Der Farbraub - Nico Wendland - E-Book

Der Farbraub E-Book

Nico Wendland

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Beschreibung

Wie viele Verbrecher braucht es, um den Auserwählten zu besiegen? Sarah ist eine Aufträgsmörderin, die auf der Flucht vor einem rachsüchtigen General ist. Bern hat sich von der Straße zum berüchtigsten Unterweltboss Sinclairs hochgearbeitet. Als sie zum größten Raub der Geschichte beauftragt werden, haben sie keine Ahnung, worauf sie sich einlassen. Also sammeln sie ihre Crew, um magische Drogen von einem Zug zu stehlen, ohne zu wissen, dass sie es dabei mit dem Auserwählten Gottes selbst zu tun bekommen. Ganz abgesehen davon, dass keiner von ihnen selbst mit offenen Karten spielt. Und dann ist es zu spät, um noch auszusteigen.

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Seitenzahl: 298

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Werke des Autor:

»Das Schleifen der Unschuld« (Kurzgeschichte)

»Der Herzschlag von Regin« (Kurzgeschichte)

»Von Monstern und Jungfrauen« (Kurzgeschichte)

»Der Farbraub«

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Nachwort

Glossar

Kapitel 1

7 Tage vor dem Raub

Der Regen schlug auf die Dächer der Stadt, während die Rufe der Bewohner durch die Straßen schallten. Die Kutsche des Gouverneurs fuhr über den holprigen Weg, bis sie vor der Bank anhielt. Mehrere Schaulustige drehten sich nach dem ungewöhnlichen Besuch um, aber wurden dann von dem Kutscher verscheucht.

Sarah strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und lud in aller Ruhe ihr Gewehr. Dann blickte sie vom Dach hinunter und wartete. Sobald die Kutsche zum Stillstand kam, sprangen zuerst zwei Leibwächter in dicken, dunkelgrauen Ledermänteln und breitkrempigen Hüten raus. Sie konnte zwar nur jeweils ein kurzläufiges Gewehr auf ihren Rücken sehen, aber wahrscheinlich trugen sie auch mindestens einen Revolver.

Sie legte ihr Gewehr an und richtete es auf die Kutschentür. Gouverneur Jefferson - in einen feinen schwarzen Anzug gekleidet - trat als nächstes raus. Nicht das dunkle Grau, das auch Sarah trug, sondern pechschwarze Kleidung. Teuer, aber dafür war man vor Magie sicher.

Sie blinzelte sich das Regenwasser aus den Augen und zielte. Sie machte sich keine Sorgen, ob sie treffen würde. Nachdenklich summte sie ein altes Militärlied, während ihre Finger den Takt trommelten.

Als dann der dritte Leibwächter ausstieg, verschluckte sie sich beinahe. Er trug weiße Handschuhe. Ihr brach der Schweiß aus und ihr Atem begann, sich zu beschleunigen. Jefferson hatte einen verdammten Shen als Leibwächter? Sie hätte mehr verlangen sollen… Vielleicht war er aber auch nur ein normaler Mann? Manche trugen die Handschuhe nur zur Abschreckung, auch wenn das ebenso gefährlich werden konnte.

Sie verdrängte all ihre Bedenken und konzentrierte sich auf ihren Auftrag. Der Gouverneur marschierte selbstbewusst in Richtung der Bank, während sich seine Wächter um ihn verteilten. Sie richtete den Lauf auf seinen Kopf, atmete aus und drückte ab.

Der Kopf des Mannes platzte in einem Schwall aus Blut und er brach augenblicklich zusammen. Ohne sich einen Moment des Triumphes zu gönnen, zog sie den Bügel der Waffe nach unten, sodass eine neue Kugel geladen wurde. Dann richtete sie das Gewehr auf den Mann mit den weißen Handschuhen. Wenn sie rechtzeitig…

Der Mann hatte aber gute Reflexe und wirbelte in Sarahs Richtung herum. Er warf seinen Mantel in dem Moment über sich, als Sarah abdrückte. Die Kugel prallte am Stoff ab, aber sie schoss noch zwei weitere Kugeln, in der Hoffnung eines Glückstreffers.

Dann wirbelte sie herum, warf sich das Gewehr auf den Rücken und begann zu rennen. Göttliche Eier nochmal, es war also wirklich ein Shen. Sie würde wetten, dass sein Mantel innen grün angemalt war. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Warum musste es auch noch ein Kri’Shen sein?

Sie sprang von einem Dach zum nächsten und versuchte, möglichst viel Abstand zu bekommen. Dann schlug eine Kugel neben ihr in das Holz. Fluchend warf sie sich zur Seite, aber noch zwei weitere Schüsse knallten auf das Dach und eine Stimme rief: »Bleib stehen, wenn dein Hirn nicht von der Sonne gebraten werden soll!«

Sarah erstarrte, während ihr Herzschlag in den Ohren dröhnte. Dann drehte sie sich langsam um. Der Kri’Shen stand schweratmend auf dem anderen Dach und hielt einen Revolver in ihre Richtung.

Die Trommel sollte sechs Kugeln haben, also noch drei Schuss. Vielleicht noch eine zweite Waffe unter dem Mantel…

Langsam erhob sie sich, worauf der Mann sie anlächelte: »Wer hat dich beauftragt, Mädchen?«

Mädchen? Ich gehe auf die vierzig zu, du…

Sie verbiss sich jede Wut und klopfte betont langsam ihren Mantel ab. Dann ließ sie die Hand dort, wo ihr versteckter Revolver nur einen Griff entfernt war. Der Mann nickte derweil, als wenn er keine Antwort erwartet hätte und sagte: »Nimm langsam dein Gewehr ab und lege es zur Seite. Danach wirst du dir Handschellen anlegen.«

Langsam griff sie zu ihrem Gewehr, während sie über seine Schulter blickte. Die anderen beiden Wächter waren nicht in der Nähe, aber es war bereits seltsam, dass der Shen so schnell hatte sein können.

Vielleicht Terz-Drogen? Dann wird eine Kugel wohl nicht ausreichen.

Also zog sie ihr Gewehr vom Rücken und nutzte die Bewegung, um ihre Hand in den Mantel gleiten zu lassen. Dann streckte sie den Arm aus, während der Mann den allgemeinen Fehler beging. Er sah in Richtung ihres Gewehrs.

In ihrem Kopf spielte wieder das Marschlied und ihre Finger begannen wie von selbst, sich im Rhythmus zu bewegen. Die Bewegung hielt den Blick des Shen gefesselt, während sie ihren Revolver aus dem Halfter zog.

Kein Hinweis darauf, was von seiner Kleidung grün bemalt ist, also muss ich seinen Kopf erwischen.

In dem Moment fiel ihr eine Bewegung am Rand des anderen Hauses auf. Die anderen beiden Leibwächter zogen sich gerade auf das Dach. Dann konnte sie keine Zeit mehr verschwenden.

Sarah ließ ihr Gewehr fallen.

Natürlich starrte der Wächter auf den sich bewegenden Gegenstand und Sarah konnte ihren Revolver – noch immer unter ihrem Mantel versteckt – ausrichten. Während sie sich duckte, drückte sie sechsmal den Abzug. Die Schüsse hallten in ihren Ohren, Stofffetzen ihres Mantels flogen durch die Luft und Blut spritzte fast bis zu ihr. Der Mann schaffte es sogar, einen Schuss abzugeben, bevor er zusammenbrach, aber dieser war völlig verrissen.

Sarah machte sich nicht die Mühe die Einschusslöcher in seinem Gesicht zu zählen – es waren sechs -, sondern hob ihr Gewehr wieder vom Boden und legte an. Die anderen beiden Männer hatten sich bei den Schüssen hinter der Dachkante versteckt, also schoss sie nur zweimal in ihre Richtung, damit sie auch ja dortblieben.

Dann drehte sie sich wieder um und rannte. Die Straßen unter ihr leerten sich mittlerweile, als sich die Leute in Sicherheit bringen wollten. Sie sah mehrere bewaffnete Gestalten, die aus den Häusern kamen, während andere versuchten, ihre Pferde zu beruhigen.

Schlimm genug, dass mir der Sheriff auf den Fersen sein wird, ich kann nicht auch noch Kopfgeldjäger gebrauchen.

Also gab sie sich alle Mühe, nicht entdeckt zu werden und sprang dabei von Dach zu Dach. Sobald sich der Tumult vor allem in der Entfernung befand, lief sie zur Dachkante und suchte die Straßen ab. Es dauerte nicht lange, bis sie eine Kutsche mit einem lila Fähnchen erkannte. Sie sprang vom Dach auf einen Balkon, ächzte beim Aufprall und ließ sich dann neben den Pferden in den Dreck fallen.

Sie schlug sich ein paar Mal aufs Bein und zeigte dann der Kutscherin ihren geklauten Marschallsring: »Sie haben fünf Minuten, um mich zum Ketticviertel zu fahren.«

Acht Minuten später stieß sie die Tür zur ‚Gelben Braut‘ auf und bestellte an der Theke einen gewässerten Schnaps. Da sie ihre Auftraggeberin noch nirgendwo sehen konnte, setzte sie sich an einen abgelegenen Tisch und starrte auf ihr Glas. Dann ließ sie das kühle Nass langsam hinterlaufen. Manchmal hasste sie ihre Selbstbeherrschung.

Keiner der Anwesenden nahm sie sonderlich zur Kenntnis, was für die Fragwürdigkeit dieser Taverne sprach. Sie tastete sich kurz nach Verletzungen ab, aber abgesehen von Prellungen und einer Schürfwunde, war sie gut weggekommen.

Ich könnte fast den Eindruck bekommen, dass es einfach ist, einen Gouverneur zu töten.

Sie lächelte kurz, aber dann setzte sich jemand auf den Stuhl vor ihr. Es war ein Junge, vielleicht zwanzig. Die Art, wie er sich immer wieder am Nacken kratzte, wies ihn deutlich als Terzsüchtigen aus. Außerdem spielte er unaufhörlich mit den Knöpfen seines verdreckten Hemdes.

Nervös, aber er spricht eine Fremde an. Demnach ein Schwarzmarkthändler.

»Was willst du mir andrehen?«, fragte sie ruhig, aber ließ es möglichst genervt klingen. Sie hatte schon mehrmals ihr Essen mit guten Investitionen bezahlen können, also war sie nicht so dumm, um ihn wegzuschicken.

Der Händler blinzelte ein paar Mal, bis er lächelte – man konnte die Zähne beinahe bis zur Wurzel sehen, was ihren Verdacht mit dem Terz bestätigte – und sagte: »Terz.«

Er griff in sein Jacket und stellte ein kleines Fläschchen auf den Tisch, das mit dünnem Kraut gefüllt war. Die getrocknete Pflanze hatte immer noch eine leichte Rotfärbung.

Gut und gerne fünfzig Milligramm, scheint komplett gefüllt. Sieht auch nicht aus, als hätte er anderes dazwischen gemischt.

»Qualität?«

»Hoch.«

Nehmen wir einmal mittelmäßig an.

»Wie viel willst du?«

»Hundert.«

Fünfzig Milligramm mittelmäßiges Terz sollten mindestens hundertfünfzig wert sein. Ganz zu schweigen davon, dass ich seit Wochen keines mehr habe.

Ihre Gedanken brachen ab, als ihr eine Frau auffiel, die gerade die Taverne betrat. Sie hatte schneeweißes, langes Haar und ein hübsches rotes Kleid. Dieser eine Fleck zog zwischen den ganzen Grautönen förmlich die Blicke auf sich, aber sie schien sich nicht daran zu stören.

Die Frau ging direkt auf Sarahs Tisch zu und musterte dann das Glas nachdenklich: »Das Terz ist ausgetrocknet.«

Sarah blickte sofort zu dem Jungen, dessen Augen sich vor Schreck weitete. Dann musterte sie noch einmal das Glas und als sie sich darauf konzentrierte, erkannte sie die dünnen Risse entlang der Blätter. Also hatte er sie wirklich bescheißen wollen: »Mach, dass du wegkommst, Kleiner.«

Er packte das Glas und begann zu rennen. Sarah murmelte noch einen leisen Fluch, während sich ihre Auftraggeberin an den Tisch setzte. Die Frau griff in ihre Handtasche und ließ einen kleinen Packen über den Tisch rutschen. Sarah zählte das Geld kurz und stand auf.

»Warte kurz, ich habe noch einen Auftrag für dich.«

Sie spielte nachdenklich mit ihrem Revolver, während sie die Andere weiterreden ließ: »Gegen meinen nächsten Auftrag wird der Gouverneur wie eine Übungsrunde wirken.«

»War sie das?«, fragte Sarah leise und drehte sich zu der Frau um: »Die knappe Zeit, wenige Informationen und sofort der nächste Auftrag. Wer lässt einen Gouverneur nur zum Test töten?«

Sie überlegte kurz, ob sie so offen reden sollte, aber die andere Frau schien sich keinerlei Sorgen zu machen: »Es war nicht nur ein Test, Sarah. Ich wollte diesen Mann tot, aber es ist nicht das Ende.«

»Wie viel?«

»Hunderttausend und alles, was du während des Auftrages verdienst.«

Sarah musste sich zusammenreißen, damit ihr nicht der Kiefer runterklappte.

Hundert…tausend… Das ist mehr, als ich im ganzen ehrlich Leben verdienen könnte. Selbst für den Gouverneur gab es nur zehntausend.

Sie ließ sich in den Stuhl sinken und lachte tonlos: »Was soll ich für sie tun? Den Pfeiler töten?«

Die Frau schüttelte knapp den Kopf: »Nein, aber du sollst den König bestehlen.«

Sarah nickte langsam: »Was ist der Auftrag?«

Die Frau lächelte: »Es wird bald einen Raub geben. Du wirst voraussichtlich dafür rekrutiert werden.«

»Ich soll ihn scheitern lassen?«

»Nein, er soll gelingen. Ich brauche nur jemanden, der meine Interessen vertritt.«

»Das ist ziemlich ungenau, Miss.«

»Das ist alles, was ich dir fürs Erste sagen werde.«, kam die knappe Antwort. Sarah überlegte noch kurz, aber antwortete dann mit einem Nicken.

»Sagst du mir wenigstens, was wir stehlen werden?«

»Terz, meine Liebe. Dreitausend Kilo Terz.«

Kapitel 2

7 Tage vor Beginn des Raubes

Die Wüstensonne ließ die Pferde vor Schweiß triefen, als die Reiter abstiegen. Sie marschierten auf die leerstehende Kutsche zu, während einer zurückblieb um die Umgebung im Auge zu behalten.

Bern unterdrückte bei jedem Schritt den Schmerz und strich sich über die Hüfte. Er stützte sich auf seinen Gehstock, während Helen sofort zur Kutsche rannte. Mit erhobener Schrotflinte suchte sie zuerst alles nach Fallen ab, bevor sie ihm zunickte.

Bern trat an ihre Seite und rief: »Bringt die Farbe!«

Eine Frau rannte an seine Seite und zog einen Stahlkanister vom Rücken. Innerhalb von Sekunden begann sie, die gelbe Farbe mit einem Pinsel auf die Holzwände aufzutragen. Als es dick genug war, nickte Bern und legte seine Hand auf den immer noch nassen Grund. Augenblicklich spürte er, wie sich seine Sinne auf die gesamte Oberfläche übertrugen. Die Magie tief in ihm schien zu brodeln, als sie in Richtung des Gelb zerrte. Wie ein wildes Tier riss es in Richtung der Farbe. Seine Finger prickelten und er musste sich zusammenreißen, die Kraft unter Kontrolle zu halten. Dann gab er der Magie freien Lauf.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich der Boden unter seiner Hand wölbte und dann fielen die kleinen Stoffpäckchen aus der Wand. Nach etwa einer Minute war er sicher, dass die Wand leer war. Dann beugte er sich unter einem Ächzen nach unten und öffnete Eines. Ein kleiner Haufen geriebener Blätter kam zum Vorschein.

Oh, du wunderschönes Terz. Du riechst förmlich nach Geld.

Helen sammelte die Päckchen ein und warf sie in Richtung eines ihrer Leute: »Wiegt das Zeug. Wenn auch nur ein Gramm zu wenig ist, will ich das wissen.«

Dann drehte sie sich zu der Frau mit den Farbkanistern um und murmelte: »Du kannst schon einmal anfangen, neu aufzutragen.«

Die Frau nickte und begann, die Farbe mit einem Messer wieder vom Holz zu kratzen. Da sie noch nicht einmal getrocknet war, konnten sie sie mit geringerer Qualität wohl wiederverwenden. Sobald der Junge an der Waage nickte, wurde lila Farbe auf die Kutsche geschmiert und Bern zog einen Stapel Geldscheine hervor.

Wieder zog die Magie in ihm nach dem gefärbten Holz, nur dass es sich diesmal gänzlich anders anfühlte. Wie der Unterschied zwischen Hunger und dem Schmerz nach einem zu vollen Mahl. Man konnte es nicht wirklich beschreiben.

Also presste Bern das Geld gegen das Holz und das Papier versank. Er achtete darauf, dass er nicht zu tief drückte, aber auch nichts mehr hinausschaute. Danach fügte er noch einen Zettel hinzu, indem er den nächsten Abgabeort benannte und die Farbe wurde wieder abgetragen.

Helen lehnte sich neben ihm an die Kutsche und fragte: »Denkst du, wir sollten das Vorgehen ändern? Die Grenzwärter fangen langsam an, On’Shen bei den Kontrollen zu nutzen. Wenn sie den Stoff finden…«

Sie beendete den Satz nicht, aber er antwortete trotzdem: »Farbe ist zu teuer, als dass sie jede Kutsche an der Grenze anmalen könnten. Sie werden maximal ein paar Stichproben machen. Sollte keine Probleme geben.«

Helen nickte knapp und sah dann in Richtung ihrer Leute. Einer von ihnen, sein Name war Connor, grub seit ihrer Ankunft mit ein paar anderen einen Graben. Bern beugte sich zu ihr hinüber: »Haben sie schon erraten, wofür sie graben?«

Helen schüttelte mit ernstem Blick den Kopf: »Sie denken, da unten ist irgendetwas. Halten sich wohl für Schatzsucher.«

Bern nickte und humpelte in Richtung der Gruppe. Connor ließ den Spaten sinken und sagte: »Keine Ahnung, wie weit wir noch graben sollen, Boss. Da ist nichts.«

Bern nickte und zog seine Revolver aus dem Hüfthalfter. Connor konnte nur überrascht aufblicken, bevor er ihm ins Bein schoss. Mit einem Schrei brach der Mann zusammen und die anderen sprangen zur Seite. Ehe sie es groß verarbeiten konnten, schnippte Helen und befahl zwei der Frauen: »Packt ihn!«

Sie zuckten kurz zusammen, aber rissen den Mann dann an den Armen nach oben, bis er einigermaßen stand. Dann ging Helen zu ihm und begann, auf ihn einzuschlagen. Ihr muskelbepackter Körper und ihre präzisen Treffer erzeugten im Zusammenspiel eine gute Menge aus Schmerz, ohne dass er das Bewusstsein verlor. Sie hörte auf, als Connor nur noch am Wimmern war und dann trat Bern auf ihn zu. Er packte sein Kinn und blickte ihm fest in die Augen: »Dieses Grab? Das ist deins! Du weißt sicher am besten, dass es tief genug ist. Die Frage ist nur, wie viel von dir im Grab landet.«

»Boss… ich bitte dich! Ich verstehe nicht…«

»Hast du Helen schon einmal in Aktion gesehen? Irgendeine Kri’Shen? Ziemlich abartiger Anblick…«

»Bitte… ich weiß nicht, was du von mir willst!«

Bern nickte knapp: »Natürlich, wie gedankenlos von mir. Ich will wissen, an wen du mich verraten hast.«

»Das habe ich ni…«

»Nein, nein… Du hängst hinterher. Ich weiß bereits, dass du mich verraten hast. Jetzt will ich nur wissen, an wen!«

»Bitte nicht…«

»Helen!«

Sie trat mit verkrampftem Gesicht nach vorne und berührte Connor am Arm. Während der Mann schrie, bildeten sich Risse an seinem Arm, Blut begann zu spritzen und dann fielen ein Haufen Knochen, Hautfetzen und Muskeln auf den Boden. Dann begann Connor erst so richtig zu schreien. Helen wandte den Blick ab.

Einer ihrer Leute klemmte schnell den Armstumpf ab und Bern schlug ihm noch einmal ins Gesicht: »Also? An wen?«

Connor blinzelte – er war nahe der Ohnmacht – und flüsterte dann: »Es war ein Marschall… Er traf mich in Sinclair. Wollte wissen, wie die Tekkis ihre Ware über die Grenze bringen.«

Scheint die Wahrheit zu sagen. Könnte wahrscheinlich nicht genug Kraft aufbringen, um sich eine Lüge auszudenken.

»Hast du einen Namen für mich?«

Er holte einmal rasselnd Luft und dann tropfte Blut von seiner Lippe. Schlussendlich schüttelte er den Kopf. Bern nickte knapp und drückte ihm den Revolver an die Stirn.

Der Schuss schallte über die Ebene und der Verräter fiel in die Grube.

Sinclair war eine der größten Städte in der weißen Steppe. Manche sagten, dass sie im Vergleich zu den entfernten Städten viel kleiner war, aber wer sollte das schon wissen. Es war Jahre her, seit jemand die Steppe verlassen hatte.

Aus Berns Perspektive war Sinclair aber eine gigantische Stadt, mit mehreren Kirchen und Vierteln, die jeweils von eigenen Bürgermeistern regiert wurden. Viel wichtiger war aber, dass es sowohl der Stützpunkt des Königs, als auch des Pfeilers war und damit der Mittelpunkt des Landes.

Bern und seine Leute ignorierten diesen ganzen Prunk und ritten direkt in Richtung Slums. Wie immer wurden sie von den Gendarmen ignoriert, die von Bern bezahlt wurden und konnten so problemlos ihr Heim erreichen. Das Holzhaus war größer, als die meisten anderen in der Umgebung, was daran lag, dass ein Bordell und eine kleines Kasino mit eingebaut waren.

Sie wurden von EnChalice, dem Verwalter, begrüßt. Er fragte nicht, warum ihnen einer fehlte, sondern bot ihnen gleich den guten Wein an. Bern und Helen folgten ihm dann ins Geschäftszimmer, wo sie das Terz auf dem Tisch ausbreiteten.

»Ein Kilo Gepresstes.«, sagte Bern: »Lege ein Zehntel zurück und bring den Rest unter die Leute.«

EnChalice nickte wortlos und sammelte die Drogen ein. Als nächstes reichte er Bern die Geschäftsbücher: »Haben gute Einnahmen gemacht, Boss. Auch wenn die verdammten Gen unsere Huren ständig bei der Arbeit stören.«

»Die Untersuchungen werden häufiger?«

»Ja… sie vermuten wohl, dass wir im Terzhandel sind.«

Bern massierte sich stöhnend die Stirn, aber nickte dann.

Wir werden es irgendwie schaffen. Das Geschäft befindet sich im ständigen Wandel und wir werden uns irgendwie über Wasser halten.

»Da ist noch etwas.«, sagte Helen auf einmal und blickte Chalice nachdenklich an. Bern rügte sich innerlich, dass ihm der Blick nicht vorher aufgefallen war, aber ließ sich nichts anmerken.

»Ja, gut erkannt, Maki. Wir haben Besuch von einer Frau bekommen. Sie scheint euch anheuern zu wollen.«

Er runzelte bei den Worten die Stirn, aber fragte dann: »Wo ist sie?«

»Im ‚Goldenen Schleier‘. Sie zahlt gut…«

Nachdem er sich kurz erfrischt hatte, ging Bern gemeinsam mit Helen in das angrenzende Bordell. Die tanzenden Frauen begannen sofort, ihn anzulächeln und manche gingen sogar so weit, sich an ihn ranzumachen. Helen grinste ihn an, worauf er die Huren wütend wegschickte.

Denken die wirklich, ich würde mich so leicht verführen lassen? Wie sollte ich diesen Laden leiten, wenn mich ein paar schöne Augen aus der Reserve locken? Andererseits leitet EnChalice wohl eher den Laden.

Sobald sie durch den Tumult waren, betraten sie eines der Privatzimmer. Auf einem der Betten lagen zwei nackte Frauen, die miteinander rummachten, während eine Dritte es sich auf einem Sessel gemütlich gemacht hatte und zusah. Bern trat zu ihr und murmelte: »Es würde sie das Gleiche kosten, wenn sie mitmachen würden. Die meisten würden das bevorzugen.«

Die Frau lächelte: »Die Meisten sind nicht geschäftlich hier. Es kommt immer auf den ersten Eindruck an, Bern. Euer erster Eindruck soll nicht mein nackter Arsch sein.«

Bern schnippte kurz mit den Fingern und die beiden Huren verschwanden. Dann zog er sich einen Stuhl heraus, wohingegen sich Helen hinter die Frau stellte.

»Wie kann ich ihnen helfen, Miss…«

»Hoggs. Mia Hoggs. Ich will sie rekrutieren, Mister Fain.«

»Keine Ahnung, was sie gehört haben, Miss Hoggs, aber ich bin mittlerweile selbstständig. Ich führe meine Geschäfte und nehme keine Aufträge an.«

Mia lächelte: »Das ist mir sehr wohl bewusst. Allerdings ist mein Angebot gut genug, dass sie aus dem Ruhestand kommen werden.«

»Wieviel auch immer sie mir bieten…«

»Ich biete ihnen kein Geld, Mister Fain. Einen Anteil am Gewinn.«

Bern lehnte sich nachdenklich zurück und fragte dann ruhig: »Was ist das für ein Auftrag? So konkret, wie möglich.«

Die Frau grinste: »Woher kommt Terz, Mister Fain?«

»Was?«

»Terz? Wo kommt es her?«

»Das… weiß niemand. Der König lässt es mit dem Zug von der Grenze aus anfahren. Niemand ist seit Jahrzehnten dadurch gegangen. Woher sollen wir es wissen?«

Mia nickte zustimmend: »Terz ist die einzige Substanz auf der Welt, die einem einfachen Menschen ausreichend Kräfte gibt, um es mit einem Shen aufzunehmen. Die leistungsverstärkende Wirkung ist quasi die Grundlage der gesamten Armee. Da Terz weitaus seltener als Farbe ist, ist es die wertvollste Substanz dieser Welt. Aber es kommt nur einmal im Jahr durch einen einzigen Ort. Was denkt ihr, wie viel Terz sich in diesem Zug befindet?«

»Verdammt viel.«, riet er, ohne groß darüber nachzudenken: »Es wird gepresst sein, aber wenn man es auseinandernimmt und auflöst… Tausend Kilo?«

»Über Dreitausend.«

Drei… von diesem Geld kann man eine ganze Stadt kaufen. Mindestens!

»Und sie wollen einen Teil der Lieferung abzweigen?«

»Ich will die ganze verdammte Lieferung!«, widersprach Mina grinsend: »Und ich will sie für diese Aufgabe.«

Den König selbst bestehlen. Danach wäre die halbe Welt und der Pfeiler selbst hinter uns her. Das wäre es dann mit unserem ruhigen Leben. Aber wir hätten mehr Geld, als wir uns jemals erträumt hatten. Und dann wäre egal, aus welchem Loch wir gekrochen sind. Uns würde die ganze Welt gehören. Gott… gib mir die Kraft, dieser Versuchung zu widerstehen.

»Wie groß wäre mein Anteil?«, fragte er leise und bemerkte, dass Helen bei diesen Worten das Gesicht verzog. Vielleicht hätte er es absprechen müssen, aber das war seine Entscheidung. Er war immerhin ihr Anführer. Sie musste ihre eigene treffen.

Mia nickte zufrieden: »Ein Drittel des Terz. Bevor ihr auch nur darüber nachdenkt, mich zu betrügen… Ihr wollt mich nicht als Feindin, Fain. Fragt nach meinem Namen, dann wisst ihr, warum.«

»Ich habe noch nicht zugestimmt.«, murmelte er ruhig: »Jedes Jahr fahren hunderte Züge mit verschiedenster Ladung und es ist nie bekannt, wann die neue Terzlieferung kommt. Selbst die anderen Transporte – mit Farbe und Lebensmitteln – werden bereits außerordentlich bewacht. Wir reden hier von einer kleinen Armee und mehreren Shen.«

Ohne ihn noch einmal anzusehen, stand sie auf und marschierte zur Tür: »Ihre Aufgabe ist es, das Terz zu besorgen. Wir werden noch einmal Kontakt aufnehmen und dann gebe ich ihnen die Informationen zum Zug. Aber von da an sind sie auf sich gestellt. Besorgen sie sich gute Leute und machen sie einen Plan. Ich stelle die nötigen Informationen.«

Mit diesen Worten schloss sich die Tür hinter ihr und Bern ließ sich in den Stuhl sinken. Er hoffte, dass Helen das Glitzern in seinen Augen nicht bemerkte.

Kapitel 3

Die Ratten raschelten durch das Heu und Sarah trat nachlässig in ihre ungefähre Richtung. Als ihre nackten Zehen Fell berührten, stieß sie nur einen dünnen Fluch aus. Sie kratzte sich unter dem braunen Hemd – das einzige, was die Wärter ihr als Kleidung gegeben hatten – und ihr fielen die Unebenheiten auf ihrer Haut auf. Vielleicht Schorf? Oder eine Krankheit, die sie sich nach einem Monat im Kerker eingefangen hatte.

Zitternd versuchte sie aufzustehen, aber ihre Beine gaben nach und sie schlug gegen eine der Eisenstangen. Also drehte sie sich nur auf den Rücken und starrte dorthin, wo sie mit etwas mehr Licht vielleicht die steinerne Decke hätte sehen können. Sie griff nach ihrem Haar, aber es war fettig und völlig verdreckt. Und garantiert voller Ungeziefer. Er hätte es sicher gehasst. Nicht einmal er würde sie in diesem Zustand noch küssen wollen. Nicht, dass er das konnte…

Wie so oft kamen ihr die Tränen, aber sie blieb einfach liegen. Wartete, bis ihre Augen getrocknet waren. Sie wusste nicht, wie lange sie da lag. Ihr fiel nur auf, dass sie heute noch kein Essen bekommen hatte.

Dann wurde die Kerkertür geöffnet. Gleißendes Licht strömte auf sie und sie rollte sich wimmernd zusammen, um den Schmerzen zu entgehen. Aber da wurde sie bereits hochgerissen und vorangezogen. Sie schaffte es nicht, ihre Füße zu bewegen, also wurden sie einfach hinter ihr hergezogen und ihre Haut riss am Boden auf.

Wahrscheinlich hätte sie fragen sollen, wo man sie hinbrachte. Wie das Urteil des Militärgerichts gelautet hatte. Aber ihr fehlte einfach die Kraft. Also hing sie zwischen den Soldaten und ließ sich ins Freie bringen. Eine kleine Menge hatte sich gesammelt – zu wenige, als dass es eine öffentliche Bestrafung sein konnte.

Ihr Blick fiel auf den Pfahl in der Mitte des Platzes und ihr Verstand begriff abwesend, dass sie wohl doch nicht hingerichtet werden würde. Während man sie an das Holz band, wurde die Anklage verlesen, aber die Worte rauschten über sie hinweg. Zum ersten Mal blickte sie an sich hinunter und bemerkte getrockneten Urin, Blut und Kacke, die an ihren Beinen zu sehen waren. Sie hatte befürchtet, dass es schlimmer aussehen würde, aber anscheinend hatte sie sich auch in der Dunkelheit ganz gut gehalten.

Als man ihr das Kleidungsstück vom Rücken riss, wurde ihr erst bewusst, wie lächerlich dieser Gedanke war. Sie drehte den Kopf so weit wie möglich und starrte General Mecan entgegen, der gerade die neunschwänzige Peitsche entrollte.

Früher hätte sie ihn provoziert, vielleicht sogar angegrinst, aber dazu fand sie nicht die Kraft. Sie konnte ihn nur anstarren, während er sie mit seinem hasserfüllten Blick durchlöcherte. Dann sank Sarah in sich zusammen und schloss die Augen.

Die Peitsche pfiff durch den Wind und dann begann sie zu schreien.

6 Tage vor Beginn des Raubes

Wenn man in Sinclair einen Verbrecher anheuern wollte, gab es zwei Möglichkeiten. Zum einen konnte man durch Straßen und Tavernen laufen und hoffen, dass jemand betrunken genug war, um über seine Arbeit zu reden. Zum anderen brauchte man Kontakte. Wenn man seine Fähigkeiten bei illegalen Aktivitäten verdingen wollte, musste man sich erst einmal einen Namen aufbauen, damit die Leute auf einen aufmerksam wurden – quasi die erste Variante. Wenn man dann ein paar Aufträge erledigt hatte, wird man weiterempfohlen – dann hatte man es zur Zweiten geschafft.

Als Sarah aus dem Gefängnis gekommen war, hatte sie von all dem nur eine sehr entfernte Ahnung gehabt. Ihr war vor allem klar gewesen, dass sie von der Regierung nicht mehr beschäftigt werden würde und sie wollte sich nicht mit Gelegenheitsjobs rumschlagen. Also war sie in eine der Tavernen gelaufen, die für ihre fragwürdige Kundschaft bekannt war, und hatte eine Schlägerei angefangen. Als sie genug Leuten die Schädel eingeschlagen und ein wenig mit ihrer Zielsicherheit geprotzt hatte, musste sie sich nur jeden Tag an die Bar setzen und schon kamen die Aufträge.

Als sie nun sieben Jahre später in der ‚Gelben Braut‘ saß, wurde sie von allen Anderen mit einem grundlegenden Respekt behandelt. Die Art von Respekt, die man sich verdienen musste.

Sie war überrascht, als sich die Vorhersage dieser Frau als korrekt herausstellte. Der Mann, der sich neben sie setzte, hinkte und nutzte einen teuer aussehenden Gehstock aus weißem Holz.

Ich kenn mich zwar nicht so gut mit Shen aus, aber das wirkt wie eine interessante Waffe. Ob er seine Magie wohl durch den gesamten Stock leiten kann?

Der Mann hatte einen kurzen schwarzen Bart und Stoppelhaare, wobei er sich in einen schwarzen Mantel geworfen hatte und auch einen breitkrempigen Hut in der gleichen Farbe trug. Am auffälligsten war aber, dass er schwarze Handschuhe trug, als wenn der Gehstock kein Beweis für seine Magie wäre. Er machte sich nicht die Mühe zu lächeln, sondern kam gleich zur Sache: »Sarah EnMelrow?«

Sie blinzelte überrascht, als sie ihren vollen Namen hörte, aber nickte dann: »Und sie?«

»Bern Fain. Ich möchte sie rekrutieren.«

Diese Tusse hatte wirklich recht? Beeindruckend…

»Ich bin teuer, Mister Fain. Aber ich bin mein Geld auch wert.«

Fain lächelte: »Ich plane einen Raub und sie würden einen Anteil am Gewinn erhalten.«

»Wie viel?«

»Sie und drei Andere bekommen jeweils ein Achtel der Beute. Ich nehme die Hälfte.«

Nicht ungewöhnlich, aber man kann nicht abschätzen, ob es sich lohnt. Nicht, dass es bei hunderttausend zusätzlich sonderlich wichtig ist.

Sie lehnte sich zurück und versuchte, möglichst zwiespältig auszusehen: »Von wie viel sprechen wir hier?«

»Etwas… über hunderttausend.«

Sie pfiff beeindruckt, aber flüsterte dann: »Was ist der Auftrag? Den Pfeiler töten?«

»Nein, aber er könnte ihnen hinterher am Arsch hängen.«

Sie kratzte sich nachdenklich an der Nase: »Und das sagt ihr mir alles einfach so?«

»Sie haben einen guten Ruf, Miss EnMelrow. Das haben Leute gesagt, denen ich vertraue. Außerdem ist ihre Geschichte verdammt intere…«

»Schon verstanden.«, unterbrach sie ihn: »Von wem haben sie meinen Namen?«

»Nesselchen… sie hat in den höchsten Tönen von euch gesprochen.«

Sie nickte zufrieden: »Nennen sie mich interessiert.«

»Kommen sie morgen früh zum ‚Goldenen Schleier‘. Man wird sie zu mir bringen.«, antwortete er.

»‚Der ‚Goldene Schleier‘… Bern Fain! Ich dachte mir doch, dass mir ihr Name bekannt vorkommt.«, flüsterte sie leise. Der Verbrecherboss nickte nur knapp und stand auf. Bevor er aber ging, drehte er sich noch einmal zu ihr um.

»Ich hätte noch eine Frage, Miss EnMelrow. Ich habe mir erlaubt, ihre Akte anzusehen und sie wurden aus der Armee entlassen. Angeblich, weil sie einen anderen Soldaten getötet haben.«

Bei den Worten erstarrte sie und ihre Hand wanderte in Richtung ihrer Waffen. Bern ließ sich allerdings nichts anmerken und musterte sie nur aufmerksam. Sie schnalzte mit der Zunge: »Was ist eure Frage?«

»Warum haben sie ihn umgebracht? Normalerweise wären sie dafür hingerichtet worden, aber man hat sie nur rausgeworfen.«

»Und ausgepeitscht.«

»Ja, nur dreißig Schläge.«

Sie erwiderte seinen Blick ruhig, bis sie einmal tief durchatmete: »Es sollte eigentlich in meiner Akte stehen. Ich habe versucht, etwas zu stehlen.«

»Oh, dass habe ich gelesen. Allerdings passt die Strafe nicht ganz dazu. Die Peitschenhiebe, ja, das klingt nach dem Schwachsinn der Armee. Aber nicht einmal der größte Idiot hätte sie danach unehrenhaft entlassen. Wenn das rauskäme… Sie versetzt? Bestimmt! Sie degradiert, oder in den Zivilbereich gebracht? Ergibt auch Sinn. Aber warum hat man sie herausgeworfen?«

»Der Soldat war der Lustknabe eines hohen Tiers.«, log sie leise: »Allerdings verstehe ich nicht, inwiefern das alles wichtig ist.«

Reicht dir das? Nach zehn Jahren kann das niemand mehr nachprüfen, also bist du in einer Scheiß Sackgasse. Lass mich jetzt gefälligst in Ruhe!

Ihr war natürlich bewusst, dass ihre Lügen absolut nichts brachten. Eigentlich wäre es für sie sogar besser, wenn sie ihm die Wahrheit gesagt hätte.

Aber ich will noch einmal den Mann finden, der mich dazu bringen kann, über Dinge zu reden, wenn ich es nicht will.

»Das ist es nicht.«, antwortete Fain lächelnd: »Nur persönliche Neugier. Noch einen schönen Tag, Miss EnMelrow.«

Sie starrte ihm noch eine Weile hinterher und leerte ein weiteres Glas. Kopfschüttelnd stand sie auf und ging zu ihrem gemieteten Zimmer. Sarah ließ sich in den Sessel fallen und kontrollierte erst noch einmal ihre Waffen. Damals in der Armee, war es ihnen so oft eingebläut wurden, bis sie es noch im Halbschlaf taten.

Aufstehen, Ausrüstung prüfen, Waschen, Essen… Jeden verdammten Tag.

Bei dem Gedanken begannen die Narben auf ihrem Rücken wieder zu jucken und sie holte sich noch einen Drink von unten. Die Frage dieses Bastards hatte unangenehme Erinnerungen geweckt. Zitternd lehnte sie sich zurück und starrte aus dem Fenster.

Das muss endlich aufhören… Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat dasselbe. Nur irgendwie am Leben bleiben, gerade so die Schulden geringhalten. Wo soll das alles hinführen? Aber mit zweihunderttausend… Ich wäre reich. Ich könnte gehen, wohin ich will. So leben, wie ich es immer wollte. Und niemand wird mich diesmal aufhalten können. Mit soviel Geld könnte ich auch endlich diesem Monster entkommen.

Sie spürte das Grinsen auf ihrem Gesicht kaum, als sie aufstand und sich nachgoss. Ihr Verstand sagte, dass sie schon wieder zu weit ging, aber sie ertränkte ihn mit einem einzigen Schluck. Vielleicht könnte sie diese Nacht auch einmal feiern.

Kapitel 4

5 Tage vor Beginn des Raubes

Jeffrey Jefferson war unglaublich. Er sah gut aus, war reich, der schnellste Duellant und außerdem von Gott gesegnet. Er hatte alles, was er sich wünschen würde, abgesehen von einer Sache. Eine Familie.

Bis Gestern hatte er noch einen Vater gehabt, aber irgendein Stück Scheiße hatte ihm eine Kugel in den Kopf geblasen. Und das war dann der Beginn seines Reichtums. Und der Beginn seiner Langeweile, da er jetzt so ziemlich alles tun konnte, was er wollte.

Jeff atmete tief ein, während er auf seinen Balkon trat und den Dienern mitteilte, dass sie auf seine Anwesenheit verzichten müssten. Dann ließ er seine beiden Revolver noch einmal um seine Finger kreisen und stieß sie in die Halfter. Zuletzt warf er sich seinen Mantel – reines schwarz, also verdammt teuer – um die Schulter und band die langen Haare in einem Zopf zurück. Zuletzt streifte er seine weißen Handschuhe über. Dann sprang er vom Balkon.

Die Luft krachte in ihn, während er die hundert Meter an seiner Villa hinabfiel. Er konzentrierte sich auf die Wand, wo er die Sprungplattform fand. Sie bestand aus einem blauen Kreis, der noch einmal großflächig von einem orangenen Kreis eingeschlossen war. Natürlich hatte Jeffrey seinen Fall perfekt begonnen, sodass er genau an diesem Kreis vorbeifiel. Sobald er in die Nähe der Farbe kam, begann sich die Magie in ihm – durch die weißen Handschuhe verstärkt - nach dem Orange auszustrecken. Also ließ er sie durch seine Hände frei und sein Flug änderte augenblicklich die Richtung. Er wurde in Richtung der Wand gezogen, bis er mit seinen Händen festklebte. Dort hing er ein paar Sekunden, bevor er seine Magie zurückzog und zum blauen Kreis hinunterfiel. Wieder brodelte die Magie in ihm, aber als er sie diesmal aus seinen Händen fließen ließ, katapultierte sie ihn weg von dem Sprungkreis.

Seine Ohren wurden von einem Rauschen erfüllt, er musste seine Augen zukneifen und die Villa blieb hinter ihm zurück. Er glitt über die Stadt, ein Held des Himmels.

Während sich sein Sprung langsam in einen Sturz verwandelte, drehte er sich und blickte auf den Sprungkreis, der auf eine Kirche gemalt worden war. Es hatte lange gedauert, bis man den Re’Shen gestattet hatte, überall in der Stadt diese Zeichnungen anzubringen, aber nun konnten sie quasi die ganze Stadt innerhalb von wenigen Minuten überqueren. Er runzelte genervt die Stirn, als er eine andere Frau sah, die durch die Lüfte flog. Das war sein Reich! Schlussendlich fand er aber die Großmütigkeit in sich, sie gewähren zu lassen.

Er erreichte den Ball innerhalb von drei Minuten. Da es allgemein als unhöflich angesehen wurde, mit Magie anzukommen, nutzte er bei seinem letzten Sprung ein bisschen mehr Kraft. Er zielte natürlich perfekt und flog direkt durch die offenstehende Balkontür. Er hörte überraschte Schreie, aber streckte grinsend die Hände raus, stieß mit seiner Magie gegen einen riesigen Muskelberg und kam so in der Mitte der Tanzfläche zum Stehen.

Er gab den anderen Gästen ein paar Sekunden Zeit, um ihn zu bewundern, bevor er seinen Mantel an den nächststehenden Diener gab und sein Jackett gerade zog. Sobald er sich ein Glas Wein geschnappt hatte, trat er zu einer Gruppe von jungen Leuten – jeder von ihnen ein wenig ärmer als er – und sagte: »Verzeiht meine Verspätung, Freunde. Ist schon etwas Interessantes passiert?«

Eine Frau gluckste bei seinen Worten: »Du hast wirklich ein Händchen für Auftritte, Jeffrey. Noch nichts wirklich spannendes, aber Lord Briston ist heute mit Lady Dallis aufgetaucht, also…«