso«, sagt Mike. »Glücklicher Ron.«

»Lass diese plumpe Anmache, Mike«, befiehlt Pauline. »Das interessiert hier keinen.«

»Oh, Joyce wäre schon interessiert«, murmelt Ron.

»Aber ja«, sagt Joyce. Zu sich selbst, aber doch hörbar.

Ein weiteres Mal öffnet sich die Tür, und Ibrahim steckt den Kopf herein. Der Gute! Jetzt fehlt nur noch Elizabeth. »Komme ich zu spät?«

»Du kommst genau richtig«, sagt Joyce.

Der Tontechniker befestigt ein Mikrofon an Rons Revers. Auf Joyces Drängen hin hat Ron sich ein Sakko über sein West-Ham-Shirt gezogen. Völlig überflüssig aus seiner Sicht. Wenn nicht sogar ein Frevel. Ibrahim nimmt neben Joyce Platz und mustert Mike Waghorn.

»Sie sehen wirklich gut aus, Mr Waghorn. Im klassischen Sinne.«

»Danke«, sagt Mike mit zustimmendem Nicken. »Ich spiele Squash, ich achte auf reichlich Feuchtigkeitszufuhr, und der Rest ist Natur.«

»Plus circa ein Tausender wöchentlich an Make-up«, sagt Pauline, während sie letzte Hand an Ron legt.

»Mir sagt man auch oft, dass ich gut aussehend bin«, bemerkt Ibrahim. »Wenn mein Leben nur ein wenig anders verlaufen wäre, denke ich manchmal, wäre ich vielleicht auch Nachrichtensprecher geworden.«

»Ich bin kein Nachrichtensprecher«, sagt Mike. »Ich bin ein Journalist, der unter anderem Nachrichten spricht.«

Ibrahim nickt. »Ein wacher Geist. Mit einer ausgezeichneten Witterung für Geschichten.«

»Darum bin ich hier«, sagt Mike. »Ich habe die E-Mail gelesen und sofort eine Geschichte gewittert. Ein neues Lebensmodell, Seniorensiedlungen, und mittendrin das berühmte Gesicht des Ron Ritchie. Ja, dachte ich, das ist genau das, was die Zuschauer lieben.«

Ein paar Wochen hat Ruhe geherrscht, aber jetzt kommt das Quartett wieder in die Gänge, sehr zu Rons Freude. Das Interview ist nichts als ein Vorwand. Von Joyce eingefädelt, um Mike Waghorn nach Coopers Chase zu locken. Weil sie sich von ihm Hilfe bei ihrem Fall versprechen. Joyce hat einen der Produzenten angemailt. So oder so ist die Konsequenz, dass Ron einmal wieder im Fernsehen auftritt, und das macht ihn sehr glücklich.

»Dürfen wir Sie nachher zum Essen einladen, Mr Waghorn?«, fragt Joyce. »Wir haben für halb sechs einen Tisch reserviert. Wenn der erste Ansturm vorbei ist.«

»Nennen Sie mich doch bitte Mike«, sagt Mike. »Und tut mir leid, aber da muss ich Nein sagen. Ich versuche, möglichst wenig unter Menschen zu gehen. Privatsphäre, Bazillen, all das. Das verstehen Sie doch sicher?«

»Oh«, sagt Joyce. Ron kann ihr die Enttäuschung ansehen. Falls es irgendwo in Kent oder Sussex einen größeren Mike-Waghorn-Fan als Joyce gibt, muss Ron ihn erst noch kennenlernen. Wobei er nicht sicher ist, ob er ihn kennenlernen möchte.

»Bei uns wird meistens recht viel getrunken«, ermuntert Ibrahim Mike. »Und es dürften so einige Fans von Ihnen da sein.«

Sie warten, während das auf Mike einwirkt.

»Und wir können Ihnen alles über den Donnerstagsmordclub erzählen«, fügt Joyce dann hinzu.

»Den Donnerstagsmordclub?«, fragt Mike. »Das haben Sie sich jetzt ausgedacht.«

»Alles ist ausgedacht, wenn Sie näher darüber nachdenken«, kontert Ibrahim. »Der Alkohol geht hier übrigens aufs Haus. Die Gelder dafür sollten eigentlich gestrichen werden, aber wir haben eine Versammlung einberufen und die Herrschaften zur Einsicht gebracht. Halb acht, und Sie sitzen wieder im Auto.«

Mike sieht auf die Uhr, sieht dann zu Pauline. »Ein schnelles Abendessen wäre wahrscheinlich noch drin, oder?«

Pauline schaut Ron an. »Kommen Sie auch?«

Ron sieht zu Joyce hinüber, die vehement nickt. »Sieht ganz so aus.«

»Dann bleiben wir«, entscheidet Pauline.

»Sehr gut«, sagt Ibrahim. »Es gibt da etwas, was wir gern mit Ihnen besprechen würden, Mike.«

»Nämlich?«, fragt Mike.

»Alles zu seiner Zeit«, wehrt Ibrahim ab. »Ich will Ron nicht die Schau stehlen.«

Mike nimmt in dem Sessel gegenüber von Ron Platz und beginnt, bis zehn zu zählen. Ibrahim beugt sich zu Joyce vor.

»Er testet das Mikrofon.«

»Das habe ich mir jetzt fast gedacht«, sagt Joyce, und als Ibrahim nickt: »Danke, dass du ihn zum Bleiben überredet hast – man weiß schließlich nie, nicht wahr?«

»Man weiß nie, Joyce, ganz recht. Vielleicht heiratet ihr zwei, ehe das Jahr um ist. Und selbst wenn nicht, was ein Ausgang ist, für den wir uns wappnen müssen, kann er uns bestimmt etliches zu Bethany Waites sagen.«

Die Tür geht erneut auf, diesmal, um Elizabeth einzulassen. Damit ist die Gang vollzählig. Ron versucht, seine Rührung zu überspielen. Das letzte Mal, dass er eine solche Truppe hinter sich wusste, war beim Streik der Druckereiarbeiter in Wapping, und da wurden sie von den Einsatzschilden der Polizei krankenhausreif gequetscht. Selige Zeiten.

»Lasst euch gar nicht stören«, sagt Elizabeth. »Du siehst so anders aus, Ron, woran liegt das? Du wirkst so … gesund.«

Ron grunzt, aber er sieht Pauline lächeln. Sie hat ein umwerfendes Lächeln, das muss man sagen. Ist Pauline noch in seiner Liga? Ende sechzig, vielleicht eine Spur jung für ihn? In welcher Liga spielt er dieser Tage? Es ist lange her, dass er sich diese Frage gestellt hat. Trotzdem – was für ein Lächeln!

2

Einen millionenschweren Drogenring von einer Gefängniszelle aus zu leiten, kann mühsam sein. Aber unmöglich, das weiß Connie Johnson inzwischen, ist es nicht.

Das Personal frisst ihr großteils aus der Hand, kein Wunder, bei den Summen, die sie springen lässt. Ein paar Wärter allerdings spuren nach wie vor nicht so ganz, und Connie musste diese Woche schon zwei eingeschleuste SIM-Karten verschlucken.

Die Diamanten, die Morde, die Tasche mit dem Koks: Man hat sie gründlich gelinkt, und ihr Gerichtstermin ist in zwei Monaten angesetzt. Bis dahin will sie das Geschäft unbedingt am Laufen halten.

Vielleicht wird sie für schuldig befunden werden, vielleicht auch nicht, aber Connie geht im Zweifel lieber vom Besten als vom Schlechtesten aus: der Schlüssel zum Erfolg, ihrer Mutter zufolge – die wenig später leider von einem unversicherten Transporter überfahren wurde und starb.

Aber vor allem ist es gut, beschäftigt zu sein. Feste Abläufe sind das A und O im Gefängnis. Feste Abläufe und Dinge, auf die man sich freuen kann, und Connie freut sich schon jetzt darauf, Bogdan zu töten. Er hat sie hier reingebracht, also muss er dran glauben, da können seine Augen noch so sehr Bergseen ähneln.

Und dieser Alte. Der sie mit Bogdan in die Falle gelockt hat. Sie hat sich umgehört und erfahren, dass sein Name Ron Ritchie ist. Der wird auch dran glauben müssen. Sie wird warten bis nach dem Prozess – Geschworene mögen es nicht, wenn Zeugen ermordet werden –, aber dann sind sie alle beide dran.

Ein Blick auf ihr Handy zeigt ihr, dass einer der Männer aus der Gefängnisverwaltung auf Tinder ist. Er hat schütteres Haar und steht neben einem Volvo, auch das noch, aber sie wischt trotzdem nach rechts, schließlich kann man nie wissen, wen man wann brauchen kann. Sie sieht gleich, dass sie ein Match sind – quelle surprise!

Connie hat sich über Ron Ritchie schlaugemacht. Anscheinend war er mal berühmt, damals in den Siebzigern und Achtzigern. Sie betrachtet sein Bild auf ihrem Handy, Gesicht eines glücklosen Boxers, Megafon am Mund. Sichtlich ein Mann, der gern im Rampenlicht stand.

Du hast Glück, Ron Ritchie, denkt Connie. Wenn ich mit dir fertig bin, stehst du wieder in den Schlagzeilen.

Eins ist sicher, Connie wird alles daransetzen, so kurz wie nur möglich in Haft zu bleiben. Und sobald sie draußen ist, wird das Blut fließen.

Manchmal braucht man einfach Geduld im Leben. Durch ihr vergittertes Fenster sieht Connie hinaus auf den Gefängnishof und die Hügel dahinter. Sie schaltet ihre Nespresso-Maschine an.

3

Sie sitzen mit Mike und Pauline beim Essen.

Ibrahim liebt es, wenn die ganze Truppe beisammen ist. Beisammen und mit einer Mission, die sie antreibt. Joyce wollte unbedingt, dass sie sich den Fall Bethany Waites vornehmen. Ibrahim hat gleich zugestimmt. Nicht zuletzt deshalb, weil es ein interessanter Fall ist. Ein ungelöster Fall. Aber hauptsächlich, weil er sein Herz an Joyces neuen Hund verloren hat, Alan, und befürchtet, wenn er sie verärgert, setzt sie ihn auf Alan-Entzug.

»Möchten Sie einen Schluck Roten, Mike?«, fragt Ron, die Flasche schon in der Hand.

»Was für einer ist es?«, will Mike wissen.

»Wie?«

»Was für ein Wein ist das?«

Ron zuckt die Achseln. »Ein Roter, keine Ahnung woher.«

»Na gut, leben wir heute mal wild und gefährlich«, sagt Mike und lässt sich von Ron einschenken.

Sie brennen alle darauf, Mike Waghorn zu dem Mord an Bethany Waites zu befragen. Sie erwarten sich von ihm Informationen, die in den offiziellen Akten nicht zu finden sind. Mike ahnt davon freilich noch nichts. Er gönnt sich einfach ein Gläschen Gratiswein mit vier harmlosen Rentnern.

Ibrahim wird sich bremsen, bevor er die Sprache auf den Mord bringt, denn er weiß, was Joyce diese Begegnung mit Mike Waghorn bedeutet und wie viele eigene Fragen sie an ihn hat. Sie hat sie alle in einem Büchlein notiert, das aufgeschlagen in ihrer Handtasche liegt, sollte ihr eine entfallen.

Nun da Mike ein Glas Rotwein undefinierter Herkunft vor sich stehen hat, hält Joyce den Zeitpunkt offenbar für gekommen. »Wenn Sie die Nachrichten sprechen, Mike, ist der Text dann vorgegeben, oder dürfen Sie auch eigene Formulierungen verwenden?«

»Das ist eine ausgezeichnete Frage«, sagt Mike. »Scharfsinnig und auf den Punkt. Der Text ist vorgegeben, aber ich weiche durchaus manchmal von ihm ab.«

»Das haben Sie sich über die Jahre aber auch verdient«, versichert ihm Joyce – exakt Mikes Meinung.

»Hat mir allerdings auch schon einigen Ärger eingebrockt«, schränkt er ein. »Unter anderem ein Sensitivity-Training in Thanet.«

»Das ehrt Sie«, sagt Elizabeth trocken.

Ibrahim sieht, wie Joyce einen Blick in ihre Handtasche stiehlt.

»Tragen Sie manchmal irgendwelche besonderen Kleidungsstücke, wenn Sie die Nachrichten sprechen?«, fährt sie fort. »Besondere Socken oder so was?«

»Nein«, erwidert Mike. Joyce nickt, leicht enttäuscht, und linst wieder in ihre Tasche.

»Was passiert, wenn Sie während der Sendung zur Toi­lette müssen?«

»Also wirklich, Joyce«, sagt Elizabeth.

»Ich gehe vor der Sendung«, antwortet Mike.

So spannend das ist, fragt sich Ibrahim doch, ob es nicht Zeit wird, zur Sache zu kommen. »Hören Sie, Mike, wir hätten da ein …«

Joyce legt ihm die Hand auf den Arm. »Entschuldige, Ibrahim, nur ganz kurz noch. Wie ist Amber privat?«

»Wer ist Amber?«, fragt Ron.

»Mikes Co-Moderatorin«, sagt Joyce. »Ernsthaft, Ron, du blamierst dich hier.«

»Das kommt bei mir öfter vor«, sagt Ron. Er sagt es direkt zu Pauline, die sich für Ibrahims Empfinden etwas sehr zielstrebig neben Ron gesetzt hat. Für gewöhnlich sitzt Ibrahim neben Ron. Aber gut …

»Sie ist zwar erst drei Jahre dabei, aber ich fange schon an, sie zu mögen«, sagt Joyce.

»Sie ist großartig«, sagt Mike. »Geht etwas viel ins Fitnessstudio, aber eine prima Partnerin.«

»Und so schöne Haare!«, sagt Joyce.

»Joyce, Sie sollten Nachrichtensprecherinnen nach ihren journalistischen Fähigkeiten beurteilen«, sagt Mike. »Nicht nach ihrem Äußeren. Gerade weibliche Mitglieder unserer Zunft haben unter dieser Einstellung oft zu leiden.«

Joyce nickt, trinkt ein halbes Glas Weißwein hinunter und nickt noch einmal. »Ich weiß, was Sie meinen, Mike. Ich bin nur der Meinung, dass sich Talent und schöne Haare nicht ausschließen müssen. Das ist vielleicht oberflächlich von mir, aber mir ist beides wichtig. Denken Sie an Claudia Winkleman. Und Sie haben auch tolles Haar.«

»Für mich bitte das Steak«, sagt Mike zu dem Kellner, der nun ihre Bestellung aufnimmt. »Rare bis medium rare, Tendenz eher rare. Wobei ich Tendenz medium rare auch überleben würde.«

»Ich habe gelesen, dass Sie Buddhist sind, Mike?« Ibrahim hat den Vormittag mit Recherchen über ihren Gast zugebracht.

»Bin ich«, sagt Mike. »Seit über dreißig Jahren.«

»Ah«, sagt Ibrahim. »Ist man als Buddhist nicht eigentlich Vegetarier? Das dachte ich zumindest immer.«

»Ich bin auch Church of England«, sagt Mike. »Also entscheide ich von Fall zu Fall. Das ist das Schöne am Buddhismus.«

»Wieder etwas dazugelernt«, sagt Ibrahim.

Mike ist beim zweiten Glas Rotwein und scheint nur zu bereit, Hof zu halten. Die perfekte Ausgangssituation.

»Na, dann erzählen Sie mir von diesem Donnerstagsmordclub«, sagt er.

»Wir machen das nicht so publik«, sagt Ibrahim. »Aber wir treffen uns einmal die Woche, wir vier, und gehen alte Polizeiakten durch. Versuchen, bei Fällen weiterzukommen, bei denen die Polizei die Waffen gestreckt hat.«

»Klingt nach einem netten Hobby«, sagt Mike. »Alten Mordfällen nachspüren. Hält die kleinen grauen Zellen fit. Ron, gibt's eventuell noch ein Fläschchen von diesem Rotwein?«

»In letzter Zeit waren es hauptsächlich aktuelle Morde«, legt Elizabeth nach.

Mike lacht. Er glaubt offenbar, dass Elizabeth Scherze macht. Was wahrscheinlich nur gut ist. Sie wollen ihn ja nicht gleich verschrecken.

»Das heißt, Ihnen ist es ganz recht, wenn es ab und zu ein bisschen rundgeht?«, witzelt er.

»Wo ich bin, geht es immer rund«, prahlt Ron.

Pauline schenkt ihm nach. »Na, dann halten Sie sich ab jetzt gut fest, Ron.«

Ibrahim sieht, wie Joyce bei dieser Ansage kaum sichtbar in sich hineinlächelt. Hmm. Ehe sie die Sprache sanft, aber unaufhaltsam auf Bethany Waites bringen, will er auch etwas wissen, beschließt er. Er wendet sich an Pauline.

»Sind Sie verheiratet, Pauline?«, erkundigt er sich.

»Verwitwet«, antwortet Pauline.

»Bingo!«, ruft Joyce. Die heutige Kombination von Wein und Promis steigt ihr offenbar etwas zu Kopf.

»Wie lange sind Sie schon allein«, fragt Elizabeth.

»Sechs Monate«, sagt Pauline.

»Sechs Monate? Das ist gar nichts.« Joyce legt ihre Hand auf die von Pauline. »Nach sechs Monaten hab ich meinem Mann immer noch eine Scheibe Toast mitgetoastet.«

Ist der Zeitpunkt jetzt da? Wagen wir’s, denkt Ibrahim. Ein paar kleine, subtile Weichenstellungen in der Konversation, sodass sie sich Bethany Waites zuwendet. Ein ausgetüftelter Tanz mit Ibrahim als Chefchoreografen. Er hat sich den ersten Schritt schon zurechtgelegt. »Hören Sie, Mike, ich habe mich gefragt, ob Sie …«

»Ich geb euch mal einen Tipp.« Mike gestikuliert mit seinem Weinglas, ohne auf Ibrahim zu achten. »Wenn ihr einen Mordfall zum Aufklären sucht, hab ich einen Namen für euch.«

»Ach ja?«, fragt Joyce.

»Bethany Waites«, sagt Mike.

Sie haben ihn an Bord. Der Donnerstagsmordclub bekommt immer, was er will. Nicht zum ersten Mal fällt Ibrahim auf, dass die Leute ihnen oft äußerst willig ins Netz gehen.

Mike erzählt genau die Geschichte, die sie schon aus der Polizeiakte kennen. Sie nicken brav und tun so, als wäre ihnen das alles neu. Die begabte junge Reporterin Bethany Waites. Der Skandal, dem sie auf der Spur war, der große Mehrwertsteuerbetrug, gefolgt von ihrem unerklärlichen Tod. Das Auto, das tiefnachts vom Shakespeare Cliff stürzte. Aber nichts, was sie nicht schon wissen. Momentan zeigt Mike ihnen die letzte Nachricht, die Bethany ihm geschickt hat, am Abend bevor sie starb. Ich sage das nicht oft genug, Mike: Danke. Anrührend, sicher. Aber eine Neuigkeit ist auch das nicht. Bisher ist die größte Erkenntnis des Abends, dass Mike Waghorn zur Toilette geht, bevor er auf Sendung ist. Ibrahim holt noch einmal weiter aus.

»Was ist mit Nachrichten aus den Wochen zuvor? Gab es da irgendetwas Ungewöhnliches? Etwas, das die Polizei nicht gesehen hat?«

Mike scrollt durch seine Nachrichten und liest ein paar von den Highlights vor. »Ob ich mit ihr ein Bier trinken gehe. Ob ich Line of Duty gesehen habe. Hier ist eine über die Sache, an der sie dran war, aber von zwei Wochen vorher. Interessiert Sie das?«

»Jeder Hinweis kann hilfreich sein«, sagt Elizabeth und gießt Mike noch ein Glas ein.

Mike liest von seinem Display:

»Skipper … so hat sie mich immer genannt.«

»Unter anderem«, ergänzt Pauline.

»Neue Info bekommen. Nur so viel, es ist absolutes Dynamit. Langsam nimmt die Sache Formen an.«

Elizabeth nickt. »Und hat sie Ihnen je gesagt, worin die neue Information bestand?«

»Nein«, sagt Mike. »Wissen Sie was, dieser Rote schmeckt gar nicht schlecht.«

4

Police Constable Donna De Freitas fühlt sich, als hätte sie soeben die Wolkendecke durchstoßen.

Sie ist durchströmt von einer Wärme, durchpulst von einer Wohligkeit, tief vertraut beides und zugleich ganz und gar neu. Sie möchte weinen vor Glück und lachen vor unkomplizierter Lebensfreude. Falls sie je glücklicher war, fällt es ihr zumindest nicht ein. Wenn die Engel diesen Moment wählen würden, um sie gen Himmel zu tragen – und nach ihrer Herzfrequenz zu urteilen, besteht die Möglichkeit durchaus –, dann würde sie willig mitkommen, dankbar für das erfüllte Leben, das ihr vergönnt war.

»Wie war es?«, fragt Bogdan und streichelt ihr übers Haar.

»Ganz gut«, sagt Donna. »Für ein erstes Mal.«

Bogdan nickt. »Ich glaube, ich könnte vielleicht besser sein.«

Donna vergräbt das Gesicht an Bogdans Brust.

»Weinst du?«, fragt Bogdan. Donna schüttelt den Kopf, ohne ihn zu heben. Wo ist der Haken bei dieser Sache? Vielleicht ist es ja ein One-Night-Stand? Ist das Bogdans Stil? Er hat so etwas Einzelgängerisches. Wie, wenn er gefühlskalt ist? Wenn er sich schon morgen eine andere ins Bett holt? Weiß und blond und zweiundzwanzig?

Was denkt er jetzt wohl? Das ist die eine Frage, die sie einem Mann wohlweislich nie stellt. Männer denken in der Regel gar nichts, weshalb die Frage sie überfordert, und dann glauben sie, etwas erfinden zu müssen. Trotzdem wüsste sie es nur zu gern. Was geht hinter diesen blauen Augen vor sich? Augen, die einen an die Wand nageln könnten. Ein so reines Blau wie von … Moment mal. Weint er jetzt?

Bestürzt setzt Donna sich auf. »Weinst du?«

Bogdan nickt.

»Warum denn? Was ist passiert?«

Durch seine sanften Tränen sieht Bogdan sie an. »Ich freue mich nur so, dass du hier bist.«

Donna küsst ihm eine Träne von der Backe. »Hat dich schon mal irgendwer weinen sehen?«

»Ein Zahnarzt einmal«, sagt Bogdan. »Und meine Mutter. Können wir uns wieder treffen?«

»Oh, ich denke schon, du?«, sagt Donna.

»Ich denke auch«, nickt Bogdan.

Donna schmiegt den Kopf wieder an seine Brust, auf das Tattoo eines mit Stacheldraht umwickelten Messers. »Aber vielleicht machen wir nächstes Mal lieber was anderes als Chicken Wings und Laser Quest.«

»’kay«, sagt Bogdan. »Vielleicht, wenn nächstes Mal ich aussuche?«

»Ja, das ist vielleicht schlauer«, stimmt Donna zu. »Aber Spaß hat’s dir schon gemacht, oder?«

»Doch, ich mag Laser Quest.«

»Das hat man gemerkt«, sagt Donna. »Die Kids von diesem Kindergeburtstag wussten gar nicht, wie ihnen geschah.«

»Es ist eine gute Lehre für sie«, sagt Bogdan. »Kämpfen ist vor allem Verstecken. Besser, sie lernen das früh.«

Donna sieht hinüber zu Bogdans Nachttisch. Neben einer Dose Sprite liegen eine Hantel und die Plastik-Goldmedaille, die er beim Laser Quest gewonnen hat. Wen hat sie sich hier geangelt? Einen, der sucht, wie sie selbst?

»Kennst du das, wenn man sich anders fühlt als alle anderen, Bogdan? So als würde man draußen stehen und zu ihnen reinschauen?«

»Na ja, Englisch ist meine Zweitsprache«, sagt Bogdan. »Und ich verstehe Kricket nicht. Fühlst du dich anders?«

»Ja, sicher«, sagt Donna. »Dafür sorgen die Leute hier.«

»Aber manchmal magst du es auch, dich anders zu fühlen, ja? Manchmal ist es auch gut?«

»Klar, manchmal schon. Aber ich würde mir das lieber selbst aussuchen. An den meisten Tagen möchte ich einfach nur ganz normal dazugehören, aber diese Chance kriege ich in Fairhaven nicht.«

»Jeder will sich besonders fühlen, aber niemand will sich anders fühlen«, konstatiert Bogdan.

Was für Schultern! Zwei Fragen drängen sich Donna auf: Sind polnische Hochzeiten so wie englische Hochzeiten? Und wäre es in Ordnung, wenn sie sich einfach umdreht und einschläft?

»Darf ich dich etwas fragen, Donna?« Bogdan klingt plötzlich todernst.

Oh-oh.

»Logisch«, sagt Donna. »Alles, was du willst.« Immer im Rahmen natürlich.

»Wenn du jemand umbringen müsstest, wie würdest du es machen?«

»Hypothetisch?«, fragt Donna.

»Nein, echt«, sagt Bogdan. »Wir sind keine Kinder. Du bist Polizistin. Wie würdest du es machen? Dass du nicht erwischt wirst.«

Hmm. Ist dies Bogdans dunkle Seite? Ist er ein Serienkiller? Das wäre nicht ganz leicht zu ignorieren. Unmöglich allerdings nicht, bei den Schultern.

»Was soll das?«, fragt Donna. »Warum fragst du das?«

»Meine Hausaufgabe von Elizabeth. Sie will meine Gedanken wissen.«

Okay, das klingt plausibel. Welche Erleichterung. Bog­dan ist kein mordender Psychopath, Elizabeth ist es. »Gift, vermute ich mal«, sagt Donna. »Irgendwas, was man nicht nachweisen kann.«

»Dass es natürlich aussieht, ja«, stimmt Bogdan bei. »Nicht wie Mord.«

»Oder ihn mit dem Auto rammen, irgendwann nachts«, überlegt Donna. »Auf keinen Fall mit direkter Berührung, darüber kriegt die Spurensicherung dich. Oder erschießen, sauber und schnell, ein Schuss, peng, und dann weg, irgendwo, wo es keine Kameras gibt. Und der Fluchtweg muss natürlich geplant sein, das ist ganz wichtig. Keine Spuren, keine Zeugen, keine Leiche, die man loswerden muss, so würde ich das machen. Handy ausgeschaltet oder irgendwo in einem Taxi vergessen, Meilen entfernt vom Tatort. Man könnte auch eine Krankenschwester bestechen, sich ein paar Ampullen mit Blut von Fremden beschaffen, das man auf dem Leichnam verteilt. Oder …«

Sie spürt Bogdans Blick. Hat sie es vielleicht etwas übertrieben mit der Mitteilsamkeit? Zeit, die Unterhaltung ein Stück voranzubringen.

»Wozu will Elizabeth das wissen?«

»Sie sagt, jemand wurde ermordet.«

»Was sonst«, kommentiert Donna.

»Aber in einem Auto ermordet. Über die Felskante gestoßen. Wäre nicht meine Art, Leute zu ermorden.«

»Im Auto über eine Felskante? Na gut, vorstellen kann ich’s mir«, sagt Donna. »Warum interessiert sich Elizabeth dafür?«

Bogdan zuckt die Achseln. »Weil Joyce jemand aus dem Fernsehen kennenlernen wollte, glaube ich. Ich hab’s nicht richtig verstanden.«

Donna nickt – so kennt sie die vier. »Waren an der Leiche irgendwelche Spuren festzustellen? Die beispielsweise darauf hindeuten, dass die Person ermordet wurde, bevor der Wagen über die Kante gestürzt ist?«

»Keine Leiche, nur ein paar Kleider und Blut. Die Leiche ist aus dem Auto geflogen.«

»Wie praktisch für den Mörder.« Für Donna ist diese Art von postkoitalem Geplauder etwas ganz Neues. Normalerweise erzählen ihr die Typen von ihrem Motorrad oder von ihrer Ex, die sie, wie sie ganz plötzlich erkannt haben, immer noch lieben. Oder sie müssen von Donna aufgebaut werden. »Aufsehenerregend immerhin. Falls der Mörder damit jemandem eine Botschaft zukommen lassen wollte. Schwer zu ignorieren.«

»Ich finde es zu kompliziert«, sagt Bogdan. »Für Mord. Im Auto über eine Felskante, ich meine …«

»Bist du neuerdings Mordexperte?«

»Ich lese viel«, sagt Bogdan.

»Was ist dein Lieblingsbuch?«

»Der kleine Samthase«, sagt er. »Oder die Autobiografie von Andre Agassi.«

Vielleicht könnte Bogdan ja Carl umbringen, ihren Ex? Was Carl betrifft, hat sie nicht selten Mordfantasien. Wenn Bodgan beispielsweise Carls blöden Mazda über eine Felskante stieße? Aber während ihr dieser Gedanke noch durch den Kopf schießt, begreift sie, sich rekelnd wie eine Katze in einem Sonnenfleck, dass ihr Carl nicht mehr wichtig ist. Beweis ein bisschen Größe, Donna. Lass Carl leben.

»Sie hätte auch mich und Chris um Hilfe bitten können«, sagt sie. »Wir hätten uns die Sache ansehen können. Weißt du den Namen?«

Bogdan zuckt die Achseln. »Bethany irgendwas. Aber sie machen diese Sachen gern für sich allein.«

»Das kannst du laut sagen«, bestätigt Donna und schlingt die Arme um Bogdans immensen Brustkasten. Selten hat sie sich so beglückend zwergenhaft gefühlt. »Schön ist das, mit dir über Morde zu reden, Bogdan.«

»Ich finde es auch schön, mit dir über Morde zu reden, Donna. Ich glaube nur nicht, dass es Mord war. Zu bequem.«

Donna sieht ein weiteres Mal auf, in diese Augen. »Bogdan, versprichst du hoch und heilig, dass das nicht das letzte Mal ist, dass wir miteinander ins Bett sind? Ich würde jetzt nämlich wahnsinnig gern ein bisschen schlafen, und dann mit dir aufwachen und gleich wieder Sex haben.«

»Ich verspreche es«, sagt Bogdan und streichelt ihr Haar.

So sollte man immer einschlafen, denkt Donna. Wie kann es sein, dass ihr das bisher nicht klar war? Geborgen und zufrieden und satt. Und Morde, Elizabeth, Tattoos, und anders sein oder nicht, Autos, Felskanten, Kleider, all das hat Zeit bis morgen, morgen, und dann wieder morgen …

5

Joyce

Es stimmt, der Mord an Bethany Waites war meine Idee.

Wir hatten alle zusammen die Akten gesichtet, um einen neuen Fall für den Donnerstagsmordclub zu finden. Da gab es beispielsweise den von der alten Jungfer in Rye, in deren Keller nach ihrem Tod Anfang der Achtzigerjahre drei unidentifizierte Skelette und ein Koffer mit fünfzigtausend Pfund entdeckt wurden. Das war Elizabeths Kandidat, und ich gebe zu, es klang vielversprechend, aber dann sah ich auf einer anderen Akte den Namen »Bethany Waites«, und mein Entschluss war gefasst. Ich haue nicht oft auf den Tisch, aber wenn, dann mit Schmackes. Elizabeth grummelte ein bisschen, aber die anderen hüteten sich zu widersprechen. Ich bin ja nicht nur zum Vergnügen hier!

An Bethany Waites erinnerte ich mich natürlich, und auch an einen Artikel, den Mike Waghorn im Kent Messenger über den Mord an ihr geschrieben hatte, also sagte ich mir gleich, Joyce, das hier wirkt nicht nur hochverdächtig, es könnte auch eine Chance sein, Mike Waghorn zu treffen.

Ist das so verwerflich?

Mike Waghorns South East Tonight sehe ich schon seit ewigen Zeiten. Wenn irgendjemand in Kent oder Sussex ermordet wird oder einen Wohltätigkeitsbasar eröffnet, dann berichtet Mike darüber, mit diesem unwiderstehlichen Lächeln. Wobei er bei den Morden natürlich nicht lächelt. Da macht er ein ernstes Gesicht, was er auch vorzüglich kann. Eigentlich ist mir das ernste Gesicht sogar lieber, wenn also ein Mord geschieht, gibt es zumindest diesen Trost. Er sieht ein bisschen aus wie Michael Bublé, nur in reifer.

Mike moderiert South East Tonight jetzt schon seit fünfunddreißig Jahren, aber etwa alle fünf Jahre stellen sie ihm eine neue Frau an die Seite, und so kam seinerzeit Bethany Waites ins Spiel.

Bethany Waites war blond und aus dem Norden und starb in einem Auto, das die Kreidefelsen von Dover hinabstürzte, an einer Stelle, die Shakespeare Cliff heißt. (Leicht über die A20 zu erreichen, ich habe es nachgeschaut, weil ich davon ausgehe, dass wir früher oder später hinfahren werden.) Das ist jetzt fast zehn Jahre her. Man sollte meinen, so etwas ist schlicht Selbstmord, ein Wagen, der über eine Felskante fährt, aber die Dinge lagen komplizierter. Jemand war kurz zuvor mit ihr im Auto gesehen worden, auf ihrem Handy fanden sich vieldeutige Nachrichten, es war alles sehr unklar. Daher ging die Polizei von Mord aus, und als wir nun die Akten studierten, konnten wir uns dieser Meinung nur anschließen.

Hier hatte der Fall damals viel Aufsehen erregt. In Kent passiert nicht viel, also können Sie sich die Aufregung vorstellen. Es gab eine eigene Gedenksendung, bei der Mike weinte, das weiß ich noch, und Fiona Clemence ihn in den Arm nehmen musste, alles vor laufender Kamera. Fiona war Bethany als Co-Moderatorin nachgefolgt.

So berühmt, wie Fiona Clemence inzwischen ist, erinnert sich kaum mehr jemand, dass sie bei South East Tonight angefangen hat. Ich habe Mike gefragt, ob er ihre Quizshow schaut, Gegen die Uhr, aber er sagte, Nein, er schaut sie nicht. Da muss er so ziemlich der Einzige in England sein. Pauline – sie ist die Maskenbildnerin, und auf sie komme ich noch zu sprechen – meint, es ist der blanke Neid, aber Mike sagt, er schaut nie fern.

Ich sag’s ganz ehrlich, ich hatte mir vorgestellt, ich könnte ein bisschen mit Mike flirten, und er würde mir sagen, wie gut mir meine Halskette steht, und ich würde erröten und kichern, und Elizabeth würde die Augen verdrehen.

Aber nichts dergleichen, leider Gottes.

»Nix wag und nix Horn«, so hat Ron das ausgedrückt. Mike hat mir ein Küsschen auf die Wange gegeben, und als er einmal meine Hand streifte, war da so ein Knistern, aber das lag eher an der Mischung aus meiner neuen Strickjacke und dem flauschigen Teppich vor dem Restaurant, fürchte ich.

Er hat heute Nachmittag Ron interviewt, für einen Beitrag über Lebensformen im Alter für South East Today. Hinter all dem steckt Eli­zabeth; sie hat mich die Mail an den Produzenten schreiben lassen. Wenn Sie jemanden ködern wollen, wenden Sie sich vertrauensvoll an Elizabeth.

Ich muss zugeben, Ron war sogar ziemlich gut. Er weiß, wann er aufdrehen muss. Er redete über Einsamkeit und Freundschaft und Abgesichertsein, und ich war sehr stolz auf seine Offenheit. Man merkt wirklich Ibrahims Einfluss. Zwischendrin schweifte er ab und fing von West Ham an, aber Mike hat ihn wieder auf Kurs gebracht.

In erster Linie ging es uns natürlich um Informationen zu Bethany Waites, und Mike war nur zu bereit zum Plaudern. Er hatte ziemlich einen in der Krone und erzählte uns fast nur Dinge, die wir schon aus den Akten wussten, aber er hat definitiv Feuer gefangen.

Die groben Fakten sind folgende: Bethany war einem riesigen Mehrwertsteuerbetrug auf der Spur. Irgendetwas mit dem Im- und Export von Mobiltelefonen. Dem Fiskus waren Millionen durch die Lappen gegangen.

Ausgeführt wurde das alles von einer Frau namens Hea­ther Garbutt. Sie arbeitete für einen ortsansässigen Geschäftsmann, Jack Mason, der auch sonst allerlei Dreck am Stecken hatte, und man ging allgemein davon aus, dass er bei der Sache die Fäden zog. Heather kam später für den Betrug ins Gefängnis, Jack Mason nicht. Manche haben eben mehr Glück als andere.

An einem Abend im März hatte Bethany Mike noch gesimst, und Mike dachte, er würde sie am nächsten Tag sehen wie immer. Aber dieser nächste Tag kam für Be­thany nie.

An besagtem Abend gegen zehn wurde sie gesehen, wie sie ihr Apartmenthaus verließ – früher hätten wir einfach Mietshaus gesagt, oder? –, worauf sie für mehrere Stunden verschwand, wohin, weiß niemand. Wieder gesichtet wurde sie erst um zwei Uhr nachts auf einer Überwachungsaufnahme nicht weit vom Shakespeare Cliff, in Begleitung eines unidentifizierten Beifahrers.

Den Wagen fand man später zertrümmert am Fuß der Steilwand. Im Wagen waren Blut und Kleider von ihr, nicht jedoch ihr Leichnam. Was mir merkwürdig vorkommt, was aber wohl dank der dort herrschenden Strömung nicht ungewöhnlich ist. Als nach einem Jahr immer noch jede Spur von ihr fehlte und auch ihre Konten nicht angerührt worden waren, wurde sie offiziell für tot erklärt. Auch das ist übliches Prozedere, aber es bleibt doch die Frage: Wo ist die Leiche? Vor Mike habe ich das freilich nicht so gesagt, weil man deutlich merkt, wie nahe ihm das mit Bethany geht.

Einen neuen Hinweis immerhin haben wir von ihm erhalten. Eine Nachricht, die ihm Bethany geschickt hat. Sie hatte etwas entdeckt, irgendetwas sehr Wichtiges. Mike hat nie erfahren, was es war.

Der Hauptverdacht richtete sich natürlich gegen Hea­ther Garbutt, bei all dem Material, das Bethany gegen sie gesammelt hatte, aber ihr ließ sich keine Verbindung zu Bethanys Tod nachweisen. Und auch Jack Mason nicht, sosehr die Polizei es versuchte. Bald darauf war Heather Garbutt wegen Steuerbetrugs verurteilt, und die Menschen wandten ihr Interesse anderen Dingen zu.

Nur Mike nicht. Die Schlüsselfragen aus seiner Sicht sind:

Was für Erkenntnisse waren das, von denen Bethany ihm geschrieben hat? In den Gerichtsakten findet sich dazu nichts, aber hat sie sie vielleicht irgendwo anders dokumentiert? Belegen sie endlich Jack Masons Verbindung zu der Tat? Er ist bis heute ein freier Mann. Und ein steinreicher.

Wohin war Bethany an jenem Abend um zehn unterwegs? Hatte sie eine Verabredung? Wollte sie jemanden zur Rede stellen? Und warum hat sie vier Stunden bis zum Shakespeare Cliff gebraucht? Sie muss irgendwo haltgemacht haben, aber wo? Bei wem?

Und als Letztes natürlich: Wer war ihr unbekannter Beifahrer?

Reichlich Stoff jedenfalls fürs Erste. Am Ende war sogar Elizabeth ein gewisses Engagement anzumerken.

Danach tranken wir alle noch ein paar Gläschen, und Pauline und Ron teilten sich einen Nachtisch. Das klingt vielleicht nicht weltbewegend, aber ich habe Ron noch nie freiwillig von seinem Essen abgeben sehen, schon gar nicht von einer Bananen-Karamell-Torte, also Augen auf!

Ehe wir’s uns versahen, war es fast acht Uhr. Alan war außer sich, als ich heimkam. »Außer sich«, schreibe ich: Er lag auf dem Sofa zusammengerollt und hob eine Augenbraue, wie um zu sagen: »Wie lang soll ich noch auf mein Essen warten, du alte Herumtreiberin!« Man weiß ja, wie Hunde sein können. Zum Glück hatte ich ihm einen Rest Steak mitgebracht, das stimmte ihn schnell wieder gnädig. Er schlang es in drei Bissen hinunter. Alan mag vieles sein, aber ein Buddhist sicherlich nicht.

Jetzt google ich Heather Garbutt und höre dabei den World Service. Sie ist schwierig zu googeln, weil es eine australische Hockeyspielerin gleichen Namens gibt, und fast alle Treffer beziehen sich auf sie. Sie ist sogar ziemlich interessant, ich folge ihr jetzt auf Instagram. Sie hat drei bildhübsche Kinder.

Heather Garbutt ist nach wie vor im Gefängnis (nicht die Hockeyspielerin, aber das denken Sie sich vermutlich schon). Und zwar ist sie in Darwell inhaftiert, was sich als sehr günstig für alle Beteiligten herausstellen könnte. Denn natürlich haben wir schon eine Bekannte in Darwell. Ich habe Ibrahim eine Nachricht mit einem Vorschlag geschrieben, der ihm sehr gefallen wird.

Im World Service läuft gerade ein Beitrag über Kryptowährungen, am besten schlage ich das auch gleich nach. Bitcoin, das ist die, die man kennt. Es klingt sehr spannend, und laut dieser Sendung ist es der große Trend, aber sehr riskant. Gerade wurde ein Junge interviewt, der mit knapp sechzehn schon eine Million damit verdient hat, und er ist ein großer Befürworter.

Gerry und ich haben ein paarmal Losanleihen gekauft, aber weiter reichen meine Experimente mit Geld nicht. Vielleicht sollte ich mich ein wenig mehr aus der Deckung wagen? Mal etwas anderes ausprobieren? Mal jemand anderes sein? Nur, anders als was? Wer bin ich überhaupt?

Wer bin ich? Ich bin Joyce Meadowcroft, das reicht hoffentlich.

Die Nacht ist die Stunde der Fragen ohne Antworten, und für so etwas habe ich keine Zeit. Das überlasse ich Ibrahim. Ich mag Fragen, auf die es Antworten gibt.

Wer hat Bethany Waites umgebracht? Das nenne ich eine Frage!

6

In Coopers Chase ist der Tag angebrochen. Vor Elizabeths Fenstern sind die Hundegänger unterwegs, und ein paar Nachzügler eilen zum Zumba für die Ü-80er. Die Luft ist erfüllt von Morgengrüßen, Vogeltschilpen und dem Tuckern der Amazon-Lieferautos.

»Warum schauen Sie immer auf Ihr Handy?«, fragt Bogdan. Er sitzt mit Stephen beim Schach, aber Elizabeth stört seine Konzentration.

»Ich bekomme Nachrichten, mein Lieber«, sagt Elizabeth. »Ich habe Freunde.«

»Sie bekommen nur von Joyce Nachrichten«, sagt Bogdan. »Oder von mir. Und wir sind beide hier.«

Stephen zieht. »So, jetzt Sie, Maestro.«

»Er hat völlig recht«, bemerkt Joyce und trinkt aus ihrer Tasse. »Ist das Yorkshire-Tee?«

Elizabeth zuckt mit den Achseln und beugt sich wieder über die Papiere, die sie vor sich ausgebreitet hat. Unterlagen aus dem Heather-Garbutt-Prozess. Der interessierten Öffentlichkeit zugänglich, wenn diese Öffentlichkeit bereit ist, drei oder mehr Monate zu warten. Oder zugänglich innerhalb von Stunden, wenn die Öffentlichkeit Elizabeth Best heißt. Sie muss aufhören, auf ihr Telefon zu schauen. Die letzte Nachricht lautete:

Mich ignorieren ist keine Lösung, Elizabeth. Wir haben viel zu besprechen.

Sie erhält neuerdings Drohnachrichten von einem ano­nymen Absender. Die erste kam gestern, und in ihr stand:

Elizabeth, ich weiß, was Sie getan haben.

Können wir das ein klein wenig präzisieren?, hat sie gedacht. Und im gleichen Stil geht es seitdem weiter. Wer schickt ihr diese Nachrichten? Und noch wichtiger, weshalb? Aber jetzt darüber zu grübeln, bringt nichts. Zweifellos klärt es sich früher oder später auf, und in der Zwischenzeit gilt es, dem Mord an Bethany Waites nachzugehen.

»Ich tippe auf Yorkshire.« Joyce lässt nicht locker. »Ich bin mir so gut wie sicher. Du musst das doch wissen.«

Elizabeth sieht weiter die Dokumente durch. Zahlenkolonnen, dicht und schwer zu durchdringen. Nachweise über nicht existente Mobiltelefone, die Dover verlassen haben und nur Wochen später, ebenso nicht existent wie zuvor, auf demselben Weg wieder eingeführt wurden. Bergeweise Zollausfuhrbestätigungen. Bankauszüge, die sich auf Millionen belaufen. Geld, das auf Offshore-Konten fließt und dann im Nichts verschwindet. All das aufgedeckt von Bethany Waites. Schon bewunderungswürdig.

»Kümmer dich gar nicht um mich«, sagt Joyce. »Du hast zu tun. Ich schaue kurz im Schrank nach.«

Elizabeth nickt. Diese Papierkonvolute haben ausgereicht, um Heather Garbutt wegen Betrugs hinter Gitter zu bringen. Aber enthalten sie auch irgendetwas Erhellendes über den Tod von Bethany Waites? Wenn ja, dann hat es noch niemand gefunden. Und auch ihre eigenen Chancen schätzt Elizabeth nicht allzu hoch ein. Das hier ist nicht ihr Metier. Was also tun? Wer kennt sich aus?

»Ja, es ist Yorkshire«, ruft Joyce aus der Küche. »Wusste ich’s doch!«

Joyce hat darauf bestanden, sie besuchen zu kommen. Und egal, was für ein hohes Tier man beim MI5 oder MI6 gewesen sein mag, egal, wie oft man von Scharfschützen beschossen oder von der Queen geehrt wurde, wenn Joyce sich etwas in den Kopf gesetzt hat, hält nichts sie auf. Elizabeth musste schnell handeln.

Mit Stephens Demenz wird es schlimmer, das weiß sie. Aber je mehr er ihr entgleitet, desto fester will sie ihn halten. Wenn sie ihn nicht aus dem Blick lässt, dann kann er doch auch nicht verschwinden, oder?

Stephen funktioniert am besten, wenn er mit Bogdan Schach spielt, also hat Elizabeth nach Bogdan geschickt und alles auf diese eine Karte gesetzt. Vielleicht ist er ja gut in Form. Und vielleicht reicht das aus, um die Scharade noch ein paar Wochen länger aufrechtzuerhalten. Sie hat ihn rasiert und ihm die Haare gewaschen. Dagegen sträubt er sich inzwischen nicht mehr. Elizabeth sieht zum Schachbrett hinüber.

Bogdan hat das Kinn in die Hände gestützt und brütet über seinem nächsten Zug. Irgendetwas an ihm ist anders als sonst.

»Haben Sie ein neues Duschgel, Bogdan?«, fragt sie.

»Bring den Jungen nicht durcheinander«, sagt Stephen. »Ich habe ihm eine Falle gestellt.«

»Ich hab ein parfümfreies Peeling benutzt«, sagt Bogdan. »Ist neu.«

»Hmm«, sagt Elizabeth. »Das ist es nicht.«

»Es ist sehr feminin«, sagt Joyce, »Und nicht parfümfrei.«

»Ich spiele Schach«, sagt Bogdan. »Keine Ablenkung bitte.«

»Ich habe das Gefühl, Sie verschweigen uns etwas«, sagt Elizabeth. »Stephen, verschweigt uns Bogdan etwas?«

»Meine Lippen sind versiegelt«, erwidert Stephen.

Elizabeth kehrt zu ihrer Lektüre zurück. Irgendetwas in diesen Papieren hat Bethany Waites’ Tod verursacht. Durch die Hand von Heather Garbutt? Das bezweifelt Elizabeth. Heather Garbutts Chef, Jack Mason, ist nach außen hin Schrotthändler, in Wahrheit aber einer der bestvernetzten Kriminellen an der englischen Südküste. Heather Garbutt macht ihr den Eindruck einer Soldatin, nicht eines Generals. Ist der General also Jack Mason? Taucht sein Name irgendwo in diesen Papieren auf? Zeit für ihren Plan B.

»Was treibt Joanna so, Joyce?«, fragt sie. Joanna ist Joyces Tochter.

»Fallschirmspringen für die Krebshilfe«, sagt Joyce.

»Wär doch schön, sie mal wieder hierzuhaben.«

Joyce durchschaut sie natürlich. »Du meinst, es wäre schön, wenn sie sich diese Papiere anschaut, weil du sie nicht verstehst?«

»Schaden würde es nicht.« Joanna – und ihre Mitarbeiter – werden sich in null Komma nichts durch diesen Stapel gelesen haben, da ist Elizabeth sicher. Und vielleicht auf einen Namen oder auch zwei stoßen.

»Ich frag sie«, sagt Joyce. »Ich bin ein bisschen in Un­gnade bei ihr, weil ich nicht einsehe, wozu die Welt Sushi braucht. Warum schaust du denn nun ständig auf dein Handy?«

»Werd nicht lästig, Joyce«, sagt Elizabeth. »Du bist nicht Miss Marple.«

Wie aufs Stichwort brummt Elizabeths Handy. Sie sieht nicht hin. Joyce zieht kaum merklich eine Braue hoch und wendet sich dann, mit viel milderem Blick, an Stephen.

»Wie schön, Sie mal wieder zu sehen, Stephen«, sagt sie.

»Es freut mich immer, Freunde von Elizabeth kennenzulernen«, antwortet Stephen und hebt kurz den Kopf. »Kommen Sie ruhig öfter vorbei. Neue Gesichter sind bei uns immer willkommen.«

Joyce verzieht keine Miene, aber Elizabeth weiß, es ist ihr nicht entgangen.

Bogdan macht seinen Zug, und Stephen deutet leisen Applaus an.

»Er riecht vielleicht anders«, sagt Stephen. »Aber er spielt wie immer.«

»Ich rieche nicht anders«, sagt Bogdan.

»Doch«, sagt Joyce.

Elizabeth nutzt die Gelegenheit, um einen Blick auf ihr Telefon zu stehlen.

Ich habe einen Auftrag für Sie.

Sie spürt ihren Adrenalinspiegel ansteigen. Es war zu ruhig hier in letzter Zeit. Ein pensionierter Augenoptiker ist mit seinem Moped gegen einen Baum gefahren, es gab böses Blut wegen drei Milchflaschen, aber mehr der Aufregungen war in letzter Zeit nicht geboten. Das beschauliche Leben in allen Ehren, aber nun, mit diesem Mord, der aufgeklärt sein will, und dem ständigen Eingang drohender Textnachrichten, merkt Elizabeth, wie sehr der Kitzel der Gefahr ihr gefehlt hat.

7

Detective Chief Inspector Chris Hudson stapft im heulenden Sturm einen eiskalten Strand entlang. In den Händen hält er einen lauwarmen Becher mit einer Flüssigkeit, die ihm als Tee verkauft wurde, in einem Strandcafé, das ihm erst kein Wechselgeld geben wollte und ihn dann nicht die Toilette benutzen ließ.

Aber nichts kann seine Stimmung trüben. Für Chris läuft derzeit ausnahmsweise alles bestens.

Die Beamtin von der Spurensicherung streckt den Kopf aus dem ausgebrannten VW-Bus, der zwischen Seetang und Kieseln aufragt wie ein gruseliger schwarzer Krebs.

»Ich hab’s gleich.«

»Keine Eile«, bedeutet ihr Chris mit einem Winken und meint es auch so.

Warum ist Chris so glücklich? Die Antwort ist einfach, aber auch kompliziert.

Chris ist verliebt, und seine Gefühle werden erwidert.

Zweifellos wird die ganze Herrlichkeit irgendwann implodieren, aber noch hat sie es nicht getan. Eine leere Chipstüte, die im Wind akrobatische Übungen vollführt, weht ihm ins Gesicht, und er lächelt verklärt.

Und wenn es nicht implodiert? Könnte das sein? Vielleicht ist es ja diesmal tatsächlich das Wahre? Chris und Patrice. Patrice und Chris. Es gelingt ihm gerade noch, nicht auf eine der vielen Nadeln zu treten, die rund um den Minibus verstreut sind. Auf Heroinsüchtige scheint dieser Strand eine ungeheure Anziehung auszuüben. Und wenn er und Patrice zusammen alt werden? Zusammen DVDs gucken und auf Bauernmärkte gehen? One hand, one heart. Sie hat ihn gezwungen, mit ihr die West Side Story zu schauen, und er muss sagen, wenn man sich einmal an das Gesinge und Getanze gewöhnt hat, ist sie gar nicht so schlecht.

Er sieht hinüber zu PC Donna De Freitas, die sich gegen den Wind stemmt, ihr Gesicht kaum sichtbar unter der Kapuze ihrer Regenjacke. Sie ist seine Partnerin – offiziell zwar nach wie vor sein »Schatten«, aber das entspricht nicht ganz der Natur ihrer Beziehung –, und sie ist Patrice’ Tochter. Er verdankt ihr also eine Menge.

Donna wirkt ebenfalls ziemlich vergnügt, trotz des Wetters. Jetzt kehrt sie dem Sturm den Rücken, zieht sich mit den Zähnen einen Handschuh aus und antwortet auf eine Nachricht, die sie eben bekommen hat. Donna hatte gestern Abend ein Date und gibt sich diesbezüglich recht wortkarg. Chris kann nicht beschwören, dass die Sache ein Erfolg war, aber er hat sie bei der Fahrt hierher »A Whole New World« summen hören und sich seinen Teil gedacht. Vielleicht findet Patrice heraus, wer der mysteriöse Unbekannte ist.

Der Minibus, jetzt nur noch ein verbogenes, zusammengeschmolzenes Gehäuse, kohlschwarz vor dem Grau von Himmel und Meer, hat einem Kinderheim gehört. Der Leichnam auf dem Fahrersitz ist bislang noch unidentifiziert. Mein Gott, denkt Chris, wie schön doch das Meer ist. Sein Fuß zertritt den abgebrochenen Hals einer Bierflasche. Der Wind frischt noch mehr auf und bläst Chris feine Eisnadeln ins Gesicht. Eine tolle Erfahrung, wenn man sich darauf einlässt. Sich dem Gefühl richtig hingibt.

Chris hat außerdem fast zehn Kilo abgenommen. Erst neulich hat er sich ein T-Shirt in Größe L gekauft statt in seinem üblichen XL oder, beschämender noch, XXL. Er isst jetzt Lachs und Brokkoli. Er isst so viel Brokkoli, dass er das Wort aus dem Effeff buchstabieren kann. Wann hat er sich zum letzten Mal eine Toblerone genehmigt? Er erinnert sich nicht mal mehr.

Chris’ Handy brummt. Donna ist nicht die Einzige, die geheimnisvolle Nachrichten bekommt. Von Ibrahim, sieht er. Wenn Elizabeth ihm schreibt, ist der Ärger vorprogrammiert. Bei Ibrahim stehen die Chancen fifty-fifty. Chris liest:

Guten Tag, Chris, ich bin es, Ibrahim. Ich hoffe, ich schreibe Ihnen nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Man kann sich über die zeitlichen Abläufe anderer ja nie sicher sein, schon gar nicht bei Gesetzeshütern, deren Arbeitszeiten im besten Fall unregelmäßig sind.

Pünktchen zeigen an, dass Ibrahim an einer zweiten Nachricht feilt. Chris kann warten. Vor einem halben Jahr gab es in seinem Leben nichts von all dem. Keine Patrice, keine Donna, keinen Donnerstagsmordclub. Letztlich, so wird ihm bewusst, hat mit dem Donnerstagsmordclub alles angefangen. Irgendwie haben sie magische Kräfte, die vier. Gut, kürzlich haben sie am Hafen von Fairhaven zwei Männer in den Tod geschickt und unschätzbare Werte gestohlen, aber magische Kräfte haben sie trotzdem.

»Wem schreibst du da?«, fragt er Donna, schreiend, um den Wind zu übertönen. Einen Versuch ist es allemal wert.

»Beyoncé«, schreit Donna zurück und tippt weiter.

Chris’ Handy brummt neuerlich. Wieder Ibrahim.

Ich wollte Sie fragen – und vergeben Sie mir, falls dies den Rahmen unserer Freundschaft sprengt –, ob es Ihnen wohl möglich wäre, für mich zwei alte Fälle einzusehen. Ich könnte mir denken, dass Sie sie ebenfalls interessant finden, und Ihnen ist hoffentlich klar, dass ich Sie nicht bitten würde, wenn die Umstände es nicht zwingend erforderten.

Weitere Pünktchen kündigen einen Teil drei an.

Chris und Donna sind vor nicht langer Zeit zum Polizeipräsidenten von Kent bestellt worden, einem Mann namens Andrew Everton. Ein guter Polizist, der für seine Leute einsteht, aber gnadenlos durchgreift, wo nötig. In seiner Freizeit schreibt er unter einem Pseudonym Romane. Die Bücher des Polizeipräsidenten erscheinen im Selbstverlag, und man bekommt sie nur über Kindle. Ein Kollege hat Chris erzählt, dass man sich mit so was heutzutage eine goldene Nase verdient, aber Andrew Everton fährt nach wie vor einen alten Opel Vectra, Skepsis ist also geboten.

Andrew Everton hat ihnen angekündigt, dass sie beide bei der Verleihung der diesjährigen Polizeiorden ausgezeichnet werden sollen. Für ihre Verdienste bei der Festnahme von Connie Johnson. Schön, ein bisschen Anerkennung zu erfahren. Die Wände des Präsidentenbüros hingen voll von Porträts stolzer Polizisten. Helden allesamt. Chris betrachtet diese Dinge mittlerweile durch die Augen von Donna und Patrice, daher ist ihm nicht entgangen, dass sämtliche der Porträts Männer zeigen, bis auf zwei, eins von einer Polizistin und ein anderes von einem Polizeihund. Der Polizeihund trägt eine Medaille um den Hals. Chris’ Blick fällt auf eine Muschel, in die ein benutztes Kondom eingerollt ist. Das Leben ist doch voll der Wunder.

Noch eine Nachricht von Ibrahim. Die diesmal hoffentlich den Durchbruch bringt.

Bei den Fällen, auf die ich mich in meiner letzten Nachricht bezogen habe, handelt es sich um den Tod von Bethany Waites sowie um die Verurteilung Heather Garbutts wegen Betrug. Beide aus dem Jahr 2013. Gegenstand besonderen Interesses wäre dabei die Frage, wo sich Bethany Waites in der Nacht ihres Todes zwischen 22:15 Uhr und 02:47 Uhr aufgehalten haben könnte. Und wer mit ihr im Auto saß. Jede Information wird dankbar entgegengenommen. Bis bald, mein lieber Freund. Grüßen Sie Patrice von mir, in ihr haben Sie wirklich eine wunderbare Frau gefunden. In Beziehungen ist der Schlüssel zum Erfolg oft …

Chris hört auf zu lesen. Er erinnert sich gut an beide Fälle. Ob er sich die Akten vornehmen wird? Wem macht er hier etwas vor, natürlich wird er das. Eines Tages wird er wegen des Donnerstagsmordclubs noch seinen Job verlieren. Oder sein Leben. Aber das ist es ihm wert. Er hat das Gefühl, jemand muss die vier eigens für ihn herbeigezaubert haben, um ihn zu retten. Der Donnerstagsmordclub hat ihm Donna gebracht, Donna hat ihm Patrice gebracht und Patrice gebratenen Tofu. Und das alles zusammen hat ihm, wie er jetzt weiß, das Glück gebracht.

Donna sieht von ihrem Handy auf. »Warum lächelst du?«

Chris zuckt die Achseln. »Warum lächelst du?«

Achselzucken von Donna. »Kriegst du Nachrichten von meiner Mutter?«

»Die kann ich an keinem öffentlichen Ort aufmachen«, sagt Chris. »Da hätte ich gleich die Sitte am Hals.«

Donna streckt ihm die Zunge raus.

»Ibrahim möchte, dass wir für ihn einen Fall einsehen.«

»Lass mich raten«, sagt Donna. »Eine Frau namens Beth­any ist mit ihrem Auto die Steilküste runtergestürzt?«

»Woher zum Teufel weißt du …«

Donna winkt ab.