Der falsche Dampfer - Leo Walde - E-Book

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Leo Walde

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Beschreibung

Wir waren allesamt schon mal drauf – unterschiedlich oft und mit mehr oder weniger gravierenden Folgen. Die Frankfurter Detektive der ›Tooth Stone Investigations‹ bilden da keine Ausnahme, erlauben sich jedoch mit dem qualmenden Wassergefährt recht ausgedehnte Vergnügungstouren, die bisweilen weit weg vom Pfad der Erkenntnis führen. Aber bei drei absichtlichen und zwei versehentlichen Morden hört irgendwo der Spaß auf, oder? Dass es bei Revierbereinigungen großer Verbrechersyndikate durchaus zu dem einen oder anderen Übertritt in die ewigen Jagdgründe kommen kann – nicht sonderlich überraschend. Dennoch stellt sich die Frage: Was steckt dahinter! Zumal, wenn die Nachfolger ebenfalls das Gemetzel nicht unbe-schadet überstehen. Gefühle spielen bekanntlich immer eine große Rolle – auch wenn sie nicht unbedingt von romantischer Natur sein müssen –, aber sind sie tatsächlich die einzige Triebfeder? Was kommt noch in Frage? Geld, Macht, Neid, Rache - Wer die Wahl hat... usw. Folglich scheuen unsere Detektive weder Mühe noch Kosten, stöbern potentiell Verdächtige in zwielichtigen Clubs auf, reisen in den hohen Norden... Deutschlands..., bedienen sich der Dienste professioneller Okkultisten und schrecken sogar vor eigenen Erpressungsversuchen nicht zurück. Den vier Mitarbeitern der Frankfurter Detektei, allen voran Ritchie Zahnstein, der pensionierte Schönheitschirurg, und Laya, die schöne Inderin und besonders durchtriebene Fast-Ex-Prostituierte im Team, gibt dieses Verwirrspiel um Rachsucht, Gewinnstreben, Führungsansprüche, Spiritualismus und Seitensprünge schier unlösbare Rätsel auf. Doch am Schluss finden sie ihn doch noch – den richtigen Dampfer!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Leo Walde

DER FALSCHE

DAMPFER

Kriminalroman

Impressum:

Leo Walde, c/o Hans-Jürgen Waldmann, Comeniusstr. 38, 60389 Frankfurt am Main.

[email protected]

Copyright © 2025 ISBN: 978-3-819428-90-6 Umschlaggestaltung: Leo Walde

Druck und Vertrieb: via tolino media

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

* * *

Lieber Gott, du bist der Boss!

Amen, dein Rhinozeros

Joachim Ringelnatz, Gebet eines Nilpferds

EINS

Obwohl sie auf gutgebaute Frauen mit großen Brüsten und Schlafzimmerblick stand, war Laya das Exemplar auf der anderen Seite des Tisches suspekt. Irgendetwas stimmte nicht. Vielleicht war es ihr Dauerlächeln, wodurch sie zwar einigermaßen verpeilt rüberkam, sie andererseits jedoch keineswegs so unbedarft erscheinen ließ, wie es beabsichtigt war. Es wirkte angestrengt und einstudiert, so wie jede so bodenlos unschuldig wirkende Eigenschaft augenblicklich ihren Liebreiz verliert, wenn sie dem Repertoire einer mittelmäßigen Schauspielerin entsprungen scheint – ob zu Recht oder nicht, das spielt dabei keine Rolle.

Nicht, dass die Frau sie abstieß. Nein, es verhielt sich eher so, dass sie sie, um im Bild zu bleiben, keineswegs von der Bettkante gestoßen hätte. Denn was sie von sich preisgab, war wie eine offene Schachtel Pralinen, und weckte dieselben Instinkte, die Naschwerk gemeinhin auslöste. Aber andererseits würde sie niemals dort hingelangen, auf Layas Bettkante, dessen war sie sich sicher, denn jegliche Anstrengung, sie dort hinzulocken, würde sie keinesfalls auf sich nehmen. Ach ja, auf aufgespritzte Lippen stand sie auch – und davon verfügte die Dame über zwei besonders prächtige Exemplare.

Es war eine Barbie, so wie sie auf der anderen Tischseite mit ihrem rotbemalten Mund und blond gefärbten Haaren hinter dem hellblauen Lidschatten hervorlugte. Eine grinsende Barbie-Puppe, was dem Klischee schon fast etwas Unglaubwürdiges, zu sehr gekünsteltes, ja, unanständig Perfektes verlieh, auch wenn Barbie ohne ihr Lächeln doch überhaupt nicht vorstellbar war. Laya musste an Ritchies Witz von dem Chinesen in der Bäckerei denken, der mit zwei Blondinen wieder herauskam, unter jedem Arm eine. Was war geschehen? Verdammt, was war das nur? Es wollte ihr partout nicht einfallen - was bei Ritchies Witzen eigentlich immer der Fall war. Man hatte die Pointe schon wieder vergessen, kurz nachdem man noch herzhaft darüber gelacht hatte.

Vielleicht hätte sie ihn einfach fragen sollen, aber das war momentan völlig unmöglich. Obwohl sie nur hätte aufstehen müssen, sich am Nachbartisch vorbeizwängen und mit strengem Blick ihm zuraunen: ›Sag mal, wie war das noch gleich mit dem Chinesen in der Bäckerei, du weißt schon?‹ Sich neben den Tisch stellen, an dem er sich mit Andrea scheinbar so angeregt unterhielt, sich zu ihm hinunterbeugen, um ihn in dem aufgekratzten Stimmengewirr trotzdem zu verstehen, und dabei ihr schönstes Barbie-Lächeln aufsetzen, oder das alles vielleicht auch ohne zu lächeln, also mit völlig ernsthaftem Gesichtsausdruck, egal, nur das hätte sie tun müssen – und es wäre so einfach gewesen! Sie hätte sofort gewusst, warum der Chinese… die Blondinen… vor dem Bäckerladen… Aber heute, heute ging es nun mal nicht!

Denn heute durfte sie ihn nicht kennen! Ihn nicht, und Andrea auch nicht. Es war schichtweg verboten! Nicht gesetzlich verboten natürlich, aber es verbat sich wegen des Berufsethos. Es wäre nicht, nun, professionell. Da musste man sich schon mal zusammenreißen, ja, das musste man, Chinese hin oder her.

Den rund fünfzig Leuten, die sich im Speisesaal aufhielten und für eine gedämpfte Geräuschkulisse sorgten, wäre es ja egal gewesen. Nur Barbie und ihr Begleiter hätten es nicht so prickelnd gefunden. Denn auf diesem Dampfer, mit dem sie so vornehm dinierend den Rhein hinunterschipperten, wollte man ja gerade unter sich sein, entre nous, wie Hans es gerade noch bezeichnet hatte.

»Mir sin doch entre nous, Enver, oder?«, hatte er breit grinsend gefragt. Und Enver hatte ihm beruhigend versichert: »Wenn man von den vielen wildfremden Menschen mal absieht, ganz bestimmt!«

Laya nahm ihr halbvolles Weinglas in die Hand, schaute es begutachtend an und sagte in die Runde:

»Am Wein liegt´s jedenfalls nicht, wenn das heute schiefgeht.«

›Die Runde‹ starrte sie verkniffen an, auch Barbies Lächeln war plötzlich erloschen.

»Ich meine«, sagte Laya, indem sie ihren Kopf kokett zur Seite neigte, »man weiß nie, was noch alles passiert, oder? Aber dass wir uns wegen diesem Spitzengesöff in die Haare kriegen, ist ja wohl ausgeschlossen!«

Die Runde schwieg noch ein paar Sekunden konsterniert weiter, bis endlich Enver die Anspannung durchbrach. Er lachte leise auf, mit zusammengezogenen Augenbrauen die anderen forschend anschauend, woraufhin Hans es ihm gleichtat, schon ein wenig ausgiebiger schmunzelnd, bis endlich Barbie ein Giggeln herausbrachte, das wie der Startschuss zu einer gemeinsamen Lachsalve wirkte, zu welcher sich die Entladung der Drei entwickelte. Auch Enver und Hans erhoben nun ihre Weingläser und hielten sie ausgelassen in die Mitte des Tischs, in der Erwartung, dass einer der anderen mit seinem Glas dagegen stieß. Dies taten dann Laya und Barbie, und die Männer stießen auf dieses Signal hin nun auch zusammen an, hoben nochmals ihr Rotweinglas in die Höhe und nahmen einen langen Schluck.

Auch Laya ließ den Rotwein genüsslich durch ihre Kehle rinnen. Dass sie das Getränk so überschwänglich gelobt hatte, meinte sie durchaus ernst. Sie hatte von Rotwein zwar nicht die geringste Ahnung, wusste nicht einmal, dass man die wirklich guten Vertreter dieser Gattung keinesfalls als ›lecker‹ bezeichnen durfte, aber… so what! Das Zeugs war wirklich lecker! Garantiert jeden einzelnen beschissenen Euro wert, den Hans für die ihm vom Kellner empfohlene Flasche würde bezahlen müssen. Und dem Namen nach zu urteilen – irgendwas Französisches, mit grande, Reserve und Chateau drin – würden das sicherlich nicht wenige Euros sein.

Denn die Rechnung würde Hans übernehmen, das wusste Laya. Enver hatte ihr das gesagt. Ob Enver andernfalls dem Treffen überhaupt zugestimmt hätte, wusste sie allerdings nicht, nahm es aber stark an. Er war schließlich kein Sparbrötchen, das bei wichtigen Ereignissen kleinlich wurde. Er war vielleicht nachtragend, aber keinesfalls kleinlich. Und nachtragend auch nur dann, wenn es wirklich etwas nachzutragen gab. Wenn zum Beispiel jemand den Bruder ermordet hatte.

Laya hatte Enver Shkodra anlässlich des Mordes an seinem Bruder Artan kennengelernt. Später war dann noch ein zweiter Bruder hinzugekommen, in die Galerie ermordeter Brüder sozusagen, weshalb Enver also allen Grund hatte, nachtragend zu sein. Als dann der Mann, der für beide Morde verantwortlich zeichnete, im Gefängnis plötzlich zu Tode kam, wunderte sich Laya kein bisschen. Sie war an dessen Gang in den Knast zwar ein wenig beteiligt gewesen, hatte ihn sozusagen auf den Präsentierteller platziert, war aber an seinem Ableben gänzlich unbeteiligt. Nicht, dass es sie sonderlich grämte, nicht mal ein schlechtes Gewissen belastete sie. Man darf sich doch wohl noch über Dinge freuen, auch wenn man gar nichts dafür konnte!

Als Enver sich kurz darauf bei ihr meldete und sie zu dieser Flusskreuzfahrt, auf der sie sich jetzt befanden, einladen wollte, löste das immerhin grundsätzlich positive Gefühle bei ihr aus. Gut, Enver Shkodra war irgendein hohes Tier innerhalb der albanischen Mafia in Frankfurt, wenn nicht der Obermotz dieses Vereins, aber was sollte sie machen? Der Mann war ihr nun mal sympathisch.

Sie hatte nichts mit ihm gehabt, weder privat noch geschäftlich. Wobei… Geschäftlich ließ sich das nicht so genau sagen. Unter den Kohorten von verzweifelten und trotzdem überheblichen, nicht selten unangenehmen Männern, die während ihrer aktiven Zeit im Rotlichtbezirk von ihr bedient worden waren, konnte sich leicht auch ein Nachwuchsmafioso befunden haben, an den sie sich heute nicht mehr erinnerte, genauso wenig, wie er sich an sie. Aber das war doch sehr unwahrscheinlich. Wie auch immer, ihre Sympathie für diesen mindestens fünfundzwanzig Jahre älteren Mann rührte ausschließlich aus einem kurzen Treffen in den Geschäftsräumen der Tooth Stone Investigations, jener Detektei, als deren Mitinhaberin sie nach ihrem Abschied aus dem horizontalen Gewerbe inzwischen fungierte.

Enver Shkodra hatte dort den seriösen Geschäftsmann gegeben, der er nach außen hin für die Öffentlichkeit war. Dreiteiliger Anzug, gestreifte Krawatte, erfolgreicher Manager aus dem Gastronomiegewerbe – da gab es keine Revolver, Totschläger oder Zement an den Füßen der Gegner. Aber Laya hatte sich schon damals ihren Teil gedacht, erst recht, nachdem er seinen langen Arm unter Beweis gestellt hatte, der bis ins Gefängnis reichte. Und jetzt, als sich Enver wieder bei ihr meldete, wurden noch die letzten flüchtigen Zweifel beseitigt, denn jetzt sprach er wesentlich offener mit ihr. Schließlich erforderte der neue Auftrag nach Envers Meinung auch mehr Offenheit. Aber egal, Laya hätte es auch so verstanden.

Sie hätte vielleicht sogar ohne Envers Erläuterungen herausgefunden, wer dieser Hans eigentlich war, der jetzt in Begleitung einer Barbie-Puppe gemeinsam mit ihnen mitten auf dem Rhein dinierte. Hans Van der Molen, ein Mann holländischer Provenienz, klar, bei diesem Namen! Aber auch sein Aussehen ließ seine Nähe zu diesem Volksstamm erkennen; die schlanke, hochgewachsene Statur und das hagere, stets leicht gerötete Gesicht mit den spärlichen blonden Haaren, alles beste Voraussetzungen, um im nächsten Rudi-Carell-Lookalike-Wettbewerb einen der vorderen Plätze zu belegen.

Er war etwa zehn Jahre älter als Enver. Plus, minus. Also um die Sechzig – und er sah auch genau so aus. So wie Enver genau nach Fünfzig aussah. Aber nicht nur in ihrem altersadäquaten Aussehen waren sie sich ähnlich. Sie hatten zum Beispiel beide dieselben wachsamen Augen; sie betrachteten ihr Umwelt genau, auf dass ihnen bloß nichts entging. Deshalb hatten sie auf Layas Bemerkung mit dem Wein auch so misstrauisch reagiert. Steckte vielleicht irgendeine verklausulierte Botschaft dahinter?

Klar, Berufskrankheit! Hans hatte nämlich den gleichen Beruf wie Enver. Wenn man das als Beruf bezeichnen konnte. Einen Studiengang zum ›Mafiaboss‹, womöglich mit Master-Abschluss, der dem Absolventen einer einschlägigen Elite-Uni günstigere Aufstiegschancen ermöglichte, gab es nach Layas Wissen jedenfalls nicht.

Hans Van der Molen war der Chef der anderen großen Organisation des sogenannten organisierten Verbrechens in Frankfurt, die den Unterhalt ihrer Mitglieder mit Rauschgifthandel, Prostitution, Geldeintreibung und Auftragsmorden bestritt. Ein hartes Brot, fürwahr, aber auch recht einträglich. Nicht ganz ungefährlich, aber vergolten mit einer enormen Risikoprämie. Nicht nur die Polizei machte ihnen das Leben schwer, sondern auch die anderen Vereine auf dem Spielfeld. Jeder versuchte, dem anderen das Wasser abzugraben, wollte seinen Marktanteil wo es nur ging vergrößern und schreckte vor keinem unfairen Mittel zurück.

»So ist das nun mal im Kapitalismus!«, hätte jetzt eine vorwitzige linke Bazille den beiden fröhlich zugerufen, aber erstens handelte es sich hier um etwas anderes als um Freie Marktwirtschaft, und andererseits gab es dort durchaus Maßnahmen, die das gegenseitige Sich-auf-die-Füße-treten ein wenig eindämmen sollten und konnten. Mit Preisabsprachen fing es an, mit Marktaufteilung hörte es nicht auf.

Aber wenn in der ›echten‹ Wirtschaft derartige Regelungen einen so durchschlagenden Erfolg brachten, warum sollte man solche in der Variante, die so gerne mit dem vorangestellten Begriff Schatten bezeichnet wurde, nicht ebenfalls anwenden? Warum nicht auch im Milieu das praktizieren, was in der allseits anerkannten Unternehmerwelt an der Tagesordnung war?

Die Initiative war von Van der Molen ausgegangen und Enver hatte an der Idee Gefallen gefunden. Sie wären nicht die Ersten, die den Kuchen in Teile schneiden würden, und den anderen beim Verspachteln seiner Stücke in Ruhe ließen. Man musste sich nur darüber einig werden, wer von welcher Torte was und wieviel bekommt. Einziges Problem: Für so ein Vorhaben brauchte es so etwas wie gegenseitiges Vertrauen, also eine Sache, wovon leider rein gar nichts vorhanden war. Man konnte jedoch Vorsichtsmaßnahmen treffen, zumindest, was den Verhandlungsort anging.

Und so war man auf das Restaurantschiff gekommen, das regelmäßig über den Rhein schipperte, ein von ungebetenen Überraschungsgästen gut abgeschirmter Ort, einer, den die Polizei nie vermutet und abgehört hätte, und auch einer, den die Truppen der gegnerischen Partei nicht so leicht einnehmen konnten. Die Zeiten der Piraterie waren schließlich vorbei; heutzutage überfiel man zivilisiert.

Jegliche Hilfskräfte der beiden Bosse sollten also dem Schiff fernbleiben, zumindest während sie bei einem Fünf-Gänge-Menü die geschäftlichen Dinge besprachen. Oder vielleicht auch erst danach, im Rauchsalon, wo die Damen keinen Zutritt hatten. Denn solche Wesen mussten zwar einfach da sein - wenngleich sie sich natürlich aus geschäftlichen Dingen herauszuhalten hatten. Jeder durfte und sollte etwas Weibliches mitbringen, denn – wie hätte das denn sonst ausgesehen? Man wollte schließlich nicht als verschroben rüberkommen, so ganz ohne Frauen, nur zwei Männer im Abendanzug.

Und schließlich sollte die Sause ja auch ein bisschen Spaß machen – was einem Gangsterboss für gewöhnlich nur dadurch möglich schien, wenn er mindestens eine Frau im Schlepptau hatte. Als eine Art Mindestvoraussetzung - neben dem Essen, neben dem Wein und neben der Zigarre. Jedem wurde also eine weibliche Begleitung zugestanden, einen Anhang, dem man offenbar keinerlei destruktive oder sonst irgendwie störende Eigenschaften zubilligte, sondern von ihm ganz im Gegenteil erwartete, das soziale Miteinander auf effiziente Weise zu befördern. Und der sicherlich auch später in der Luxuskabine, die man am Ende des Tages schließlich aufsuchen würde, das Seine dazu beitrug, etwaige im Männergespräch entstandene Wogen ein wenig zu glätten.

Man sieht, dass auch in Gangsterkreisen die Grundlagen der modernen Psychologie inzwischen Einzug gehalten haben – und wenn man sich vielleicht nicht immer an ihre Erkenntnisse hält, so kennt man sich zumindest damit aus und nutzt sie regelmäßig – wann immer sie einem halt in den Kram passten. Womit ein weiteres Mal bewiesen wäre, dass Gangster ›auch nur Menschen‹ sind.

Welche tiefenpsychologischen Beweggründe genau Hans Van der Molen zur Auswahl seiner Tischdame bewogen hatte, wusste man allerdings nicht. Laya vermutete Triebbefriedigung, denn dass Barbie zumindest in früheren Zeiten genauso wie sie selbst als Nutte ihr Geld verdient hatte, schien ihr keine Frage zu sein. Sowas erkennt man.

Bei Enver lag die Sache allerdings ein wenig anders. Er war nicht zu Laya gekommen, um eine hochklassige Vögelpartnerin dabei zu haben, sondern hatte mehr ihren Geist und Verstand im Blick. Sie durfte zwar nicht die geschäftlichen Dinge mitbesprechen, oder auch nur bei diesem Teil des Abends anwesend sein, doch sie sollte beim Dinner ein wachsames Auge auf Van der Molen haben, und ihm, Enver, dabei helfen, diesen Menschen besser einzuschätzen. Denn, wie gesagt, von Psychologie hielt auch der Albaner sehr viel, und er war überzeugt, dass ein vernünftiges Urteil jener Frau, die sich um die Entlarvung des Mörders seiner Brüder so verdient gemacht hatte, ihm beim richtigen Umgang mit seinem Konkurrenten wertvolle Dienste leisten konnte. Jedenfalls war ihm niemand Geeigneteres eingefallen.

Laya war anfangs von seinem Ansinnen ein wenig überrascht gewesen, hatte jedoch äußerst cool reagiert und das Angebot so professionell angenommen, als ob Derartiges ihr mindestens zweimal im Monat abverlangt werden würde. Ihr schien allein das versprochene Honorar etwas übertrieben, aber natürlich sagte sie nichts. Sie nahm sich allerdings vor, später in der Kabine ihre Dienstleistung ein wenig auszuweiten. Damit der arme Enver seine Ausgaben am Ende nicht noch bereuen würde.

»Haben die Menschen in Indien eigentlich auch Wein?« Barbie lächelte erwartungsvoll.

Laya sah sie an. »Klar. Wein gibt´s überall.«

»Ja… Schon… Ich dachte nur…«

Ach was! Sie denkt! Jetzt bin ich aber mal gespannt…, dachte Laya. Dann sagte sie laut: »Was?«

»Na ja, hihihi…« Sie legte den Kopf schief und sah Van der Molen dabei an. »Inder haben doch so ein Gen… hihihi…«

»Du meinst wahrscheinlich, ihnen fehlt das Enzym für den Alk-Abbau, oder?« Laya sah sie streng an.

»Genau!«, kicherte Barbie.

»Und was mache ich hier gerade?« Laya hob ihr Weinglas in die Höhe.

»Hihihi«, sagte Barbie. »Ich… weiß nicht?«

»Man nennt es Wein trinken.« Laya sagte das nicht zu Barbie, sondern sah Van der Molen dabei an. Gleichzeitig zwinkerte sie.

»Ihne fehlt des Enzym wohl ned, oder?«, sagte Van der Molen.

»Nee«, meinte Laya. »Es gibt nur ein paar, denen es fehlt. Die meisten haben genug davon. Sie saufen wie die Löcher! Und hängen danach nicht mal stundenlang über der Kloschüssel.«

Alle lachten. Die Männer so dröhnend, wie Männer nun mal lachten, und Barbie sorgte für die höheren Töne.

Sie hieß natürlich nicht Barbie, sondern Karina. Jedenfalls hatte sie sich mit diesem Namen vorgestellt, als sie Enver und Laya die Hand an ihrem ausgestreckten Arm zur Begrüßung angeboten hatte. ›Entweder erfunden oder eine Russin‹, hatte Laya noch gedacht, aber weder ein russischer noch irgendein anderer Akzent war bei der Frau festzustellen. ›Also erfunden‹, folgerte Laya messerscharf.

Aber ob sie damit recht hatte, war fraglich. Denn auch Van der Molen sprach schließlich keinen holländischen Akzent. Stattdessen sprach er hessisch, und das hörte sich schon ein bisschen merkwürdig an, wenn man ihm dabei zusah. Er war halt auch schon verdammt lange in Frankfurt, Holland hatte er nur als Kleinkind gesehen. Seiner Karriere schien sein fremdländischer Name allerdings keineswegs abträglich zu sein, im Gegenteil - die bei einer holländischen Gangstertruppe vermutete Brutalität hatte ihm stets zum Vorteil gereicht.

Von dem Namen mal abgesehen war er jedenfalls Frankfurter durch und durch. Und wahrscheinlich galt das Gleiche für Karina. Wenn man jetzt noch annahm, dass weder Enver noch Laya großartig an ihren kulturellen Wurzeln hingen, konnte man von einer zutiefst hessischen Gesellschaft an diesem Tisch der MS Rheingau ausgehen. Sie redeten belangloses Zeug, lachten viel, und lernten sich langsam kennen.

Als Laya das seichte Gelaber irgendwann nicht mehr mit anhören konnte und einen Moment ihren Gedanken nachhing, traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag mit dem Hammer. Man konnte ihr das offenbar sogar ansehen, denn in Karinas dauergrinsendes Gesicht mischte sich eine fragende Note, indem sie die Stirn in Falten und den Kopf schief legte.

Laya schien das jedoch nicht zu bemerken, und auch sonst nicht mitzubekommen, wie die vermeintliche Russin sie taxierte. Stattdessen dachte sie: ›Natürlich! Zwei Blödchen, bitte!‹

ZWEI

An einem der anderen Tische beglückte Richard Zahnstein mit dieser Pointe gerade seiner Schwester Andrea. Sie lachte, mehr aus Höflichkeit als aus Überzeugung, und sagte dann: »Darf man heutzutage eigentlich noch Blondinenwitze machen?«

»Wahrscheinlich nicht«, meinte Zahnstein mit hochgezogenen Augenbrauen. »Aber solange die Leute drüber lachen, mache ich meine Witze, wie ich will!«

»Das kommt noch dazu…«

»Was meinst du?«, fragte Zahnstein sie, etwas verunsichert.

»Solange die Leute lachen…«, wiederholte Andrea seinen Satz. Dabei drehte sie verlegen ihre Dessertgabel zwischen ihren Fingern. Scheinbar verlegen. »Ich meine…«

»Du meinst, die lachen gar nicht mehr?« Er sah sie durchdringend an. Er dachte nach. »Wahrscheinlich trauen sie sich nicht.«

Andrea zuckte mit den Schultern. »Möglich. Oder sie finden diese Art von Humor nicht mehr komisch.«

»Das wird’s sein!« rief Zahnstein aus. Und schob ernst hinterher: »Es wäre nicht das erste ›Nicht-Mehr‹, was mir in letzter Zeit über den Weg läuft.«

Andrea nahm die Hand von ihrer Kuchengabel und legte sie auf die von Zahnstein. »Mach dir nichts draus, mein Lieber. Vielleicht kommt es ja wieder. Qualität ist zeitlos.«

»Ha. Ha«, machte Zahnstein und legte seine andere Hand auf die beiden anderen, die bereits vor ihm lagen.

Nun mag es ebenfalls nicht mehr zeitgemäß sein, dass Geschwister sich mit einer gewissen Distanz begegnen, und in der Öffentlichkeit darauf verzichten, Händchen zu halten. Wenn man bedenkt, wie inflationär inzwischen Umarmungen zur Begrüßung selbst von wildfremden Menschen in Mode gekommen sind, und Küsschen links und rechts fast schon mit Zunge verabreicht werden, dann könnte auch Zahnsteins und Andreas gegenseitiges Betatschen als eine nur freundschaftliche Geste durchgehen.

Doch bei den beiden steckte mehr dahinter. Sie berührten sich nicht nur, mehr oder weniger, zufällig, sondern gingen bisweilen sogar mit voller Absicht ordentlich in den Nahkampf – um einmal einen Begriff zu gebrauchen, der heute ebenfalls ›nicht mehr‹ verwendet wird (und wenn doch, dann ausschließlich in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes – von Heerscharen moderner Militärexperten fachmännisch beurteilt). Jedenfalls, um es kurz zu machen, sie waren ein Paar, nicht nur ein Geschwister-, sondern auch ein Liebespaar. Zwar noch nicht so lange, schlappe zwei Jahre erst, aber doch lange genug, um dieses Verhältnis vor missgünstigen Mitmenschen nicht unbedingt verbergen zu wollen. Sollte ruhig jeder wissen, was Sache war, und wer trotzdem blöd guckte, dem rief man fröhlich zu: »Wie sind adopti-hiert!«

Man könnte vielleicht noch fragen, warum die Dämme erst so spät brachen, der eine schon in Rente und die andere kurz davor, denn ihre Adoption war ihnen doch bestimmt schon länger bekannt. Aber offenbar war den beiden immer irgendwas dazwischengekommen – entweder eine neue Liebschaft, oder die Gewohnheiten einer alten Ehe -, so dass der gegenseitigen Begierde nur wenig Raum zur Entfaltung geboten wurde. Doch irgendwann standen die Sterne günstig.

»Eine der beiden Blödchen scheint ja da hinten an Layas Tisch zu sitzen.« Zahnstein machte mit dem Kopf eine unauffällige Bewegung in Richtung des Vierertisches mit den Mafiosi und ihren Begleitungen.

»Hab schon gesehen«, meinte Andrea. »Aber ob die wirklich so blöd ist… Keine Ahnung…«

»Zumindest scheint sie es drauf anzulegen, dass man es ihr abnimmt«, sagte Zahnstein.

»Das meine ich! Sie weiß genau, worauf Männer abfahren!«

Zahnstein wollte gerade die Ehre seines Geschlechts verteidigen, als eine Kellnerin erschien und den fünften Gang, das Dessert, an den Tisch brachte. Vor Zahnstein stellte sie ein flaches Schälchen mit einer gratinierten Creme, die mit ein paar Früchten garniert war, und Andrea erhielt einen Teller mit verschiedenen Eissorten und diversen Waffeln.

»Danke«, sagte er und schaute seinen Nachtisch lächelnd an. »Allein deswegen hat sich unser Ausflug gelohnt. Einen anderen Grund kann ich nämlich nicht entdecken.«

»Wir können Laya unter diesen Geiern doch nicht allein lassen!« Sie nahm ihr Essbesteck in die Hände. »Lass es dir schmecken!«

»Du dir auch! Ich glaube, sie wäre schon allein zurechtgekommen.« Der Schluss dieses Satzes fiel etwas undeutlich aus, denn da hatte er sich schon den ersten Löffel in den Mund geschoben. »Dasch geht do beschümmt von Schanien ausch!«

»Was soll mit Janine sein?«, fragte Andrea.

Zahnstein kaute noch eine Weile auf dem Süßkram herum, schluckte ihn dann hinunter und sagte anschließend. »Na ja, ich könnte mir vorstellen, dass diese Angsthäsin dich erst auf die Idee gebracht hat, ausgerechnet für heute dieses Galadinner zu buchen.«

»Wir wollten das doch immer schon mal machen, mein Lieber!«

»Ja, aber nicht, um Laya vor den bösen Gangstern zu beschützen«

»Okay.« Andrea atmete entnervt aus. »Das Ganze ging tatsächlich von Janine aus… Aber Laya war einverstanden!«

»Ihr habt mit ihr darüber gesprochen?«

»Sie hat selbst gesagt, dass sie ganz froh darüber wäre, wenn jemand in ihrer Nähe ist.«

»Hm«, brummte Zahnstein. Andrea legte ihre Dessertgabel auf dem Teller ab und beugte ich zu Zahnstein vor. »Du weißt nie genau,«, sagte sie mit verschwörerischer Stimme, »ob bei solchen Sachen nicht irgendwas dahintersteckt, von dem wir keine Ahnung haben! Vielleicht ist das alles ein großangelegtes Komplott!«

»Ein Kompott?«

»Ein Komplott, du Idiot!«

»Was für ein Komplott denn?«

»Was weiß ich? Vielleicht wird das Schiff entführt? Vielleicht wird jemand ausgeraubt? Vielleicht soll jemand umgebracht werden?«

»Du hast eine blühende Phantasie, Schatzi.«

»Ich sag ja nur. Mit solchen Typen wie diesem Shkodra sich einzulassen, birgt immer ein gewisses Risiko!«

»Mag sein. Aber bisher scheinen sie sich einfach nur prächtig zu amüsieren.« Zahnstein warf einen schnellen Blick in Richtung des Gangstertisches, von wo rauhes Lachen und schrilles Gekicher zu ihnen herüberdrang.

»Der Abend ist noch lang«, stellte Andrea fest. »Da kann noch einiges passieren.«

»Eins sag ich dir:« Zahnstein schwang den Zeigefinger seiner rechten Hand. »Ich stell mich heute Nacht nicht vor Layas Kabinentür und passe auf, dass ihr ja keiner an die Gurgel geht!«

»Nein. Wenn sie erst mal in der Kabine sind, droht wohl keine Gefahr mehr.« Ein Lächeln erschien auf Andreas Mund. »Dann können wir uns an die Gurgel gehen.«

»Ich glaube, das heißt: ›an die Wäsche‹«, grinste Zahnstein.

»Oder so.«

Zwei Stunden später saß Laya an der Bar und sagte: »Dämliche Spaßbremse!«

»Bitte?«, sagte der Kerl hinter den Tresen, der zufällig direkt neben ihr ein Glas abtrocknete.

»Sie hab‘ ich nicht gemeint!«, beschied Laya ihn. Sie sah ihn an und sagte: »Machen Sie mir lieber noch einen Mai Tai!«

Der Barkeeper sah sie einen Moment unschlüssig an, sagte dann aber nur: »Ist schon in Arbeit.«

Vor zehn Minuten hatte noch Karina auf dem Barhocker neben ihr gesessen. Sie hatten sich wirklich nett unterhalten, nicht über die Relativitätstheorie zwar, nur über die Strände auf den Malediven, aber plötzlich hatte Karina eine ungeschickte Bewegung mit ihrem linken Arm gemacht und dabei ihre Bloody Mary so heftig angestoßen, dass sich das Getränk über ihr Kleid ergoss. Dabei hatten sich gerade noch die Knie der beiden Frauen zufällig berührt, und Laya meinte einen gewissen Druck von Karinas Knie gegen das ihre erkannt zu haben.

Aber als dann der Cocktail eine kleine Sauerei bei Karina verursacht hatte, hatte diese es plötzlich eilig, die Bar zu verlassen. Sie könne sich doch so nicht mehr hier aufhalten, meinte sie leicht hysterisch, sie müsse jetzt erst mal in ihre Kabine. Laya hatte noch den Versuch unternommen, sie dorthin zu begleiten, indem sie ihr ihre selbstlose Hilfe zur Rettung des schönen Kleides anbot, aber Karina sagte nur, das sei nicht nötig, und entschwand eilig.

Laya sah ihr nach und stellte sich vor, wie sie ihr behutsam den ruinierten Fummel herunterstreifte und wie sie anschließend gemeinsam entschieden, ihn doch besser in die Reinigung zu geben. Später.

Sie verzog einen Mundwinkel. Vielleicht hatte sie auch einfach nur zu viel getrunken. Da kann es dann schon mal passieren, dass man Dinge tut, die man eigentlich gar nicht auf dem Radar hatte. Na ja, Karina war schon ein geiles Weib, Barbiegesicht hin oder her. Das Kleid, das sie trug, war sandfarben, lang bis zu den Knöcheln und hatte in Hüfthöhe eine seitliche Öffnung. Damit man auch ja bemerkte, was sich nicht darunter befand. Und das Gleiche bezweckte offenbar der tiefe Rückenausschnitt – ein Detail, das Layas Phantasie auch ohne Fleckenentferner enorm angeregt hatte.

Solange sie am Tisch saßen, hatte alles ja noch ganz harmlos ausgesehen. Von vorn vermittelte Karina einen durchaus gesitteten Eindruck. Kein tiefer Ausschnitt, alles schön hinter Stoff und einer biederen Kette verborgen. Aber dann war irgendwann der letzte Gang verspeist und Kaffee und Digestiv ausgetrunken, woraufhin Karina beim Aufstehen ihren makellosen Rücken präsentierte und ihr Kleid seine langweilige Vorderfront mehr als kompensierte.

Enver und Hans zogen sich in einen Raum zurück, der offenbar für geschäftliche Besprechungen vorgesehen war und den man vorsorglich für diesen Abend gebucht hatte. Laya sah, wie eine Art Oberkellner die beiden Herren durch die angrenzende Bar zu einer etwas versteckten Tür führte und wie er noch einen Moment in der offenen Tür stehen blieb, bevor er sie schloss.

Sie und Karina standen etwas unschlüssig im Übergang zwischen dem Restaurantbereich und der Bar, und jetzt wurde ihr die Tragweite der Garderobe der anderen Frau erst vollends bewusst.

»Ich glaube, Hans wäre enttäuscht, wenn wir nicht noch zusammen einen zwitschern würden«, sagte sie lächelnd, und Karina antwortete: »Zwitschern?«

»Egal, wie du es nennen willst. Ich hätte jedenfalls noch Lust auf einen Drink. Du auch?«

»Warum nicht?« Und so steuerten sie auf die Reihe mit den Barhockern zu, die vor dem Barausschank standen, und enterten jeweils eines der Sitzmöbel.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Layas anfängliche Skepsis gegenüber der puppenhaften blonden Frau in eine freundlichere Wahrnehmung gewandelte. Zwischen Ablehnung und Sympathie herrschte eine Art Gleichgewicht der Kräfte, wie es der Militärstratege (der mit dem Nahkampf) ausgedrückt hätte. Und etwas Militärisches hatte ihre Anwesenheit auf diesem Kahn je schließlich, etwas von einer Geheimdienstoperation, bei der die Finten der Gegenseite rechtzeitig erkannt werden und die eigenen möglichst im Verborgenen bleiben sollten.

Aber war Karina wirklich eine Spionin? Natürlich war nicht auszuschließen, dass Hans Van der Molen das Gleiche beabsichtigt hatte wie Enver und haargenau die gleichen Maßnahmen ergriffen hatte. Und sich hinter dem naiven Barbie-Image eine eiskalte Profikillerin verbarg. Oder zumindest jemand mit etwas mehr Grips im Kopf als es den Anschein hatte. Letzteres war sogar ziemlich wahrscheinlich, so wie Laya sie während der Gespräche bei Tisch wahrgenommen hatte.

Eigentlich hätte sie das umso vorsichtiger werden lassen sollen, aber andererseits entfaltete schließlich der Spitzenwein doch seine Wirkung, von dem zu guter Letzt eine dritte Flasche geöffnet wurde, und das tat erst recht der nicht minder hervorragende Schnaps zum Abschluss. Und wieso um Himmels willen sollte man denn überall das Gras wachsen hören? Hier auf dem Schiff gab es doch eh keinen Rasen!

Mal ehrlich: Wäre ihr die Gesellschaft eines harmlosen Dummchens wirklich angenehmer gewesen als die Unterhaltung mit einer, die über die gleichen Witze lachte wie sie auch? Es war ja auch nicht so, dass man es mit einer zerknitterten Mathelehrerin zu tun hatte (Sorry, Andrea!), sondern mit einer jungen Frau, die schon rein optisch die Kriterien von Layas Beuteschema erfüllte.

Als die Männer sich schließlich zurückzogen und man in die Bar wechselte, drehte sich Layas Bild von Karina dann vollends. Aus dem verpeilten Püppchen war eine scharfe Puppe geworden und je mehr Cocktails durch Layas trockene Kehle flossen, um so feuchter wurden ihre Phantasien. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als plötzlich Karinas Kleid feucht wurde und Layas Enthusiasmus ein jähes Ende fand. Von ihrer anfänglichen Distanziertheit und ihrer Vorsicht vor unliebsamen Überraschungen war da schon nichts mehr übrig geblieben. Denn was sollte hier, auf diesem Schiff, in dieser Bar, bei diesem Mai Tai, denn groß passieren?

Mit dieser Sicht der Dinge war sie ganz mit Ritchie einer Meinung, freilich ohne das wissen zu können. Denn miteinander gesprochen hatten sie ja nicht. Und jetzt ging es nicht mehr, denn Andrea und Zahnstein waren inzwischen ebenfalls in ihre Kabine entfleucht. Wo sogar Andrea in den Entspannungsmodus gewechselt war und angestrengte Sorglosigkeit praktizierte – wobei Zahnstein ihr behilflich war.

Auch Laya zog sich nach diesem letzten Mai Tai in ihre Kabine zurück. Um dort auf Enver zu warten, der noch immer mit Hans am Konferieren war und sich offenkundig Zeit dabei ließ. Aus Layas Plan, ihm noch mit einem kleinen Betthupferl die Träume zu versüßen, wurde allerdings nichts. Es war schon schwer genug für sie, den altmodischen Zimmerschlüssel ins Türschloss zu praktizieren, doch die Abendgarderobe gegen ihr rotes Negligé zu tauschen, gelang ihr schon nicht mehr. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, sank sie in voller Montur wie ein gefällter Baum auf die Tagesdecke des breiten Bettes.

Sie fiel genauso in einen gerechten Schlaf wie vier Zimmer weiter Andrea und Zahnstein auch, die ihre späten Aktivitäten inzwischen abgeschlossen und ein zweistimmiges Schnarchkonzert zu intonieren begonnen hatten. Damit waren jetzt alle der anwesenden Mitarbeiter der Detektei Tooth Stone Investigations weggedämmert. Hätten sie gewusst, was sie damit verpassten, wären ihre Entscheidungen vielleicht anders ausgefallen, und sie hätten sich nicht so hemmungslos gehen lassen. Aber diese Überlegung ist rein theoretischer Natur, denn eine wirkliche Chance darauf, dasjenige, was sich am nächsten Morgen offenbarte, irgendwie zu beeinflussen, hatten sie eh nicht. Nie gehabt.

DREI

Es verhielt sich keineswegs so, dass die Detektei sich vollständig an Bord der MS Rheingau befunden hätte. Mitarbeiterin Nummero vier, Janine Krömmelbein, jene ›Schaniehn‹, deren Ängstlichkeit nach Zahnsteins Dafürhalten nur die Rechtfertigung für Andreas Helikopterverhalten gegenüber Laya darstellte, hielt zu Hause im Frankfurter Gallusviertel die Stellung. Das heißt, auch sie schlief den Schlaf der Gerechten, quer auf dem Bett liegend, halb auf der Seite ihrer Freundin Laya, die sich ja auf dem Schiff befand, dort ebenfalls ein Bett quer einnehmend.

Aber mit dieser ›Nummer vier‹ war die Belegschaft der Tooth Stone Investigations auch schon komplett. Richard Zahnstein und Andrea Reuter stellten in diesem Büro so etwas wie die Leithammel dar – wenngleich der Begriff des Hammels weder für Andrea noch für Ritchie ein passendes Bild darstellte. Aber egal, die Beiden waren es, die die Firma aus der Taufe gehoben hatten, sozusagen die Gründungs…

Nein, das wäre schon wieder nicht richtig, auch Gründungseltern nicht. Denn trotz des enormen Altersunterschieds zu ihren jüngeren Mitstreiterinnen fühlten sie sich keineswegs in irgendeiner Weise als deren Erziehungsberechtigte. Ganz im Gegenteil, sie hatten ihnen einen jeweils gleichen Anteil an der Firma zugesprochen, so dass alle Vier gleichberechtigte Miteigentümer waren. Niemand war irgendeinem anderen zu etwas verpflichtet und hatte andererseits auch nicht zu sagen, wo es langgehen sollte. Ein derartiges Verhältnis einzugehen, eines, das auf Hierarchie und Abhängigkeit beruhte, war nämlich sowohl Ritchie als auch Andrea ein Greul, und ein solches mit der Gründung einer Firma auch noch einzurichten, kam – trotz des ausschließlich von ihnen aufgebrachten Betriebskapitals - überhaupt nicht in Frage.

Aber zu wissen, was in der Firma so vor sich ging, also um alles die Finger drum haben, das wollten sie natürlich trotzdem. Vor allem Andrea war so eine, eine Art Madame Kontrolletti, die sich überall einmischen musste. Und deshalb hatte sie auch keine Sekunde gezögert, als Janine mit ihrer Besorgnis um ihre Freundin zu ihr kam, und hatte sich ins Reservierungssystem der MS Rheingau gehackt. Einem anderen Paar, das bereits gebucht hatte, hatte sie eine Stornierung zukommen lassen, und die dann freien Plätze für sich und Ritchie vergeben. Ja, zu solchen Dingen war Andrea nicht nur ohne jeglichen Skrupel imstande, sondern auch in der Lage – durch eine Vergangenheit befähigt, in der sie solche Dinge lernen konnte. Oder wie man sagt: sich draufschaffen konnte. In einer ›Berufsschule des Lebens‹ sozusagen, in der man manchmal eben auch berufsfremde Fähigkeiten erwirbt.

Jetzt, als sie am nächsten Morgen um acht mit einem Kater aufwachte, fragte sie sich allerdings, ob ihre Rolle als heimliche Beschützerin ihrer jungen Kollegin wirklich erforderlich gewesen war. Schließlich war ja nichts passiert, und Ritchie hatte wahrscheinlich schon recht damit gehabt, als er meinte, Laya könne gut selbst auf sich aufpassen. Aber okay, dann war's halt einfach ein gutes Abendessen und eine nette Nacht auf einem Schiff, ein kleiner Urlaub sozusagen – den man vielleicht sogar noch als Spesen von der Steuer absetzen konnte.

Als Laya endlich die Augen aufschlug, war es zwei Stunden später. Aber einen Kater hatte sie natürlich auch. Ihre Kopfschmerzen waren so stark, dass sie aufstöhnen musste. Vielleicht gab sie diesen Laut aber auch deshalb von sich, weil sie direkt in Enver Shkodras grinsendes Gesicht blickte, der seinen Kopf auf einem Arm abgestützt hatte und sie ruhig anschaute. »Guten Morgen«, sagte er.

»Was soll an diesem Scheiß-Morgen denn gut sein?«, war alles, was ihr dazu einfiel. Nach einer längeren Pause fügte sie allerdings hinzu: »Mein Kopf…«

»Wahrscheinlich war der letzte Cocktail nicht gut.« Shkodra lächelte unverdrossen weiter.

»Ha, ha«, sagte Laya. »Woher wollen Sie denn wissen, was ich noch getrunken habe? Sie waren doch mit Van der Molen im Séparée.«

»Ich hab so was wie den siebten Sinn«, behauptete er. »…Laya«, fügte er nach einer Pause hinzu.

Sie versuchte ein Lächeln. »Von mir aus. Wir haben uns schließlich gestern den ganzen Abend schon geduzt.«

Shkodra sagte: »Du kannst froh sein, dass wir nicht mehr fahren.«

»So? Wo sind wir denn?«

»Müsste Worms sein. Da sollten wir ja die Nacht über sein. Aber komisch, dass wir nicht schon wieder nach Biebrich unterwegs sind…«

Laya legte ihren Arm über die Augen und versuchte flach zu atmen. Nach einer Weile sagte sie: »Kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie ich in dieses Bett gekommen bin…«

»Als ich kam, warst du jedenfalls schon da.«

»Aha«, wiederholte Laya. »Und was hab ich gesagt?«

»Nichts. Du hast geschlafen. War deutlich zu hören.«

»Echt? Hoffe, es hat dich nicht zu sehr gestört!«

»Deine Geräusche weniger. Aber du lagst quer über dem Bett, und…«

»Was sagst du da? In voller Montur, oder wie?« Laya hob ihre Bettdecke hoch und schaute an sich herunter. »Und wie bin ich… Hast du etwa?«

Enver zuckte mit seiner linken Schulter. Da er mit dem anderen Arm nach wie vor seinen Kopf stützte, war das die einzige Schulter, mit der er zucken konnte »Ich wollte nicht, dass du dir dein Kleid versaust. Was meinst du, wie es jetzt aussehen würde, wenn du darin geschlafen hättest!« Er nickte mit seinem Kopf zu einem Sessel, der neben einem kleinen Tischchen stand. Über der Rücklehne hing Layas schwarzes Cocktailkleid. Sie sah träge den Sessel und dann Shkodra an.

»Immerhin hast du mir den Rest angelassen.«

»Na ja, viel wars ja nicht mehr…«

»Und du hast mich ins Bett gesteckt! Du bist ja ein richtiger Kavalier, Enver!«

»Was dachtest du?« Er grinste sie wieder an.

»Und wie lief`s mit Hans? Habt ihr euch geeinigt?«, wechselte sie das Thema.

»Gut!« Enver Shkodra schob die Unterlippe vor. »Ja, man kann mit ihm reden. Er weiß, was er will!«

»Das hört sich aber nicht nach gut an…« Laya brachte jetzt auch ein Lächeln zustande.

»Wieso?«

»Hört sich eher nach dominant an. Nach einem, mit dem man nicht gut Kirschen essen kann…«

»Doch, kann man! Kommt natürlich drauf an, was man darunter versteht. Jedenfalls weißt du, wo du dran bist! Er ist zwar ein harter Brocken, aber besser so, als wenn er es sich morgen wieder anders überlegen würde.«

»Vielleicht macht er das ja trotzdem?«

Shkodra schüttelte der Kopf. »Nee, nee. Ich glaube, auf den kann man sich verlassen.«

Laya schaute zu ihm hoch und sagte mir tiefer Stimme: »Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!«

Shkodra lachte. »Wer weiß?«

»Worauf habt ihr euch denn geeinigt?«

»Ach, auf verschiedene Sachen… Aber soll ich dir mal was sagen, Kleine?«

»Was?«

»Es geht dich einen Scheißdreck an!« Er grinste. »Du bist nicht hier, um mich nach meinen Geschäften mit Van der Molen auszuquetschen. Falls du das vorhast, beißt du eh auf Granit.«

Laya bewegte leicht ihren Kopf. »Nee, hab ich nicht. Aber ich dachte, du wolltest von mir wissen, ob man Van der Molen vertrauen kann?«

»Und? Kann man?«

»Also…«, sagte sie langsam. »Ich hatte nicht den Eindruck, dass er irgendwie… hinterlistig wäre…«

»Okay«, sagte Enver. »Dann wäre das ja geklärt.«

»Du meinst wohl, du bist dir in ihm so sicher, dass dir meine Meinung scheißegal ist, hm?«

»So ungefähr.« Enver sah sie an. Lächelnd, freundlich, durchdringend.

Laya sah ihn ebenfalls an. Auch sie lächelte. »Aber das ist nicht alles, was du von mir willst, stimmts?«

»Hast du ein Problem damit?«

Laya bewegte ihren Kopf langsam hin und her. »Du verlangst ja ziemlich viel von einer Privatdetektivin…«

»Privatdetektivin? Das ist ja wohl nicht gerade dein Lehrberuf!«

Laya grinste matt. »Nutte ist auch kein Lehrberuf«, stellte sie fest. Ihr war klar, dass Shkodra über sie Bescheid wusste; was sollten also die Spielchen? Sie fügte deshalb hinzu:

»Okay, macht das Ganze aber ein bisschen teurer.«

Er zuckte mit den Schultern, »Kein Problem.«

»Dann ist es ja gut.«

»Na dann…« Enver zog die Augenbrauen hoch.

»Wie? Jetzt?«

»Na ja…«

»Ähh… Lass uns erst mal frühstücken. Ich glaube, ich brauche jetzt erst mal ´ne Tasse Kaffee und ´ne Alka Selzer.«

»Okay«, sagte Enver, »dann halt danach…«

Laya verzog ihre Mundwinkel und dachte, dass sie vielleicht sogar als Prophetin einen ganz guten Job gefunden hätte. Aber jetzt musste sie erst mal ganz dringend… wohin! Sie sprang aus dem Bett und klaubte im Vorbeigehen ein paar ihrer Klamotten zusammen.

Das Badezimmer war winzig klein, verfügte jedoch über alles, was man braucht. Nur mit den Abstellflächen war es nicht so gut bestellt. Und nachdem sie die Klospülung betätigt hatte, musste sie ihre Handtasche auf den Waschbeckenrand stellen, um darin herumzukramen.

Da waren sie ja, die Pillen! Aber da war noch etwas anders. Ein Parfüm-Flakon, fast leer, ein Verschluss in Form eines… hm… Steins? Auf dem Fläschchen befand sich der Schriftzug ›My Way‹, darunter: ›Giorgio Armani‹ Wie kam dieses Parfümfläschchen in Layas Handtasche? Ihr eigenes war es nicht, soviel stand fest.

Sie wollte es gerade aufschrauben, als sie eine ihr unbekannte Stimme aus der Kabine vernahm. Sie sah sich um, erblickte das Spiegelschränkchen, das bullig über dem Waschbecken hing, und zog dessen Türen auf. Drei schmale Regalfächer, wobei das oberste für kleinwüchsige Menschen kaum erreichbar war. Sie stellte schnell das Fläschchen auf genau dieses Plastikbrett und schob es in die hintere linke Ecke. Dann schloss sie die Türen des Schränkchens wieder und verließ das Badezimmer.

Die unbekannte Stimme sagte gerade:

»… ihnen mitteilen, dass sich momentan die Polizei auf unserem Schiff befindet.« Shkodra flüsterte ihr das Wort »Kapitän« zu. »Es besteht kein Grund zu Panik. Ich möchte Sie jedoch bitten, vorerst Ihre Kabinen nicht zu verlassen, oder sie aufzusuchen, falls sie sie doch… ich meine… also, falls Sie sich nicht in ihnen, äh, befinden… sollten…« Der Sprecher räusperte sich. Dann sagte er schnell: »Vielen Dank!«

Die Ansage musste von einem Lausprecher in der Kabine gekommen sein, so klar und laut war ihr Klang. Wahrscheinlich eine Art Notsystem, für den Fall, dass das Schiff kentert oder etwas in der Art passiert.

»Au Scheiße«, sagte Laya. »Was machen denn die Bullen hier?«

Shkodra war aufgestanden und schaute aus dem Fenster. Aus einem Fenster, das natürlich ein Bullauge war, wie das auf Schiffen nun mal so heißt.

»Keine Ahnung. Ich hab´ sie nicht bestellt«, sagte er mit gerunzelter Stirn.

»Sieht man da draußen was?«

»Nur Wasser.«

»Hm. Falsche Seite«, stellte Laya fest, »Jetzt kriege ich nicht mal einen Kaffee!«

»Ich bestell uns welchen«, sagte Enver.

»Meinen bitte schwarz«, sagte Laya.

Zahnstein und Andrea befanden sich zum Zeitpunkt der Durchsage schon dort, wo Laya und Shkodra hingewollt hatten: im Frühstücksraum. Zahnstein winkte dem Kellner, einem Mann mit Vollbart und schütterem Haar, und als er an ihrem Tisch stand, hielt er ihm einen Fünfzig-Euro-Schein hin.

»Sind Sie sicher«, sagte er zu ihm, »dass Sie mir nicht doch sagen wollen, warum die Polizei hier ist?« Er hatte ihm die Frage schon vor ein paar Minuten gestellt, war aber abgeblitzt. Das Personal sei zu Stillschweigen verpflichtet.

Jetzt aber schien der Kellner entgegenkommend zu sein – oder soll man besser sagen entgegennehmend

---ENDE DER LESEPROBE---