Der Duft des Jasmins III - Klaudia Winter - E-Book

Der Duft des Jasmins III E-Book

Klaudia Winter

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Beschreibung

Nach einem schweren Schicksalsschlag, dem frühen Tod ihres Mannes David, findet Liz so langsam ins Leben zurück. Ihre ältesten vier Kinder studieren bereits, die jüngeren zwei werden so langsam flügge. Was wird die zweite Lebenshälfte für sie noch bereit halten, nachdem sie bereits alles in ihrem Leben hatte? Einen fantastischen Ehemann, beruflichen Erfolg jenseits ihrer Träume und Kinder, die ihr ganzer Stolz sind. Und doch wünscht sie sich noch etwas Neues? Aber was könnte das sein? Und was wird werden, wenn ihre Geschäftspartner sich zur Ruhe setzen wollen? Die erfolgreiche Geschäftsfrau erlebt im dritten Teil die Wirren und Zweifel einer neuen Beziehung, die nicht mehr so leichtfüßig wie in jungen Jahren daherkommt, aber auch einen Neuanfang für ihre Stiftung, mit ihren Kinder und ihren Freunden.

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Klaudia Winter

Der Duft des Jasmins III

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1. Davids sechsundfünfzigster Geburtstag – Liz

Ich liege auf unserer Couch im Wohnzimmer, ein Glas Rotwein steht auf dem Tisch, vor mir liegt ein Stapel mit Skizzenbüchern. Meine jährlichen Geschenke an David, seit zwei Jahren kam kein Buch mehr dazu. Er wäre heute sechsundfünfzig geworden. Alex und Ellen wollen nachher noch vorbeikommen, sie erlauben nicht, dass ich den Abend allein verbringe. Eigentlich wäre ich viel lieber für mich. Er fehlt mir immer noch so sehr. Ich muss zwar nicht mehr weinen, wenn ich an ihn denke, und auch schnürt sich mir nicht mehr die Kehle zu, so als könnte ich nicht mehr atmen, aber mich erfasst häufig noch eine tiefe Traurigkeit. An Ehrentagen ist es besonders schlimm. Manchmal hilft es mir, wenn ich mich an unsere schönsten Momente erinnere und da gibt es viele. Manchmal werde ich dadurch nur noch melancholischer. Ja, er war meine Luft zum Atmen, die ich brauchte, um wirklich ich selbst sein zu können, er war mein Salz, der das Leben so aufregend gemacht hat. Jetzt ist für mich alles fade.

Natürlich freue ich mich noch über unsere Kinder und ich bin froh, dass sie den plötzlichen Verlust ihres Vaters so gut weggesteckt haben. Zumindest sieht es von außen so aus.

David ist genauso plötzlich und frühzeitig verstorben wie seine Mutter. Wenn ich an diese Parallelen denke, so ergreift mich eine tiefe Angst, dass ich eines Tages auch den frühen Tod von meinen Kindern miterleben muss. Ich hoffe inständig, dass es nicht dazu kommt. Zumindest Leon kommt sehr nach meinem Großvater und Vater. Aber besonders Luke ist das ganze Ebenbild seines Vaters und auch die Zwillinge haben sehr viel von ihm.

Das große Haus ist inzwischen leer geworden. Nur noch Leon und Mart wohnen bei mir. Ich denke an Luke, der seit ein paar Jahren als Informatiker arbeitet. Die Mädchen studieren bereits im 7. Semester Medizin und werden ihren Abschluss diesen Sommer haben. Und Celon ist kurz davor, seinen Abschluss in amerikanischer und europäischer Literatur zu machen. Sie alle wohnen in Charlotte in unserer großen Dachwohnung.

Was war das doch für ein Moment, als David und ich die Wohnung zum ersten Mal betraten. Wir verliebten uns sofort in sie. Dort wollten wir irgendwann einmal gemeinsam wohnen, wenn unsere Kinder eigene Wege gehen. Und jetzt … sitze ich hier und von unseren gemeinsamen Träumen ist nichts mehr geblieben. Zum Glück gibt es Erinnerungen an gemeinsame Tage. Und manchmal sehne ich mich nach einem Neuanfang. Ich bin knapp fünfzig – das darf es doch für mich noch nicht gewesen sein …

In diesem Moment klingelt es. Mein Bruder schließt die Tür auf und Ellen, meine Freundin und Schwägerin kommt sofort auf mich zu. Seit David nicht mehr ist, haben sie einen Schlüssel für das Haus. ‚Damit sie jederzeit nach mir sehen können‘. Ich wollte es zwar nicht, aber Alex hat sich durchgesetzt. Nach dem Tod von David war ich viel zu schwach zum Kämpfen.

„Liz, du sollst dir doch nicht immer und immer wieder diese Bilder anschauen. Es tut dir nicht gut und David kannst du damit auch nicht wieder lebendig machen. Er würde wollen, dass du langsam wieder glücklich wirst.“ Sie nimmt mir das Buch aus der Hand, schlägt es zu und bringt den ganzen Stapel in mein Arbeitszimmer.„Komm Schwesterchen, sollen wir lieber weggehen, als hier zu bleiben?“ Alex zieht mich von der Couch hoch und nimmt mich in die Arme.„Nein, lasst uns dableiben, ich habe ja schon etwas zum Essen vorbereitet.“ Ja, diese alltäglichen Dinge haben mich weiterleben, weiterfunktionieren, jeden Tag aufstehen, einen Schritt vor den anderen machen lassen. Die Arbeit musste weitergehen, die Verantwortung für viele, viele Mitarbeiter und für unsere Kinder.Ich atme noch mal tief ein, dann habe ich mich wieder im Griff. Ich gehe in die Küche und wenig später steht mein Essen auf dem Tisch.Alex lenkt mich mit aktuellen Themen aus der Firma ab. Früher hätte ich es abgelehnt, da war mir die Zeit zu kostbar. Die Arbeit ging mir zwar immer im Kopf herum, aber David und ich haben versucht, uns eher selten am Abend darüber zu unterhalten. Manchmal war es unausweichlich, aber das war glücklicherweise die Ausnahme. Außerdem war es auch immer die Zeit, die die Kinder hatten, um uns von ihrem Tag und ihren Plänen zu erzählen. Und unsere Stunden der Zweisamkeit – sie waren uns heilig. Besonders in den letzten Jahren.

‚Pläne‘ ist eigentlich ein gutes Stichwort. Ich sollte so langsam wieder Pläne für die Stiftung aufstellen. Die Spendenbereitschaft ist nach wie vor groß, wir müssen neue Projekte initiieren. Claudia, die von der ersten Stunde mit dabei ist, möchte zum Ende des Jahres aufhören. Sie wird dann 68 Jahre sein, ich kann es verstehen. Aber wir haben uns schon vor sechs Jahren jüngere Verstärkung gesucht. Sybille kam aus dem Service-Bereich und hatte allerlei Erfahrung mit Veranstaltungen von Kinderfesten und Benefiz-Galas. Die Eröffnung unseres dritten Kinderheimes in Washington hat sie komplett selbst vorbereitet. Sie organisierte Clowns und Zauberer, eine riesige Tombola mit neuem Spielzeug. Ein anderes Kinderheim musste zu diesem Zeitpunkt wegen Baufälligkeit des Gebäudes geschlossen werden und so übernahmen wir die Kinder. Es war ein tolles Fest. Und jetzt sind die Pläne für ein viertes Kinderheim fertig. Es wird etwas größer ausfallen, da der Bedarf riesig ist. Miami hat hier in den letzten Jahren nicht viel getan.Die Sätze, die die Sozialbehörden für jedes Kind pro Monat zahlen, sind wirklich jämmerlich. Davon müssen die Kosten für die Betreuung, das Essen, Kleidung, Spielsachen, Schulausgaben und vieles mehr gedeckt werden. Daher zahlen wir aus dem Stiftungs-Fond jedes Jahr mindestens noch mal den gleichen Betrag selbst. Natürlich müssen die Heimleiter ihre Bücher regelmäßig offen legen, um so Verschwendung vorzubeugen. Aber in besonderen Fällen übernehmen wir weitere Zahlungen. So hatten wir ein sehr musikalisches Kind, welches eine Klavierausbildung über viele Jahre erhalten hat. Das war eine tolle Geschichte.

Oder als wir nach vielen Jahren mal wieder auf dem Weihnachtsball von Estelle um Spenden warben. David hatte 5 Mal eine komplett neue Gartenerstellung inklusive Entwurf bis zu einer Größe von 1 ha angeboten. Die Pflanzenkosten gingen extra. Unsere Mädchen hatten gerade ein neues Kinderbuch herausgebracht, welches ebenfalls verkauft wurde. Außerdem hatten sie einen Cartoon-Kalender entworfen. Auch dieser kam sehr gut an. Sophie und Marie waren eigentlich immer dabei, wenn es darum ging, uns und unsere Stiftung zu unterstützen. Sie haben eindeutig ihre soziale Ader von uns geerbt.

2. Sophie und Marie – Liz

Das riesige Bild mit den vielen kleinen Geschichten von Alex und Ellen, welches sie ihnen zur Hochzeit geschenkt haben, war irgendwie der Anfang. Sie beobachteten und daraus entstanden ihre Geschichten. Sie schenkten später David und mir zu unserem fünften Hochzeitstag ebenso ein Plakat und wir saßen immer wieder davor und mussten über ihre Einfälle lachen. Sie dachten sich einfach aus, welche Gedanken in diesen Momenten wohl in unseren Köpfen waren. Häufig erkannten wir die Situationen wieder, aber ihre Interpretationen war köstlich. Es hing ewig in unserem Schlafzimmer. Nach Davids Tod habe ich es dann irgendwann abgenommen, da ich es nicht mehr ertragen habe. So ganz langsam könnte ich es mir ja mal wieder anschauen.

Auf unserem Segeltörn mit Gerry und Giero auf Hawaii malten sie in ein Notizbuch, welches ich später nie mehr gesehen habe. Ich vermute, dass sie es Leonardo oder Gerry geschenkt haben. Und so fing es an, dass ihre Geschichten immer länger wurden.

Mit 9 Jahren kamen sie eines Abends auf uns zu und erklärten uns:„Mam, Dad, wir möchten diese Geschichte jetzt veröffentlichen. Uns fällt nichts mehr ein, was wir noch verändern könnten.“ Damit übergaben sie uns ein recht dickes Paket.„Erledigt ihr das für uns?“ Marie schaut uns mit ihren großen dunkelbraunen Augen hoffnungsvoll an.„Wir können es versuchen, mein Schatz …“ David nimmt sie in den Arm.„Versuchen ist zu wenig.“ Sie lässt nicht locker. Sophie hat sich an mich gekuschelt. Auch sie versucht es mit allen Tricks. „Aber ihr wisst doch, dass wir gut sind.“„Sophie, natürlich seid ihr gut, sehr gut sogar, aber es muss sich doch ein Verleger finden, der das ganze veröffentlicht.“ Ich möchte ihnen nicht gar zu viel Hoffnung machen.„Dann fragt doch einfach Estelle und Brian, die sind doch Verleger.“„Das stimmt schon, aber sie verlegen nur Bücher und Zeitschriften im Bereich Architektur und Landschaftsarchitektur. Wir müssen einen Kinderbuch-Verleger finden, versteht ihr das?“ Beide nicken David zu. „Aber ihr versprecht uns, dass ihr es versuchen werdet.“Wir mussten es hoch und heilig versprechen, dass wir nichts unversucht lassen würden. Und so vervielfältigten wir ihren Entwurf und sandten ihn an fast zwanzig Kinderbuchverlage. In den ersten Tagen kamen gleich unzählige Absagen. Und jedes Mal, wenn sie uns fragten und wir nur mit dem Kopf schüttelten, wurden sie etwas verzagter. „Mam, ist unsere Geschichte vielleicht zu schwierig zu verstehen?“„Nein, Sophie, eure Geschichte ist wirklich hübsch. Aber jeder hat so seine eigenen Vorstellungen.“Zum Schluss fehlten noch drei Reaktionen. Auf zwei warten wir heute noch, doch die nächste die kam, war positiv. Der Verlag bot an, eine kleine Auflage zu drucken. Allerdings verlangte er eine Beteiligung an den Kosten im Voraus. Je nach Buchverkauf würde dann abgerechnet werden. David und ich stimmten dem zu, hatten Sophie und Marie doch angeboten, auf alle Weihnachtsgeschenke zu verzichten. Wir mussten über so viel Ehrgeiz lachen, sie wollten auf jeden Fall ihr Ziel erreichen.Der Verkaufsstart lag ungünstig, die Sommerferienzeit stand an. Wir würden doch wohl eher auf das Weihnachtsgeschäft hoffen müssen. Doch im September kam plötzlich Bewegung in die Sache. Irgendeine Kindersendung hatte das Buch vorgestellt. Ende Oktober war die Auflage vergriffen, für das Weihnachtsgeschäft wurde eine fünfmal so hohe Auflage gedruckt. Diesmal wurde keine Kostenbeteiligung mehr verlangt. Wir eröffneten für beide gemeinsam ein Konto und dort zahlten wir die Tantiemen ein. Einen ersten gerahmten Auszug schenkten wir ihnen zu Weihnachten. Und noch so manch anderes.

Die folgenden Jahre brachte der Verleger zwei weitere Bücher von ihnen heraus. Wir hatten eine Vereinbarung mit ihm geschlossen, dass er keinerlei Informationen über Sophie und Marie veröffentlichen dürfe. Zum Glück ist der Name Steam nicht so selten, so dass er keine große Aufmerksamkeit erregte.Als dann aber an dem Weihnachtsball der Kalender und das Buch verkauft wurden und alles zu Gunsten unserer Stiftung ging, zählte ein anwesender Reporter eins und eins zusammen und vorbei war es mit der Unbekanntheit der Mädchen. Es gab ein paar Anfragen für Interviews und für eine Pressekonferenz mit dem Verleger und sie stimmten nach langer Beratung zwei Interviews und der Pressekonferenz zu.Da sie durch uns bereits einiges gewohnt waren, gingen sie recht frech damit um. Wenn ihnen eine Frage eines Reporters nicht passte, dann drehten sie den Spieß einfach um. Nun stellten sie ihrerseits Fragen, warum ihn das überhaupt interessiere. Ein „weil ich es wissen möchte“ akzeptierten sie nicht. Mit ihren hellen Köpfchen zwangen sie so manchen in die Knie, der glaubte, zwei zwölfjährigen Mädchen haushoch überlegen zu sein. David zeichnete alles auf und gemeinsam mit den Jungs schauten wir uns die Videos immer wieder an. Wir alle waren unglaublich stolz auf sie.

Doch davon ist nicht viel geblieben. Jetzt konzentrieren sie sich ganz auf ihr Medizinstudium. Ich weiß nicht, wie sie darauf kamen. Doch David war unglaublich stolz auf die beiden, als wir ihre Immatrikulation feierten. Sie wollten auf ihre Art anderen helfen …

3. Im Hier und Jetzt - Liz

Ab Ende Februar beginnt wieder die Geburtstagssaison. Den Auftakt machen die Zwillinge mit ihrem neunzehnten Geburtstag. Sie wünschen sich ein großes Fest in Charlotte. Und da mehr Familie dort lebt, als in unserem Haus, stimme ich dem zu. Michel und seine Familie wohnen weiterhin in der Villa, alle anderen Wohnungen sind vermietet. Noch wohnen alle Kinder in der Dachgeschosswohnung. Da dort jeder sein eigenes Zimmer hat, selbst die Zwillinge haben sich erstmals mit Studienbeginn für getrennte Zimmer entschieden, so müssen wir bei meinen Besuchen mit Leon und Mart immer etwas improvisieren.Die Mädchen haben sich viele Studienkameraden eingeladen, die alle deutlich älter als sie sind. Eher passen sie in Celons Alter. Doch sie haben gelernt, mit dem Altersunterschied umzugehen.

Ich bin ihnen zu liebe zum Friseur gegangen und habe mir zum ersten Mal die Haare gefärbt. Die grauen Strähnen, die in den letzten Jahren entstanden waren, gehören damit kurzfristig der Vergangenheit an. Außerdem habe ich mir ein neues Kleid gekauft. Das erste seit sehr langer Zeit. Irgendwie hatte ich zum ersten Mal wieder Lust dazu.

Sie wollten ihre Party selbst organisieren, daher habe ich ihnen nur ein Budget zur Verfügung gestellt. Sie haben viel selbst vorbereitet und so mancher Gast bringt noch etwas Ess- und Trinkbares mit.

Die Party ist schon im vollen Gange und viele tanzen, als Luke mit Leonardo erscheint. Wir haben uns zwar immer wieder gesehen, meist, wenn er mit seinen Töchtern in unserer Gegend an den Strand gefahren ist. Mal war es zufällig, mal haben wir uns verabredet. Ihn jetzt hier zu sehen, überrascht mich. Aber wenn ich ihn und Luke so ansehe, dann sind sie sehr vertraut miteinander. Gut, er kennt Luke seit nunmehr 14 Jahren sehr gut, ist aber auch seit vielen Jahren sein oberster Chef. Kurz nach Davids Tod hat Luke als Angestellter bei ihm angefangen, vorher war er als Student in seiner Firma beschäftigt. Sollte er ihm damit geholfen haben, über den Verlust hinwegzukommen? Wir haben nie darüber gesprochen. Und auch nie über das, was kurz nach Davids Tod passiert ist.

Die zwei Jahre vor Davids Tod, nach seiner Rückkehr aus Deutschland, war unser Kontakt wieder intensiver geworden. Es war unbeschwert und herzlich, doch alles hat sich mit einer einzigen Stunde verändert …Und seit dieser Zeit haben wir nie zu unserem lockeren freundschaftlichen Umgang miteinander zurückgefunden. Was würde ich dafür geben, könnte ich die Zeit zurückdrehen und diese tiefe Freundschaft erhalten.

4. Abschied von David – Leonardo

Im Sommer hatte ich David und Liz erzählt, dass ich mir endlich mit Gerry einen Traum erfüllen würde. Wir wollten gemeinsam, noch mit ein paar anderen, eine Atlantiküberquerung mit dem Katamaran segeln. Meine jüngere Tochter Ricky ist bei meiner Abreise vier Jahre und es ist für sie kein Problem, bei meinen Eltern für die Reisezeit von sechs Wochen zu bleiben. Sie liebt ihre Großeltern. Und auch die ältere, Beth, freut sich darauf, lange bei Oma und Opa zu sein.

Und so sitzen wir zu dritt in meiner Lieblingsbar zum Abschied in Charlotte. Ich habe die beiden eingeladen. Wir sehen uns eigentlich immer, wenn sie in Charlotte sind oder ich für die Wochenenden während der Bade- und Surfsaison am Strand bin. Sie sind gerade hier, weil Celon mit dem Studium angefangen hat und sie mal nach dem Rechten sehen und mich verabschieden wollen. Wir unterhalten uns viel über das Segeln, leider haben wir es wegen meines Europa-Aufenthaltes nie geschafft, nach unserer Hawaii-Reise nochmals gemeinsam unterwegs zu sein. Ich war noch zwei Mal in den Jahren mit Gerry auf hoher See, es hat sich eine wunderbare Freundschaft zwischen uns entwickelt.„Ich bin sehr gespannt, wie es wird. Gerry hat noch drei andere Segler mit an Bord, dazu Giero und Sara. Sie scheint sich unter den Seglern sehr wohl zu fühlen.“„Stimmt, dies hätte ich nie von Sara gedacht. Als wir sie kennenlernten, war sie gerade mit ihrer kleinen Galerie gescheitert und wusste eigentlich gar nicht, wie es weitergehen sollte. Ich finde es toll, wie sie sich entwickelt hat.“ Liz erinnert sich an die Anfänge ihrer Bekanntschaft.„Ich glaube ja, dass inzwischen auch Kate und Tom ihren Frieden damit geschlossen haben. Sie haben sich sehr Enkel gewünscht, sehen aber ein, dass es bei dieser Lebensweise einfach nicht machbar ist.“ David denkt an die zurückgebliebenen Eltern und unsere langjährigen Freunde.„Was machen die beiden heute eigentlich?“„Tom und Kate wohnen bei uns in der Nähe, letztes Jahr sind sie zum letzten Mal gesegelt. Dieses Jahr lag unser Boot fast nur in der Marina. Liz und ich, wir müssen uns unbedingt überlegen, was wir damit machen möchten. Wir sollten auch mit Alex und Ellen darüber sprechen …“„Das hat ja keine Eile. Jetzt liegt es erst einmal trocken, aber ich denke, wir sollten es behalten.“„Manchmal würde ich uns ja schon gern einen kleinen Katamaran kaufen, was meinst Du, Liz?“ David macht Pläne. Liz fährt ihm durchs Haar, in welchem die ersten silbernen Fäden auftauchen. Seine dunklen Augen strahlen sie an. Er liebt sie noch genauso intensiv wie vor 12 Jahren, als ich die beiden kennenlernte.

Zum Abschied umarmen wir uns, sie wünschen mir eine tolle Tour, allzeit guten Wind und „Komm uns gesund wieder!“ „Wir sehen uns dann zu Weihnachten bei uns“. Ja, wir hatten geplant, Weihnachten mit meinen Töchtern gemeinsam in Charlotte zu feiern.Mein Flug geht am nächsten Morgen in aller Frühe. In sechs Wochen werde ich in Miami im Hafen wieder ankommen. Dann noch ein kurzer Flug zu meinen Töchtern und Weihnachten steht vor der Tür.

Die Tour ist atemberaubend. Wir sind ein tolles Team, uns macht es Spaß, am Limit zu segeln. Als wir die ersten Inseln der Karibik erreichen, können wir es nicht fassen, dass es schon so weit ist. Nie ist Langeweile aufgekommen, unzählige Gespräche haben uns die Nachtwachen verkürzt. Besonders die Stunden mit Gerry habe ich gemocht.

Ich habe ihm viel von meiner Zeit in Europa und meiner Frau Cornelia erzählt. Wir ließen eigentlich kein Thema aus. Ich war während unserer Ehe zweimal mit ihm auf Tour, in der Karibik und vor Patagonien. Schon damals habe ich ihm viel von uns berichtet. Nicht nur die positiven Dinge, ich vertraute ihm alles an.

„Wie kam es, dass Conny dich so schnell nach der Geburt von Ricky verlassen hat?“„Ich denke, wir hätten Ricky nie bekommen dürfen. Für mich kam die Schwanger-schaft überraschend. Ich glaube, sie versuchte damit unsere Ehe zu retten. Aber so etwas kann nicht funktionieren. Sie warf mir immer vor, ich würde sie nicht wirklich lieben. Als sie dann André kennenlernte, meinte sie zu spüren, dass er sie mehr liebte. Sie zog kurze Zeit später einfach aus und nahm Ricky mit. Sie war damals gerade 6 Monate alt.“„Und was war mit Beth?“„Die blieb bei mir und ich musste mich von einem Tag auf den nächsten um alles allein kümmern. Sie ging zum Glück schon in den Kindergarten. Trotzdem bekam mein Tag einen ganz anderen Rhythmus. Conny war praktisch für mich nicht mehr erreichbar. Ungefähr drei Monate später stand sie abends mit Ricky vor der Tür.‚Hi Leon. Ich bringe dir Ricky vorbei, ich habe sie jetzt abgestillt und sie isst Breichen. Also kannst du dich jetzt um sie kümmern.‘‚Conny, was soll das?‘‚Du hast mich nie geliebt, hast immerzu nur deine Firma im Kopf. Und eine andere Frau, doch das habe ich viel zu spät begriffen. Ich bin einfach nicht gut genug für dich. Ich weiß nicht, was du dir erträumst, aber so will ich nicht weitermachen. Ich möchte die Scheidung. Wie wir uns das Sorgerecht teilen, dass sollen unsere Anwälte verhandeln.‘ Ich war einfach nur sprachlos und sie setzte noch eins drauf. ‚Ach, im Übrigen: Ich erwarte von André ein Kind und möchte ihn noch vor der Geburt heiraten. Also lass uns die Scheidung schnell über die Bühne bringen.’ Damit gab sie Ricky einen Kuss auf die Stirn und war zur Tür hinaus. Sie hatte kurzerhand über unser aller Leben entschieden.Ricky war neun Monate und sozusagen gerade von ihrer Mutter verlassen worden. Das traf mich viel mehr, als ihr Auszug aus unserem Haus drei Monate zuvor.“„Und sie wollte wirklich nichts mehr von ihren Töchtern wissen?“„Oh doch Gerry, aber eigentlich stimmt das auch nur zur Hälfte. Kurz darauf habe ich mich entschieden, nach Charlotte zurück zu gehen. Mit meinen Töchtern. Ich wollte das alleinige Sorgerecht für sie haben. Und das ließ sie sich teuer bezahlen. Es war richtig schlimm. Am Tag meiner Scheidung habe ich drei Kreuze geschlagen. Ich habe mich häufig gefragt, ob ich mich in ihr so getäuscht hatte oder sie sich in den Jahren unserer Ehe so verändert hat.In Deutschland hatte ich nicht viele eigene Freunde, viele waren in erster Linie ihre Bekannten. Dort hätte ich mir jede kleinste Unterstützung nur erkaufen können, fühlte mich auch plötzlich wieder fremd. Meine Eltern dagegen freuten sich, dass ich zurückkommen würde und sie ihre Enkel würden aufwachsen sehen.Einen Monat nach unserer Scheidung heiratete sie wieder, keine zwei Wochen später kam das Kind zur Welt. Zwischen der Geburt von Ricky und ihm lagen nicht mal eineinhalb Jahre.“„Das tut mir leid, Leo. Genau vor so etwas hatte ich immer Angst. Die Leidtragenden sind die Kinder. Ich will damit nicht sagen, dass du nicht auch einen Verlust hattest, aber das ist etwas anderes.“„Gerry, ich weiß, was du meinst. Ich habe mehr mit meinen Kindern gelitten. Ich habe Conny schon geliebt, aber vielleicht war ja ihre Liebe zu mir auch nicht das, was sie vorgab zu sein. Obwohl ich sie wirklich am Tag unserer Hochzeit wollte, hat mich unser Ende dann doch nicht überrascht. Als hätte ich es geahnt, dass es mal so laufen würde. Warum, kann ich dir noch nicht mal sagen. War einfach ein Bauchgefühl.“„Und wie hat es deine Umgebung aufgenommen, dass du nach so langer Zeit als geschiedener, alleinerziehender Papa zweier Töchter aufgetaucht bist?“„Wie gesagt, meine Eltern waren toll und sind es immer noch. Mein Bruder und seine Lincey mit ihren zwei Kindern, „halfen“ mir vor allen mit vielen guten „Tipps“. Manchmal konnte ich es nicht mehr hören. Ich weiß, dass sie es gut meinten, aber es kam halt anders an. Inzwischen ist es besser. Tja, die Zeit des Ausgehens war vorbei und wenn ich doch mal wegging, dann meist mit David und Liz. Das waren wunderbare Abende. Im Sommer war ich häufig bei ihnen und wir gingen an den Strand. Die Mädchen hatten sofort zutrauen zu Liz. Du kennst sie ja. Sie nimmt die Kinder in die Arme, als wären es die eigenen. Ihre Sprösslinge sind ja inzwischen richtig groß geworden. Und tolle Kinder sind das. Ihre zwei Mädchen machen mit ihren 15 Jahren bereits im nächsten Jahr Abitur. Und Luke arbeitet schon längst bei mir in der Firma, als studentische Aushilfe. Dabei ist er besser als mancher meiner Angestellten.Und wenn ich mal allein aus war, dann verzogen sich die Frauen gleich, wenn sie hörten, dass ich zwei kleine Töchter habe. So ist das wahre Leben.“„Und da sage nur einer, dass die Frauen nicht genauso schwarz-weiß denken würden.“ Gerry nickt mir zu.„Man sollte es nicht auf beiden Seiten so pauschal sagen…“ denn schließlich gibt es immer auch Ausnahmen.

Viele solcher Gespräche verkürzten die Nächte. Mein Leben zog an mir vorüber und ich fragte mich, was es wohl noch für mich bereithielt. Zu Träumen erlaubte ich mir nicht …

Als wir dann in Miami einfahren, werden wir von meinem Vater erwartet. Ich sehe ihn schon von Weitem. Das kommt für mich völlig überraschend. Ist etwas passiert? Ich schaue mich zu Gerry um. „Er hat mich vor ein paar Tagen kontaktiert, um zu fragen, wann wir nun genau ankommen. Daher wusste er unsere Ankunftszeit, aber mehr weiß ich auch nicht.“„Danke Gerry, es war eine tolle Tour. Euch wunderschöne Weihnachten.“ Damit schnappe ich mir meinen Seesack und bin der erste, der das Boot verlässt. Doch schnell macht sich ein ungutes Gefühl in mir breit.

Mein Vater kommt mir entgegen, sein Schritt ist nicht so locker und leicht wie sonst und auch sein Gesicht zeigt nicht unbedingt die Freude des Wiedersehens. Irgend etwas lastet auf seinen Schultern. Meine Ängste werden immer größer.Wir nehmen uns in die Arme und ich sehe Tränen in seinen Augen funkeln.„Paps, was ist passiert. Ist was mit Ricky und Beth? Oder mit Mama?“ Er schüttelt nur mit dem Kopf. Eine erste Erleichterung macht sich breit, meinen Lieben geht es gut. Die, die mir am nächsten sind. Doch was ist es dann?„Lass uns etwas trinken gehen.“ Er scheint sich wieder etwas zu fangen. Wir setzen uns in ein kleines Café.

Er holt noch mal tief Luft.„Leonardo, David ist gestorben. Am Tag, nachdem ihr von den Kanaren in See gestochen seid. Er ist einfach so eingeschlafen.“ Er hat seine Hände auf meine gelegt. Mir fehlt jedes Wort. „Zehn Tage später haben wir ihn begraben.“ Ich brauche nicht zu fragen, wie es Liz geht. Der Boden unter ihr hat sich aufgetan. Und ich konnte ihr nicht mal in dieser Zeit als Freund beistehen. Ich sitze wie gelähmt da. Louis bestellt uns zwei Whiskeys und ich trinke meinen in drei großen Schlucken.„Wie geht es ihr?“ Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll.„Francesca hält sich wacker. Ich würde sagen, sie funktioniert. Wie es ihr allerdings hier geht,“ und er legt eine Hand auf sein Herz, „wenn sie allein ist, dass kann wohl keiner erahnen.“Und wieder macht sich Schweigen breit. Die Minuten tröpfeln so vor sich hin. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.„Leonardo, wir können auch noch etwas länger auf Beth und Ricky aufpassen, wenn du zu ihr fahren möchtest?“„Ja, das will ich. Danke.“ antworte ich ohne zu zögern, und doch wäre ich von mir aus nie darauf gekommen. Ich schaue auf meine Uhr. Wir haben es schon kurz vor sechs.„Mein Flieger geht um 20 Uhr, ich sollte mich so langsam auf den Weg machen.“ Er zahlt und wir suchen uns ein Taxi. Ich schalte mein Telefon ein, zum ersten Mal, dass ich wieder Empfang habe. Gleich trudeln unzählige Nachrichten ein. Doch die interessieren mich alle nicht. Ich rufe bei einer kleinen Jet-Chartergesellschaft an und reserviere mir eine Maschine. Die nächste Verfügbare ist um 21.30 Uhr. Ich werde zwar spät ankommen, aber ich muss sofort zu ihr. Will sie in meinen Armen halten.„Halt uns auf dem Laufenden, mein Sohn“. Damit umarmt mich mein Dad zum Abschied.

Es ist kurz vor elf, als ich mit dem Taxi bei ihr vorfahre. Es brennt noch Licht. Soll ich wirklich bei ihr klingeln? Die vier Ältesten müssten eigentlich in Charlotte sein, die jüngeren bei ihr. Ich zahle das Taxi, steige aus. Ich stehe unschlüssig auf ihrem Bürgersteig.Sie scheint das Taxi gehört zu haben, denn plötzlich öffnet sich die Tür, und sie steht im Rahmen.

„Komm ruhig herein, Leonardo, ich kann doch nicht schlafen. Aber mach leise, die Kinder sind bereits im Bett.“ Sie geht vor und lässt die Tür offen stehen. Ich folge ihr. Und dann stehe ich vor ihr und weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Sie reicht mir einen Whiskey. Ich nehme ihn ihr ab, stelle das Glas aber sofort zur Seite. Dann nehme ich sie einfach in meine Arme. „Es tut mir so leid.“

Und dann fängt sie an zu weinen. Sie hält sich an mir, wie eine Ertrinkende. Der Weinkrampf wird immer heftiger. Sie zittert am ganzen Körper und um sie zu beruhigen, streichle ich ihr über ihre Haare. Und irgendwann, ich weiß nicht, was mit mir passiert, da begehre ich sie plötzlich wieder so, wie vor vielen, vielen Jahren. Es ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Doch ich fange an, ihren Rücken zu streicheln und ihren Hals zu küssen, ich möchte sie trösten und ihr ihren Schmerz nehmen. Mein Verlangen wird immer heftiger. Wir stehen so eng aneinander geschmiegt da, sie muss meine Erregung spüren. Nach einer halben Ewigkeit wird ihr Weinen weniger, sie dreht ihren Kopf zu mir und schaut mir tief in die Augen. Dann bietet sie mir ihre Lippen zum Kuss an. Ich weiß, dass es falsch ist, aber ich gehe den nächsten Schritt. Meine Lippen legen sich auf ihre und ich vergesse alles um mich herum. Ich nehme ihren Kopf in meine Hände, beginne ein zartes Spiel, welches schnell immer intensiver wird. Sie erwidert den Kuss mit einer Heftigkeit, die mich überrascht und doch alle Tore öffnet. Ich streife ihr ihr Kleid über den Kopf. Gleich liegen wieder unsere Lippen aufeinander. Ihr Kuss ist so sinnlich, so weich. Sie öffnet meine Hose und lässt sie zu Boden gleiten. Ich ziehe sie weiter aus und sie mich. Wir streicheln uns, erkunden den Körper des anderen. Dann greift sie hinter sich, löscht das Licht. Sie legt sich auf die Couch und zieht mich mit sich. Sie sieht mir in die Augen, als sie ihre Beine öffnet. Ganz langsam vereinen wir uns. Es ist ein sanftes zärtliches Miteinander. Mein Verlangen weicht einem Gefühl, dass ich sie lieben möchte. Es ist so anders, wie ich es vorher noch nie erlebt habe.Sie fühlt sich sagenhaft an. Sie verschlingt ihre Beine in meinem Rücken, ihr Becken kreist und reizt mich immer mehr. Und dann kommt es mir. Sie legt mir eine Hand auf den Mund, um mein Stöhnen zu unterdrücken. Und dann lässt auch sie los. Ihr Höhepunkt durchrollt ihren Körper, lässt sie erbeben. Sie hat die Augen geschlossen. Ich lege mich sanft auf sie, sie umarmt mich und hält mich fest. Oder hält sie sich an mir fest? Wir bleiben noch sehr lange so liegen, ihr Atem geht in gleichmäßigen Zügen. Irgendwann sagt sie:„Komm, lass uns aufstehen. Ich muss ins Bett.“ Sie lädt mich nicht ein, ihr zu folgen. Aber was habe ich auch erwartet. Und trotzdem wüsste ich gern, was in ihrem Kopf vorgeht. Ich gehe kurz ins Bad und als ich wieder herauskomme, sehe ich, dass die Tür des Schlafzimmers verschlossen ist. Ich ziehe meine Kleider an und gehe zur Tür hinaus. Draußen rufe ich mir ein Taxi und fahre nach Charlotte zurück.

Auf der Fahrt läuft alles wie ein Film vor meinen Augen ab, immer und immer wieder. Es war so unbeschreiblich schön. Wie muss es erst sein, wenn sie jemanden liebt und sich dann ihm schenkt. Doch immer mehr dämmert mir, dass ich den größten Fehler meines Lebens gemacht habe. Irgendwann schlafe ich auf der Fahrt ein.

Zurück in Charlotte kaufe ich frische Brötchen und überrasche meine Töchter und meine Eltern damit zum Frühstück. Ich will schnell zur Normalität übergehen, verdrängen, was ich letzte Nacht getan habe. Aber nicht vergessen. Dazu war es zu schön. Außerdem ist da wieder ein Gefühl tief in mir erwacht, welches ich schon vergessen glaubte ...

Die Mädchen holen mich sofort in den Alltag zurück. Und trotzdem nehme ich mir drei Tage später die Zeit, noch mal an die Küste zu fliegen, um von David Abschied zu nehmen. Ich sitze fast zwei Stunden an seinem Grab, führe ein stilles Gespräch mit ihm und bitte ihn um Verzeihung. Doch ich selbst kann mir nicht verzeihen.

Einen Tag später kommt ein Weihnachtspäckchen für meine Mädchen von Liz. Die Ältere bekommt ein paar Kinderbücher geschenkt, für die Kleine sind es niedliche Handspielpuppen. Der Produktionsstempel weist auf die Gestaltung ‚L. Steam‘ und Produktion „für Kinderträume“ hin. Und auf den zweiten Blick sehe ich auch, dass alle Bücher von Marie und Sophie Steam sind.

5. Im Strudel der Gefühle – Liz

Es ist schon sehr spät. Ich hörte das Auto vorfahren und kurze Zeit später fuhr es wieder weg. Dazwischen ein Türschlagen. Das konnte nur ein Taxi sein. Ich ging zur Tür und sah in der Videokamera, dass Leonardo auf der Straße stand, unschlüssig. Er muss direkt aus Miami zu mir gekommen sein. Ich hätte die Tür geschlossen lassen können. Ob er wohl geklingelt hätte? Aber das wäre nicht fair gewesen.

Auch er hat einen Freund verloren, vielleicht neben Gerry seinen Besten, und konnte sich bisher noch nicht von ihm verabschieden. Er muss ganz durcheinander sein, von der Todesnachricht noch ganz überrascht. Und er ist doch auch ein sehr guter Freund von mir. Daher öffne ich ihm die Tür.

Ich schenke uns zwei Whiskeys ein. Statt etwas zu sagen, nimmt er mich nur in den Arm. Damit bricht er unbewusst jede Fassung, die ich mühsam bewahrt habe, jeden Hauch an Stärke, der noch in mir war. Ich fühle mich so verloren und allein wie noch nie. Ich weine aus tiefster Seele in seinen Armen.Seine Hände streicheln mein Haar, um mich zu trösten. Dann spüre ich seine Lippen auf meinem Hals. Es fühlt sich so gut an. Es fühlt sich an, wie wenn man geliebt wird. Und dieses Gefühl scheint ewig weit weg zu sein, einer Vergangenheit anzugehören, die nie mehr wiederkommt.

Ich spüre sein Begehren, meine Einsamkeit ist riesig, ich möchte einfach nur geliebt werden. Und so drehe ich mich zu ihm, in seinen hellblauen Augen sehe ich viel Zärtlichkeit und Traurigkeit zu gleich. Unsere Lippen berühren sich, unser Kuss wird immer intensiver. Wir überschreiten eine Grenze, an der wir nicht mehr voneinander lassen können. Er ist zärtlich und vorsichtig, als wir uns gegenseitig ausziehen. Als er in mich eindringt, schließe ich die Augen, genieße nur einfach das Gefühl und unsere Vereinigung. Und irgendwann kann auch ich loslassen, mich meinem Orgasmus hingeben.Wir liegen noch lange aufeinander. ‚Wie viel leichter er doch als David ist.‘ Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gedacht habe, möchte ich nur noch allein sein. Allein mit meiner wahnsinnigen Sehnsucht nach David. Ich weiß, dass es nicht fair ihm gegenüber ist, doch ich kann plötzlich nicht anders.Während Leonardo im Bad ist, verschwinde ich in mein einsames Schlafzimmer, ziehe einen Pullover von David an, in welchem noch sein Duft, sein Parfüm hängt. Ich weine lange um meine verlorene Liebe und falle irgendwann in einen unruhigen Schlaf.

Wenn ich kann, arbeite ich ein bisschen, nichts Kreatives, dazu wäre ich jetzt nicht in der Lage. Mehr sind es planerische Arbeiten, Videobesprechungen mit den Bauleuten. Dazu die Hausarbeit. Ich zwinge mich, jeden Abend für uns fünf zu kochen, auch wenn ich seit Wochen nichts mehr bei mir behalten kann. Obwohl ich vorher schon nicht dick war, nehme ich weiter ab. Ich mag mich schon gar nicht mehr im Spiegel betrachten. Die besorgten Blicke von Simon und Marta sprechen Bände.

Ich gehe jeden Tag auf dem Friedhof vorbei und sitze lange Zeit an seinem Grab. Noch erscheint mir alles so surreal. Mein geliebter David soll nie mehr an meiner Seite sein, ich nie mehr seine Lippen auf meinem Körper spüren, mich mit ihm nie mehr vereinen können. Nie mehr seine Stimme hören, die sagt: Ich liebe dich. Einfach alles ‚nie mehr‘. Unvorstellbar. Ich möchte aufwachen aus diesem Albtraum.

Als ein paar Tage später ein paar frische Blumen auf seinem Grab liegen, weiß ich, dass sie von Leonardo sind. Alle anderen haben sich bereits von ihm verabschiedet. Er muss also noch mal zurückgekommen sein … und ist doch nicht bei mir vorbeigekommen. Eine tiefe Enttäuschung darüber breitet sich in mir aus. Sollte an dieser einen Stunde unsere Freundschaft zerbrechen?Am Abend packe ich ein Päckchen mit ein paar Kinderbüchern und den neusten Handspielpuppen von „Kinderträume“ für seine Töchter und bringe es zum Kurierdienst, damit alles rechtzeitig ankommt. Weihnachten werden wir uns nun wohl doch nicht sehen, er hat sich nicht mehr gemeldet. Aber ich werde auch nicht nach Charlotte mit den Kindern fahren. Die Pläne gibt es nicht mehr. Nichts ist noch so, wie es mal war.

Am nächsten Tag kommen daher Luke, Celon und die Zwillinge aus Charlotte für die Weihnachtsferien zurück. Es wird ein trauriges Fest werden. Alex und Ellen wollten uns zwar einladen, aber das möchte ich nicht. Was sollte das bringen. Lieber habe ich die Kinder aufgefordert, sich mit ihren Freunden zu verabreden, die sie auf andere Gedanken bringen. Und sie haben viele Einladungen erhalten. So bin ich zwar fast immer allein, aber das ist der Zustand, den ich am besten ertrage. Ich mache ewige Strandspaziergänge, die eisige Luft tut mir gut. Einen Tag treffe ich Kate und Tom, die mich zwingen, mit ihnen zu kommen.Sie können nicht ahnen, dass eines unserer letzten Gespräche über das Segeln ging, an dem Abend, als wir Leonardo zu seinem Törn verabschiedeten. Auch wenn ich erst nicht wollte, so tut es doch gut, bei ihnen zu sein.

In den Tagen zwischen den Jahren male ich zum ersten Mal wieder. Ich bin in mein Büro gegangen, die Arbeitsatmosphäre wirkt beruhigend auf mich. Doch die Bilder sind alles andere als das.

Silvester sind alle Kinder bei Freunden unterwegs und so gehe ich dann doch zu Alex und Ellen. Sie haben viele unserer gemeinsamen Freunde eingeladen, Oliver und Li, Pina und ihr Mann sind mit dabei. Ich bin zwar nicht fröhlich, aber ich habe mich im Griff. Auf das neue Jahr anzustoßen, fällt mir schwer. Es liegt wie eine riesige Welle vor mir, die mich immer wieder zu erschlagen droht. So fühle ich mich. Erschlagen und doch am Leben.

Und wieder hilft mir meine Arbeit, die kommenden Wochen zu überstehen. Für zwei Auftragsarbeiten konnten wir eine Verlängerung der Entwurfsphase um drei Monate erreichen. Alex hat hier toll verhandelt. Auch ansonsten ist er mir eine unglaubliche Stütze. Nicht nur, weil er mich immer mal in den Arm nimmt, sondern auch, weil er mich fordert. Er lässt nicht zu, dass ich mich hängen lasse. Immer wieder treibt er mich an, auf seine sehr nette Art.

Michel hat viel von Davids Arbeit übernommen, aber langfristig werde ich wohl nicht mehr so viele Gärtner beschäftigen können. Pina arbeitet sehr gut im Entwurfsbereich. Die großen Aufträge, die das Geld bringen, werden in Zukunft sicherlich ausbleiben. Schließlich hatte David einen Namen. Park- und Gartenpflege sollte weiter laufen, aber ob ich den Nerv habe, mich auch noch darum zu kümmern, das muss ich später entscheiden. Bisher lasse ich es einfach laufen.

Es ist Ende Februar, als ich das erste Mal das Gefühl habe, dass ich schwanger bin. Ich werde 48 sein, wenn das Kind zur Welt kommt. Das ist mein erster Gedanke. Ich habe immer mit Pille verhütet, von David dürfte es daher nicht sein. Bleibt nur Leonardo. Dadurch, dass ich nach Davids Tod fast nichts mehr bei mir behalten habe, wird die Pille nicht mehr gewirkt haben. Ich hatte früher mal davon gehört, habe aber in diesem einen Moment einfach nicht daran gedacht. Wer sollte mir das verübeln. Ich liege auf meinem Bett und denke erstmals länger an Leonardo und unsere Vereinigung. Ich habe seitdem nur noch zweimal kurz mit ihm telefoniert, er wirkte distanziert, es war keine Vertrautheit mehr da. Sollte er das Ganze bereuen? Und wie geht es mir? Bereue ich es? Nein, ich habe es einfach verdrängt, aber das geht nun nicht mehr. Ich werde 48 sein, absolut kein Alter, um noch ein Kind zu bekommen. Das Schlimmste aber ist, dass ich mich wirklich Niemandem anvertrauen kann oder möchte. Was soll derjenige nur von mir denken. Was soll ich nur tun. Eine Abtreibung war für mich immer unvorstellbar. Und jetzt?

David, was soll ich nur tun? ‚Immer diese eine Frage, David.‘ Wenn du doch bei mir wärst, wär ich gar nicht in der Situation. Warum musste nur der Tod dich mir so früh wegnehmen? Mich mit unseren Plänen, Träumen und unserer Liebe zurücklassen.

Und wieder landen meine Gedanken bei Leonardo. Was würde er wohl dazu sagen? Mit seinen zwei süßen kleinen Mädchen hat er doch seine Familie. Da passe ich mit einem Kind nicht rein …Aber vielleicht sollte ich mir erst Klarheit verschaffen, ob mein Gefühl mich nicht betrügt.

Doch zwei Tage später habe ich die Gewissheit. Und damit bin ich Mitte des dritten Monats. Ich muss schnell eine Entscheidung fällen. Als Erstes mache ich einen Termin bei meiner Frauenärztin. Ich bin zwischen allem hin und hergerissen. Aber es ist auch die Zeit, in der ich zum ersten Mal außerhalb meiner Arbeit nicht ständig an David denke. Und doch kann im nächsten Moment alles anders sein. Meine Gefühle fahren einfach nur Achterbahn. Die ersten paar Tage kann ich keine Entscheidung fällen. Tag für Tag verrinnt. Irgendwie wünsche ich mir, dass mir jemand diese Entscheidung abnimmt. Doch wer sollte es tun, wenn es niemand weiß. Wer sollte mich aufrütteln, mir meine Gedanken sortieren, mir dabei zur Seite stehen?

Und dann wird mir die Entscheidung tatsächlich abgenommen. Ich verliere das Baby Ende der zwölften Woche. Die Rückenschmerzen sind heftig, doch sie überraschen mich im Schlaf. Erst als ich die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen spüre, begreife ich, was gerade passiert. Ich gehe mich frisch machen, beziehe mir ein neues Betttuch. Dann lege ich mich wieder hin und weine, um das Kind, aber auch vor Erleichterung. Ich fühle mich befreit und schäme mich im nächsten Moment dafür. Die Natur hat für mich entschieden. Daran werde ich mich aufrichten, wenn ich mich daran erinnere.

Doch mein Sternenkind werde ich nie vergessen.

6. Der Geburtstag geht weiter – Liz

Leonardo kommt nicht direkt auf mich zu, er lässt mir Zeit, die Überraschung zu verarbeiten. Schließlich war unser Umgang miteinander in den letzten beiden Jahren recht spröde. Wir hatten die Leichtigkeit und Vertrautheit unserer Freundschaft verloren.

Doch irgendwie freue ich mich auch, ihn zu sehen. Ich habe mich die ganze Zeit mit ein paar Freundinnen von Marie und Sophie unterhalten. Da mein Weinglas leer ist, hole ich mir ein neues und trete hinaus auf die Dachterrasse. Ich blicke hinüber auf das Areal des Sportparks. Heute ist in dem Stadion ein Spiel, denn es ist nicht nur die übliche Nachtbeleuchtung an. Noch bevor mich Erinnerungen an die Bauzeit und das tolle Eröffnungsfest überfallen können, höre ich, wie sich die Terrassentür öffnet. Ich drehe mich um. Leonardo hat sich seine Lederjacke angezogen und tritt heraus in die Kälte.„Frierst du nicht, Liz? Soll ich dir etwas zum Anziehen holen?“ Statt einer Antwort, zeige ich auf den Stapel Decken, der auf einem Stuhl liegt. Er nimmt eine, breitet sie aus und legt sie um mich. Für einen kurzen Moment hält er mich so in den Armen. Dann stellt er sich neben mich.

„Ich bin überrascht, dich heute hier zu sehen. Aber so bin ich wenigstens nicht der einzige Oldie hier.“„Wenn man dich sieht, dann könntest du glatt als eine von ihnen durchgehen.“„Nun übertreib mal nicht, Leonardo. Schließlich bin ich in manchen Momenten froh, keine fünfundzwanzig mehr zu sein.“ Denn dann gäbe es meine tollen Kinder und mein Leben mit David nicht, vervollständige ich meinen Satz in Gedanken.„Liz, wie gern hätte ich dich schon mit fünfundzwanzig kennengelernt. Habe ich dir eigentlich mal erzählt, dass ich Teil der Surferclique war, als du nach Wilmington kamst und mit Luke die Baustellen unsicher gemacht hast? Nun, ich zählte nicht zu denen, die Witze darüber gemacht haben, aber ich hätte dich auf der einen oder anderen Einweihungsparty deiner Häuser kennen lernen können …“Das hat er uns in all den Jahren nie erzählt. „Nein, das hast du nicht.“„Manchmal frage ich mich, ob ich mich damals in dich verliebt hätte, so wie ein paar Jahre später…“„Wann später?“„Ist das wichtig?“„Du hast Recht, das ist nicht mehr von Bedeutung, nur das hier und jetzt zählt.“„Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?“ Leonardo möchte lieber mit mir allein sein, und ich? Fühle ich mich nicht sicherer hier?„Ich würde gern hier bleiben. Wir können uns ja ein wenig setzen und uns noch ein paar mehr Decken nehmen“. Nachdem wir uns warm eingepackt haben, setzen wir unser Gespräch fort. Irgendwann müssen wir über das Vorgefallene sprechen, wenn es nicht ewig zwischen uns stehen soll und unsere Freundschaft nicht ganz den Bach hinuntergehen soll. Und daher fasse ich mir irgendwann ein Herz, und frage ihn.

„Leonardo, was ist damals eigentlich passiert?“ Ich hoffe, er weiß, was ich meine, aber er scheint sofort zu verstehen.„Liz, wenn ich jetzt sagen würde, dass es mir leidtut, dann stimmt es nicht. Denn ich habe es einfach nicht vergessen können, auch wenn es das Falscheste war, was ich je in meinem Leben gemacht habe. Ich habe mir wochenlang, monatelang Vorwürfe gemacht. Ich wollte zu dir kommen und mich entschuldigen und konnte es doch nicht. Denn eigentlich war für mich nur das passiert, was ich mir seit vielen Jahren gewünscht habe.“

Das muss ich jetzt erst mal verdauen. Schweigend sitze ich da, einen dicken Kloß im Hals.„Liz, bitte sag etwas.“ Er hat seine Hand auf meine gelegt. Nach langer Zeit erwidere ich ihm:„Weder muss es dir leidtun, noch musst du dich entschuldigen. Denn wir haben nichts Unrechtes getan. Ich habe lange gebraucht, um das für mich zu akzeptieren. Der Zeitpunkt war vielleicht früh, aber wir haben niemanden betrogen. David war nicht mehr, wir konnten ihn also nicht betrügen.“„Es fühlte sich aber für mich so an.“„Für mich auch, Leonardo, aber das ist nicht richtig. Nach den ersten Wochen der Einsamkeit, mir fehlte einfach die Zärtlichkeit, wollte ich wieder das Gefühl haben, geliebt zu werden. Ich weiß nicht, ob du das nachvollziehen kannst.“„Doch, ich denke schon. Und trotzdem schäme ich mich, dass ich deine Situation so ausgenutzt habe.“

Es bringt nichts, dass ich jetzt noch mehr erzähle, von den einsamen traurigen Wochen danach. Ich bin froh, dass wir wenigstens über das gesprochen haben Lieber wechsle ich das Thema.

„Und wie kommt es, dass du heute auf dem Geburtstag meiner Töchter auf-tauchst?“„Kurze Version: Luke hat mich eingeladen, warum, das musst du ihn selbst fragen.“„Und die lange Version?“„Vielleicht habe ich ihn zu sehr mit meinen Fragen über dich in den letzten Monaten genervt. Nach dem Motto: Mach dir doch selbst ein Bild, wie es ihr geht.“ „Und, was sagt dir dein Bild?“ Ich schaue ihn lange an. Wie sieht er mich wohl heute?„Ich sehe eine attraktive Frau, die anfängt, wieder auf das Leben zuzugehen. Darüber bin ich sehr glücklich.“„Du hast Recht. Ich weiß, dass ich lange gebraucht habe. Aber ich habe mit David auch noch so viel mehr verloren, was ich versuche, mir nun wieder zurück zu erobern. Schließlich wöllte er, dass ich erneut glücklich werde.“ „Ich wünsche es dir von ganzem Herzen. Wenn ich dir nur wieder ein echter Freund sein kann, so wie vor Davids Tod, dann will ich schon glücklich sein. Denn die letzten zwei Jahre waren die Hölle für mich, wenn ich dich habe so leiden sehen. Und mich nicht getraute, dir nahe, dir ein Freund zu sein.“„Danke Leonardo. du weißt, dass du mir sehr viel bedeutest.“ Er legt mir einen Arm um meine Schulter und zieht mich zu sich ran.

„Wie geht es eigentlich Ricky und Beth. Ich habe sie so lange nicht mehr gesehen. Ich freue mich schon, wenn ihr im Sommer wieder an die Küste kommt. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch bei mir schlafen, solange die Großen nicht da sind. Aber das wird immer seltener. Dann ist wenigstens das riesige Haus nicht so leer.“„Solange alles so ist, wie es ist, kommen wir gern.“ Meint er, solange es keinen neuen Mann in meinem Leben gibt? Die Kinder haben die Terrassentür geöffnet, um ein bisschen Luft reinzulassen. Damit dringt auch die Musik lauter zu uns.„Lass uns ein wenig hier draußen tanzen, Leonardo.“ Ich weiß, dass er leidenschaftlich gern tanzt. Damit stehe ich sofort auf und fange an, mich zu bewegen.

Dachte er, ich will mit ihm tanzen? Das wäre wohl keine gute Idee. Ich spüre doch, wie sein Körper vibriert, wie sehr er mich noch immer begehrt. Aber so weit bin ich noch nicht.Ich habe die Augen geschlossen. Ich bin mir sicher, dass er mich beobachtet. Hin und wieder huscht ein Lächeln über mein Gesicht. ‘Nicht nur ich errege dich, Leonardo, sondern auch von dir geht eine unheimliche Anziehung aus. Dessen solltest du dir bewusst sein. Hab noch ein wenig Geduld mit mir, bitte Leonardo.’ Die Tür wird wieder geschlossen, die Musik verstummt. Damit höre ich auf zu tanzen.„Komm, lass uns reingehen zu den anderen. Hier draußen wird es jetzt richtig kalt.“ Er steht auf, hält mir die Tür auf und wir suchen uns ein Plätzchen auf der Couch. Das Geplapper der anderen löst unsere intime Atmosphäre auf. Bald lachen und diskutieren wir mit ihnen. Manchmal werfen wir uns kurze Blicke zu.

Leonardo geht mit dem Großteil der Gäste. Ein paar von den restlichen Studenten werden wohl in der Wohnung mit übernachten. Und so lädt mich Luke ein, doch bei ihm im Zimmer zu übernachten. Er räumt mir sein Bett frei und legt sich selbst auf den Boden. Ich gebe Luke einen Kuss und mache dann das Licht aus. „Mam, warte nicht zu lang, Leonardo liebt dich aufrichtig.“ Das ist mir heute Abend auch bewusst geworden, aber das sage ich ihm nicht.

7. Meine über alles geliebte Mam – Luke

‚Und Leonardo liebt dich seit einer Ewigkeit‘ das möchte ich ihr am liebsten noch sagen, aber sie scheint schon eingeschlafen zu sein. Die beiden haben sich heute seit dem Herbst zum ersten Mal wieder gesehen.Mit Auslaufen der Badesaison ist Leonardo nicht mehr an die Küste gefahren. Vorher hat er die Tour regelmäßig, wenn auch nicht mehr so häufig wie in früheren Jahren, gemacht, das eine oder andere Mal bin ich mit ihm gefahren. Wir haben uns unterhalten, wenn seine Mädchen schliefen. Ich weiß schon lange, dass er tiefe Gefühle für meine Mam hat und doch war davon in den vergangenen zwei Jahren nichts zu spüren. Irgend etwas hatte sich verändert, und es war nicht nur der Tod meines Dads.

Ich kenne ihn nun schon so lange. Er hat mir alles über das Programmieren beigebracht, obwohl er in Europa war. In all den Jahren haben wir Kontakt gehabt. Am Anfang fast täglich. Als er dann verheiratet war weniger, aber immer noch so häufig, dass ich alles von ihm lernen konnte. Mit Beginn meines Informatik-Studiums konnte mir keiner mehr etwas über das Programmieren beibringen, ich holte sozusagen nur den Abschluss nach. Dafür begann ich schon bei LEBS zu arbeiten. Offiziell als Student, aber eigentlich machte ich viel mehr. Und als er dann zurück war, wurde unsere Zusammenarbeit noch intensiver. Ich weiß nicht, wie viel meine Eltern davon ahnten. Ihr Kontakt wurde nach seiner Rückkehr immer häufiger, in den folgenden drei Sommern war er fast jedes Wochenende an der Küste und gern gesehener Gast im Hause meiner Eltern.

Wenn ich Zeit und Lust hatte, flog ich mit und wir gingen mit Mart, Leon und Dad kiten. Mein Dad war inzwischen richtig gut, Leonardo konnte mit ihm nicht mehr mithalten. Er war durch die Zeit in Europa etwas aus der Übung gekommen.

Während der Zeit blieb Mam mit Ricky und Beth am Strand zurück. Ricky, mit ihren anfänglich noch nicht zwei Jahren, und Beth, als 4 jährige, nahmen sie voll in Beschlag. Ihr Spiel mit ihnen rief meine Erinnerungen an meine jüngeren Geschwister in mir wach. Und Leonardo, der glaubte, manchmal unbeobachtet zu sein, schaute nicht nur seine Töchter mit einem verliebten Blick an. Und doch habe ich keinen Moment, in dem ich meine Eltern mit ihm erlebte, gespürt, dass er meinem Vater den Platz streitig machen wollte. Er war einfach nur ein guter Freund.

Und dann, mit dem Tod meines Vaters, änderte sich schlagartig alles. Ich dachte, er würde sie als Freund unterstützen, aber er zog sich zurück. Im darauffolgenden Sommer wurden seine Besuche seltener. Daher habe ich sie fast nie mehr zusammen erlebt. Und wenn, dann gingen sie eher geschäftsmäßig distanziert miteinander um. Aber gegenüber seinen Kindern war sie wie früher.

Mam brauchte sehr lange, um sich von dem Schlag zu erholen. Erst jetzt so ganz langsam, beginnt sie wieder zu leben. Für sie gab es fast nur die Arbeit und uns Kinder. Ich hatte schon ein paar kurzzeitige Freundinnen, aber eigentlich nie etwas Ernstes. Daher kann ich mir wohl gar nicht so richtig vorstellen, was sie verloren hat. Sie hat nur immer gesagt, dass es zwischen ihr und „eurem Dad“ etwas ganz Besonderes war. Doch jetzt habe ich eine Freundin, würde sie ihr so gern vorstellen und getraue es mich doch nicht. Ich bin wahnsinnig verliebt in Elaisa und kann ihr einfach nicht davon erzählen.

In den letzten Wochen wurden Leonardos Nachfragen nach ihr immer häufiger, auf der anderen Seite bekam ich nie mit, ob sie miteinander telefonierten. Und daher lud ich ihn einfach zu Sophies und Maries Geburtstag ein. Er wollte zwar erst nicht so recht, aber ich erwiderte nur:„Wenn du wissen möchtest, wie es ihr geht, dann frag sie selbst.“„Nein, das kann ich nicht. Es gibt Fehler, die manches oder gar alles unmöglich machen.“„Mam kann alles verzeihen. Und ich werde dir nichts mehr erzählen.“Ich sah, wie Tränen in seinen Augen glänzten und da begriff ich, wie sehr sie ihm fehlte. Als Freundin, als Frau?

Ich habe sie heute Abend beobachtet. Sie saßen mit dem Rücken zum Fenster, doch irgend etwas an ihrer Art sagte mir, dass sie Dinge besprachen, die sie getrennt hatten. Sollten sie wirklich eine Chance haben, einen gemeinsamen Neuanfang zu starten? Denn eines war ich mir nun sicher, Leonardo liebt meine Mam über alles. Und das nicht erst seit gestern. Und da ich ihn über so viele Jahre kenne, wünsche ich ihm, dass er endlich glücklich wird. Er verdient es, denn er ist mir wirklich ein toller Freund. Und meiner Mam wünsche ich natürlich auch, dass sie noch mal glücklich wird.Ich weiß, dass sie unseren Dad nie vergessen wird, aber sie ist zu jung, um auf das Leben zu verzichten.

8. Kurze Wochen – Liz

Kaum das der eine Geburtstag vorbei ist, wirft auch der nächste seine Schatten voraus. Diesmal lädt Luke ein. Es sind noch viele seiner Studentenfreunde dabei, doch auch der eine oder andere Kollege von LEBS. Die Party ist etwas völlig anderes. Die Informatiker sind einfach anders als die angehenden Mediziner.Ich weiß, dass Leonardo auch eingeladen ist, er hat es mir bei unserem letzten Telefonat erzählt. Er wird sich unter seinesgleichen wohlfühlen.Leider hat er für Ricky und Beth keine Betreuung gefunden und so habe ich ihm angeboten, sie einfach mitzubringen, ich würde mich ein wenig um sie kümmern. Ich glaube, dass sie sich darauf freuen. Und ich mich auch.

Ich habe sie seit dem Herbst nicht mehr gesehen, das Wochenende nach ihren Geburtstagen waren sie das letzte Mal an der Küste. Zu seinem Geburtstag habe ich ihm ein paar Bildern der vergangenen Jahre und einen sehr alten Whiskey zukommen lassen. Und doch war er weiterhin so distanziert. Ich hatte das Gefühl, ihn einfach nicht mehr zu erreichen. Seit dem Geburtstag der Mädchen ist es nun wieder anders. Nicht so wie früher, als Freundschaft würde ich unser Miteinander jetzt nicht beschreiben.

Sobald sie zur Tür hereingekommen sind, nehmen mich Beth und Ricky in Beschlag. Sie kennen zwar auch Mart und Leon, aber die beiden haben gerade ein Alter erreicht, wo sie lieber nach Älteren schauen. Es ist ein herrlicher warmer Frühlingsabend und so verziehe ich mich mit den beiden auf die Terrasse. Wir holen uns ein paar Spiele mit nach draußen und sind mit uns zufrieden.

Leonardo schaut ein paar Mal nach uns, wird aber schnell wieder in ein neues Gespräch verwickelt. Für jeden von Ihnen ist er ein großes Vorbild, nicht einer, der noch nicht von ihm gehört hätte. Schließlich ist ja auch seine Firma direkt neben dem Uni-Campus.Ricky schläft als erste an mich gekuschelt ein, während Beth noch ein bisschen von der Schule und ihren Freundinnen erzählt. Irgendwann legt sie ihren Kopf auf meine Beine, ihr Erzählen wird immer langsamer und dann verstummt sie. Sie ist ebenfalls eingeschlafen.

Wenn ich jetzt aufstehen würde, wären sie beide wieder wach. Und so brechen sich Erinnerungen bahn. In einer Woche werde ich fünfzig. Meinen vierzigsten Geburtstag habe ich in etwas größerer Gesellschaft verbracht, wenn auch wieder nur als Gast.

Leonardos Bruder Ricardo und Lincey hatten an meinem 36. Geburtstag geheiratet. Auch weil Leonardo seit fast zweieinhalb Jahren mal wieder zu Besuch aus Europa kam, wollten sie ihren vierten Hochzeitstag mit Freunden und der Familie am Abend feiern. Und da der nächste Tag ein Feiertag war und sich so ein langes Wochenende für jeden ergab, wurde es eine große Runde.Wir feierten wieder auf dem Anwesen, auf welchem sie auch ihre Hochzeit begangen hatten. David hatte seit einigen Jahren mit seiner Firma die Pflege des Parks übernommen und im letzten Jahr auch einige Umgestaltungen veranlasst. Ich war seit dem nicht mehr dort gewesen, aber das, was ich sah, begeisterte mich.

Wir spazierten lange durch den Park, ich ließ mir alles von David ganz genau erklären. Er hatte ihm etwas von seiner englischen Strenge genommen, mehr blühende Sträucher gepflanzt und zusätzliche Sitzecken in Rosenhecken angelegt, die sicherlich bald anfangen würden zu blühen und zu duften.Als wir zurückkamen, ging uns Leonardo entgegen.„Schade, dass ich es wieder verpasst habe, mit euch durch den Park zu gehen. Ich hätte mir gern, deine Ausführungen angehört, denn ich finde deine Arbeit wieder sehr gelungen.“ Ich stutzte bei dem Wörtchen ‚wieder‘, denn es bedeutete ja, dass er hinter der Eventagentur stecken würde. Woher sollte er sonst wissen, dass David den Auftrag dazu hatte. Und auch David begreift…„Leonardo, willst du uns damit zu verstehen geben, dass du mich wieder, sozusagen ‚in cognito‘, beauftragt hast? Glaubst du wirklich, wir würden dir noch eine Bitte abschlagen?“ Davids Fragen sind rhetorischer Natur, denn jeder von uns kennt die Antworten.„Ich weiß, dass es seit unserem Segeltörn anders wäre. Verzeiht mir mein kleines Spiel. Aber manchmal überrasche ich gern. Im Übrigen Liz, möchte ich dich mit dem Entwurf für zwei Niederlassungen in Europa beauftragen, also von Anfang ganz offen.“ Seine Augen strahlen mich an. „Die eine wäre in London und die andere in München. Ich möchte mit einem Generalunternehmer zusammenarbeiten, den ich über meine Frau kennengelernt habe und der in beiden Ländern arbeitet.“ Dass Leonardo inzwischen verheiratet ist, hatte mir Louis, zu dem ich weiterhin regelmäßig Kontakt habe, erzählt.„Ich würde es nur machen, wenn wir bis zur Baureife ausplanen können, so könnte es funktionieren.“ Leonardo sieht mich kurz an.„Ok, doch, das wäre für mich ok. Habt ihr das Wochenende noch mal Zeit, dass wir uns kurz zusammensetzen können?“ Wir wollten zwar die drei freien Tage genießen, aber wie David vorhin bereits gesagt hatte, können wir ihm keine Bitte abschlagen.„Dann am liebsten gleich morgen.“ Und so verabreden wir uns zu einem gemeinsamen Frühstück in seinem Lieblingshotel der Stadt.„Leonardo, schade, dass du deine Frau nicht mitgebracht hast. Ich hoffe, es geht ihr gut.“ David möchte nicht mehr von der Arbeit reden und fängt daher ein anderes Thema an.„Nun, sie möchte nicht mehr Reisen, da wir unser erstes Kind erwarten. Es ist zwar erst im Oktober so weit, aber sie ist einfach überängstlich.“ Na, das ist ja die nächste Überraschung. „Herzlichen Glückwunsch euch beiden.“ Damit nehme ich ihn spontan in den Arm und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. David klopft ihm auf die Schulter. „Sollten wir darauf nicht anstoßen?“ Kaum hat er es gesagt, hat David von einem Serviertablett auch schon drei Champagnergläser gegriffen. Wir prosten Leonardo zu. Louis und Sylvia vergrößern in dem Moment unsere Runde.„Na, hat euch Leo gerade verraten, dass er uns nun auch zu Großeltern macht? Wir freuen uns ja so für ihn. Nur schade, dass sie so weit weg wohnen.“ Sylvia ist hin und her gerissen zwischen ihrer Freude und Enttäuschung.„Mam, ihr könnt uns doch jederzeit besuchen kommen, dass wisst ihr ja.“ Leonardo nimmt sie liebevoll in den Arm. Und dann stoßen wir nochmals auf das werdende Elternglück an.„Aber ich möchte nicht nur auf euch anstoßen, sondern auch auf meine geliebte Liz, die heute ihren 40. Geburtstag feiert.“ David strahlt mich mit seiner ganzen Liebe an und gibt mir einen langen Kuss.

„David, warum habt ihr es denn nicht früher gesagt?“ Sylvia fängt sich als Erste und ich frage mich, warum David es ausgerechnet jetzt preisgegeben hat.„Weil sie dazu viel zu bescheiden ist und nicht gern im Mittelpunkt steht, vor allen, wenn anderer Feste gefeiert werden.“ Louis kennt mich inzwischen schon sehr gut. Diesmal organisiert er uns eine neue Runde des Champagners und alle gratulieren mir umfangreich.Später kommen dann auch Lincey und Ricardo, um mich zu beglückwünschen. David und ich tanzen viel miteinander, Leonardo nur mit seiner Mutter und seiner Schwägerin, allen anderen gibt er einen Korb. Seine Frau kann nicht hier sein und so möchte er nicht auf ihre Kosten seinen Spaß haben. Wie liebevoll, denn ich weiß, dass er ein sehr guter und leidenschaftlicher Tänzer ist.

Beth, die er uns damals angekündigt hat, liegt nun auf meinem Schoß und dreht sich gerade um. Wie anders ist doch die ganze Geschichte ausgegangen. Seit fast sechs Jahren wächst sie ohne ihre Mutter auf. Ich wüsste nicht, dass sie noch irgendwelchen Kontakt zu ihr hat. Vielleicht sollte ich bei einer passenden Gelegenheit Leonardo mal danach fragen.