Der Elf mit dem blauen Helm - Joachim Winckelmann - E-Book

Der Elf mit dem blauen Helm E-Book

Joachim Winckelmann

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Beschreibung

Aus dem Leben des Grafen von Saint Germain So rätselvoll und undurchsichtig das Leben des Grafen nach den geschichtlichen Quellen erscheint, so sympathisch und menschlich groß tritt er uns entgegen. Die Erzählung beginnt mit der Rückkehr des Grafen aus Petersburg auf dem Wege nach Paris und seinem Aufenthalt in einer kleinen fürstlichen Residenzstadt im Westen Deutschlands. Sie endet in Paris in den Tagen der französischen Revolution mit ihren Umwälzungen und Grausamkeiten. Hier erweist sich der Graf nicht nur als überlegener Kenner der alchemistischen Kunst, sondern auch als der liebenswürdige Retter zweier Menschen, die das Schicksal füreinander bestimmt hatte. Eine fesselnde Erzählung mit wertvollen Einsichten in das Wirken der Naturgeister und in tiefere Zusammenhänge des Schicksalsgeschehens.

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JOACHIM WINCKELMANN

DER ELF

MIT DEM BLAUEN

HELM

AUS DEM LEBEN DES GRAFEN VON SAINT GERMAIN

HEINRICH SCHWAB VERLAG

ARGENBÜHL-EGLOFSTAL

ISBN 9783796405204

E-Book-Umsetzung: Zeilenwert GmbH

© 1958 by Heinrich Schwab Verlag KG

Eglofstal 42, D-88260 Argenbühl

Alle Rechte vorbehalten

Abdruck und jegliche Art der Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

I. TEIL

Nächtlicher Besuch

Der Graf erzählt

Die alte Barbara

Warnung

Der Elf mit dem blauen Helm

Magnum Opus

II. TEIL

Graf Nemo

Héloise

Der Schuster von Avignon

Zwischenspiel

Der Elf winkt!

I. TEIL

Nächtlicher Besuch

Wenn der Schatten der Dominikanerkirche den alten Brunnen berührt, der mitten auf dem großen Marktplatz steht, ist für mich die Zeit gekommen, mit meiner Arbeit aufzuhören.

Die vielen Bücher, die sich auf meinem Schreibtisch angesammelt haben, müssen in die große Bibliothek eingereiht werden, zu deren Betreuer mich ihr Besitzer, der Fürst unseres kleinen Landes, bestimmt hat. Dann sind sie nicht mehr heimatlos; sie haben eine Nummer im großen Katalog, sind verzeichnet in einer umfangreichen Kartothek, und der Aufdruck des fürstlichen Stempels ist der Aufnahmeakt in die Gemeinschaft einer auserwählten Elite, zu der die kostbarsten und seltensten Werke gehören, die die Buchdruckerkunst seit ihrem Bestehen geschaffen hat.

Die ganze Sammlung ist in dem unteren Stockwerk eines großen Eckhauses untergebracht.

Ich bin dem Fürsten, der mir stets zugetan war, aufs tiefste dankbar für die Aufgabe, die er mir zuteilt, denn ich liebe meinen stillen Beruf. Das große Leben draußen in der Welt ist wie ein fernes Meer, dessen Brandung für mich, wie aus weiter Ferne kommend, kaum noch zu hören ist. Nur wenn ich gelegentlich im Auftrage des Fürsten eine Reise mache, um irgendein seltenes Buch sicher behütet heimzubringen, höre und sehe ich eine Welt, die der meinen so fern liegt und deren Anschauungen und Lebensstil mir so entgegengesetzt sind, dass ich mich nur mit Mühe in ihr zurechtfinde.

Jetzt neigt sich das 18. Jahrhundert seinem Ende zu. Wenig mehr als zwanzig Jahre werden vergehen und die Glocken aller Kirchen werden ein neues einläuten.

Einiges, was in der Welt geschieht, erfahre ich von Martin, dem einzigen, der mich oft besucht. Er ist Bruder in einem Kloster, das in der Nähe unseres Städtchens liegt. Seit Jahren sind wir eng miteinander befreundet, denn er hat wie ich eine große Leidenschaft zur Alchimie, jener alten „königlichen Kunst“, mit der es heute rapide bergab geht, weil die Chemiker unserer Tage beginnen, die Welt von einer ganz anderen Seite zu sehen, als es die alten Alchimisten taten. Wir aber bemühen uns, an das uralte Wissen anzuknüpfen und den „Stein der Weisen“ dort zu finden, wo ihn schon andere vor uns suchten und – fanden. Freilich auch in anderer Form und an anderer Stelle als diejenigen vermuten, die nicht in die tiefen Geheimnisse eingedrungen sind, die sich nur dem offenbaren, der aus den scheinbar verworrenen und absichtlich irreführenden Schriften den wahren Inhalt herauszulesen versteht und der die innere Bereitschaft besitzt, ohne die alles Tun vergeblich sein muss.

Ich stand am Fenster und blickte auf den Markt hinaus. Die Dämmerung breitete langsam ihre Schleier über die Stadt, sich von Minute zu Minute verdichtend. Unten am Ende des Marktes, dort, wo die Storchengasse einmündet, begann der Nachtwächter die ersten Laternen anzuzünden. Von der anderen Seite klapperte ein Wagen die Straße herauf. Kurz darauf hielt Bruder Martin mit seinem altertümlichen Gefährt vor dem Hause. Der Sitz, von dem aus er sein Pferd lenkte, das ebenso dunkelbraun war wie seine Kutte, war mit einem weit vorragenden Dach bedeckt und nach allen Seiten abgeschlossen.

Bruder Martin hatte vom Kloster den Auftrag, über Land zu fahren und Bauern und Städter bis in den Schwarzwald hinauf mit Medizin zu versorgen, die das Kloster weithin im Lande berühmt gemacht hatte. Diese köstlichen Getränke brauten die Mönche aus vielerlei Pflanzen, die sie in ihren Gärten zogen oder im weiten Wald suchten.

Um den Überbringer vor jedem Unbill des Wetters zu schützen und ihm auch bei Regen und Schnee seine weiten Fahrten zu ermöglichen, war dieser Wagen wohl schon vor vielen Jahren gebaut worden. Hinter dem Verdeck befand sich ein geräumiger Kasten mit seitlichen Türen. Oben auf ihm waren oft noch Kiepen und Körbe gebunden. Alles wurde von zwei riesigen und doch beinahe zierlich gebauten Rädern getragen und war so ausgeglichen, dass bei richtiger Belastung dem Pferd das Ziehen so leicht wie möglich gemacht wurde.

Nachdem Martin den Wagen in den Hof kutschiert und sein Pferd dem Hauswart übergeben hatte, saßen wir vor dem großen Kamin im Wohnzimmer und ein heißer Punsch von Rotwein mit viel Zucker, einer Prise Zimt und einigen Nelken wärmte seine von der langen Fahrt ein wenig steif gewordenen Glieder auf.

Dann berichtete er wie stets von den kleinen Erlebnissen, die er auf seiner Fahrt gehabt hatte. Er sah die große und kleine Welt mit ihren erhabenen und lächerlichen Dingen durch die Brille einer alles verstehenden und verzeihenden Güte, und sein wundervoller Humor lockte ihm oft ein Lächeln ab, wo andere nur den griesgrämigen Ernst des Lebens sahen. Er besaß die köstliche Gabe, auf kleine Dinge zu achten, die andere, die die Welt stets mit ungeheurer Wichtigkeit betrachteten, überhaupt nicht sahen. Oft schilderte er drastisch seine Gespräche mit den vielen Bauern und Bäuerinnen, mit denen er zusammenkam und die ihm, den sie seit vielen Jahren kannten, lieber ihr Leid klagten als manchem Beichtvater. Oder er erzählte von der oft verblüffenden Schlauheit, ja Gerissenheit, mit der dieser Menschenschlag im ewigen Kampf mit der hohen Obrigkeit lag, deren Vorschriften sie mit oft genialer Schläue für ihre Zwecke umbogen oder zu umgehen verstanden.

Auch viele rührende Züge wusste er zu berichten und so verliefen die Abendstunden wieder wie stets im Fluge.

Unser Gespräch wendete sich den Dingen zu, die uns beide immer wieder von neuem bewegten, und wir sprachen über unser Lieblingsthema – die Alchimie, die königliche Kunst.

Wir hatten begonnen, Teile von zerstoßenen Pflanzen mit wenig Wasser, Weingeist, Essig und anderem bei Temperaturen zu destillieren, die weit unter dem Siedepunkt der betreffenden Flüssigkeiten lagen. Immer destillierte von dem wärmeren Teil etwas in die möglichst kalt gehaltene Vorlage hinüber. Nur dauerte der Prozess viel länger als wenn die Flüssigkeiten siedeten. Was sonst in wenigen Stunden geschah, erforderte hier viele Wochen. Aber die Substanzen wurden durch diesen Prozess sehr geschont, nichts durch das Kochen zerstört. Wunderbare Öle und Düfte gingen mit hinüber und sammelten sich allmählich auf der Oberfläche der Destillate in einer Menge, die weit größer war und von viel mannigfaltigerer Art und Zusammenstellung als bei dem brutalen Kochen.

Wurde dann der in der Retorte bleibende Rest verascht und dem Destillat zugetan, hatten wir die ganze „Quintessenz“ der Pflanze wieder beisammen, und die so erhaltenen Flüssigkeiten, in der richtigen Weise dosiert und gemischt, hatten eine viel nachhaltigere Wirkung als die früher hergestellten.

Dieses Verfahren wurde nach unseren Angaben neben dem alten auch im Kloster mit größeren Mengen ausprobiert und man hätte dort gern der größeren Erfolge wegen die ganze Herstellung der Medizin danach umgestellt, wenn der Prozess nicht so langwierig gewesen wäre.

In dem großen langen Keller, der die ganze Vorderseite des Hauses einnahm, rannen in zahlreichen nebeneinander aufgestellten Apparaturen Tag und Nacht Tropfen auf Tropfen der verschiedensten Substanzen ganz allmählich von den Retorten in die Vorlagen. Eine besondere Kühlung war nicht nötig, nur mussten die Öllämpchen rechtzeitig nachgefüllt werden, deren Hitze für diese Art der Destillation gerade die richtige war.

Plötzlich wurde unser Gespräch jäh unterbrochen. Durch die Stille der Nacht klang der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes. In dieser Stunde und auch schon des schlechten Pflasters wegen eine ganz ungewohnte Erscheinung.

Wir eilten zum Fenster, öffneten es und beugten uns hinaus. Mit jäher Wendung bog ein Pferd auf den Markt, die Gestalt eines Reiters tragend. Das Tier stolperte, richtete sich aber schnell wieder auf und stand schnaubend und mit zitternden Schenkeln still. Es schien sein Letztes hergegeben zu haben. Der Reiter sprang herab, sah um sich und musste uns am Fenster bemerkt haben.

„Holla“, rief er hinauf mit starker, männlich schallender Stimme, der man aber doch die Anstrengung eines schnellen Rittes anhörte, „wenn Ihr ehrliche Christenmenschen seid und einem armen Teufel helfen wollt, macht das Tor auf und lasst mich schnell hinein, aber schnell, ehe es zu spät ist.“

Wir liefen sofort hinunter, öffneten das schwere Tor mit einiger Mühe, weil es in dem großen Torweg dunkel und die einzige Kerze, die wir ergriffen hatten, beim schnellen Treppablaufen verlöscht war, und ließen Pferd und Reiter ein.

„Schnell das Tor zu“, rief der Unbekannte und half selber mit.

„Habt Ihr ein wenig Essig oder besser noch einen halben Eimer davon, was aber wohl kaum möglich ist – verzeiht meine rasche Rede“, fuhr er fort und verbeugte sich leicht, „alles sollt Ihr sogleich erfahren, ich will nur versuchen, dem Tier zu helfen, das mir – zusammen mit Eurer Hilfe – jetzt das Leben gerettet hat.“

Er staunte, als ihm Martin einen ganzen Eimer voll verdünntem Essig aus dem Keller heraufbrachte.

„Woher diese Fülle? Das ist doch kaum möglich!“

„Aus unserem Laboratorium, Herr“, Martin sagte es mit leisem Schmunzeln.

Der Fremde richtete sich überrascht auf, um uns näher anzublicken, aber auf dem Hof war es zu dunkel, um Einzelheiten erkennen zu können.

Er erbat sich einen großen Lappen, begann das Pferd mit dem Essig einzureiben und dann tüchtig abzutrocknen. Dabei atmete er heftig, wohl infolge der überstandenen Anstrengung. Wir brachten das Tier noch zu Martins Braunem und betraten kurz darauf mein Zimmer.

Ein frohes Staunen huschte über das Gesicht des Fremden, als er uns jetzt sah.

„Ein edler Herr und ein Mönch? Dann wird sicher alles gut. Und nun müssen die Herren verzeihen, dass ich mich Ihnen erst jetzt vorstelle. Mein Name ist Graf Vermont.“

Es entging mir nicht, dass er vor seinem Namen eine kleine Pause machte, winzig nur, vom Bruchteil einer Sekunde vielleicht. Leises Misstrauen wollte in mir aufsteigen, aber dann sah ich in sein Gesicht. Wäre es die richtige Bezeichnung für einen Mann, hätte man es schön nennen können. Seine Züge waren von großer Regelmäßigkeit, das Kinn ziemlich groß, energisch, die Nase gerade. Seltsam waren seine Augen. Sie strahlten eine ruhige Güte aus und sahen uns klar und offen an. Aber ebenso schienen sie der Ausdruck eines energischen Willens zu sein, der sich in jedem Fall durchzusetzen weiß, wenn es nötig erscheint. Das Merkwürdigste war, dass mir diese Augen sonderbar alt vorkamen im Verhältnis zu den regelmäßig glatten Zügen seines Gesichtes, so dass man sein Alter nicht abschätzen konnte.

Wir stellten uns ebenfalls vor und baten ihn, zuerst einmal ein wenig auszuruhen. Gern nahm er auch von dem schnell neu bereiteten Glühwein und dem Backwerk, das die vorsorgliche Hausverwaltersfrau stets auf den Tisch am Kamin stellte.

„Die Herren wollen bitte meinen seltsamen Aufzug entschuldigen, aber bei dem Ritt ging manches verloren.“

Erst jetzt sahen wir, dass er gar keinen Rock trug, sondern in einer schwarzen Reithose und einem weißen faltigen Hemd mit weiten Ärmeln vor uns saß. Es kleidete sein dunkles Gesicht so gut, dass es uns tatsächlich gar nicht aufgefallen war.

„Was macht das“, sagte ich, „wenn wir Ihnen nur geholfen haben.“

„Das haben Sie beide wirklich getan, und wenn ich Ihnen die näheren Umstände erzähle, die mich auf so ungewöhnliche Art zu Ihnen geführt haben, werden Sie sehen, dass Sie Ihre Tat nicht zu bereuen brauchen. Wenn es in meiner Macht steht, werde ich alles in einer Weise vergelten, wie sie selten ein Mensch erfahren hat.“

Aus seinem Munde klangen diese Worte in keiner Weise überheblich und sie sollten sich später in viel größerem Maße bewahrheiten, als wir im Augenblick ahnten.

Hier wurde unser Gespräch unterbrochen. Abermals klangen die Hufe von Pferden auf der Straße.

Eine kleine Kavalkade ritt langsam auf den Markt; man hörte Reden und Debattieren, dann bewegte sie sich schräg hinüber zum „Goldenen Pelikan“.

Man hörte rufen. Es wurde an ein Tor geklopft. Endlich schien jemand zu kommen. Nach einigem Hin- und Herreden wurde das Tor geöffnet, die Reiter verschwanden und der Markt lag wieder ruhig in der Stille der tiefen Nacht.

Der Mond war über die Dächer gestiegen. Er war im letzten Viertel und sein Rund entstellt. Trübe blickte er durch den leichten Dunst. Uns fröstelte – wir traten zum Kamin zurück.

„Meine Verfolger“, begann Graf Vermont nach einiger Zeit in die Stille hineinzusprechen, „wenig angenehm, sie in meiner Nähe zu wissen.“

„Hier bei uns sind Sie sicher“, nahm ich sein Wort auf, „ich glaube kaum, dass jemand Sie bemerkt hat, als Sie durch mein Tor schritten.“

„Gebe der Himmel, dass es so ist.“

„Und doch ist etwas zu bedenken“, mischte sich Martin ein, „man wird sofort ermitteln, dass Sie die Stadt durch kein Tor wieder verlassen haben, sich also noch innerhalb der Mauern aufhalten müssen. Man wird morgen in der Frühe beginnen, Haus für Haus und Stall für Stall abzusuchen. Ein Mensch ist leicht zu verbergen, wenigstens für eine kurze Zeit, ein Pferd schon weniger. Aber das soll jetzt nicht unsere Sorge sein, wir haben bis morgen früh Zeit. Ich werde schon etwas finden, so dass der Herr nicht in Ungelegenheiten kommt.“

Wir fragten den Grafen, ob er sich zurückziehen und mit meinem Fremdenzimmer vorlieb nehmen wolle, da er doch von dem Ritt stark ermüdet sein müsse.

„Gestatten Sie mir eine kleine Aufmunterung, die uns allen gut tun wird“, erwiderte er und nahm aus einer kleinen Tasche ein kleines Büchschen. Es enthielt winzige, beim Schein der Kerze silbrig aussehende Kugeln. Je eine gab er in unsere Gläser und bat uns zu trinken.

„Eine harmlose Sache“, er sagte es mit leisem Lächeln, „aber doch wirksam genug gegen jede körperliche Ermüdung.“

Wenige Minuten nach dem Genuss rieselte eine behagliche Wärme durch unsere Körper, wir fühlten uns leicht und frisch wie nach langem Schlaf. Wer war dieser Mann? Woher hatte er ein Mittel von so außerordentlicher Wirkung? Wie er so ruhig und selbstsicher in dem Sessel saß und uns mit seinen großen und klaren Augen anblickte, machte er den Eindruck eines vollendeten Grandseigneurs, dem auch die ungewöhnlichsten Ereignisse nichts von seinem angeborenen Herrentum nehmen konnten.

Gern willigten wir ein, als der Graf uns fragte, ob er uns noch einen Bericht geben dürfe, der eine Erklärung für sein überraschendes und ungewöhnliches Erscheinen sein würde.

Der Graf erzählt

„Ich bin auf einer weiten Reise, die mich von Petersburg nach Paris führen soll“, begann der Graf seine Erzählung. „Im Auftrage des Königs von Frankreich war ich in geheimer Mission dort. Meine Verhandlungen waren von großem Erfolg, und voll Freude, dem König so gut geholfen zu haben, reiste ich teils mit Extrapost, teils zu Pferde, schnell, aber ohne mich übermäßig anzustrengen, zurück.

Unterwegs hatte ich dem König von Sachsen noch ein geheimes Schreiben des Zaren zu überbringen. Oder eigentlich von der Zarin. Sie ist die treibende Kraft dort. Ihre außerordentliche Intelligenz befähigt sie, die Staatsgeschäfte in großzügiger Weise zu führen. Ich konnte der erlauchten Frau bald nähertreten, ja, ich glaube, ihre aufrichtige Freundschaft erworben zu haben. Hat sie doch wie ich das gleiche Interesse an allen Geheimwissenschaften einschließlich der Nekromantie, Astrologie und Alchimie.

Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich so offen von diesen Dingen spreche, aber manche kleine Anzeichen sagen mir, dass auch Sie, meine Herren, diesen Dingen nicht ganz fern stehen können.“

Martin und ich sahen ihn überrascht an. In der Tat musste der Graf eine erstaunliche Menschenkenntnis und ein fast hellsichtiges Feingefühl besitzen, dass er uns so schnell und richtig einschätzte.

Wir bejahten also freimütig seine Vermutung. „Gewiss, verehrter Graf“, sagte ich, „Sie haben recht, wir beide sind der Alchimie beflissen, besonders der Herstellung von Heilkräutern. Aber auch manche Nacht haben wir hier zusammengesessen und – ,Freunde von drüben‘ haben sich eingefunden, die uns viel Schönes und Gutes sagten. Sie sehen, ich bin Ihnen gegenüber auch ganz offen. Sie erfahren damit etwas, das niemand in der Stadt weiß. Aber ich glaube, Ihrer Verschwiegenheit ebenso gewiss zu sein, wie Sie der unseren sein können.“

Wir erhoben unsere Gläser, und bei ihrem Zusammenklang gab es einen hellen und klaren Ton. Dann fuhr der Graf fort:

„Ich erledigte nun meine Mission in Dresden und strebte weiter nach Westen. Da passierte mir folgendes. Ich musste in Zwickau, einer kleinen ärmlichen Stadt in Sachsen, übernachten. Der Wirt des alten Gasthauses, dem einzigen größeren im Ort, war ein alter mürrischer Mann. Er betrachtete mich lange prüfend und führte mich dann mit einer Kerze in der Hand eine alte Stiege hinauf. Hier wies er mir ein Zimmer an, das am Rande eines langen Korridors lag, an dem keine weiteren Türen zu bemerken waren, also einsam und völlig abgeschnitten von den anderen Räumen des Hauses. Das ganze Gebäude war übrigens viel größer und geräumiger als es von der Straße her den Anschein hatte.

Meine Frage, ob nicht ein Zimmer zur Straße hinaus frei sei, wurde zuerst geflissentlich überhört, dann brummelnd verneint. Dieses schien mir aber nicht gut glaublich. Es hätten dann sicher in dieser Abendstunde mehr Gäste unten in der Gaststube gesessen, in die ich von der Straße aus eingetreten war.