Der Fluch von Burton Hall - Laura Foster - E-Book

Der Fluch von Burton Hall E-Book

Laura Foster

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Beschreibung

Lisa muss unbedingt den uralten Fluch loswerden, der auf ihrer Familie lastet. Könnte der merkwürdige Kristall in ihrem Medaillon etwas damit zu tun haben? Die Spur führt sie nach London, wo sie eine unglaubliche Entdeckung macht ... Band 3 der Fantasy-Reihe

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Seitenzahl: 372

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2016Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2016 Ravensburger Verlag GmbHLektorat: Sabine FranzUmschlaggestaltung: Carolin Liepins, verwendete Motive von © Nikolaus Schäffler, © Nella/Shutterstock, © Anna Chelnokova/Shutterstock und © akiyoko/ShutterstockAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47775-3www.ravensburger.de

Für J.

Wie zum Teufel bin ich hierhergekommen und was will ich hier überhaupt?

Es ist irre kalt und ich kann nicht wirklich erkennen, wo ich bin. Es muss inzwischen später Nachmittag sein, unheimliche Nebelschwaden wabern um mich herum. Ich kneife die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und lasse meinen Blick vorsichtig umherschweifen. Oh. Ich stelle fest, ich sitze auf dem Dach unseres Häuschens in Cliffmoore. Hallo? Auf dem Dach? Macht das irgendeine Art Sinn? Hm. Nein. Tut es nicht. Außerdem zieht’s hier gewaltig. Ich blicke hinunter auf das Notizblatt in meiner Hand und komme langsam zu mir. Mir fällt ein, was passiert ist: Ich habe Fragen auf den Zettel geschrieben, die mich erst in die Verzweiflung und dann aufs Dach getrieben haben.

Ein bisschen Wind wäre jetzt gut, der könnte nicht nur den Nebel wegfegen, sondern mir auch den Kopf freipusten. Was dringend nötig wäre, denn auf diesem Zettel stehen lauter ungelöste Fragen, die mich schon seit Monaten fürchterlich beschäftigen. Dummerweise habe ich keine schlüssigen Antworten darauf, und das hat mein Leben in eine gehörige Schieflage gebracht, speziell was Ben und mich angeht.

Ich stöhne, doch der wattige Nebel schluckt jedes Geräusch. Ben ist der schnuckligste Junge der Fultonthorpe Grammar School, in den ich mich gleich bei unserer Ankunft hier in England verliebt habe. Nur leider hat unsere Liebe ein klitzekleines Problem: Sie steht unter keinem guten Stern. Und wenn ich daran etwas ändern möchte, brauche ich Antworten, und zwar bis morgen Früh, denn dann gehe ich mit Ben und meinen anderen Mitschülern auf Klassenfahrt. Mal wieder. Eine angenehm luxuriöse Situation, weil unsere Klassenstufe dieses Jahr, verglichen mit dem Rest der Nation, blödsinnig erfolgreich war. Nur dass wir diesmal nicht nach Edinburgh, sondern nach London fahren (und welches vierzehnjährige Wesen würde sich darüber schon beschweren wollen?). So weit, so gut. Doch abgesehen von dem offiziellen, garantiert gnadenlos lehrreichen Programm, das uns in London erwartet, muss ich mich entscheiden, ob ich dort weiter meiner geheimen Mission nachgehen will oder ob ich es besser lasse, um die angeknackste Beziehung zu Ben nicht noch weiter zu ruinieren.

Meine Mission? Ebenjenen Fluch besiegen, der unsere und Bens Familie seit Generationen eisern im Griff hat, er hat unserer Liebe bisher weiß Gott nicht gutgetan. Und nun sitze ich hier, auf dem Dach von Oma Judiths (jetzt unserem) Häuschen, und bin verzweifelt, richtig erstklassig verzweifelt. Auch wenn ich mittlerweile daran gewöhnt bin, denn unter dem Strich stellt sich hier mal wieder eine hübsche Variante der Lisa-Verschwörung dar.

Nachdenklich starre ich auf den Zettel in meiner Hand, doch der Nebel ist so dicht, dass ich buchstäblich nichts sehen kann. Egal. Ich weiß auch so, welche Fragen dort stehen. Erstens: Ist es möglich, dass ein Bergkristall einen Fluch in sich trägt, oder besser: zwei? Einen unter guten Vorzeichen und einen unter bösen?

Nächste Frage: Ist es möglich, dass ein Bergkristall Geschwister haben kann, die in der Lage sind, einen oder diverse Flüche aufzulösen, wenn man die Teile nur wieder zusammenfügt?

Während ich da so sitze, vor mich hin grüble und vor Kälte mit den Zähnen klappere, kommt plötzlich heftiger Wind auf, und ich habe Mühe, mich am Dachfirst festzuhalten. Ich fände es ganz sinnvoll, von dem Windstoß nicht heruntergefegt zu werden, denn schließlich will ich nach London fahren. Ich will meine Mission endlich zu Ende bringen, will Fragen auf meine Antworten finden und endlich, endlich alles aus dem Weg räumen, was zwischen Ben und mir steht (und das ist eine ganze Menge). Und auch was Mama und Papa angeht, bin ich mir sicher, dass der Fluch, familientechnisch gesehen, auch für sie nicht gerade von Vorteil ist. Immerhin bekomme ich in diesem Augenblick klarere Sicht, und das ist doch schon mal was. Leider geht bei dem Rettungsakt mein Notizblatt flöten und segelt in eleganten Bögen sachte in die Tiefe. Verträumt sehe ich ihm hinterher.

»Hey«, ruft eine Stimmen von irgendwoher. »Nicht springen!«

»Warum nicht?«, ist meine automatische, leicht saure Reaktion.

Meine Stimmung, klar, ist gerade nicht die allerbeste.

Ich sehe auf und entdecke jemanden, der in ungefähr zehn Metern Entfernung mit dem Rücken am Schornstein lehnt. Ähm, habe ich hier irgendetwas verpasst?

Ich sehe zweimal hin und würde mir die Augen reiben, hätte ich denn eine Hand frei. Das ist … tatatataaa! Jack, einer der faltenreichen Zwillingsknautschis aus Schottland, aus der Heimat meiner Vorfahren. Interessant. Ich denke gar nicht groß darüber nach, wo der auf einmal herkommt.

Es gibt nur eine logische Frage an Jack.

»Wo ist Jim?«

Jack deutet mit dem Kinn nach unten auf den Weg, der zu unserem Häuschen führt. Dort steht Jim mit dem Tandemfahrrad und winkt fröhlich zu mir herauf. Klar, warum auch nicht? Die beiden waren schon immer überraschend zur Stelle, wenn Not am Mann war. Sie haben das Dach repariert, nachdem unsere übelwollende Nachbarin, unrühmlich bekannt als Diplom-Hexe Edna Cumberland, einen Brand in unserem Dachstuhl verursacht hatte. Und sie haben mir mein Medaillon mit dem schützenden Bergkristall wiederbeschafft, das sich besagte Witch unter den Nagel gerissen hatte.

»Komm runter!«, ruft Jim. »Bevor du dir noch den Hals brichst!«

Da kommt schon die nächste Windbö auf und rüttelt mich gewaltig durch. Ich kann mich gerade noch halten und sehe Hilfe suchend zum Schornstein hinüber, aber Jack ist schon weg. Und der Nebel ist wieder da. Mit klopfendem Herzen bewege ich mich ganz vorsichtig kriechend rückwärts zum Dachfenster, aus dem ich gekommen bin. Ganz schön mühsam, die Aktion, keuch, ächz, schnauf. Mit weichen Knien klettere ich wieder hinein. Geschafft!

Wenn die Knautschis schon extra gekommen sind, um mich zu retten, kann ich mich wenigstens bei ihnen bedanken, denke ich erleichtert. Also laufe ich die Treppen hinunter und trete vor die Haustür. Nur ein leichter Hauch von Nebel liegt noch über dem Vorgarten und der New Moon Lane, ansonsten ist weit und breit niemand zu sehen. Äh, hallo? Ich drehe mich um die eigene Achse, nichts. Das Ganze noch mal rückwärts, nichts. Jack ist weg, Jim ist weg, das Tandem ist weg. Aha. Der Triumph der Illusion über die Wirklichkeit? Oder umgekehrt?

»Child, was machst du bloß für Unsinn?«, höre ich eine aufgeregte Stimme hinter mir ausrufen und drehe mich noch einmal um. Vor mir steht, so breit wie hoch, meine Großtante Rose, Schwester meiner Lieblingsoma Judith und Haushälterin meiner Erzfeindin Edna. In schwarzer Dienstbotenkluft mit spitzenumrandeter weißer Schürze und dazu passendem weißem Häubchen, ein Mensch gewordener Gruß aus dem vergangenen Jahrhundert. Sie kommt auf mich zu und schließt mich in die Arme. Ich versinke genussvoll in ihrem weichen Busen.

»Ich habe einen Riesenschreck bekommen, als ich dich auf dem Dach entdeckt habe. Dear, oh dear. Was wolltest du nur da oben?«

Kann ich, ehrlich gesagt, momentan auch nicht beantworten. Mein Gemüt befindet sich derzeit in einem Zustand umfassender Verwirrung. Rose legt mir den Arm um die Schultern und führt mich ins Haus. Bereitwillig folge ich ihr und schaue in ihr gütiges Gesicht.

»Hagebuttentee?«, frage ich mit kläglicher Stimme.

»Hagebuttentee«, antwortet Rose mit Nachdruck.

Ein zarter, süßer Duft wie von Rosenblüten zieht durch den Raum. Ich sitze im Wohnzimmer in Omas großem, plüschigem Sessel, meinem schützenden Heim im Heim, halte mit leicht zittrigen Fingern meine Teetasse fest und lasse meinen Blick über die honigbraunen Holzdielen, den roten Perserteppich und das samtbezogene Sofa zur Glasvitrine wandern, in der Oma einiges an Kristallgetier gesammelt hat.

Der Nebel draußen hat sich inzwischen verzogen und gleißenden Sonnenstrahlen Platz gemacht, die durch die Fenster zu uns ins Zimmer dringen. Friedlichste Sonntagnachmittagsstimmung. Die Strahlen brechen sich im Kristallschliff der Tiere und lassen sie in allen Farben des Regenbogens funkeln. Neben Einhörnern in verschiedensten Größen erstrahlt auch ein Löwe in hellem Glanz. Es ist nicht der einzige Löwe hier im Haus, was allerdings nicht verwunderlich ist, schließlich stammt Mamas Familie aus Schottland, genauer aus dem Clan der Bruce, und die haben den Löwen als Wappentier. Das Einhorn und der Löwe sind die Herrscher des Tierreichs, und ich weiß, dass Bergkristalle dem Tierkreiszeichen Löwe zugeordnet sind. Der Kristalllöwe scheint sich jedenfalls ganz wohlzufühlen in seiner Vitrine. Moment mal. Hat er mir gerade freundlich zugeblinzelt? Ich ertappe mich dabei, wie ich zurückblinzle und haue mir innerlich dafür auf die Finger. Bin ich denn gaga?

Mein Blick schweift weiter zu Rose, die auf dem Schemel vor mir hockt. Wir nippen an dem wohlig warmen Tee aus Omas zart geblümten Porzellantassen und stellen sie auf dem kunstvoll mit Intarsien geschmückten Beistelltischchen ab, das natürlich das schottische Wappen zeigt. Weißes Einhorn links, weißes Einhorn rechts, Wappenschild in der Mitte und oben drauf ein kleiner roter Löwe, der vor Lachen zu brüllen scheint. (Humorvolle Nation, die Schotten.) Langsam kehrt das Leben zu mir zurück.

»Du hast sie doch auch gesehen?«, frage ich Rose vorsichtig.

»Wen gesehen?«, entgegnet Rose.

»Na, die Jungs«, erkläre ich und gehe davon aus, dass meine Knautschis auf beziehungsweise vor dem Haus nicht zu übersehen waren.

»Welche Jungs?« Rose sieht mich mit einem Blick an, als hätte ich hohes Fieber inklusive galoppierender Wahnvorstellungen. »Ich habe nach dir gerufen, aber du hast nur in die Luft gestarrt. Ich hatte Angst um dich.«

Oh, sage ich mir, das war wohl nichts. Ich glaube, ich beharre besser nicht auf diesem Thema.

»Vergiss es«, sage ich und mache eine wegwerfende Handbewegung. »Ich dachte bloß, ich hätte … ach, vergiss es einfach.«

»Was hast du denn für Sorgen, sweetie?«, fragt Rose und sieht mir forschend in die Augen.

Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen. Irgendwie sind heute meine Probleme einfach in einer großen Woge über mich hinweggeschwappt und haben mich unterspült. Ich fange vorsichtig mit meinem Hauptproblem an.

»Es ist wegen Ben«, antworte ich. »Er redet nicht mehr mit mir. Oder ich mit ihm. Seit unserem Knatsch auf der Klassenfahrt gehen wir in der Schule stumm aneinander vorbei. Das ist doch kein Zustand, oder? Ich meine, ich habe ihn immer noch lieb. Er ist mein Freund, irgendwie, trotz allem. Wir haben ein paarmal versucht, uns auszusprechen, aber es ist alles so furchtbar kompliziert, und ich weiß nicht, wie ich unser Verhältnis endlich geregelt kriege.«

Ich merke, wie ich immer schneller spreche.

»Es ist so viel passiert in letzter Zeit und mein Vertrauen zu ihm ist futsch. Ben hat sich zu sehr auf Edna eingelassen und ihr tatsächlich als Spion gedient. Aber das weißt du ja alles schon. Das Problem ist: Woher soll ich wissen, ob er das nicht immer noch macht? Oh Gott, ergibt das überhaupt alles Sinn? Jetzt habe ich dich total vollgequatscht, sorry.«

»Nein, nein, ist schon in Ordnung«, meint Rose, sieht allerdings noch besorgter aus als vorher. »Und weiter?«

Weiter? Okay. Damit kann ich dienen.

»Ich habe das Gefühl, ich kriege keine Luft mehr. Was in Edinburgh passiert ist, hat mich total gestresst. Ich möchte mal wieder Spaß haben. Einfach so. Ich möchte Spaß haben auf meiner Klassenfahrt in London wie jeder andere, ist das zu viel verlangt?«

»Was noch?«, fragt Rose geduldig.

»Und dann noch Ashley!«, platzt es aus mir heraus, und ich sehe Bens bitchige Cousine vor mir, mit ihren langen brünetten Haaren, dem übertriebenen Make-up und ihrer Schleimer-Clique, die sie wie einen königlichen Tross hinter sich herzieht. »Jede freie Sekunde klebt sie an Ben, als hätte sie einen Exklusivanspruch auf ihn, und intrigiert gegen mich, dass es nur so quietscht. Und natürlich kriegt sie mit, dass ich deswegen ständig kurz vorm Überkochen bin. Und jetzt kommt die Klassenfahrt, und das wäre eigentlich die Chance meines Lebens, wenigstens den Versuch zu machen, Ben zurückzugewinnen.«

»Aber?«, wirft Rose ein.

»Aber?«, rufe ich. »Du weißt, was das Aber ist.«

»Der Kristall?«

Ich nicke grimmig. »Anstatt mich wie alle anderen in London zu amüsieren, muss ich den Kristall aus meinem Medaillon in die schottische Königskrone bugsieren. Das hab ich inzwischen kapiert. Aber wie soll ich das anstellen?«, frage ich verzweifelt, und meine Gedanken wandern zurück nach Edinburgh, wo ich mit meiner Fluch-Auflösungs-Mission grandios gescheitert bin, weil die blöden Engländer die Krone nach London verschifft haben. »Ich weiß, ich weiß«, fahre ich fort, ehe Rose mir antworten kann. »Ich muss nur den einen Fake-Stein in der Krone durch meinen Bergkristall ersetzen, dann löst sich der Fluch, der seit Jahrzehnten auf unseren Familien lastet, in Wohlgefallen auf. Richtig? Dann passiert nicht mehr so was Schreckliches wie in Edinburgh der Kampf um Opa Angus’ Gold. Dann hört Edna auf, uns zu verfolgen, und Ben und ich wären frei. Und Ashley würde sich vielleicht mal einkriegen. Aber wer sagt mir, dass es wirklich das Mittel ist, den Fluch zu lösen, und dass ich an die Krone im Tower überhaupt herankomme, wenn wir in London sind?«

Rose seufzt. »Ach, my precious, was soll ich dir raten? Als Erstes: Halte dich von dem Gold fern. Es verändert den Charakter und bringt kein Glück, im Gegenteil, es macht böse und gierig.«

Sie sieht mir ernst in die Augen und ich nicke artig – was keine große Kunst ist, schließlich ist das Gold, das ich in Edinburgh gefunden habe, nicht in meinem Besitz. Trotzdem weiß ich, wer es nach einer schrägen Massenkeilerei an sich gebracht hat. Sein Name ist Walter Lorenz, er ist zufällig mein Vater und schweigt seit dem Vorfall hartnäckig, wann immer ich ihn auf dieses Thema anspreche. Zwar hat er mir gestanden, dass er das Gold an sich genommen hat und immer noch besitzt, aber warum, wieso, weshalb das Ganze, das will er mir nicht sagen.

»Aber der Kristall«, fährt Rose fort und reißt mich aus meinen Gedanken, »der Kristall, dem folge, er geht seine eigenen Wege, er gehört sich selbst.«

Wow. Klassische Rose-Worte. Tief und unverständlich, die habe ich schon immer geliebt. Was soll ich denn bitte damit wieder anfangen?

»Du hast es oft gehört, du bist es. Du bist für diese Aufgabe auserwählt«, fährt Rose fort. »Hattest du das nicht schon akzeptiert?«

Ich zucke mit den Schultern. Inzwischen liegt mein Besuch bei Deirdre, einer skurrilen, freundlichen alten Dame von Roses Kaliber, schon eine Weile zurück. Sie hat mir von dem Fluch, der auf uns Coopers und den Cumberlands lastet, erzählt. Und sie hat mir gesagt, dass ich die Hüterin des Kristalls bin. Doch ein Beweis für all das wäre ganz nett. Ein Beweis dafür, dass ich nicht einfach nur völlig übergeschnappt bin und mich furchtbar in diese Fluch-Sache verrannt habe.

»Du willst Fakten«, sinniert Rose, als hätte sie in meinen Kopf geschaut. »Du willst dich erst auf deine Mission einlassen, wenn du Sicherheiten hast.«

Sie gluckst, als sei das absolut komisch. Super. Das kann ich jetzt besonders gut gebrauchen. Es ist doch eigentlich ganz einfach: Ich will, verflixt noch mal, nicht fahrlässiges Opfer meiner eigenen Einbildung und Spinnerei werden. Genau da liegt das Problem: Ich traue mir in meiner eigenen persönlichen Welt selbst nicht mehr, da sie seit geraumer Zeit mit allem möglichem Hokuspokus bis zum Überlaufen gefüllt ist.

»Natürlich will ich das«, teile ich Rose trotzig mit und verschränke die Arme vor der Brust, während ich wieder an Ben denke.

Durch diese umfangreiche Hin-und-her-Verwünscherei wird seit langer Zeit enorm schlechte Laune zwischen unseren Familien verbreitet. Jedenfalls würde Ben, der ausgerechnet zu den Cumberlands gehört, es garantiert für totalen Schwachsinn halten, wenn ich versuche, mich im Tower an die Krone heranzurobben. Der würde mich doch gleich in die Klapsmühle einweisen lassen. Und da sollte ich nicht auf Nummer sicher gehen wollen? Seriously?

»Ach, lassie.« Rose seufzt schwer. »Der Weg ist dein Ziel, verstehst du nicht?« Sie hält für einen Augenblick unschlüssig inne, dann scheint ein Ruck durch sie zu gehen. »Na gut. Du willst es wissenschaftlich? Sollst du haben. Ich kenne in London eine kundige Professorin für Kristallologie, Parapsychologie und Grenzwissenschaften.«

Kristallologie? Was es nicht alles gibt. Ich starre Rose mit offenem Mund an.

»Ihr Name ist Aurora Beatrix Lequeer. Sie ist die führende Naturwissenschaftlerin in der renommierten Janet Horne Society in London und dazu Spezialistin für historische Geologie.«

Geologie? Das ist es, beschließe ich. Und noch dazu historisch? Umso besser. Rose hat recht, diese Professorin wird mir sagen können, ob ein Bergkristall ein Eigenleben entwickeln kann oder ob ich einfach auf ein paar wunderliche alte Damen reingefallen bin. Dabei war ich schon mal viel weiter in meiner Entscheidung. Verdammt, ich möchte auch mal wieder ein normales Leben führen, ohne von irgendwelchen jenseitigen Scherzen belastet zu werden!

»Und wie …?«, beginne ich die Frage, wie ich an sie herankomme.

»Lass mich nur machen«, unterbricht Rose mich. »Warte es einfach ab.«

Na dann, was soll’s, los geht’s. Fest steht: Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, meine Neigung zum Übersinnlichen einem gnadenlos rationalen Härtetest zu unterwerfen. Siegt der unbestechliche Geist der Wissenschaft, könnte ich das ganze Fluch-Business kippen und meine gesamte Zeit und ungeteilte Aufmerksamkeit darauf verwenden, mein Verhältnis zu Ben zu reparieren. Ach, wäre das schön! Ich vermisse es so sehr, Zeit mit ihm zu verbringen. Am Fluss spazieren zu gehen, Mango-Smoothie zu trinken, mit ihm zu lachen, ihn zu küssen …

Ich seufze leise auf und spüre, dass mir durch die Aussicht auf eine Entscheidung eine Last von der Seele genommen ist.

Rose nickt zufrieden (für mein Gefühl ein bisschen zu zufrieden), als hätte sie irgendein Spiel schon gewonnen, dessen Spielregeln ich noch gar nicht kenne. Könnte ich bitte Genaueres über die Qualität ihrer Hintergedanken erfahren? Bevor ich eine höfliche, aber misstrauische Frage stellen kann, ertönt draußen ein lang gezogener, gellender Schrei. Fast wie ein Höllengelächter. Wer oder was war das? Rose zuckt zusammen und springt auf. »Ich muss los!«

Ich sehe sie ungläubig an. »War das Edna, die nach dir gerufen hat?«

Rose schüttelt den Kopf. »Ich hoffe, es war kein böses Omen.« Sie blickt in Richtung der Villa und sieht plötzlich beunruhigt, ja beinahe ängstlich aus. Dann strafft sie sich und wendet sich mit festem Blick zu mir. »Hab keine Angst, child. Ich wünsche dir viel Glück auf deiner Reise«, murmelt sie beschwörend und streicht mir mütterlich über die Haare. »Sei tapfer und wundere dich nicht.«

Ich spüre, wie sich meine Augenbrauen zusammenziehen. Also, ich habe keine Angst. Sie hat Angst.

»Wie meinst du das? Worüber soll ich mich nicht wundern?«, frage ich argwöhnisch.

»Der Weg mag verschlungen und gefährlich scheinen«, raunt sie. »Aber das Ziel liegt schon hinter dir. Zeit bedeutet nichts.«

Ich starre sie an.

Really?

Die Haustür klappt hinter ihr zu und ich bin allein mit meinen Gedanken. Meine nebulöse Rose, wie ich sie schätze und verehre. Ein echter Klassiker eben.

Eine halbe Stunde später fliegen in meinem Zimmer die Kleidungsstücke durch die Luft. Ich packe für die Klassenfahrt mit Hochdruck Klamotten und sonstigen Kram in meine lila Reisetasche und frage mich, ob ich mich beim Schleppen dieser Unmengen an Zeug womöglich umbringen werde. Neben den Klamotten müssen da nämlich noch andere lebensnotwendige Dinge wie bunte Getränke, pfundweise saure Schlangen, Erdnussflips und ein paar Tafeln Schokolade rein. Immerhin werde ich mit meiner Klasse eine knappe Woche in London verbringen, da tun stärkende Kalorien not – abgesehen davon, dass es im Dezember auch in England kalt ist. Es schreit nach noch mehr Klamotten. Außerdem könnte es böse regnen. Und die Woche drauf winkt dann schon Weihnachten. Hoffentlich friert es nicht plötzlich. Brrrr … Noch ein dicker Pullover? Ein Regencape? Eine wuschelige Wollmütze? Ich hasse diese existenziellen Entscheidungen.

Inmitten meines Auswahlkampfes klingelt es an der Haustür. Wer soll das denn sein, heute, um diese Zeit?

Ich lasse Reisetasche Reisetasche sein, stürme gespannt nach unten und öffne die Tür, vor der ein Blumenbote steht, der mir einen in Papier verpackten Strauß entgegenstreckt.

»Lisa Lorenz?«, fragt er, und ich nicke. »Bitte sehr.«

Er drückt mir den Strauß in die Hand und schon ist er weg. Ich gehe in die Küche und wickle die Blumen aus. Es sind vier dunkelrote Rosen mit ein bisschen weißem Schleierkraut, zwischen denen ein Kärtchen steckt. Mit fliegenden Fingern reiße ich den kleinen Umschlag auf.

Freue mich auf morgen und unsere gemeinsame Reise! Love, Ben

Ich starre auf die Karte. Kneife die Augen zu. Mache sie wieder auf. Lese. Und lese noch mal. Das steht da wirklich und wahrhaftig. Knapp und kurz und eindeutig. Love, Ben. Wenn das keine gute Basis für eine Versöhnung ist … Juhu, damit kann ich arbeiten! Aber gemeinsame Reise? Da sind schließlich noch ein paar andere Leute dabei. Und wieso eigentlich vier Rosen, warum nicht drei oder fünf oder sechs? Wahrscheinlich reichte sein Geld nicht für mehr. Halt die Klappe, Lisa, rufe ich mich zur Ordnung, der Gedanke allein zählt. Schnell tippe ich eine Nachricht in mein Handy.

Danke für die wunderschönen Rosen!!! Ich freue mich auch!!! Luv u 2!!!

Ich suche eine Vase heraus, fülle sie mit Wasser und stelle die Rosen hinein. Sie sind tatsächlich sehr, sehr schön. Die Blütenblätter sehen aus, als wären sie aus schwerem, dunkelrotem Samt. Vorsichtig trage ich die Vase die Treppe hinauf in mein Zimmer und stelle sie auf meinem Schreibtisch ab. Ich arrangiere Rosen und Schleierkraut, damit sie ihre ganze Pracht entfalten können, fasse eine der Rosen ungeschickt an und steche mich prompt an einem Dorn.

Autsch, musste das jetzt sein?!

Dicke Blutstropfen quellen aus meinem Finger und fallen auf den Schreibblock, der auf dem Tisch liegt. Rot wie Blut und Rosen, denke ich und kriege Angst. Verflixt noch mal, ich brauche ein Taschentuch! Ich krame ein Papiertaschentuch hervor und drücke es auf die Wunde, damit sie aufhört zu bluten. Das hat gerade noch gefehlt, ist das ein schlechtes Omen? (Lisa, hör auf!)

Als es plötzlich an der Tür klopft, zucke ich zusammen. Ich bin so damit beschäftigt, meinen Finger zu drücken, der noch immer ziemlich wehtut, dass ich nicht gehört habe, wie Mama nach Hause gekommen ist. Momentan kann sie es nicht lassen, auch sonntags für ein paar Stunden ins Büro zu gehen. Ich weiß nichts Genaues, aber anscheinend stehen demnächst bahnbrechende Ereignisse in der Kleiderfirma an, die sie mit ihrem Chef und Verehrer Martin betreibt.

»Darf ich?«, fragt sie durch die Tür hindurch.

Schon diese zwei Wörter klingen so gut gelaunt, dass ich stutze.

»Komm rein, aber nicht erschrecken«, rufe ich.

Sie öffnet die Tür und erfasst die Lage mit einem Blick.

»Ich hole ein Pflaster«, kündigt sie an und kommt kurz darauf mit einem Pflaster wieder, das ein Einhorn-Motiv zeigt.

»Nicht dein Ernst!«, protestierte ich.

»Stammt wohl noch aus alten Beständen«, erwidert sie grinsend. »Sorry, aber ein anderes habe ich auf die Schnelle nicht gefunden.« Dann tupft sie die Wunde ab, klebt das Pflaster drüber, entdeckt die Rosen und zieht fragend die Augenbrauen hoch.

»Ben«, sage ich erklärend.

»Nett. Aber warum vier …?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Na, der Gedanke zählt«, meint sie.

Genau.

Und schon zieht sie mich ohne weitere Umschweife an sich.

»Und schon wieder bist du eine Woche weg«, flüstert sie in mein Haar und drückt mich fest an sich. »Ich werde dich vermissen.«

Ich drücke sie ebenfalls.

»Ich dich auch«, sage ich, während Rose mit ihrem geheimnisvollen, bedrohlichen Geraune unaufhörlich durch meine Gedanken spaziert.

Schließlich lässt Mama mich los. Staunend betrachtet sie das Ergebnis meiner Packpanik.

»Gut gemacht«, kommentiert sie meine Bemühungen. »Und das, nachdem du behauptet hast, du wüsstest nicht, was du mitnehmen sollst.« Sie seufzt schwärmerisch. »London ist eine tolle Stadt«, erklärt sie. »Ich wollte, ich könnte gleich mitkommen. Allein die Klamottenläden! Wir müssen unbedingt mal zusammen zum Christmas Shopping dorthin. Ich beneide dich.«

»Ich bringe dir was Schönes mit«, verspreche ich ihr.

»Das musst du nicht. Wenn ich Glück habe, komme ich dich vielleicht besuchen.« Noch ehe ich fragen kann, wieso, weshalb, warum, spricht sie schon weiter. »Ach, und vergiss nicht, deinen Vater anzurufen. Der ist nächste Woche auf der Modemesse, bei den traditionellen Fashion Days. Hat er sich noch nicht bei dir gemeldet?«

Ich schüttle den Kopf. Hat er nicht. Aber ich garantiere, dass ich das nicht vergessen werde, das nicht! Bemerkenswert ist, dass Mama mich von sich aus auf Papas Anwesenheit dort aufmerksam macht, obwohl sie, egal ob inner- oder außerhalb der Firma, ständig mit Martin zusammenhockt, mehr jedenfalls als mir (und Papa) lieb sein kann. Papa baggert in letzter Zeit verstärkt Mama an, die ihre Scheidungsklage aber nicht zurückziehen will.

»Könnte sein, dass Martin und ich ebenfalls bei den Fashion Days auftauchen«, nimmt sie ihren Gedanken von vorhin auf. »Du sollst dir vor allem selbst was Schönes kaufen.«

»Richtig«, sage ich. »Wie konnte ich das nur vergessen? Das bisschen Mode, das du brauchst, machst du dir ja selber«, konstatiere ich.

Sie lacht. »Ach, wenn du wüsstest …«

Meine Ohren wachsen auf Tellergröße. Was kommt jetzt? Die alles verändernde Information …?

»Was denn?«

»Ich rede zu viel«, weist sie sich selbst zurecht. »Wenn alles gut geht … Nein, egal, du musst dich nicht mit unseren Geschäftsplänen herumplagen. Nur so viel: Wenn alles klappt, wirst du dich wundern.«

(Ach, wirklich – erst dann?)

»Du machst Schluss bei Barkers? Und kündigst damit bei Ashton?«, will ich wissen. Leonard Ashton, der leidgeprüfte Vater meines Lieblingshassobjekts Ashley Bitch Ashton, steht auf einer Welchen-Chef-ich-meiner-Mutter-am-meisten-wünschen-würde-Skala nicht unbedingt ganz oben. »Du tust dich mit Martin zu einer eigenen unabhängigen Firma zusammen?«, rate ich weiter.

»Nein, nein, nein!« Mama wehrt meine Neugier-Attacke mit energisch wedelnden Händen ab. »Du musst abwarten. Ich hätte nichts sagen sollen.« Wie zur Ablenkung wirft sie einen Blick in meinen Waschbeutel. »Was würdest du sagen, wenn ich dir was von meinem Lieblingsparfüm mitgebe?«, fragt sie und lächelt verführerisch.

»Dein Butterfly Dream? Ist das dein Ernst?«

Mama nickt. Hammer. Ein ganz feiner Duft wie von elfenhaftem Blütenstaub. Ich denke an die Schmetterlinge in meinem Bauch, die zuletzt reichlich zaghaft vor sich hin geflattert und gerade wieder an den Start gegangen sind (ich sage nur: rote Rosen!), und an Bens Gesicht, wenn er diesen Duft an mir riechen würde. Schon sieht das Leben eine Schattierung schöner aus.

»Danke!«, rufe ich und umschlinge Mamas Hals mit meinen Armen.

»Ich gebe dir mein Reisefläschchen mit«, verkündet sie, löst sich von mir und verlässt das Zimmer.

Versonnen sehe ich zum Fenster hinaus auf die kahlen Äste der Bäume. Es wird Zeit für einen Tagtraum von Ben. Von Ben und mir. Von Ben und mir und einer aufregenden, vielversprechenden Reise, egal, wohin mein Weg mich führt. Für einen Moment meine ich zu begreifen, was Rose mir vorhin sagen wollte, dass der Weg das Ziel ist. Diesen Weg werde ich genießen, das schwöre ich mir.

Mitten in der Nacht werde ich wach, weil irgendetwas anders ist. Zuerst frage ich mich, was mich geweckt haben könnte – ein Geräusch hat mich jedenfalls nicht aufgeschreckt. Ich lasse meinen Blick über die Zimmereinrichtung gleiten, alles normal so weit. Schlagartig wird mir klar, dass ich alles ziemlich deutlich erkennen kann, es ist ungewöhnlich hell hier drin. Ist schon wieder Vollmond?

Ich lege meine Stirn in Falten, schlage die Bettdecke zurück und gehe hinüber zum Fenster. Unwillkürlich schlinge ich die Arme um meinen Körper, weil es mich fröstelt. Dann sehe ich hinaus und stelle fest: kein Vollmond. Stattdessen sind nebenan in Ednas Zuckerbäcker-Villa sämtliche Fenster taghell erleuchtet, inklusive der vielen Erkerfenster. Das Licht fällt auf ihren Rolls-Royce, der vor dem Haus steht und an dem gerade ihr fieser Chauffeur herumpoliert. Hä? Mitten in der Nacht? Was zum Teufel ist da drüben los? Feiert die einsame Hexe irgendein höllisches Lichterfest? Oder übt sie schon mal für die Festbeleuchtung zu Weihnachten? Der schlossähnliche Kasten kriegt durch diese Art Beleuchtung jedenfalls etwas verwirrend Magisches.

Gebannt starre ich hinüber und kann den Blick nicht davon lösen. Rums! Schlagartig gehen sämtliche Lichter aus. Es herrscht tiefschwarze Nacht. Was war das denn? Ein Kurzschluss, der Edna spontan in der Finsternis versenkt hat, war es bestimmt nicht. Für einen Moment kommt es mir vor, als hätte sie sich von mir beobachtet gefühlt. Vielleicht hat sie sich ja wieder irgendeine Gemeinheit ausgedacht und will nicht erwischt werden (schließlich haben wir noch ein paar Rechnungen offen). Dass sie mir ohne Zögern meinen schützenden Kristall klauen würde, damit sie mich fertigmachen kann, ist kein großes Geheimnis (auch wenn Ben das anders sehen und als kompletten Humbug abtun würde).

Ich reibe mir die Augen und entscheide mich dafür, nicht weiter darüber nachzudenken, sondern stattdessen wieder ins Bett zurückzuschlüpfen. Ich habe mein Medaillon bei mir und habe vor, es zu behalten. Soll die alte Witch doch machen, was sie will.

Ich falle umgehend in tiefen Schlaf und träume davon, dass ich von einem lustig fiependen Tier verfolgt werde, einem kleinen roten Löwen, der mit Karacho auf mich zudonnert. Ich will schon vor ihm davonrennen, da springt ihn ein anderer Löwe an – ein prächtiges, großes, goldenes Exemplar. Sie kämpfen und fauchen, der rote Löwe flieht, der goldene brüllt und nähert sich langsam von hinten einem Menschen, der sich als Ben entpuppt.

»Lauf!«, schreie ich, aber Ben sieht sich in aller Ruhe um und streckt seine Hand nach dem Löwen aus, die dieser mit einer blauen Zunge ableckt.

Schweißnass schrecke ich aus dem Traum hoch. Was hat das jetzt wieder zu bedeuten? Ich hasse diese verworrenen, bedrohlichen Träume und bin ja schon froh, wenn ich mal nicht von schwarzen Katzen, noch schwärzeren Raben oder Witch Edna mit der schwärzesten Seele der Welt gejagt werde. Aber ein Löwe mit einer blauen Zunge? Sigmund Freud, hilf!

Zu unserem Abschiedsfrühstück sitzen Mama und ich wie sonst auch am Küchentisch. Es ist besonders üppig ausgefallen, offenbar hat sie Sorge, dass ich in London in die Versorgungswüste gerate und vom Fleisch falle.

»Nicht vergessen, immer schön essen und trinken«, rät sie mir. »Zieh dich warm an und verlier nicht deine Sachen. Und wenn du da bist, ruf mich an oder schick mir wenigstens eine SMS.«

Ich fühle mich wie eine unmündige Sechsjährige bei so viel urgroßmütterlicher Fürsorge. Zu jedem ihrer Sätze nicke ich und sage: »Ja, Mama«, bis sie mir eine gut gemeinte Kopfnuss verpasst.

»Okay, okay, ich hab’s verstanden«, sagt sie. »Ich weiß, dass du so gut wie erwachsen bist, aber du bist und bleibst nun mal mein Baby.«

Pause.

»Manchmal benimmst du dich auch so.«

Na, vielen Dank auch, es wird immer netter. Ich nicke. »Ja, Mama.«

Sie lacht und gibt mir einen ziemlich dicken Kuss auf die Wange.

»Und was mache ich mit deinen schönen vier Rosen?«, fragt sie und deutet auf die Vase, die ich auf den Küchentisch gestellt habe.

»Die lasse ich dir«, erkläre ich. »Ich kann sie ja nicht mitnehmen, aber es wäre lieb, wenn du mir eine davon trocknen würdest, damit ich sie aufbewahren kann.«

»Mach ich«, erwidert sie.

In diesem Moment pingt mein Handy.

Viel Spaß in London, steht da. Und viel Glück mit dem, was auch immer du da gerade mit Ben am Laufen hast. Meiner benimmt sich zurzeit ganz ordentlich. Gib deinem Saures. Die brauchen das ;D Jur dschörmän Lieblingsgörlfränd

Paula! Meine Lieblingsfreundin aus Berlin, mit der ich damals an unserer Schule Überlebenstraining pur geübt habe. Sie schafft es in allen Situationen, mich aufzubauen, per SMS, per E-Mail, per Telefon. Ach, wie gern ich sie mal wieder sehen würde!

Thanx!, schreibe ich zurück. Ai du, ai will. Melde mich vom Piccadilly Circus XOXOXO

Draußen hupt es. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Ist das ein Taxi?«

Mama schüttelt den Kopf. »Martin hat es sich nicht nehmen lassen, uns beide am Bahnhof vorbeizubringen. Ich fahre mit ihm dann weiter ins Büro.«

Und schon klingelt es an der Tür. Ich folge Mama, sie öffnet und begrüßt Martin mit einer Umarmung, Küsschen links, Küsschen rechts. Ich wüsste gern, wie der derzeitige Stand ihrer Beziehung ist. Es geht zwischen den beiden immer munter hin und her und auf und ab, je nachdem, wie ihre geschäftlichen Meinungen auseinandergehen. Oder Papas gelegentliche Präsenz ihn eifersüchtig macht.

»Da ist ja unsere Weltreisende!« Er strahlt mich an und schließt mich kurz in die Arme. »Wo steht das Gepäck?«

Er hat etwas angenehm Zupackendes und befindet sich gerade in einer Phase zunehmender Ähnlichkeit mit George Clooney (was immer stark vom variierenden Umfang seines Pizza- und Bierkonsums abhängt).

»Theresa und Paul lassen dich herzlich grüßen. Theresa ist ganz neidisch, dass eure Klassenfahrt nach London geht.«

»Glaub ich sofort«, sage ich. Ich mag seine Kinder und manchmal praktizieren wir zusammen so eine Art Patchworkfamilie. »Sag schöne Grüße zurück!«

»Alles klar.« Er hebt meine Reisetasche an. »Was ist denn da drin? Lehrbücher und Wackersteine?«

Humor ist nicht wirklich sein Ding, aber er ist auf knuffige Art und Weise richtig nett. Er schleppt die Tasche zu seinem Kleinbus und verstaut sie hinten im Kofferraum, dann öffnet er die Seitentür, verbeugt sich und macht eine einladende Gebärde. »Bitte nähertreten zu wollen.«

Ich mache dankend einen komischen Knicks und steige ein. Martin lässt meine Tür zurollen, öffnet die Beifahrertür und lässt Mama einsteigen, anschließend setzt er sich mit elegantem Schwung hinter das Steuer, als wollte er demonstrieren, wie ein richtiger Mann Auto fährt.

»Fahr nicht so schnell«, bittet Mama ihn. »Ich will Lisa gern noch eine Weile behalten.«

»Aye, aye, Käpt’n.«

Er startet den Wagen und lässt ihn anrollen. Kaum hat er das Verbindungsstück zur oberen New Moon Lane erreicht, brettert mit brutalster Lichtgeschwindigkeit ein silberner Schatten an uns vorbei und nimmt uns die Vorfahrt. Edna Cumberlands Rolls-Royce, in dem ich ihren biestigen Fahrer Benedict am Steuer und danach seine hexige Herrin auf dem Beifahrersitz erkennen kann. Auf dem Rücksitz sind orientalisch bestickte Stoffkoffer zu bewundern.

»Ist der verrückt?«, schreit Martin und macht eine Vollbremsung.

»Yep«, stoße ich hervor, als hätte ich Schnappatmung und halte mich verzweifelt am Vordersitz fest, damit meine Schienbeine nicht zertrümmert werden oder mein Nasenbein Schaden leidet.

»Wohin will die denn verreisen?«, fragt Mama und setzt sich wieder zurecht. »Egal. Sind wir sie erst mal los, auch nicht schlecht.«

Ach, denke ich, das war es, Edna hat gestern auch gepackt. Aber warum nachts – und warum brauchte sie dafür so viel Licht? War schon eine mysteriöse Nummer. Aber für was Schräges war Edna ja immer zu haben. Auch Mama hat genug unter ihr gelitten, seit sie vor Jahrzehnten ihren Freund Rupert verloren hat, der Ednas Sohn war (eine lange, traurige Geschichte).

»Sorry«, meint Martin und fährt wieder an. »Ist sonst nicht meine Art.«

Martin wäre nicht Martin, wenn er nicht irgendwann anfangen würde, über das Geschäft zu reden, das Mama und er gemeinsam betreiben, eine Firma zum Design und Vertrieb von Frauenklamotten. (Sie designt, er vertreibt.)

»Mrs Wardour hat unsere neusten Umsatzzahlen berechnet. Wir stehen gar nicht so schlecht da. Ich denke, wir müssen die Firma nicht vergrößern.«

»Mmh«, macht Mama, was ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass sie eine andere Meinung hat und über das Thema nicht reden will.

Mrs Wardour ist die neue Buchhalterin, die die beiden sich wegen ihres großen Erfolgs in der letzten Zeit leisten können (geschuldet vor allem Mamas genialen Entwürfen). Die robuste Dame ist alleinerziehende Mutter von zwei mörderisch aktiven Zwillingssöhnen, die einem den letzten Nerv töten können. Jedenfalls scheint Martin ziemlich angetan zu sein von ihr.

»Wir reden später. Ich möchte nur nicht, dass wir uns übernehmen«, lenkt Martin ein und fährt mit schönem Schwung vor dem Bahnhof von York vor. Das lang gestreckte Gebäude aus dunkelgelben Klinkersteinen ist mir inzwischen als Ort des Ankommens und Abschiednehmens sehr vertraut.

Wir steigen aus dem Wagen und Martin hievt unter angestrengten Geräuschen meine knallvolle Reisetasche aus dem Kofferraum. Um uns herum lärmt es von hupenden Taxis und kreuz und quer fahrenden, hysterisch klingelnden Fahrradfahrern, und es stinkt nach Abgasen, dass mir die Luft wegbleibt.

Dann stehe ich vor Mama und es heißt Abschied nehmen. Plötzlich nagt das schlechte Gewissen an mir, weil ich ihr nie meine nächtlichen Ausflüge in Edinburgh gebeichtet habe. Sie hat keine Ahnung, wie gefährlich das war (was natürlich auch gut so ist). Und ich? Ich habe keine Ahnung, ob ich mir und ihr solche halsbrecherischen Nummern in London ersparen werde. Umpf. Martin kommt um das Auto herum und bleibt stehen. Er will nicht stören, sensibel wie er nun mal ist (guter Mann, das).

»Ach, komm«, sagt Mama und lächelt tapfer. »Du wirst ganz viel Spaß haben und bist schneller wieder da, als dir lieb ist.«

»Ja. Doof, nicht?« Ich küsse sie noch einmal schnell auf die Wange und gehe zu Martin. »Danke«, sage ich. »Pass gut auf Mama auf.«

Ich muss daran denken, dass ich gleich das Aas Ashley sehen werde, die vor einiger Zeit Martins Kleinbus so sabotiert und damit einen Unfall verursacht hat, dass Mama vorübergehend ins Krankenhaus musste. Da hat Martin sich klasse verhalten. (Ich muss mich zusammenreißen. Das ist doch hier kein tränentreibendes Kino-Melodram mit einem Abschied für die Ewigkeit.)

Er lacht. »Ich lasse sie nicht unter die Räder kommen, bestimmt nicht. Du hab viel Spaß!«

Wir umarmen einander kurz, dann ich greife zur Reisetasche und zucke zusammen, als ein fieser Schmerz durch meinen Finger schießt. So, jetzt Zähne zusammenbeißen, fordere ich mich auf, das ist doch lächerlich. Martin setzt sich wieder hinter das Steuer. Mama, ebenfalls vom Abschiedsschmerz gepeinigt, ist inzwischen auch schnell in den Wagen gestiegen. Ich winke ihr nervös zu, streiche meine Schuluniform glatt (ich hasse es jetzt schon, sie außerhalb der Schule in freier Wildbahn tragen zu müssen) und stapfe mitsamt der wirklich verflucht schweren Reisetasche Richtung Bahnhofseingang. Dort angekommen, hole ich einmal tief Luft. Oh, wie ich Abschiede hasse.

Ehe ich zum Bahnsteig weitergehe, ziehe ich mein Medaillon mit dem schützenden Bergkristall unter der Bluse hervor und umklammere es mit der Faust, um Kraft für die Reise zu sammeln. Man weiß nie, was einem alles zustoßen kann. Ich muss stark sein, es geht los, sage ich mir, Mission, ich komme. Wenn du es willst. Wenn die Wissenschaft mir grünes Licht gibt, bin ich jedenfalls wild dazu entschlossen. Dann gibt es für mich kein Zurück mehr.

Ich hole noch einmal tief Luft und denke an die bevorstehende Begegnung mit Ben, während ich meinen Blick über die von Mensch und Getier (Hunde in allen Preisklassen) belebten Bahnsteige schweifen lasse. Unsere Reisetruppe ist auf Bahnsteig 5 verabredet, an der siebten Säule. Ich nehme mich zusammen, packe den Griff meiner minütlich schwerer werdenden Reisetasche, ziehe sie energisch hinter mir her und stapfe Richtung Bahnsteig. Je näher ich der Nummer 5 komme, desto bleierner werden meine Schritte. Ob schon jemand da ist? Ich bin ziemlich früh dran, also wer weiß? Der Gedanke an Ben und seine Rosen lässt in mir ein Fünkchen Vorfreude aufglimmen, ihn zu sehen.

Und schon weiß ich, alles wird gut: Von Weitem entdecke ich Bahnsteig 5 und sehe meine drei BFFs Zoey, Sara und Jocelyn ordnungsgemäß an der siebten Säule stehen. Sie winken wie verrückt, als sie mich entdecken, ich winke ebenso wild zurück und fühle mich sofort noch besser. Ich kann sehen, wie Zoey diskret mit dem Zeigefinger in meine Richtung deutet, was nur heißen kann, dass ich mich umdrehen soll, also drehe ich mich pflichtschuldig um.

Und bekomme die schöne Gelegenheit zu beobachten, wie Ben die Halle betritt, im Schlepptau Miss Ashley, deren Koffer er mitsamt seinem zum Bahnsteig rollt. Sie stolziert hinter ihm her wie eine Königin, was man so natürlich nicht interpretieren darf, denn sie ist ja schließlich ein überaus zerbrechliches Geschöpf in Prinzessinnen-Mode, das jeglicher Hilfe bedarf, um nicht an den Herausforderungen des Lebens zugrunde zu gehen. Kotz. Würg.

Diese bizarre Parade rollt unaufhaltsam auf mich zu. Wegrennen wäre jetzt keine schlechte Option. Help! Dann denke ich an die Rosen und beschließe durchzuhalten.

Meine und Bens Blicke treffen sich kurz, als die beiden an mir vorbeirauschen. Er nickt mir lächelnd zu, ich nicke lächelnd zurück. Wir wollen schon aufeinander zugehen, da drängt sich Ashley dazwischen, dreht mir ihren Rücken zu, als wäre ich Luft, und marschiert mit ihm weiter. Wie vom Donner gerührt sehe ich den beiden hinterher.

Na, das kann ja heiter werden. Ich zermartere mir die ganze Zeit das Gehirn, wie ich während der Klassenfahrt unsere Beziehung halbwegs normalisieren kann, und er lässt sich weiter ausnutzen und ausbremsen? Holy cow! Und jetzt? Dass wir seit drei Monaten umeinander herumschleichen, als hätten wir die Krätze, ist ja schon schlimm genug, aber … Stopp! Aus! Still! Ich liebe ihn doch immer noch, verdammt! Und ich weiß, dass auch er mich immer noch liebt. Ich muss aufpassen, nicht ungerecht zu werden, schließlich ist es dieser verfluchte Familienfluch, der da zwischen uns steht! Der auch ihn steuert und ihn immer wieder merkwürdige Dinge tun lässt. Der muss erst mal weg, deswegen bin ja unterwegs, und dann wird bestimmt alles gut. Hopefully.

Inzwischen ist die Parade auch an meinen Mädels vorbeimarschiert, die beim Zuschauen billardkugelgroße Augen machen.

»Boah«, sagt Jocelyn.

Sara grinst nur.

»Sehr eindrucksvoll«, bewertet Zoey die Lage.

Wir lachen eine Runde, nicht zu auffallend, weil wir nicht irgendwelche Konflikte provozieren wollen, bevor es wirklich nötig wird, und beschäftigen uns vor allem mit allseitigen Umarmungen und ausgiebigen Küssereien.

»Diese Reise verspricht, sehr unterhaltsam zu werden«, meint Zoey und sieht mich provokant von oben bis unten an. »Wenn ich dich so betrachte … Du glühst schon wieder so verdächtig von innen. Was hast du nur wieder vor? Oh, natürlich. Deine Lippen sind versiegelt.«

Sara und Jocelyn schauen verständnislos drein.

»London wird einfach der Hammer, Leute!«, kräht Jocelyn. »Christmas …«

»… Shopping in London«, vervollständige ich ihren Satz. »Ich weiß.«

»Irre Läden gibt es da. Du kommst mit uns mit«, sagt Sara bestimmt.

»Wir kleiden dich neu ein«, kündigt Jocelyn an.

»Keine Chance. Wartet es nur ab«, teilt Zoey ihr wissend mit. »Dafür hat sie null Zeit. Miss-meine-Lippen-sind-versiegelt hat bestimmt schon wieder eigene Pläne.«

Ich schaue so unschuldig wie nur möglich drein.

»Jaja, ich weiß, du hast deine Gründe«, sagt Zoey und legt mir einen Arm um die Schulter. »Die Familiengeschichte, die schottische Ehre, der ganze Bullshit, den du schon in Edinburgh betrieben hast.« Zoey schnaubt durch die Nase. Sie kennt mich zu gut. Ich kneife sie in die Seite und wir brechen beide in Gelächter aus. Bin ich froh, dass ich zusammen mit ihr in einer Gastfamilie bin!

Inzwischen sind die meisten aus unserer Klasse eingetrudelt, Bens Kumpels Ken und Wayne, Ashleys Bitch-Bande und alle möglichen anderen. Wir sind fast komplett und der Zug ist auch schon geräuschvoll eingerattert. Ich beobachte, wie sich alle Hälse Richtung Bahnhofseingang drehen. Dort marschieren drei Figuren ein, Seite an Seite, wie die Glorreichen Drei aus einem fulminanten Neo-Western, fehlt nur die satt dröhnende Kinomusik dazu: Dr. Walker, der gefühlte Zwei-/Drei-Meter-Mann, der unser Vertrauens- und Mathematiklehrer ist, mit tiefschwarzem Vollbart, in dem man einen Kleinwagen versenken könnte, dann Mrs Flynn, unsere mordsmäßig belesene und umtriebige Englischlehrerin, und last, but not least der ehrenwerte Dr. Dagwood Doppler, seines Zeichens staubtrockener Geschichtslehrer, gemütsmäßig geprägt von seinem erdrückenden Lieblingsthema, der gnadenlosen Wucht der industriellen Revolution. Die drei bauen sich vor uns auf und lassen den Blick über die versammelte Mannschaft schweifen.

»Okay, people«, ertönt Dr. Walkers dröhnende Stimme. »Es wird ernst! Simuliert mal, dass ihr euch so ähnlich wie Erwachsene benehmen könnt, und ordnet euch in den Waggon ein wie zivilisierte menschliche Wesen.«

Die Schüler feixen und scharren mit den Hufen, als könnten sie nicht erwarten, den Zug zu stürmen, ihn in Besitz zu nehmen und auf der Stelle zu verwüsten.

»Gesittet hinter mir her, bitte«, flötet Mrs Flynn.

Sie versperrt den Zugang zur Zugtür und gibt ihn dann vorsichtig frei, indem sie betont langsam hineinsteigt. Damit verhindert sie eine Stampede ihrer Schutzbefohlenen über den Bahnsteig und fremde Passagiere hinweg. Zoey, Sara, Jocelyn und ich bleiben beieinander, folgen den anderen nur allmählich und bleiben gleich im hinteren Waggonteil, wo wir uns, nachdem wir das Gepäck unter hemmungslosem Ächzen in die Kofferablage gewuchtet haben, auf die Polster plumpsen lassen. Kaum sitzen wir, fährt der Zug an. In Rekordzeit wird der Süßkram hervorgezaubert und die Limoflaschen kreisen.

Ich habe mir mit dem Rücken zur Wand einen strategisch günstigen Platz mit Sicht in den Waggon hinein gesichert und beobachte interessiert, wo Ben mit Ken und Wayne sitzt und wo Ashley ihren Bitch-Clan inklusive Tim Hobson-Harrington, ihren bescheuerten persönlichen Sklaven, platziert hat. Keine Bewegung whatsoever wird von mir unbeobachtet bleiben. Und kein Gequatsche ungehört.

»Wo guckst du eigentlich immer hin?«, fragt Sara, die meine geheimdienstlichen Beobachtungen offenbar voller Interesse registriert hat.

Ich fühle mich ertappt.

»Dumme Frage«, meint Zoey. »Lisa observiert Ben. Ist ja auch in Ordnung so.«

»Sehr richtig«, antworte ich in erhabener Lahmheit.

»Apropos«, sagt Zoey zu Sara. »Was macht eigentlich dein schottischer Schwarm?«

Ein seltener, aber nachzuvollziehender Gedanke von Zoey, zumal sie in Edinburgh auch so was wie Gefühle für einen netten Typen namens Llewellynn entwickelt hat. Ist aber leider nichts draus geworden (ich würde ihr einen Freund ja von Herzen gönnen!).

»Sean und ich schreiben uns wie die Verrückten und sind glücklich«, sagt Sara, und Zoey, scheint mir, zeigt einen Anflug von wehmütigem Neid.