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Der faule Schutzengel und seine letzte Chance ist die Geschichte eines jungen, vom Pech verfolgten Mannes, genannt Tommy. Als es in seinem Leben endlich wieder bergauf geht, wird sein Erdentreiben plötzlich in andere Bahnen gelenkt. Das Schicksal schlägt hart zu. Er gelangt in himmlische Sphären, erlebt nie dagewesene Begegnungen und sammelt fantastische Eindrücke. Eine Geschichte zwischen "Oben" und "Unten", die dem irdischen Vorstellungsvermögen nahe kommen kann, und wer weiß, vielleicht auch die eine oder andere Wahrheit in sich birgt.
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Imprint:
Der faule Schutzengel und seine letzte Chance
Alessandro Novadoor
Published by: epubli GmbH, Berlin,
www.epubli.de
Copyright © 2013 Text: Alessandro Novadoor
Copyright © 2013 Cover / Illustrationen: Sissikol
Alle Rechte vorbehalten
VORWORT
Die Grundidee zu dieser Geschichte bekam eines Tages von Horst. Ich fand sie so gut, dass ich mich sofort daran machte sie zu aufzuschreiben.
Der faule Schutzengel
und seine letzte Chance
Prolog
Mal ehrlich, das haben wir noch nicht so richtig begriffen, dass wir uns einmal bedingungslos die Zeit nehmen sollten, eigene Tiefenforschung zu betreiben? Dafür sind wir fast immer viel zu oberflächlich oder zu faul oder wir nehmen sie uns ja nie, die Zeit! Wenn es uns aber einmal an den Kragen geht oder wenn wir mal so richtig dick im Schlamassel sitzen, jammern wir und hoffen, dass irgendetwas passiert das uns hilft. Wird uns dann ein Strohhalm gereicht, von wem auch immer, klammern wir uns so fest daran, dass er abbricht, und plumps, schon sitzen wir wieder im Schlammassel. Warum denn schon wieder, fragen wir uns? Weil wir uns sogar in der Not nicht einmal die Zeit nehmen, ein einziges Mal darüber nachzudenken. Uns überfällt Resignation, Gedanken werden isoliert, wir sind nicht ansprechbar, sind wie gelähmt, blasen Trübsal oder fluchen vor uns hin und zum Schluss versinken wir in unserem Selbstmitleid. Oh, wie schrecklich!
Langsam, ganz langsam besinnen wir uns. Wir fangen endlich an, nach den Gründen zu suchen. Das ist doch Fortschritt, oder? Dieses Suchen beginnt freilich erst dann, wenn die negative Phase gar nicht mehr aufhören will. Und dann die vielen Fragen, die aufkommen! Uns durchqueren unmögliche, ja oft komplizierte Antworten. Die einfachsten Antworten, die so einleuchtend sind, liegen oft so nahe aber wir bemerken sie immer noch nicht.
Geht es uns gut, sind wir Glückskinder. Geht es uns sehr schlecht, sind wir Pechvögel. Haben Glückskinder Glück gehabt und haben Pechvögel Pech gehabt? Die Antwort könnte lauten: Fleiß oder Faulheit. Aber so einfach ist die Antwort nun auch wieder nicht, oder doch?
Springen wir mitten ins Leben und picken uns einen dieser Pechvögel heraus. Lange brauchen wir nicht zu suchen, denn er ist direkt unter uns. Von ihm wollen wir erfahren, was er erlebte. Zu diesem Zweck bin ich nur der subjektive Beobachter, der schildert, wie es jedem einmal ergehen könnte.
Hoffentlich werden all diejenigen ihren eigenen Weg finden, die in der gleichen Lage sind oder vielleicht einmal dahin kommen das eigene Leben nach dem Motto zu meistern:
Hilf dir selbst,
Stolz wie Oskar saß ich hinter dem Mahagonilenkrad eines einzigartigen Gefährts, den mir das Autohaus für meine Probefahrt den ganzen Tag zur Verfügung gestellt hatte. Eine Besonderheit mit hoher PS-Leistung, schnittiger Form und edlem Interieur. Alles vom Feinsten.
Mein lang ersehnter Wunsch hatte sich endlich erfüllt. Nur noch ein paar Tests, und ich würde zugreifen, würde ihn bald mein eigen nennen wollen. So ein Non-Plus-Ultra-Modell durfte ich der Autobahn nicht verweigern. Vom Autohaus wurde mir die absolute Fahrtüchtigkeit versichert. Mein Adrenalinspiegel hatte innerlich den Siedepunkt erreicht, denn ich wollte und musste mir nach der andauernden Pechsträhne wieder mal etwas Gutes tun. Ich setzte mich ungeduldig hinter das Cockpit, trat auf das Kupplungspedal, schaltete den zweiten Gang ein und drückte das Gaspedal herunter, als wenn ich den Teufel mit dem Belzebub austreiben wollte. Mit einem tiefen Atemzug und einem Kavalierstart preschte ich vom Autohaus los, und dann bei so einem Sauwetter.
Nur alleine mochte ich diese Probefahrt nicht beginnen, denn wie durch eine Fügung tauchte da plötzlich jemand auf, der mit mir fahren wollte. Normal wäre das nicht der Fall gewesen, denn ich lebte mutterseelenallein. Zwangsläufig kamen mir aber dadurch wieder meine Jugenderinnerungen in den Sinn.
Von Gabriel, meinem besten Freund, hatte ich bis heute nie mehr etwas gehört, denn er war damals zu meinem Leidwesen mit seiner Familie in eine andere Stadt gezogen und wir hatten uns aus den Augen verloren. Plötzlich nach 10 Jahren erschien er wie ein Phönix aus der Asche auf einmal auf der Bildfläche meines Handys. Er musste nach mir gesucht haben und hatte Erfolg. Zuerst hatte ich ihn gar nicht erkannt, denn er hatte sich schon etwas verändert. Damals trug er schulterlanges, gelocktes Haar, einen schmalen Oberlippenbart, war immer braun gebrannt und mit seinen dunkelbraunen Augen bestach er trotz seiner nicht allzu großen Figur, die weiblichen Wesen, die wie Schlingpflanzen an ihm hingen. Er war ein regelrechter Aufreißertyp. In den gemeinsamen Tramp- und Camping-Urlauben an der Cote da Sure lief er immer zur Bestform auf. Jedes hübsche Mädchen musste dieser Schwerenöter verführen.
Er heute, mit kurzen, lockigen Haaren und an den Schläfen einen leichten Grauschimmer. Von Jugend an waren wir schon befreundet, denn wir lebten quasi als Nachbarn zusammen, wenn er auch mehrere Straßenzüge weiter wohnte. Sein Vater hatte einen kleinen seriösen Schuhladen in der Nähe des Wohnblocks aufgemacht und musste damit seine fünfköpfige Familie ernähren. Seine Mutter, eine lebhafte Frau, die ihre Familie managte, vor allen Dingen Gabriels vier jüngere Schwestern. Die mussten von ihr gebändigt werden, während Gabriel sich Freiheiten herausnehmen konnte, worauf die Geschwister oft neidig waren. Seine Hobbys waren Sport in jeder Art und Autos, und eins war ihm immer heilig, seine Familie und echte Freunde. Dafür brachte er sich voll ein.
Auf der anderen Seite ich, der lebensfrohe, schlaksige, manchmal aufbrausende und risikofreudige, junge Möchtegern-Casanova, eigentlich gar nicht so übel aussehend, aus gut bürgerlichen Elternhaus, der es Gabriel nachmachen wollte. Ich war oft über die Strenge geschlagen. Meine Eltern hatten dadurch viel einstecken müssen, hielten aber trotz alledem zu mir. Sie gaben nie auf, dass doch noch einmal etwas aus mir würde. Zu diesem Zeitpunkt war dies jedoch vergeblich, denn ich wollte dass Leben genießen. Das tat ich nach meinem Abitur auch in vollen Zügen, bis das dieser grauenvolle Unfall mit Mama und Paps passierte. Aus dem lockeren Schlacks wurde plötzlich ein stiller, in sich einkehrender junger Mann, dem mit einem Schlag der Halt genommen wurde. Es gab keine Verwandten die mich hätten auffangen können. Auch mein Freund Gabriel war zu dem Zeitpunkt unauffindbar. Mir blieb nichts anderes übrig als mich aufzurappeln, um aus meinem tiefen Tal heraus zu kommen. Ich suchte nach Wegen und fand Irrwege, die mit Pech gepflastert waren. In der Not schaute ich oft gen Himmel und flehte, mir beizustehen. Doch anscheinend waren dort oben alle so viel beschäftigt, dass auch von da niemand für mich Zeit hatte. Aufgeben wollte ich nicht, denn die Worte meines Paps kamen mir immer wieder in den Sinn. Ich kämpfte weiter, schlug mich durch und war stolz nach einer sehr langen Durststrecke endlich ein kleines Licht am Horizont zu sehen. Mit viel Fleiß und Ausdauer hatte ich schließlich Erfolg und stehe da, wo ich heute bin. Ich als junger, erfolgreicher selbständiger Geschäftsmann, der nach so einer langen Durststrecke endlich sein Nahziel erreicht hat, und dann auch noch durch Zufall seinen einzigen guten alten Freund wieder trifft, der jetzt mit mir die Probefahrt machen will.
Ich wartete vor dem Café Cheval, dem vereinbarten Treffpunkt, wo Gabriel zusteigen wollte. Kurz vorher hatte ich ihn über Handy informiert. Das Sauwetter hatte zum Glück aufgehört. Ich schaute auf meine Uhr, streichelte über das Mahagonilenkrad und öffnete das Cabrioverdeck. Er war noch nicht da. Hatte er unsere Verabredung vergessen? Ich brannte darauf, rasch los zu fahren. Er hatte anscheinend die Ruhe weg. Dann entdeckte ich ihn endlich im Rückspiegel und sah, wie er über die Kreuzung gelaufen kam. Beinahe wäre er noch von einem Bus angefahren worden, hatte aber Glück gehabt. Schneller Sidestep, dann klemmte er sich etwas mühsam mit aufgeplusterten Backen auf den tief liegenden Beifahrersitz, schnallte sich an, und wir fuhren los. »Hi, tolles Modell. Bin noch nie in so einem gesessen. Riecht auch noch richtig neu«, kam sein bewunderndes Staunen. Das war er, ohne große Begrüßung sofort in medias Res. - »Hi Gabriel, starten wir?«, fragte ich. - »Na, dann mal los. Bin gespannt«, antwortete er erwartungsvoll. Im Nu waren wir auf der Autobahnauffahrt und dann sofort in der Überholspur. Ferse
Zeit zum Reden, Zeit zum ersten Erinnern, dachte ich. Nach so langer Zeit hatten wir bis jetzt nur am Telefon ein paar Worte gewechselt Der Sinn der Probefahrt wurde fast zweitrangig. Umso größer war die Freude, ihn endlich mit Leib und Seele neben mir zu haben. Wir hatten uns tatsächlich damals zu schnell aus den Augen verloren. Nur durch Zufall hatten wir uns wieder getroffen, weil Gabriel die Anzeige meiner Geschäftseröffnung gelesen hatte.
»Sorry, habe dich noch gar nicht richtig begrüßt. Mensch, dir muss es ja wirklich gut gehen, wenn du dir so einen rasanten Untersatz leisten kannst«, fing Gabriel auf seine Art die von mir neugierig erwartete Konversation an, denn über Handy hatten wir uns nur verabredet und seitdem noch nicht über alte Zeiten gesprochen. Das wollten wir heute tun. - »Na ja, jetzt geht es langsam wieder bergauf«, antwortete ich. »Weißt du«, fuhr ich fort, »wenn du im Leben so viel Pech gehabt hast, wie ich, dann magst du an gar nichts mehr glauben, geschweige davon reden, vor allem dann, wenn es dir auf einmal wieder etwas besser geht.« - »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, was ist passiert, erzähl’?«, fragte er. - »Ach, was soll ich dich damit belasten, es bringt doch nichts. Lass uns lieber über unsere Jugendstreiche reden.« - »Quatsch nicht so ein dummes Zeug, komm erzähl schon. Vielleicht hilft’s ja«, forderte er mich auf. - »Na gut, wenn's dir nichts ausmacht, vielleicht hilft es ja wirklich«. So begann ich meinen Monolog bei 250 km/h, indem ich meinem Freund Gabriel von meiner beharrlichen Pechsträhne berichtete, die ich mir bis heute ganz und gar nicht so richtig begreiflich machen konnte.
Meine Kindheits- und Jugendjahre hatte ich einigermaßen unbeschadet überstanden, nur ab und zu wurde ich mit dem kleinen Pechvogel konfrontiert. Immer wieder heftete er sich an meine Ferse, um mit mir eine lang andauernde Partnerschaft einzugehen. Nur bemerkte ich es nicht, und wenn ich es bemerkte, wollte ich es nicht wahr haben oder ich nahm es nicht so wichtig, weil ich zwischendurch wieder abgelenkt wurde?
»Tja«, fing ich an, » es ging mit meiner Pechsträhne erst so richtig los, als wir uns beide nach dem Abitur aus den Augen verloren hatten und meine Eltern beim Flugzeugabsturz umkamen.« Ich mochte auf das Unglück meiner Eltern nicht mehr eingehen und wollte gerade weiter reden, als Gabriel mich mit weit aufgerissenen Augen und Mund anstarrte und mich am linken Arm packte. Beinahe hätte ich die Kontrolle über den Wagen verloren und korrigierte meine Fahrtrichtung. »Entschuldigung, was hast du da gerade gesagt? Deine Eltern…« Ihm war sichtlich die Sprache weggeblieben, denn Gabriel konnte davon nichts wissen, weil ich mit niemandem mehr nach der Tragödie Kontakt haben wollte. Ich fuhr fort, ohne auf seine weiteren Reaktionen zu warten: »Siehst du die kleinen Narben hier an meinem Kinn? Das war meine erste Begegnung mit dem Fußboden.« - »Halt bitte mal sofort auf dem nächsten Parkplatz an, mir ist schlecht«, bekam ich die fast drohende Aufforderung von ihm. Bei der nächsten Gelegenheit fuhr ich auf einen leeren Autobahnparkplatz, der ringsherum mit hohen Bäumen umgeben war und bremste kräftig, so dass Gabriel trotz Gurt mit seinem Kopf fast gegen die Frontscheibe schlug. Der Superwagen hatte sehr gute Bremsen und stand. Mein Beifahrer holte tief Luft, stieg aus dem Wagen, wanderte auf und ab und kam zurück. Auf die Wagentüre gestützt, sagte er: »So jetzt noch mal ganz von vorne», und ich erzählte ihm in ruhigem Ton die ganze Geschichte mit meinen Eltern, von der er weder etwas gelesen noch gehört hatte.
»Verstehst du«, ich schluckte kurz und fuhr fort, »als 20jähriger Vollwaise musste ich mich ab da plötzlich durchschlagen. Wie aus heiterem Himmel war ich auf dem tiefsten Punkt. Das ist dein Preis gewesen, dachte ich. Meine Gedanken taumelten nur so vor mir hin. Das kann doch noch nicht alles in deinem jungen Leben gewesen sein. Wie ein hilfloses Häufchen Elend hockte ich da. Ich war Wut entbrannt und versuchte mich krampfhaft zusammen zu reißen. In diesem Moment, erinnerte ich mich an die Worte meines Vaters, der in niederschmetternden Situationen sagte: „Kopf hoch mein Junge, noch ist nicht aller Tage Abend. Kämpfe, und du wirst siegen und lass dich nicht unterkriegen.“ Aber womit sollte ich anfangen zu kämpfen. Mir fehlte in dem Moment die Kraft dazu. Der schier unüberwindbare Berg, der sich vor mir auftürmte, drohte meine Seele, die wie ein ausgequetschter Schwamm da lag, noch platter zu drücken.« Als ich fertig war merkte ich, dass Gabriel fast wütend wurde und mich mit nicht endend wollenden „Warum - Fragen“ torpedierte. Im zweiten Akt kamen seine Selbstvorwürfe, für mich nicht da gewesen zu sein. »Gabriel, hör zu! Das Thema ist längst gegessen. Ich habe es gut überwunden. Nun hör auf, dich da hinein zu steigern. Mama und Paps sollen in Frieden ruhen. O.K.?« - Mit einem tiefen Seufzer ant-wortete er: »O.K.«. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigt hatte und wir setzten unsere Probefahrt fort, ohne das Thema noch einmal zu streifen. Ich versuchte da anzuknüpfen, wo ich von ihm unterbrochen worden war. Ob das jetzt richtig war, wusste ich nicht, aber ich tat es einfach. Sollte er mich doch unterbrechen wenn ihm mein Monolog zu langweilig würde? Also weiter.
»Siehst du die kleinen Narben hier an meinem Kinn? Das war meine erste Begegnung mit dem Fußboden. Als Säugling übte ich schon mit der Milchflasche in der Hand das Wickeltischspringen, nur die Landung hatte ich noch nicht eingeübt. Ich muss danach im Gesicht wie ein Fakir ausgesehen haben, erzählte Mutter mir später. Alles voller Glassplitter. Die kleine Pechvogelsträhne sollte anhalten, weil auch mein erster richtiger Schneidezahn nicht lange bei mir bleiben wollte. Auf dem Schulweg stürzte ich unglücklich hin und verlor ihn dabei. Er kullerte in den Kanalgully und war für immer weg und mein Colgate-Lächeln war schon in frühester Kindheit ruiniert.« - »Oh ja, ich erinnere mich gut daran. Wir lagen beide auf dem Bauch und suchten ihn in dem dunklen Kanalloch. Das kam davon, weil du dich für das Nachbarmädchen mehr interessiertest, als auf den Schulweg zu achten«, warf Gabriel schmunzelnd ein. Gott sei Dank taute er langsam wieder auf und wurde der Alte - »Und dann begann unsere gemeinsame Schulzeit. Weißt du noch, als ich mich auf Rollschuhen an deinem Fahrradgepäckträger festhielt und es mich mit grandiosem Tempo an der Bordsteinkante niederhaute. Mann oh Mann, diese Gehirnerschütterung hat gewiss etwas bei mir zurückgelassen.« Lauthals lachten wir darüber. So zog es sich bis heute wie ein purpurroter Faden durch mein ganzes Leben. Einerlei was ich anfing, mir sollte einfach nichts gelingen. Vieles begann ich an und hörte vorher wieder auf, weil immer irgendetwas dazwischen kam und meine Pläne durchkreuzte.
»Und dann ging es eigentlich erst richtig los. Der große Pechvogel löste den Kleinen ab«, fuhr ich fort. »Kannst du dir vorstellen, dass zwei kleine lächerliche Batterien mich um mein wichtigstes Vorstellungsgespräch gebracht haben? Ich glaube kaum. Dieser vermaledeite Wecker war daran schuld, dass ich meinen Termin gänzlich verschlief und viel zu spät kam. Aus, vorbei! Was tun? Sich selbstständig machen? Na klar, dann bist du dein eigener Chef. Kaum hatte ich die Firma gegründet, ging ich buchstäblich damit den Bach hinunter. Zu allem Übel brannte gleichzeitig meine damalige Freundin Bea mit einem Anderen durch. Sie beliebte nicht länger mit einem Looser zusammenzubleiben, denn sie strebte nach Höherem. Oh, wie war das Leben doch schön! Wenn es einmal richtig kommt, dann kommt es dicke. Zur Firmenpleite und zur Trennung gesellte sich dann auch noch ein blödsinniger Skiunfall. Wenn es nur bei einem Beinbruch geblieben wäre, hätte ich ja noch nichts gesagt. Aber nein, mit meinem zusätzlich ausgekugelten Arm konnte ich nun auch die Leute begrüßen, die hinter mir standen, ohne dass ich meinen Kopf zu drehen brauchte. Doch aller guten Dinge sind drei, denn wenn schon denn schon. Deshalb durfte ich mich zur Belohnung auch noch auf den OP-Tisch legen, um mir meinen Beckenbruch operieren zu lassen. Nach meiner längeren Genesung freute ich mich, endlich wieder in meine vier Wände zu kommen.« Gabriel bekam meinen Seufzer mit, doch ich legte noch einen oben drauf. »Als ich dachte, dass endlich Ruhe eingekehrt war, ging es schon wieder los. Mein fotogenes Porträt übte eine magische Anziehungskraft auf Radarfallen aus. Es wurde als Dauerabonnent in der Verkehrssünderkartei gespeichert und machte mich zum unfreiwilligen Aufbewahrer von Strafzetteln. Sie häuften sich bei mir zu Hause wie die Kassenbons eines Bistros, und mein Kontostand in besagter Kartei war dominierender, als der in meiner Bank. Die Pechsträhne gelüstete zu bleiben. Schon meldete sich meine Geschicklichkeit zurück. Beim Schuhplattler auf der Seife im Bad wurde ich mit meiner zweiten Gehirnerschütterung prämiert. Immerhin hatte ich dann während meiner Erholungsphase etwas Ruhe. Begehrst du noch mehr zu hören?«, fragte ich spöttisch. Gabriel schüttelte bejahend den Kopf und griente vor sich hin.
Ich musste eine Pause einlegen, da mir die Luft wegblieb. Meine Liste setzte ich fort. Sie schien nicht abreißen zu wollen, und ich beobachtete meinen Freund, wie sich sein Mienenspiel in die verschiedensten Varianten verwandelte. Trotz allem war er ein heilsamer Zuhörer. »Nun, muss doch zu guter letzt diese Pechsträhne mal ein Ende haben«, dachte ich laut. »Bisweilen glaube ich, dass ich keinen Schutzengel habe. Hätte ich einen, fühlte ich mich von ihm abgrundtief im Stich gelassen.« - »Im Grunde müsste jeder Mensch einen Schutzengel haben, der ihn auf seinem Lebensweg begleitet und auch ein bisschen Glück bringt«, räumte Gabriel ein. - »Ich habe bestimmt keinen gehabt«, entgegnete ich. »Und wenn ich einen hätte und ihm durch Zufall begegnete«, fuhr ich fort, »würde ich ihm stehenden Fußes einmal so richtig meine Meinung sagen oder ihm sogar den Hals umdrehen. Ja, ich würde ihm sagen, dass er mich kläglich im Stich gelassen und mir das Dasein bleischwer gemacht hat. Für mich wäre er ein stinkfauler Adlatus.« Ich musste mich wirklich im Zaume halten, sonst hätte ich mich ohnehin noch mehr hineingesteigert. Gabriel versuchte mich ein wenig zu beruhigen, indem er mich auf meine jetzige Lage hinwies. »Genieße den Augenblick, der jetzt da ist. Schau nicht zurück. Bekanntlich bringt dich das nicht nach vorne«, spornte er mich an. »Ich habe in meinem Leben auch nicht dauernd Glück gehabt, und trotz allem ging es so oder so immerzu weiter.« - »Aber solch ein Pech, wie ich bis jetzt hatte, hast du nicht gehabt, und das entmutigt einen nach vorne zu schauen«, musste ich ihm antworten. Mir war schon klar, dass Gabriel versuchte, sein Tröstendes zu geben. Von wem sollte ich diese Aufmunterung denn sonst bekommen, als von meinem einzigen und besten Freund. Schließlich hatte ich niemanden mehr. - »Schau«, fuhr er fort, »du hast doch zweifellos aus deiner Vergangenheit gelernt. Und wenn du tatsächlich keinen Schutzengel hast, dann musst du dir selbst helfen. Hättest du einen, wäre er, wie du sagst, stinkfaul.« Gabriel redete sich allmählich auch etwas in Rage, beruhigte sich aber damit, dass wir endlich wieder einmal miteinander reden konnten. Unsere Probefahrt ging ohne jede Komplikation zu Ende. Den Wagen lieferten wir gemeinsam im Autohaus ab. Ich entschied ihn zu kaufen und ihn in der nächsten Woche dort abzuholen. Gabriel lud mich zum Abschied noch ins Café Cheval ein, und wir verabredeten, uns jetzt häufiger zu sehen. Unsere Handynummer hatten wir ja ausgetauscht, sodass wir uns nicht mehr aus den Augen verlieren konnten.
Die nächste Woche war angebrochen, und ich holte meinen neuen Wagen beim Autohändler ab. Ich fühlte mich zum ersten Mal als Glückskind. Nun ging es nur noch aufwärts. Ich konnte es kaum fassen, den Wagen, den ich mit meinem Freund Probe gefahren hatte, jetzt mein eigen nennen zu können. Voller Stolz setzte ich mich hinter das Mahagonilenkrad, steckte den markanten Zündschlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an. War das ein Geräusch. Meine Mundwinkel reichten jetzt bis zu meinen Ohrläppchen, als ich mich mit einem kurzen Wink vom Autoverkäufer, den ich gerade noch im Rückspiegel sah, verabschiedete und vom Hof fuhr. Für einen kurzen Moment kamen mir ungläubige Gedanken in den Kopf, aber dann dachte ich an meinen Freund Gabriel, der mir gesagt hatte, den Augenblick des Glücks zu leben und zu genießen. Wie Recht er hatte. Die Sonne kam heraus, und ich drückte auf den Knopf der Konsole, der mein Cabrioverdeck langsam öffnete. Alle Gefühle schienen zu explodieren. Ja, es war ein Glücksgefühl, ein gutes Gefühl. Freiheit. Tief durchatmen und mit einem Jauchzer ab ins neue Leben.
War ich das? Nein, das konnte ich nicht sein. Ich doch nicht. Mein Bewusstsein schien auf Wolke sieben zu schweben, nein es schien nicht nur, es schwebte. Es war wie in Trance, wie ein Traum, der Wirklichkeit geworden war.