Der Geist der Spiegelkatze - Laura Kier - E-Book

Der Geist der Spiegelkatze E-Book

Laura Kier

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Beschreibung

Wer bist du, wenn du nicht weißt, woher du kommst? Was wird aus dir, wenn du nicht weißt, wohin du willst? Der Straßenkater Taps kennt nur die Gassen von Paris. Tagein, tagaus kämpft er dort gemeinsam mit dem Halsbandsittich Faruun ums Überleben. Von einem besseren Leben können sie nur träumen. Faruuns größter Wunsch ist es, in seine Heimat nach Afrika zurückzukehren. Doch dazu brauchen sie wohl ein Wunder. Dieses Wunder begegnet Taps mit dem Menschen Loan, denn der kann ihn erstaunlicherweise verstehen. Plötzlich scheint es nur noch ein Tauschgeschäft entfernt, seinem Freund den sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Der Preis ist jedoch um ein Vielfaches höher, als Taps gedacht hat: Von nun an könnte ein unbedachter Maunzer sein Leben und das seiner Freunde kosten.

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Seitenzahl: 317

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Der Geist der Spiegelkatze

Laura Kier

Band 8 der Katzenreihe

©Laura Kier 2021

Machandel Verlag Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Cover-Bild und Illustrationen: Kasyanovart, shutterstock.com

ISBN 978-3-95959-312-0

Teil 1

Baldrian im Laternenlicht

Schräge Vögel

„Paris! So schön ist nur Paris!“, krächzte Faruun. Taps' Pfoten schnellten auf seine Ohren. „Nur Guinea ist viel schöner!“

Während der Halsbandsittich weitersang, starrte Taps den Vogel grimmig an. „Glaubst du, du kommst schneller nach Afrika, indem du mir die Ohren vollheulst?“

„Kunstbanause!“ Faruun brach seinen Gesang ab und landete auf einem Stapel Kisten über dem Kopf des Katers. „Warum meckerst du überhaupt? Du hörst doch eh nur wenig.“

Taps legte eine Pfote über die Augen und schüttelte den Kopf. „Von wegen. Ich verstehe dich viel zu gut. Mein Knickohr bewahrt mich leider nicht vor deinem grauenvollen Krächzen!“

„Wie auch immer. Was machen wir hier? Ich dachte, wir wollten zum Hafen. Unsere Reisepläne nach Afrika? Ich will endlich raus aus Paris! Hier ist es kalt und –“

„Ja, ja. Später.“

„Nicht später! Das Schiff fährt sonst ohne uns.“ Empört plusterte sich der Halsbandsittich auf, wodurch seine grünen Federn in alle Richtungen abstanden. „Du hast es mir versprochen!“ Das letzte Wort zog er besonders in die Länge.

Taps fauchte ungehalten. Er wusste ziemlich genau, was er Faruun versprochen hatte. Aber noch konnte er dieses Versprechen nicht halten. Erst brauchte er abermals die Hilfe des Vogels. Also musste er Faruun beschwichtigen. „Bitte. Ich schaffe das nicht ohne dich! Danach machen wir uns direkt auf den Weg in den Hafen. Ehrenwort!“

„Wirklich? Du versprichst es?“

Taps nickte.

„In Ordnung. Was soll ich tun?“

„Da oben, siehst du die Seilwinde?“

Faruun hob den Kopf. „Ja, und? Soll ich nun Stahlträger für dich bewegen? Das ist Menschenarbeit, nicht unsere!“

Taps zog eine tote Ratte hinter dem Stapel hervor. „Die muss nach da oben.“

„Wie bitte? Wozu?“

„Als Warnung. An die Schiffsratten, dass sie dich in Ruhe lassen.“

„Das soll ich dir glauben?“ Faruun legte den Kopf schief. „Ich kann von hier nicht einmal das Wasser sehen!“

„Na ja, also …“, druckste Taps herum. „Die Ratten sind ähnlich gut vernetzt wie wir Katzen …“

„Geht es wieder einmal darum, dass du diese anderen Straßenkater beeindrucken möchtest? Oder haben sie dir das als Mutprobe aufgegeben?“ Der Halsbandsittich blinzelte. „Moment! Es gibt überhaupt kein Schiff, oder?“

„Ach Faruun, ich möchte ja mit dir nach Afrika reisen, aber wir beide können nicht lesen. Woher soll ich wissen, wohin die Schiffe fahren?“

„Menschen? Zuhören? So wie wir es bislang immer gemacht haben?“ Der Halsbandsittich krächzte laut. „Wir wollten uns gegenseitig helfen! Im Moment habe ich aber das Gefühl, du hilfst nur dir selbst. Ich will nach Hause.“ Er senkte den Kopf und rieb seinen Schnabel an der Kante der Kiste.

Taps schob die Ratte ein Stück zu Faruun. „Was erwartest du? Ich teile mein Essen mit dir und du darfst dich nachts zu mir kuscheln. Außerdem passe ich auf, dass die anderen Katzen dich in Ruhe lassen.“ Es tat ihm weh, was sein Freund ihm an den Kopf warf. Natürlich hatte er immer wieder Ideen und brauchte dafür die Hilfe des Vogels, aber die meisten seiner Einfälle halfen ihnen beiden. Ja, es ging auch um sein Ansehen unter den Katzen, aber das war wichtig, damit die anderen Straßenkatzen sie in Ruhe ließen.

„Du machst es mir nicht einfach“, schimpfte Faruun. „Also schön. Da soll die Ratte hoch? Und du glaubst, das würde die anderen interessieren? Vor allem da du eh nach Afrika möchtest?“

„Sicher ist sicher. Außerdem spricht es sich vielleicht bis Guinea herum. Jedenfalls haben sie gesagt, ich würde mich das eh nicht trauen. Aber so früh morgens sind die Menschen noch nicht auf der Baustelle unterwegs. Also von daher … Was soll uns passieren?“

„Sie werden uns auslachen!“

„Quatsch! Wieso sollten sie?“ Taps kräuselte die Schnurrhaare.

Faruun schüttelte sich. „Weil keiner dieses mickrige Vieh als Ratte bezeichnen würde. Selbst dann nicht, wenn er sehr wohlwollend wäre.“

„Was?“

„Na, guck sie dir doch mal an! Die ist doch viel zu winzig! Nicht größer als eine Spitzmaus und …“

„Von wegen!“ Aufgebracht sprang Taps zu Faruun auf die Kisten, mit der Ratte im Maul, und legte sie dem Vogel vor die Füße. „Das ist ein wahres Prachtstück! Guck sie dir doch mal genau an. Wundervolles dreckiges Fell, dazu ein herrlicher Braunton, der nur noch vom Rosa …“

Der Halsbandsittich krächzte schräg. „Das ist vielleicht ein Jungtier, wenn du Glück hast! Aber wenn das die anderen Katzen sehen …“

„Dann werden sie staunen“, ertönte hinter ihnen eine ruhige Stimme. Lieblich und verführerisch klang sie.

Eine Katzendame wie aus dem Bilderbuch. Weiches, graues Fell, das in der Morgendämmerung einen leichten bläulichen Schimmer annahm. Dazu herrliche grüne Augen.

Taps Schwanz schnellte nach oben. Rasch schluckte er den Sabber hinunter, der drohte ihm aus dem Maul zu laufen. So eine Schönheit hatte er unter den Straßenkatzen noch nie gesehen. Aber das hier war Paris. Wunder gab es an jeder Straßenecke, wenn man bereit für sie war. So hatte er schließlich auch Bekanntschaft mit Faruun gemacht und bislang war es eine außerordentliche Freundschaft.

„Faruun an Taps! Aufwachen!“ Der Vogel schnappte sich den Schwanz des Katers und zerrte daran. „Eine Dame lässt man nicht warten.“

„Vielen Dank, mein Lieber. Warten tue ich tatsächlich. Allerdings auf den Sonnenaufgang. Habt ihr ihn mal von da oben gesehen?“ Sie hob ihren Blick in Richtung Stahlkonstruktion. „Es soll so hinreißend sein, nur …“

„Nur?“ Taps sah sie an. Doch schnell bereute er es. Er verlor sich in ihren Augen, wusste nicht mehr, was nun der nächste Schritt war. Dabei hatte er doch vor der Rattenjagd jede Minute des Tages so durchgeplant, dass er am Abend bereits einige Ränge unter den Straßenkatzen gestiegen sein musste. So wurde daraus nichts. Also zwang er sich, den Blick abzuwenden. Aber sobald er ihre Stimme hörte, sah er wieder hin.

Leise flüsterte sie: „Ich trau mich nicht. Das ist so hoch.“

„Aber Mademoiselle! Wenn Sie wünschen, dann begleiten wir Sie.“ Galant neigte Taps den Kopf vor ihr.

„Nein, nein. Ich bleibe lieber hier unten in Sicherheit.“ Keck streckte sie eine Pfote von sich und machte es sich auf den Kisten gemütlich. Die von Taps erlegte Ratte sah sie einen Moment intensiv an. „Das ist wahrlich ein Prachtstück.“

„Wirklich?“ Taps warf Faruun einen vielsagenden Blick zu.

Der Halsbandsittich flatterte kurz auf, ehe er sich angewidert von der Ratte abwandte. „Das Ding rühre ich nicht an. Wenn du es da oben aufhängen willst: bitte. Aber ohne mich. Damit wirst du dir keine Freunde machen. Die anderen lachen dich aus, wenn sie das Krüppelstück sehen.“

„Aber, aber“, beschwichtigte die Katzendame ihn. „Bitte streitet doch nicht. Ich finde die Ratte ist ausgezeichnet. Sie wird ganz sicher eine herrliche Mahlzeit abgeben.“

„Siehst du! Dazu ist eine Ratte da. Nicht um sie im Wind baumeln zu lassen.“ Faruun trippelte von rechts nach links. „Wir sollten übrigens endlich aufbrechen.“ Möglichst leise raunte er Taps zu: „Das Schiff, du weißt schon.“

Innerlich wirbelte alles in Taps durcheinander. Er wollte seine Stellung sichern, seinem Freund helfen, aber dann war da noch sie. Bei ihr auf der Kiste sitzen kam dem Paradies gleich. Möglichst galant verneigte er sich vor ihr: „Wir sind übrigens Faruun und Taps. Faruun ist ein alter Freund von mir, der sich nun auf große Fahrt nach Afrika begeben möchte.“

„Hey! Ich dachte, das wäre unser Geheimnis!“

„Mein lieber Freund, ich bin mir sicher, dass …“ Was eigentlich? Taps war sprachlos und wusste seinen eigenen Satz nicht zu beenden. Das kannte er überhaupt nicht von sich! Er wollte, dass die Katzendame ihn mochte, aber doch nicht auf Kosten von Faruun! „Bitte entschuldige. Wir sollten tatsächlich aufbrechen.“ Wobei er nicht sagen konnte, an wen der beiden seine Entschuldigung gerichtet war.

Bevor Taps sich abwenden konnte, ergriff die Katze das Wort: „Afrika. Das ist tatsächlich ein schöner Traum. Aber die Freiheit habe ich nicht. Ich habe Verpflichtungen.“

„Verpflichtungen?“ Faruun drehte sich zu ihr um und streckte ein Bein von sich, um auf dem anderen zu balancieren. Dazu breitete er seine Flügel aus, wodurch die Federn im Wind wehten.

„Nun, Madame kann meine morgendliche Toilette nicht ohne mich erledigen. Bürsten, Kämmen, ihr wisst schon. All die Sachen, die für ein glänzendes Fell nötig sind.“

Taps kam nicht umhin, sie anzustarren. Ja, er hatte davon gehört, was Hauskatzen taten, um ihren Menschen zu gefallen. Insgeheim wünschte er sich ebenfalls ein Zuhause, aber gleichzeitig widerte es ihn an. Eingesperrt, darauf angewiesen, dass die Menschen ihm die Tür und Dosen öffneten. Zudem wusste er nicht, was er von den Beschreibungen der Katzendame halten sollte. Es ging weit über seine Vorstellungen hinaus, wie Hauskatzen lebten. Ihm hätte es gereicht, wenn jemand dafür sorgte, dass das Futter geliefert wurde und er dafür nur ab und an eine Maus jagen musste. Aber so etwas? Bürsten? Kämmen? Sein herrliches schwarzes Fell berührte nur seine Zunge, sonst nichts! Aber gut. Das sollte er der Dame nicht auf die Nase binden. Feingefühl war nötig.

Als er allerdings ansetzen wollte zu sprechen, fragte Faruun: „Ihr seid eine Dame von Stand, was macht Ihr da auf einer schmutzigen Baustelle? Für den Sonnenaufgang gibt es doch sicherlich bessere Plätze.“

„Oh, natürlich. Den könnte ich aus dem Erker von Madame beobachten. Vor allem wäre es dort wärmer.“ Sie rückte ein Stück näher an Taps heran, sodass sich ihre Körper beinahe berührten. Aber nur beinahe. „Alle reden von dieser Baustelle. Das Jahrhundertereignis. Mächtig, imposant und vor allem für Generationen erbaut.“ Ihre Augen glänzten voller Bewunderung. „Keine Frage. Das muss ich mit eigenen Augen sehen!“

„Verstehe. Und was wird dieses Chaos?“ Faruun kratzte mit einer Kralle einen langen Strich in die Holzkiste. „Wie ich das sehe, sind das bislang nur einige Stahlträger, die irgendwie in den Himmel wachsen. Jeden Tag ein bisschen höher.“

„Habt ihr noch nie etwas vom Eiffelturm gehört? Jeder in Paris spricht davon! Selbst ihr Straßenleute müsstet …“

„Halt! Wie hast du uns gerade genannt?“ Aufgebracht ließ Faruun davon ab, ein Abbild des Turms in die Kiste zu ritzen. „Jetzt sag doch auch mal was“, wandte er sich an Taps und kniff die Augen zusammen.

Aber Taps fühlte sich nicht in der Lage auf seinen Freund zu reagieren. Der betörende Duft der Katzendame umgab ihn und ließ ihn gedanklich in die Höhe schweben. Beinahe bis zur Seilwinde, an die er die Ratte hängen wollte. Doch dann knallte er auf die Kiste zurück und fand sich in der Realität wieder. Er kannte die Katze nicht. Wusste nicht einmal ihren Namen. Man überlebte auf der Straße nicht, indem man sich mit Hauskatzen anfreundete. Wobei … ihm kam eine Idee. „Sag, hast du einen Namen? Wenn wir uns länger unterhalten wollen, wäre es mit einem Namen einfacher. Wir beide, Faruun und ich, sind schon so lange ein Teil von Paris, dass wir dir sicher noch einige andere außergewöhnliche Orte zeigen können.“

„Wirklich?“ Ihre Augen glitzerten in den ersten Sonnenstrahlen des Tages. „Wenn das so ist … Mein Name ist Susalu. Aber meine Freunde nennen mich Salu.“

„Ein hinreißender Name“, begann Taps.

Doch sofort unterbrach ihn Faruun: „Wir zeigen dir gerne den Hafen. Dorthin wollten wir nämlich schon vor einer halben Ewigkeit aufbrechen!“ Er schob Taps die Ratte entgegen. „Das Ding vergiss mal. Wir gehen nun in den Hafen und suchen ein Schiff, das nach Afrika fährt. Sie kennt Paris und weiß sogar, was die Menschen hier bauen!“

„Warum gehst du nicht allein?“ Susalu streckte beide Pfoten aus und zwinkerte Taps zu. „Taps und ich schaffen es sicher, die Ratte ohne deine Hilfe auf den Eiffelturm hinaufzubringen. Du musst nicht auf uns warten.“

Faruun öffnete und schloss den Schnabel. „Wie bitte? Schickst du mich gerade fort?“

„Du willst doch unbedingt zu diesem Schiff. Ich halte dich nicht auf. Aber wozu brauchst du ihn? Er will mir die Stadt zeigen und vielleicht traue ich mich mit ihm an der Seite tatsächlich, den Sonnenaufgang von da oben zu beobachten.“ Sie richtete sich auf und streckte sich ausgiebig. „Dafür sollten wir jetzt aufbrechen. Sonst verpassen wir das Schönste.“

Taps blinzelte, hob verträumt die Mundwinkel. Sein Knickohr zuckte leicht. Eine Hauskatze hatte Interesse an ihm? An ihm? Er hatte es nicht einmal geschafft, sich gegen die Schwächsten der Straßenkatzen zu behaupten. Wieso wollte sie nun mit ihm ihre Zeit verbringen? Lag es womöglich an seinem gut gepflegten Fell? Oder war es die Ratte? Er fuhr die Krallen aus, zog das tote Tier zu sich. Dann hob er den Kopf und sah Faruun an. „Du könntest allein in den Hafen aufbrechen. Hör dich schon mal um.“ Er würde solange die Zeit nutzen, um Susalus Gunst zu gewinnen. Als Hauskatze konnte sie womöglich sogar lesen!

„Aber …“ Der Halsbandsittich spreizte die Flügel, plusterte sich auf und bohrte die Krallen tief in das Holz der Kiste. „Was ist, wenn ich ein Schiff entdecke? Wie soll ich dich finden? Wenn ich mitfahre, werden wir uns vermutlich nie wiedersehen. Du willst doch auch nach Afrika, oder? Du weißt schon, wir beide gegen den Rest der Welt! Bislang waren wir ein wundervolles Team …“ Traurig ließ er den Kopf hängen.

Hin- und hergerissen zog Taps die Krallen wieder ein. Er konnte Faruun nicht vor Salu in seinen Plan, von ihr lesen zu lernen, einweihen. Aber wenn er ihn nun gehen ließ, sah er seinen Freund womöglich nie wieder. Unschlüssig sträubte Taps die Nackenhaare. Doch ein Blick in Salus Augen festigte seinen Entschluss. „Bitte entschuldige. Du musst heute ohne mich in den Hafen.“

„Wie bitte?“ Faruun krächzte empört. „Wir wollen doch …“ Er berührte mit seinen Flügelspitzen das Holz. Nur einen Moment darauf drehte er sich um und flog davon. Kein weiteres Wort, keinen Blick zurück.

Mit schwerem Herzen sah Taps ihm hinterher. Als der grüne Punkt in der Morgendämmerung verschwand, wandte er sich wieder Susalu zu. „Möchtest du nun hinaufklettern?“

„Nein. Wir bleiben hier“, entschied sie und machte es sich auf der Kiste gemütlich.

Taps war ihre Einstellung recht. Er sagte nichts weiter, sondern beobachtete lediglich, wie der Himmel vor ihm heller wurde, während er seine Pläne überdachte.

Verhandlungen

Als die ersten Sonnenstrahlen Taps blendeten, warf er einen verstohlenen Blick zu Susalu. Wie könnte er seinen Plan in die Tat umsetzen? Er musste an ihr Wissen herankommen. Er sollte ihr vermutlich etwas im Tausch anbieten, nur was? Was könnte eine Dame wie sie gebrauchen? Bei Faruun war es leicht. Futter und Schutz. Aber das bekam Susalu beides von ihrer Madame.

Noch während er sich darüber den Kopf zerbrach, streckte die Katzendame sich und stand auf. „Danke für deine Gesellschaft. Es ist Zeit für mich zu gehen.“

Halt!, schrie Taps innerlich. Jetzt musste er schleunigst einen guten Grund finden, sie bei sich zu behalten und für sich zu gewinnen. „Warte. Ich wollte dir doch ein paar hübsche Ecken zeigen!“

Sie strich mit der Zunge über ihre Pfote und starrte ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen an. „Glaubst du, ich kenne meine Heimatstadt nicht?“

Verlegen räusperte sich Taps. „Nun ja, du kennst sie ganz sicher. Aber kennst du jede Gasse, jeden Balkon und vor allem jeden ruhigen Sonnenplatz?“

„Wer sagt, dass ich Ruhe will?“

„Ich dachte …“ Nicht denken, schalt er sich selbst. Du kennst sie nicht, also halt dich lieber zurück. Er verfluchte sich zwar für seine Gedanken, aber es brachte ihn tatsächlich nicht weiter, wenn er herumstocherte, ohne zu wissen, was ihre Ziele waren.

„Was willst du wirklich?“, kam sie ihm zuvor.

„Ich? Nichts. Sollte ich etwas wollen?“

Sie legte den Kopf schief. „Jeder will etwas. Ich frage mich, was du willst. Nach Afrika scheinbar nicht. Dafür strengst du dich zu sehr an, die anderen Katzen zu beeindrucken.“ Sie schob die Ratte auf ihn zu. „Was hast du damit vor? Bringst du sie da hoch?“

„Vielleicht.“ Unschlüssig betrachtete er das tote Tier. „Womöglich ist sie aber tatsächlich zu mickrig, wie Faruun sagte.“ Er seufzte. Jetzt oder nie. „Wie dem auch sei, ich könnte tatsächlich deine Hilfe gebrauchen. Du kannst doch sicherlich lesen, oder?“

„Wie kommst du darauf?“

„Nun, du bist aus gutem Haus. Deine Madame …“

„Ja, sie liest.“

„Würdest du mir helfen? Wir suchen ein Schiff, das nach Afrika fährt. Aber wir können die Schilder im Hafen nicht entziffern.“ Schnell setzte er hinzu: „Im Hafen gibt es sehr viel zu sehen. Es würde dir sicherlich gefallen.“

„Langsam. Ich habe dir bereits erklärt, dass ich Verpflichtungen habe. Madame wartet auf mich. Selbst wenn ich jetzt losrenne – was sich für eine Dame nicht gehört –, komme ich bereits zu spät.“ Sie rollte die Augen. „Nein, das geht nicht. Ich kann Madame bereits nach mir rufen hören!“

Taps spitzte die Ohren. Außer dem Morgenkonzert der Vögel, dem Rauschen des Windes und den ersten Klängen der Menschen hörte er nichts. Zumindest keine Rufe. Aber sein Gehör war tatsächlich nicht mehr das Beste, seit dieser dämliche Kater ihn gelinkt und im Zweikampf arg am Ohr verletzt hatte. „Gibt es eine Möglichkeit, dich zu überzeugen, dennoch mitzukommen? Sicherlich kann ich dir im Gegenzug ebenfalls helfen.“

Langsam ließ Susalu sich wieder nieder. Sie schob den Schwanz der Ratte hin und her. „Was willst du mir schon bieten können? Ein einfacher Stra–“

„Bitte entschuldige, auch wenn ich keine Madame habe, zu der ich zurückkehren kann, bin ich nicht weniger wert als du!“

„Dann verrate mir doch, weshalb du dich so sehr bemühst, bei den anderen Katzen Eindruck zu schinden?“

Damit hatte sie ihn erwischt. Er musste ihr also seinen Wert beweisen. Nur wie? „Es geht nicht um Eindruck schinden. Aber natürlich musst du das denken. Du kennst mich noch nicht. Es wird Zeit, dass wir das ändern.“

„Nein danke. Kein Interesse.“ Aber sie blieb. Sie ging nicht zu ihrer Madame zurück, obwohl sie es angeblich eilig hatte.

Das machte Taps Mut. Er blieb dran. „Du willst etwas von mir. Was ist es?“

Erschrocken sah sie ihn an. „Wie kommst du auf die Idee?“

„Tue nicht so. Sonst wärst du längst weg. Also, was ist es? Ich will wissen, ob sich der Handel lohnt. Immerhin vertrödle ich ebenfalls meine Zeit mit dir, statt mit Faruun nach einem passenden Schiff zu suchen.“

„Gut.“ Sie setzte sich aufrecht hin, legte ihren Schwanz über die Pfoten. „Ich brauche einen überaus mutigen Kater. Es gibt etwas, das ich nicht allein schaffe.“

Taps hob das Kinn, schob die Brust vor, legte den Kopf schräg und sah sie abwartend an.

„Ich brauche Baldrian.“

„Was?“

„Bring mir ein Fläschchen. Dann lese ich dir dein Schild vor. Am besten, du bringst es zu mir.“

„Wie soll ich ein Schild zu dir bringen? Das hängt fest am Schiff!“

„Lass dir was einfallen.“ Sie sah ihn von oben herab an. „Ihr beide habt doch viele Ideen.“ Sie deutete auf die Muster, die Faruun in das Holz geritzt hatte. „Der Vogel wird das schon hinbekommen.“

Seufzend betrachtete Taps die Kratzspuren. Ganz entfernt erinnerte es möglicherweise an den Turm, der hinter ihnen errichtet wurde. „Du willst ein Fläschchen und dafür soll ich nicht nur den Text zu dir schleppen, sondern bekomme lediglich ein mickriges Schild übersetzt? Für all die Gefahren, die ich dafür in Kauf nehmen muss? Vergiss es.“

„Oh, du legst aber früh deine Meinung fest. Ohne zu wissen, was genau auf dich zukommt oder ich noch zu bieten habe.“

„Also schön. Erzähl.“

Susalu rümpfte die Nase. „Ach weißt du, vielleicht sollte ich mir lieber einen anderen Straßenka…“

„Jetzt warte doch mal. Glaubst du, ich wäre nicht mutig genug?“

Lachend sah sie ihn an. Dann blickte sie zur Ratte. „Warum liegt die dann immer noch hier? Brauchst du echt einen Vogel, um das Werk einer Katze auszuführen?“

Angewidert betrachtete Taps die Ratte. Das verdreckte Fell mit den roten Pusteln, die an einigen kahlen Stellen hindurchschimmerten, missfiel ihm. Aber wenn das der einzige Weg war, um Susalu zu beweisen, dass er fähig für ihre Aufgabe war, würde er sich überwinden. Immerhin war das seine Chance, das Versprechen an seinen besten Freund in die Tat umzusetzen. Faruun hatte ihn schließlich mehr als einmal vor einem Hinterhalt der Straßenkatzen gewarnt. „Gut. Also hoch mit der Ratte. Danach reden wir weiter. Aber du kommst mit.“ Er hatte etwas dagegen, sie am Ende aus den Augen zu verlieren.

„Ich? Bist du verrückt? So hoch? Deshalb brauche ich doch einen mutigen Kater!“

Zähneknirschend richtete er sich auf und schnappte sich die Ratte. Furchtbares Gefühl. Schnell sprang er von den Kisten, erklomm Stahlträger um Stahlträger. Einmal kam er kurz ins Straucheln, als er sich vergewisserte, dass sie ihm weiterhin zusah. Noch saß sie dort und starrte ihm hinterher. Leise maunzte sie, als er gefährlich schwankte. Hatte sie Angst um ihn? Er beschloss, abermals zu straucheln und gefährlich eng am Abgrund zu balancieren. Vielleicht konnte er sie so zusätzlich für sich gewinnen. Leider konnte er nicht mehr hören, ob sie nochmals aufschrie. Der Wind pfiff mittlerweile so stark um seine Ohren, dass er alle anderen Geräusche übertönte. Also gab es nur noch den Weg in die Höhe. Möglichst schnell. Die Ratte schmeckte mit jedem Schritt schlechter. Am liebsten wollte er sie fallenlassen. Aber dann … Nein. Aufwärts.

Nur noch ein Stahlbalken.

Da kam plötzlich Faruun zu ihm geflogen. „Jetzt bringst du sie ja wirklich selbst hoch!“, krächzte er.

„Natürlich“, wollte Taps antworten, aber er verkniff es sich. Die Ratte nochmals von unten aufsammeln war nicht in seinem Sinn, deshalb nickte er.

„Was ist dein Plan?“

Taps knurrte und sprang auf den letzten Balken. Er angelte nach der Seilwinde. Der Haken sah genau richtig aus, um die Ratte daran aufzuhängen, doch wie? Einen Knoten in den Schwanz, wie er es bei den Seilen der Menschen gesehen hatte? Unschlüssig hockte er sich davor und legte die Ratte auf dem Stahlbalken ab. Dann sah er Faruun an. „Komm, ich brauche deine Hilfe. Wie bekomme ich das Ding da dran?“

„Mach ein Loch rein?“

„Witzig.“ Er sah hinab. Ein Fehler. In die Ferne gucken war gut, aber nach unten? Der Turm war höher als gedacht. Vor allem aber konnte er Susalu nirgends entdecken. „Wo ist sie hin?“

„Wer?“

„Na sie? Salu!“

„Äh, nach Hause? Zu ihrer Madame?“ Mit eng angelegten Flügeln hockte der Halsbandsittich neben dem Kater, der Wind zerzauste die feinen Federn an seinem Kopf. „Hast du erwartet, dass sie dich beobachtet, wie du dich lächerlich machst?“

„Wir hatten eine Abmachung!“, maunzte Taps enttäuscht. „Sie wollte für uns die Schilder lesen.“

„Dafür, dass du die Ratte hier hinaufbringst? Was hat sie davon? Natürlich will sie in der Zeit verschwinden.“ Dennoch hob Faruun interessiert den Kopf.

„Mutprobe. Du weißt schon. Damit sie mir mehr von ihrem Auftrag erzählt. Aber jetzt ist sie weg.“

Der Vogel stieß mit dem Schnabel die Ratte hinab.

„Hey!“

„Sieh zu, dass du runterkommst. Ich such diese komische Hauskatze.“

„Aber …“

„Los jetzt!“ Faruun schwang sich in den Wind. „Du wirst mir dafür noch dankbar sein!“

Fauchend sah Taps dem Halsbandsittich hinterher. Wozu hatte er diese blöde Ratte hinaufgeschleppt?

Sauer war er deshalb vor allem auf Susalu. Einfach verschwinden und ihn vorführen! Das würde diese Hauskatze ihm büßen! Ein Baldrianfläschchen wollte sie? Mehr nicht? Das sollte gefährlich sein? Er würde es ihr schon zeigen. Doch zunächst musste er sie finden. Also wieder den Weg hinabklettern, den er gekommen war.

Als er allerdings am Fuß der Stahlkonstruktion angelangt war, wusste er nicht, wohin er sich wenden sollte. Er hatte weder mitbekommen, woher sie kam, noch wohin sie ging. Auch sah er Faruun nirgendwo durch die Luft flattern. Abwarten war jedenfalls nicht seine Stärke. Dann lieber Pläne schmieden.

Sein Plan mit der Ratte war nach hinten losgegangen. Wer weiß, wahrscheinlich hatte sie ihre Worte über die Ratte nur verloren, um ihn einzulullen.

Grimmig starrte Taps vor sich hin. Zeit, umzudenken. Er würde das Baldrianfläschchen besorgen und dann hatte sie dafür den Preis zu bezahlen, den er verlangte. Nicht nur ein paar dämliche Schilder lesen. Außerdem vertraute er ihr dafür vermutlich eh nicht genug. Sie konnte ihm sonst etwas erzählen.

Ihr den Rücken zukehren und mit Faruun nach Afrika verschwinden wollte er jedenfalls nicht. Das käme einer Kapitulation gleich! Aus dem gleichen Stolz war es ihm auch wichtig, bei den Straßenkatzen im Rang aufzusteigen. Den Schwanz einkneifen würde er niemals! Allerdings brauchte er eine Idee, was er statt des Vorlesens von ihr fordern könnte. Wenn nur sein Kopf nicht so rauschen würde. Sonst kam ihm doch auch ein Einfall nach dem nächsten. Warum heute nicht?

„Was hockst du da so blöd?“, krächzte Faruun über ihm.

Taps hatte keine Antwort parat, konnte nicht einmal sagen, was ihm bis vor wenigen Augenblicken durch den Kopf gegangen war. Alles war verschwommen. Wieso hatte dieses Miststück von Katze so einen Einfluss auf ihn? Anders konnte er es sich jedenfalls nicht erklären, dass seine Gedanken nicht bei der Sache waren. Ertappt sah er zu Faruun auf, der über ihm seine Runden drehte.

„Kommst du nun?“ Der Halsbandsittich klang ungeduldig.

„Du hast sie gefunden?“

„Natürlich. War leicht. Ich weiß doch, wo sich eine Hauskatze wie sie heimisch fühlt. Ganz sicher nicht in dieser Gegend. Ich bin ihr bis zu einem weiß getünchten Haus gefolgt. Du kannst es gar nicht verfehlen. Herrliche Gärten drumherum, sag ich dir. Ich verstehe nur nicht, was du mit ihr vorhast. Mir gefällt es da nicht wirklich. Zu wenige Verstecke.“

„Lass das meine Sorge sein.“ Taps rappelte sich auf.

„Ach, und ich falle nicht auf?“

„Da sind Gärten. Grün, Gras, Bäume, Blätter. Eine gute Tarnung für dich, meinst du nicht?“ Taps stolzierte über die Baustelle und bog in eine Seitenstraße ein. Faruun blieb dicht über ihm.

Kurz darauf betraten sie eine der edelsten Gegenden von Paris.

Der Duft von Keksen

Es war einfacher sich zurechtzufinden als Taps angenommen hatte. Es gab weniger Mülltonnen, baufällige Gebäude oder andere Verstecke, die er aus den dunkleren Gassen kannte und damit war alles übersichtlicher. Gestutzte Hecken, Bäume, die in Form geschnitten waren und Blumenbeete, die dazu einluden, ein Loch zu buddeln, um etwas darin zu vergraben, flankierten ihren Weg.

Taps fand durch die Grünzeugbesessenheit der Bewohner genug Möglichkeiten, um ungesehen von Garten zu Garten zu huschen. Na gut. Er war kein unsichtbarer Schatten, wie er es sich oft wünschte, aber zumindest schlug niemand Alarm. Also auftauchen, abtauchen und sich umsehen.

„Hier entlang“, ermahnte Faruun den Kater, als Taps einen Moment länger unter einem Busch hocken blieb, um die Umgebung zunächst mit den Augen zu erkunden.

„Psst“, zischte Taps dem Sittich zu. „Ich rieche etwas.“

„Warum muss ich deshalb leise sein?“ Faruun landete neben ihm im Gebüsch und schnüffelte. „Rieche nichts.“

„Doch.“ Aus der Richtung, die Faruun ihm gewiesen hatte, strömte Taps ein überaus verführerischer Duft entgegen. Vage erinnerte er sich daran, früher in seinem Leben Ähnliches gerochen zu haben. Aber dennoch konnte er den Geruch nicht zuordnen. Er wollte nachsehen, Gewissheit darüber erlangen, was die Quelle war. Allerdings kam er dann von seinem Ziel ab. Zwar konnte Susalu sicherlich noch warten, aber hatte Faruun dazu die Geduld? Jede Verzögerung verschlechterte die Laune des Vogels. Verständlich.

Taps war hin- und hergerissen. Faruun, Susalu und der Geruch seiner unbekannten Vergangenheit. Seine Neugierde siegte. Er musste wissen, was das war. Vorsichtig pirschte er sich in die Richtung, aus der der Geruch kam.

„Was hast du vor? Unser Ziel liegt woanders!“ Faruun trappelte hinter ihm her. „Ich will nicht noch länger warten. Es wird immer kälter!“

Taps blieb stehen und drehte sich zu Faruun um. „Noch sind die Blätter grün. Wir bringen dich nach Afrika, aber das ist meine Chance, mehr über mein früheres Leben herauszufinden. Ich habe dir doch erzählt, dass ich nicht weiß, woher ich komme. Irgendwann bin ich auf der Straße aufgewacht. Aber es gibt ein Davor und der Geruch erinnert mich daran!“

„Aber …“

„Bitte! Danach gehen wir zu Salu und dann in den Hafen.“

„Glaubst du wirklich, hier könntest du herkommen?“

Taps sah sich um. „Im Moment halte ich alles für möglich.“

„Also schön. Geh.“ Der Halsbandsittich flog in einen der nahen Bäume.

Ein wenig erleichtert, auch wenn ihn immer noch das schlechte Gewissen plagte, folgte Taps dem Geruch. Er war süßlich und angenehm. Erinnerungen überwältigten ihn. Menschliche Finger, die nach etwas griffen, das den Duft ausstrahlte.

Schnell verscheuchte Taps das Bild. Er musste bei der Sache bleiben. Wenn er entdeckt würde, wäre alles vorbei. Dann würde er verscheucht oder womöglich sogar …

Also schob er sich möglichst unauffällig durch das Gras, mit dem Bauch dicht über dem Boden. Flink huschte er voran, drückte sich schließlich an die Hauswand. Ein Fenster über ihm stand offen. Von dort kam der verführerische Duft.

Zwei Schritte wich er zurück, um ausreichend Anlauf zu nehmen. Faruuns Blicke konnte er dabei förmlich in seinem Nacken spüren. Der Vogel würde schimpfen über seinen Leichtsinn. Doch Taps brauchte Gewissheit. Aus dem Inneren des Hauses hörte er keine Geräusche und auch in der Nähe sah er nichts Verdächtiges. Er wagte es. Mit einem großen Satz sprang er auf die Fensterbank. Dabei stieß er gegen etwas Metallenes, Warmes. Davon ging der Geruch aus. Doch noch ehe er es sich genauer ansehen konnte, rutschte die glatte Fläche hinab und sauste im Inneren des Hauses auf den Boden. Laut scheppernd. Krachend.

Lauter helle Kekse verteilten sich über die Fliesen der Küche. Sie waren die Quelle des Geruchs. Da war er sich sicher.

Unsicher verharrte er einen Moment im Fenster. Dann riss er sich zusammen, spitzte die Ohren. Ihm blieben nur wenige Sekunden, bis die Menschen auf ihn aufmerksam werden würden. Also hechtete er los, schnappte sich zwei der Kekse mit den Zähnen und verschwand wieder zum Fenster hinaus. Hinter sich hörte er die wütenden Rufe einer Frau, doch die interessierte ihn nicht mehr. Er verschwand bereits durch die Hecke zum Nachbarsgarten.

Keuchend und zitternd blieb Taps unter den Büschen sitzen. Das war knapp. Alles für zwei lausige Kekse, die bereits in seinem Maul bröckelten und sich mit Speichel vollsogen. Dennoch legte er seine Beute vor sich auf die Erde, betrachtete sie eingehend.

„Was sollte das?“ Faruun kam aufgebracht zu ihm unter den Busch gekrabbelt. „Willst du endgültig bei einem der Tierfänger landen? Was glaubst du, was sie hier mit Streunern wie dir machen?“

„Nenn mich nicht so.“ Einen der Kekse schob Taps zu Faruun. „Das war es wert. Riech mal und probier’ das.“

„Wie bitte? Dafür? Da hättest du uns besser eine Ratte fangen können! Meinst du nicht?“

„Nein.“ Mehr sagte Taps nicht. Stattdessen betrachtete er die helle Oberfläche. Der Farbton war gelblich mit einem dunkleren Hauch. Beinahe wie die Sonne. Er hatte so etwas schon einmal gesehen. Auch davon gekostet. Daran erinnerte er sich genau. Alles andere ging jedoch in der Dunkelheit unter.

Auch als er den Keks wieder zwischen seine Zähne nahm, zeigten sich leider keine weiteren Bilder. Dennoch genoss er den Geschmack. So ganz anders als der von Ratten oder Mäusen. Süßer und zarter. Angenehm. Das wollte er wiederhaben. Vielleicht mit Hilfe von Susalu. Sie war schließlich eine Hauskatze und konnte ganz sicher dafür sorgen … Das war die Idee, die ihm gefehlt hatte! Verstohlen sah er zu Faruun. „Schmeckt‘s?“

„Ist okay.“

„Willst du mehr davon?“

Der Halsbandsittich hörte auf zu picken. „Was planst du?“ In seinen Augen leuchtete eine Mischung aus Zweifel und Ärger auf.

„Klar, ich habe dir versprochen, dass wir bald nach Afrika reisen. Aber wäre es nicht besser, wenn wir uns satt und vollgefressen auf eines der Schiffe begeben? Ich meine, die Reise kann lang werden. Hast du nicht gehört, wie die Schiffsratten von mehreren Wochen sprachen? Da müssen wir vorsichtig sein und …“

Faruun legte Taps eine seiner Krallen auf die Nase. „Komm zum Punkt.“

„Wir wollen nicht, dass Susalu uns vorliest. Da vertraue ich ihr nicht. Aber wir können trotzdem mit ihr handeln. Susalu kommt an Vorräte. An Kekse, an Futter, das wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht einmal vorstellen können. Sie will Baldrian, soll sie bekommen. Aber dafür bekommen wir, was uns zusteht.“

„Das wären Kekse?“ Faruun krächzte. „Die Dinger sind zwar nicht schlecht, aber dafür willst du dich verkaufen?“

„Ist doch nur ein Baldrianfläschchen. Wie schlimm kann das schon sein? Wir haben schon ganz anderes von den Menschen gestohlen.“

„Weißt du denn überhaupt, was das ist?“

Taps legte eine Pfote über die Augen. Dann widmete er sich wieder seinem Keks. Als er diesen verputzt hatte, sagte er selbstsicher: „Das wird sie uns schon erzählen. Ich glaube nicht, dass es so gefährlich wird, wie sie angedeutet hat. Vermutlich wollte sie mich nur loswerden. Aber so einfach wird man mich nicht los.“

„Also gut. Wir besorgen uns Futter von ihr. Und wer liest uns die Schilder vor? Wir brauchen ein Schiff, das uns nach Afrika bringt. Dort wird es dir gefallen! Außerdem kannst du dann den ganzen anderen Katzen in Guinea erzählen, dass du aus Paris kommst. Wird sie sicher beeindrucken!“

„Glaubst du?“

„Natürlich.“ Der Halsbandsittich breitete seine Flügel aus. „Das Fremde ist doch gerade eindrucksvoll. Aber wir sollten zusehen, dass wir dorthin kommen. Also, wie lesen wir Schilder?“

„Indem wir herausfinden, wie viel so ein Fläschchen wert ist. Hier gibt es sicher noch andere Katzen, mit denen wir handeln könnten.“

„Lass uns loslegen.“

Taps hob den Kopf und schob die Brust vor. „Ist es noch weit?“

„Nein. Gleich um die Ecke. Hätte dich dein komischer Keks nicht abgelenkt, wären wir längst bei ihr.“

„Ohne den Keks wüsste ich aber nicht, welchen Handel ich mit ihr schließen will.“

„Auch wieder wahr.“ Damit schob Faruun sich an Ästen und Blättern vorbei nach draußen. Vor der Hecke wartete er auf Taps. „Um die Hausecke ist ein Hund. Um ihn solltest du einen großen Bogen machen.“

„Stimmt. Wenn er bellt, könnte Susalu auf uns aufmerksam werden und uns für unfähig halten, ihren Auftrag auszuführen. Weil wir eben nicht unauffällig genug sind.“

„Pah!“ Faruun warf den Kopf in den Nacken. „Willst du sie ängstigen oder mit deiner Intelligenz beeindrucken?“

„Komm, flieg los.“

Taps ließ sich von Faruun in ausreichend Abstand zum Hund durch den Garten dirigieren. Riskieren würde er nichts. Außerdem blieb ihm so hoffentlich noch ausreichend Zeit, sein Fell herzurichten und entsprechend elegant vor Susalu zu treten.

Als er und Faruun den Garten der Hauskatze erreichten, lag Susalu auf einem Liegestuhl in der Sonne. Auf einem Tischchen neben ihr eine Schale mit Wasser. Aus Glas und mit edlem Schliff. Sie hatte tatsächlich nicht übertrieben, was ihre Herkunft anging. Immerhin war sie allein. Nirgendwo ein Mensch zu sehen, auch wenn eine zweite Liege und ein weiterer Tisch darauf hindeuteten, dass ihre Madame vermutlich plante, bald zu ihr zu stoßen.

Taps wusste, dass er vorsichtig sein musste. Faruuns Ermahnung überhörte er deshalb. Möglichst leise schlich er durch das Rosenbeet, so nah an die Katze heran, wie er es wagte. Leise miaute er. Doch sie rührte sich nicht. Nicht einmal ihre Ohren zuckten. „Hey, Salu!“, zischte er darauf ein wenig lauter.

Wieder nichts.

Darauf nahm Taps all seinen Mut zusammen und sprang unter ihren Liegestuhl. So konnte er sie zwar nicht sehen, aber wenigstens musste sie ihn nun hören. „Lu!“ Von unten stieß er mit dem Kopf gegen den Stuhl.

Da endlich streckte sie ihre Pfote hinab, gefolgt von ihrem edlen Gesicht. Sie rollte mit den Augen. „Was willst du?“

„Handeln. Du hast mich aus gutem Grund ausgewählt.“

„Der einzige Grund war, dass alle anderen Katzen von Rang abgelehnt haben. Aber sie hatten recht, du bist tatsächlich zu dumm für so eine Aufgabe.“

„Dumm? Wie bitte?“

„So ist es. Ich wollte dich nur loswerden. Leider ist dein Vögelchen cleverer als es aussieht.“

„Hey!“, ertönte darauf die Stimme von Faruun aus dem Rosenbeet. „Wenn du deinen Baldrian möchtest, wirst du niemanden in Paris finden, der besser dazu in der Lage wäre als wir.“

„Gut. Wenn ihr darauf besteht, dann zieht los und besorgt es mir.“

Dieses Mal behielt Taps sein Ziel deutlich vor Augen und ließ sich von ihr nicht beirren. „Wir besorgen dir deinen Baldrian. Dafür besorgst du uns Futter.“

„Wie bitte?“ Sie sprang neben den Liegestuhl und fauchte ungehalten. „Für Futter soll ich ein mickriges Fläschchen Baldrian bekommen? Ihr habt sie doch nicht mehr alle.“

„Handel ist Handel. Du hast von Gefahren gesprochen, die mich erwarten. Also sind mindestens eine Kiste Kekse, fünf Ratten und zehn Würste fällig. Außerdem ein Sack Nüsse für meinen Freund.“

„Tja, dann wird das wohl nichts.“ Sie drehte sich um und stolzierte mit hoch erhobenem Schwanz in Richtung eines Springbrunnens davon. Dort hockte sie sich auf den Rand und tappte mit ihrer Pfote ins Wasser. Vielleicht waren Fische drin, nach denen sie suchte, oder sie wollte ihn lediglich ablenken.

Das würde Taps aber nicht zulassen. Hatte er zu viel verlangt? Aber das glaubte er nicht. Vermutlich manipulierte sie ihn wieder. Sie wollte das Baldrianfläschchen. Mehr als alles andere. Er hatte es ganz deutlich in ihren Augen leuchten gesehen. Also brauchte sie nur den passenden Anreiz, um auf den Handel einzugehen. „Warte hier“, sagte er zu Faruun und lief zum Springbrunnen hinüber.

„Du lässt nicht locker, was?“ Über die Schulter sah sie ihn an.

„Nun, du hast uns nicht gebeten zu gehen. Dementsprechend ist dein Wunsch stark genug, den Baldrian zu erhalten. Wenn wir ins Geschäft kommen wollen, brauche ich einen passenden Gegenwert von dir. Wir geben dir drei Tage, damit du alles besorgst.“

Sie spritzte ihm Wasser ins Gesicht und lief in Richtung Terrassentür. „So dringend brauche ich den Baldrian nicht. Ich suche mir jemand anderen. Eure Forderung ist absolut überzogen!“

Das war sie nicht. Susalu versuchte, ihn herunterzuhandeln. Wahrscheinlich war der Baldrian noch viel wertvoller. Ansonsten hätte sie längst einen passenderen Handel vorgeschlagen. Damit hatte er sie am Haken.

Abgemacht?

Susalu stand in der Tür zur Terrasse. Im Inneren des Hauses hörte Taps einen Menschen mit Geschirr klappern, dennoch wagte er es. Er sprang auf die weißen Marmorsteine und ging auf die Katzendame zu. „Lass uns darüber reden“, sagte er möglichst freundlich.

Susalu wandte sich zu ihm um. „Da gibt es nichts zu reden. Ihr werdet es sowieso nicht schaffen, Baldrian zu besorgen.“

„Lass das meine Sorge sein. Allerdings habe ich etwas dagegen, mich in Gefahr zu begeben, ohne danach eine entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Also, steht unser Handel?“

„Futter. Für euch beide? Sicher nicht.“ Sie verzog die Nase. „Aber da du unbedingt das Fläschchen besorgen willst, werde ich dich nicht davon abhalten.“

„Gut, was bietest du dafür?“ Nun fragte er doch. Aber anders kam er nicht an sie heran.

Susalu ließ sich mitten in der Sonne nieder. Sie faltete die Pfoten unter ihrer Brust und sah ihn an. „Ich bekomme mein Baldrianfläschchen und dafür lese ich euch wie vereinbart ein Schild vor.“