Der Geilheit ergeben | Erotischer Roman - Christy Brown - E-Book

Der Geilheit ergeben | Erotischer Roman E-Book

Christy Brown

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Beschreibung

Dieses E-Book entspricht 160 Taschenbuchseiten ... Weil sie ihren Anschlussflug verpasst haben, stranden drei sehr unterschiedliche Frauen gemeinsam in der Wartehalle eines Flughafens. Da ist Melina, die aus einer Dreierbeziehung ausgebrochen ist, obwohl sie den besten Sex ihres Lebens hatte. Und Mathilde, eine Regisseurin, die sich unversehens in einen Schauspieler verliebt hat und mit ihm hemmungslos ihre heimlichen Fantasien inszeniert. Und schließlich Lilly, die sich einen Fremden geangelt hat und mit ihm lernen durfte, wie geil es sie macht, devot zu sein. Mit fortschreitender Stunde werden ihre Gespräche immer ungehemmter und sie erzählen ehrlich, was ihnen tatsächlich Lust verschafft ... Diese Ausgabe ist vollständig, unzensiert und enthält keine gekürzten erotischen Szenen.

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Seitenzahl: 210

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Impressum:

Der Geilheit ergeben | Erotischer Roman

von Christy Brown

 

Christy Brown, geboren 1985, machte sich 2005 aus dem Staub, kaum, dass sie das Abitur in der Tasche hatte. Zehn Jahre lang ließ sie sich vom Wind durch Europa wehen, bis sie 2015 zurückkehrte, den Kopf voller Geschichten über das Leben, die Liebe und die Leidenschaft. Einige dieser Geschichten sind während der letzten Jahre bereits erschienen. Sie erzählen mit entwaffnender Ehrlichkeit und einer ordentlichen Portion knisternder Erotik von Heldinnen und Helden mit ungewöhnlichen Lebens- und Liebeskonzepten.Derzeit lebt und arbeitet Brown abwechselnd an der Nordseeküste und am Fuß der schwäbischen Alb. Manchmal aber packen sie das Fernweh und eine Windböe – und dann muss sie los, um Abenteuer zu erleben, die sie zu neuen Geschichten inspirieren.

 

Lektorat: A. K. Frank

 

 

Originalausgabe

© 2024 by blue panther books, Hamburg

 

All rights reserved

 

Cover: © tatchai @ 123RF.com © mixzero @ 123RF.com

Umschlaggestaltung: MT Design

 

ISBN 9783756129966

www.blue-panther-books.de

Prolog

Melina erstarrte. Sie fühlte, wie sich der Pfropfen auf ihrem verstopften Verstand löste und kurz darauf davongeschossen wurde wie der Korken aus einer Flasche Sekt. Es war ein ruckartiger, schmerzhafter Prozess, dem eine Gedankenflut folgte, die sie überschwemmte. Was sie fühlte, war kein Funke Schmerz, es war eine wilde Feuersbrunst, die drohte, sie komplett zu verschlingen. Ihr wurde schlecht. Schnell, noch bevor Sophie etwas davon mitbekommen konnte, stieß sie eine Entschuldigung hervor und floh.

Sie flüchtete blind durch die kleinen weißen Gassen, bestand aus nichts als Schmerz und Schuld und diesem Gedankenstrom, dem sie hilflos ausgesetzt war. So muss sich jemand fühlen, der in einen reißenden Fluss gefallen ist, dachte sie. Das Blut rauschte in ihren Ohren und sie hatte das Gefühl, die Hitze auf einmal nicht mehr zu ertragen. Die Entscheidung war gefallen, sie spürte es.

Hinter der nächsten Ecke blieb sie stehen, kniete sich auf das heiße Pflaster und kramte ihr Handy aus dem Rucksack. Mit fliegenden Fingern suchte sie die Nummer heraus. Der Verbindungsaufbau dauerte ewig, aber endlich ertönte das Freizeichen. Es klingelte lange. Gerade wollte Melina auflegen, da nahm Mathilde ab.

»Melina«, sagte sie. Mehr nicht.

»Mathilde.« Melina rang um Fassung. Im Moment gab es auf der Welt niemanden außer Mathilde mehr für sie.

»Was würdest du sagen, wenn ich dich fragen würde, ob ich dich besuchen kommen kann? Sagen wir – morgen? Rein hypothetische Frage, natürlich.«

»Muss ich mich um dich sorgen?«

»Nein.«

»Gut. Ich würde sagen: Komm. Was denn sonst?«

Melina schloss die Augen. Ihr Herz raste und ihr wurde immer übler. Sie wollte etwas sagen, aber Mathilde sprach bereits weiter: »Und was wäre, wenn ich dich fragen würde – rein hypothetisch – ob du meine Trauzeugin werden willst?«

»Was? Wann?«

»In drei Tagen. Du erwischst mich ganz gut. Ich wollte gerade meinen Flug für morgen buchen. Ach so, ich heirate in Verona. Macht das was? Oder willst du lieber in meiner Wohnung in Hamburg bleiben?«

»Ich … Nein. Ich meine: Herzlichen Glückwunsch! Und …« Melinas Hals verengte sich. Sie schluckte dagegen an. »Und ich komme mit. Nach Verona.«

»Du kommst mit? Als meine Trauzeugin? Fantastisch!« Mathilde lachte kurz auf und räusperte sich gleich darauf geschäftig. Melina stellte sich vor, wie sie sich am anderen Ende der Leitung die Brille ins Haar schob. Nicht nur ihr Hals, auch ihr Magen zog sich zusammen.

»Dann buche ich uns einen gemeinsamen Flug ab Hamburg nach Verona. Wo steckst du eigentlich?«

»Andalusien.«

»Und du kommst morgen?«

»Ja.«

Sie schaffte es gerade noch, sich zu verabschieden, dann beugte Melina sich vornüber und erbrach sich auf das heiße Pflaster.

***

Noch 4 Stunden, 14 Minuten …

Die Gitter der Wartebänke drückten den Wartenden Karos in die Oberschenkel, wenn man zu lange auf ihnen saß. Melina hatte zu lange auf ihnen gesessen, sie spürte die Erhebungen und Vertiefungen auf der nackten Haut ihrer Oberschenkelrückseiten, während sie über der schmuddeligen Flughafentoilette balancierte. Eine Durchsage auf Deutsch, die nicht sie betraf, schallte durch den Raum. Es war ungewohnt, sich nach so langer Zeit wieder im deutschen Sprachraum zu befinden. Sie wusch sich die Hände und betrachtete ihr müdes Gesicht im Spiegel, das vom Kunstlicht ungünstig in Szene gesetzt wurde. Unter der Bräune war sie blass, ihre Augen lagen vom Schlafmangel in dunklen Höhlen. Sie zog das ausgeleierte Haargummi aus ihren Dreads, fuhr sich mit beiden Fingern hindurch und ordnete sie wieder. Hier in Deutschland sah sie seltsam aus, zwischen all den gut gekleideten und sorgsam frisierten Personen. Sie seufzte und band sich die Dreads wieder zusammen. Über ihren Look würde sie zu einem anderen Zeitpunkt nachdenken.

Die halb erleuchtete Halle lag still da und so schloss die Toilettentür hinter Melina unüberhörbar laut, während sie an langen Reihen leerer Sitzbänke vorbei bis zu ihrer Tante Mathilde schritt, die sich, die Beine ausgestreckt und die Augen geschlossen, weitere Karos in den Hintern saß.

Weit und breit waren sie die einzigen Personen im Sicherheitsbereich des Flughafens. Mathilde hob den Kopf, mit dem sorgsam frisierten, skandinavisch kühlen blonden Bob, der sich so sehr von Melinas wilden Dreadlocks unterschied.

»Nur noch vier Stunden, vierzehn Minuten. Und für dich haben wir auch nichts zum Anziehen«, informierte Mathilde sie, als sie neben sie trat.

»Stimmt.«

Mathilde hob zwei Pappbecher, die mit klarer Flüssigkeit gefüllt waren.

»Auf deine Hochzeit!«

»Darauf, dass diese dreckige Fluggesellschaft nie wieder Geld von mir bekommen wird! Auf diesen Abend! Auf meine Hochzeit! Und auf dich, Melina!« Sie stießen an, tranken, es brannte in der Kehle.

»Noch vier Stunden und dreizehn Minuten.«

Das nämlich hatte die junge Flughafenangestellte gesagt, die mit der unangenehmen Aufgabe betraut worden war, ihnen den finalen Stand der Dinge mitzuteilen:»Nur noch vier Stunden und dreiundfünfzig Minuten, dann geht ihr Ersatzanschluss.« Sie hatte es mit scheuem um Entschuldigung bittenden Gesichtsausdruck gehaucht.

Mathilde hatte nichts entschuldigt, nicht das Fräulein und nicht die Schlamperei des Flughafenpersonals, das sämtliche Passagiere des Fluges von Berlin nach München über die kurzzeitige Änderung des Abfluggates ihres Anschlussfluges nach Verona informiert hatte. Nur sie beide nicht, die im Flieger von Hamburg nach München gesessen hatten und deshalb schlicht vergessen worden waren.

Als das auffiel, war das Flugzeug nach Verona bereits auf der Startbahn und es startete auch tatsächlich, sosehr Mathilde sich auch aufregte. Und zwar mit Mathildes Brautkleid an Board, aber ohne die Braut und deren Trauzeugin. Mathilde rastete bühnenreif aus und forderte eine Entschädigung, ihr Kleid und vor allem einen sofortigen Ersatzanschluss. Man bat sie, Platz zu nehmen und einen Moment abzuwarten, während der Stand der Dinge ermittelt werden würde.

Es dauerte ganze zwei Stunden, bis man ihnen das Fräulein vorbeischickte, das ihnen die aktuelle Lage zu erläutern hatte und zu allem Überfluss hinzufügte, dass sie sich zwar ein Hotelzimmer nehmen könnten, sich dies in Anbetracht der nun noch verbleibenden Zeit aber kaum lohnen würde. Die Rechnung sei dann im Nachhinein bei der Fluggesellschaft einzureichen.

»Und die Rechnung für mein Kleid?«, bellte Mathilde. Als sie mit dem Fräulein fertig war und es davon wankte, waren es noch vier Stunden und vierundvierzig Minuten.

»Ich fasse es nicht! Ich komme zu spät zu meiner eigenen Hochzeit. Und mein Kleid kann ich vergessen. Was für Vollpfosten! So ein desolater Verein!« Wütend hatte Mathilde sich gesetzt. »Wenigstens habe ich meine Trauzeugin mit dabei. Wenigstens wirst du nicht auf mich warten müssen, Melina.«

Nach einigen Momenten der völligen Frustration hatte sie ihr Handy gezückt und ihren Verlobten angerufen, um ihn über die unerfreuliche Sachlage zu informieren.

Melina war während des Telefonats losgezogen und hatte nach langer Suche eine Flughafenbar gefunden, die noch nicht geschlossen hatte, und wo sie zu einem irrsinnigen Preis eine ganze Flasche Wodka erwarb.

»Ist mein Hochzeitsgeschenk«, sagte sie zu ihrer Tante, für deren Misere sie sich mitverantwortlich fühlte. »Oder vielleicht ist das ja so was wie dein Junggesellinnenabschied jetzt. Gezwungenermaßen.«

Hätte Melina sie nicht angerufen, wäre Mathilde nämlich schon vor zwei Tagen von Hamburg nach Verona geflogen. So hatte sie auf sie gewartet und sich für diese sehr knappe Verbindung entschieden. Nach ihrer planmäßigen Ankunft in Verona hätten sie noch achteinhalb Stunden Zeit gehabt. Nun würden sie zum Zeitpunkt der Trauung irgendwo zwischen München und Verona im Flugzeug sitzen.

»Junggesellinnenabschied.« Mathilde hatte geschnaubt. Dann musste sie aber doch lächeln. Im Gegensatz zu Melinas braunem Gesicht wirkte ihres fast reinweiß. »Gehören dazu nicht eine Menge nackter Männer?«

Melina grinste. Es war eine gute Entscheidung gewesen, zu Mathilde zu fliehen. Was danach kam, war egal.

»Du kannst das jetzt entstandene Zeitfenster nutzen, um mir von deinem Bräutigam zu erzählen. Der war ja sicher schon öfter mal nackt.«

Mathilde schnalzte mit der Zunge. Dann sagte sie: »Oder du erzählst mir endlich, wegen welcher Geschichte du über zweitausend Kilometer weit geflohen bist. Ich wette, da kommt auch der eine oder andere nackte Mann drin vor.« Sie griff nach der Flasche mit der durchsichtigen Flüssigkeit, musterte sie und nickte. »Da haben wir aber was vor. In nur vier Stunden und – Moment! Zwei Minuten. Also, fängst du an? Oder soll ich?«

»Egal, lass uns Schere, Stein, Papier machen.« Melina spürte einen Stich, als sie sich das sagen hörte. Schere, Stein, Papier war etwas, das Sophie vorschlagen würde. »Die Verliererin beginnt.«

Mathildes Stein verlor gegen Melinas Papier. Sie seufzte. »Jetzt«, sagte sie mit erhobenem Zeigefinger, »möchte auch ich noch zur Toilette. Zeit genug haben wir ja.«

Melina nickte.

***

Noch 3 Stunden, 58 Minuten …

Lilly warf der Zeitanzeige auf der elektronischen Tafel, die An- und Abflugszeiten bekannt gab, einen giftigen Blick zu. Es machte sie aggressiv, den Minuten bei ihrem unendlichen langsamen Verstreichen zuzusehen. Sie musste sich ablenken, Wut auf Minuten brachte sie nicht weiter. Ohnehin würde sie hier die ganze Nacht hocken müssen, ob ihr das passte oder nicht. Da war es besser, sie fügte sich gelassen in ihr Schicksal.

»Fuck«, sagte sie laut, um noch einmal Druck abzubauen, bevor sie Gelassenheit aufbauen würde. »Eine richtig abgefuckte Scheiße ist das.«

Ihre Worte verklangen in der leeren Halle. Außer ihr hielten sich hier einzig zwei dunkelblau uniformierte Sicherheitsbeamte auf, aber die befanden sich außer Hörweite. Weil sie noch zur Toilette musste, bevor sie wirkliche Gelassenheit erlangen konnte, erhob sie sich und zog ihren schwarzen Rollkoffer hinter sich her. Besser, sie befolgte die Sicherheitshinweise an den Wänden und ließ ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt, egal, wie menschenleer die Halle ihr schien.

***

Noch 3 Stunden, 49 Minuten …

Als Mathilde einige Minuten später zurückkam, hatte sie eine weitere Person im Schlepptau. Eine große Frau, etwa Mitte dreißig.

»Darf ich vorstellen?« Mathilde machte eine dramatische Geste mit der Hand. »Lilly. Eine Schicksalsgenossin. Ich habe sie eben beim Pinkeln kennengelernt. Rate mal, welchen Anschlussflug sie nicht bekommen hat?«

»Obwohl ich im Flieger aus Berlin saß.« Lilly reichte Melina, die sich erhoben hatte, die Hand. »Ich setze mich zu euch. Ist das in Ordnung?«

»Aber bitte.« Melina wies einladend auf die lange Bankreihe und musterte die Fremde interessiert. Sie war mindestens einen Meter achtzig groß, deutlich größer als Melina, die sich selbst als nicht klein empfand. Trotz ihres vollschlanken Körpers war sie eine attraktive Erscheinung, mit grünlichen Augen und einer Nase, für die nicht wenige Menschen viel Geld zu zahlen bereit wären.

»Melina hat für Verpflegung gesorgt.« Mathilde hob die Wodkaflasche. Lilly nickte erfreut.

»Und?« Melina beugte sich vor, um mit ihr anzustoßen. »Was verpasst du gerade? In Verona?«

»Hm.« Lilly nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. »Schwer zu sagen. Eigentlich verpasse ich nichts. Ich … habe dort nichts Besonderes vor. Man könnte sagen: Ich wollte einfach einmal weg.«

»Mal weg?«, echote Melina.

»Mal weg. Ja. Abstand. Mir … mir ist was Komisches passiert.«

»Okay.«

»Und ihr beide?«

»Ich komme zu spät zu einer Hochzeit. Zu meiner Hochzeit.« Mathilde lächelte müde. Sie schien sich in ihr Schicksal gefügt zu haben.

»Ich komme auch zu spät – also, zu ihrer Hochzeit.« Melina wies mit dem Daumen auf Mathilde. »Aber eigentlich … eigentlich verpasse ich auch nichts. Ich musste auch mal weg.« Melina lächelte erst Lilly, dann Mathilde an.

»Ist dir auch was Komisches passiert?«

»Irgendwie schon, ja.«

Sie schwiegen eine kleine Weile. Draußen auf der Rollbahn, auf die die Glasfront blickte, vor der sie saßen, war finstere Nacht. Wenige Sterne blitzten aus einer löchrigen Wolkendecke hervor, die von unten das gelbliche Licht der Zivilisation reflektierte.

»Melina wollte sowieso gerade erzählen, was los ist. Wir hatten noch keine Gelegenheit, uns auszutauschen.« Mathilde hatte Platz genommen und die Beine lang gemacht.

»Außerdem haben wir entschieden, unseren Zwangsaufenthalt hier zu nutzen, um meinen Abschied als Junggesellin zu feiern. Leider ohne nackte Männer.« Sie schmunzelte. »Aber wenn du möchtest, Lilly, bist du herzlich dazu eingeladen. Oder, Melina?«

»Absolut. Ich habe nur einen Einwand: Du, Mathilde, bist diejenige, die gerade mit dem Erzählen beginnen wollte.«

»Oh, bitte.«

»Erzählen?« Lilly tat es Mathilde gleich und streckte die langen Beine aus. Sie trug schwarze flache Lederstiefeletten, die Melina gefielen. »Gute Idee. Wenn es für euch in Ordnung ist, dass ich zuhöre? Wir kennen uns ja nicht. Ich … ich kann mich auch wieder dort rüber setzen, ich habe ein Buch dabei.« Sie zuckte die Schultern und lächelte. Aufdrängen wollte sie sich nicht.

»Also mir macht es überhaupt nichts, wenn du zuhörst. Ich freue mich über Gesellschaft.« Melina lächelte die Fremde an. Seltsam, sich auf Deutsch mit Fremden zu unterhalten.

»Vielleicht hast du ja auch einen erzählerischen Beitrag zu meinem Junggesellinnenabschied? Hast du nicht gesagt, du hättest etwas Komisches erlebt?« Mathilde brachte ein Lächeln zustande.

Lilly wiegte den Kopf. »Ich fürchte, mein Erlebnis hat zu viel mit Erotik zu tun.«

»Ich glaube kaum, dass mich das schocken kann.« Melina grunzte durch die Nase. »Außerdem wird Mathilde erzählen, wie sie ihren Zukünftigen kennengelernt hat. Da gab es bestimmt auch den einen oder anderen erotischen Moment.«

»Den ich euch aber nicht auf die Nase binden werde.«

In der Dunkelheit vor dem Fenster tauchte ein landendes Flugzeug auf. Schenkte man der Anzeigetafel Glauben, war das die letzte Landung für heute.

»Wieso spricht man eigentlich nicht über Erotik?« Melina warf mit gerunzelter Stirn Blicke zwischen den beiden hin und her, die dem Passagierflieger beim Ausrollen und Einparken zusahen.

»Alle tun so, als wäre Sex etwas, über das man besser nicht spricht. Das, meine Damen, halte ich für falsch.« Es dauerte, bis jemand reagierte.

Dann war es Lilly, die sagte: »Warum falsch? Ich finde das eher diskret.«

»Diskret bis verklemmt.«

»Vielleicht ist aber Sex nichts, was Diskretion bedarf? Also, im Prinzip schon, aber im Gespräch vielleicht weniger? Ist es das, was du meinst?« Das war Mathilde.

»Genau.« Melina nickte. »Sex bleibt unter anderem so verschämt und heimlich, weil wir ihn weitestgehend verdrängen. Ihn zu den peinlichen, nicht ganz geklärten Dingen schieben.«

Lilly lächelte dünn. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie diese junge Hippieschnecke mit löchriger Jeans und wildem Haar, die gern über Sex sprechen wollte. Klischees waren teilweise eben doch begründet.

Melina bemerkte den Spott in den Augen der großen Frau. Deshalb sprach sie sie direkt an: »Ich möchte dem Sex ja nicht die Intimität absprechen. Nur den Diskurs darüber weiter ankurbeln.«

Jetzt musste Lilly leise grinsen. Diskurs über Sex. Oh Mann, diese Mittzwanziger mit ihren wilden Ideen.

»Ich finde, der Diskurs hat sich bereits gewandelt.« Das war wieder Mathilde, die die aufkommende Spannung zwischen den beiden bemerkt hatte und beschwichtigen wollte.

»Und ich finde«, Melina verschränkte die Arme, »dass ein unheimlich großes, offensichtlich ungestilltes Interesse an Sex besteht. Sonst würde die Pornoindustrie nicht so boomen.«

Lilly zuckte zusammen. Melina bemerkte es zum Glück nicht, sie redete weiter: »Sexarbeiterinnen und Arbeiter würden nicht mehr so ausgegrenzt werden, zum Beispiel! Keine Ahnung. Sex ist so heimlich, wir können nicht einmal darüber reden. Wie sollen wir da einen unverkrampften Umgang damit finden? Jeder und jede für sich selbst? Nein. Ich glaube, das ganze Versteckspiel gehört ins Mittelalter.« Sie hob die Hände. Ihr Plädoyer war beendet.

Lilly wiegte den Kopf. Bei näherer Betrachtung war das gar nicht so dumm, was die Hippieschnecke da sagte. Weniger Verschämtheit, mehr zu sich stehen. Außerdem, das mit der Pornoindustrie … Sie fröstelte leicht.

»Herausforderung angenommen.« Sie war selbst überrascht, als sie sich das sagen hörte. Andererseits hatte hier niemand etwas zu verlieren, sie kannte die beiden anderen nicht. Es war egal.

»Wie jetzt?« Melina setzte sich grinsend auf. »So richtig mit schmutzigen Details?«

Lilly nickte.

»Die ganze Vulvarheit, sozusagen.«

»Ekliges Wort!« Melina schüttelte sich lachend.

»Und was sagst du dazu, Mathilde?«

Die schob sich die Brille ins Haar und fuhr sich mit der flachen Hand über die Augen. »Warum nicht«, sagte sie schließlich. »Wir können es versuchen.«

»Wie wäre es, wenn ich anfange?« Lilly erhob sich von der Bank, breitete ihre Jacke auf dem Boden aus und setzte sich dort neben Melina.

»Einverstanden«, sagte Mathilde.

»Kommen denn auch angemessen viele nackte Männer in deiner Erzählung vor?«

»Einer.«

»Gut.«

Lilly, erster Teil

Lilly drückte den blauen »Jetzt buchen«-Button. Vielen Dank für Ihre Buchung, sagte das Display. Und dass sie in Kürze eine Bestätigungs-E-Mail erhalten würde.

Die Abfahrt war in anderthalb Stunden. Das war knapp bemessen, aber machbar.

Gut. Lilly nickte. Die erste Hürde war genommen. Sie erhob sich und ging zum Kleiderschrank, wo sie sich für eine schwarze dreiviertellange Hose und ein ebenfalls schwarzes Top entschied, das die Oberarme frei ließ. Sie drehte sich vor dem Spiegel und war zufrieden. Dieser Look machte sie schlank.

Im Bad sprühte sie sich Haarspray für mehr Volumen ins Haar, wählte den roten Lippenstift mit dem 24-Stunden-Halt und tuschte sich die Wimpern. Ein kritischer Blick in den Spiegel – Lilly nickte erneut. Gut.

Sie schaffte es ganz ohne Selbstzweifel durch den Sommerabend in der brandenburgischen Kleinstadt, in der sie seit fünf Jahren lebte und doch nicht Fuß gefasst hatte, bis ans Gleis, wo sie in den Regionalexpress stieg, um damit nach Berlin zu fahren. Das lief doch gut. Es war ihr Vorsatz für diesen Sommer gewesen: mal was Spaßiges machen, sich mal nicht selbst ausbremsen, einfach mal drauflos leben. Eine Menge mal. Aber alle anderen schafften es doch auch. Also würde sie es auch packen.

Sie würde Leichtigkeit und Spaß leben, sich sexy fühlen und im Leben schwimmen. Endlich. Mal eine neue Version ihrer selbst sein, eine Sommerlilly.

Berlin empfing sie laut, heiß und stinkend, die Wärme des Tages staute sich zwischen den Gebäuden und wurde vom Asphalt reflektiert. In diesem Klima konnte sämtlicher Unrat, der in dieser großen Stadt anfiel, sein volles Aroma entfalten. Hunde- und Müllhaufen stanken mit dem trübfließenden Kanal um die Wette.

In der Straßenbahn, mit der sie ab dem Fernbahnhof noch einige Stationen in den Osten der Stadt fuhr, war es kühler. Lilly lehnte sich in ihrem Sitz zurück und genoss das Vorbeiziehen der Stadt vor dem Fenster. Hier pulsierte das Leben.

Als sie an einer Haltestelle hielten, ergab sich ein flirty Blickwechsel mit einem attraktiven Typen, der sie beflügelte und in der Richtigkeit ihres Tuns weiter bestätigte.

Als sie sich in die Schlange vor der Location einreihte, bekam ihr Schutzschild zum ersten Mal ein Loch. So weit sie sehen konnte, nämlich über die ganze Reihe der Wartenden hinweg bis hin zu den beiden Türstehern, standen nur Mädels in der Schlange, die rund zehn Zentimeter kleiner und zehn Kilo leichter waren als sie selbst. Aber genug davon. Sie gebot ihren Gedanken energisch Einhalt.

Die Türsteher erinnerten sie an Piraten. Ihre Oberkörper waren nackt unter den Westen; der mit der schwarzen Haut trug einen goldenen Ring im Ohr, der mit der weißen eine Augenklappe. Der mit dem Ring im Ohr zwinkerte Lilly zu, als er ihr ihre Tasche zurückgab. Gut.

Sie holte sich ein Bier und suchte sich einen Platz im Garten, um sich in Ruhe zu akklimatisieren. Der Geräuschpegel war angenehm, die Bässe klangen gedämpft aus den Gebäuden und legten sich über das Geplauder und das Lachen der Feiernden.

Lilly ließ ihre Blicke über die verschiedenen Sitzgrüppchen und Wege des Gartens schweifen, der sich zwischen den drei Dancefloors schlängelte. Alles war hübsch und abenteuerlich, der Sommer stand der Location und ihren Besuchern gut. Zwei Fackeln an der Wand des gegenüberliegenden Gebäudes flackerten alle dreißig Sekunden, die vereinzelten Büsche und Bäume waren farbig beleuchtet.

Hinter Lilly saßen zwei sehr junge Frauen, die sich auf spanisch unterhielten, die eine hatte einen südamerikanischen, die andere einen deutschen Akzent. Sowieso waren die meisten Leute hier jünger als sie. Vor ihr lief ein Typ auf dem Weg vorbei, der etwa ihr Alter haben musste. Allerdings trug er eine Kappe, sodass sie sein Gesicht nicht ganz erkennen konnte. Sein Blick streifte sie im Vorübergehen, dann verschwand er in einer lärmenden Horde vor einem der Dancefloors.

Lillys Bier war leer und sie erhob sich, um sich ein neues zu organisieren. Mit der kühlen Flasche in der Hand betrat sie den ersten Dancefloor. Es war noch nicht viel los, nur wenige Personen hampelten vor dem DJ herum, der für diese noch junge Nacht ein ziemlich hartes Tempo vorlegte. Der nächste Floor gefiel ihr besser, hier blieb sie am Rand der Tanzfläche stehen und konzentrierte sich auf die Rhythmen und die zuckenden Lichter, bis sie ihr schließlich ins Blut übergingen. Das war der Moment, nach dem sie sich gesehnt hatte: wenn die Musik das Kommando übernahm. Tanzen statt denken.

Lange Zeit tanzte sie einfach, sie tanzte einen Freudentanz, denn: Sie hatte es durchgezogen. Allein nach Berlin fahren, allein tanzen gehen. Mal was anderes machen. Mutig. Jetzt wurde es Zeit für den zweiten Teil des Plans: jemanden kennenlernen. Ohne mit dem Tanzen aufzuhören, sah Lilly sich um. Aber es waren keine hübschen Männer da, so weit das Auge reichte. Jedenfalls im Moment nicht.

Nicht lange danach tanzte er neben ihr. Es war der Typ mit der Baseballkappe, der nicht zu der U30 Gruppe gehörte. Sie hatte ihn nicht bemerkt, er hatte sich ungesehen zu ihr durchgetanzt. Sein Gesicht unter der Kappe war attraktiv, sein Gebaren offensiv. Weil er gut tanzte und die Grenze zwischen Offensive und Aggression nicht überschritt, gefiel er Lilly.

Als sie zum Luftschnappen nach draußen gingen, küsste er sie. Sie ließ es sich gefallen, obwohl sein Tempo sie überraschte.

»Sorry«, sagte er. »Ich bin gerade wirklich offensiv, ich weiß. Ich habe … eine sehr intensive Lebensphase hinter mir.«

»Okay«, antwortete Lilly. Seine Pupillen waren riesig.

»Du bist eine wirklich gute Tänzerin. Du bewegst dich sehr, sehr gut.«

»Danke. Du bist auch nicht schlecht.«

»Wollen wir wieder rein?«

In dieser zweiten Runde änderte sich sein Tanzstil. War er davor offensiv, so war er jetzt definitiv erotisiert. Lilly schwankte zwischen Begeisterung und Empörung über ein solch forsches Vorgehen.

»Komm mit mir nach Hause.«

»Was? Es ist noch nicht mal halb zwei!«

»Ich weiß. Ich weiß, ich will dich auch gar nicht drängen. Entschuldige. Es ist nur, du machst mich einfach so an. Ich bin auch echt irritiert.« Er lächelte. »Das passiert mir sonst nicht so besonders häufig. Kommst du mit?«

Den ganzen Weg im Taxi über stritt Lilly in Gedanken mit sich selbst. Wieso musste sie vermuten, dass hier etwas faul war? Ihr Selbstbild war schrecklich. Nur weil sich ein attraktiver Mann ganz augenscheinlich für sie interessierte, sich nach ihr verzehrte, vermutete sie etwas Komisches. Da lag das Problem klar bei ihr und ihrer mangelnden Wertschätzung für sich selbst.

Die negativen Gedanken verstummten auch nicht, als sie angekommen waren, angewidert beobachtete Lilly sich selbst, wie sie seine Wohnung nach irgendwelchen verdächtigen Gegenständen absuchte, die ihr beweisen würden, dass der Typ nicht heiß auf sie war, sondern irgendeine seltsame Geschichte im Schilde führte. Zu ihrer Erleichterung fand sie nichts. Seine Wohnung war klein, sehr sauber und vielleicht ein bisschen unpersönlich.

»Hör zu«, sagte er. »Ich weiß, wir kennen uns nicht.« Er zog sich das Shirt über den Kopf. Sein Oberkörper war von definierten Muskeln überzogen, wunderschön, und Lilly verlor für einige Momente die Kontrolle über ihre Blicke.

»Wir kennen uns nicht. Aber du machst mich so an. Ich will dich genießen. Mit Haut und Haar. Lass uns so tun, als würden wir uns schon ewig kennen.«

Er öffnete den Gürtel seiner Jeans und ließ sie zu Boden gleiten. Keiner ihrer bisherigen Bettgenossen hatte einen solchen Körper gehabt. Für einen Moment wurde Lilly panisch. Sie würde sich unmöglich vor ihm ausziehen können.

***

»Ich glaube, ab jetzt wird es ziemlich pikant.« Lilly unterbrach ihre Erzählung und sah fragend von Mathilde zu Melina.

»Hau rein«, sagte Melina. »Das ist ein Junggesellinnenabschied.«

Lilly zögerte. »Es enthüllt auch viel über mich«, sagte sie dann mit leiser Stimme.

»Was ich gleich erzählen werde, enthüllt auch eine riesengroße Menge, unter anderem über mich«, sagte Melina laut. »Und ich hoffe, dass auch Mathilde kein Blatt vor den Mund nehmen wird.«

»Werde ich nicht.«

»Da hörst du es.«

»Also, von mir aus. Aber ihr seid selbst schuld, wenn euch die Ohren bluten.« Lilly zuckte die Achseln.

***

Obwohl ihr Name das vermuten ließ, war nichts an Lilly klein oder gar elfenhaft. Damals in der Schule war sie die Größte gewesen, im Studium wurde das Größenproblem geringfügig besser. Was nicht besser wurde, war das Gewichtsproblem. Lilly war nie richtig dick gewesen, aber immer ein bisschen zu mollig. Ihre Oberschenkel und ihr Bauch erinnerten sie an die Frauen auf griechischen Gemälden, weiß, dellig und voll. Ihre Brüste aber hatten nichts mit den kleinen, aufrechten Tittchen der Griechinnen zu tun. Es waren zwei Katastrophen, die sich da um die Pubertät herum an ihrem Oberkörper entwickelt hatten und dort seitdem saßen. In Form und Größe asymmetrisch beschäftigten sie Lilly noch immer sehr. Auch jetzt noch, mit sechsundreißig Jahren.