Der Geltstag - Jeremias Gotthelf - E-Book

Der Geltstag E-Book

Jeremias Gotthelf

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Beschreibung

In 'Der Geltstag' von Jeremias Gotthelf wird die Geschichte eines jungen Bauern erzählt, der nach dem Tod seines Vaters vor der Herausforderung steht, das elterliche Gut zu führen. Gotthelfs literarischer Stil ist geprägt von Realismus und Detailreichtum, wodurch er die Leser tief in das ländliche Schweizer Leben des 19. Jahrhunderts eintauchen lässt. Mit seiner genauen Beobachtungsgabe für die menschliche Natur und seinen scharfen Charakterzeichnungen hebt sich Gotthelf als einer der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller seiner Zeit hervor. 'Der Geltstag' ist ein Meisterwerk der Schweizer Literatur und bietet einen faszinierenden Einblick in die sozialen und moralischen Konflikte der Zeit.

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Jeremias Gotthel

Der Geltstag

Die Wirtschaft nach der neuen Mode
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Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebenzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Die Gräbt

Kläglich wimmerte das Glöcklein aus dem niedern Türmchen der Kirche zu Uefligen. Auf dem Kirchhofe stand ein Mann und legte Stricke über ein offenes Grab; um den Kirchhof herum schwärmte die der Schule entlassene Jugend, die nicht gerne heimgeht, wenn was zu sehen ist im Dorfe, sei es eine Hochzeit, sei es ein Leichenzug. Der Neugierde ist alles eins.

«Du, wen begraben sie heute?» fragte eine vorübergehende Frau eine andere, welche mit den Händen unter dem Fürtuche schlotterend dastand. Es schien eine kränkliche Frau, um guten Lohn wäre sie nicht im kalten Winde gestanden. Sie möchte es nicht erleiden, hätte sie gesagt, sie sei gar gliedersüchtig und es fehle ihr sonst noch viel. Aber wenn der Gwunder ins Spiel kam, da achtete sie alles nicht, und Keine mochte mehr Kälte und Wind, Hitze und Staub erleiden wie sie. «E», antwortete die Angeredete, «weißt du das nicht, und reden doch alle Leute davon? Habe gemeint, es sei niemere auf der Welt, der das nicht schon wisse.» «Kein Sterbeswörtli habe ich gehört», entgegnete die Erste. «Weißt de nit, dr Wirt uf dr Gnepfi ist gstorbe, u mi bigrabt ne hüt.» «Nit müglich», sagte die Erste, «den sah ich ja erst letzten Samstag vor acht Tagen zu Solothurn und da ist er noch ganz lustig und hellauf gewesen, hat beim ›Storchen‹ Wein gezahlt ein paar Mädchen, es weiß kein Mensch, wie manche Halbe.» «So het ers chönne», antwortete die Zweite; «er het nit dra gsinnet, wie kurz es währt, wenn mans z'stark treibt. Letzten Dienstag am Morgen fand man ihn tot im Bette. Am Abend vorher ist er noch wohlaufgewesen, hat mit ein paar Kameraden gramset bis nach Mitternacht, man hat ihm von Krankheit gar nichts angemerkt; nur hat er sie nie fortlassen wollen, sie waren manchmal zweg zum Gehen. Nur noch eine, hat er gesagt, nur noch eine, ins Bett mög er nicht, man könne ja morgen liggen, so lang man wolle, es sei ihm afe nichts so zwider als i ds Bett z'gah. Sie haben sich dessen nicht sövli gachtet, er hats immer so gehabt; je länger es des Abends bei ihm gegangen, desto lieber war es ihm. Am andern Tage aber, als sie hörten, er sei tot gefunden worden, dachten die Kameraden, ob es ihm wohl vorgewesen wegem lang Ligge? Von wegen jetzt könne er ligge länger, als ihm wohl lieb sei, und wenn er endlich aufstehen müsse, so könne ihm das Aufstehen noch schwerer werden als das Ligge. Allweg hets ihnen agfange gruse vor dem Höckle bis nach Mitternacht, sie wollen lieber früh nieder und früh wieder auf, als ungsinnet so lang müesse z'ligge wie dr Wirt uf dr Gnepfi.

«Aber lueg, dort kommen sie, potz, was für e große Lycht. Aber so ists, wo es eine gute Gräbt gibt, gibts viel Leute, wo es keine gibt, gibt es auch keine Leute, auf den Menschen kommt es dabei nicht an, und sei er in Gottes Namen gestorben oder in einem andern.»

Voran kam auf einem Wägelchen der schwarze Sarg. Arme Leute verköstigen sich nicht mit der Farbe, lassen weiß den Sarg, sie werden denken, wenn Trauer sei in den Herzen der Begleitenden und weiß das Herz des Gestorbenen, so sei es alles, was vor Gott nötig sei; die Welt habe sich nie viel um den armen Gestorbenen bekümmert, warum sollte man sich nun um die Welt kümmern bei seiner Begräbnis? Hinter dem Wägelein her kamen Knaben des Gestorbenen, pfausbäckige Jungens mit falben Haaren. Sie trampelten ziemlich gedankenlos einher, man konnte ihnen nicht ansehen, waren sie Weinens satt oder hatten sie es noch nicht zum Weinen bringen können. Bloß der Jüngste, ein sechsjähriger Bube, weinte stark und schluchzte laut; er war des Vaters Liebling gewesen, was er wollte, hatte er vom Vater gehabt; so oft der Vater trank, kriegte der Junge auch, und wenn er sagte: «Vater, der ist mir z'sure», so holte der Vater bessern, und wenn der Vater aß, so kriegte der Junge ebenfalls, und wenn der Vater Rindfleisch aß und der Junge sagte: «Vater, mag nit Rindfleisch, möchte lieber Hamme oder es Prägelwürstli», so holte ihm der Vater das eine oder das andere. Seit drei Tagen, seitdem der Vater tot war, bekümmerte sich niemand viel um ihn. Niemand holte ihm bessern Wein, niemand ein Prägelwürstli; da fühlte er, wie übel es ihm mit des Vaters Tode gegangen, darum weinte er so sehr. Großes Bedauern hatte mit dem Jungen die Welt. «Das ist e bsungerbar e Witzige für son e Junge», sagten die Leute, «der merkt, wie übel es ihm gegangen, daß der Vater gestorben.» Es sei sich auch nicht zu verwundern, er sei dem Vater bsunderbar wert gewesen, und dann wisse man nicht, ob die Leute das Wirtshaus behalten könnten, sövli King u sövli jung und sövli e lüftige Mutter; es wüsse kei Mönsch, was die anstelle. U das merk dä Jung scho u heygs i dr Nase.

Hintenher kamen viele Männer in schwarzen Mänteln und Wollhüten auf den Köpfen; schwarze Strohhüte haben nicht Gültigkeit, weder bei Leichen noch beim Abendmahl. Bei Leichen tragen sie nur die, welche es nicht besser vermögen, und beim Abendmahl nur Güterbuben, deren Bauern zu geizig zu einem Wollhut waren. «E Strauhuet tuets sauft, er ist ds Halb wöhlfeler und notti schwarz, u schwarz wird doch dHauptsach sy», sagt so ein geizig Mannli, das nicht weiß, was dHauptsach bei Gott ist, bei dem aber dWöhlfeli dHauptsach ist.

Unter den Wollhüten sah man ernsthafte Gesichter, aber gerührte hätte man vergeblich gesucht. Die Gedanken hinter den Gesichtern sah man nicht; es kam Manchem wohl. Es hätte es sicher Mancher ungern gehabt, wenn man hinter seinen Augen hätte lesen können: Hätte ich nur das Geld für das letzte Kalb, so früg ich allem nicht viel nach, dSach könnte sein, wie sie wollte, oder: Hätte ich nur die letzte Nacht nicht mit ihm gespielt und getrunken, aber es will mir nicht aus dem Sinn; ins Haus gehe ich nicht mehr, wenn ich nicht muß, und tags mach ich mich heim; wenns nachtet, so fängts mich an zu schaudern, weiß gar nicht, wie es kömmt.

Hinter den Männern kamen die Weiber, ihrer wenige, aber schaurig schwarz und schwatzten nicht. Einige wischten die Augen, sie wußten kaum warum, wahrscheinlich bloß so des allgemeinen Gebrauchs wegen. Andere machten sonderbare Augen, man wußte nicht, waren sie zornig oder wollten sie lachen. Wollten sie vielleicht sagen: Hast du jetzt einmal Feierabend, gäll, dä ist dr cho ungsinnet und dest gschwinger, je länger du unsere Mannleni im Wirtshause versäumt hast. Gäll, jetzt hörst sagen: Ume no eini, ume no eini!

Zuletzt schritt eine stattliche Frau daher, gut angetan, weinende Mädchen um sie; das kleinste führte sie an der einen Hand, während sie mit der andern das Nastuch vor den Augen hatte. Sie war ergriffen, man sah es wohl, aber was sie ergriffen hatte, das wußte man nicht. Es kann ein Weib gar manches ergreifen, wenn es dem Sarge des Mannes das Geleite zum Grabe gibt, es kann die Liebe sein Herz zerreißen oder die Reue, es kann der Kummer für die Zukunft oder der Gram über die Vergangenheit dessen Seele erschüttern. Am lautesten jammerte das kleinste Mädchen, ein fünfjähriges Kind, kein Zusprechen stillte seinen Jammer. Warum dieses Kind so jammerte, daß es den Nächsten die Seele zerriß und Schauer um Schauer durch die Gebeine jagte, wußte man.

Als es den toten Ätti sah, hatte es die Mutter gefragt: «O Müetti, het dr Ätti ächt no bätet, eh er gstorbe ist, het er ächt o?» «Wie wett er, er ist ja im Schlaf gstorbe», hatte die Mutter geantwortet. Da war das Kind in einen unbeschreiblichen Jammer versunken und hatte immer gerufen: «Su chunt üse Ätti nit i Himmel, oh, üse Ätti chunt nit i Himmel!» Vergebens wollte die Mutter trösten und sagen, er hätte ja nicht beten können, weil er im Schlaf gestorben. Das Kind wollte das nicht fassen. «Du hasts gesagt und der Schulmeister hats gesagt, wer nicht bete, komme nicht in Himmel, und üse Ätti het nüt betet und jetzt chunt er nit dry!» Da wollte kein Trost anschlagen, es blieb bei dem, was man ihm zuerst gesagt, wie Kinder es oft haben, daß man umsonst ihnen zuredet, zu vergessen, was man ihnen zuerst gesagt hat. Wohl hatte es in der Zwischenzeit sich zuweilen beschwichtigen lassen und geschwiegen, hatte gefragt, wenn es recht bete, obs ächt o für e Ätti gält, und auf die bejahende Antwort Ernst mit Bete gehabt, daß ihm in der vergangenen Nacht endlich die Mutter unwillig befahl, es solle doch aufhören stürme und o einist schlafe. Es war nicht böse gemeint, aber eine müde, geängstigte Frau, die gerne schlafen möchte, wiegt die Worte nicht ab. Aber schon als man vom Hause wegging, besonders als man das wimmernde Glöcklein hörte, das so schaurig der Leiche zu rufen schien, war der Jammer noch heftiger losgebrochen, und als man zum Grabe kam, die Erdschollen so hart polterten auf dem Sarge, da brach es in lautes Schreien aus, daß alle großes Erbarmen bekamen und Viele weinten um des Kindes willen. «Du arms Tröpfli,» sagte eine alte Frau, «briegg du nur, so lang de witt u so lut de witt, das schadt dir hie nit u dert nit. Solang du ume über Angeri brieggist, macht alles nüt, üse Heiland het ja o briegget, mach ume, daß de nie über dih selber briegge mueßt, selb chönnt de fehle.»

In die Kirche zum Gebete zog die Menge. Wie sie drinnen war, verhallte das Glöcklein; stille wards, man hörte nur noch des Mädchens Schluchzen, das wurde aber auch dumpfer, seltener, und bald hörte man nichts mehr als vom Taufsteine her das ernste, tiefe Gebet, das den Menschen mahnet an seine Sterblichkeit und was ihm not tue, damit wenn der Herr komme wie ein Dieb in der Nacht, im Schlafe eine Seele fordere, dieselbe nicht unvorbereitet dahinfahre, kein Kind weinen müsse über den Ätti oder übers Müetti in Kummer und Angst, daß ihre armen Seelen verloren gehen möchten, weil sie nicht bloß aus leiblichem, sondern auch aus geistigem Schlafe vor Gericht gerufen werden. In tiefen Schlaf hatte der Herr das arme Mädchen gewiegt, als das Gebet zu Ende war; milde und lieblich lächelte es auf den Armen einer muntern Base, die es nach Hause trug.

Die Menge wandte sich dem Wirtshause auf der Gnepfi zu, nachdem die Männer die schwarzen Mäntel abgenommen, sorgfältig in mitgenommene Säcklein sie gepackt, die Weiber die Züpfen, die nicht halten wollten, sich wieder um den Kopf festgebunden hatten. Die Gräbt war im Wirtshause auf der Gnepfi und zwar nicht bloß eine Käsgräbt, das heißt eine, wo bloß Wein, Brot und Käse aufgestellt wird, sondern eine Fleischgräbt und zwar von den bessern, denn da war Voressen, Rind- und Schweinefleisch, Sauerkraut und dürre Bohnen, dann Braten, Hamme, Salat und Tateren. Es waren Leute da von weither, und die Wirtin zählte sich zu den Vornehmen im Lande, sie hätte es nicht anders getan, und was es kostete, frug sie nicht, ans Rechnen war sie nicht gewöhnt, und wenn man die Sache selber habe, so brauche man ihr gar nichts nachzurechnen, war ihre Meinung bei allem, was in ihrem Hause gebraucht wurde. Sie war streng vorausgeeilt, um die letzte Hand an alles zu legen und dafür zu sorgen, daß die Leute nicht warten müßten; sie ward nicht gerne verbrüllet, sondern lieber gerühmt. Ob sie aber recht wußte, was Ruhm bringt und ds Verbrüllen macht, das ist eine andere Frage, darin irrt sich gar manche Frau.

Langsam waren ihr die Leute nachgekommen, und viel zu mustern gab es noch, ehe sie alle saßen um die langen im Tanzsaale aufgestellten Tische. Zu was allem doch so ein Saal dienen muß und was er alles sehen muß! Wenn er reden könnte, man würde sich verwundern, verwundern zum Beispiel, wenn er erzählen würde, wie er oft an Tanzeten traurigere Herzen gesehen hätte als an Gräbten. Die Wirtin hantierte unten in der Küche, hatte aber Aufträge gegeben diesem, jenem: «Lue mr doch de öppe, daß esn ieders zu syr Sach chunt, u schaych y!» Wenn aufgetragen war, so trat sie einen Augenblick unter die Türe und übersah die Tische, ob allenthalben was sei, die Speisen recht verstellt und die mäßigen Flaschen nicht leer. Wer sie zuerst sah, füllte sein Glas, drehte sich auf seinem Stuhl und sagte: «Es gilt dr, Wirti, chumm u tue Bscheid!» «Es angers Mal», sagte dann die Wirtin, «bis ume rüehyig!» «Chunst nit o zun is?» «Ih chume de, aber zerst mueß ih no ache, si hey mr grüeft.»

«Wie gehts ihr wohl?» fuhr der fort, welcher es ihr gebracht hatte, «kann sie wohl bleiben, oder kehrt es sie?» «Sie meint nichts anders als furtfahre», antwortete ein Anderer; «sie hat davon gesagt, wie es jetzt gehen müsse, und hat im Sinn, viel la zwegzmache.» «Dere könnte es noch anders kommen», antwortete der Erste, «entweder tut sie nur dergleichen oder si chennt de nüt vo dr Sach. Da werde no Sache fürecho, a die no niemere sinnet.» «Meinst?» antwortete der Andere. «Ih ha o afe neue e Ton ghört, aber ih ha du denkt, es wird afe gar viel gschwätzt.» Dieses Gespräch verbreitete sich, langsam schleichend wie Feuer im Moose, doch nicht bis zu oberst an den Tisch, wo die Verwandten saßen, auch nicht an der Weiber Tische, die abgesondert saßen, denn nicht ungerne tun die zuweilen, als ob ihnen die Nähe des Mannevolks in der Seele zuwider sei. Das schickt sich auch nie besser als an einer Gräbt, wo es sich ohnehin nicht schickt, Karlishof zu haben und Gugelfug unter einander. Die sprachen davon, wie doch das Mädchen getan hätte, wie es ihnen dabei afe fast gschmuecht worden sei. Es syg ume es King, aber denen werde manchmal was eingegeben, was große Leute nicht wüßten, und schon manches Kind hätte etwas gesehen, Erwachsene hätten nichts bemerken können, gäb wie si gluegt heyge. Sei das, wie es wolle, so sei es allweg grüslig, so plötzlich z'sterbe und no unbetet. Man sage nicht umsonst: «E Schlagfluß, Gott bhüet is drvor». Es sei zehnmal besser, e Plätz krank z'sy; wenn man schon dabei leiden müsse, so könne man sich doch rangiere wegem Zytliche und wegem Ewige. Was ihnen aber am meisten gruse, sei, daß man schon oft gehört habe, wie so einer, der sich nicht habe rangieren können, sondern etwas auf dem Herzen behalten, nicht ruhen könne, sondern wiederkommen müsse, bis es ihm jemand habe abnehmen können. Das düech se ds Schröcklichste vo allem; sie wollten lieber gradewegs i dHöll; wenn me einist dert wär, su wär me doch de dert, und viellicht könnt me sih zletzt o no dra gwahne, mi gwahn sih ja a alles uf der Welt. «Herr Jeses, Züsi, schwyg u vrsüng dih nit, denk, wies dem alte Schlyfer gange ist, wo o sym Mul ke Rechnig gmacht het! Weißt no?» Einmal auf diesem geschichtlichen Boden, ist den Weibern zu wohl, als daß sie ihn bald verlassen sollten; so streng ihnen die Gänsehaut den Rücken auffuhr, so streng jagte ein Geschichtchen das andere, doch auch hier alles halblaut. Lauter, jedoch gemessen, ging es bei den Verwandten zu, Brüdern des Gestorbenen, Brüdern der Wirtin und Andern, die in näherm und weiterm Grade ihnen angehörten. Sie berührten weder den Verstorbenen noch die mutmaßlichen Umstände desselben; sie redeten von ganz fremden Dingen. Zuerst redeten sie vom Korn, wieviel jeder usemach im Tenn von hundert Garben, von welcher Sorte sie hätten, rotes, blaues, weißes, verabredeten Tausch und sprachen vom Aufschlag und Abschlag, wieviel jeder zum Verkauf übrig hätte und ob der Verkauf besser sei daheim oder auf dem Markt. Allweg löse man einige Batzen mehr auf dem Markt, meinte ein Schalk, aber wieviel man dann davon heimbringe, sei Gott bekannt, manchmal alles, manchmal wenig, manchmal gar nichts. Manchmal wüßte man, wo man die Sache hintäte, und manchmal nicht, manchmal sehe man ohne Spiegel das Gras wachsen, und manchmal könnte man sieben Spiegel aufeinandertun und vermöchte keine sechszentnerige Sau zu sehen, vrschweige dann, wie bös ein Sack sei und wie groß die Spälte im Kistlein – so komme immer alles auf die Umstände an. Und wie so ein Gespräch gleitet wie Schlittschuhläufer auf dem Eisspiegel von einem Ende zum andern, so kam man von Löchern und Schweinen auf die Luzerner und die Aargauer, auf die Politik, man wußte nicht wie. Es waren sich da nicht bloß zwei Verwandtschaften gegenüber, sondern auch zweier Gattig Leute. Die eine Verwandtschaft bestund hauptsächlich aus ältern und gesessenen Leuten, das heißt aus solchen, die etwas Solides besaßen und in einem Eigentum saßen, aus Sassen also; die andere mehr aus Leuten, die flüchtiger waren, auf Pöstlein saßen, die alle sechs Jahre zu vergeben waren, oder auf solche Pöstlein harrten wie auf die Maus die Katze, oder denen die alte Welt, von Gott gemacht, bereits verleidet war und sie neu machen wollten nach ihrem Sinn, akkurat wie sie aus ihrem blonden Schnauz einen schwarzen gemacht hatten. Es waren gegenüber den Sassen die Alemannen, oder die Allmendleute gegenüber den Horbesitzern, um in Beispielen zu reden.

«Aberebo und wie stehts», fragte einer der Ersteren, welchen das Korn wenig interessierte, weil er keines pflanzte, «mit den Jesuiten, wollen wir bald dran hin und sie austreiben?» Da entstand eine lange Stille in Israel. Als niemand was sagte, fuhr er fort: «An die hin hulf ich, und wer ein freisinniger Mann sein will, muß mit!» «He ryt emel afe; wennd de nit gfahre mast, su mach Bscheid!»

Während der Erste eine bittere Antwort verbiß, antwortete ein Anderer: «Ja, so hat man es bei uns, da will es einer an den Andern lassen, und wenn am Ende Freiheit und Religion und sust alles verloren geht, su wett de niemere dschuld sy.» «Ho», sagte ein Anderer, «was sell ist, so han ih ke große Chummer; was dReligion isch, su han ih die selber, u emel einist nimmt mr die niemer, u we mr dPintewirte myni Buebe nit verfüehre u dNeutäufer myni Meitli nit und die Separierte myni Alti nit, su han ih wege dr Religion ke Chummer, u zur Freiheit soll dRegierig luege, die ist zahlt drfür, u luegt die nit, he nu so de, su sy mr de geng no da.» «Ja ja, wenns de z'spät ist, zu selligem cha me nit früeh gnue tue.» «Aber lösche, gäbs brönnt, cha me doch o nit, selb schickt sich neue nit», ward geantwortet. «Das wär gspässig, wenns nit brönnti, fraget die Freisinnige im Kanton Luzern! Wenns e Brunst ist, su fat me a lösche, wenns afat brönne, u nit erst, wenn ds eige Dach acheghyt», antwortete der, welcher reiten wollte. «Selb ist wahr», antwortete einer, der noch nicht geredet. «Aber wenn dr Nachbar chüechle will, su geyht me nit und wirft ihm Wasser i dPfanne, selb chunt de erst nit guet. U we dLuzerner dJesuiter für Chüechli wey, su hulf ih se la mache, wenn ih se nume nit fresse mueß. Aber drvo het no niemere gseyt. Ih ha no vo niemere ghört, dem dChüechli nit erleidet wäre, wenn er geng ume Chüechli ha sött.» «Ein jeder redet, wie er es versteht», antwortete ein Anderer. «Aber sagt mir doch, was und wer die Jesuiten sind.» «He, selb wett ih vo Euch vrnäh, Ihr werdets wohl besser wüsse als ih, es nähm mih selber wunder», antwortete der Gefragte. «Das gieng z'lang, Euch z'brichten», antwortete der Erstere, «das könnt Ihr in jeder Zeitung lesen. Wir würden heute nicht fertig, wenn ich anfangen wollte.» «Ja ja, ih vrstah. Wenn er agfange hätt, ds Höre war mängem ke Kunst. Wenn mih allbets dr Pfarrer öppis Wunderligs gfragt het, su han ih gseit, ih wüßts, aber ih chönns nit säge.» «Ja», sagte einer, «aber lätz ists, ih hätt es schöns Munikalb, u die hey mr allbets dLuzerner abkauft, si sy chum trocke gsi, u jetz het sih längs Stück kene by mr zeigt. Es ist doch lätz, daß sih jetz üsereim dSach etgelte mueß, wenn Anger ds Garn vrhürschet hey.» «He ja, wenns mr ume um dKalber wär, es wär mr o so, aber ih sinne o as Vaterland und a dReligion», entgegnete einer. «Grad so geyhts mir o», antwortete ein Anderer, «was ih nit ha, dara mueß ih am hertiste sinne; wenn ih key Geld ha, su düecht mih, ih syg niene daheim, und won ih Witlig gsi bi, hets mih düecht, ih möcht am en iedere Zunstecke um e Hals falle un ne frage, ob er well cho Büri sy uf dBot hinteri.» «Du wirst du es bravs Müetti übercho ha, so dere eys, wenn e Hüehnerträger siebni um drei Krüzer übercho chönnt, er lieber z'leerem zMärit gieng als se i dKräze nähm?» «Ih ha emel eys übercho, u ds Best ist i der Zyt, daß ih wege syne emel dJesuite nüt z'förchte ha. Es chunt mr scho längs Stück ke Länder u ke Schwebelhölzler meh unger dTür, u doch han ih ke Hung meh, sit me e Neutaler drvo zahle sött.» Man sieht, es war Giecht in der Wechselrede, wenn man ihn auch immer mit einem Spaß dämpfte wie beim Brechen das Feuer mit dem nassen Besen. Solch Giecht ist zuweilen bei Gräbten zwischen den beiden Verwandtschaften von Frau und Mann, wenn die Aussicht gefährlich ist und jede Beschwerde fürchtet und jede von ihrer Seite weg die Schuld auf die andere schieben will; begreiflich erzeigt man es aber nicht, man faßt sich, und wer nicht ein feines Ohr für den Ton hat, würde an den Worten wenig merken.

Die Wirtin war hereingekommen, war den Tischen nachgegangen, hatte sich entschuldigt, daß alles nicht besser sei, aber mi söll vrzieh, wenn me selligs erlebe müeß, su heyg me i Gottsname dr Sinn nit, hatte eingeschenkt hier und dort und endlich sich bei den Verwandten niedergesetzt, wo man sie zum Essen nötigen wollte, aber zur Antwort erhielt, si mög nit, si heyg e Tropf Suppe gno u dä heyg si schier nit möge achebringe u heyg ne no z'oberist obe. «Es ist sich nicht zu verwundern, Base», sagte ein alter Vetter, der des Gestorbenen Götti gewesen, «wenn man so was erleben muß, so ungsinnet u sövli jung no; es düecht mih, es syg erst gester gsi, daß mr ne tauft heyge u dKingbetti du gha i dr Kädere. Aber hest ihm de nüt agmerkt, daß ihm öppe fehl?»

Diese Frage gab der Wirtin Gelegenheit, des Weiten zu erzählen, wie ihr Mann wohl hie und da gruchset, aber z'grechtem gfehlt hätte es ihm nie, und bruche hätte er erst nichts wollen. Scho es Wyli heyg ihm dr Ate gchurzet u du syg er im Gurnigel gsi, aber bessert hätte es ihm nicht. Wie es sie hätte möge düeche, bruch me dert schier meh Wy weder Wasser, emel e Teil, si well nicht säge all. Aber böset hätte er auch nicht, und a öppis Bös gsinnet hätt si de gar nicht. «Da cheut dr denke, wie es mir am Morge gsi ist!» Dann erzählte sie plastisch, das heißt ohne ein Düpflein auszulassen, was sie am Morgen gesehen, wie es ihr gewesen, was sie gemacht, was sie gesagt und was Andere gesagt.

Während ihrer Rede verrann die Zeit; die Leute begannen aufzustehn und sich zu empfehlen, denn bei einer Gräbt ist lang Dorfen nicht Sitte, es sei denn, es sei eine Base oder ein Vetter begraben worden kinderlos, aber mit vielem Geld behaftet. Die Gäste dankten für die gute Aufwart, wie si de öppe nit dra denkt hätte u deretwäge si de nadisch nit cho syge. Die Witwe dagegen dankte, daß sie hätten kommen wollen und ihrem Mann dLiebi erzeige, si heyge müeße vorlieb näh; wenns eim selber breycht heyg, su chönn me de öppe nit ufwarte, wie me dra denk u wie wenns neuer Frömds wär. Aber es angers Mal well sis nachebessere, wenn me ere well dEhr atue u zu re cho u se nit ganz vergesse u vrla. Si well öppe ihres Mügliche tue, daß dLüt sih nit z'erchlage heyge, daß si ihri Sach eh besser weder böser heyge. So höflich und manierlich begegnete sie den Gästen, die alle fast zusammen aufbrachen, wie hart es auch Manche hielt, aber man hielt sich doch nicht dafür, daß man länger nicht genug hätte als die Andern.

Den nächsten Verwandten hatte sie aber Winke gegeben, daß sie bleiben möchten, weil sie noch neuis mit ihnen zu reden hätte und das am besten sei, wenn sie alle bei einander seien, es könne da ein jeder sagen, was er denk und wie er die Sache ansehe, hingerdry helfs einem dann nicht viel, wenn man einem sage: «Hättist mich gefragt, ich hätte dir schon raten wollen, u de gwüß, daß es guet cho wär.» Als die Stube sauber war, begann die Wirtin: «Sie haben mir die Sache versiegelt, die Manne hier (sie war nicht da daheim), es het mih düecht, es sött öppe nit nötig gsi sy, aber es wird ne o öppe um ihres Löhnli gsi sy. DSach sött me ne vrgebe gä, aber vrgebe tät eim hie niemere e Tritt vrsetze, i selligem sys wüest Lüt, drnebe wäre si guet, si meine de öppe nit, daß alles für dKingsking müeß gspart sy. Die hey mir du no welle Angst mache u hey gseyt, mit dem werds de no nit gnue sy, es werd no müesse es Benefizi gä. Selb wird doch öppe nit sy.» Die Manne sahen einander an, keiner sprach, endlich sagte ihr Bruder: «Das kann dir hier niemand sagen. Brauch ists, drnebe kömmts auf die Gemeinde an und wie öppe die Sache stange». «Selb wirst du am besten wissen. Öppe reich worden sind wir hier nicht», antwortete die Wirtin. «Wir haben böse Zeiten gehabt, große Verluste gemacht, viel machen lassen, und was wir geerbt, das wüßt dr öppe ume z'guet, es bravs Trinkgeld, nit viel meh; aber notti ist no öppis da, vo wege zur Sach gluegt hey mr u brucht öppe nit viel meh, as sih wohl gschickt het u nötig gsi isch.»

«Natürlich habt ihr ein Hausbuch, u drin wirds gschriebe sy, wies öppe gange isch u was dr z'heusche heyt u was dr schuldi syt?» «Ja, son es Buech hey mr, und drin ist viel gschriebe, bald het er drygschriebe, bald han ih neuis drygmacht, wenn ih glaubt ha, ih chönnts vrgesse. Aber das hey si mr o ybschlosse, gäb wien ih gwehrt ha, es syg mr gar uchumlig, wenn ih öppe öppis ufmache well, won ih glaub, ih chönnts vrgesse.» Die Männer sahen einander an; endlich sagte ihr Bruder: «Ds Best ist, du gehest vor die Gemeinde, der Schwager kömmt schon mit dir und trägt ihr die Sache vor, emel einist chan ih a dr Sach nüt mache.» «He das wär gspässig», sagte die Wirtin, «du wirst doch öppe welle e Brueder a mer sy u wirst öppe nit bigehre, daß ih jetz no i unötig Köste chume. Wenn man mir öppe beistehn wollte wie üblich und recht, so weiß ich, die Sache ginge und vielleicht besser als vorher, aber wenn niemand will, he nun so dann in Gottes Name, so weiß ich, wer es zu verantworten hat und was es einem nützt, Brüder und Schwäger zu haben.» «He Schwester», sagte der Bruder, «nur nicht so hitzig, du hast noch immer einen Bruder an mir gehabt, aber alles auf der Welt hat seinen Gang und dem muß man den Lauf lassen. Es wär öppe noch nie erhört worden, daß man bei einem Wirt, wo so viel mit Wygumene, Käshändler, Herdöpfler u dere Züg u sust allerlei Lumpepack in Verkehr gestanden, kein Benefizi ergehen ließe, du kämist in größten Schaden, glaubs, und wurdist dene Zägge nie los. Wenn das gange ist, kann man dir helfen, dann wohl.» «Hans Uli hat recht», sagte der Schwager, «grad so ists.» Das bestätigte der Götti auch und alle Manne, Schwäger und Brüder und andere Verwandte, die noch da waren. Die Wirtin verstund das aber nicht, sie wurde böse; sie sagte, sie sehe wohl, wie es ihr gehen werde, z'helfe begehre ihr niemand, aber alles werd welle uf ere sy u a re sugge. Es sei immer so gewesen und werde immer so sein, wer Witwen und Waisen am besten bschyße chönn, dä mein, er syg dr Größt. Sie hätte erst noch eine Geschichte aus dem Oberland abe gehört, wie vornehm Manne eine Witwe hätten machen z'geltstage und ihr Vermögen hinterepackt und eingesacket, und jetz werde man es ihr gerade so machen wollen. Selligs Geld heyg me hützutag nötig, wenn me dBuebe well zu Herre mache, als ob me dere Mulaffe nit meh als gnue hätt.

«Los Schwester, darüber wollen wir jetzt nicht zanken», sagte der Bruder; «wenn du es anders machen kannst, he nun, so ists mir ja recht, ich will dir da gar nicht im Wege sein.» «Ja», sagte die Wirtin, «aber dann möchte ich noch einen rechten Mann für mir anfangs beizustehen, nachher wirds schon gehen.» «Nun, deretwegen mußt auch vor die Gemeinde, sie muß ihn dir verordnen. Weißt einen?» sagte der Bruder. «Allweg», sagte sie, «einen aus der Nähe, wo ich nicht so weit zu laufen brauche, wenn ich Rat mangle, und der sonst ungeheißen kömmt. Ich habe schon mit ihm gredt, er wett.» «He nun so dann, so wär dSach i dr Ornig, u jetz mueß ih furt, ih will ga la aspanne», antwortete derselbe. Ihm nach ging der Schwager; unten in einer Ecke stellten sie sich wie zufällig, und der Bruder sagte zum Schwager: «Du siehst doch ein wenig zur Sach, bist näher als ich und dSach geht dich noch mehr an. Aber es Benefizi muß es allweg geben.» «Versteht sich», antwortete der Andere, «wenns de ume drby blybt und es sih bi dem still het.» «Meinst? 's wird öppe nit sy,» fuhr der Bruder zweg. «Man kann nicht wissen», antwortete der Schwager, «es kann noch manches zum Vorschein kommen, an welches man jetzt nicht sinnete. Drnebe weiß ich es nicht, der Bruder ist in der letzten Zeit so wunderlich gewesen, öppe rede het me nit mit ihm chönne.» «Ich kanns nicht wohl glauben», antwortete der Bruder, «wie wollte das gegangen sein, bei dem Vermögen, wo sie zusammengebracht, und auf dem Platz, wo auch gut ist? Freilich, wos lustig gange ist, ist er gerne dabeigewesen, aber das hätt doch nicht alles sölle mache.» «He ja», antwortete der Schwager, «und dann hat er oft geklagt, seine Frau sei keine Hausfrau, wie er sie gmanglet hätte, sie mache keiner Sache eine Rechnung, und was die Augen sehen, das, meine sie, müsse sie haben.» «Sie werden einander nicht viel vorzuhalten gehabt haben, und wär er mehr daheim gewesen, so hätte er sie können brichten», antwortete der Bruder. «Da muß man Weibergut machen, so viel man kann, das ist dHauptsach», setzte er hinzu. «He ja», antwortete der Schwager, «und die Leute, welche dem Bruder getraut haben, brav mache z'vrliere und ihn unterm Herd unte no zum ene Schelm, selb wär bravs!»

Damit ging er in den Stall und ließ den Andern stehn. Dieser sah ihm nach und brummte für sich: «Er wird ihm o schuldi sy, sust redti dä nit so; wenns ume anger Lüt agieng, er wär nit halb so eigeli. Mi het de öppe nie ghört, daß die, wo vo dem Züg nachechöme, bräver syge as anger Lüt, ds Kunträri.»

Die Gedanken, welche Beide wälzten in ihrem Sinne, waren ganz andere als die, welche sie hergebracht hatten, sie rüsteten Beide sich auf eine schwere Zeit.

Zweites Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Der Leser vernimmt, wer begraben worden, und wie derselbe seinerzeit zu einer Frau gekommen

Der Wirt, der begraben worden war, war eines angesehenen Mannes Sohn, welcher bei der alten Regierung viel gegolten, daher mit manchem Pöstlein beehrt worden war. Diese Pöstlein hatten ihn jedoch nicht reich gemacht, wenn er gleich ein Schönes daraus zog. Er hatte viel Land und viele Kinder; der Pöstlein wegen mußte er viel von Hause weg sein, da weiß jeder, wie es geht, besonders wenn daheim keine Frau waltet, welche Hosen anhat und die Hand am Arm. Eine solche hatte er aber nicht. Wenn der Vater ein vornehmer Mann ist, so meinen die Kinder gerne, sie müßten dem Vater zLieb und zEhr großen Staat machen, und der Vater ist oft Gäuggels genug und meint, es sei so. Wenn dabei viel gebraucht und wenig gearbeitet wird, so denkt er, das mögs wohl erleiden; so ein paar hundert Franken jährlich vom Himmel obenaben, man wisse nicht wie, glichen alles wieder aus. An eins aber denkt er nicht, obgleich er eigentlich seiner vielen Ämter wegen mehr Verstand hätte haben sollen als gemeine Leute. Er dachte nicht daran, daß seine Kinder an viel Brauchen und wenig Werchen sich gewöhnten. Und wenn er auch Land und Heustöcke rechnen konnte wie Schnupf, mit und ohne Krümpe, mit und ohne Träm oder Fußwege, so konnte er doch den Unterschied nicht herausrechnen, welcher entsteht, wenn ein Kind wöchentlich zwei Fünfunddreißiger vertut und keinen verdient, oder wenn es wöchentlich zwei Fünfunddreißiger verdient und keinen vertut. Wer zum Rechnen nicht ganz dumm ist, der bringt mit Gottes Hülfe heraus, daß das einen Unterschied von zweihundert Fünfunddreißigern macht per Jahr; und wenn er recht anwendet, so bringt er vielleicht noch heraus, daß siebenhundert Franken den Zins eines Kapitals von siebenzehntausendfünfhundert Franken ausmachen. Eine schöne Summe, Viele werden sagen ein schön Vermögen. Also wer alle Wochen zwei Fünfunddreißiger vertut, muß den Zins von achttausendsiebenhundertfünfzig Franken haben, und wer alle Wochen zwei Fünfunddreißiger verdient, statt zwei zu vertun, trägt ein Vermögen in sich, welches ihm den Zins von achttausendsiebenhundertfünfzig Franken abträgt, während er zu gleicher Zeit den Zins von achttausendsiebenhundertfünfzig Franken erspart.

Nun hört man so oft: «Das ist ein reiches Meitschi, es hat so und so viel tausend Kronen und noch dazu Verfalles», oder: «Das ist es Arms, keinen Kreuzer hats.» Ganz gut, aber was braucht das Eine, was verdient das Andere? Das muß noch dazu gerechnet werden; erst dann kann man das Vergleichen anfangen, und wenn man eine Subtraktion ansetzen will, so frägt es sich, ob das Mädchen, welches keinen Kreuzer hat, nicht die reichere Frau wäre als das andere mit seinen paar tausend Krönchen. So manches Herrentöchterchen heißt reich, fünfzigtausend Franken habe es wie einen Batzen. Wenn es aber nun nichts kann als Kontos machen bei Schneiderinnen, Putzmacherinnen, Zuckerbäckläden usw., vom Kammermeitli sich muß anziehen lassen und von der Köchin betrügen, rechne man nur doch, wie reich ist die? Und dann erst so ein Bauerntöchterchen mit zwanzigtausend Pfund und meinethalben noch mit einem Halbdutzend zentnerigen Dackbetten, siebzehn Fassene, einem schönen Schaft, einer französischen Bettstatt und einem zwölfdublönige Schwarzkleb, das einem großen Haushalt vorstehen soll und kann nichts als Pantöffeli brodiere, «merci» sagen, ds Mul büschele und dLüt usgränne hinterm Rücken, gixt: «Herr Jeses, pfi tusig!», wenn es den kleinen Finger in eine Säumelchtere tunchen sollte, steyht am nüni uf, schlärplet um ds Hus u geyht am eilfi u seit: «Mädi, was hey mr hüt z'esse, mach is fry öppis Guets, öppe es Tätschli u viel Zucker dry u brav Zimmet druf,» u über Kopfweh schreyt u Zahngweh, wenn es einist Bohne rüste sött oder afüre, u nüt erlyde ma as uszryte un öppe Gotte z'sy oder z'tanze u das je länger je lieber, wo dKrone nit zählt, wenns um e Kittel geht oder um eine Kappe oder gar um Göllerketteli, aber dann anstatt Kabis Erdäpfelkraut einmachen will, das gang sust zschange, u einist heyg es neue ghört, das gäb ds best Surkrut. Was meint ihr wohl, wie reich ist ein solch Meitschi und was helfen die zwanzigtausend Pfund dem Bauer husen mit einer solchen Frau? Ja, wird man sagen, das sei eine dumme Rechnung, die Rechnung eines Zaunstecklers, der das Leben nur nach dem Ersparten setze und wo das Geld die Hauptsache sei. Heutzutage lebe man gottlob in andern Zeiten, in aufgeklärtern, und da sei die Bildung die Hauptsache. So ein gebildet Frauenzimmer, das sei das Wahre, das sei ein einzig Kleinod, ein Gut, von dem man nicht wisse, oh, oh, oh, oh, oh wie herrlich. Und wenn man dann erstaunt nach dieser Bildung frägt, wenn man frägt, in welchem Verhältnis das Meitschi zu seinen Eltern gestanden und anderen Menschen, wie es sich in Leiden und Verdrießlichkeiten schicken könne, in Entbehrungen usw., so zuckt man die Achsel und sieht einen verächtlich an und sagt, dMuetter sei eine ungebildete Frau, mit der sei nicht nachzukommen, mit gebildeten Leuten vertrage es sich trefflich, aber zuzumuten sei es so einer gebildeten Person gar nicht, daß sie sich nach rohem und gemeinem Pack richte, reizbare Nerven hätte sie und möge nicht viel ertragen. Das sei aber so bei gebildeten Leuten, die seien ganz anders gnatürt als so die gemeinen, wo seien wie Holzböck oder steinig Türlistöck. Wenn man dann noch einmal das Herz in beide Hände nimmt und frägt, worin denn eigentlich die Bildung bestehe, wenn sie nicht die Kraft sei, Leben und Menschen zu ertragen, weil man beide erkannt und seine eigene Bestimmung, so werden die Augen noch verächtlicher und spöttisch verzieht sich der Mund und man hört endlich: «Das begreifst du nicht, aber weil du es bist, so will ich es dir sagen, damit du doch einmal vernimmst, was Bildung ist:

«Sie hat verflucht gute Schulen genossen und alles Mögliche darin gelernt; es hat Tage gä, wo si füfzehner Gattig gha hey. Da lehrt me angers as da so i de ordinäri Schuele, wo me geng am Glyche lyret. Si hey vo dr Gschicht gha und vo dr Erdkugle, vo zvorderist bis hingerus, u wie mänger Gattig Affe es git, hets Punktum gwüßt, u wie si lebe u wie si tue. Si hey ds selbisch e grusam e gschichte Lehrer gha, er het ne alles u bsungerbar dAffe chönne so bigryflich mache, daß es eim düecht het, mi hey fry eine vor dr Nase. U du ists im Weltschlang gsi u het brav glehrt; gäb wie liecht es sih bsinne cha, su chas no alles säge, und wenns scho nit geng weltschet, su wird men ihms am manierlich Rede syr Lebtig amerke, a «merci» u «si vous plaît» und «pas du tout». Es tanzet höllisch guet und het Konversation; es ist einist auf dem Dampfschiff gfahre, und das erzählt es einem, so oft man will und recht kurzwylig; und arbeiten kanns auch und zwar schön, brodiere, Kindskäppeli mache, und lue, dä Geldseckel het es mr glismet; das ist öppis angers als so gradane e wullige Strumpf. Du glaubst nicht, was das für ein Unterschied ist zwischen einer gebildeten Person und einem groben Mensch, auf hundert Schritt sieht man ihn. Selb ist Bildung.»

's ist schön, diese Bildung, verflümeret schön. Wenn dann diese Gebildete zu einer Hausfrau gerät, so hats diese Bildung nicht selten wie schlechte Indienne, wo nach ein paar Wochen e Uflat wird, den man gar nicht mehr ansehen mag. 's ist aber kurios, nach dieser Bildung wird hauptsächlich beim weiblichen Geschlecht gebrüllt wie bei einer Feuersbrunst nach Wasser. Beim männlichen Geschlecht, versteht sich Ausnahmen abgerechnet, fordert man bloß, daß einer sich recht lustig machen, schwatzen und flattieren könne, und Einige sind, die sich am liebsten von Schnäuzen flattieren lassen. Die Sache, von der wir ausgegangen, bleibt die gleiche; der Unterschied vom Vertun und Verdienen wird nicht bemerkt. Wenn einer sich recht lustig machen und gut flattieren kann, ein Schübeli Geld hat, aber keines zu verdienen weiß, so meint so ein Meitschi, was es erobert, wenn es so ein lüftig Bürschli erzappelt hat, zieht ihn hundertmal einem fleißigen Gstabi vor, der gut arbeitet, aber schlecht tanzt, es ehrlich meint, aber nicht zu flattieren weiß.

Unseres Mannes Kinder waren teils gebildet, das heißt die Töchter, und waren lüftig und lustig, die Söhne nämlich. Unter ihnen machte sich besonders Stephan bemerkbar, ein gescheuter Bursche mit Kruselhaar und heitern Augen. Wo es lustig ging, war er der Erste und Letzte, ob er aber der Erste oder Letzte zum Mähen auf die Matte kam, dessen achtete sich der Vater nicht, und wenn er dem Vater von den andern Geschwistern verklagt wurde, er wolle nicht hacken, nicht helfen hier oder dort, so redete ihm die Mutter z'best.

Da man ihn zu Hause recht gut entbehren konnte, so wurde beschlossen, er solle das Metzgen lernen. Das ist auf dem Lande das adeliche Handwerk, wie in den Städten der Weinhandel der adeliche Handel war. Stephan ließ sich das recht gerne gefallen. Er lernte das Metzgen, so wie es ein junger Sohn lernt, der Geld im Sack hat und Muggen im Kopf. Daheim machte er, was er gerne wollte, und wenn er über Land mußte dem Veh nach, so kam er heim, wann es ihm gefiel. Daneben geriet er zum Scharfschütz, und wenn irgendwo ein Schießet war, so fehlte Stephan nicht, und wenn er in Garnison mußte, so kam seinen Vater allemal das Seufzen an.

Die Lehrzeit dauerte nicht lange. Metzgerknecht sein, sich binden wollte er begreiflich nicht, das wäre seinen Ehren ein Abbruch gewesen. Er ging also wieder heim, sollte im Sommer wieder werchen, im Winter dann auf gut Schick passen, ob irgend ein Vetter oder einer, der sich beim Vater in Gunst setzen wollte, sich seiner erbarme und ihn anstelle, um seine Sau oder zwei zu schlachten, oder ob irgend eine ihrer Kühe so gefällig sei, ein Kalb zu gebären, das man nicht abbrechen, nicht wohl verkaufen konnte, sondern es am besten war, dasselbe selbst zu schlachten und das Fleisch zu verhausieren. Das erleidete ihm aber auch; es trug wenig ein, und doch wurde er je länger je mehr darauf verwiesen, wenn er Geld wollte.

Da kam die neue Ordnung der Dinge, und bald darauf wurden die Konzessionen zu Wirtshäusern so häufig erteilt, daß allenthalben das Gelüsten entstund, zu wirten, um ring reich zu werden. Das kam unsern Stephan auch an, und sein Vater, der es so zu drehen gewußt hatte, daß er um seinen Kredit nicht gekommen war, hatte nichts darwider, sondern meinte, man müsse dGlegeheit profitiere und nusse, wenn Nuß syge. Zu einem Wirtshaus wolle er ihm schon helfen. Dazu aber, sagte er, gehöre eine Frau, welche Geld habe, viel könne er ihm nicht geben, öppe es kuraschierts Mönsch, das der Sach wisse vorzustehn und den Leuten anständig sei, nit öppe son es Tschaggeli, son es Kuderbützi, wo me nit wüß, was hinger oder vorfert syg.

Ein lüftiger Bursche wie Stephan hatte begreiflich schon manche Liebschaft gehabt, aber die einen waren erkaltet und aus andern hatte es sonst nichts gegeben, so daß er in diesem Augenblick wirklich nichts angesponnen hatte, also das Herz frei war und nirgends weder Schleiftrog noch Kette. Nun hätte man denken sollen, die Familie sei zu Rate gesessen, hätte eine Landkarte zur Hand genommen, worauf die Wirtshäuser verzeichnet gewesen, und nun nachgedacht und nachgefragt, wo ledige Töchter seien, die dSach verstünden und Geld hätten. Aber daran dachte man nicht von ferne. Im Kanton Bern herrscht der Glaube, und selbst auf der Hochschule (damals florierte sie jedoch nicht wie jetzt) wird ihm nicht widersprochen, daß man eigentlich dSach nicht zu lernen brauche, sondern wer Couraschi hätte, sie auch könnte, zwar nicht aus Gottes Gnaden, sondern von Rechts wegen; denn die Aristokratie des Wissens soll ja abgeschafft sein im Kanton Bern, wie ein verdächtig gewordener Schulmeister gesagt hat. Das ist übrigens ein Glaube, welcher alt ist im Kanton Bern, welcher mit der Verfassung nicht bloß nicht abgeschafft, sondern, wie es scheint, noch dupliert worden ist, so daß jeder Gugag meint, er sei gut genug in jedem Rat. Es wäre wohl gut, es stünde mit dem rechten Glauben im Kanton Bern so gut als mit diesem Glauben.

In diesem Glauben war unsere Familie auch recht stark. Sie dachte nicht daran, daß man das Wirten und alles damit Verbundene lernen müsse; sie meinte, das verstehe sich von selbst. Wer wirte, der nehme das Geld. Die Gäste sehen begreiflich nur, was der Wirt einnimmt. Wenn er was ausgibt, so sieht es nicht der Hundertste. Und was man nicht wisse, das könne man fragen oder es sei bald gelernt, es wisse öppe ein jedere Löhl, wie es in einem Wirtshaus gehe und was für Ürtene man machen müsse. So hätte die Familie geantwortet, wenn man ihr von so etwas gesprochen oder eine Wirtstochter oder gar ein Stubenmeitschi in Vorschlag gebracht hätte als Frau für Steffen. Ja sie hätte sich ordentlich erschüttet ob diesem Vorschlag, sie hätte geglaubt, man meine, es sei im Schoße ihrer Familie nicht Verstand genug zu jeder Sache, sie mangle noch was anderes als Geld. Es saß also die Familie nicht an der Landkarte und studierte die Wirtstöchter. Aber die Mutter war eine gute Frau, hatte also viele Weiber, welche bei ihr aus- und eingingen, so gleichsam ihre Adjutanten, welche für sie in der Welt agierten und ihr Kundschaft brachten aus der Welt Getümmel. Diesen vertraute sie ihr Vorhaben und wie es ihnen anständig wäre, wenn sie für den Steffen ein aufgeheitertes Mädchen wüßten mit einem schönen Schübeli Geld.

Für solche Freundinnen ist ein solcher Auftrag fast, was himmlisches Manna, wenigstens eine der größten irdischen Wonnen. Wie die davonstoben, dann wieder daherstoben, zu brichten hatten und die Hände verwarfen und nötlich taten! Wenn man sie hörte, so hätte man glauben sollen, es hätte über Nacht reiche, aufgeheiterte Mädchen geschneit ganz Hüfe. Steffen hätte Tag und Nacht auf den Beinen sein müssen, wenn er alle Mädchen hätte gschauen wollen, welche ihm angegeben wurden als wie gemacht für ihn. Wenn er auch nur dem zehnten nachlief, so magerte er doch sichtbarlich ab und klagte der Mutter, das Ding erleide ihm afe und entweder nehme er jetzt das erst Best, oder er schlage ds Wirte aus dem Sinn. Die besten der Mädchen hatten schon einen Liebern und wollten nichts von ihm, einige, die Geld hatten, hatten dazu Gesichter wie ungewaschene Pfanne, andere, die für eine Wirtin nicht unzweckmäßige Gesichter hatten, besaßen eigentlich kein Vermögen, hatten bloß starke Hoffnung auf ein großes Erbe. Zum Beispiel ihrer Großmutter Halbschwester Tochter hätte bloß ein Kind und zwar gar es leids, das ds Manne kum erlebe werd, und wenn das sterbe und der Großmutter Halbschwester ihren Mann überlebe, so lasse die eine Verordnung machen, und dann könne sie den bessern Teil nehmen. Gesagt hätte sie es zwar nicht, aber merken hätte man es schon manchmal können.

Eben als Steffen am Abstehen oder Ertauben war, eins von beiden, vernahm man es Tüfels es ufgheiterts Meitschi mit einem schönen Schübeli Geld, wos nüt bruch as es z'näh, wo me ke Stung druf warte müeß, we me einist kupeliert syg. Und dazu sei die Familie bsunderbar huslig und zum Werche abgrichtet wie keine so. Das schlach vom Morgen bis am Abe dry, daß es eim fry übel grus. Grad so eine, dachte alsobald die ganze Familie, mangle Steffen; was er nicht möge, mache die, und es werde ihr wohl kommen, wenn sie recht viel möge, von wegen, er werde an sie lassen je mehr dest lieber. Eisi hieß sie und ihr Vater war ein großer Bauer gewesen u hungsgytig, ihre Mutter eine Werchadere wie keine. Keine ihrer Töchter machte ihr das geringste Ding recht, darum machte sie am liebsten alles alleine, und ihre Töchter waren am besten hinter Mutters Rücken oder wenigstens zehn Schritt vom Leibe. Geld für Kleider gab der Vater so wenig als möglich und für Lustbarkeiten gar nichts, wollten sie was Besseres oder was Lustiges, so mußten sie es erlistelen oder erstehlen; sie übten sich in beidem, so gut sie konnten. Werchen mußten sie wie dRoß. Dusse werche, gradane dryschla konnten sie, daß es einem fry drab grusete. Aber daheim war keine dressiert; sie konnten kaum den Schweinen kochen, geschweige den Menschen. Nähen konnten sie so viel, für im Notfall die Fetzen am Fürfuß vernähen zu können, wenn sie ihnen über die Schuhe hinaushangen wollten. In einem halben Tag brachten sie so einen Fürfuß zur Ordnung im Schweiße ihres Angesichtes, den andern Tag ruhten sie von ihrer Arbeit, und am dritten Tage nahmen sie erst den zweiten Fürfuß übers Knie mit Angst und Seufzen. Von Lismen war keine Rede, ward dasselbe dringlich, so nahm man ein Solothurner Mönschli auf die Stör oder gar zwei. Die Leute waren bsunderbar berühmt von wegen der Hauslichkeit und von wegen der Brävi, und was die Leute nicht sahen, das wußte die Mutter ihnen aufs Brot zu streichen, damit sie es auf die Dromme brächten.

Kurz nach einander starben die Eltern am Nervenfieber, und wirklich war da Geld unter die Kinder gekommen. Die Töchter hatten ein artig Schübeli abgekriegt. Da fand Steffen, was er wollte, und zudem sehr freundliche Aufnahme; er war in Verlegenheit, wie wehren, es hätten ihn alle drei Schwestern gerne gehabt und er konnte doch nur eine nehmen. Wir wollen ihnen nicht nachreden, daß sie lieber als andere Meitscheni Männer gehabt hätten. Aber so z'leerem, für nichts und wieder nichts, arbeiten viele Schwestern nicht gerne bei den Brüdern, haben bös, müssen Jungfrauen vorstellen und am Ende in der Vogtsrechnung noch sehen, daß sie nicht einmal das Essen verdient, sondern noch ein ordentlich Tischgeld schuldig geworden. Darum stellen sie lieber was für sich selbsten an, wo sie, wenn es gewerchet sein muß, doch wissen, für wen sie werchen. Steffen entschied sich bald. Er wollte Eisi, die Lüftigst und Lustigst von allen, die läuferlen konnte, daß einem düechte, sie rühre den Boden nicht an, und ein Mundstück hatte wie ein Schlängli. Die andern Schwestern ließen, als sie das merkten, anfänglich den Trümel hängen, indessen trösteten sie sich bald, weil jede einen Tröster fand. Es gab Hochzeit über Hochzeit und Glück über Glück, und alle meinten, ihnen sei das leibhaftige Glück zugefallen. Aber die Töchter fielen ganz anders aus, als man erwartet hatte. Bei ihnen erfuhr man, was Huslichkeit und Arbeitsamkeit in einem Hause helfen, wenn der rechte Boden fehlt. Wo der rechte Boden fehlt, da artet das Schönste aus und Tugenden verwandeln in Laster sich.

Eisis Eltern, ds Bure ufem Gugger, waren sogenannte ehrbare Raggerleute, sie galten für brav, aber daß sie es in Mein und Dein besonders exakt nahmen, selb war nicht; sie hatten nicht großen Verkehr mit der Welt, weil sie immer von der Welt fürchteten betrogen zu werden; aber wenn sie eine Sau oder ein Kalb bei der Gewicht verkauften, so sparten sie das Füttern und Stopfen nicht, es bringe immer sövli, meinten sie, und der Metzger hätte allweg ds Bessere.

Sie lebten karg in Kleidern und Essen, besonders soweit der Vater es zwingen konnte, und wenn die Kinder an eine Lustbarkeit wollten, so setzte es allemal Händel ab. Aller sogenannten Freude war der Vater feind und hielt die Kinder davon ab. Aber der Kinder Sinn so zu lenken, daß sie an etwas anderm Freude kriegten, das tat er nicht. Der Kinder Auge nach etwas Höherm zu lenken, das ihnen ein Genügen geben konnte, tat er ebenfalls nicht; der Kinder Herz durch Liebe und Gemütlichkeit so zu fesseln, daß sein Sinn ihr Sinn wurde, sie mit Freuden ihm zur Hand sprangen, das tat er wiederum nicht. Er haßte alles Lesen, es trage nichts ab, sagte er. Er brummte oft über das Kirchengehen, besonders bei schlechtem Wetter; man mach dSchueh dure u heyg nüt drvo, man sei ja unterwiesen worden und sött öppe wüsse, was me z'tue und z'glaube heyg, meinte er. Auch führte er keine geistlichen Gespräche mit seinen Kindern, außer wenn ein Nachbar, den er haßte, ins Unglück kam. Dann sagte er: Es sei notti gut, daß zuweilen so einem etwas auf die Nase werde, sonst würd zletzt niemand mehr glauben, daß ein Gott im Himmel sei. Freundliche Worte gab er das Jahr durch wenige. Sauersehn war seine Freundlichkeit. Klagte jemand über etwas, so sagte er: «He, es ist sih doch dr wert, so z'gruchse; wed schwygst, su wirds scho bessere.» Wenn das Gruchsen sich so steigerte, daß der Fehlbare nicht mehr arbeitete und nebetzi lag, so sagte er, das sei nur Fantast und Fulket. Die Mutter war darin gleich, daß sie ebenfalls nichts Besseres pflanzte in die Kinder, daß das Raggern auch ihre Gewohnheit war, daß sie also ziemlich einträchtig mit ihrem Manne einem Ziele zulief. Aber sehr getäuscht würde man sich haben, wenn man geglaubt hätte, sie hätte ihren Mann geliebt. Sie liebten beide bloß den Mammon, keine lebendige Seele, die Frau höchstens ihre Mastschweine von Martistag bis Ostern, wenn sie recht gut taten. Aber eben weil sie sich nicht liebten, kam zuweilen der Frau der Widerspruchsgeist an, dr Alt müeß doch de nit meine, daß er alles zwängen wolle. Dann half sie den Töchtern hinter dem Rücken des Mannes zu allerlei, zu Kleidern und Schleckereien. Wenn er den Rücken kehrte, so wurde geiertätschelt oder geküchelt oder ein Abendsitz angestellt oder sie rissen sonst aus, und wenn dann der Alte das Korn nachgemessen hätte oder das Gespinst nachgewogen oder die Eier gezählt, so hätte er zuweilen was merken können. Indessen geschah das selten genug. Durst und Drang nach der Welt und ihren Genüssen ward nicht gestillt, nicht ausgetrieben, nur aufgestaucht. Da saßen sie auf ihrem Gugger oben und mußten immer denken: O hätt ich doch, o könnt ich doch! Wenn Markt, Musterung, Tanzsonntage waren und alles zottelte, sie aber bleiben mußten, so wollte das sie fast versprengen, und was es für einen Unwillen gab, kann man sich denken.

So schienen sie wohl eingezogen, konnten mit Recht dafür gelten, aber die Eingezogenheit war nicht ihr Sinn, war Zwang, inwendig sah es ganz anders aus. Sie glichen Äpfeln, gesund und ganz von Ansehn, die unter der Rinde aber ganz anders sich zeigen. So waren aber nicht bloß sie, so würden auch noch viele Andere erfunden werden und sind bereits erfunden worden, wenn es zum Fecken kam. Ähnlich verhielt es sich mit ihrer Arbeitsamkeit, die hatte auch nicht ihre Wurzel inwendig in dem Sinne, der Freude hat an treuem Benutzen seiner Gaben, am treuen Beschicken seines Tagewerks, in der Liebe, welche Freude machen will dem irdischen Vater und das Wohlgefallen des himmlischen sucht, sondern sie wurde getrieben und erzeugt durch einen äußern Zwang; hörte der Zwang auf, sank die Arbeitsamkeit auch in sich selbst zusammen. Zudem war dieses Arbeiten eigentlich nicht weit her, sondern eigentlich bloß so ein allgemeines Dreinschlagen. Vom Hauswesen verstunden sie hell nichts, achteten sich aller Welt nichts, hatten nur immer zu sinnen und zu denken, wie es doch lustig wäre, wenn sie machen könnten, was ihnen wohl gefiele, und wie es doch verflucht sei, daß sie machen müßten, was sie nicht gerne mochten. Sie waren weder im Stall noch in der Küche daheim, und was das Spinnen anbelangt, so fluchte der Weber immer grenzenlos, wenn er dem Garn vom Gugger nicht entrinnen konnte.

So war die Arbeitsamkeit und Eingezogenheit der gepriesenen Töchter beschaffen, und wie viel sie wert waren und wie häblig, erfuhr auch bald die Welt. Das hätte man doch afe nicht gedacht, hieß es dann, wie doch die Menschen sich ändern könnten u drzue no so kurzum! Bäbi, die Älteste, ward alsbald liederlich, begann zu essen und zu trinken, was das Herz gelüstete, so gut und so viel, als es zwegbringen mochte, dem Mann dagegen gönnte es nichts, am liebsten hätte es ihm nur Erdäpfelschindti gegeben oder Treber, wenn es welche gehabt hätte. Es ging nicht viele Jahre, so starb der Mann an der Auszehrung, Bäbi aber an der Wassersucht. Mädi, die zweite Tochter, ward eine grenzenlose Schlampe und Dampe, schwatzen war seine Seligkeit, und bal laufe, bal höckle kam ihm grad nache; die Kinder ließ es verhudelt laufen, manchmal hatte es längst Mittag geläutet und Mädi hatte noch kein Feuer angemacht, keine Erdäpfel gewaschen. Einmal hätte es bald das Haus verbrannt. Es hatte Anken ob dem Feuer zum Auslassen, eine Nachbarin ging vorüber, Mädi schoß hinaus. «Du, du, los doch neuis!» rief es, und wenn es einmal diesen Haken eingehängt hatte, so kriegte es ihn nicht wieder los; so dampete es, bis der Anken im Feuer war; da wohl hatte das Dampen ein Ende, und wenn die Nachbarin nicht gewesen wäre, Mädi hätte sich nicht zu helfen gewußt. Kommod kam es ihm, daß die Schweine nicht reden konnten; wohl, die hätten ihm Sachen ausgebracht, daß Gott erbarm! Wie es Eisi erging, dem aufgeheiterten, welches den lüftigen Steffen kriegte, das wollen wir nun auch sehen.

Drittes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Wie diese Frau in sechs Wochen wirten lernt

Auf der Gnepfi hatte sein Vater ihm ein altes Haus gekauft und eine Konzession richtig erhalten. DGnepfi lag an einer Straße, Steffen hoffte dabei aber noch, daß akkurat bei seinem Hause künftig eine zweite Straße sich münden werde. Und wenn die Leute seine Hoffnung auslachen wollten, so lachte er noch mehr und sagte: Er verlasse sich auf gute Bekanntschaft, und auf einen Zapfen oder zwei käme es ihm nicht an. Da ließen sie nun bauen, zwegmachen, einrichten, und während das geschah, sollte Eisi geschwind das Kochen lernen. Steffens Mutter hatte bald gemerkt, wie es mit Eisis Kochkunst bestellt war und daß die Schweine allemal gränneten, wenn Eisi ihren Hafen in Obhut gehabt hatte. Sie gab daher Steffen untern Fuß, Eisi sollte doch wäger noch ein wenig kochen lernen, es sei nicht einmal imstande für dTauner z'koche und dHandwerkslüt, geschweige denn für neuis Grechts, e Kindbetti, es Hochzyt oder gar für dGrichtsmanne. Steffen begriff das. Er aß nicht ungern was Gutes, und Eisi hatte ihm einmal einen Eiertätsch gemacht, der war zäh wie Sohlleder gewesen und hatte gestunken wie ein verbranntes Haus, wo alles Veh dringeblieben war. Seitdem hatte er großen Respekt vor Eisis Kochen, und wenn er es in der Küche sah, so hielt er allemal die Nase zu. Er hatte einen Freund, der auch Scharfschütz war, ein Wirtshaus besaß und eine Frau, von welcher Steffen sagte, das sei ihm ein Donnstigs Ketzerli von einer Frau, die gefiel ihm, so sollten alle Wirtinnen sein. Diesen fragte er, ob er sein Eisi nicht drei oder vier Wochen zu ihm tun könnte für ds Koche z'lehre, öppe gar e Hex drin sei es noch nicht. Der Freund war ganz bereitwillig, schwerer war Eisi zu bereden, es meinte, selb wär nicht nötig, und was es öppe nicht könne, sei bald gelernt, es werd ihm de, wenn Not a Ma chömm, scho zSinn cho, wie dSach müeß gmacht sy, u de chönn me öppe probiere, bis es guet chömm, es syg jetzt alles gar wohlfeil. Je weniger man von einer Sache kennt, desto leichter kömmt einem das Erlernen derselben vor, und je weniger Begriff man von einer Kunst oder Wissenschaft hat, desto geringer schätzt man sie.