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Nachts bringt der Mond den Tieren ihre Träume, doch er ist am Ende seiner Kräfte. Die Wolkenkatze ist auf der Suche nach einer Aufgabe und übernimmt daher die Traumverteilung für den Mond. Ein gestresstes Eichhörnchen, ein Marienkäfer mit Angst vor Veränderungen und eine Waschbärin mit dem Wunsch nach Perfektion stellen ihre Kreativität auf die Probe. Zudem muss sie aufpassen, dass die gewebten Träume nicht zu Albträumen werden. Wird die Wolkenkatze dem Mond eine würdige Nachfolgerin? Und findet sie damit endlich eine Aufgabe für sich?
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Laura Kier
Märchensammlung
ISBN
Print: 978-3-96427-033-7
ePUB: 978-3-96427-034-4
1. Auflage, Februar 2023
© Laura Kier
www.weltenpfad.net
Laura Kier
c/o Block Services
Stuttgarter Str. 106
70736 Fellbach
Lektorat: Stefanie Lammers, Stefanie Szabo
Korrektorat: Stefanie Szabo
Coverdesign: Laura Kier
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Dieser Gedanke begleitet Laura Kier beim Schreiben ihrer Welten. Sie sammelt Inspiration in der Natur und möchte mit ihren Märchen, Dystopien, Fantasy- und Steampunkromanen sowie Kurzgeschichten die Leser:innen dazu einladen, den eigenen Träumen zu folgen.
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Mondballaden
Glücksbringer
Unscheinbare Steine
Nussberg
Falkenherz
Cover
Titelseite
Impressum
In der Astgabel einer Trauerweide hockte die Wolkenkatze und beobachtete eine Mäusefamilie zwischen den Wurzeln. Die Mutter zeigte den Kindern, an welchen Grashalmen sie knabbern durften. Sie wies ihre Jungen an, einzelne Ähren mitzunehmen. Jedes von ihnen bekam eine Aufgabe.
Nur die Wolkenkatze hatte keine Verpflichtung. Nicht einmal eine Maus jagen brauchte sie, da das Sternenlicht sie sättigte.
Es langweilte sie, doch alle Aufgaben waren verteilt. Wenigstens boten die Balladen des Mondes ihr Abwechslung. Deshalb wollte sie rechtzeitig zum Mondaufgang einen Platz zwischen den Sternen ergattern und dem Mond lauschen. Dieses Mal würde sie den Anfang nicht verpassen, weil sie vor Langeweile das Leben verschlief! Vielleicht würde er heute eine Geschichte erzählen, durch die sie eine Aufgabe fand.
Aber noch stand die Sonne hoch am Himmel und da die Mäuse verschwunden waren, sollte sie sich jemand Neuen zum Beobachten suchen. Doch die warmen Sonnenstrahlen in ihrem Fell machten sie müde und kurz darauf schlief sie ein.
Als es einige Zeit später kühler wurde, riss die Wolkenkatze den Kopf hoch. »Oh schreck!«
Die letzten Lichtstrahlen des Tages fielen durch das Blätterdach der Weide. Ein weiterer Tag endete und kündigte den Mondaufgang an.
Ihr blieb keine Zeit, sich ausgiebig zu putzen, wenn sie den Anfang der Geschichte mitbekommen wollte. Deshalb streckte sie lediglich die Vorderpfoten auf dem Ast aus, bog den Rücken in die Höhe und fuhr mit der Zunge zweimal über ihren bläulichen Schwanz. »Das muss reichen. Ich bin bereit.«
Mit einem Satz sprang sie auf den nächsthöheren Ast. Von diesem kletterte sie hinauf in die Baumkrone, vorbei an Blättern, Misteln und zwitschernden Meisen, die den Sonnenuntergang mit ihrem Gesang begleiteten. Bei jedem Sprung raschelte es um sie herum.
Nach einigen weiteren Sprüngen streckte sie den Kopf durch die Blätter und sah die Wolken. Gemächlich zogen diese über den rötlichen Himmel.
Die Wolkenkatze atmete auf. Noch war der Mond nicht zu sehen, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis er seinen Platz einnahm. Deshalb verzichtete sie darauf, auf dem Ast zu warten, bis die Wolken zu ihr kamen, damit sie sie in den Himmel trugen.
In Eile rief sie: »Fangt mich auf!« Sie streckte die Vorderpfoten dem Himmel entgegen und sprang.
Der Wind zerzauste ihr Fell und kitzelte sie an den Ohren. Sie sauste durch die Luft an den Ästen der Weide vorbei, hinunter zum Gras. Ihr Herz raste. Wäre es besser gewesen, zu warten?
Doch da ergriff sie eine Windströmung und sie flog wie ein Vogel in die Höhe zu den Wolken hinauf.
In dem Moment, als die Sonne verschwand, hüllten weiche Dunstschwaden sie ein. Mit wild klopfendem Herzen kuschelte sie sich in die Wolken. »Das war knapp.«
»Ja. Das war es. Warte lieber auf uns. Aber wir haben es geschafft. Schön, dich zu sehen.« Die Wolke trug sie höher.
»Danke dir. Und ebenfalls schön, wieder mit dir zu fliegen.«
Sie spitzte die Ohren, um auf keinen Fall den Anfang der Mondballade zu verpassen. Doch sie hörte nur die aufgeregten Stimmen der Sterne.
»Er ist noch nie zu spät gekommen!« Der Nordstern übertönte alle anderen.
Die Wolkenkatze richtete sich auf und sah sich um. »Wo ist der Mond?« Nirgendwo entdeckte sie sein Schimmern.
»Wissen wir nicht.« Die Wolke, auf der sie flog, zitterte. »Wir brauchen den Mond! Ohne sein Licht ist es zu dunkel.«
»Und die Mondballaden geben uns den Rhythmus zum Leuchten vor!« Die Plejaden klangen traurig. Ihr Licht flackerte.
Die Wolkenkatze schubste eine Wolke direkt vor ihr zur Seite. Sie wollte sehen, was um sie herum geschah. Unter dem Wolkenschleier war es düster. Darüber funkelten die Sterne wild durcheinander, nicht gleichmäßig wie üblich.
Ihre Schnurrhaare zitterten. »Beruhigt euch! Der Mond wird auftauchen. Ganz bestimmt!«
Doch so sicher war sie sich nicht.
»Was, wenn nicht? Wer übernimmt dann seine Aufgaben?« Der Nordstern blinkte dreimal besonders hell.
»Vielleicht verteilt er noch die Träume unter den Tieren?« Die Wolkenkatze wollte die anderen beruhigen. So ein Chaos half niemandem.
Die Plejaden riefen im Chor: »Nein. Auch bei den Tieren ist er nicht. Wir brauchen seine Lieder! Ohne ihn ist es chaotisch. Der Mond ist unser Leitstern.«
»Wo ist die Erde?« Eine Sternschnuppe zog mit langem Schweif an der Wolkenkatze vorbei. »Ich darf sie nicht treffen. Der Mond erhellt die Wolken, damit ich alles sehe.«
»Ich versteh euch ja!«, rief die Wolkenkatze. »Ohne den Mond ist es düster, trostlos und wenn er nicht bald erscheint, geht die Hoffnung verloren. Wir haben alle Angst, aber wenn wir den Mond suchen, können wir das Problem lösen!«
Aber niemand hörte auf sie. Die Sterne redeten lautstark miteinander und die Wolken wuchsen zu einer Gewitterwolke zusammen, die sich am Nachthimmel auftürmte. Schnell verbreitete sich unter ihnen die Nachricht, dass der Mond verschwunden war.
»Er wird nicht kommen.« Die Wolke, die sie trug, steuerte auf die Gewitterformation zu. Sie wurde dunkelgrau und zitterte stärker als zuvor.
»Halt!«, rief die Wolkenkatze. »Wir müssen den Mond suchen.« Vielleicht war das die Aufgabe, nach der sie sich sehnte? »Wir alle haben Angst.« Sie versuchte ihre Freunde zu beruhigen.
Als weiter niemand auf sie hörte, legte sie die Ohren an. Was konnte sie tun? Sie brauchte die Wolke, um zu fliegen. Ihre Augen huschten von rechts nach links. »Bitte«, flehte sie. »Lass uns den Mond suchen. Dann bringt er dich wieder zum Leuchten.«
»Die anderen sagen, wir erhellen die Nacht mit unseren Blitzen. Das werde ich auch.«
Schon zuckte ein Blitz aus der Gewitterwolke dicht an der Wolkenkatze vorbei und verbrannte eines ihrer Schnurrhaare. Es stank entsetzlich!
Schwer atmend presste sie sich in die Dunstschwaden. »Bitte pass auf, die Blitze sind gefährlich für mich. Lass uns lieber den Mond suchen.« Sie maunzte kläglich.
»Ich kann nicht«, flüsterte die Wolke. »Die anderen brauchen mich.« Sie flog weiter und ein Blitz nach dem anderen zuckte an ihnen vorbei.
»Hier kann ich nicht bleiben!« Die Wolkenkatze sprang auf. Vor einiger Zeit hatte sie gesehen, wie Steine über Wasser springen konnten. Das würde sie ausprobieren.
Lang gestreckt fegte sie über die Dunstschwaden. Geradeso berührte sie diese mit den Pfoten. Sie wollte weg, um nicht vom nächsten Blitz getroffen zu werden. Das Chaos um sie herum jagte ihr Angst ein. Überall blitzte und funkelte es. Es gab kein gleichmäßiges Leuchten, das Ruhe in die Nacht brachte. In dem Augenblick wünschte sich die Wolkenkatze zum ersten Mal in ihrem Leben, dass die Nacht verschwinden und der Tag anbrechen möge.
Abrupt stoppte sie ihren Sprint. Das war die Idee! Sie sank in eine Wolke hinab. »Es gibt noch jemanden, der helfen kann!«
»Wer? Wir brauchen den Mond. Er bringt Ordnung ins Chaos. Licht in die Dunkelheit.«
»Ich weiß. Aber es gibt noch jemanden, der die Nacht erhellen kann. Lasst uns die Sonne suchen!« Sie drehte sich ein Stück, bis sie nach Westen schaute. Dorthin, wo die Sonne vor kurzem untergegangen war.
So schnell sie konnte sprang sie über die Wolkendecke und lief der Sonne entgegen.
»Viel Glück«, riefen die Wolken ihr hinterher. »Du wirst es brauchen …«
Als die Wolkenkatze einen Sonnenstrahl zwischen den Sternen entdeckte, rief sie: »Bitte hilf uns, liebe Sonne!«
»Was ist los?« Die Sonne stieg höher und beleuchtete das Wolkenmeer unter dem Sternenhimmel.
Blinzelnd legte die Wolkenkatze eine Pfote über die Augen, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Sie hob den Kopf, stellte die Öhrchen auf und deutete hinter sich. »Der Mond ist nicht erschienen. Alles ist durcheinander!«
Die Sonne sandte ein paar Strahlen in die angedeutete Richtung. Kurz flackerte ihr Licht. »Gewittersturm und Sternenfeuer! Das kann nicht wahr sein!« Ihre Farbe änderte sich. Das Gelb-orange wurde zu einem durchdringenden Rot mit weißen Schlieren. »Der kann was erleben! Einfach seine Aufgabe vernachlässigen …« Die Stimme der Sonne übertönte das Grollen des Donners und den Streit der Sterne, wer der Leitstern werden sollte.
Mit einem Schlag wurde es still um die Wolkenkatze. Sie sank mit zitternden Pfoten und gesträubtem Fell in die Wolken hinab. Möglichst tief versteckte sie sich in den Dunstschwaden. Vielleicht hätte sie die Sonne besser nicht stören sollen …
Schon stieg diese in die Höhe und erhellte die Nacht.
Nicht ein Stern wagte zu atmen oder zu blinken. Selbst die Wolken stoben auseinander, verloren ihre graue Farbe und glitten wieder als weiße Flauschformation unter den Sternen dahin.
Als die Wolke, die die Wolkenkatze trug, sich ihnen anschloss, wollte auch die Wolkenkatze mitfliegen und vor der Sonne fliehen. Aber sie wollte nicht zulassen, dass durch ihre Schuld der Mond den Zorn der Sonne spüren sollte. Sie würde ihn vor ihr finden und erfahren, weshalb er seine Aufgaben vernachlässigte.
Sie beugte sich dicht zur Wolke und flüsterte in die unheimliche Stille hinein: »Bitte, hilf mir, den Mond zu finden. Wir müssen schnell sein!«
Die Wolke erstarrte.
»Du willst mit mir …«
»Den Mond vor der Sonne finden. Genau. Hilfst du mir bitte?«
Einen Moment waberten die Dunstschwaden unter den Pfoten der Wolkenkatze in einem dunklen Grau. Dann wurden sie wieder weiß. »In Ordnung. Wir geben unser Bestes.« Die Wolke sandte einen Blitz aus. »Die anderen suchen mit uns.« Sie bäumte sich auf, wobei die Wolkenkatze fast das Gleichgewicht verlor, und sauste der Sonne hinterher.
»Zum Bergsee«, riefen die Sterne. »Er webt dort die Träume. Vielleicht hat er nur die Zeit vergessen.«
»Oh, ja! Gute Idee.« Die Wolkenkatze kuschelte sich so in die Dunstschwaden, dass sie mit ihrem Schwanz jede Bewegung ausgleichen konnte. »Ich habe den Mond tagsüber dort oft getroffen. Ich vergesse auch ab und an die Zeit.«
Darauf flog die Wolke noch schneller.
Viele Sterne und Wolken ließen sie hinter sich zurück. Sie alle wurden zu einem glitzernden Lichtstrahl.
Noch nie zuvor war die Wolkenkatze so schnell gereist. Trotzdem war die Sonne bereits vor Ort, als sie beim See eintrafen.
Aber die Sonne schrie den Mond nicht wie erwartet an. Sie hatte ein paar ihrer Strahlen sanft um die blasse, fast durchsichtige Gestalt des Mondes gelegt und flüsterte mit ihm.
Die Wolkenkatze blinzelte.
Die Sonne war nicht mehr zornig, sondern besorgt? Was war mit dem Mond gesehen?
Sie flog auf der Wolke näher. »Was ist los?« Ihre Stimme hallte unnatürlich durch die Stille des Himmels.
Die Sonne drehte sich zu ihr. »Ich habe ihn gefunden. Beinahe hätte ich ihn übersehen. Er leuchtet nicht mehr.«
Die Sterne um sie herum zogen scharf die Luft ein. Sie riefen wild durcheinander, was sie bedrückte. Nur einzelne Wortfetzen wie »brauchen ihn«, »seine Träume« und »Wegweiser« verstand sie.
So kamen sie nicht weiter. Mit angelegten Ohren und gesträubtem Fell schrie sie: »Aufhören! Lasst den Mond erzählen, was los ist.«
Niemand reagierte. Die Sterne sprangen funkelnd von einem Sternbild ins nächste.
Plötzlich erhellte die Sonne mit einem Schlag die Nacht.
Stille kehrte ein.
So etwas hatte es noch nie gegeben! Die Leuchtzeit war genau aufgeteilt: Zwölf Stunden schickte die Sonne ihre wärmenden Strahlen zur Erde und zwölf Stunden ließ der Mond sein Nachtlicht schimmern.
»Mein lieber, alter Freund«, begann die Sonne, »wir alle sehen, dass es dir nicht gutgeht. Was ist los?«
»Die Träume sind nicht verteilt und ich weiß nicht, welche Ballade ich singen soll. Außerdem muss ich den Sternschnuppen den Weg weisen, damit sie an der Erde vorbeifliegen.« Ein schwaches Licht tauchte auf seiner Oberfläche auf. Es wurde ein wenig heller, ehe es verlosch. Abermals versuchte er, ein Glimmen zu erzeugen. Schwer atmend schob er sich vor die Wolken. Nichts geschah. Der Mond blieb dunkel. Resigniert schüttelte er den Kopf. »Seht ihr? Ich leuchte nicht mehr.«
Als er sich wieder hinter den Wolken verstecken wollte, fragte die Wolkenkatze: »Warum kannst du es nicht mehr? Bist du krank?«
»Nein.« Seine Stimme war kaum lauter als der Flügelschlag einer Eule.
Die Wolkenkatze hob eine Pfote und deutete zu den Sternen. »Wir alle sind für dich da. Vielleicht können die Sterne auch ohne deinen Gesang leuchten?«
Einige Sterne riefen: »Das werden wir!«
Der Nordstern schwebte näher zum Mond heran. »Wir funkeln und glitzern. So erhellen wir die Nacht für dich. Wir wählen einen neuen Leitstern und dann -«
»Das reicht nicht. Seht mich doch an. Die Träume fehlen, ich habe nichts zu erzählen …« Der Mond wurde mit jedem Wort leiser.
Die Sonne kreiste um den Mond und betrachtete ihn von allen Seiten. »Du siehst miserabel aus. Die graue Farbe … Als hätte jemand sämtliche Kraft aus dir herausgesaugt.«
Beinahe wurde er durchscheinend wie eine Wolke.
Fiepend maunzte die Wolkenkatze. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. So hatte sie ihren Freund noch nie gesehen. Sonst war er es, der alle aufmunterte und für jeden einen Rat hatte. Es konnte nicht sein, dass er keine Idee hatte, warum sein Licht verschwunden war!
Um ihm ein Stück näher zu kommen, stellte sie sich auf die Hinterbeine. Die Öhrchen drehte sie in seine Richtung, um keine Regung zu verpassen. »Du weißt, warum es dir so geht, oder? Aber du willst es uns nicht sagen.«
Der Mond verzog sich hinter eine Wolke. Nur ein leises »Ja« drang durch die Dunstschwaden.