DER FALL VUKOBRANKOVICS: Wahre Verbrechen - Ernst Weiß - E-Book

DER FALL VUKOBRANKOVICS: Wahre Verbrechen E-Book

Ernst Weiß

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Beschreibung

Elisabeth Thury, ursprünglich Milica von Vukobrankovics (1894-1973) war eine österreichische Journalistin. Vukobrankovics wuchs als Tochter eines höheren Beamten serbischer Herkunft in Wien und Niederösterreich auf und wollte zunächst Lehrerin werden. Die Familienverhältnisse waren allerdings problematisch: Der adelsstolze Vater litt an der Syphilis, hatte Tobsuchtsanfälle und starb früh, die strebsame Tochter wurde zur eigenwilligen Einzelgängerin. Die ausgebildete Volks- und Bürgerschullehrerin schloss sich im Ersten Weltkrieg eng der Familie eines Landesschulinspektors an. Zu Ende des Ersten Weltkriegs (1918) wurde sie in einem Indizienprozess wegen versuchten Giftmordes angeklagt, allerdings nur der Verleumdung schuldig gesprochen und war bis Juli 1919 in Haft. Als Verlagsangestellte des Konegen-Verlages geriet sie wenig später neuerlich unter den Verdacht der Giftmischerei. In beiden Fällen war der vermeintliche Einsatz des Giftes ein vermutetes Beziehungsdelikt in Liebesverhältnissen mit verheirateten Männern. Sie war 1922-1923 in Untersuchungshaft und wurde im Dezember 1923 verurteilt. Ihr Prozess erweckte internationales Interesse, Auch Karl Kraus engagierte sich für die "unglückliche Frau". Ernst Weiß (1882 - 1940) war ein österreichischer Arzt und Schriftsteller. 1928 wurde Weiß vom Land Oberösterreich mit dem Adalbert-Stifter-Preis ausgezeichnet. Weiß debütierte mit seinem Roman Die Galeere."

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Ernst Weiß

DER FALL VUKOBRANKOVICS: Wahre Verbrechen

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-0027-6

Inhaltsverzeichnis

Der erste Prozeß Vukobrankovics
Der zweite Prozeß
Das Buch der Milica Vukobrankovics
Zusammenfassung

Der erste Prozeß Vukobrankovics

Inhaltsverzeichnis

Am 28. Oktober 1918 begann der erste Prozeß gegen die vierundzwanzig jährige Bürgerschullehrerin Milica Vukobrankovics de Vuko et Branko vor den Wiener Geschworenen. Die Angeklagte war beschuldigt, in der Familie des Landesschulinspektors Rudolf Piffl den Speisen Arsenik beigemengt und eine Phosphorpille angefertigt zu haben, um die Ehefrau des Piffl aus der Welt zu schaffen. Als die Nachforschungen, einmal unterbrochen und dann wieder aufgenommen, auf die Angeklagte als Täterin hinwiesen, suchte sie den Verdacht auf den Adoptivsohn des Ehepaares Piffl, Albert Zelenka Piffl, zu lenken. Es wurde deshalb gegen sie die Anklage auf Mordversuch und auf Verleumdung erhoben.

Die Milica Vukobrankovics hatte in der Familie der Piffl freundschaftlich verkehrt und war wie eine Tochter angesehen worden. Beide Eheleute waren bedeutend älter als sie, der Mann war sechsundfünfzig, die Frau einundfünfzig Jahre alt. Nun ereignete es sich, daß Frau Piffl, sowie deren Mutter und Tante nach dem Genuß von Limonade und später nach einer Mehlspeise erkrankten und daß die Ärzte eine Arsenikvergiftung feststellten. Man brach hierauf den Verkehr mit der Angeklagten, die sich durch den Besitz eines Buches über die Psychologie des Giftmordes verdächtig gemacht hatte, ab; sie verstand es aber, sich wieder einzudrängen, und versuchte immer wieder, das Mißtrauen ihrer Freunde zu entkräften. Am 14. Februar fand man nun in einer Schachtel, aus der Frau Piffl ihre Pillen gegen Herzbeschwerden zu nehmen pflegte, eine Phosphorpille. Daraufhin wurde die Anzeige erstattet. Am 11. März schickte die Angeklagte ein Schulmädchen in die Wohnung des Piffl, das dem öffentlichen Dienstmädchen sagte, es wolle Herrn Piffl persönlich sprechen. Es brachte Blumen für ihn. Da er nicht anwesend war, entfernte sich das Kind, das man eine kurze Zeit im Vorzimmer allein gelassen hatte. Zwei Stunden später wurde bei dem Inspektor ein Brief abgegeben, des Inhalts, er möge unter dem Sofa im Vorzimmer nachsehen, es scheine dort ein »geheimes Depot Alberts« (des Stiefsohnes) zu sein. Es fand sich unter dem Sofa ein Tiegel mit rotem Phosphor und ein Fläschchen mit Opiumtropfen. Es stellte sich bald heraus, daß das Schulmädchen auf Befehl der Vukobrankovics die Gifte dort verborgen hatte.

Die Angeklagte wurde verhaftet. Sie leugnete beharrlich. Zur Durchführung des Indizienbeweises waren über vierzig Zeugen vorgeladen. Ein psychiatrisches Gutachten war eingeholt worden, es bezeichnete die Angeklagte als geistig gesund. Der Verteidiger versucht die Ablehnung der Gutachter durchzusetzen, sie hätten sich in ihrem Bericht auch über die Tat selbst geäußert und seien befangen. Dieser Antrag wird abgelehnt. Wir lassen nun die wichtigsten Momente der Verhandlung folgen, weil sich aus ihnen, besonders aus den Einzelheiten und aus der Art, wie sich die Vukobrankovics benimmt und verteidigt, erst ein Bild der geistigen Voraussetzungen ergibt, unter denen die Tat begangen wurde.

Vorsitzender: »Bekennen Sie sich schuldig?« Angeklagte( sehr laut und energisch): »Nein, nach keiner Richtung, Herr Präsident.« Vorsitzender: »Sie leugnen also, Gift in die Speisen getan zu haben.« Angeklagte: »Ich habe das nicht getan.« Vorsitzender: »Und was ist es mit der Verleumdung Angeklagte: »Ich erkläre, daß es mir niemals darum zu tun war, den Buben zu beschuldigen. In meiner grenzenlosen Aufregung wollte ich nur darauf hinweisen, daß auch ein anderer es getan haben könne, denn ich hatte doch keinen Grund, so etwas auszuführen.«

Sie erzählt nun, daß sie kurz nach Kriegsausbruch aus der Schweiz heimgekehrt sei und sich der Kriegsfürsorge zur Verfügung gestellt habe. Dadurch kam sie mit ihrem ehemaligen Direktor, dem Landesschulinspektor Piffl und dessen Frau in nähere Berührung. Frau Piffl bat sie, sie möge dem Adoptivsohn Nachhilfestunden erteilen. Dies habe sie unentgeltlich übernommen. Aus Erkenntlichkeit hierfür hatte die Familie sie in den Jahren 1915/16 zum Sommeraufenthalt eingeladen. 1915 war sie in Kranichberg, dem Schlosse des Kardinals Piffl, der der Bruder des Landesschulinspektors ist. Am 17. Dezember 1917 habe sie zur Linderung eines starken Hustens in der Apotheke ein Limonadenpulver gekauft. Als sie bei der Familie Piffl zu Besuch war, hatte sie es benützen wollen, man brachte ein Glas Wasser, und Frau Piffl wollte auch davon kosten. Es wurden noch zwei Gläser gebracht, sie bereitete für alle die Limonade und tat auch Zucker hinein. Frau Piffl hätte eines von den Gläsern gewählt. Dem Sohne hätte es so geschmeckt, daß er sich ein Päckchen mit den Limonadekristallen erbat. Bald nachher wurde Frau Piffl von einem Unwohlsein befallen, sie klagte, daß sie erbrechen müsse. Sie hätte vielleicht die Limonade nicht trinken sollen. Sie, die Vukobrankovics, hätte gemeint, die Limonade sei wohl nicht die Ursache des Erbrechens, sonst wäre sie doch auch selbst erkrankt. Vorsichtshalber hätte sie aber Albert gesagt, er möge das Limonadepulver einem Arzte zeigen, bevor er es benütze.

Nun kam die Rede auf die Mehlspeisevergiftungen am 23. März. Die Angeklagte bestreitet, an diesem Tage vormittags bei Piffl gewesen zu sein, da sie bestimmt wisse, damals sei sie unwohl gewesen. Erst nachmittags habe sie von Herrn Piffl gehört, daß alle Familienmitglieder mit Ausnahme von ihm und Albert nach dem Genuß einer Maisspeise erkrankt seien und zu Bette lägen. Der herbeigeholte Hausarzt, Primarius Dr. Swoboda, sprach sofort den Verdacht aus, die Maisspeise habe Rattengift enthalten. (Diesem Arzte stellte die Vukobrankovics später, als er »leider« schon verstorben war, ein sehr lobendes Zeugnis wegen seiner trefflichen Diagnostik aus. Er habe als der einzige Arzt sofort das Richtige getroffen, während sich später, bei den Vergiftungen im Hause Stülpnagel, alle anderen Ärzte sich als »Trottel« bewiesen hätten, und sie selbst die einzige gewesen sei, die das »Rad aufgehalten« hätte.) Er nahm sofort ein Stück der verdächtigen Speise an sich, um es untersuchen zu lassen, und sagte, er müsse die Strafanzeige erstatten. Sie selbst sei aber, führt die Vukobrankovics aus, an allem gänzlich unbeteiligt gewesen.

Staatsanwalt: »Es ist merkwürdig, daß Sie alles hervorheben, was Ihnen bedenklich erscheint.«

Angeklagte: »Nun ja, aus demselben Grunde, weshalb Sie alles hervorheben, was mich belastet.«

Trotzdem sei der Verkehr, wenn auch nicht in der ungezwungenen Weise wie bisher weitergegangen. Sie, die Vukobrankovics, hätte der Familie zeigen wollen, daß sie ihr verzeihe, sie habe auch einen Besuch der Frau Piffl bei sich zuhause empfangen, und eine Einladung nach Kranichberg für sich und ihre Mutter. Bald nachher wurde sie wegen der Giftaffäre zur Polizei vorgeladen. Ihre Mutter sei darüber so böse geworden, daß sie erklärte, mit Piffl nicht mehr verkehren zu wollen.

Der Vorsitzende stellt nun fest, daß der Verdacht gegen die Vukobrankovics erst rege wurde, als Frau Piffl in der Handtasche der Angeklagten die Broschüre »Die Psychologie des Giftmordes« fand.

Angeklagte: »Die Broschüre hat damit nichts zu tun.«

Staatsanwalt: »Sie gaben zu, daß Herr Piffl zumeist später mittagmahlte als die Familie?«

Angeklagte: »Nein, es kam öfter vor, daß, wenn er nicht im Büro weilte, er rechtzeitig zum Essen kam, also auch vergiftet werden konnte.«

Staatsanwalt: »Sie haben stets behauptet, Frau Piffl sei Ihnen freundlich entgegengekommen, trotzdem haben Sie eine Novelle geschrieben: ›Das Armband‹, die auf Frau Piffl gemünzt ist, die Sie in der Figur der Kommerzienrätin als herzloses, scheußliches Wesen hinstellen.«

Angeklagte: »Es haben sich Zwischenfälle ereignet, Unstimmigkeiten.«

Verteidiger: »Sagen Sie es nur heraus, Eifersucht der Frau Piffl.«

Angeklagte: »In der Novelle ist ja kein Name genannt, und ich kann nichts dafür, daß Frau Piffl die Kommerzienrätin auf sich bezogen hat.«

Vorsitzender: »Wir kommen nun zum (3.) Giftmordversuch, dem mit der Phosphorpille am 14. Februar. In einer Schachtel mit Pillen, die nur für Frau Piffl bestimmt waren, wurde eine Phosphorpille gefunden, und es wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie die Pille hineingeschmuggelt haben.«

Angeklagte: »Es ist befremdend, daß man nur mich beschuldigte, da ich doch gar keine Ursache dazu hatte. Ich wußte ja auch gar nicht, aus welcher Schachtel Frau Piffl Pillen nimmt, denn es waren auf der Kredenz zwei Schachteln.«

Staatsanwalt: »Wie können Sie sich so genau erinnern, daß Sie damals nie allein gewesen sind?«

Angeklagte: »Ich bin ja drei Tage später zur Rede gestellt worden.«

Psychiater Dr. v. Wieg: »Nach Ihrer hier bekundeten ethischen Auffassung frage ich Sie, was hatten Sie nach diesem Vorfall für einen Grund, sich nochmals einem solchen Verdacht auszusetzen? Es wäre doch psychologisch begründet, wenn Sie sich schuldlos fühlten, um keinen Preis dieses Haus wieder zu betreten.«

Angeklagte: »Ich selbst habe den Verkehr abgebrochen, ich wollte sogar die Familie auf Ehrenbeleidigung klagen, stand aber davon ab, um den Skandal zu vermeiden. Dann hat Frau Piffl mir die Hand zum Frieden geboten, indem sie mir einmal Konzertkarten brachte. Ich war eben ein guter Tepp (dummer Kerl) . Denn wie könnten Sie sonst meine Handlungsweise deuten?«

Psychiater: »Weil Sie moralisch defekt sind.«

Angeklagte ( gereizt): »Ich bitte das zu begründen. Hat man einen moralischen Defekt, wenn man einem Menschen die Hand zum Frieden reicht?«

Verteidiger: »Und nicht zu vergessen, daß die Frau des Vorgesetzten, des Landesschulinspektors der Lehrerin, das Versöhnungsangebot machte.«

Angeklagte ( zum Gerichtshof): »Ich hätte eine große Bitte. Schon von allem Anfang an empfand ich, daß die Herren Psychiater gegen mich voreingenommen sind. Sie haben mich von allem Anfang an wie eine Schwerverbrecherin behandelt. Könnten nicht andere Psychiater herangezogen werden?«

Vorsitzender: »Es liegt kein Anlaß vor, die Herren für befangen zu halten, sie sind Ihnen doch ganz fremd gewesen. Ihre Fragen stützen sich auf die Untersuchungsergebnisse.«

Später wendet sich die Vukobrancovics gegen die Bemerkung eines Gerichtspsychiaters, daß sie nach dem Vorfall mit der Giftpille nicht besonders aufgeregt gewesen sei.

Angeklagte ( sehr scharf): »Ich war genug aufgeregt, denn es ist keine Kleinigkeit, wenn man gegen jemand eine solche Beschuldigung erhebt.«

Sie schildert nun ausführlich ihre vielfachen Bemühungen, sich vor der Familie Piffl von dem auf sie gefallenen Verdachte zu reinigen. Endlich gelang es ihr, von Herrn Piffl empfangen zu werden. Er begrüßte sie anscheinend sehr verlegen und sagte dann, es sei etwas sehr Peinliches geschehen, der Verdacht, die Giftpille in die Schachtel getan zu haben, richte sich gegen sie. »Als ich«, sagte die Angeklagte, »dies mit Entschiedenheit zurückwies, verschanzte sich Herr Piffl hinter seine Frau. So lassen Sie mich doch mit ihr sprechen, meinte ich, und wirklich erschien dann Frau Piffl. Es kam zu einer Auseinandersetzung, und ich war fest entschlossen, die Sache anzuzeigen, dann überlegte ich es mir, denn Frau Piffl hatte mir am Schlusse der Szene gesagt: ›Sagen Sie aber ja nicht, daß ich Sie beschuldigt habe.‹ Da dachte ich mir, was nützt denn die Anzeige, die Frau wird doch alles in Abrede stellen. Außerdem dachte ich an die Aufregungen, denen meine Mutter neuerlich ausgesetzt sein würde, und ich beschloß, der Sache freien Lauf zu lassen, da sie sich in ein paar Tagen aufklären müsse.«

Vorsitzender: »Sie sollen auch Herrn Piffl gesagt haben, er möge im Kasten nachsehen, vielleicht finde er dort etwas. Sagen Sie nur, was Sie dachten. Sie begehen hier damit keine Verleumdung, denn hier sind Sie, um sich zu rechtfertigen.«

Angeklagte: »Ich dachte mir, man sagt mir so kaltblütig ins Gesicht, daß ich die Giftmischerin bin, und es könnte doch auch der Bub gewesen sein. Ich wollte ihm damit kein Unrecht tun.«

Vorsitzender: »Sie haben schon vorher bei Herrn Piffl auf den Albert als den möglichen Täter hingewiesen.«

Angeklagte: »Ich wollte nur, daß einmal ordentlich nachgesehen wird.«

Vorsitzender: »Wie haben Sie sich das Fläschchen mit der Aufschrift ›Gift‹ verschafft, das Sie dann an Piffl gesandt haben?«

Angeklagte: »Ich war in höchster Aufregung, habe in der Schule die Lehrmittelsammlung aufgesucht und in einem Kasten das Fläschchen gefunden.«

Vorsitzender: »Und Sie haben dann das Schulmädchen mit diesem Fläschchen und mit einem zweiten aus Ihrer Wohnung zu Piffl gesandt.«

Die Angeklagte erzählt nun den Vorfall und sagt, sie habe sich damals in einem Traumzustand befunden (dieser Traumzustand kehrt in stereotyper, erstarrter Form bei der Verantwortung der Vukobrankovics im zweiten Prozeß wieder), so daß sie kaum wußte, was sie getan habe. Am Tage vorher habe sie eine Wahrsagerin getroffen, die ihr prophezeit habe, daß Leute, die sie für Freunde halte, gegen sie falsch sein würden.

Dann sprach die Wahrsagerin von einem Kasten mit einem Dantekopf, und weil in der Wohnung Piffls ein solcher Kasten stand, kam ihr die Idee, daß in dem Kasten etwas sein könne, das Aufklärung bringen würde. Sie habe daraufhin dem Herrn Piffl gesagt, er möge in dem Kasten nachsehen. Nie habe sie daran gedacht, den Verdacht auf Albert zu lenken, sie wollte nur, daß man einmal gründlich in der Wohnung nachschaue, damit die Wahrheit an den Tag komme.

Vorsitzender: »Sie haben einen Blumenstock gekauft und dem Schulkinde eingeschärft, es solle sagen, eine ehemalige Schülerin bringe dem Herrn Landesschulinspektor diesen Stock. Den ersten unbewachten Augenblick soll das Kind dazu benützen, das Giftfläschchen unter dem Diwan zu verstecken. Als das Kind Sie gefragt hat, was es antworten soll, wenn es um seinen Namen gefragt wird, haben Sie gesagt: Sag, was du willst.«

Angeklagte: »Das zeigt doch, wie verwirrt ich war. Da zeigt sich«, fährt die Angeklagte fort, »daß meine Absicht nicht so verwerflich gewesen ist, denn sonst hätte ich dem Kinde aufgetragen, einen falschen Namen zu nennen.« (Gerade das ist falsch. Denn wenn sie dem Kinde aufgetragen hätte, einen falschen Namen zu nennen, hätte sie sich dem Kinde gegenüber bloßgestellt und es hätte bei einer späteren Einvernahme gegen sie zum Beweis werden können.)

Staatsanwalt: »Sie haben sich eben ein Kind ausgesucht, das als diebisch und verdorben bekannt ist und vorausgesetzt, das Kind werde sich nicht beim richtigen Namen nennen. Was haben Sie gemacht, als das Kind bei Piffl war?«

Angeklagte: »Ich habe in einem Kaffeehaus gewartet.«

Staatsanwalt: »Und waren nach Angaben von Zeugen dort sehr heiter, haben dem Kind nach der Rückkehr Schokolade gezahlt.«

Vorsitzender: »Und eine Stunde später haben Sie auf der Rückseite einer Extraausgabe dem Herrn Piffl geschrieben, er solle unter dem Diwan nachsehen, es dürfte sich dort ein Giftdepot des Albert befinden.« (Ein Beweis für das Hineindrängen der Angeklagten in die Folgen ihrer Tat. Hätte sie ruhig gewartet, bis beim Aufräumen das Giftdepot gefunden wurde, dann hätte sich der Verdacht vielleicht doch auf Albert gelegt, jedenfalls auf eine dritte Hand, da doch die Vukobrankovics damals nicht mehr im Haus verkehrte. Aber sie konnte es nicht erwarten. Zeichen einer besonderen Schlauheit gab sie damit nicht. Schlauheit ist aber auch für die Giftmörderinnen gar nicht charakteristisch, viel eher ihr auffallendes »Glück«.)

Die Angeklagte verantwortet sich wieder in ihrer Weise, sie habe das in ihrer grenzenlosen Verzweiflung getan, um den ungerechten Verdacht von sich abzuwälzen. Der Präsident stellt fest, daß die Angeklagte in einem Turnsaal, wo Gift in versperrtem Kasten untergebracht war, einen Monat hindurch Unterricht erteilt hat.

Angeklagte: »Da müßte festgestellt werden, daß in dieser Zeit der Kasten erbrochen worden ist.« (Die Gegenfrage des Vorsitzenden: Woher sonst haben Sie sich das Fläschchen mit Opium und den Tiegel mit Phosphor verschafft, unterblieb; denn einfach »finden«, wie sie vorhin aussagte, konnte sie so gefährliche Stoffe nicht.) Dr. Swoboda, der Hausarzt der Familie, konstatiert, daß infolge schlechtschmeckender Speisen Erkrankungen in der Familie Piffl vorgekommen sind. Er habe der Frau Pillen verschrieben, die in seiner Gegenwart in der Apotheke in das Schächtelchen gefüllt wurden. Er halte es für ausgeschlossen, daß etwa aus Fahrlässigkeit die Phosphorpille in die Schachtel gelangt sein könne. Früher schon habe er Herrn und Frau Piffl Arsenikpillen verschrieben, die kleiner waren als die zuletzt verordneten, fabrikmäßig erzeugten Pillen.

Die Angeklagte versucht sofort, diese Verschiedenheit für sich auszunützen: diese zweiten Pillen hätte sie gar nicht zu Gesicht bekommen. »Die angeblich von mir erzeugte Giftpille hätte daher nach dem Muster der mir bekannten Pillen kleiner ausfallen müssen.« (Daß sie aber die anderen wirklich nicht gekannt hat, kann sie nicht beweisen, und so scheinen ihre Argumente immer schlagkräftig, sind aber durchaus nicht beweisend.) Im Laufe des zweiten Verhandlungstages konstatiert der Präsident, daß die Leihbibliothek Last das Buch »Die Psychologie des Giftmordes« nie geführt hat. Und aus der Leihbibliothek Last hat die Vukobrankovics ihre Bücher bezogen. Milica Vukobrankovics hätte nur Bücher ernsten Inhalts gelesen: »Also sprach Zarathustra« von Nietzsche, »Rom« von Zola. Nun wird ausdrücklich von einer Broschüre gesprochen, die in dem Täschchen der Vukobrankovics gefunden wird. Die Leihbibliothek Last führt aber nur gebundene Bücher. Es ist also auch dieser Umstand keineswegs entlastend für die Vukobrankovics.

Die Schulbehörde bezeichnet die Vukobrankovics als sehr intelligent, sehr wissensdurstig. Die Berufskolleginnen seien ihr niemals so nahegekommen, um ein klares Bild von ihrem Innenleben gewinnen zu können. Auch sonst wird keine Freundin oder sonst ein Mensch namhaft gemacht, der der Vukobrankovics menschlich wirklich nahe gestanden sei, ihre Mutter vielleicht ausgenommen.

Sie hat kaum mit anderen Menschen als den Piffl verkehrt. Diese wurden das Objekt ihrer Giftpläne; das Zentrum ihres Giftkomplexes, obgleich, darin kann man ihr glauben, der Hausherr als Mann sie nicht sehr gereizt hat. Ähnlich wie hier ist es dann auch mit dem Tatbestand des zweiten Prozesses. Sie hat nicht etwa einen weiten Freundeskreis, aus dem sie die Menschen auswählt, die sich für ihre Pläne aus irgendeinem Grunde geeignet zeigen oder ihr Vorteile versprechen, sondern sie zieht eben die Menschen zur Vergiftung heran, die sie gerade neben sich hat.

Nun wird Marie Pichlmayer vernommen, die Köchin bei Piffls war. Sie berichtete über die Erkrankungen, die sich bei der Familie Piffl nach dem Genusse von Powideltascherln und der Maisspeise eingestellt haben. Die Vukobrankovics habe die Küche nur passiert, sich in derselben aber während der Zeit, in der die Zeugin im Hause Piffl diente, niemals längere Zeit aufgehalten. Sie entlastet also, soweit es auf sie ankommt, die Angeklagte, jedenfalls ein Zeichen einer guten Gesinnung, und dies um so mehr, als aus der Verhandlung hervorgeht, daß man die Köchin stark im Verdacht hatte, die Vergiftungen verschuldet zu haben. Nach einer umfangreichen Untersuchung hatte man den Verdacht aufgegeben, da er ein völlig negatives Resultat ergeben hatte.

Nun schildert Frau Antonie Piffl, wie der Verkehr mit der Vukobrankovics entstand, wie die Beziehungen der Familie zu ihr immer freundschaftlicher wurden, und sagt: »Wir haben sie immer sehr liebgehabt, sie war wie das Kind im Hause.«

Vorsitzender: »Hat die Angeklagte ein besonderes Interesse an Ihrem Mann gezeigt?«

Zeugin: »Anfangs nicht .«

Den ersten Verdacht gegen die Vukobrankovics hätte sie gefaßt, als ihr in Erinnerung kam, daß sie bei ihr das Buch »Psychologie des Giftmordes« gesehen habe. Sie dachte nun daran, wie sich die Vukobrankovics in die Familie eingedrängt habe, teilte nun eines Morgens ihrem Manne ihre Bedenken mit.

Man beschloß, die Vukobrankovics auf die Probe zu stellen. Nachdem sich die Frau Piffl überzeugt hatte, daß sich das Buch noch in der Tasche der Angeklagten befand, fragte man sie plötzlich in Gegenwart des Herrn Piffl: »Kennen Sie das Buch ›Psychologie des Giftmordes‹?« Sie erwiderte ganz unschuldig: »Nein. Was ist denn das?« Ich und mein Mann wechselten einen Blick und waren ganz entsetzt.

Der Präsident fragte nun die Zeugin, ob sie glaube, daß die Vukobrankovics Gelegenheit hatte, sich in der Speisekammer der Familie Piffl zu beschäftigen. Die Zeugin erwidert, Milica Vukobrankovics habe offenbar den Speisekammerschlüssel, der eines Tages spurlos verschwunden sei, heimlich an sich genommen.

Die Angeklagte springt erregt auf und ruft, zum Staatsanwalt gewendet: »Bitte, Herr Staatsanwalt, mich auch wegen Diebstahls und Einbruchs anzuklagen!« Die Angeklagte weiß natürlich genau, daß der Staatsanwalt dies nicht tun kann. Selbst wenn man ihr beweisen könnte, was an sich sehr plausibel ist und durch die Ergebnisse des zweiten Prozesses fast zur apodiktischen Sicherheit wird, daß sie den Eingang in die Speisekammer auf irgendeine Weise »gefunden« hat, so wäre das doch nie als Einbruch und ebensowenig als Diebstahl anzusehen, als man einen Raskolnikoff, der mit einem Beil, das ihm nicht gehört, gemordet hat, des Diebstahls wegen belangen wird. Der Präsident geht darauf gar nicht ein, bittet sie bloß, sich zu beruhigen. Sie versucht eine zweite Attacke: »Es ist mir zu Ohren gekommen, daß man mich für eine Serbin hält. Ich fühlte mich stets als Wienerin. Mein Großvater war Hauptmann bei der Wiener Bürgergarde, und die Wiener von damals würden sich keinen Serben als Hauptmann genommen haben.«

Der erste Prozeß spielte sich noch unter der Regierung Habsburg ab, wenn auch schon in den letzten Tagen des Kaiserreichs. In dem zweiten Prozeß, der in der Republik Deutschösterreich stattfand, rechnete die Vukobrankovics nicht mehr mit der Abneigung der Altösterreicher gegen die Serben. Sie rühmt sich dann die Erbin eines serbischen Woiwodengeschlechtes, dem einmal halb Serbien gehört habe und dessen tragisches Schicksal in einem serbischen Heldenepos verherrlicht sei. Sie wendet sich also nach der Seite, die ihr vorteilhafter erscheint.

Im weiteren Verlaufe des Verhörs mit Frau Piffl stellt diese fest, daß nur ein Glas Limonade, und nicht deren drei auf dem Tische standen. Früher hat die Frau Piffl, für deren außerordentlich humane Gesinnung auch die Adoption des Albert spricht, günstiger für die Vukobrankovics in diesem Punkte ausgesagt.

Staatsanwalt : »Die Frau Zeugin hat damals ja dann selbst angegeben, sie habe damals bei einem früheren Verhör alles vorgebracht, was der Angeklagten günstig sein könnte. Nachher hat sie an den Untersuchungsrichter eine Zuschrift gerichtet, sie fühle sich verpflichtet, ihren früheren Aussagen etwas hinzuzufügen. ›Ich war auch damals von der Schuld der Vukobrankovics vollständig überzeugt, doch als Fräulein Vukobrankovics und ihre Mutter bei mir erschienen und sagten, sie müßten sich das Leben nehmen, dachte ich, christlich zu handeln, wenn ich meine Absicht über den Fall abschwäche. Jetzt bin ich aber von ihrer Schuld vollkommen wieder überzeugt.‹« (Eine ganz ähnliche Szene hat sich ein paar Jahre später zwischen der Vukobrankovics und dem Verlagsbuchhändler Stülpnagel abgespielt. Auch hier hat sie um Mitleid angefleht und gesagt, er müsse sie retten, denn sie wisse, auf ihrer Tat, der Vergiftung der Familie Stülpnagel, stünde lebenslänglicher Kerker. Freilich hat sie versucht, bei der Verhandlung auch dies abzuleugnen, doch trotz ihres herausfordernden Benehmens blieb Stülpnagel bei seiner Aussage.) Diesmal, im ersten Prozeß, gelingt der Vukobrankovics der Bluff: Ohne mit einer Wimper zu zucken, so erzählt der Berichterstatter, blickte sie der Frau Piffl ins Gesicht und rief aus: »Schauen Sie mir in das Auge, wie ich Ihnen ins Auge sehen kann, denn mein Gewissen ist rein.« Kein Wunder, wenn sich die herzkranke alte Dame einschüchtern ließ.