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Besitzen manche Erdenbewohner magische Fähigkeiten? Ein klares Ja! Das ist die Geschichte von drei geheimnisvollen Frauen: Athina (47), Atridi (48) und Lena (16). Athina ist der wahrgewordene Traum aller Männer, blond und schockierend schön. Ihre engelsgleiche Erscheinung setzt sie gnadenlos ein, um den in ihrem Wesen brennenden Wunsch nach Macht über alles und jeden zu erfüllen. Da sie darüber hinaus eine Schwarzmagierin ist, scheint ihr in der Tat alles zu gelingen. Atridi ist eine vermögende Rechtsanwältin. In einer für beide demoralisierten Stimmung trifft sie auf einen blendend aussehenden Achtzehnjährigen. Trotz des gewaltigen Altersunterschiedes entbrennt zwischen ihnen eine erotische Leidenschaft, die sämtliche Grenzen sprengt. Lena bekommt bei ihrer Geburt Anlagen zu ungeheueren magischen Fähigkeiten in die Wiege gelegt. Um ihr die übernatürliche Energie zu entreißen, gerät sie in das Visier der Schwarzmagierin. Kann Lena den Mordanschlägen der Hexe entgehen? Wird sie das Liebesverhältnis zwischen ihrer Lieblingstante und ihrem Jugendschwarm entdecken? Kann sie aus den Fängen der brutalen Entführer, die Jagd auf sie machen, entkommen? Für Jugendliche nicht geeignet.
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Seitenzahl: 561
Veröffentlichungsjahr: 2017
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JuliaField-ePublishing
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ISBN: 978-3-7418-8269-2
© 2017 by D Bess Unger
Besitzen manche Erdenbewohner magische Fähigkeiten? Ein klares Ja! Das ist die Geschichte von drei geheimnisvollen Frauen: Athina (47), Atridi (48) und Lena (16).
Athina ist der wahrgewordene Traum aller Männer, blond und schockierend schön. Ihre engelsgleiche Erscheinung setzt sie gnadenlos ein, um den in ihrem Wesen brennenden Wunsch nach Macht über alles und jeden zu erfüllen. Da sie darüber hinaus eine Schwarzmagierin ist, scheint ihr in der Tat alles zu gelingen.
Atridi ist eine vermögende Rechtsanwältin. In einer für beide demoralisierten Stimmung trifft sie auf einen blendend aussehenden Achtzehnjährigen. Trotz des gewaltigen Altersunterschiedes entbrennt zwischen ihnen eine erotische Leidenschaft, die sämtliche Grenzen sprengt.
Lena bekommt bei ihrer Geburt Anlagen zu ungeheueren magischen Fähigkeiten in die Wiege gelegt. Um ihr die übernatürliche Energie zu entreißen, gerät sie in das Visier der Schwarzmagierin. Kann Lena den Mordanschlägen der Hexe entgehen? Wird sie das Liebesverhältnis zwischen ihrer Lieblingstante und ihrem Jugendschwarm entdecken? Kann sie aus den Fängen der brutalen Entführer, die Jagd auf sie machen, entkommen?
Für Jugendliche nicht geeignet.
Verärgert verengten sich Athinas Augen. Atridi Papaluka, ihre ehemalige Schulkameradin, kam in Begleitung einer Frau die Strandpromenade entlang geschlendert. Just jene Streberin musste ihr über den Weg laufen!
Die siebzehnjährige Athina und die um ein Jahr ältere Atridi hatten im Laufe ihrer Schulzeit in der Stadt eine zweifelhafte Berühmtheit erlangt. Ihrer Tanzkünste wegen mussten beide jede Schulfeier mitgestalten. Wenn die blonde Athina mit der schwarzhaarigen Atridi in knapp sitzenden Balletttrikots lächelnd ihre Sprünge zeigten, hatten die Mädchen neidvoll, die Jungen mit offenstehenden Mündern zu ihnen empor gestarrt. Die Jungs nannten sie untereinander das geile A-Duo und ließen ihrer ausschweifenden Fantasien freien Lauf.
»Hi, Athina«, lachte Atridi. »Das ist Tala, meine zukünftige Schwägerin«, stellte sie vor. »Athina Drosos, meine Schulfreundin.« Das Wort Freundin kam gezwungen über ihre Lippen. Neidvoll blickte sie ihr Gegenüber an. ›Meine Güte, sieht die bombig aus!‹, dachte sie, ›im Gegensatz zu mir wird dieses Seelchen ja ständig attraktiver‹. Unbehaglich spürte sie Athinas abschätzende Blicke auf sich ruhen. »Tala kommt aus dem Iran«, versuchte sie ein Gespräch in Gang zu bringen. »Faszinierend, nicht wahr?«
Athina brachte ein schmallippiges Lächeln zu Wege. Sie gab sich Mühe, Wut und Eifersucht auf die privilegierte Person zu unterdrücken. ›Warum hat diese unansehnliche Streberin mit der flachen Brust und der kolossalen Nase all das, was ich nicht habe?‹, fragte sie sich zum x-ten Mal. ›Reiche Eltern mit schicker Jacht, dickem Auto, ein Leben ohne Sorgen! Was habe ich? Nichts. Das Leben ist verdammt ungerecht.‹ Sie warf Tala einen mitleidigen Blick zu. »Dein Zukünftiger steht auf Exotik?«, wunderte sie sich. »Christos ist wie man weiß mit dem Geschäft verheiratet! Da wirst du es schwer haben. Na ja, die persische Liebeskunst soll ja berühmt sein. Nicht ausgeschlossen, dass ihn die auf Touren bringt.« Auch Athina hatte einst versucht, den vermögenden Burschen zu ködern, aber der Dummkopf hatte auf ihre Annäherungsversuche nicht reagiert.
Tala war zu verblüfft, um zu antworten, verwirrt gingen ihre Blicke zwischen den Schulfreundinnen hin und her.
»Wenn du auf das Kamasutra anspielst, das kommt aus Indien«, erwiderte Atridi kalt. »Sorry, ich vergaß, in deiner Bibliothek kommen Bücher über Liebesstellungen nicht vor. Du hast wie man weiß andere Interessen.«
»Oh Verzeihung, du Schlampe. Ich hatte vergessen, dass du darin Spezialistin bist«, höhnte Athina. »Bei Bedarf werde ich dich um Rat bitten.« Mit einer leichten Handbewegung warf sie ihre blonde Haarmähne über die Schulter zurück, wandte sich um und glitt mit wiegenden Schritten davon. Der knapp sitzende Rock brachte ihre wohlgeformten, straffen Pobacken aufreizend zur Geltung.
Verdutzt blickte Tala die Freundin an. »Was ist denn zwischen euch beiden los? So kenne ich dich ansonsten nicht! Ist das euer üblicher Umgangston?«
»Ja, zumindest in den letzten Jahren«, antwortete Atridi kurz angebunden. Sie begann auf ihren Lippen zu kauen.
»Um was genau ging es denn überhaupt bei eurer seltsamen Unterhaltung?«
Atridi wollte erst nicht heraus mit der Sprache, ließ sich endlich doch herab zu antworten. »Vor drei Jahren wollte ich sie zum Ballettunterricht abholen. Sie war noch in der Schule. Um auf ihre Rückkehr zu warten, schickte mich ihre Mutter in Athinas Zimmer. Ich war von den Socken, als ich den Bücherstapel auf dem Schreibtisch erblickte. Nie im Leben hätte ich vermutet, dass Athina Bücher las! Aus Langweile studierte ich die Buchrücken. Einige Titel sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben: Praktische Magie,Übungen zur Weißen und Schwarzen Magie, Schamanismus, Unter Hexern und Zauberer. Alle Bücher handelten von Magie!«
»Hatte sie über ihre seltsame Neigung nie in der Schule gesprochen?«
»Nein, das blieb ein Geheimnis. Als Athina mich ertappte, musste ich schwören, in der Schule davon nichts zu erzählen. Ohnehin gab es unter den Mädchen Getuschel! Nie hat sie sich mit Jungen eingelassen.«
»Im Gegensatz zu dir« unterbrach sie Tala in einem schelmischen Unterton. »Das war es doch, worauf diese Athina anspielte, oder?«
Die Achtzehnjährige wurde nicht rot. »Stimmt, meine Jungfräulichkeit habe ich schon mit sechzehn Jahren verloren. Knackige Jünglinge haben mir es angetan.«
Tala beschloss, darauf nicht einzugehen. »Hängt sie noch immer diesen Spinnereien nach?«
»Frag mich was Leichteres! Aber Spinnerei? Ich denke, an der Magie könnte etwas dran sein.«
Die Begegnung hatte Athina die Stimmung verdorben. ›Mir steht zu, was sie besitzt‹, dachte sie, ›Nicht diesem Trampel!‹ Sie beäugte ihr Profil in der schmierigen Fensterscheibe eines Cafés. Prüfend ließ sie eine Hand über die wohlgeformten Brüste und den flachen Bauch gleiten. Sie war ihrem Vater gegenüber voller Dankbarkeit, dass er vor zwanzig Jahren auf einer Geschäftsreise sich eine attraktive Schwedin an Land gezogen hatte. Bei ihrer Zeugung hatten die vorteilhaften Gene der Mutter über die miesen des Vaters triumphiert und eine perfekte Schönheit hervorgebracht.
Den in die Jahre gekommenen Müßiggängern drinnen im Café durchfuhr ein heiliger Schrecken. Sie blickten von ihren Spielbrettern auf, die Perlen ihrer Goboloi-Kette, die sie unermüdlich durch ihre Finger hatten gleiten lassen, hingen schlagartig schlaff herunter. Mit offenstehenden Mündern glotzten sie nach draußen auf die engelhafte Erscheinung. Eine abgrundtiefe Trauer wehte die Männer an: Alle, die einst Liebe und Leidenschaft erfahren hatten, waren überzeugt, dass eine flüchtige Berührung von dieser jungen Frau all das in den Schatten stellen würde.
Abrupt drängten sich die Menschen auf die dem Meer abgewandte Seite der Uferpromenade zu, mit gesenkten Blicken beschleunigten sie ihre Schritte. Zwei Polizisten, die sich lebhaft unterhalten hatten, verstummten und knöpften sich ein Parksünder vor. Unvermittelt begann Athinas Herz heftiger zu klopfen, sie hatte das Gefühl, eine magnetische Kraft würde sie anziehen.
Ein Mann mit einem grauen Hund kam ihr entgegen. Eine Frau, die zusammen mit ihrer Tochter einer Möwe Brotkrumen zugeworfen hatte, blickte erschrocken in seine Richtung. Unvermittelt packte sie das Kind am Arm und zerrte es derart heftig weg, dass es einen Schrei ausstieß.
›Es ist nicht der Hund, der Mann macht ihnen Angst‹, fuhr es Athina durch den Kopf. Ihr Herz pochte so heftig, dass sie die Hand gegen die Brust drücken musste. Ein leidenschaftliches Entzücken stieg in ihr auf, als der seltsam gekleidete Mann sich ihr näherte. Obwohl es heiß war, trug er über einem weißen T-Shirt eine lilafarbene Weste mit einem Muster von honigfarbenen Halbmonden. Um seinen Hals hing ein Anhänger von erschreckender faszinierender Fremdartigkeit: Er war aus tiefschwarzem Horn mit eingelassenen bläulichen Mondsteinen. Oberflächlich betrachtet stellte er eine stilisierte Grille dar, deren vergoldete Flügel nach hinten gezogen waren und einander in einer Spitze berührten. Unterhalb des Talismans baumelte an einem Lederband eine scharfe Adlerkralle.
›Bestimmt ist das einer der Zigeuner, vor denen sie in der Zeitung gewarnt haben‹, vermutete Athina. Angehörigen dieser Volksgruppe gegenüber hatte sie keine Abneigung, im Gegenteil, sie hatte gehört, dass sie im Umgang mit Magie erstaunliche Talente besaßen. ›Ich kann die dämonische Ausstrahlung, die von ihm ausgeht, spüren‹, dachte sie. ›Und sein Begleiter ist nie im Leben ein Hund, das ist eher ein Wolf‹. Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, dass der Wolf ein in vielen Fällen anzutreffender Begleiter der zur Magie fähigen Zigeuner sei.
Der Mann blieb vor Athina stehen. Das Tier setzte sich und fixierte sie mit gelben Augen. Sie fühlte, dass von ihm keine Bedrohung ausging, sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf den Besitzer. Noch niemals hatte sie ein so schönes männliches Gesicht gesehen: Schwarz glänzende Haare fielen bis auf seine Schultern, die langen Wimpern hätten eher zu einer Frau gepasst, seine Augen mit bernsteinfarbener Iris blickten kühn wie die eines Adlers. Unter einer ebenmäßigen, schmalgliedrigen Nase zeigte sich ein Mund mit untadelig geschnittenen Lippen. Sein Gesicht war faltenlos und doch, als sich Athina in dem grünlich kupfergelben Farbenspiel seiner Augen verlor, wurde ihr unbehaglich zu Mute. Unerklärlicherweise war ihr bewusst, dass diese Augen Dinge gesehen haben mussten, die über den Erfahrungsbereich eines gewöhnlich Sterblichen hinausreichten.
Jählings blitzte über seinem linken Augenlid ein weißer fünfzackiger Stern auf!
Erschrocken senkte Athina den Kopf und ein zweiter Sternenblitz traf sie, dieses Mal ging er von dem Wolfsgesicht aus. Schützend hielt sie eine Hand vor die Augen. Was war das? Eine Sinnestäuschung, eine Spiegelung, waren ihre Augen nicht in Ordnung? Vor Schreck hatte sich ihr Mund leicht geöffnet.
»Hab keine Angst, Prinzessin«, sagte der Fremde mit überraschend sanfter Stimme, »Du musst vor unseren Sternen keine Angst haben.« Lächelnd legte er die Spitze des Zeigefingers über ihre Nasenwurzel. »Auch du hast mir einen Stern gezeigt! Genau von dieser Stelle ist er ausgegangen!« Mit einer leichten Verbeugung stellte er sich vor. »Ich bin Biglia und das hier ist meine treue Begleiterin Kali. Die Sterne sind unser Erkennungszeichen!«
»Die Sterne, die waren keine Einbildung?«, fragte sie verblüfft. Eine Ahnung, dass sich Großartiges anbahnte, stieg in ihr auf. »Erkennungszeichen? Wofür?«
»Magische Wesen erkennen sich an den Sternen. Unbewusst suchen sie in dem Gesicht ihres Gegenübers einen Markierungspunkt, normalerweise eine Stelle oberhalb der Augenbrauen. Haben sie ihn gefunden, blitzt dort ein fünfzackiger Stern auf.«
Athina durchfuhr es wie ein elektrischer Schlag. Vor ihr stand ein Hexer in Begleitung eines magischen Tierwesens! Ein heiliger Schauer überlief sie. ›Auch ich trage einen Stern? Ich soll das Potenzial zu einer Magierin haben? Sollten sich meine Lebensträume doch noch erfüllen?‹
»Du bist ein Zauberer?«, stammelte sie. »Ich eine Hexe?«, stammelte sie. »Ich habe keine Talente für Magie.« Sie hoffte auf Widerspruch, flehte zum Himmel, nicht enttäuscht zu werden.
»Komm, meine Sternenprinzessin«, sagte Biglia und fasste sie an der Hand. »Setzen wir uns auf die Bank dort drüben. Ich werde dir eine erste Unterweisung in Sachen Magie erteilen.«
Sternenprinzessin hatte er sie genannt! Willenlos, mit schlotternden Knien folgte sie ihm. Das Pärchen, das in ihrer Zweisamkeit versunken auf der Bank gesessen hatte, erhob sich, als wäre das ihr eigener Entschluss gewesen. Die Wölfin legte sich sofort in den Schatten unter die Sitzfläche, Biglia zog Athina an seine Seite.
›Was werden die Leute denken, wenn sie mich Unschuld vom Lande neben einem so coolen Mann sitzen sehen?‹, dachte Athina. Sie warf Biglia einen verstohlenen Blick zu und hoffte, dass Nachbarn unter den Passanten wären.
»Ich bin Magier, Hexer, Zauberer, egal wie du es in deiner Sprache nennen willst.«
»Was bedeutet es, ein Zauberer zu sein?«, fragte sie mit belegter Stimme und wurde immer aufgeregter.
»Na ja, ich besitze die Macht, Unheil von meiner Sippe fernzuhalten. Das ist eine schwere Aufgabe, die Bürger stehen uns Landfahrer nicht wohlwollend gegenüber. Ach, es kostet mich einen hohen Preis ...« Für den Bruchteil einer Sekunde fiel die Maske der Jugend von ihm ab, die Wölfin unter der Bank rieb zärtlich ihren Kopf an Athinas linkem Bein und lenkte sie ab.
»Kann jeder Mensch Magie erlernen?«, fragte sie wissbegierig. »Wie und wo?«
»Übersinnliches kannst du nur bewirken, wenn du Träger magischer Energie bist. In unseren Legenden nennen wir diesen Träger den Sternenstaub!«
»Sternenstaub ...« Athina zog das Wort nachsinnend in die Länge. »Ein schöner, poetischer Name. Du glaubst, auch ich besitze Sternenstaub?«
»Im Überfluss! Der Sternenstaub wurde dir bei deiner Geburt in einem handlungsunfähigen Zustand eingepflanzt«, erklärte Biglia. »Nur einem verschwindend bescheidenen Anteil der Wesen der niederen Welt wird diese Gnade oder dieser Fluch zuteil.«
›Eingepflanzt? Von wem? Handlungsunfähig? Gnade oder Fluch? Was soll das heißen?‹ Fragen über Fragen schwirrten Athina durch den Kopf.
»Der Sternenstaub ist nicht unerschöpflich, bei jedem Fluch verbrennt davon eine kleine Menge«, fuhr Biglia unbeirrt fort. »Bei Flüchen von beachtlichem Ausmaß, bei denen ich die Lebenslinien von Menschen verändern muss, wird viel Sternenstaub verbrannt, bei unbedeutenden nur eine Winzigkeit. Wenn ich zu viel verbrauche, muss ich den Gleichklang wiederherstellen. Dazu muss ich unberührten Sternenstaub aus dem Gefäß eines anderen Lebens in mich einfließen lassen und ihn für meine Magie aktivieren. Verstehst du?«
›Aus dem Gefäß eines anderen Lebens? Damit meint er hoffentlich nicht mich?‹, fragte sich Athina beklommen. »Wie machst du das?«
Der Magier blickte sie prüfend an. »Ich unterstelle, es wird dich nicht schockieren, was ich dir jetzt sage!« Er machte eine kurze Pause. »Der befriedigende Weg für mich ist, den hundertprozentigen Gegensatz zu meinem Ich zu suchen. Ein Mädchen wie du, in der Regel nicht älter als zwanzig Jahre, die unberührten Sternenstaub in sich trägt, eine Sternenprinzessin eben! Ich schlafe mit ihr! Wenn sie ihren Höhepunkt erreicht, ihre Lust hinaus stöhnt, stecke ich meine Zunge tief in ihren Mund, mithilfe eines ungesagten Fluchs bringe ich ihren Sternenstaub in meinen Besitz. Mehr oder weniger, wie es mir beliebt.«
Lächelnd sah er in ihr vor Ekel verzogenes Gesicht. »Kein Grund zum Erschrecken, ich bin kein Vampir, Prinzessin. Ich werde dir weder Blut noch Lebensenergie aussaugen, nur ein bisschen Sternenstaub. Bisher ist mir in meinen vielen Lebensjahren keine Sternenprinzessin begegnet, die so viel magische Energie in sich trägt wie du. Massenhaft wirst du mir abgeben können und trotzdem noch im Überfluss davon behalten. Als solide Basis für eine stattliche Magierin!«
»Wird das wehtun?«, fragte sie beklommen. »Wie wird mein Sternenstaub handlungsfähig werden?«
»Wehtun?«, lachte er auf. »Wo denkst du hin! An diesen Liebesakt und an den intensiven Zungenkuss wirst du dich dein gesamtes Leben lang mit sehnsüchtigem Verlangen erinnern! Im Laufe unserer Vereinigung wird ein Teil deiner unberührten magischen Energie in mich übergehen und ein Teil meiner aktiven Energie wird in dich einfließen. In unserer Verschmelzung erfährst du sexuelle Wonnen, jenseits der Vorstellungskraft der normalen Menschen. Dein Sternenstaub wird gezündet, die magischen Fähigkeiten, die in dir schlummern, werden zur fabelhaften Herrlichkeit erwachen!«
Athina konnte sich nicht mehr zurückhalten, sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn leidenschaftlich. ›Lippen wie Samt‹, dachte sie, ›was für ein Mann! Endlich habe ich dich gefunden, mein Zauberer, mein Geliebter.‹
»Komm«, flüsterte sie, »machen wir das sofort!«
Die Decke des Wohnwagens war mit dunkelblauen Samt mit goldenen Sternen bedeckt, die Wände mit violettem Stoff bezogen, das Fenster durch einen dicken Vorhang, der kein Licht durchließ, verhängt. Bett gab es keines, viele bunte Stoffkissen und Felle lagen auf dem Boden, die sich problemlos für ein Liebeslager nutzen ließen. An den Wänden hingen Ikonen, im Licht der flackernden Kerzen schien es, als wären sie zum Leben erweckt. Am Rückteil stand ein Schrank mit gefüllten Flaschen. Auf einem niedrigen Messingtisch ruhte ein silbern glänzender Samowar, zwei rubinrote Gläser, gefüllt mit einer dampfenden Flüssigkeit, standen bereit.
›Biglia muss gewusst haben, dass wir uns treffen‹, mutmaßte Athina. Er reichte ihr eines der Gläser. Als der bernsteinfarbener Inhalt ihr die Kehle hinunterlief, wurde ihr heiß. »Sei bitte vorsichtig«, flüsterte sie, »ich bin noch Jungfrau, vergiss das bitte nicht.«
»Jungfrau?«, fragte er ungläubig. »Bei deiner engelsgleichen Erscheinung? Saugeil.« Er ließ sich auf die Kissen sinken, streckte ihr die Hand entgegen und zog sie herunter in seine Arme. Hände durchwühlten die Locken ihrer blonden Haare, der Zeigefinger einer Hand fuhr sanft die Kontur ihres Profils nach. »Du bist das bemerkenswertetes Mädchen, Sternenprinzessin«, flüsterte er. »So eine wie dich, traf ich noch nie.« Er beugte sich zu ihr hin, küsste sie sanft auf den Mund, saugte an ihrer Unterlippe, spielerisch fühlte die Zunge über ihre Zähne.
»Ich will dich, mein Geliebter«, stöhnte sie.
»Auch ich brauche dich, Sternenprinzessin«, flüsterte Biglia, knöpfte ihr die Bluse auf, ließ sie ihr von den Schultern gleiten und knabberte an ihrem linken Ohr. Die eine Hand fand den Weg zu ihren Brüsten, schob sich unter ein Körbchen, umschloss die halbgefangene Brust, begann ihre Warze zwischen Zeige- und Mittelfinger zu massieren. Die andere Hand ertastete den Weg zu ihrem Schoß.
»Ich will dich in mir. Ich will dich jetzt«, murmelte Athina zwischen stoßweisen Atemzügen. Sie umfasste ihn mit ihren Armen, die Finger ihrer Hände krallten sich in seinen Rücken. Schwer atmend löste sie sich von ihm, öffnete den Reißverschluss ihres Rocks, hastig streifte sie ihn amt Slip herunter. Nur in BH lag Athina zwischen den Kissen und blickte zu Biglia auf.
»Sternenprinzessin, wie schön du bist«, hauchte er. Er schob einen Finger in ihren BH und zog ihn vorsichtig herab, sodass erst die eine, dann auch die andere Brust frei vor ihm lag. Seine Augen glitten über ihre dunklen Augenbrauen, die langen schwarzen Wimpern, ihre hohen Wangenknochen, die fein geschnittene Nase, die vollen Lippen, die sanft gebräunte Haut ihres Brustansatzes, die Hügel ihrer aufrechtstehenden unverbrauchten Brüste, ihren Nabel, den Schamhügel mit seinen kurzen blonden Schamhaaren und ihre langen schlanken Beine. Ein engelsgleiches Bild perfekter Vollkommenheit. Er küsste sie auf die linke Brustwarze, nahm sie zwischen die Zähne, vorsichtig daran ziehend.
»Bring mich zum Orgasmus«, flüsterte sie. »Bitte, ich will es.« Von Schulkameradinnen hatte sie gehört, dass man das jetzt sagen sollte. Freilich hatten die meisten auch berichtet, dass beim ersten Mal sich außer Schmerzen nicht viel tat. Nur die Abgebrühten hatten von einem Orgasmus vorgeschwärmt, der die Frau für Sekunden in den siebten Himmel hob.
Sie spürte mit Vergnügen, dass seine Finger durch ihr Schamhaar kämmten, hin zu ihrer Klitoris. Einer begann ein aufregendes Spiel, sie stöhnte, endlich, endlich begann ihr zu dämmern, wovon die Frauen träumten!
Wieder und wieder schob Biglia einen Finger in sie hinein, endlich richtete er sich auf, zog seine Hose aus, drängte sich zwischen ihre Beine und spreizte sie auseinander.
Sie warf einen interessierten Blick auf den Penis, den er mit einer Hand umfasst hielt. Sie war entsetzt. ›Oh nein‹, dachte sie, ›das Ding wird im Leben nicht in mich hineinpassen!‹
Biglia schien zu ahnen, was sie befürchtete. »Keine Angst, Sternenprinzessin«, keuchte er. »Es wird nicht wehtun. Zieh die Knie an, ich werde jetzt in dich eindringen.«
Als ihr Jungfernhäutchen zerriss, spürte sie keinen Schmerz. Da immer davon die Rede war, schrie sie auf und hoffte, es würde überzeugend klingen.
Lächelnd hielt er inne und sah sie an. »Ist es in Ordnung für dich, wenn ich weitermache?«
Sie nickte. »Ja, aber langsam, ich muss mich erst an dieses stattliche Teil gewöhnen.«
Sachte zog er sein Glied zurück und schob es anschließend komplett in ihre Vagina ein. »Na bitte«, flüsterte er. »Passt wunderbar. Darf ich weitermachen?«
»Ja«, wisperte Athina. Instinktiv wölbte sie ihm ihre Hüften entgegen, woraufhin er mit seinen Stößen begann. Sie presste eine Hand vor den Mund, immer schneller, immer unerbittlicher stieß Biglia in sie hinein. Minute um Minute verging, Athina glaubte zu schweben, spürte endlich, wie sich alles in ihr bis zum Bersten zusammenzog. Schweißperlen traten aus ihrer Haut, zitternd bäumte sich ihr Körper auf, Atmung und Herzschlag beschleunigten sich, sie fühlte, wie er sich in ihr ergoss. Der Orgasmus überfiel sie heftig wie ein Tsunami. Lustvolle Zuckungen rasten durch ihren Unterleib, ihr Herz begann stürmisch zu schlagen, ihr Körper wurde heiß. Biglia, die Außenwelt, nichts nahm sie mehr wahr, heillos in sich versunken schwebte sie dahin. Endlos lange hielt dieser schwerelose Flug durch die Wolken an.
Als sie zu sich kam, begannen ihre Hände über seinen Leib zu fahren, liebkosten jede Stelle, die sie erreichen konnten. ›So fühlt sich ein Orgasmus an‹, dachte sie überglücklich. ›Was haben meine Freundinnen mir für einen Schwachsinn erzählt! Von wegen nur ein paar Sekunden!‹
Biglia küsste sie sanft auf die Stirn. »Die Zeit ist reif, meine Sternenprinzessin«, flüsterte er. »Jetzt erwecken wir in dir die Magierin!«
»Ja, gib mir deinen Sternenstaub«, stöhnte sie benommen. »Nimm dafür meinen. So viel wie du willst!«
»Entspann dich«, sagte Biglia. »Hab keine Angst. Leg deine Arme über deinen Kopf und spreize die Finger. Ja, so ist es halbwegs in Ordnung.« Er korrigierte Athinas Körperhaltung noch etwas. »Ich werde mich nun auf deinen Körper legen, und zwar so, dass unsere Körper deckungsgleich sind«, erklärte er. »Das ist eine notwendige Voraussetzung für den Austausch. Mit Sexualität hat das nichts zu tun, auch wenn mein Penis wieder in dich eindringen und ejakulieren wird. Und zwar nicht zu knapp«, fügte er mit einem Lächeln an. »Unsere Haut muss jetzt in größtmöglichem Kontakt stehen. Am besten, du schließt die Augen und öffnest sie erst wieder, wenn ich es dir sage.«
Der Magier legte sich auf Athina: Stirn auf Stirn, Arme auf Arme, Hände auf Hände, Finger auf Finger, Brust auf Brust, Hüfte auf Hüfte, Beine auf Beine, Füße auf Füße, Schambein auf Schambein. Sein Glied füllte ihre Vagina proppenvoll aus.
Athina schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Biglias Lippen öffneten sich. ›Sollen wir uns küssen?‹, fragte Athina sich ratlos und öffnete gehorsam ebenfalls den Mund. Sie spürte, wie sich seine Zunge in ihren Mund schob, leicht irritiert versuchte sie das Gleiche bei ihm. Schlagartig überfiel sie das seltsame Gefühl, dass ihre Zunge immer weiter in Biglias Körper hineinwuchs und seine Zunge immer tiefer in den ihren. ›Wir werden ersticken!‹, durchfuhr es sie. Panisch versuchte sie, Sauerstoff über die Nase in ihre Lunge zu pumpen. Es gelang nicht, dafür spürte sie, wie sein Glied an Größe zunahm und heftig zu ejakulieren begann. Gleichzeitig floss ihr etwas Heißes die Kehle hinunter und schien sich in ihrem Körper bis in den letzten Winkel zu verteilen.
Sie kam, weitaus heftiger als beim ersten Mal, mit befremdlicher Intensität.
Schlagartig eigneten sich mehrere Dinge: Biglias Körper schien sich in Luft aufgelöst zu haben, ihr eigener Körper fühlte sich leicht an, eine grausame Kälte überfiel sie, ihre Haut zog sich vor Schmerz zusammen. Entgegen seinem Ratschlag öffnete sie die Augen und schrie vor Entsetzen auf.
Sie lag im Freien auf einem kalten Felsboden. Im Zenit eines sternenlosen, dunkelgrauen Himmels standen zwei Monde. Biglias Körper hatte einen Wolfskopf, mit gelben Augen starrte er auf sie herab. Schützend versuchte sie ihre Hände zwischen sich und das Wolfsgesicht zu bringen. Die Haut ihrer Hände war schwarz.
Als die Finger ihre Nase berührten, erfühlte sie eine langgezogene Schnauze, Fell bedeckte das Gesicht, ihrer Kehle entwich das heißere Keuchen eines gejagten Fuchses. Verzweifelt schloss sie die Augen vor dem Grauen, fühlte unverhofft erneut die vertraute Wärme des Wohnwagens. Voller Dankbarkeit schwebte sie hinein in einen körperlosen Zustand unbegrenzter Entspannung. Tränen der Erleichterung flossen über ihre Wangen. Sie sank in einen traumlosen Schlaf.
Unbewusst suchte Athina am Morgen den Fixierungspunkt über Biglias linken Augenlid. Erwartungsgemäß sah sie den fünfzackigen Stern aufblitzen, blau leuchtend und so kräftig leuchtend, dass sie die Augen zukneifen musste. »Was ist mit deinem Stern? Warum ist er jetzt blau?«
»Blau leuchten sie nur zwischen uns Magiern, mein Engel«, erklärte er. Sternenprinzessin nannte er sie nie mehr, dabei hatte sie dieses Kosewort so geliebt.
Zu guter Letzt war der unvermeidliche Tag gekommen, Biglia musste mit der Sippe weiterziehen. Trauer befiel Athina, wenn sie an die kommenden Nächte dachte, die sie im Bett ohne ihn zubringen musste. Verzweiflung vor den vielen Tagen, die sinnentleert, weil ohne magische Unterweisungen, verstreichen würden. Nicht zuletzt begannen sie Zukunftsängste zu quälen. Als ihr Vater noch gelebt hatte, war sie an ein sorgenfreies Leben gewöhnt. Das war vorbei, jetzt musste sie sich höchstpersönlich um so belanglose Dinge wie Geld für das Überleben kümmern. ›Wäre ich nur an Atridis Stelle!‹, war ihr täglicher Gedanke, ›Ich könnte mein Leben ausschließlich der Magie widmen, wäre frei von allen finanziellen Sorgen.‹
Die Ängste wurden zur fixen Idee. ›Was, wenn es mir gelänge, diese Streberin an mich zu binden? Als Busenfreundin?‹ Zwar bestand ihre gegenseitige Nichtachtung seit Schulzeiten. Nicht ohne Grund, sie hatte der angeberischen Person eins auswischen wollen und ihren Bruder angestiftet, die vierzehnjährige Atridi in ein Gebüsch zu zerren, um sie zu begrapschen. Dass eine Lehrerin dazugekommen war und ihr schwächlicher Bruder nach einer Ohrfeige sie verpetzt hatte, mein Gott, darüber war doch längst Gras gewachsen!
Wie vorgehen? »Mit meinen magischen Künsten ist es noch nicht viel Staat zu machen«, stöhnte sie. »Ich muss an die frische Luft, um meinen Kopf freizumachen.«
Gegen die Abendkühle, die vom Piliongebirge heranzog, warf Athina eine Jacke über die Schulter und ging hinunter zum Hafen. Sie warf einen kurzen Blick zurück. Wie erwartet erhaschte sie ihren Verfolger, der sich hastig in einen Hauseingang drückte. Er stellte ihr schon seit Jahren nach, ein Stalker war er nicht, eher ein schüchterner Verehrer. »Mein Gott, Marios! Wann kapierst du endlich, dass ich in einer anderen Liga spiele«, zischte sie. »Wie kann ein Autoklempner, der mit ölverschmierten Händen herumläuft, die Hoffnung hegen, dass ich mich für ihn interessiere?«
Klempner in der Mercedes-Werkstatt von Volos? Blitzartig hatte sie eine Idee: Atridis Eltern besaßen ein Auto dieser Marke. Fuhren sie nicht jede Woche über das Piliongebirge, um einer Tante ihren Nachkömmling zu präsentieren? Das war doch eine gefährliche Strecke! Was, wenn die Drei dort einen tödlichen Autounfall erlitten? Langfristig wäre die reiche Erbin in Trauer versunken, zugänglich für den Annäherungsversuch einer mitfühlenden Freundin. Natürlich mit etwas Magie untermauert!
Bei der Abreise hatte Biglia bei ihr einen Zaubertrank vergessen, der Trank der Hörigkeit, der für Tage den freien Willen in Knechtschaft zwang.
Sie wandte sich ihrem stillschweigenden Verehrer zu. Gellend pfiff sie durch die Finger. Die Domina gebend befahl sie »Herkommen!« Zögernd verließ der Junge die Deckung, mit gesenktem Blick schlich er herbei.
Mit unterdrückter Verachtung zwang Athina sich zu einem Lächeln. «Dein Benehmen ist unmännlich«, kanzelte sie ihn ab, wechselte sodann in eine schmeichlerische Tonlage. »Wenn du Etwas von mir willst, sag es frei heraus! Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.«
»Darf ich dich zum Eis einladen?«, kam es zaghaft aus ihm heraus. »Bei Jam?«
»Dem vornehmen Café in der Argonauton unten am Hafen?« Da Marios nickte, fasste sie ihn, der sein Glück nicht fassen konnte, an der Hand und zog ihn die Kartali hinunter und bog in die Argonauton ein.
Die prächtige Uferstraße war gesäumt von den beigefarbenen Sonnenschirmen der zahlreichen Restaurants und Cafés. Zwischen den Schirmen standen Palmen, die mehrstöckigen Gebäude schirmten die Flaniermeile der Touristen vor dem Lärm der quirligen Stadt ab.
Jetzt am Sonntagmorgen war im Jam noch nicht viel los. Athina steuerte auf eine mit gelben Stoffkissen belegte Zweierbank zu. »Bitte setz dich mir gegenüber«, bat sie Marios, der neben ihr Platz nehmen wollte. »Da können wir uns besser ansehen.« Sie ließ ihren Blick zur Reede hingleiten, die von den Jachten der Reichen gesäumt war. ›Eine von denen gehört Atridis Eltern‹, dachte sie. ›Mit der werde ich bald die Ägäis unsicher machen.‹
»Was für ein Eis möchtest du?«, fragte Marios. Erschrocken schielte er auf die Preise in der Karte.
Athina stand auf. »Wähl du aus, ich muss mal für kleine Mädchen«, sagte sie. Im Weggehen rief sie ihm »Und bestelle zwei Aperol, die gehen auf meine Rechnung!« zu. In der Toilette streifte sie ihren Slip ab und steckte ihn in die Handtasche.
Zufrieden löffelte Mario sein Eis. Er staunte noch immer über die Vorsehung, die ihn mit dem unfassbaren Glück überrascht hatte, im Beisein des schönsten Mädchens von Volos hier an der Hafenpromenade zu sitzen. ›Würde Athina sich jetzt vorbeugen‹, überlegte er, ›könnte ich ihr heimlich in den Ausschnitt schauen.‹ Er seufzte. ›Doch das wäre zuviel des Glücks.‹
Athina gewährte im nicht den Blick auf ihren Brustansatz. Im Gegenteil, sie lehnte sie sich im Sessel zurück und Marios Hoffnung war dahin. Doch Ungeheuerliches geschah: Die Schöne hob ein Bein und stellte den Fuß auf die Sitzfläche. Ihr ohnehin zu kurzer Rock rutschte nach oben und entblößte eine Scham, die bis auf einen Streifen gekräuselten Blondhaars rasiert war. Als sie das andere Bein leicht zur Seite kippte, öffneten sich feuchtrosa glänzende Schamlippen. Seelenruhig, ihrer Blöße dem Anschein nach nicht bewusst, schlürfte sie ihren Aperol.
Mit offenstehendem Mund starrte Marios auf die Verheißung grenzenloser Glückseligkeit. Einen derartig erregenden Anblick hatte ihm bisher keines seiner zahlreichen Pornohefte geboten. In Gedanken sank er auf die Knie, sein Mund strebte hin zu dem Nektarbrunnen, seine Zunge wollte teilen, eindringen und schmecken. Er schreckte auf, keuchend presste er die Hand auf sein Geschlecht. »Oh«, stöhnte er, »Ich muss zur Toilette, dringend.«
Gleichgültig erhob sich Athina, strich ihren Rock glatt. Zehn Tropfen vom Trank der Hörigkeit ließ sie in Marios’ Aperol fallen.
Verlegen kam er zurück, er schien erleichtert, dass Athina sich unbefangen gab und keine peinlichen Bemerkungen machte.
»Trinken wir auf unsere Freundschaft«, lächelte Athina, hob ihr Glas und prostete ihm zu. »Ex.« Für Minuten saßen sie schweigend nebeneinander. Athina schob Marios einen Zettel zu. »Lies das!«
»Vasilis Papaluka, Nea Ionia, Symi 4«, murmelte Marios. »Ich kenne den Mann, er ist bei uns Kunde. Was ist mit ihm?«
»Mit ihm ist nichts, jedoch mit seinem Auto.«
Verständnislos starrte Marios sie an.
Athina war sich sicher, dass der magische Trank seine Wirkung entfaltet hatte. »Ich befehle dir, Vasilis Papaluka anzurufen. Du sagst, wegen einer Rückrufaktion müsse die Bremsanlage seines Wagens kontrolliert werden. Du holst den Wagen persönlich ab und manipulierst die Bremsen derart, dass sie bei einer Talfahrt versagen. Wie wirst du das anstellen?«
Mechanisch begann es aus Marios herauszusprudeln. »Ich muss die Bremsschläuche manipulieren. Alle Autos haben heute ein Zweikreis-Bremssystem, die Bremsflüssigkeit wird in zwei unabhängigen Kreisläufen zu den Bremsen geführt. Ein Kreis versorgt das rechte Vorderrad und das linke Hinterrad beziehungsweise umgekehrt. Wenn aus einem Kreis Bremsflüssigkeit ausläuft, hat man immer noch 50% Bremswirkung. Mit diesem Manko kann das Auto immer noch zum Stehen kommen. Ich muss zusätzlich die Bremsleitungen für beide Kreise anbohren ...«
»Es muss wie ein Unfall aussehen«, unterbrach Athina seinen Redeschwall. »Auf dich darf kein Verdacht fallen!« Sie fürchtete, dass in diesem Fall auch ihre Person in Verdacht geraten könnte, war doch Marios’ Leidenschaft für sie nicht unbekannt geblieben.
»Ich lasse es wie Marderbisse aussehen, solche Schläuche sind mir oft genug unter die Finger geraten«, beruhigte Marios und fuhr unbeirrt im Vortrag fort: »Bei jedem Tritt auf die Bremse wird etwas von der Flüssigkeit herausspritzen und der Druck im Bremssystem wird immer geringer. Bei einer Berg- und Talfahrt ist ruckzuck Schluss mit der Bremswirkung. Blöd nur, dass eine Kontrollleuchte anzeigt, dass mit den Bremsen irgendwas nicht stimmt. Die werde ich auch noch deaktivieren müssen, doch die Elektronik zu überlisten, ist nicht ohne.«
»Das wirst du hinbekommen«, sagte Athina befriedigt. »Ich sehe, du verstehst dein Handwerk. Du weißt, was du morgenfrüh zu tun hast. Frisch ans Werk!« Sie warf einige Geldscheine auf den Tisch, grußlos stand sie auf, überquerte die Straße und schlenderte über die Uferpromenade davon.
Bewundernd und beduselt vor Seligkeit blickte Marios ihr hinterher. »Sie ist ein wahrhaftiger Engel. Sie wird mich in das Paradies führen.«
Eleni seufzte. »Heute müssen wir Tante Lena in Zagora besuchen, Atridi. Kannst du auf Filippos aufpassen?«
»Nein, das geht nicht, Mama«, bedauerte sie. »Ich muss für die Aufnahmeprüfung an der Uni lernen.«
»Na schön, wir nehmen ihn mit. Nicht ausgeschlossen, dass Tante Lena ihn heute zum letzten Mal sieht. Ihre Gesundheit macht mir Sorgen.«
»Schnallt den Kleinen bitte auf dem Kindersitz an«, bat Atridi. Sie wusste, dass ihre Eltern von dieser Erfindung nicht viel hielten. »Ach, ich erledige das besser persönlich.« Sie zwängte den sich sträubenden Bruder in den Sitz auf die Rückbank und zog die Gurte stramm. Er begann zu weinen, sehnsüchtig streckte er ihr die Ärmchen entgegen.
»Atridi, Atridi« bat er flehend und griff in ihre Haarmähne.
»Ja, ich weiß, mein Kuschelbär, du würdest eher bei mir bleiben. Deine Schwester muss heute viel lernen, sonst wird aus ihr nichts Gescheites!« Sie küsste ihn, schloss die Autotür und winkte dem abfahrenden Wagen nach.
»Vasilis, der Wetterbericht hat für heute im Gebirge Gewitter gemeldet! Ist das nicht fahrlässig, was wir da tun?«
»Eleni«, beruhigte ihr Mann, »schau dir den Himmel an! Keine Wolke weit und breit!«.
Als sie im Piliongebirge den Chani-Pass überfuhren, änderte sich jählings das Wetter. Vor der Passhöhe war der Himmel noch dunkelblau gewesen, so tiefblau, wie er nur an Sommertagen sein kann. Jetzt lag eine Wolkenbank vor ihnen, es wurde spürbar kühler. Sie fuhren in die Wolke hinein, vereinzelte Tropfen fielen, der Regen wurde stärker, im Nu war die Straße in einen reißenden Bach verwandelt. Die Scheibenwischer ächzten und schabten, sie hatten Mühe den Wassermassen Herr zu werden.
»Vasilis, runter vom Gas!«, schrie Eleni. »Bremsen, rechts ran und anhalten!« Mit ihrer linken Hand fühlte sie nach hinten, um ihrem Sohn Schutz und Trost zu geben.
»Ich kann nicht! Die Bremsen greifen nicht! Keine Reaktion!«, brüllte Vasilis. »Heiliger Spyrídon hilf ...«
Der Wagen schlitterte, drehte sich, durchbrach die morsche Leitplanke und stürzte mit dem Heck voran in die Tiefe. Er blieb an einem Felsvorsprung hängen, drehte sich nach vorne und schlug mit einem hässlichen Krachen mit dem Dach auf. Vasilis und Eleni wurden durch die Frontscheibe geschleudert, sie waren sofort tot.
Drei Tage später war die Beerdigung. Im Friedhof Agios Dimitrios in Ano Volos war eine stattliche Menschenmenge versammelt, die Papalukas waren eine der angesehensten Familien in der Stadt.
»Ein Wunder, dass Filippos den Unfall überlebt hat!«
»Und dass der Tank nicht explodiert ist!«
»Ein Glück, dass man das Unglück beobachtet hatte!«
»Ja, der Kleine wäre sonst auch tot!«
»Was wird jetzt aus ihm werden? Ohne Mutter und Vater?«
»Ein Kinderheim, das wäre das Beste!«
Getuschel und vermeintlich rechtschaffen gemeinte Vorschläge umschwirrten die in tränenaufgelöste Atridi. Sie hielt ihren vierjährigen Bruder an der Hand, wütend starrte sie in die Gesichter der Umherstehenden.
»Keine Sorge, ich werde Filippos bei mir behalten!«, sagte sie und versuchte trotz Verzweiflung und Tränen ihrer Stimme einen entschlossenen Ausdruck zu geben.
Ihr Bruder Christos schüttelte den Kopf vor so viel Naivität. »Nein, wir geben ihn weg! Ein dreijähriges Kind! Ich muss mich jetzt um das Geschäft kümmern und du mit deinen achtzehn Jahren schaffst das auch nicht! Im Herbst willst du mit dem Studium angefangen! Mit diesem Klotz am Bein kannst du das vergessen!«
»Mit der Zeit werden die Männer glauben, dass das dein Kind ist«, gab eine entfernte Verwandte zu Bedenken. »Sie werden dich meiden wie die Pest! Wer wird schon eine Frau mit Kind heiraten wollen!«
Zornbebend funkelte Atridi ihre Verwandte an. »Ich weiß, was meine Eltern gewollt hätten und ich weiß, was mein Wildfang will«, sagte sie. »Das Kind bleibt bei mir! Meine Kinderfrau Stavroula wird mir helfen. Basta!«
Zur gleichen Zeit fand noch eine Beerdigung statt. Hinter einem Sarg schritt eine verhärmte Frau.
Die Trauergemeinde der Papalukas schielte hinüber.
»Grässliche Sache, sehr tragisch.«
»Die arme Mutter! Wer soll sich jetzt um sie kümmern?«
»Was genau ist passiert?«
»Haben Sie nicht davon gehört?«
»Nein.«
»Ein Lehrling, achtzehn Jahre alt.«
»War er erkrankt?«
»Nein, Selbstmord, er hat sich aufgehängt. Auf dem Dachboden.«
»Wie furchtbar? Warum?«
»Schulden, Liebeskummer? Wer weiß.«
»Er hieß Marios«, wusste jemand. »Arbeitete in einer Autowerkstatt.«
Als der Sarg des Jungen vorbeigetragen wurde, senkte eine blond gelockte Frau in einem schwarzen Kleid den Kopf. »Marios, du Schwächling«, flüsterte sie. »Hab Dank für diesen letzten Dienst an mir.«
Gelangweilt saß Athina am Küchentisch und starrte nach draußen in den trüben Herbstmorgen. Ein Mann in einer lilafarbenen Weste eilte vorbei. War das nicht Biglia? Ihr Herz begann zu klopfen. Aufgeregt lief sie in den Flur. Es klingelte, sie riss die Haustür auf, Biglia, ihr heiß geliebter Zauberer, stand vor ihr!
Athina stieß Freudenschreie aus, Biglia strahlte sie an. Begierig fanden sich ihre Lippen zu einem sinnlichen Kuss. Er schob sie zurück in den Flur, mit dem Fuß warf er die Tür ins Schloss. Ihrer beide Hände waren überall, Gesicht, Brust, Rücken, Po, vergewisserten sich der zurückliegenden Vertrautheit ihrer Körper.
Sie unterbrach den Kuss. »Mein Zauberer, endlich, endlich bist du bei mir.« Ihre Stimme zitterte, prüfend fixierte sie seinen Stern, hoffte an der Intensität zu erkennen, ob Biglia ihr die Treue bewahrt hatte. ›Eifersüchtiges Ding‹, schalt sie sich. ›Das ist total belanglos.‹
»Mein Engel, du hast mir gefehlt.« Biglia strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. »Endlich, finden unsere Liebesnächte eine Fortsetzung.«
»Wieso Nächte? Das geht auch am Tag!« Athina schmiegte sich an ihn, spürte seine erwachende Männlichkeit. »Komm«, flüsterte sie und zog ihn in ihr Schlafzimmer. Hastig streifte sie die Kleider ab und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. Mit sehnsüchtiger Erwartung sah sie zu, wie er das T-Shirt über den Kopf zog, Jeans und Shorts abstreifte. Sie streckte die Arme nach ihm aus, zog ihn zu sich herab, sein Glied, prall und pulsierender Vorfreude, fand sofort das Ziel seiner Bestimmung.
Am Mittag suchte Athina den Hexer im Wohnwagen auf. Der stand zusammen mit anderen Campern auf einem betonierten Parkplatz in der Kolokotroni 34. Vor der Tür stand ein Bambuskäfig mit zwei Hühnern. »Das sind spezielle Tiere, mein Engel«, schwärmte Biglia ihr vor. »Sie werden dir bei deinen magischen Künsten helfen.«
»Hühner können mir in der Magie helfen?« Athina beäugte den Käfiginhalt skeptisch. Wollte er sie auf den Arm nehmen?
»Das sind keine Hühner«, verbesserte er sie. »Das sind Hähne! Du musst wissen, nur vier Tierarten haben für uns Roma einen herausragenden Stellenwert.« Er begann aufzuzählen: »Der Wolf, der Rabe, die Taube und der Hahn.« Seine Stimme wurde eindringlich. »Für magische Rituale steht bei mir der Hahn an erster Stelle. Ein einzelnes Hühnerbein, dessen Krallen ich in eine festgelegte Form gebogen und an einem speziellen Ort hinterlegt habe, kann für meinen Feind eine schreckliche Krankheit bedeuten. Mit Körperteilen von unreifen Hähnen kann ich meinem Gegner in einen grausamen Tod schicken.«
»Das kann man mithilfe von Hähnen bewirken?« Zweifelnd starrte sie auf die zwei Vögel.
»Nicht nur, mein Engel«, klärte er sie auf. »Es ist die Energie, die einem Hahn innewohnt, sie unterstützt die Wirkung eines Fluches. Der Knackpunkt besteht in einer speziellen magischen Geste. Erst diese versetzt den Sternenstaub in Bereitschaft, Schicksalslinien zu verändern.« Prüfend taxierte er ihren Körper. »Du bist zwar beweglich, doch für die Ausführung der komplexen Bewegungsabläufe nicht elastisch genug. Wir müssen dir einen Träger als Verstärker erschaffen.«
»Hilft nicht auch eine Beschwörungsformel?«
»Abrakadabra?« Biglia lachte. »Du hast zu viele Schmöker gelesen! Einen machtvollen Träger, mit dessen Energie du dich vereinen kannst und magische Gesten, das ist alles, was du brauchst.« Er löste die Adlerkralle, die um seinen Hals hing und reichte sie ihr.
»Was soll ich damit?« Sie ekelte sich vor der Berührung, die Farbe der scharfen Kralle ließ sie an geronnenes Blut denken.
»Erwürge die Hähne und reiße ihnen damit die Brust auf«, befahl er. »Jetzt, auf der Stelle!«
Ihr Mund verzog sich vor Entsetzen. »Bitte, mach du das«, flehte sie. »Ich vermag das nicht.«
Biglia war unerbittlich. »Jeder Magier muss seinen Träger persönlich erschaffen«, sagte er. »Wenn du jetzt versagst, bleibst du ein ungeschliffener Diamant dein Leben lang.«
Die verwöhnte Athina hatte in ihrem bisherigen Leben weder einen Kohlkopf noch ein Huhn zerlegt. Mit zitternden Händen und zugekniffenen Augen begann sie ihr grausames Werk. Als der erste Hahn verendet war und sie den zweiten an der Gurgel packte, schrie der wie aus Verzweiflung auf, er wusste, dass die Reihe an ihm war. Mit aller Kraft drückten ihre Hände zu, ein maßloses Zappeln und Flügelschlagen und es war vorbei.
»Jetzt öffne mit der Kralle die Brust und zerlege die Körper«, kommandierte Biglia. »Sortiere vier Beine, einen Kopf und einen Magen, zwei Herzen und vier Hoden aus!«
Als Athina das Herz herausschnitt, schoss ihr ein Blutstrahl entgegen. Sie würgte vor Ekel, rannte zur Tür des Wohnwagens, riss sie auf, stützte sich mit einer Hand an die Wand des Wagens ab und übergab sich. Ihr Mittagessen platschte auf den Asphalt.
Sie hörte ein entsetztes Aufkreischen und sah auf. Zwei Kinder standen vor ihr. Mit aufgerissenen Augen starrten sie auf den blonden Engel mit den blutigen Händen. Schreiend liefen sie davon.
Endlich waren die Körper der Hähne zerlegt, vier Beine, ein Kopf, ein Magen, zwei Herzen und vier Hoden aussortiert. Die restlichen Körperteile wurden zu Asche verbrannt, die Knochen in einem Mörser zerstoßen. Der Magier hieß Athina die Teile so zusammenbinden, dass drei Beine mit nach oben weisenden Krallen die Organe umgaben. Ein Bein mit nach unten weisenden Krallen sorgte für die Standfestigkeit der Monstrosität. Blut, Asche und die Knochenreste gab sie in einen Topf und steckte den Klumpen in den widerlichen Brei.
Am Nachmittag machten sie sich mit Biglias Auto auf, den Topf im Piliongebirge zu vergraben. An der Kirche Agios Nikolaos parkten sie und schlugen sich in die Büsche. Der Himmel hatte sich eingetrübt, von den Bergen her wehte ein kalter Wind.
Als sie einen steilen Berghang hinaufstiegen, kreuzte ein Hirte mit zwei schwarzen Hunden ihren Weg. Den Hunden sträubte sich das Fell, da sie in Kali den Wolf erkannten, die Ziegen hetzten in Panik den Hang hinunter. Der Rüde stellte sich der Wölfin in den Weg, senkte den Kopf und zeigte mit einem gefährlichen Knurren die Zähne.
Ohne Regung blieb Kali an Biglias Seite, ihre gelben Augen fixierten nur den Hirten.
»Hierher Nestor!« Ein langgezogener Pfiff, der Hund wandte sich ab und trottete den Ziegen nach. Ein frostiger Blick des Hirten traf Biglia. Grußlos folgte er mit der Hündin der Herde.
Von dieser Begegnung an war die Wölfin beunruhigt. Ständig ließ sie ihre Blicke über Täler und Höhen gleiten. Weit lief Kali voraus, mit hochgerecktem Kopf witterte sie in alle Himmelsrichtungen, kam zurück, schaute zu ihrem Herrn empor und schien ihm Bericht zu geben.
»Was hat Kali? Spürt sie die Anwesenheit ihrer Wolfsbrüder hier im Gebirge?«
»Nein, das ist es nicht. Sie fühlt die Anwesenheit einer gewaltigen magischen Kraft.«
»Geht sie von dem Hirten aus?«
»Er ist daran beteiligt, ist aber nicht der Träger der Macht. Merkwürdig ...«
Schweigend irrten die Drei auf der Suche nach einer geeigneten Stelle umher. Jählings gab Kali einen warnenden Laut von sich. Ein heißeres Kraa, Kraa, Kraa war in den Lüften zu hören, es folgte ein scharfes Rak, Rak, Rak. Die Wölfin blickte zum Himmel empor, drehte ihren Kopf hin zu einer Bergkuppe, die mit Bäumen und Büschen bewachsen war. Obwohl windstill, bogen sie sich wie unter einer Windbö. Eingeschüchtert strich Kali ihrem Herrn um die Beine.
»Verdammt, ein Rabe kreist über uns! Das ist kein gewöhnlicher Rabe. Sieh dir die Spannweite der Flügel an, zwei Meter zum Allermindesten.«
»Was ist an einem Raben so besonders? Im Gebirge sieht man sie oft«, wollte Athina ihn beschwichtigen. So aufgeregt hatte sie Biglia noch nie erlebt.
»Er ist der Bote, unter Umständen der Ausgangspunkt der magischen Macht, die Kali spürt, ich weiß es!« Für Minuten stand Biglia bewegungslos da, blickte misstrauisch zu dem Raben hin, der immer noch sein Kraa, Kraa, Kraa schrie.
Endlich flog der Vogel nach Westen und verschwand hinter einem Berg.
»Die Gegend gefällt uns nicht«, sagte Biglia, ließ im Weitergehen misstrauisch die Augen wiederholt zur Bergkuppe und zum Himmel schweifen.
Endlich fand der Magier, was er suchte. An einem karg bewachsenen Südhang stand der abgestorbene Stamm einer Robinie. Biglia zog ein Messer aus seinem Rucksack und grub zwischen den Wurzelsträngen ein Loch in die harte Erde, tief genug, um den Topf mit dem unheimlichen Inhalt aufzunehmen.
»Das wird genügen. Stell das Gefäß hinein.« Sorgfältig bedeckte er den Topf mit Erde, füllte den Rest in den Rucksack und verwischte mit den Händen alle Spuren.
»In einem Jahr werden der harte Winterfrost und die sengende Sommersonne die Teile verhärten, Athina. Mithilfe des magischen Trägers werde ich dich lehren, ihn für Beschwörungen zu gebrauchen.«
Nackt kuschelten sie nach ihrem Liebesakt in gelben Kerzenlicht unter warmen Fellen. Eine Frage quälte Athina schon lange: Wenn Biglia unverbrauchte magische Energie brauchte, würde er sich – ohne auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen – nach einer jugendlichen Sternenstaubträgerin umtun, um mit ihr zu schlafen. Was würde sie im gleichen Falle machen?
»Wenn mein Sternenstaub verbraucht ist, woher beschaffe ich mir Ersatz? Und wie?«
Der Hexer blickte sie an. »Langfristig darfst du nicht hier in Volos Wurzeln schlagen! Ziehe, so wie ich, kontaktfreudig durch die Welt. Wenn es dir an Geld fehlt, suche die Freundschaft der Reichen. Erweitere deine Suche bis in fernliegende Länder. Lege dir auf deinen Reisen eine Liste der jugendlichen Männer an, die Träger unberührten Sternenstaubs sind. Wenn du in eine Notlage kommst, ziehe die Liste zurate und wähle einen passenden Jüngling aus. Du vereinigst dich körperlich mit ihm, entreißt ihm seinen Sternenstaub und aktivierst ihn in dir. Hierfür muss in ihr zumindest noch ein minimaler Vorrat an Sternenstaub vorhanden sein. Warte deshalb damit nicht zu lange.«
»Ich soll mit anderen Männern Liebe machen?« Athina war fassungslos. »Das macht dir nichts aus?«
»Nein. Warum auch? Es geht dabei ja nicht um Liebe, es geht um einen rein technischen Akt, der dir helfen soll, deine magischen Fähigkeiten zu erhalten.«
Im Geheimen beglückwünschte sie sich, die Nähe zur reichen Atridi mit dem Tod ihrer Eltern perfekt vorbereitet zu haben.
Einen Schwachpunkt in Biglias Vorschlag fand sie sofort: »Wenn ich keinen geeigneten Spender finde, wenn mir nur Frauen und Kinder als Sternenstaubträger über den Weg laufen? Wie gehe ich dann vor?«
Biglia zögerte mit einer Antwort, als Weißmagier hatte er seit geraumer Zeit erkannt, dass seine Geliebte trotz ihrer engelhaften Erscheinung die Anlagen zu einer Schwarzmagierin in sich trug.
Athina sah ihn liebevoll an, ihre Hand wanderte über seine Brust, seinen Bauch entlang hinunter zu seinem Glied. Mit kräftiger Hand begann sie es zu massieren.
Berauscht vor Wonne stöhnte er auf und stellte alle Bedenken zurück. »Es gibt noch einen anderen Weg, an unberührten Sternenstaub heranzukommen«, flüsterte er und seine Stimme erstarb.
Athina verstärkte ihr Bemühungen.
»Ich bin diesen schweren Weg noch nie gegangen, hoffentlich wirst auch du ihn nie beschreiten müssen«, sagte er endlich. »Du kannst einen sternenstaubträger – Mann, Frau oder Kind – auch mit einer Beschwörung exekutieren, um ihm seine innewohnende Energie zu entreißen. Der Fluch ist verdammt schwierig auszuführen, auch nicht risikofrei für den Magier persönlich! Er gelingt nur, wenn man noch einen umfangreicheren Vorrat an Sternenstaub besitzt.« Jetzt, wo er mit der Sprache herausgerückt war, bedauerte er seine Worte.
Athina gab sich den Anschein, schockiert zu sein. »Du meinst ... Das ist nicht dein Ernst! Ich müsste ein Kind oder eine Frau umbringen?«, stammelte sie.
»So ist es. Dir bleibt keine andere Wahl. Du musst einen Mord begehen!«
›Ich will mein Leben als Magierin enden, nicht als gewöhnlicher Mensch‹, nahm Athina sich vor. ›Jemanden den Tod zu bringen, was ist schon dabei? Ich habe es längst getan und kann es wiederholen.‹ Sie versuchte, ihrer Stimme einen gleichgültigen Ton zu geben. »Gehört der Fluch zu meiner Ausbildung?«
»Ein Magier muss alle Flüche kennen, auch solche, die er nie anwenden wird.«
Athina war mit der Antwort zufrieden. Sie blickte zu Kali hin. »Und Tiere? Wie ist es mit deiner Wölfin? Woher bekommt sie jungfräulichen Sternenstaub her? Von Menschen oder Tieren?«
Biglias Augen verdunkelten sich. Er legte seine Hand auf den Kopf der Wölfin, die neben ihm ruhte und ihn mit unergründlichen gelben Augen liebevoll ansah. »Meine treue Begleiterin, woher bekommst du ihn? Ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, ich bin froh darum!«
»Tragen alle menschlichen und tierischen Sternenstaubträger den gleichen Sternenstaub in sich?«
»In den Legenden der Roma wird erzählt, es gäbe Sternenstaub von auserlesener Reinheit, der schon vor der Geburt des Lichtes existiert haben soll. Seine Träger sollen keinen weißen, sondern einen schwarzen Stern tragen. Der Schwarze Sternenstaub soll es seinem Träger ermöglichen, den Tod zu besiegen, gleichgültig, in was für einer Gestalt er kommt. Im Rahmen der Heilung muss ein Teil dieser speziellen magischen Energie auf den Todgeweihten übertragen werden. Der Fluch der guten Tat ist freilich, dass sich der Hexer damit einen potenziellen Konkurrenten erschafft.«
Athina war elektrisiert. »Heiliger Strohsack, mit dieser Fähigkeit könnte man sich ja über alle Menschen erheben«, sagte sie träumerisch.
»Vorsicht, bleibe immer auf dem Teppich«, ermahnte Biglia. »Ich hörte von den Alten, dass vor über zweihundert Jahren eine Schwarze Sternenstaubträgerin als Hexe bei einer unserer Sippen gelebt habt. Ihr Leben ist in einer Tragödie geendet.«
»Wieso das? Mit ihrer gottähnlichen Macht?«
»Man brachte unseren Schmied zu ihr, ein Bär hatte ihn übel zugerichtet, keinen Pfifferling gab man für sein Leben. Seine Fähigkeiten waren wertvoll für unseren Stamm, mit Schwarzen Sternenstaub konnte die Hexe ihn heilen. Am nächsten Tag war er verschwunden. Monate später kehrte er wieder, seine magische Energie war initiiert, er war zu einem kolossalen Hexer geworden. Die Arbeit als Schmied passte ihm nicht mehr, er beanspruchte die Führung der Sippe. In einem Kampf auf Leben und Tod verloren beide Träger des Schwarzen Sternenstaubs ihr Leben. So viel zu der gottähnlichen Macht.«
Gelangweilt blätterte Athina die Tageszeitung Agelioforos von hinten nach vorne durch. Ihre Freundin Atridi war für einige Tage in ihr Sommerhaus ans Meer gezogen und Athina hatte abgelehnt mitzukommen, denn diese Bleibe war für ihren Geschmack nicht glamourös genug. Ihr Blick blieb an einer Nachricht hängen: Skelett in Höhle gefunden. Darunter war ein Ring abgebildet. Ihr Herz blieb fast stehen, das war der Ring, den sie Biglia vor fünf Jahren geschenkt hatte! ’Wer kann Angaben zu dem Besitzer des Rings machen? Bitte bei der Polizei melden!’
Vor drei Jahren hatte sie ihren geliebten Hexer zuletzt gesehen, daraufhin war er wie vom Erdboden verschluckt. Athina hatte sich auf die Suche nach ihm gemacht, umherziehende Roma befragt, war bis nach Rumänien gezogen. Bei ihren Fahrten über das ägäische Meer hatte sie auf den zahlreichen griechischen Inseln nach ihm geforscht. Umsonst, es war, als hätte es ihn nie gegeben.
Sie eilte zur Garage hinunter, mit Bedauern musste sie feststellen, dass Athina den roten Austin-Healey Sprite mitgenommen hatte, ihr blieb nur der silberfarbene Audi.
Während der Fahrt zur Polizei gingen ihr die letzten gemeinsame Jahre mit Biglia durch den Kopf: Immer wenn er für einige Tage aufgetaucht war, hatte sie sich bei Atridi abgemeldet und Krankenpflege bei ihrer Mutter vorgetäuscht. »Ich muss bei der Jungfrau Maria Punkte sammeln«, hatte sie gescherzt. »Hoffentlich hilft mir das, wenn ich dereinst vor dem Himmelstor stehe.« Zwölf Jahre lang war das so gegangen. Tagsüber hatte Biglia sie in der Magie unterwiesen, des Nachts hatten sie Sex gehabt. Dank des Sternenstaubes waren die Liebesakte von einer Intensität, von der nichtmagische Wesen nur träumen konnten.
Beflissen erhob sich der diensthabende Polizist, als Athina das Zimmer betrat. Mit einer solchen Schönheit hatte er nicht oft zu tun.
»Mein Name ist Athina Drosos. Ich komme wegen des Zeitungsartikels«, lächelte sie ihn an und schob ihm den ausgeschnittenen Artikel zu. »Ich habe den Ring erkannt. Er muss meinem Onkel Sotiris Vissi gehört haben. Er ist ein Familienerbstück. Schauen Sie nach, im Innern müssen sich die Initialen A. D. befinden.«
Der Polizist öffnete eine Schublade, entnahm ihr einen Umschlag und ließ den Inhalt auf die Schreibtischfläche gleiten. Biglias Ring. Er ging zum Fenster, drehte ihn zwischen den Fingern und studierte die Innenseite.
»Stimmt«, sagte er. »Wollen Sie ihn mitnehmen?« Und da sie nickte, schob er ihr ein Formular und einen Kuli zu. »Bitte Ihre Unterschrift, Frau Drosos.«
Athina unterschrieb und steckte den Ring in ihre Handtasche.
»Warum wurde keine Vermisstenanzeige aufgegeben?«, wunderte sich der Polizist. »Ihr Onkel muss doch schon vor mindestens drei Jahren verschwunden sein. Hat sich die Familie keine Sorgen gemacht?«
»Ach, Onkel Sotiris und die Familie«, lächelte Athina gequält. »Er war ein Sonderling, im Alter geistig verwirrt, hauste einsam in einem verlassenen Bergdorf, schoss mit einem vorsintflutlichen Gewehr auf uns, wenn wir ihn in seiner verfallenen Hütte besuchen wollten. Zu guter Letzt haben wir den Kontakt aufgegeben.« Athina senkte den Kopf, eine Träne fiel auf das Formular. »Wo haben Sie meinen armen Onkel gefunden? Wo ist er beerdigt?«
»Traurige Geschichte«, sagte der Polizist. »Mein Beileid.« Ihr die Hand zu geben, traute er sich nicht, zum einen fühlte er sich zu minderwertig, zum anderen trug sie kurioserweise Handschuhe. Er ging zum Computer, nach einigen Minuten kam er mit zwei Ausdrucken zurück. »Auf dieser Karte habe ich die Höhle im Gebirge angekreuzt, in der die Übereste Ihres Onkels gefunden wurden. Hier auf der Friedhofskarte von Agios Dimitrios in Ano Volos habe ich vermerkt, wo er beigesetzt wurde.«
Mit tränenumflorten Blick dankte Athina und nahm die Blätter entgegen.
Der Polizist starrte der blonden Frau hinterher. Den liebenlangen Tag konnte er nur an eines denken: »Eine Nacht mit diesem Engel zu verbringen, das wäre wie ein Blick ins Paradies.«
Einen Kilometer hinter dem Bergdorf Drakia parkte Athina den Wagen. Sie folgte einem Hirtenpfad, erreichte eine Gruppe von Felsblöcken, linker Hand stieg das Gebirge steil an, ein verwittertes Hirtenzeichen wies auf den Höhleneingang. Sie musste sich bücken und auf den Knien hineinrutschen. Drinnen war es düster, sie beglückwünschte sich, eine Taschenlampe mitgenommen zu haben. Der Lichtschein fiel auf die achtlos beiseitegetretenen Gebeine von Kali. Athina hatte damit gerechnet und eine Plastiktüte mitgebracht. Sorgfältig sammelte sie Schädel, Schulter- und Beckenknochen der Wölfin ein, mit gespreizten Fingern durchkämmte sie den trockenen Sandboden, selbst die winzigsten Knöchelchen erfühlte sie.
Im Licht der Lampe suchte die Magierin die Felswand nach geheimen eingeritzten Zeichen ab. Sie wurde fündig, konnte den Hinweisen folgen und begann in der hinteren Ecke der Höhle mit ihren behandschuhten Händen den losen Sand des Höhlenbodens beiseite zu räumen. Sie stieß auf Biglias Anhänger und seine Kralle, die schreckliche Waffe, tödlich wie ein Messer.
Schon wollte Athina sich mit dem Fund begnügen, als ihre Hand in der ausgehobenen Grube noch einen Gegenstand erfühlte. Es war eine silberne Dose. Sie kroch aus der Höhle heraus, draußen im Sonnenlicht öffnete sie den Verschluss. Ihr Atem beschleunigte sich, sie konnte nicht fassen, was sie da sah.
Es war der Fruchtbarkeitsstein! Ein wunderbar geschliffener, seltsam geformter Rosenquarz. Er glich einer hochschwangeren Frau, war durchscheinend und hatte im Inneren rosafarbene Einschlüsse in Form eines Fötus. Eine zunehmende, Leben bringende Mondsichel, die sich schützend über einen zweiten Mond schob, ein fünfstrahliger Stern und eine Schlange, das Symbol für Weiblichkeit, waren auf der Oberfläche eingraviert.
Sie wusste – Biglia hatte es ihr oft genug erzählt – dieser Stein war an der Küste von Zypern in einer einsamen Bucht, die den Roma heilig ist, gefunden worden. Die uralten Symbole bewirkten einen Zauber, der für Nachkommen der Roma sorgte. »Wenn der Stein unserem Stamm verloren geht«, hatte er verkündet, »ist er ohne jede Zukunft.«
Athina ahnte, was geschehen war: Biglia war sterbenskrank gewesen, hatte es trotz seiner Magie nicht mehr geschafft, zu ihr zu kommen. Da hatte er erst Kali mit der Kralle getötet, sich die Adern aufgeschlitzt, den Anhänger, die Adlerkralle und den Fruchtbarkeitsstein im Sand verborgen, sodass nur Eingeweihte sie fänden.
Nachts bei Vollmond ging Athina zu Biglias Grab. Im schäbigsten Teil des Friedhofs, umgeben von Gräbern, auf denen vergilbte Plastikblumen lagen, hatten die Behörden seine Knochen verscharrt. Mit bloßen Händen grub Athina ein Loch, legte die Gebeine von Kali hinein, strich die Erde glatt und steckte magische Plättchen in den trockenen Sand. »Lebe wohl, mein einziger Geliebter«, flüsterte sie. »Lebe wohl Kali, du treue Begleiterin.« Sie legte Biglias Talisman um ihren Hals und ging, ohne sich umzusehen, davon.
Die Magierin Athina besuchte das Grab nie wieder.
Vasilios Manoli wurde am Morgen vom Meltemi, der heftig an den klapprigen Holzläden rüttelte, geweckt. Schon als Kind hatte er in den Sommermonaten immer dann heftige Migräne bekommen, wenn dieser Schönwetterwind von Norden kommend über das Ägäische Meer herfiel.
Beim Aufstehen erinnerte sich Vasilios an die Ereignisse des letzten Sommers. »Los Vasilios, komm mit!«, forderten ihn zwei Studienfreunde auf. »Wir segeln nach Santorin, das Wetter ist prächtig.«
Morgens hatte er aus Südwest Blumenkohlwolken am Himmel aufziehen sehen, die sich zu vorgerückter Stunde mit hohen Schäfchenwolken abwechselten. Als der Hirte Akylas ihm vom Wetterleuchten am nördlichen Nachthimmel erzählte, wusste Vasilios, dass der Wind, der ihm Kopfweh brachte, aus dem nördlichen Balkan heranzog.
»Nein, segelt ohne mich los, ich muss für mein Physikum büffeln«, hatte er gelogen und die Beiden waren ohne ihn zu dem Segeltörn aufgebrochen. Am Abend hörte er in den Nachrichten, dass ein Boot in der Meerenge zwischen Euböa und Andros von einer gigantischen Fallbö erfasst und zum Kentern gebracht worden war. Nur einen der beiden Segler hatte man retten können, der andere war vom Meer verschlungen worden.
Dass der Meltemi ihm schon im Monat Mai Ärger machte, kam nicht in jedem Jahr vor. Vasilios wusste, oben in den Bergen des Piliongebirges würden die Auswirkungen des Windes für ihn erträglicher sein. Er packte Brot, Käse, eine Zwiebel und eine Handvoll Oliven in den Rucksack und holte einen Krummstab, der hinter der Haustür stets bereitstand, hervor.
»Ich gehe Akylas besuchen«, rief er vom Flur her seiner Mutter zu, die in der Küche herumwerkelte. »Warte nicht auf mich, ich übernachte in den Bergen.« Hastig zog Vasilios die Tür ins Schloss, er war nicht in Stimmung, sich auf ihre Bedenken einzulassen.
Er trat auf die Straße hinaus und hoffte auf keine Nachbarn zu treffen, die ihn in ein Gespräch verwickeln konnten. Eine Windböe wirbelte Sand auf, er spürte die aufprallenden Körner wie Nadelstiche auf der Haut. Schützend hielt er eine Hand vor die Augen.
»Pass auf, wo du hinläufst, du Trampel!«, fuhr ihn eine wütende Stimme an.
Erschrocken blieb er stehen, rieb sich die Augen und blickte auf. Vor ihm standen zwei Frauen, die eine schob einen Kinderwagen. ›Wer hat mich derart unbeherrscht angefahren?‹, fragte er sich. Beide Frauen boten einen ausnehmend erfreulichen Anblick, schienen knapp über dreißig Jahre, waren schick gekleidet, blonde und schwarze Locken umrahmten perfekt geschminkte Gesichter. ›Bestimmt nicht die Blondine mit dem engelsgleichen unschuldigen Gesicht, eher die Schwarzhaarige‹, unterstellte er.
Die blonde Schöne machte mit der linken Hand eine seltsam fließende Bewegung in Vasilios’ Richtung. Im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass ihre Handflächen mit roten Punkten übersät waren. ›Hat sie in Dornen gegriffen?‹, wunderte er sich. Schlagartig erweiterte sich der bisher halbseitige Schmerz auf beide Gehirnhälften, im Bereich von Stirn, Schläfe und Auge pulsierend. Die Farbe wich ihm aus dem Gesicht, er begann leicht zu schwanken.
»Ist Ihnen nicht wohl?«, hörte er eine dröhnende Stimme in seinem Kopf. »Wollen Sie sich setzen? Da drüben steht eine Bank.« Er fühlte eine Hand, die sich ihm stützend unter den Arm legte. »Athina, übernimm den Kinderwagen, ich glaube, ich kenne den Mann.«
Urplötzlich ließ der heftige Schmerz in der Stirn nach. »Danke, es geht schon, der Meltemi macht mit zu schaffen«, murmelte er. Erstaunt starrte er auf die Hände der blonden Schönheit. ›Nanu, sie trägt ja mit einem Mal Handschuhe, habe ich mir die Verletzungen ihrer Hände nur eingebildet?‹ Es waren Kurzfingerhandschuhe aus feinem roten Leder mit aufgenähten Applikationen aus edlen Steinen. ›Wozu Handschuhe im Mai, dazu noch so komische Dinger? Und die Schwarzhaarige, ist das nicht die Schwester meines Schulfreundes Filippos? Atridi Papaluka, die Rechtsanwältin aus Volos? Die ist Mutter geworden? Bei ihrem Lebenswandel? Ein Kind passt zu der doch wie die Faust auf’s Auge. Die Blonde muss somit ihre stadtbekannte Freundin sein, ohne die sie keinen Schritt tut. Vor mir steht das berüchtigte geile A-Duo!‹
Die zügellosen Gerüchte, die über die Frauen umliefen, waren bis in sein Dorf gedrungen. Man munkelte, es seien Lesben. Mehrmals im Jahr sollten sie mit der Familienjacht der Papalukas auf große Fahrt gehen. In den angesagten Häfen von Skiathos, Mykonos, Santorin, Piräus, Kos und Rhodos sollten sie Jagd auf gutaussehende Sexpartner machen. In der Regenbogenpresse las man von ausufernden Partys in Diskotheken, von Einladungen auf Jachten berühmter Hollywoodgrößen, von Flirts mit Millionären und Sängern. Man hörte von Reisen in die reichen Golfstaaten, ins südliche Afrika, Neuseeland und Australien.
Dass Athina ihre schlechte Laune an dem Dorftrottel ausließ, war verständlich. Sie hatte seit einiger Zeit das unbestimmte Gefühl, dass ihr Einfluss auf die reiche Freundin ihr allmählich entglitt. Zum einen machte Atridi sich in der Rechtsanwaltskanzlei immer unentbehrlicher, zum anderen war Lena, die einjährige Tochter ihres abgöttisch geliebten Bruder Filippos, ins Spiel gekommen.
Seit der Geburt des Balges hatte das Baby Atridi voll in Beschlag genommen. Die Kreuzfahrten mit der Nemesis