Der fröhliche Rabbi und die verschlungenen Wege zum Glück - David Kraus - E-Book

Der fröhliche Rabbi und die verschlungenen Wege zum Glück E-Book

David Kraus

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Beschreibung

Vom unbekümmerten bayrischen Partygänger zum Rabbi in Jerusalem: Rabbiner David Kraus erzählt entwaffnend ehrlich, voller Humor und sehr inspirierend, wie er zum jüdischen Glauben fand – und wie sich die Widrigkeiten des Lebens zu Quellen des Glücks umwandeln lassen. In seinem Buch berichtet der vierfache Vater David Kraus mit viel Humor und unbändiger Dankbarkeit von seinem Weg vom jungen Mann, der schnelle Autos und das Nachtleben liebte, zum Rabbiner in Jerusalem und Helfer und Ratgeber für unzählige Menschen. Es war ein Schicksalsschlag in Form eines judenfeindlichen Angriffs, der ihn erst monatelang ans Krankenbett fesselte – und ihn zugleich zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens brachte. Heute ist David Kraus ein vor Lebensfreude sprühender Rabbiner – und einer, der das Leben kennt. Sein Buch erzählt seine schier unglaublich Geschichte und reicht zugleich über das Autobiographische hinaus, denn Rabbi Kraus schöpft Weisheit aus seinem verschlungenen Weg zum Glück und gibt Antworten auf die großen Lebensfragen. Anhand seiner eigenen Geschichte zeigt er, wie viel Weisheit im Judentum und in der Thora steckt und wie sehr diese Weisheit heute Menschen bei der Bewältigung von Schicksalsschlägen helfen kann. • Ein Rabbi, der vor Lebensfreude sprüht • Mit seiner Geschichte zeigt David Kraus uns, wie wir das Glück finden • Lebensnah, humorvoll und sehr inspirierend "Das Leben ist vielleicht nicht einfach – aber es ist schön!" Rabbi Kraus

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David Kraus

Der fröhliche Rabbi

und die verschlungenen Wege zum Glück

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Über dieses Buch

Vom unbekümmerten bayrischen Partygänger zum Rabbi in Jerusalem: Rabbiner David Kraus erzählt entwaffnend ehrlich, voller Humor und sehr inspirierend, wie er zum jüdischen Glauben fand – und wie sich die Widrigkeiten des Lebens zu Quellen des Glücks umwandeln lassen.

In seinem Buch berichtet der vierfache Vater David Kraus mit viel Humor und unbändiger Dankbarkeit von seinem Weg vom jungen Mann, der schnelle Autos und das Nachtleben liebte, zum Rabbiner in Jerusalem und Helfer und Ratgeber für unzählige Menschen. Es war ein Schicksalsschlag in Form eines judenfeindlichen Angriffs, der ihn erst monatelang ans Krankenbett fesselte – und ihn zugleich zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens brachte.

Heute ist David Kraus ein vor Lebensfreude sprühender Rabbiner – und einer, der das Leben kennt. Sein Buch erzählt seine schier unglaublich Geschichte und reicht zugleich über das Autobiographische hinaus, denn Rabbi Kraus schöpft Weisheit aus seinem verschlungenen Weg zum Glück und gibt Antworten auf die großen Lebensfragen. Anhand seiner eigenen Geschichte zeigt er, wie viel Weisheit im Judentum und in der Thora steckt und wie sehr diese Weisheit heute Menschen bei der Bewältigung von Schicksalsschlägen helfen kann.

Inhaltsübersicht

Motto

Vorwort

Teil 1 – Mein verschlungener Weg

Der Sturz

Woher ich kam

Schule fürs Leben

Auf der Überholspur

Sprit und Spirit

Ein Samenkorn Glaube

Miriyam

Schwer von Begriff

Verliebt, verlobt …

Mein neuer Weg

Erwachsenenbildung

Armer Schlucker

Zugehörigkeit

Rabbiner? Ich?!

Klingt gut für mich

Rabbi Nachman aus Breslev

Keine reine Freud

Ruben

Beruf: Familien- und Paarberater

Der israelische Patient

Nächstenliebe und Behinderung

Verordneter Hass

Antisemitismus und Schoah

Teil 2 – Ratschläge eines fröhlichen Rabbis

Psycho-Thora-pie

Das leichte Glas

Hindernisse

Wo ist der Weg?

Gescheiter scheitern

Wenn die Wellen hochschlagen

Streit

Ausgrenzung

Mach dich zum Affen!

Versuchung

Angst

Selbstzweifel

Die vielen Facetten der Liebe

Im Vollbad der Liebe

Intimität und Bindung

Wie man die Liebe warmhält

Schmetterlinge und Hummeln

Reichtümer einer Beziehung

Ohneeinander?

Niemand versprüht so viel Glück wie Kinder

Freundschaft

Nächstenliebe

Dein Weg zu dir – und zum Glück

Gott sagt nie Nein

Kann man Gott sehen?

Die Welt braucht dich

Richtig oder falsch?

Positives Denken und Lebensfreude

Ein Tief zieht durch

Verlust und Trauer

Fühl dich umarmt

Geh deinen Weg

Das Wunder von Uman

Epilog

Dank

Du bist etwas ganz Besonderes.

Der Tag, an dem du geboren wurdest, ist der Tag, an dem Gott entschieden hat, dass die Welt ohne dich nicht mehr existieren kann.

Schön, dass du mein Buch für dich entdeckt hast. Es ist mir eine Ehre!

Vorwort

Jerusalem, im Juni 2021

Sei mir gegrüßt, liebe Leserin, lieber Leser!

Stellst du dir auch manchmal Fragen wie: »Was ist der Sinn meines Lebens?« Oder: »Wie kann ich glücklich werden?« Oder auch: »Wie komme ich bloß aus meinem seelischen Tief raus?« Wenn du offen dafür bist, dir von einem Rabbi etwas über Glück erzählen zu lassen, dann bist du hier richtig. Denn dies ist meine Geschichte – die Geschichte eines »Thoraglücklichen«. Mein Glücks-Weg, der durch viele Anstiege und Täler führte, soll dich inspirieren. Wenn du am Ende sagst: »Dieser David scheint echt ein glücklicher Mensch geworden zu sein, und vielleicht hilft mir seine Geschichte, meinen Weg zum Glück zu finden« – dann haben wir beide gewonnen. Und mich würde das … ja, was wohl? … glücklich machen.

Um in mein Buch hineinzufinden, brauchst du kein Vorwissen über das Judentum und die Thora, also unsere Schriften der göttlichen Lehren und Gesetze. Und du musst nichts über meinen ersten Rabbiner, Rabbi Mordechai Eliyahu, den Chassidismus und den Rabbi Nachman wissen, von dem ich so unendlich viel gelernt habe und jeden Tag weiter lerne, obwohl er im 18. Jahrhundert gelebt hat. Es genügt, wenn du offen bist für die Erkenntnis, dass im Judentum eine Menge psychologischer Weisheit steckt. Sie kann uns auch heute helfen, Antworten auf Lebensfragen zu geben. Ich habe es am eigenen Leib und der eigenen Seele erlebt.

Du bist skeptisch? Umso willkommener bist du mir! Denn dies ist kein Buch, das dich für meinen Glauben gewinnen soll. Ich will dir nicht erklären, welcher Weg der richtige ist, sondern dich einfach nur teilhaben lassen an dem, was mich glücklich macht. Mit einem Wort ist das: Lebensfreude. Hab auch du Freude am Leben – egal was es dir gerade bietet oder zumutet. Die Quelle dieser Freude ist bei mir: Emuna. So heißt auf Hebräisch die Kraft des Glaubens oder, wie manche es übersetzen: das Vertrauen in Gott.

Willst du mitkommen auf diese Reise? Dann steig ein! Aber schnall dich besser an – es wird eine schwungvolle Fahrt. Viel Spaß dabei!

 

Dein David

Teil 1 Mein verschlungener Weg

Der Sturz

Ich komme wieder zu mir und blinzle. In was für einen schrägen Film bin ich hier geraten? Oder ist es ein Albtraum? Ich liege auf dem Rücken und sehe, dass drei Sneakers auf mich zeigen. Dann höre ich die sich überschlagende Stimme meines Angreifers. Ich kenne ihn – er ist Muslim. Er steht über mir wie ein Gangster und schreit auf mich ein: »Das war nicht ich, der dich hier runtergeschubst hat, du Scheißjude! Das war Gott!« Dann wird er von Security-Leuten weggezogen. Zwei der Sneakers verschwinden aus meinem Blickfeld. Aber einer ist immer noch da – so als stünde ein Einbeiniger vor mir. Ich hebe meinen Kopf und sehe: Es ist mein eigener Fuß, der da merkwürdig schief in meine Richtung zeigt, weil mein Unterschenkel völlig verdreht ist und wie ein Fremdkörper an mir hängt. Der Schock und eine Welle ungeheurer Schmerzen schießen gleichzeitig durch meinen Körper – und ich verliere erneut das Bewusstsein.

Als ich erwache, haben wir den 18. März 2005. Ich bin 24 Jahre alt und war gestern wie fast jedes Wochenende unterwegs. Zu später Stunde geriet ich in einen Streit mit dem Muslim. Das Ganze artete in eine kurze Rangelei aus. Und als diese eigentlich schon vorbei war und ich mich abgewandt hatte, griff er mich von hinten an und stieß mich eine Treppe hinunter.

Und nun liege ich in einem Klinikbett und bin bereits einmal operiert worden. Man hat mir schon angedeutet, dass es keineswegs die einzige OP bleiben wird. Morgen wollen die Ärzte ausführlicher mit mir sprechen. Und ich denke derweil über den Trümmerhaufen nach, den ich bis gestern »mein Leben« nannte. Ich habe Geld und alles, was ein materialistisch eingestellter junger Mann sich wünscht. Ich studiere, habe die Abschlussprüfung fest im Blick und bin im Begriff, Hotelbetriebswirt zu werden. Ich liebe schnelle Autos, Musik und Klubs, und ich habe jede Menge Freunde, mit denen ich am Wochenende auf der Piste bin. Irgendwann will ich auch mal heiraten und Kinder haben – aber ganz sicher noch nicht jetzt. Ich will … ich wollte mein Leben und meine Jugend erst mal in vollen Zügen genießen, ohne über den Ernst des Lebens nachzudenken. Und nun? Was wird jetzt aus alldem?

 

Inzwischen ist der Angriff zehn Tage her – und ich bin durch die Hölle gegangen. Eigentlich wollte ich die ganze Zeit nur noch sterben.

Das eine sind meine schweren Verletzungen. Aber noch schlimmer ist etwas anderes: Ich habe plötzlich keine Freunde mehr. Vor zwei Wochen waren es noch verdammt viele, aber die haben sich jetzt alle blitzschnell verpieselt. Nach dem Motto: Sollen wir jetzt etwa einen Krüppel mit zum Feiern nehmen? Ist doch viel zu anstrengend. Diese menschliche Enttäuschung hat mich emotional völlig aus der Bahn geworfen und mir das Herz gebrochen.

Dazu kommt das Medizinische. Auch wenn niemand es laut aussprach – die Botschaft der Ärzte in Mimik und Gestik lautete während der letzten Tage immer gleich: »Das war’s. Sie werden Ihr Leben lang eingeschränkt bleiben und entweder im Rollstuhl sitzen oder an Krücken gehen.« Zeitweise stand sogar die Amputation meines völlig zertrümmerten Unterschenkels zur Debatte. Diagnostiziert haben sie unter anderem: einen gebrochenen Kniekopf, einen Wadenbeinbruch, gerissene Kreuz- und Seitenbänder sowie einen zertrümmerten Schulterkopf. Und – Stichwort Krücken – eine Peroneuslähmung. Solange diese Nervenschädigung anhält, kann ich sowieso nicht ohne Gehhilfen laufen.

Die Ärzte wirkten auf mich allesamt ratlos und angesichts der Röntgenbilder geradezu bedrückt. Doch seit einigen Tagen gibt es einen Lichtblick: Ein Orthopäde mit dem genial passenden Namen Dr. Schrott ist aus dem Urlaub zurück. Er ist ein toller Arzt und ein toller Mann. Und er sieht meine Verletzungen als Herausforderung. Beim Betrachten der Röntgenbilder wurde er geradezu euphorisch: »Boah, hier ist ja auch was gerissen! Und das da ist auch kaputt! So was hatten wir hier noch nie! Fantastisch!«

Mit dieser Tatkraft angesichts einer eigentlich unlösbaren Aufgabe steckt er mich an. Außerdem war er daran beteiligt, dass ich das erste Mal seit dem Angriff wieder herzhaft lachen musste. An einem Tag hatte er einen Praktikanten dabei. Er erklärte ihm, dass ich Jude sei und ein Muslim mich so zugerichtet habe, und fragte ihn dann: »Was meinen Sie: Wo ist das wohl passiert?« Die Antwort des Praktikanten kam zögernd: »Im Gazastreifen?« Worauf Dr. Schrott auf gut Bayerisch und mit seiner lustigen Mimik erwiderte: »Da doch ned – hier bei uns um die Eckn.« Meine Schulter schmerzte, weil das Lachen mich so durchschüttelte.

 

Jedenfalls: Ich will jetzt dabei mithelfen, dass es mir besser geht. Das erste Mal, seit ich hier liege. Aber wie? Dr. Schrott hat mir einen Rat gegeben, der andere vermutlich in noch tiefere Verzweiflung stürzen würde: »Dir bleibt eigentlich nichts anderes als Beten.« Aber ich habe inzwischen kapiert, dass ich ein Wunder brauche, um aus der Scheiße rauszukommen.

Ich will Dr. Schrotts Rat also befolgen und tatsächlich anfangen zu beten. Aber wie stellt man das an? Ich merke, dass ich keine Ahnung habe. Bisher war ich der klassische Atheist. Ach was, nicht mal das, eher bin ich mit hundertachtzig an allen wichtigen Lebensfragen vorbeigerast, oberflächlich und großmäulig. Glaube? Mein Standardspruch zum Thema lautete immer: »Ich glaube nur an das, was ich sehen kann!« Und das waren schnelle Autos, Freunde auf Partys und die Zahlen auf meinem Kontoauszug. Und vielleicht noch meine Lehrbücher – ich bin ja kein fauler Student.

Natürlich hätte ich mir von meinen Eltern mal ein Gebet abschauen können. Die sind zwar nicht superfromm, aber sie wissen immerhin, wo die Synagoge ist. Doch es hat mich nicht wirklich interessiert. Und so sprechen aus meinem ersten Gebet denn auch all die Zweifel, die ich in mir habe: »Wenn Du wirklich da oben bist – dann zeig es mir jetzt.« Es ist kein eigentliches Gebet, eher eine Mischung aus Verhandlungsangebot und Erpressung. Und wenn Er sich jetzt nicht zeigt, werde ich mich wohl bestätigt fühlen in meiner Überzeugung, dass es keinen Gott gibt. Weil ich ihn nicht sehe.

(Später, in Israel, habe ich dazu etwas Geniales gelernt. Und zwar fragte mich ein Rabbiner: Liebst du deine Mutter? Ich: Sehr! Und er: Dann zeig mir diese Liebe, hier und jetzt. Ich: Wie soll das gehen, sie ist ja nicht anwesend. Er: Also kannst du mir diese Liebe nicht zeigen – womit nicht erklären gemeint ist. Ich war irritiert. Okay, lassen wir das, meinte der Rabbi und fragte mich, ob ich ihm zeigen könne, dass ich intelligent sei, er würde es gern sehen. Auf meine ratlose Geste hin meinte der Rabbi: Siehst du, du kannst mir hier nicht deine Liebe oder deine Intelligenz zeigen, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht existieren. Genauso ist es mit Gott.)

In den folgenden Tagen taste ich mich langsam weiter vor. Ich liege zur Passivität verdammt im Bett und suche nach der richtigen Ansprache gegenüber Dem, an Dessen Existenz ich höchstens halbherzig glaube. Weil ich nun mal keine vorgegebenen Gebete kenne. Aber allmählich komme ich auf den Trichter: Ich muss einfach als der Mensch, der ich bin, auf Gott zugehen und die Worte wählen, die mir passend erscheinen. Und was dann geschieht, überlasse ich … ja: wem? Dem Schicksal? Dem Zufall? Oder doch Hashem? Das bedeutet »der Name« und ist das Wort, das wir Juden für »Gott« verwenden. O Mann: Gott in Anführungszeichen – das ist so typisch für den David, der da in diesem Krankenhauszimmer liegt und herauszufinden versucht, wie Beten geht. Übrigens bin ich in der Sprache genauso unentschieden wie in meinem Glauben: Ich bete mal auf Hebräisch, mal auf Deutsch. Das hat mit meinem Elternhaus zu tun.

Woher ich kam

Bis zum Angriff wohnte ich noch bei meinen Eltern. Da ich ein Einzelkind bin, gab es dort genügend Platz, wir verstanden uns sehr gut – warum sollte ich als Student also eine eigene Wohnung haben? Für mich war immer klar, dass ich mein Elternhaus erst verlassen würde, wenn ich heirate. Ich konnte mein Leben schließlich so leben, wie ich wollte. Meine Eltern haben mich mit viel Toleranz behandelt und erzogen. Und sie standen immer zu mir.

Kennengelernt haben sie sich Ende der 1970er-Jahre in Israel. Mein Vater ist deutscher Jude, meine Mutter stammt aus der jüdischen Gemeinschaft Marokkos, ist aber in Israel aufgewachsen. Weil mein Vater kein Hebräisch spricht und meine Mutter zu Beginn ihrer Ehe kein Deutsch, verständigten die beiden sich untereinander auf Englisch. Zu Hause sprachen wir meistens Deutsch; mit meiner Mutter sprach ich aber immer Hebräisch.

Zurück nach Israel: 1981 – mein Vater war damals Küchenchef im Hilton-Hotel in Jerusalem – erreichte ihn ein attraktives Jobangebot aus Hannover, das er gerne annehmen wollte. Allerdings war meine Mutter da gerade mit mir schwanger. Und meine Eltern setzten eine interessante Priorität: Sie wollten, dass meine Geburt und die Brit Mila, also die rituelle Beschneidung, auf jeden Fall in Israel stattfinden. Deshalb teilte mein Vater dem Hotel in Hannover mit, er würde gern kommen, aber erst 1982. Damit riskierte er natürlich eine Absage – aber seine Liebe zu Israel ging vor.

Mein Vater betet täglich das Herzstück des jüdischen Gottesdienstes, das Amida-Gebet, und legt auch täglich seine Tefillin an; er geht regelmäßig am Schabbat in die Synagoge. Seine Verbindung zum Judentum kommt aber vor allem aus seiner Liebe zu Israel. Meine Mutter dagegen ist schon durch ihre Herkunft stärker religiös geprägt und hat auch eine religiöse Erziehung genossen. In der Küche der Synagoge ist sie für die Einhaltung der Koscherregeln zuständig. Meine Eltern sind traditionsbewusste Juden, aber nicht tiefreligiös oder gar orthodox.

Bestimmte Regeln hielten und halten meine Eltern zu Hause ein, wie etwa das koschere Essen. Sie haben nie Druck auf mich ausgeübt, in die Synagoge zu gehen, zu beten oder dergleichen. Viele meiner Freunde waren nichtjüdisch, und ich führte als junger Mann ein völlig areligiöses Leben. Dennoch – weil ich meine Eltern liebe und respektiere – habe ich immer Rücksicht genommen auf die Form, in der sie ihren Glauben leben, und auf die Dinge, die ihnen wichtig sind. Unkoscheres Essen wie Cheeseburger kam nicht ins Haus; die Rinder werden ja nicht rituell geschächtet, und auch das Kombinieren von Fleisch mit einem Milchprodukt ist nicht koscher. Aber dass ich mich damals (leider) grundsätzlich nicht gemäß den Gesetzen Gottes ernährt habe, wurde mir erst in Israel bewusst.

Nur mal ein Beispiel: Ich dachte immer, alles richtig zu machen, wenn ich eine Pizza Margherita esse, ich meine im Sinne der Koscherregeln. Später begriff ich, dass diese Regeln gar nicht einfach einzuhalten sind. Zunächst müssen alle verwendeten Produkte koscher sein, weiter geht es beim Teig, da schreibt die Thora in einer Mitzwa (einem Gebot) die Besonderheit vor, einen Teil des Teiges (etwa zwei Prozent) als Opfergabe für die Cohanim (die im Tempel dienenden Priester) beiseitezulegen, bevor man ihn backt; heute, da es leider keinen Tempel mehr gibt, wird diese Gabe dennoch weiterhin abgesondert und verbrannt, das nennen wir: Hafraschat Challa. Ach ja, und das Geschirr muss zum koscheren Einsatz vor dem Gebrauch in ein spirituelles Wasserbad eingetaucht werden. Gebacken werden darf die Pizza natürlich auch nur in einem koscheren Ofen, und wenn in dem auch noch eine Salamipizza zubereitet wird, ist alles »treife«, also nicht koscher …

Unser familiärer Umgang miteinander war für mich immer eine gute Schule der Toleranz. Sie prägt meinen Umgang mit nichtgläubigen Juden und mit Nichtjuden bis heute. Und natürlich auch den mit meinen Eltern. Hier hat sich das Verhältnis ja umgekehrt: Die religiösen Regeln halte ich heute viel konsequenter ein als sie. Aber das tolerieren sie ebenso wie ich ihre Lebensweise – selbstverständlich.

1982 war ich also im wundervollen Jerusalem geboren und beschnitten – und machte im zarten Alter von nur zwölf Tagen meine erste Flugreise. Umzug nach Hannover. Mein Vater hatte die Stelle trotz der Verzögerung bekommen. Dort blieben wir aber nur gut zwei Jahre, dann wechselten wir für zwei Jahre nach Holland, wo mein Vater eine neue Stelle in Rotterdam hatte. Ich kam in den Kindergarten und begann mich einzugewöhnen – da zogen wir nach zweieinhalb Jahren schon wieder um, nämlich nach Regensburg. So ist das, wenn der Vater ein begehrter Küchenchef ist.

Schule fürs Leben

Die häufigen Ortswechsel haben meine Kindheit geprägt, und sie hätten beinahe mein Leben in ganz andere Bahnen gelenkt. Einige Monate nach dem erneuten Umzug stand die Überprüfung meiner Schulreife an. Und vor den gestrengen Vertretern des bayerischen Schulwesens, lauter fremden und einschüchternden Menschen, saß der kleine, nicht mal sechsjährige David – und stotterte zum Steinerweichen. Im Gespräch brachte ich kein Wort heraus, ohne zu stammeln und zu stocken. Diese Beeinträchtigung bestimmte das Bild, das die Kommission sich von mir machte – und so erging der Beschluss, mich auf eine Sonderschule für Sprachbehinderte zu schicken.

Da allerdings kannte das Schulamt die Kampfbereitschaft meiner Eltern nicht. Bei der Vorstellung, ich solle eine Sonderschule besuchen, gingen sie auf die Barrikaden. Sie kannten mich ja und wussten, was los war mit mir. Aufgrund der babylonischen Sprachverwirrung, die mein junges Leben geprägt hatte, bestand schlicht ein temporäres Chaos in meinem Kopf. Man muss sich das klarmachen: Meine Eltern sprachen miteinander Englisch, mein Vater mit mir Deutsch, meine Mutter Hebräisch, und im Kindergarten hatte ich Niederländisch gehört und gesprochen. Und nun sollte ich auf Deutsch gestellte Fragen fremder Leute antworten. Dass ich da einen Knoten im Sprachzentrum hatte, ist überhaupt kein Wunder.

Meine Eltern trugen der Schulbehörde ihren Standpunkt vor: »Ihm fehlt nichts, er braucht nur Zeit, die Dinge zu sortieren. Das Stottern wird sich schnell auswachsen.« Und sie hatten Erfolg damit, ich kam auf die normale Grundschule. Binnen Kurzem hatte ich mich vom Niederländischen entwöhnt und in das Deutsche hineingefunden. Wegen des Stotterns bin ich wahrscheinlich eine Weile gehänselt worden, aber ich habe keine Erinnerungen daran. Woran ich mich entsinne, sind einige Situationen, in denen ich mich nicht artikulieren konnte. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung, mich nicht verständlich machen zu können, obwohl es um etwas Wichtiges ging, hat vielleicht dazu beigetragen, dass die Sprache heute – neben meinem Glauben, meiner Begeisterung und meiner positiven Einstellung zum Leben – mein wichtigstes »Arbeitsmittel« ist. Und schon in der Schule war meine Devise: »Sehr geehrter Herr Lehrer, völlig egal wie oft Sie mich umsetzen: Ich rede mit jedem!« Der Satz fasst mein Wesen zusammen: frech, offen und eine Plaudertasche, aber immer mit Herz.

Unabhängig von meinem speziellen Schicksal bin ich übrigens ein Gegner der immer früheren Einschulung. Mein Sohn wurde mit sechs eingeschult – dabei hätte er ein weiteres Jahr unbeschwerten Kindseins noch gut gebrauchen können, weil er ein richtiger Spieljunge war. Die meisten unserer Kinder werden ihr Leben lang vor allem mit dem Kopf arbeiten müssen, im Sitzen. Wie wichtig wäre es, dass sie sich wenigstens die ersten sechs, sieben Lebensjahre austoben und auspowern, ihren Körper spielerisch schulen könnten, ohne alle Pflichten und Aufgaben! Ich jedenfalls war sehr unzufrieden mit dem Druck, den die Schule von Anfang an auf meinen Sohn ausübte.

Was meine eigene Schullaufbahn angeht, blieb man skeptisch, ob höhere Bildung etwas für mich sei. Am Ende der Hauptschule war zu entscheiden, ob ich freiwillig die 10. Klasse besuchen sollte, die mir den Übergang zur Realschule ermöglicht hätte. Meine Eltern wollten es, ich wollte es auch – aber es gab auch Lehrer, die sagten: »Wieso denn, David? Das hat doch keinen Sinn.« Hier zeigte sich eine Schattenseite des viel gelobten, sehr leistungsorientierten, zum Aussortieren neigenden bayerischen Schulsystems: Die gebildeten Schichten bleiben gern unter sich. Schüler aus dem Bildungsbürgertum mit redegewandten Eltern zweifeln bei gleichen Leistungen seltener an ihrer Eignung fürs Abitur als andere. Zum Glück konnte ich später auf dem zweiten Bildungsweg das Tor zu einer akademischen Laufbahn öffnen.

 

An unserer Schule war ich der einzige Jude – und alle wussten es, denn ich war vom Religions- und Ethikunterricht befreit; stattdessen besuchte ich einmal die Woche nachmittags die Jüdische Gemeinde und erhielt dort jüdischen Religionsunterricht. Außerdem fanden einige Lehrer mein Judentum spannend, ich sollte immer mal wieder meine Tefillin oder andere Utensilien mitbringen, damit ich sie der Klasse vorstelle und von meinem Glauben erzähle. Wo ein Jude ist, kann Antisemitismus nicht weit sein. Noch am wenigsten präsent war er in meiner Klasse – die war eine richtig tolle Einheit. Aber als wir in der 8. oder 9. Klasse gemeinsam den Film Schindlers Liste anschauten, fanden es einige Jungs aus den Parallelklassen furchtbar komisch, mir danach regelmäßig ein Zitat aus dem Film hinterherzurufen: »Verschwindet, ihr Juden!« Dies war also das Einzige, was sie aus diesem bedrückenden Film und den darin gezeigten schrecklichen Geschehnissen mitnahmen – einen zum »Witz« umgewandelten Satz zur Schmähung ihres einzigen Mitschülers aus der Gruppe der Opfer der Schoah. Ich finde es bis heute unbegreiflich.

Wie praktisch alle jüdischen Familien habe auch ich Opfer der Barbarei Nazideutschlands unter meinen Vorfahren. Meine Großeltern konnten Gott sei Dank rechtzeitig vor den Nazis fliehen, aber leider nicht meine ganze Familie. Großonkel Jossef beispielsweise, der Bruder meines Opas Mimoun, war in Auschwitz. Dem Teufel Mengele, dem berüchtigten Lagerarzt, musste er als menschliches Versuchskaninchen dienen. Sie trugen übrigens denselben biblisch-jüdischen Vornamen … Jossef hat Mengeles Torturen in Auschwitz überlebt – schwer krank, völlig verstört und zerstört. Nach der Befreiung wollte er nur wissen, wo seine Frau und Tochter sind. Seine Frau hatte überlebt, aber seine Tochter Susanne war mit 18 Jahren an Typhus erkrankt und hatte so ihren Tod gefunden.

Das »Verschwindet, ihr Juden!« begleitete mich fortan tagtäglich. Viele Schüler griffen es auf und machten mich zur Zielscheibe widerlicher judenfeindlicher »Witze«. Einmal kam ich aus der Pause zurück in die Klasse und fand an meinem Platz einen Zettel vor: »Warum hat eine Gaskammer elf Löcher? Weil der Jude zehn Finger hat …« Ich war stocksauer, und meine engen Freunde aus der Klasse auch. Immerhin fand ich heraus, wer den Zettel geschrieben hatte, ein Mädchen, dem ich ihn kommentarlos vor die Füße warf.

Natürlich lassen sich viele und sicherlich zutreffende Erklärungen für so ein Verhalten finden – aber ich messe es auch an dem der vielen Schüler, die mich nach diesem Film nicht verspotteten, auch wenn sie mich selten in Schutz nahmen und meist nur beschämt oder überfordert wegschauten. Ich denke bis heute so, auch wenn es um den ausbleibenden Widerstand der Deutschen im Dritten Reich geht, die miterlebten, wie ihre jüdischen Nachbarn abtransportiert wurden: Wenn man zu erklären versucht, warum Menschen sich in bestimmten Situationen schäbig oder feige oder egoistisch verhalten, darf man nie außer Acht lassen, dass es auch Menschen gibt, die sich unter denselben Bedingungen anders verhalten. Nämlich anständig.

Letztlich hat mich der Satz »Verschwindet, ihr Juden!« damals extrem motiviert, ein LICHT zu sein, und ich bekam sehr viel Zuspruch vonseiten meiner Mitschüler und Lehrer. Diese Motivation war so stark, dass ich im Jahr darauf zum ersten Schülersprecher gewählt wurde. So war die Dummheit und Rohheit meiner anderen Mitschüler doch noch zu etwas gut.

Die antisemitischen Belästigungen hatten aber schon lange vor der Filmvorführung begonnen. In der 4. Klasse saß mir im Kunstunterricht Marcel gegenüber. Er war aus der früheren DDR nach Regensburg gezogen. An diesem Tag schaute er mich auf eine Weise an, die ich nur psychopathisch nennen kann. Dann spitzte er seelenruhig seinen Bleistift an – und rammte ihn mir mit voller Wucht in die Hand. Der Stift zerbrach, und die Spitze der Mine blieb in meiner Hand stecken. Marcel lachte nach seiner Attacke wie ein Verrückter und brüllte wirres Zeug, natürlich auch das Wort »Jude!«.

Heute weiß ich: Gewalt ist nie ein Mittel, das wirklich Befreiung bringt, und Heilung erst recht nicht. Sie ist vielmehr eine Spirale abwärts, die nie ein Ende nimmt.

Als ich in der 5. Klasse war, nahm mich im Park vor der Schule ein Neuntklässler in den Schwitzkasten, hielt mir ein Feuerzeug unter die Nase, drückte den Hebel und sagte: »Riech das Gas, Jude!« Die Schule reagierte auch hier sofort und sehr ernst auf diesen Vorfall. Der Rektor holte mich einige Male zu sich ins Zimmer, um mit mir zu sprechen und seine Scham auszudrücken, auch wenn sich später herausstellte, dass der Neuntklässler gar kein Schüler unserer Schule war.

Als ich in der 6. Klasse war, entbrannte der Zweite Golfkrieg, der auch dramatische Folgen für Israel hatte, denn Iraks Diktator Saddam Hussein ließ das Land mit Raketen beschießen. Meine Klassenleitung wusste, dass Familie von mir in Israel lebt, und hatte eine wundervolle Idee. Täglich betete ein anderer Schüler darum, dass der Krieg doch rasch enden und den Menschen und insbesondere meiner Familie dort nichts passieren möge. Eines Tages wurde dann ich vom Lehrer aufgefordert, ein Gebet zu sprechen. Dazu sollte ich mich dem Kreuz zuwenden, so wie alle anderen Schüler auch. In Bayern hängen ja in allen Klassenzimmern Kreuze. Das aber tat ich nicht. »Juden glauben nicht an Jesus und werden es auch nie tun«, sagte ich zur Begründung. Dem Lehrer schien diese Antwort nicht zu gefallen. Ich könne beten, zu wem ich wolle, meinte er, aber halt in die in der Klasse bestimmten Gebetsrichtung, zum Kreuz hin. Ich erwiderte, dass dies meinen Glauben verletze, ich müsse mich zum Beten Jerusalem zuwenden, dem Tempelberg. Der Lehrer hat mich danach in Ruhe gelassen. Meine Eltern aber suchten das Gespräch mit ihm; sie wollten verstehen, wieso er das von mir verlangt hatte, und machten ihm deutlich, dass dies absolut unerwünscht und unangebracht war, sie hätten ihm richtig Ärger deswegen machen können. Der Lehrer hat seinen Fehler eingesehen und war danach sehr vorsichtig im Umgang mit mir.

Zwei Jahre später verfolgten mein Vater und ich mit, wie sich Israels Oberrabbiner Israel Meir Lau über solche Angriffe auf Juden äußerte. Dieser Rabbiner, ein bewundernswerter Mann, den ich heute mit Stolz zu meinen Lehrern zählen darf, ist Holocaustüberlebender. Die Jahre der Schoah verbrachte er im Ghetto von Pietrokow, dann im Arbeitslager von Schenestoschow und schließlich im Konzentrationslager Buchenwald, aus dem er am 11. April 1945 durch die US Army befreit wurde; seinen Vater, Rabbi Mosche Chaim Lau, ermordeten die Nazis mitsamt seiner Gemeinde in Treblinka. Der Rabbiner stellte fest, wie sehr das Judentum zur Toleranz bereit sei und Respekt im Umgang miteinander einfordere. In diesem Interview zitierte der Rabbiner einen hebräischen Vers aus dem Prophetenbuch Micha, dem zufolge alle Völker ihren eigenen Wegen folgten und jedes dabei den Namen seines Gottes anrufen solle – wir jedoch, wir Juden, wollten unserem Gott, dem einen und einzigen Gott, für immer und ewig nachfolgen.

Ein sehr bedrohliches und deprimierendes Erlebnis hatte ich mit dreizehn Jahren. Mit einem Freund war ich auf dem Fahrrad an einem Sportplatz vorbeigefahren, auf dem eine gemischte Gruppe deutscher und arabischer Jugendlicher Fußball spielte. Wir riefen ihnen ein paar freche Sprüche zu – und plötzlich stürzten sich die Fußballer gezielt auf mich. Während mein Freund die Flucht ergriff, zerrten sie mich vom Fahrrad und sagten: »Wir machen jetzt ein Konzentrationslager, du Judensau.« Sie begannen mich zu verprügeln, zwangen mich zu Läufen und so weiter. Zum Glück hatte mein Freund sofort meine Mutter alarmiert, die bald herangestürzt kam, da hauten die Jungs feige ab.

Der Schock saß tief – die Gefahr, in der ich gewesen war, und der Hass auf mich, weil ich Jude bin, hatten mich schwer getroffen. Zugleich war ich entschlossen, mich von so etwas niemals unterkriegen zu lassen. Ich würde immer meinen Mund aufmachen – egal wer mich bedrohte.

Auf der Überholspur

Im Jahr 2000 wurde ich volljährig und machte meinen Führerschein. Und weil ich materiell gesehen ein ziemlich verwöhnter Bengel war, schenkten meine Eltern mir einen Mercedes-AMG C-Klasse. Er hielt genau eine Woche.

Bei dem Auto handelte es sich um eine Sportversion. Beim Gasgeben hatte man das Gefühl, als würde sich die Karosserie absenken, damit das Auto weniger Luftwiderstand bietet, sodass eine (noch) höhere Geschwindigkeit möglich ist. Ich wollte das spüren, ebenso wie den Heckantrieb, die PS unter dem Hintern. Und so raste ich bei Regen wie der Regengott Michael Schumacher mit 180 über die Autobahn. Nicht angeschnallt, die Musik bis zum Anschlag aufgedreht und vor Euphorie laut lachend und singend. Es war ein Rausch – bis ich die Kontrolle verlor. An einer Ausfahrt knallte ich in die Leitplanke, die ich samt einigen Schildern wegrasierte. Ich schlug mit dem Kopf irgendwo an – Schlimmeres verhinderte zum Glück der Airbag, der sich beim ersten Aufprall geöffnet hatte. Ich weiß noch, dass ich völlig unverletzt aus dem total demolierten Auto stieg und mich in einem (damals ziemlich seltenen) Moment der Klarheit laut fragte: »David, was ist eigentlich los mit dir?!« Eine des Weges kommende Dame hielt an, stieg aus, notierte mein Nummernschild und fuhr dann einfach weiter.

Als ich meinen Vater anrief und ihm berichtete, was passiert war und dass er mich abholen müsse, war er natürlich stinksauer. Aber als er dann den Trümmerhaufen sah, der am Morgen noch mein Auto gewesen war, wurde er ganz ruhig. Und blass. Er sah, was ich nicht sah und erst heute weiß: Gott hatte mich am Leben gelassen. Und auf diese Weise zu mir gesprochen. Aber ich konnte Ihn damals noch nicht verstehen. Im Gegenteil: Schon wenige Stunden nach dem Unfall haderte ich damit, dass das Schicksal mich so schlecht behandelte und nicht einfach ungestört weiterrasen ließ. Dabei habe nicht nur ich damals ungeheures Glück gehabt, denn mit mir waren viele weitere Menschen auf dieser Autobahn unterwegs gewesen. Auch mit deren Leben hatte ich gespielt.

Übrigens war es nicht das erste Mal, dass ich wie durch ein Wunder mit dem Leben davonkam. Als ich zwölf war, hatte ich einen Freund, der neben einer Zuckerfabrik wohnte. Wir kannten ein Loch im Zaun und schlichen uns sonntags immer da rein, zum Versteckenspielen. An einem Tag hatte ich ein super Versteck – ich war überzeugt, dass der Freund mich dort niemals finden würde. Aber zu meiner Verblüffung rief er: »Hey, du bist da hinten, unter der Rampe und dem Waggon. Kannst rauskommen.« Ich krabbelte hervor – und eine Sekunde später knallte ein Güterwaggon runter. Genau dahin, wo ich gekauert hatte. Wir wurden kreideweiß im Gesicht, und mein Freund stammelte schockiert: »Dein Opa hat dir das Leben gerettet.« Ich verstand nicht, was er meinte, da wies er auf das goldene Medaillon, das ich um den Hals trug. Es zeigte einen älteren Mann, aber das war nicht mein Opa, sondern der Baba Sali (Mann des Gebets), ein jüdischer Gelehrter und Weiser (Zaddik) aus Marokko, den meine Mutter sehr verehrte. Sie hatte mir das Kettchen mit seinem Bild geschenkt – und mein Freund hatte es in der Sonne glitzern sehen und mich nur deshalb entdeckt. Ohne den Baba Sali wäre ich wohl heute nicht mehr am Leben. Es war unser letztes Mal in der Zuckerfabrik.

 

Was ich nach meinem Autounfall immerhin verstand: Du kannst im Leben nicht einfach machen, was du willst. Jede Aktion hat Folgen. Und das gilt nicht nur in der Physik. Das hinderte mich allerdings nicht an der für mich und mein damaliges Alter so typischen Selbstüberschätzung. Im Gegenteil: Nachdem ich dem Mercedes unversehrt entstiegen war, fühlte ich mich möglicherweise erst recht unverwundbar. Und entsprechend machte ich weiter.

Am wenigsten kümmerte mich damals der materielle Verlust. Es war beinahe ein Totalschaden – aber die Versicherung sprang ja ein. Dass der Beitrag danach erhöht wurde, bekam ich gar nicht mit – den zahlte ja mein Vater. Ich erzähle das, weil es illustriert, wie wenig ich vorbereitet war auf die Phase echter Armut, die ich einige Jahre später in Israel erleben sollte.

Mein Fehler diente mir jedenfalls nicht wirklich zur Lehre. Nach der Reparatur habe ich ein Fahrverbot nach dem anderen eingesammelt. Zuerst wurde ich in einer 50er-Zone mit 101 km/h geblitzt – ich musste für einen Monat den Führerschein abgeben und eine Nachschulung machen. Bald danach wurde ich in einer 30er-Zone mit 64 km/h geblitzt – wieder war der Lappen einen Monat lang weg. Der nächste Verstoß war der harmloseste: 67 km/h in einer 50er-Zone. Aber jetzt brach mir meine Vorgeschichte endgültig das Genick: Der Führerschein wurde mir erst für drei Monate entzogen und dann ganz weggenommen. Um ihn wiederzubekommen, musste ich zur MPU, der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung. Wenn ich daran denke, was für Typen dort saßen (einschließlich David Kraus selbst), dann ist der übliche Ausdruck »Idiotentest« für die MPU vollkommen passend. Wir waren ausschließlich angeberische junge Männer mit zu viel Testosteron und zu wenig Hirn. Oder zumindest zu wenig Verantwortungsbewusstsein.

Die MPU mit ihren Gruppen- und Einzelsitzungen war eine Erfahrung, die mich im Nachhinein geprägt hat. Es hat schon eine besondere Ironie, dass ich als späterer psychologischer Berater damals einem Psychologen gegenübersaß und weder ihn noch die Situation richtig ernst nahm. In der ersten Sitzung sollte jeder von uns erklären, warum er so oft so schnell fährt. Ich wusste, welche Reaktion taktisch richtig und erwünscht war: »Rasen ist verantwortungslos und gefährdet nicht nur mich, sondern auch andere.« Mein Denken war aber immer noch: »Mir passiert doch nichts.« Dabei war mir ja bereits etwas passiert, aber das blendete ich großmäuliger Schlaumeier schön aus.

Dasselbe ohne den Schlaumeier verkörperte ein Kroate, der dem Psychologen antwortete: »Wissen Sie, was 360PS unterm Arsch sind? Man tritt aufs Gas – und man fliegt. Was willst du machen?« Ich musste dermaßen lachen, dass die gesamte Gruppe mit einstimmte und jede Chance auf eine pädagogisch wertvolle Nutzanwendung dieser Äußerung futsch war. Der Psychologe war extrem angefressen und fragte mich: »Finden Sie das jetzt lustig, Herr Kraus?« Damit war der taktische Vorteil, den ich mir durch meine brave Antwort verschafft hatte, gleich wieder dahin.

Und ich sammelte weiter fleißig Minuspunkte. Im Theorieteil hatte ich grundsätzlich abgeschaltet. Als dann überraschend ein Multiple-Choice-Test angekündigt wurde, stand ich ziemlich auf dem Schlauch. Zumal es hieß: »Wer nicht besteht, ist raus aus dem Kurs.« Zum Glück saß ich direkt neben dem Streber unserer Gruppe. Bei allen Fragen, deren Antwort ich nicht wusste, linste ich zu ihm hinüber und setzte mein Kreuz genau da, wo er sie hatte. Der Kursleiter kam einmal her, schaute mir über die Schulter und fragte: »Schreiben Sie etwa ab, Herr Kraus?« Er wirkte dabei tiefenentspannt und keineswegs sauer. Merkwürdig.

Meine Antwort natürlich: »Ich? Niemals!«

Darauf er: »Sie können von mir aus ruhig abschreiben.«

Die ganze Gruppe war ein einziges Fragezeichen.

»Aber Sie sollten wissen, dass Ihr Nachbar einen anderen Prüfungsbogen hat als Sie.«

Es war eine dieser Situationen, in denen man sich ein tiefes Loch im Boden wünscht, in das man vor Scham versinken kann. Und es war reines Glück, dass ich trotzdem genügend Kreuze richtig gesetzt hatte. Aber ich habe in diesem Moment eine Lektion fürs Leben gelernt: Nie wieder abschreiben! Nicht blind an anderen orientieren! Mach dein eigenes Ding.

Irgendwann hatte ich meinen Führerschein zurück und konnte endlich wieder Auto fahren. In den Kreisen, in denen ich mich bewegte, war man nichts ohne ein schnelles Auto. Und wie sollte man sonst auch punkten außer, indem man cool und schnittig überall vorfuhr und Aufmerksamkeit erregte? Denn darum ging es in meinem Leben, wenn ich nicht gerade studierte: Autos, Partys, Musik, Tanzen und Feiern. Das Studium nahm ich ernst – ich wollte ja schnell auf eigenen Beinen stehen und gutes Geld verdienen, damit ich mir Dinge leisten konnte. Anderes nahm ich damals nicht ernst.

 

Was der Ernst des Lebens tatsächlich bedeutet, erfuhr ich 2002 bei einem Verwandtenbesuch im Land meiner Geburt.

Während meiner Ferien in Israel war ich eines Morgens unterwegs zu Onkel und Tante. Ich wollte meinen Cousin Yuval abholen, um mit ihm auszugehen. Wir waren jung, es war warm wie immer in Israel, und wir kannten tolle Klubs. Unterwegs klingelte mein Handy. Mein Cousin war dran, mit tränenerstickter Stimme. Es habe wieder eines dieser furchtbaren Busattentate gegeben, sagte er – und dass seine Mutter in dem Bus gesessen hatte. Sie war tot. Später stellte sich heraus, dass der teuflische palästinensische Selbstmordattentäter direkt neben ihr gesessen hatte. Es war praktisch nichts von ihr übrig, das man hätte identifizieren und beerdigen können.

Der Tod meiner Tante war eine Katastrophe für die ganze Familie. Und ich, ein unbekümmerter junger Mann aus dem sicheren Deutschland, bekam den Umgang mit dieser Katastrophe hautnah mit. Ich war dabei, als die engere Familie sieben Tage Schiva saß, also um die Tante trauerte. Dieses Erlebnis hat mich tief beeindruckt und berührt, und zwar beides: die Trauer und Verzweiflung einerseits – und der Trost durch den Glauben, den mein Onkel und meine Cousins erhielten, andererseits. Es kamen Rabbiner ins Haus, die aus der Thora lasen und mit uns sprachen. Ich fragte sie nach dem Warum. Und ich kam erstmals mit der Schönheit der Religion in Kontakt.

Diese Erfahrung hinterließ ohne Zweifel Spuren in mir. Aber wie tief waren diese Spuren? Welches Gewicht hatte das in Israel Erlebte gegenüber meinem feierfreudigen Leben in Deutschland? Nicht genug, muss ich heute sagen. Nach meiner Rückkehr hatte ich jedenfalls schnell wieder anderes im Kopf.

Sprit und Spirit

Aber Gott wollte offenbar wirklich gern mit mir ins Gespräch kommen. Er blieb hartnäckig – und wurde einfallsreicher. Nachdem es mit der »Schreck«-Methode nicht funktioniert hatte, versuchte Er es mit Begeisterung.

Im Juni 2004, ich war 22, fuhr ich eines schönen Sommertages an einen Baggersee bei Regensburg. Dort ging ich zweimal in der Woche sechs Kilometer joggen. Ich wollte schließlich gut aussehen. Alle Blicke sollten auf mir ruhen, das fühlte sich gut an. Und genauso gut fühlten sich die neidischen Blicke der Wettbewerber an, die weniger gut ankamen als der schöne, charmante David.