Der Gesang des Pirols - Sonja Girisch - E-Book

Der Gesang des Pirols E-Book

Sonja Girisch

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Beschreibung

Die junge Ornithologin Quinn kümmert sich gemeinsam mit ihrem Ziehbruder, dem Eishockeyspieler Casey, um die drei verwaisten Kinder ihres verstorbenen Bruders. Leider gerät Quinn dabei auch immer wieder mit Caseys Konkurrenten und Freund Gabe aneinander, der auch noch in ihrem Haus einzieht. Doch dann widerfährt Quinn unerwartet ein schreckliches Ereignis, wodurch sie sich immer mehr zurückzieht. Ihre einzige Chance, ins Leben zurückzufinden, ist, Gabe zu vertrauen.

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Seitenzahl: 1074

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Der Gesang des Pirols
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Epilog
Nachwort
Sonja Girisch

Sonja Girisch

Der Gesang des Pirols

Impressum

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Print-ISBN: 978-3-96752-139-9

E-Book-ISBN: 978-3-96752-639-4

Copyright (2022) XOXO Verlag

Umschlaggestaltung: Grit Richter, XOXO Verlag

unter Verwendung der Bilder:

Stockfoto-Nummer: 1400821064, 2097602683

von www.shutterstock.com

Buchsatz: Grit Richter, XOXO Verlag

Hergestellt in Bremen, Germany (EU)

XOXO Verlag

ein IMPRINT der EISERMANN MEDIA GMBH

Gröpelinger Heerstr. 149

28237 Bremen

Inhaltswarnung: Beschreibung sexueller Gewalt

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für Janina, Mike und Philomena

Asking for consent

ruins the mood

only if you were in the mood

to rape.

No. 628, from THE 4TH LIST OF SHIT THAT MADE ME A FEMINIST,

Farida D.

Kapitel 1

Leise ist es.

Nichts ist zu hören.

Jedenfalls keine lauten, störenden Geräusche. Angenehme, erwünschte Geräusche gibt es jedoch genug. Von überall erklingen viele verschiedene Vogelgesänge.

Kurze, lange. Melodische, eintönige. Kein Gesang gleicht dem anderen.

Als hätten sich sämtliche Vögel des Waldes versammelt, um den neuen Tag mit einem gemeinsamen Konzert zu beginnen.

Es ist früher Morgen. Kurz nach sieben Uhr. Die Sonne ist erst vor vielleicht einer Stunde aufgegangen, die Wiesen werden von einer dichten Nebelschicht bedeckt. Es ist etwas frisch. Aber nicht zu kalt.

Passend für dieses Wetter wäre vielleicht eine dünne Jacke, aber definitiv eine Jeans. Für eine Leggins ist es doch ein wenig zu kühl. Dünne Handschuhe sollten eventuell auch dabei sein.

Es ist herrlich. Wunderbar. Schlichtweg friedlich.

Hier im Wald gibt es keine Menschen, welche zur Arbeit müssen. Die sich dem Druck der Gesellschaft beugen. Die einander meiden, als hätten sie allesamt eine ansteckende Krankheit.

Hier gibt es nur Ruhe. Ruhe und Frieden. Kein Stress.

Pure Harmonie eben.

Der perfekte Ort, um all seine Sorgen zu vergessen.

Der perfekte Ort, um sich zu entspannen. Sich einfach zurückzuziehen und die Schönheit der Natur zu bewundern. Es wäre doch wundervoll, wenn man diese Entspannung mit dem Beruf verbinden könnte.

Nun, genau das hat Quinn getan. Und sie ist stolz darauf.

Mit einem sanften Lächeln setzt sie einen Schritt vor den anderen. In den Händen hält sie das Fernglas stets griffbereit. Ihr Blick ist wachsam, bewusst suchen ihre Augen die Baumkronen und Baumstämme ab. Auf der Suche nach den Tieren, die ihr Harmonie ins Leben bringen.

Sie weiß nicht recht, wieso sie ausgerechnet von Vögeln so fasziniert ist. Es könnten genauso gut Eichhörnchen oder Frösche sein. Immerhin hat sie viele Tiere im Rahmen ihres Studiums kennengelernt.

Aber keine Tierklasse hat sie so sehr in den Bann gezogen wie die Vögel.

Vielleicht ist es einfach ihr Gesang, der so unterschiedlich ist und – wenn man sich nur einmal hinstellt und versucht, die Anzahl der Vogelstimmen zu zählen – überwältigend sein kann.

Oder es ist der Moment, wenn man einen Vogel mit dem Fernglas erwischt und beobachtet, wie er auf dem Ast herumhüpft. Wie er den Schnabel öffnet und Laute herauskommen, die eigentlich gar nicht zur Bewegung des Schnabels passen.

Sie liebt Vögel. So simpel es klingt, so elementar ist die Liebe in Quinns Leben.

Angefangen hat es dabei mit der Amsel. Ein Vogel, dessen Gesang schon jeder als Kind gehört hat. Bereits früh als Kind hat sie gelernt, dass die schwarzen Vögel mit dem gelben Schnabel die Männchen sind und die ganz unscheinbaren braunen die Weibchen.

Jahrelang hat Quinn es anspruchslos hingenommen, nicht weiter beachtet. Dann hat sie mit ihrem Biologiestudium angefangen.

Hat mit Professor Trenzki und anderen Studenten eine frühmorgendliche Exkursion in genau diesen Wald unternommen, in dem sie sich gerade aufhält. Und da hat die Faszination angefangen.

So gut wie einfach so. Ohne irgendeinen Auslöser.

Davor ist Quinn nämlich schrecklich mies gelaunt gewesen, da sie bereits vor sechs Uhr hat aufstehen müssen, um den Bus zu erwischen, der sie in die Nähe des Waldstücks hat bringen sollen. Natürlich hat es an dem Tag leicht genieselt und es ist auch kühler gewesen.

Kühler als heute. Weitaus kühler als heute.

Quinn hat kaum noch ihre Zehen gespürt, weil sie nur ihre normalen Sneakers getragen hat. Nicht gerade Quinns beste Entscheidung.

Seitdem trägt sie immer trittfeste Wanderschuhe, wenn sie in den Wald geht. Aus diesem Fehler hat sie gelernt.

Danach hat ihr jeder einzelne Muskel im Körper wehgetan, weil sie damals nicht unbedingt die sportlichste Person gewesen ist.

Damals, vor einigen Jahren, hat ihre Philosophie gelautet: Sport ist Mord und Gruppensport ist Massenmord.

Also kein Sport.

Heute sieht die Sache … nahezu identisch aus. Quinn möchte ehrlich zu sich selbst und anderen sein: außer den paar Spaziergängen, welche sie selbst im Wald unternimmt, macht sie nicht viel für ihren Körper.

Optisch kann man das an den etwas breiteren Oberschenkeln sehen. Es ist nicht viel, aber sichtbar.

Dass sie nicht unbedingt eine Athletin ist, merkt sie auch jetzt, als es etwas steiler bergauf geht und der ganze Pfad, den andere Menschen vor ihr hineingetrampelt haben, ist von Wurzeln durchzogen, die schon teilweise kriminell dick sind.

Aus dem Spaziergang wird eine Kletterpartie.

Aber gut, das schafft sie schon. Sie hat das bereits hundertmal und weitere hundertmal vorher geschafft.

Angestrengt hievt sich Quinn hoch, mit dem Rucksack und dem Spektiv auf dem Rücken. Gar kein leichtes Unterfangen. Trotzdem nicht genug, um sie zu mehr Sport zu bewegen.

Niemals.

Schwer atmend kommt Quinn oben an und streicht sich dort eine leicht verschwitzte Strähne aus dem Gesicht. Ihr Zopf hat sich etwas gelockert und sitzt nicht mehr richtig.

Die Perfektionistin in ihr schreit danach, ihn zu richten. Doch die Abenteuerin in ihr widerspricht.

Quinn ist hier nicht, um alles geordnet zu haben. Sie ist in der Natur, wo es keine Regeln der Gesellschaft gibt. Also nein, sie bindet sich nicht ihre Haare noch einmal zusammen.

Stattdessen schließt sie die Augen.

Hört auf das Gezwitscher.

Wagt sich an den Punkt heran, an dem die Stimmen so viele werden, dass sie sich übermannt fühlt. Doch sie fühlt sich nicht übermannt.

Zufrieden spürt Quinn die frische Luft an ihrer feuchten Stirn, hört die Stimmen des Waldes an ihrem Ohr. Fühlt ihren schnellen Herzschlag in ihrer Brust. Oder ihre Oberschenkelmuskeln.

Das gibt wieder einen Muskelkater, denkt sie sich.

Sobald sie aber wieder den mehrstimmigen Gesang hört, ist der Groll quasi sofort vergessen. Zwar hat sie noch einige Schwierigkeiten dabei, die diversen Gesänge richtig zu unterscheiden und Vögeln zuzuordnen, doch es gibt einige, die kennt sie schlichtweg.

Ein Gesang direkt in Quinns Nähe erlangt ihre Aufmerksamkeit. Kurze Laute, dazwischen ein quirliger, der sie an Schwalben erinnert.

Als unterhielten sie sich.

Ein Schnäppertyrann.

Unheimlicher Name vielleicht, aber in Wahrheit vollkommen harmlos. Jedoch nicht für Insekten. Die fürchten ihn.

Natürlich, wie immer, versucht Quinn auch gleich, ihn zu finden. Lange wartet sie darauf, dass er erneut singt. Doch leider hört sie ihn nicht mehr. Als hätte er gewusst, dass sie ihn suchen möchte. Womöglich ist er weggeflogen.

Wie Vögel es eben machen. Was kann sie schon dagegen tun?

Lächelnd lässt Quinn das Fernglas von ihrem Hals hängen und sieht sich um. Mittlerweile kennt sie sich gut in dem Wald aus, immerhin kommt sie fast jede Woche hierher.

Und immer wieder probiert sie eine neue Strecke aus.

Selbstverständlich ist es schon oft vorgekommen, dass sich Quinn verlaufen hat. Dann hat sie ihre Wanderung nicht wie üblich um die Mittagszeit beendet, sondern am Abend, wenn die Sonne bereits wieder untergeht.

Zufrieden stellt Quinn fest, dass sich ihr Körper von den Strapazen des Aufstiegs erholt hat. Notfalls hat sie immer etwas zu essen dabei, aber das selbstbelegte Sandwich braucht sie jetzt noch nicht.

Heute entscheidet sie sich für eine bekannte Strecke. Sie hat noch einige Dinge zu erledigen und möchte deswegen nicht riskieren, bis zum Abend herumzuirren.

Entschlossen marschiert Quinn weiter. Zum Faulenzen ist sie nicht hier. Den Blick hat sie nur selten nach vorne auf den kleinen Weg gerichtet, sondern eigentlich ständig irgendwo nach oben in die Baumkronen.

Denn Vögel fliegen logischerweise und suchen sich daher auch höhergelegene Plätze aus. Gerade die scheuen Vögel, die den Umgang mit Menschen nicht gewöhnt sind.

Nicht viel Zeit vergeht, da hört Quinn auf einmal ein neues Geräusch. Ein ungeübter Laie würde es als Gelächter bezeichnen. Sie auch, wenn sie es einem unwissenden Passanten erklären müsste.

Immer, wenn sie diesen Laut hört, der sie an eine Hyäne erinnert, zeichnet sich bei ihr unweigerlich ein Lächeln auf den Lippen ab.

Quinn kann überhaupt nicht anders.

Helmspechte zählen zu ihren Lieblingsvögeln.

Leider kann sie nur ihren Kollegen aus dem Studium davon erzählen, denn alle anderen, die keine Ahnung von Vögeln haben, halten sie für verrückt.

Ihr Neffe Dylan stöhnt stets genervt auf, wenn sie anfängt, ihre Lieblingsvögel aufzuzählen.

»Daaaaaad!«, ruft er jedes Mal. »Tante Quinn nervt wieder!«

Ein unangenehmes Ziehen fährt durch ihr Herz, als sie an diesen beinahe jede Woche vorkommenden Moment denkt. Wenn ihr Bruder denn nicht im Ausland gewesen ist.

Diesen Satz wird sie niemals wieder in ihrem Leben hören. So enttäuschend es auch ständig ist, Dylan ein weiteres Mal nicht für die wunderbare Vogelkunde begeistern zu können, so sehr wünscht sie sich, es noch einmal hören zu dürfen.

Wie er nach seinem Dad schreit und ihn bittet, sie rauszuwerfen. Oder ihr den Mund zu knebeln. Oder was auch immer zu tun, um Quinn davon abzuhalten, ihn weiter zu langweilen.

Egal was. Sie würde es nur noch ein einziges Mal erleben wollen. Wie ihr großer Bruder mit einem resignierten Lächeln zu ihnen kommt und lediglich seinen Kopf schütteln kann, weil die Situation schlichtweg alltäglich ist.

Doch wie so oft ist das wahre Leben dazwischengekommen und hat ihnen gezeigt, dass jeder Moment vergänglich ist. Nichts ist für die Ewigkeit bestimmt.

Ächzend reißt sich Quinn aus den trüben Gedanken. Die Sache ist schon einige Monate alt, sie hat endlich damit anfangen wollen, weiterzumachen. Es ist passiert und fertig. Viel gibt es ja nicht zu machen. Schließlich wird sie es nicht rückgängig machen können.

Keiner kann das.

Nicht einmal Gott höchstpersönlich.

Wobei … mit Jesus hat er es auch geschafft.

Ein leises Seufzen entgleitet Quinn. Zermürbt sucht sie mit bloßem Auge nach dem Helmspecht. Recht bald hat sie ihn gefunden und nimmt ihn nun mit dem Fernglas ins Visier.

Dieses Fernglas ist eines der teuren Modelle und dementsprechend verlässlich.

Deswegen hat Quinn es noch immer.

Niemals wird sie jene Freude vergessen, die sie verspürt hat, als sie es vorletztes Jahr zu Weihnachten von ihrem Großvater geschenkt bekommen hat.

Er kommt nicht oft nach Philly, sondern zieht sein bescheidenes Heim in Südkalifornien vor. Daher ist gerade dieses Weihnachtsfest vor zwei Jahren etwas ganz Besonderes für Quinn.

Ihr Großvater weiß ihre Liebe zu Vögeln wenigstens zu schätzen. Genau wie Quinns Tomatenallergie, die alle anderen nur als Ich-hasse-Tomaten-und-tue-so-als-wäre-ich-allergisch-darauf-Getue abtun.

Aber sie ist allergisch.

Der Besuch in der Notaufnahme vor ihrem Abschlussball hat es bewiesen. Dass sie ihren Abschlussball verpasst hat, umso mehr.

Begeistert linst Quinn in das Fernglas und schnappt nach Luft.

Unglaublich.

So nah ist sie einem Helmspecht noch nie gewesen. Er ist quasi direkt vor ihrer Nase.

Mit offenem Mund nimmt sie die Erscheinung in sich auf. Die rote Haube des Spechtes leuchtet geradezu. Und er lässt sich nicht von Quinn stören.

Überhaupt nicht.

Vorsichtig tauscht Quinn das Fernglas mit ihrer Nikon Z7. Erneut macht ihr Herz einen aufgeregten Hüpfer, sobald sie den Vogel im Auge hat. Obwohl sie ihn schon oft gesehen hat, ist es immer wieder etwas völlig Neues.

Er ist so perfekt. Wunderschön.

Ein Meisterwerk der Evolution.

Andere würden sie jetzt erneut für ihre Gedanken verrückt nennen. Dylan würde es allemal.

Aber das ist ihr herzlich egal.

»Du bist ein Prachtexemplar«, flüstert Quinn und schießt reihenweise Fotos.

Ganz langsam wagt sie sich einen halben Schritt näher heran. Mehr Fotos. Mehr Schönheit. Sie liebt ihren Job.

Dieser Vogel ist wundervoll. Klar, Helmspechte sind hier üblich und zählen damit nicht zu einer Seltenheit. Aber ihr Kamm ist rot!

Und sie sind groß!

Wie kann sie da nicht begeistert sein?

Helmspechte sind die zweitgrößten Spechte Nordamerikas, sie sehen atemberaubend aus, sie –

Ein lauter Krach erklingt hinter Quinn und sie zuckt in sich zusammen. Aufgeschreckt dreht sie sich um, macht die Geräuschquelle aus.

Als Quinn bewusstwird, was dies für sie bedeuten könnte, sieht sie schnell wieder zu ihrem Specht zurück und findet … nichts.

Er ist weg.

»Na toll«, beschwert sich Quinn und grummelt. »Jetzt hast du ihn vertrieben.«

Verärgert packt sie die Kamera weg und wendet sich vom Baum ab. Stattdessen stemmt sie die Hände in die Hüfte und hebt eine Augenbraue.

Sich keiner Schuld bewusst hebt Casey die Arme. »Hey, was kann ich dafür, dass hier überall Wurzeln wachsen?!«

»Hör auf, so zu schreien.« Quinn zischt mahnend. »Du vertreibst noch alle Vögel.«

Das kann ja wohl nicht wahr sein!

Nimmt sie ihn einmal mit und er ist drauf und dran, alles zu ruinieren!

Etwas leiser, aber nicht minder ruhiger, regt sich Casey auf: »Was kann ich denn dafür? Ich habe mich echt bemüht! Aber nicht jeder kann im Klettern so gut sein wie du!«

Unbeeindruckt, weil nun einmal enttäuscht, rümpft Quinn ihre kalte Nase. »Wenn du nicht die ganze Zeit irgendwo im Nirgendwo umhergewandert wärst, wüsstest du sehr wohl, dass ich fast gestorben wäre, als ich hier oben angekommen bin.«

Casey richtet seinen Rucksack und klopft sich Erde von der Hose. Wenigstens hat er auf Quinn gehört, als sie ihm gesagt hat, er solle sich wandertaugliche Klamotten anziehen.

Anfangs hat er genörgelt, aber letztlich doch nachgegeben.

Für ihn gibt es eigentlich nur Jogginghosen, seinen schicken Anzug und sein Trikot.

Oder schlichtweg gar nichts, wenn Casey jemanden beim Ausgehen kennengelernt hat.

Was an sich mehrmals pro Monat vorkommt, wenn sich Quinn recht erinnert. Ein Wunder, dass er heute überhaupt mitgekommen ist. So verplant, wie ihr älterer Bruder angeblich ständig ist.

Casey richtet sich wieder auf, wodurch Quinn seine geröteten Wangen zu Gesicht bekommt.

Völlig nüchtern sagt sie: »Unfassbar. Auf dem Eis bewegst du dich wie eine Ballerina und jetzt hast du die Eleganz eines Walrosses.«

Kopfschüttelnd wendet sie sich von ihm ab und läuft weiter. Ihre Füße fangen an, zu schmerzen. Sie hätte ihre orthopädischen Einlagen nicht herausnehmen sollen, bevor sie los ist. Aber mit ihren dicken Socken wäre sie sonst nicht in die Schuhe gekommen.

Hinter sich hört Quinn, wie Casey ihr folgt. Das Rumpeln seines Rucksacks verrät ihn. Schnell hat er aufgeschlossen und ist zurück an ihrer Seite. Er treibt im Gegensatz zu ihr viel mehr Sport, schließlich wird er gut dafür bezahlt.

Deswegen schnauft Casey auch bereits nach zwei Minuten nicht mehr allzu angestrengt, wofür Quinn deutlich länger gebraucht hat. Würde sie genauso oft und viel trainieren wie er, hätte sie ebenfalls keine Probleme.

Aber niemand kriegt sie dazu. Das wäre ja die Höhe.

Während Casey anfangs noch gelangweilt gewesen ist, bemerkt Quinn, dass er immer öfter selbst nach oben in die Kronen schaut oder den Kopf ruckartig dreht, wenn er einen Vogel hört.

Irgendwie ist Quinn etwas stolz auf sich. Sie führt Casey erfolgreich in die wunderbar bunte und abenteuerreiche Welt der Vogelkunde ein.

Neben Eishockey, Clubbesuchen und Videospielen kann er durchaus mal ein anderes Hobby vertragen.

Also warum nicht eines, was ihn und seine Schwester enger zusammenschweißen lässt?

Denn nichts wird sie in nächster Zeit erneut auf eine Eisfläche bewegen können.

Das letzte Mal, als Quinn Schlittschuh gelaufen ist – das ist mit Casey und ihrem Bruder gewesen –, hat sie sich gleich so dämlich angestellt, dass sie über eine kleine Unebenheit gestolpert und mit dem Kopf voran auf das Eis gestürzt ist.

Ergebnis: Kopfplatzwunde und leichte Gehirnerschütterung.

Casey hat es unbedingt darauf schieben wollen, dass es eine Eisfläche auf einer überschwemmten Weide gewesen ist. In der Eishalle kämen Unebenheiten nicht vor.

Also erneuter Versuch, diesmal in der Eishalle. Es ist zwar nicht auf eine Gehirnerschütterung hinausgelaufen, aber … nun ja … auf ein gebrochenes Handgelenk. Quinn hat es tatsächlich geschafft, sich dümmer als letztes Mal anzustellen.

Eigentlich hat Quinn es damals schon kommen sehen. Und zwar in dem Augenblick, als Casey sie angeschubst hat. Natürlich hat sie keinerlei Kontrolle darüber gehabt und ist frontal in die Bande geknallt.

Mit der Hand zuerst versteht sich.

Also nur wenige Monate nach ihrem Aufenthalt in der Notaufnahme wegen der allergischen Reaktion folgt ein zweiter und dritter Aufenthalt wegen ihres Eishockey-vernarrten Bruders.

Und genau deswegen hat sie die Debatte gewonnen. Genau deswegen ist Casey jetzt hier im Wald, am Rand von Philadelphia.

Auf Vogelsuche.

»Irgendwann musst du mir erklären, wie du diesen Krach auseinanderhalten kannst«, verlangt Casey.

Zufrieden lächelt Quinn in sich hinein. »Ach, lediglich ganz viel Übung.«

Es gefällt ihr, dass sie etwas besser kann als ihr Bruder.

Eine Weile ist es still zwischen den beiden. Quinn kann ein paar Fotos von verschiedenen Vögeln schießen, hört jedoch mehr als sie sieht.

Auch Casey kriegt ab und zu mal einen zu Gesicht.

Quinns geübtes Ohr vernimmt ein wenig später leises Gezwitscher, welches sie sofort identifizieren kann. Ruckartig bleibt sie stehen.

Casey, der nicht sofort merkt, was Quinn wieder hat, sieht sich irritiert hinter ihr um. »Was ist?«

»Pscht.« Quinn hebt eine Hand und zwingt ihn zum Schweigen.

Umgehend wird Casey still.

Quinns Augen huschen durch die Gegend, ihre Mundwinkel sind leicht nach oben gezogen. Danach sieht sie zu Casey. »Hier ist irgendwo ein Vogelnest.«

Es freut Quinn zu sehen, wie Caseys Augen aufleuchten und er sich bei ihren Worten aufrichtet. »Ja? Wo?«

Quinn entdeckt die gesuchte Höhle im Baumstamm und beobachtet sie durch ihr Fernglas. »Die Eltern sind auch da und füttern sie gerade.«

»Lass mich auch mal«, quengelt Casey leise, der vom letzten Mal dazugelernt hat.

Vogelbeobachtung erfordert Stille und Geduld. Also alle Charakterzüge, die ein Eishockerspieler wie Casey nicht hat. Genau das stellt Casey wenige Sekunden später unter Beweis.

»Ohhh wie süß!«, ruft er entzückt aus.

Nur wieder einmal so laut, dass die Elterntiere, zwei Kleiber, aufgeschreckt werden und im Eiltempo wegfliegen.

Bedrohlich langsam dreht sich Quinn zu ihm um. Ihre Lippen dünn und aufeinandergepresst.

Sie sieht Casey an, dass er Angst vor ihrer Reaktion hat und wohl glaubt, dass wenn er stur in das Fernglas guckt, einem Anschiss entginge.

Wahrscheinlich hat er sich noch nie so sehr getäuscht.

Kapitel 2

»So schlimm habe ich mich doch überhaupt nicht angestellt«, findet Casey von sich selbst überzeugt.

Quinn verstaut den Rucksack und das Spektiv vorsichtig im geräumigen Kofferraum von Caseys Audi. Es hat durchaus seine Vorzüge, wenn der große Bruder ein gutbezahlter Sportler ist. Der aber leider nicht für Geduldsarbeiten gemacht ist.

Stirnrunzelnd betrachtet sie ihn. »Du hast es zweimal geschafft, wunderschöne Vögel zu vertreiben«, erinnert Quinn ihn.

Eingestehend neigt Casey den Kopf. Bei der Erinnerung an besagte Momente färben sich seine Wangen erneut rot. Das ist eine der Dinge, die Quinn an Casey liebt.

Wenn er nicht momentan auf dem Eis ist, kann Casey der schüchternste Mensch in den Vereinigten Staaten sein. Aber dann, sobald er das Eis betritt und sein Spiel spielt, ist er eine Tötungsmaschine.

Zumindest im Powerplay.

Wenn Quinn vor dem Fernseher oder im Stadion sitzt und das Spiel ansieht, ist sie immer erstaunt, wie verschieden Eishockey-Casey und Zuhause-Casey doch sein können.

Teilweise liegen Welten dazwischen.

Was sie an ihm schätzt, ist, dass er versucht, den Frust nach einem verlorenen Spiel nie mit nach Hause zu nehmen und an ihr und den Kindern auszulassen. Es funktioniert nicht immer, aber Quinn ist Casey dennoch dankbar dafür.

Sein nächstes Spiel ist in ein paar Tagen. Heute Nachmittag muss er deshalb zum Training mit seiner Mannschaft. Momentan befinden sie sich in den verbleibenden Spielwochen vor den Playoffs.

Um Caseys Nerven etwas zu beruhigen, haben sie beschlossen, heute selbstgemachte Pizza zum Abendessen zu machen. Auf solche Abende besteht Quinn, denn es passiert oft, dass Casey mehrere Tage in Folge mit seinen Freunden aus dem Team unterwegs ist und Quinn damit allein mit den Kindern. Natürlich vermissen sie ihn, denn sie kennen Casey seit ihrer Geburt.

Vor allem Dylan versteht sich mit Casey besonders gut, da auch er Eishockey spielt. Er hat gute Chancen, in ein paar Jahren von den Philadelphia Barracudas übernommen zu werden. Dass Dylan ein echtes Naturtalent ist, wissen die Barracudas nämlich dank Casey.

Das einzige Kriterium, das Dylan momentan noch davon abhält, ist sein Alter von fünfzehn Jahren, weswegen er aktuell bei den Philadelphia Thunders spielt.

Casey lehnt sich an die Hintertür seines schicken Autos und verschränkt die Arme.

»Ich will ehrlich sein«, beginnt er und Quinn verdreht in Gedanken ihre Augen. »Ich habe seit heute mehr Respekt vor deiner Tätigkeit als Onkologin.«

»Ornithologin«, verbessert Quinn ihn monoton.

Es ist schließlich nicht das erste Mal passiert, dass Casey wissenschaftliche Disziplinen durcheinanderbringt und sie versehentlich als eine Ärztin bezeichnet. Oder auch absichtlich, um sie aufzuziehen.

»Richtig.« Casey schürzt die Lippen.

Wortlos steigen sie ein, Casey startet den Motor, fährt jedoch nicht sofort los. Quinn, beschäftigt damit, die empfangenen Nachrichten auf ihrem Handy zu lesen, bemerkt das erst später.

»Sollten wir nicht …«, sie zuckt mit der Schulter, »losfahren? Du musst doch ins Training.«

Ähnlich wie Quinn vorhin im Wald zuckt auch Casey zusammen, als hätte ihm jemand einen elektrischen Schlag verpasst. Ertappt blickt er in Quinns Augen. »Was?«

Abwartend zieht Quinn ihre Augenbrauen hoch. »Losfahren? Training? Steph ablösen?«

»Oh, ja. Sorry.« Er räuspert sich verhalten.

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtet Quinn ihren Ziehbruder. Etwas beschäftigt ihn. Das erkennt sie an seinen Fingern, die nervös auf dem Display seines Smartphones herumtrommeln, ohne wirklich etwas zu tun.

Denn sein Blick wandert überall rastlos umher. Nur nicht zu Quinn.

Fürsorglich fragt sie: »Alles gut?«

»Jap.«

Die Antwort ist zu schnell gekommen. Sofort weiß Quinn, dass Casey nicht die Wahrheit sagt. Eingeschnappt richtet sie sich auf und zeigt anklagend auf ihn.

Mit drohender Stimme ermahnt Quinn ihn: »Lüg mich nicht an, Casey.«

Selbstverteidigend hebt er die Hände und sieht sie endlich an. Seine sonst blaugrauen Augen scheinen fast braun im Schatten. »Ehrlich, alles gut.«

»M-hm.« Ungläubig kneift Quinn erneut ihre Augen zusammen und beißt sich auf die Unterlippe.

Anscheinend ist dieses anklagende Verhalten zu viel für Casey, denn er stöhnt bereits gereizt auf, bevor er sich durch die hellbraunen Haare fährt.

Quinn sieht sich ihrem Sieg nahe.

Er startet einen weiteren Versuch: »Quinn, wirklich. Ich war nur kurz abgelenkt.«

Seine rechte Hand ruht nun auf dem Lenkrad. Doch zu Quinns Erleichterung sieht er nicht in der Gegend herum, sondern hält ihrem Blick stand.

Sie erkennt mittlerweile, wenn sich Casey besonders viele Gedanken um eine Sache macht. Und genau das ist gerade der Fall.

Er seufzt mehrmals in der Minute völlig unbewusst und zieht öfter die Augenbrauen zusammen, als würde er etwas nicht richtig verstehen. Wenn er außerdem noch rätselnd die Lippen verzieht, ist das Bild komplett.

Das sagt dann eindeutig aus, dass ihm etwas nicht gefällt und er sich am liebsten davor drücken möchte. Quinn will herausfinden, was dieses Etwas ist.

»Von was denn?«, möchte sie deswegen wissen.

»Hör auf, so neugierig zu sein.« Casey wird lauter, aber nur ein wenig.

Er kennt Quinns Strategie, das weiß sie. Deswegen huscht auch für einen flüchtigen Moment ein schiefes Schmunzeln über seine Lippen. Trotzdem will Casey es ihr nicht sagen. Aber sie kriegt ihn schon noch dort hin.

Als Ornithologin hat sie Durchhaltevermögen erlernt und das kann – vor allem bei drei Kindern – extrem nützlich sein. Und auch bei Eishockeyspielern, die ihren Kopf wahrscheinlich öfter an der Bande gestoßen als sie ihn in Bücher gesteckt haben.

»Von was denn?«, fragt Quinn erneut. Unnachgiebig behält sie Casey im Auge. Um ihren Standpunkt zu verdeutlichen, stellt Quinn klar: »Ich frage so lange, bis du es mir sagst, du weißt das.«

»Du nervst.«

»Du noch mehr. Was hat dich abgelenkt?«

»Wir haben heute nach dem Training so einen Fototermin«, gibt Casey letztlich seufzend nach und verstaut das Handy im Fach neben der Automatikschaltung. Es leuchtet wieder auf, weil er eine neue Nachricht bekommen hat, aber das ignoriert er.

»Und?« Quinn wartet, bis er weiterspricht. Doch es kommt nichts. Jammernd nörgelt sie: »Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen! Was ist so schlimm daran? Du bist doch unheimlich fotogen!«

»Haha.« Er schenkt ihr ein die Zähne zeigendes Lächeln, das Frauenherzen – nicht ihres, sie ist seine Schwester – höherschlagen lässt.

»Ich meine es ernst«, beharrt sie und schlägt ihm neckend gegen den Arm.

Sie wird nicht aufgeben. Das kann er vergessen.

Als wäre ihm eingefallen, dass er etwas Wichtiges vergessen hat, stöhnt er nochmals. Das Grinsen in seinem Gesicht sagt zu deutlich, dass Quinn gewonnen hat und er ihr gleich sagen wird, was mit ihm los ist.

Unterlegen lehnt er seinen Kopf an die Kopfstütze und gesteht: »Ich habe einfach nur keine Lust auf Banik.«

Quinn weicht überrascht zurück.

Sie hätte mit allem gerechnet. Mit einem weiblichen Fan, der ihn wegen sexueller Belästigung anzeigen möchte, mit einem anderen Spieler, der gegen ihn wegen Körperverletzung klagen möchte, mit einem Staatsanwalt, der ihn wegen Steuerhinterziehung …

Sie hat eben mit einer Anzeige gerechnet.

Fertig.

»Das ist alles?«, hakt sie deswegen nochmal nach.

»Wenn du ja nur wüsstest«, murrt Casey und lässt damit Quinns Herz rasch wieder schneller schlagen.

Jede andere Frau würde es begrüßen, auf die Weise auf einen NHL-Spieler zu reagieren. Aber nicht Quinn.

Definitiv nicht Quinn, denn ihr Herz schlägt lediglich dann schneller in Caseys Gegenwart, wenn er etwas angestellt hat.

Oder anzustellen droht.

Da spricht sie überzeugt aus Erfahrung.

»Casey.« Quinn lehnt den Kopf nach vorne, um in Caseys Gesicht sehen zu können, denn er hat sich erneut von ihr abgewandt. »Was hat er diesmal angestellt?«

Sobald Baniks Name fällt, weiß Quinn instinktiv, dass sie nicht zwingend auf Casey böse sein muss, sondern auf diesen selbstverliebten Arsch.

Es ist ein Reflex. Der sich schon oft bewiesen hat.

Beschwichtigend winkt Casey ab. »Nichts, was dich kümmern sollte.« Er lächelt, als eine Bachstelze auf dem Baum vor dem Auto landet. »Er stichelt nur immer wieder gegen mich. Es nervt. Sonst nichts. Wegen der Party neulich.«

Noch nicht ganz überzeugt fragt Quinn: »Versprochen?«

Sie kennt Banik leider gut. Das Verhältnis zwischen Casey und Banik lässt sich nur schwer beschreiben.

Deswegen bekommt sie immer einen Würgereiz, wenn das Gespräch auf ihn fällt. Mal scheint er Caseys bester Freund zu sein und im nächsten Moment schlägern sie sich auf einer Party, weil Banik mal wieder gemeint hat, besser als Casey zu sein. Und wenn die beiden mal wieder deswegen diskutieren, kann das durchaus eskalieren. Vor allem, wenn keiner von ihnen nüchtern ist.

Daher sind die beiden noch recht zerstritten.

Ganz der liebe, große Bruder nimmt Casey Quinns Hand in seine und drückt sie leicht. Er sieht ihr in die Augen, während er es ausspricht: »Versprochen. Du musst ihn nicht verprügeln.«

Unweigerlich muss Quinn lachen und zieht die Hand langsam zurück. Caseys Finger sind genauso kalt wie ihre wegen der noch niedrigen Temperaturen.

Selbstsicher meint Quinn zu Caseys Kommentar: »Oh, das kannst du schon ganz gut selbst. Dafür brauchst du mich nicht.«

Demonstrativ piekt sie an Caseys Armmuskeln herum, die sich deutlich durch die dünne Sportjacke abzeichnen. Kein Wunder, immerhin trainiert Casey quasi immer dann, wenn er nichts zu tun hat.

Und da heißt es noch von überall, Quinn sei die Verrückte in der Familie …

Sie ist es schließlich nicht, die jede Woche mit einer neuen Diät ankommt und sich gefühlt nur von Proteinshakes ernährt. Sie hält nichts von Diäten.

Casey meistens auch nicht, denn spätestens nach drei Tagen erwischt sie ihn in der Küche dabei, wie er sich einen Hamburger macht. Und bei einem bleibt es so gut wie nie.

Er macht einen einlenkenden Laut. »Hm, manchmal kannst du ebenfalls richtig einschüchternd sein.«

Zugegeben, Quinn fühlt sich geschmeichelt bei dem Kompliment. Vor allem, weil man es ihr gar nicht ansieht, dass mehr hinter ihrer untrainierten Form stecken könnte.

Ja, Quinn kann sich glücklich schätzen, durch ihre Spaziergänge nicht unter Übergewicht leiden zu müssen, sondern lediglich an manchen Stellen etwas … Schwabbel zu haben.

Aber gegen einen 1,88-Meter-Riesen wie Casey könnte sie sich trotzdem nicht zur Wehr setzen.

Dennoch knickt sie bescheiden ein. »Okay, wenn es hart auf hart kommt, kann ich Banik gern mal in seinen slowakischen Arsch treten. Etwas anderes hat er nicht verdient.«

Um ihre Gleichgültigkeit zu unterstreichen, hebt sie die Arme und schüttelt abwehrend den Kopf. Sie meint es so. Quinn vermeidet Aufeinandertreffen mit Banik, weil sie weiß, dass es bis dahin nur Gerede sein wird.

Danach käme heraus, dass sie sogar zu schwach ist, um eine von Caseys Monsterhanteln zu heben.

Einmal hat sie es versucht … Es wäre beinahe auf einen weiteren Besuch in der Notaufnahme hinausgelaufen.

Dr. Brooks, ein Traumatologe in Quinns Standard-Notaufnahme, hat ihr bei ihrem letzten Besuch scherzhaft einen Stammplatz angeboten. Er kennt ihre Tollpatschigkeit und ihre Krankengeschichte. Angesichts aller peinlichen Ereignisse hat sie ernsthaft über den Stammplatz nachgedacht.

Man kann ja nie wissen, was noch alles auf einen zukommt.

Stolz summt Casey und legt den Arm um Quinns Schulter, um ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken.

»Und dafür liebe ich dich«, nuschelt er gegen ihren Kopf, ehe er sie loslässt.

»Ich dich auch, Brownie.« Sanft tätschelt sie sein Handgelenk und lächelt.

Wenn jemand sie darum bäte, ihre Beziehung zu Casey zu beschreiben, wüsste sie nicht, wo sie anfangen soll. Es gibt so viel, was die beiden miteinander verbindet. Der Anfang ihrer Geschichte liegt inzwischen schon lange zurück.

Über zwanzig Jahre ist es her, als Casey mit seinen Eltern in das Haus neben Quinns Tante gezogen ist, in dem sie gelebt hat. Ihr Leben ist genauso kompliziert gewesen wie Caseys.

Geboren worden ist sie nämlich in Windhuk in Namibia. Ihr Bruder in Washington D.C.

Denn – natürlich hat Quinn ausgerechnet diese Sorte Eltern erwischen müssen – ihre Mom und ihr Dad lieben die Freiheit über alles. Kurz nach der Geburt ihres Bruders sind sie nach Afrika gereist.

Daher lässt sich auch für Quinn daraus schließen, dass weder ihr Bruder noch sie gewollt gewesen sind. Aber sie sind geboren worden, haben einige Zeit in Afrika gelebt und sind danach zu ihrer Tante nach Philadelphia gezogen.

Ihr Bruder ist neun gewesen, als Quinn auf die Welt gekommen ist. Deswegen hat er sich als einziger der beiden noch an die Zeit in Afrika erinnern können. Ihm hat es dort eigentlich schon gut gefallen.

Er ist es gewesen, der Quinn Tag für Tag, Abend für Abend erzählt hat, dass ihre Eltern nicht bei ihnen in Philly seien, weil sie einen Plan haben. Einen Plan, in den ihr Bruder und sie nicht hineinpassen.

Und deswegen seien sie bei ihrer Tante Erna. Ihrer sehr strengen, aber doch liebenden Tante Erna.

Irgendwann hat Quinn verstanden, dass ihre Eltern sie zwar lieben, aber nicht so sehr wie sie das Reisen lieben und das Kennenlernen neuer Kulturen.

Oft hat Quinn in den Sommerferien ein paar Wochen bei ihnen in Afrika verbracht, deswegen kann sie auch ein paar Bruchstücke Afrikaans. Doch das hat nicht geholfen, eine enge Beziehung zu ihren Eltern zu knüpfen.

Quinn wettet sogar, dass sie die beiden nicht erkennen würde, wenn sie vor ihr stünden.

Wann hat sie ihre Eltern das letzte Mal gesehen?

Nicht einmal für die Beerdigung sind sie in die Staaten geflogen. Ein Anruf ist es gewesen, den sie und die Kinder erhalten haben. Mehr nicht.

Gerade in dieser Zeit hätte sie jeden nur erdenklichen Beistand gebrauchen können. Am Ende hat sie denjenigen an der Seite gehabt, den sie seit zwanzig Jahren ihren Bruder nennen darf.

Caseys motivierte Stimme holt Quinn aus ihren trüben Gedanken. Während er den Motor startet, verkündet er: »Jetzt aber nach Hause, damit Steph gehen kann und nicht mit Benny wahnsinnig wird.«

Mit einer Hand lenkt er den Audi vom Parkplatz und fährt auf die Straße, zurück nach Philadelphia.

Quinn, die aus dem Fenster die vorbeihuschenden Bäume beobachtet, wispert matt: »Amen.«

Kapitel 3

Casey parkt den Wagen vor dem Haus und stellt den Motor ab. Quinn, die während der Fahrt eingedöst ist, stößt sich vor Schreck den Kopf an der Tür, als Casey aussteigt und die Fahrertür zuschlägt.

»Ich bin wach!«, ruft sie reflexartig und merkt erst danach, dass er sie nicht mehr hört.

Hinter ihr öffnet sich Caseys Kofferraum. Wortlos beginnt er damit, ihre Rucksäcke und das andere Equipment auszuladen.

Ah, schön, sie sind wieder daheim.

Quinn schnallt sich ab und öffnet die Tür, setzt einen Fuß nach dem anderen auf den Boden. Stöhnend lässt sie ihren Kopf nach vorne auf die Knie fallen. Von Casey kommt nur ein schadenfrohes Kichern.

»Sei still«, murrt Quinn.

»Tun dir wohl die Füße weh?«, zieht Casey sie auf, bevor er den Kofferraum schließt und um seinen kostbaren Wagen herum zu ihr kommt. »Solltest du nicht eigentlich längst daran gewöhnt sein?«

Quinn dreht den Kopf auf den Knien so, dass sie Casey ansehen kann, lässt ihn jedoch auf den Beinen ruhen. »Solltest du nicht eigentlich unterwegs zu deinem wichtigen Training sein, Brownie?«

»Du kannst mich nicht immer Brownie nennen, wenn du dich von mir geärgert fühlst«, wehrt ihr Bruder ab und stellt Quinns Rucksack vor ihren Füßen ab. »Hier, das kannst du alles selbst schleppen, du Orthopädin.«

»Du bist blöd!«

»Werde erwachsen«, ruft er ihr unbeeindruckt hinterher und geht schon mal zur Haustür.

Lange ausamtend kämpft sich Quinn auf ihre Beine und zuckt jedes Mal zusammen, wenn ihre Sohlen aufs Neue den Boden berühren. Zwar ist die Einfahrt eben und geteert, doch gerade hat sie das Gefühl, jede kleinste Kuhle spüren zu können. Und es brennt.

»Au. Au. Au«, jammert Quinn bei jedem Schritt.

Geduldig wartet Casey vor der geöffneten Haustür auf sie und lächelt in sich hinein. Zu Quinns Demütigung kommt zudem Steph durch die luxuriöse Tür, die an den Seiten aus Glas ist.

Natürlich sieht das Haus genau so aus, wie man es sich von einem Hockeyspieler der NHL vorstellt. Groß, prachtvoll, groß. Selbstverständlich mit einem Pool. Die Kinder verbringen den gesamten Nachmittag plantschend im Wasser, wenn das Wetter passt und die Hausaufgaben erledigt sind.

Gerne gönnt sich Quinn gelegentlich selbst ein oder zwei Stunden im Pool, wenn sie ihre Arbeiten erfüllt hat.

Den einzigen Sport, den sie neben Wanderungen akzeptiert.

Den Rucksack hinter sich schleppend schlurft Quinn an den Rosenbüschen vor der Fassade entlang zur Haustür, wo die beiden schon auf sie warten. Sie kann die aufmerksamen Blicke spüren.

»Meine Güte, du siehst gar nicht gut aus«, beurteilt Stephanie augenblicklich Quinns Erscheinungsbild.

Diese lächelt schmal. »Dir auch einen schönen guten Morgen, Steph.«

Leise lachend wechselt Quinns Freundin den Arm, in dem sie Ben hält. Der Kleine ist erst zwei Jahre alt, wiegt Quinns Meinung nach aber wie ein halber Elefant. Trotzdem liebt sie den Wonneproppen über alles.

Die Tatsache, dass sie vor bald drei Jahren Tante dieses Jungen geworden ist, hat ihren Wunsch nach Kindern um ein Zehnfaches verstärkt.

Bis vor ein paar Monaten, letztes Weihnachten, um genau zu sein, hat sie auch gedacht, dass sie den perfekten Mann dafür gefunden hat. Seit sie achtzehn ist, kennt sie ihn. Das sind inzwischen sechs Jahre.

Die längste Beziehung, die sie gehabt hat. Es hat lange gebraucht, bis sie tiefergehende Gefühle für ihn entwickelt hat.

Tja und dann, als Quinn letzten Dezember gedacht hat, William würde ihr endlich einen Antrag machen … hat sie herausgefunden, dass er sie – eine Vierundzwanzigjährige – mit einer jüngeren Frau betrügt. Diese ist keine Geringere als ihre eigene Praktikantin im Lehrstuhl.

Bis zu dem Tag hat sie Lizzie gemocht. Danach nicht mehr. Sie hat ihr die unmöglichsten Arbeiten aufgetragen und sie an ihre Kollegen weitergereicht, damit sie ja so wenig wie möglich mit ihr zu tun haben muss.

Klar, dass es nicht immer geklappt hat, aber immerhin hat sie oft ihre Ruhe von dieser schwarzhaarigen Medusa gehabt.

Wenn Quinn ehrlich sein soll, sollte sie Lizzie besser feuern. Dieses Mädchen hat sowieso kein Interesse an Vögeln. Also die Tiere.

Wie es bei William aussieht … das hat sie ja von Steph hören dürfen, was sie gesehen hat.

Jedenfalls ist das ihre traurige, kinderlose Geschichte. Bis Dezember. Jetzt ist das Haus, in dem sie bisher alleine mit Casey gewohnt hat, voller Leben und die meiste Zeit nicht mehr länger still.

Denn drei Quälgeister gehören seit einigen Monaten ebenfalls hierher. Und dafür könnte Quinn nicht dankbarer sein.

Die Umstände, wie das hat passieren können, sind furchtbar und Quinn hat heute noch Albträume, weswegen sie einen Psychologen sieht.

Doch die Tatsache, dass ihre Nichte und ihre beiden Neffen bei ihr leben, erfüllt sie mit purer Freude. Niemals hätte sie zugelassen, dass ihre Eltern das Sorgerecht für die drei bekämen.

Oh nein, ganz sicher nicht.

Denn dann hätten ihre Mom und ihr Dad gesehen, welches Monster Casey vorhin im Auto gemeint hat. Wenn es um die Kinder geht, versteht Quinn keinen Spaß.

Die drei sind ihre Familie.

Säuselnd nimmt Quinn Benny aus Stephanies Armen und fährt mit dem Zeigefinger über seine Pausbacken. Bennys Haare werden jeden Tag länger und dunkler. Und damit seinem Dad immer ähnlicher.

Das Lächeln, welches Quinn trägt, schwindet um ein Minimum. Doch es ist genug, um es Casey sehen zu lassen. Quinn kann sich nicht schnell genug fassen, da hat er sich schon geräuspert und Steph zugewandt.

Einladend weist er auf das Innere des Hauses. »Willst du noch für einen Kaffee bleiben? Oder zum Mittagessen?«

»Nein, danke«, winkt Steph lachend ab. »Gabe will mit mir zu unserem Lieblings-Griechen, da kann ich leider nicht ablehnen. Bis dahin faste ich.«

Um sicherzugehen, hakt Quinn nach: »Bruder Gabe oder Mann Gabe?«

Steph nickt, als sie die Namenszwickmühle versteht. »Ich gehe später mit Mann Gabe essen. Er und Bruder Gabe müssen jetzt zum Training und … Bruder Casey sicher auch?«, wendet sie sich an den Eishockeyspieler und betrachtet ihn tadelnd.

Ah, da ist doch etwas gewesen, fällt es Quinn wieder ein. Auch sie schaut nun ihren Bruder amüsiert an.

Dieser reißt panisch seine Augen auf und blickt hektisch zu ihr. »Verdammt, das habe ich voll vergessen!«

Niemand kommt dazu, auch nur ein weiteres Wort zu sagen, da rast Casey auch schon ins Haus und lässt Quinn und Steph alleine zurück.

Beide blicken sie ihm belustigt hinterher. Steph seufzt und hält Ben ihren Finger hin, welcher sofort vom Kleinkind umschlossen wird. »In solchen Momenten wünscht man sich doch glatt eigene Kinder.«

Bestätigend nickt Quinn und streicht Benny über den Kopf. »Sei froh, dass du nicht jeden Tag im Haus herumläufst und Kinder siehst, die nicht wirklich deine sind.«

Tröstend legt Steph Quinn eine Hand auf die Schulter und knufft sie leicht. Ihre braunen Augen glänzen verdächtig. »Es tut mir so leid, wie sich alles entwickelt hat. Nicht die Sache mit Willy-Billy, sondern auch mit –«

»Ja«, schneidet Quinn schnell das Wort ab. »Es ist verdammt unglücklich verlaufen.«

Quinn ist es unangenehm, zu sehen, wie Steph sie bemitleidet. Ja, es ist geradezu traurig, was geschehen ist. Noch dazu in so kurzen zeitlichen Abständen.

Aber deswegen muss nicht gleich jeder in diesem einen Moment schwelgen und glauben, es sei ein heikles Thema.

Das mag vielleicht sein.

Doch alle um Quinn und Casey herum meinen, es sei tabu, auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was der Familie Armstrong-Knowles geschehen ist. Dass drei bereits mutterlose Kinder nun Vollwaisen sind und bei ihrer Tante und ihrem Onkel leben.

Es ist bereits ein paar Monate her.

Die Kinder finden sich allmählich damit ab, wobei Dylan noch einige Probleme hat. Aber es geht bergauf.

Dennoch kann Quinn es einfach nicht ertragen, jemanden den Namen ihres Bruders aussprechen zu hören. Das ist noch immer ein Punkt, in dem sie sich mit ihrem Therapeuten streitet. Denn dieser glaubt natürlich, dass Quinn seinen Tod nicht akzeptieren wolle und verleugne, indem sie sich weigere, den Namen ihres Bruders zu sagen, zu denken oder zu hören.

Vielleicht stimmt das auch.

Aber Quinn ist zufrieden damit. Sie kann damit leben. Denn auf diese Weise kann sie den Schmerz vergessen, ihren Bruder verloren zu haben und damit denjenigen, der für sie da gewesen ist, bis Casey in ihr Leben getreten ist.

»Wie geht es dir?« Steph streicht sich eine Strähne ihrer intensiv-rot gefärbten Haare aus dem Gesicht.

Schulterzuckend antwortet Quinn: »Ganz gut. Ausgelaugt wegen heute, aber gut.«

Was nicht einmal gelogen ist.

Sie fühlt sich gut.

Andeutend schmunzelt Steph und betrachtet ihre jüngere Freundin. »Morgen Muskelkater?«

»Zur Hölle, ja!« Quinn stöhnt bereits schmerzerfüllt auf, was Stephanie zum Lachen bringt.

Ben brabbelt nur vor sich hin. Immer wieder deutet er auf Dinge und benennt sie teilweise schon korrekt. Ein paar Sätze kann er inzwischen sagen.

Seinen Onkel nennt er zum Beispiel Bowbow, weil er aufgeschnappt hat, wie Quinn und seine Teamkollegen ihn Brownie nennen. Und da er das noch nicht richtig aussprechen kann, hält Bowbow her.

Deswegen gehört nun auch Bowbow zu den Spitznamen, mit denen ihn all seine Mitspieler aufziehen. Vor allem Stephanies herzallerliebster Bruder Gabe.

Steph und Quinn unterhalten sich noch weiter, während Casey vollkommen durch den Wind seine Trainingstasche in sein Auto packt und wieder ins Haus eilt, bevor er wieder hinaus zum Auto rennt und wieder an Stephanie und Quinn vorbei in das Haus düst.

»Ich glaube, er verwechselt den Boden mit der Eisfläche, kann das sein?«

Quinn stimmt ihrer Freundin zu. »In Gedanken ist er wahrscheinlich schon bei den Playoffs.«

Viel Zeit ist ja nicht mehr bis dahin.

Als hätte Quinn damit ein Codewort genannt, hellt sich Stephanies Miene schlagartig auf.

Sie deutet auf Quinn. »Das Finale schauen wir dann aber bei dir, oder?«

»Vorausgesetzt, die Barracudas schaffen es in das Finale«, stellt Quinn mit Hinblick auf Casey klar, der ihr einen raschen Kuss auf die Wange drückt und dann in seinen Audi einsteigt und davonfährt. »Wenn sie vorher ausscheiden, wird es wohl auf einen stillen Abend hinauslaufen, an dem ich Casey trösten muss. Die Kinder müsst dann du und Mann Gabe nehmen.«

Quinn und Steph haben vor einigen Jahren, als sie sich kennengelernt haben, ausgemacht, die beiden Gabes in Stephanies Leben zu kennzeichnen.

Bruder Gabe ist – logischerweise – ihr jüngerer Bruder Gabe Banik, während Mann Gabe Stephs Ehemann Gabriel Dahlberg ist. Er spielt ebenfalls für die Philadelphia Barracudas und ist seit Jahren eingeschworener Teil der schwedischen Nationalmannschaft.

Auf diese Weise können sie die beiden Gleichnamigen gut voneinander unterscheiden und es ist seither nur selten zu Verwechslungsproblemen gekommen.

Quinn und Steph haben dieses Problem das Gabe-Gate getauft.

»Mann Gabe und ich haben nichts dagegen«, sagt Steph und kann nicht widerstehen, Ben erneut in den Arm zu nehmen.

Quinn beobachtet die Frau, die nur wenige Jahre älter ist als sie, dabei, wie sie den Jungen auf dem Arm hält und zum Lachen bringt.

Es ist eine immense Erleichterung für sie, dass Ben noch jung genug ist, um den Verlust beider Elternteile nicht wirklich zu verstehen.

Da haben es seine beiden älteren Geschwister etwas anders. Dabei denkt Quinn sehr an Dylan.

Das älteste Kind der drei.

Dieser Junge ist genauso verschlossen wie Quinn. Das liegt in der Familie. Wenigstens zeigt er beim Eishockey mehr Gefühle als daheim, wenn sie beisammen sind. Dafür redet Quinn umso öfter mit Dylans Trainer Nolan über seine ganzen Fortschritte und sein – manchmal impulsives – Verhalten.

Jeder verarbeitet den Verlust eben auf seine Weise und sie denkt nicht einmal im Traum daran, für Dylan die Therapeutin zu spielen. Er ist fünfzehn, mitten in der Pubertät.

Niemals würde er sich seiner Tante anvertrauen wollen. Sie hat es mehrmals versucht, als er und seine Geschwister zu ihr gezogen sind. Jedes Mal hat er abgeblockt und sie beleidigt und beschimpft wie es nur Eishockeyspieler können.

Quinn hat die Wut und die Verletzung gespürt, die in Dylan gelodert haben. Er ist so einsam gewesen, so zurückgelassen.

Niemand hat geahnt, dass es damals im vergangenen Oktober, als sie Quinns Bruder vor der Haustür verabschiedet haben, das letzte Mal sein würde, dass sie ihn lebend sehen.

Drei Monate später ist er gestorben.

Ben quengelt, als Steph ihn zurück an seine Tante übergibt. »Ich muss dann mal wieder los. Teure Immobilien verkaufen sich in Philly nicht von selbst.«

Zum Abschied umarmt sie Quinn schnell und stolziert auf ihren hohen Absätzen zum Auto. Bevor sie einsteigt, winkt sie ihr noch einmal zu.

»Tataaa!«, ruft sie wie immer.

Erst, als Steph auf die Hauptstraße abbiegt und nicht mehr zu sehen ist, atmet Quinn lange aus und begibt sich ins Haus. Dort fängt sie an, alles für das Mittagessen vorzubereiten.

Ben setzt sie in der Spieleecke beim Fernseher ab und geht in die Küche, die nahtlos an das geräumige Wohn- und Esszimmer anschließt. Von der langen Kücheninsel aus hat sie Benny gut im Blick.

Bevor Meghan von der Schule zurückkommt, will Quinn das Essen fertig haben. Dann muss sie zu Dylans Schule fahren, ihn abholen und zum Training bringen. Natürlich müssen Meg und Ben mit, denn sie hat für den Nachmittag keinen Babysitter und Casey ist noch beim Training.

Fast wird ihr schwindlig, als sie daran denkt, was noch alles auf sie wartet. Quinn muss natürlich noch die Fotos ausdrucken, die sie heute gemacht hat, um sie Barry vorbeizubringen.

Der Trainer der Barracudas hat eine vogelbegeisterte Enkelin, welche sich über Barry mit Quinn kurzgeschlossen hat und seit ein paar Wochen regelmäßig Fotos von ihr bekommt, die sie für verschiedene Schul- und Freizeitprojekte benutzt.

Quinn hofft so sehr darauf, dass aus Rebecca in ein paar Jahren eine Ornithologin wird. Dann hat sie endlich jemanden, mit dem sie reden kann. Natürlich kann Quinn das bereits jetzt mit Becca. Jedoch bald auf einer wissenschaftlicher Ebene.

Aufgrund der Distanz zwischen ihnen – Rebecca wohnt mit ihren Eltern, Barrys Sohn und Schwiegertochter, in New York – ist es noch nicht möglich gewesen, dass sie Rebecca auf eine Wanderung durch den Wald mitnimmt. So wie sie es heute mit Casey getan hat. Nur, dass Becca wesentlich ruhiger wäre als dieser Brocken von Stahlkonstrukt. Sie ist ein wahrer Engel. Eine wunderbare Partnerin im Wald, die sich jeder wünscht.

Also Fotos ausdrucken.

Das ist jedoch immer noch nicht alles. Nein, heute ist der wohl stressigste Tag der Woche für sie. Denn anschließend muss Quinn Dylan nämlich vom Training abholen, bevor es zum Familienabendessen geht.

Dafür hat sie zum Glück schon gestern eingekauft, nachdem sie von ihrem Büro an der Universität zurückgefahren ist. Dort ist sie übrigens Lizzie begegnet. Kein schöner Moment.

Aber was soll sie schon sagen?

Ihr ganzes Leben ist seit Monaten der reinste Quatsch und – obwohl sie es so sehr glauben möchte – sie sieht einfach kein Ende.

Kapitel 4

Träge gleitet Casey über das Eis. Er ist Sportler, diese Bewegungen gehören zu seinem Tagesablauf. Und doch fühlt er sich, als wäre er völlig neu zusammengebastelt worden. Das heute Morgen ist Folter gewesen. Nichts anderes.

»Achtung, Puck!«, schreit jemand hinter ihm und noch in letzter Sekunde kann Casey ihn abfangen und zurückspielen.

Wieso nur hat er sich auf diese Exkursion, wie Quinn es nennt, eingelassen?

Seine Füße in den Schlittschuhen schmerzen. Davor noch hat er Quinn deswegen ausgelacht. Jetzt spürt er es selbst.

Niemals wieder Exkursionen, wenn danach Training ansteht. Das verspricht er sich hier und jetzt auf der Eisfläche selbst. Stattdessen beschränkt er sich lieber auf seine morgendliche Runde Joggen durch das Viertel.

Das ist Workout genug. Entschieden genug.

Aber Quinn … Quinn hat es heute auf eine neue Spitze getrieben. Er sollte Abhänge hochklettern und dabei auch leise sein. Dann hat Casey einmal Begeisterung für ihre Leidenschaft gezeigt und hat dann dafür von ihr Ärger einkassiert.

Spaß hat das nicht wirklich gemacht.

Zu spät bemerkt er den Spieler, der auf ihn zurast und mit der Schulter zur Seite stößt. Casey schreit gereizt und dreht sich zu seinem Teamkollegen, von dem hingegen nur ein schadenfrohes Lachen kommt.

»Lass den Scheiß, Banik.«

Unschuldig breitet Banik seine Arme aus und setzt seine scheinheilige Miene auf. »Du warst mir im Weg. Was kann ich dafür? Wir spielen hier Eishockey und glotzen nicht in der Gegend herum, wenn ich das anmerken dürfte, Brownie.«

»Komm, lass es einfach«, brummt Casey.

Das anfangs erheiterte Lachen wandelt sich zu einem hämischen und anzüglichen Lachen. »Hey. Hat da jemand ´ne schlechte Nacht gehabt? Hat die Eiskönigin wieder eine Bekanntschaft vertrieben? Armstrong ist sich doch echt für alles zu prüde.«

Ächzend lehnt Casey seinen Kopf in den Nacken, versucht, Banik zu ignorieren. Automatisch denkt er an das Gespräch, welches er mit Quinn im Auto geführt hat. Wenn es hart auf hart käme, würde sie ihn zusammenschlagen.

Wie von selbst stiehlt sich ein seliges Lächeln auf Caseys Lippen, als er an die quirlige, blonde Frau denkt, die ihm seit Jahren wie eine Schwester ist. Er kann sich richtig glücklich schätzen, sie und die Kinder als seine Familie bezeichnen zu dürfen.

»Ohhhh, er lächelt«, bemerkt Banik, als wäre es eine Sensation.

Das zieht auch die Aufmerksamkeit einiger anderer Teamkollegen auf die beiden Spieler. Iven ist der erste, der zu ihnen kommt und sich vom Lächeln anstecken lässt.

Der Däne blickt zwischen Banik und Casey hin und her, doch Casey macht sich nicht die Mühe, ihn aufzuklären. Im Gegensatz zu Banik weiß Iven nämlich sofort, woran Casey denkt. Immerhin sind Iven und Quinn seit Caseys Debüt bei den Barracudas gute Freunde.

»Lass ihn«, witzelt Hjort und schubst Banik leicht nach hinten.

Verständnislos fängt sich der Halbkanadier wieder und lächelt breit, sich dabei keiner Schuld bewusst. »Was ist denn? Mann, schau ihn dir doch an. Grinst wie sonst was.«

Casey schüttelt nur seinen Kopf und schnappt sich mit dem Stock einen neuen Puck, den er gekonnt über das Eis gleiten lässt. Dabei spürt er das Ziehen in der Wade, wenn er beschleunigt. Quinn hat es tatsächlich geschafft, seine bisherigen Anforderungen noch höher zu schrauben.

Unweigerlich muss er zugeben, dass es wirklich gutes Training für ihn ist, sie bei diesen Spaziergängen zu begleiten.

Eventuell würde er es wieder tun.

Nur eventuell.

Zunächst aber konzentriert sich Casey auf das Training. Auf dem Weg zur Trainingshalle hat er ein Sandwich in sich hineingestopft, das er aus Quinns Rucksack geklaut hat.

Seit dem Frühstück hat er nichts mehr gegessen, was auch nur ein Apfel und eine Schale Haferflocken gewesen ist. Blöde neue Diät.

Morgen macht er sich einen Hamburger.

Coach Motty lässt Casey heute mal wieder richtig spielen. Bisher hat er immer ein wenig Angst um Caseys verletztes Knie gehabt.

Das Team hinter den Spielern aber hat schon vor Wochen zugestimmt, ihn wieder im linken Flügel spielen zu lassen. Zwar spürt Casey noch immer hin und wieder, wie es leicht zieht, aber es ist auszuhalten.

Banik darf natürlich weiterhin als Center glänzen und zeigen, wie sehr er sich die Position verdient hat. Nach dem Training darf sich Casey dann wieder was von dem Kanadier anhören.

»Ein bisschen mehr Tempo hier!«, verlangt Motty von den Teams.

Casey bemerkt gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht, da sind die drei Spielrunden schon vorbei. Es hat ziemlich gut geklappt mit dem Knie. Es ist wirklich nicht schlecht gewesen, findet Casey. Und so auch Motty.

Im Anschluss ruft dieser sie noch einmal zu sich. »Kurze Nachbesprechung nach dem Duschen, dann schick machen für das Foto! Bei manchen ist die Hoffnung schon verloren, aber ihr könnt es ja versuchen.«

Allgemeines Gelächter begleitet sie Spieler auf dem Weg zu den Umkleidekabinen. Casey wartet noch, unterhält sich mit dem Torwart aus seinem Team.

Kaum will er die Eisfläche nach Banik verlassen, hält Motty ihn zurück. »Hey, Brownie.«

»Coach«, spricht Casey den Afroamerikaner an.

»Becca hat angerufen und nach den Fotos gefragt«, erzählt Motty und lächelt bei dem Gedanken an seine Enkelin.

Genau wie Casey liebt Motty seine Familie sehr.

Er lächelt und nickt verstehend. »Ich war heute mit Quinn im Wald. Ich glaube, sie hat einige schöne Fotos gemacht. Bestimmt wird sie sie heute noch ausdrucken und mir beim nächsten Mal mitgeben.«

Zufrieden klopft Motty ihm auf die Schulter. »Wunderbar. Das richte ich ihr aus. Chris und Gianna kommen nächste Woche mit den Kindern nach Philly, da würde es sich prima anbieten.«

»Kein Problem, Coach«, versichert Casey seinem Trainer. »Bis dahin wird Quinn wahrscheinlich drei weitere Exkursionen unternommen haben. Du kennst sie ja.«

Motty weiß sofort, wovon Casey spricht und weitet die Augen, während er nickt. »Oh ja. Und ob. Sie kriegt echt nicht genug von diesen Tieren.«

»Nope.«

Das nun echt nicht.

Casey sieht kurz zur Seite und stellt nüchtern fest, dass Banik noch immer dort steht und auf ihn zu warten scheint. Manchmal mag er diesen Typen.

Meistens aber kann er ihn nicht ausstehen.

Doch die Feindschaft zwischen Banik und Quinn ist eine ganz andere als die zwischen Casey und Banik.

Er ist noch auf eine Weise mit ihm befreundet. Konkurriert mehr mit ihm, als dass er ihn hasst.

Aber Quinn und Banik hassen sich wirklich bis aufs Blut. Das einfachste Beispiel für ihre heikle Beziehung: Baniks Lieblingsessen ist Curry. Aus dem Grund, dass Quinn allergisch auf Curry reagiert.

Mehr nicht. Nur deswegen liebt er es.

Motty hüstelt und kratzt sich den Bart. »Wie geht es Quinn und den Kindern?«

»Ganz gut«, antwortet Casey wahrheitsgemäß. »Ich glaube, Dylan fühlt sich inzwischen etwas wohler und findet allmählich wieder zurück.«

Betrübt lächelt Motty und zeigt damit, wie sich Casey seit Wochen schon fühlt. Irgendwas zwischen Fröhlichkeit und Traurigkeit.

Sein Coach bringt es mit diesem Gesichtsausdruck genau auf den Punkt. »Das ist wirklich schön zu hören. Und was ist mit Meg? Noch immer am Ballett interessiert? Die Kleine hat wirklich viel Potential.«

Sobald Coach Motty Caseys kleine Nichte erwähnt, blüht etwas in ihm auf. »Oh ja. Eine kleine Ballerina ist sie. Nutzt jede Ecke im Haus zum Üben. Ich kann die Stücke aus dem Schwanensee mittlerweile in Rekordzeit benennen. Ich bin da schon etwas stolz auf mich.«

Schallend lacht Motty und gibt Casey einen leichten Schubs in Richtung Umkleide. »Na hoffentlich lernst du was von ihr und tänzelst bald selbst wie eine Ballerina über das Eis.«

Stirnrunzelnd hält Casey inne.

»Willst du das wirklich?«, fragt er mit gespieltem Ernst, kann sich selbst ein Grinsen nicht verkneifen.

Erneut lacht Motty laut auf, sodass es in der großen Halle nur so echot. »Oh, Gott bewahre. Wenn du das andere Team auf die Weise und das noch dazu mit deinem Knie ausspielen kannst, gern. Aber danach kriegst du wohl einen neuen Spitznamen, Bowbow.«

Casey verdreht die Augen und macht sich nun wirklich auf den Weg in die Kabine, um sich für das Foto herzurichten. Am Ende warten alle nur auf ihn und es zieht sich unnötig in die Länge.

Das will er nicht, denn dann kommt er zu spät zum obligatorischen Familienessen und das wiederum gefällt Quinn nicht.

Quinn liebt die Familienessen, es ist schließlich ihre eigene Erfindung gewesen. Casey ist sehr angetan von der Idee, immer am ersten Freitag im Monat ein großes Abendessen zu machen. Niemand verkriecht sich im Zimmer oder hockt vor dem Fernseher. Solange Casey an dem Tag natürlich kein Spiel hat, versteht sich.

Das braucht diese Familie dringend.

Alle stehen gemeinsam in der Küche und kochen gemeinsam und essen anschließend auch gemeinsam.

Auf die Weise will seine Schwester verhindern, dass sich alle im Haus voneinander entfremden.

Dass sich niemand alleine fühlt.

Casey ist der einzige, der weiß, dass Quinns Psychologe ihr dazu geraten hat. Sie versucht, so viel wie möglich von ihrer Therapie vor den drei Kindern zu verheimlichen, damit sie Quinn nicht als schwach betrachten, sondern als eine Vertrauensperson, die alles im Griff für sie hat.

Casey aber weiß es besser. Auch er hat seinen Bruder verloren, nicht nur sie. Auch er hat lange getrauert, geweint, geschrien. Auch er hat einen Weg gesucht, um sich damit abzufinden.

Damit ist er kläglich gescheitert.

Kummer kann man nur für den Moment in Alkohol ertränken, aber nicht für immer.

Das ist ihm klargeworden.

Das ist gleichzeitig auch der Grund, weshalb Quinn Banik nur noch mehr hasst als ohnehin schon. Denn Banik ist es gewesen, der Casey in diese Misere hineingeritten hat.

Zugegeben, Casey hat ihm nie alles erzählt. Aber das wird er auch nicht in absehbarer Zeit. Es geht niemanden etwas an, was diese Familie Anfang des Jahres durchlitten hat.

Banik weiß, dass Caseys und Quinns Bruder gestorben ist. Er weiß, dass die beiden deswegen das Sorgerecht für dessen drei Kinder haben und seitdem auf sie aufpassen. Mehr weiß er jedoch nicht und damit ist er nicht allein.

Nicht einmal die Eltern von Quinn und ihrem Bruder wissen, was genau geschehen ist. Das hat Quinn ihnen nie verraten wollen, weil sie denkt, das Recht hätten sie in dem Moment verloren, als sie die beiden zu deren Tante Erna geschickt haben.

Casey kann Quinn darin nur zustimmen. Er und Quinn sind wie Geschwister, doch ihre Eltern hat er niemals getroffen. Für ihn hat es nur Tante Erna gegeben.

»Ich stelle mir gerade vor, wie du im rosa Tutu und unserem Trikot mit jeder Eleganz über das Eis gleitest und das gegnerische Team austänzelst«, kommentiert Banik Caseys Unterhaltung mit Motty auf seine eigene Weise und lacht.

Casey macht sich nicht einmal die Mühe, sondern ignoriert den von Slowaken abstammenden Kanadier. Nicht mehr lange, dann wird er ihn endlich wieder los.

Dummerweise hat Banik keine Lust darauf, ihn in Ruhe zu lassen. Nebeneinander gehen sie in Schlittschuhen zu den Kabinen.

Casey ist überrascht, dass dabei kein einziges Wort von Banik kommt, der sonst so gesprächig ist. Es ist wirklich untypisch.

Argwöhnisch betrachtet er seinen Kumpel von der Seite. Unauffällig versteht sich. Banik hat eine beeindruckende Auffassungsgabe und merkt schnell, wenn er beobachtet wird.

»Wie heißt sie jetzt eigentlich?«, möchte Banik unvermittelt wissen.

»Wer?«

Als wäre die Antwort offensichtlich, verdreht Banik die Augen. »Na, wer wohl?«, stöhnt er. Wieder grinst er auf seine anzügliche Weise. »Das Mädel, das dich vorhin zum Lächeln gebracht hat. War es überhaupt eine sie? Man kann ja nie wissen. Ich verurteile dich da nicht, Brownie.«

Casey überlegt nicht allzu lange und beschließt, sich einen kleinen Spaß zu erlauben. »Oh, das meinst du.«

»Naaa? Hast du sie im Club getroffen? Wusste gar nicht, dass du gestern aus warst.«

Gleichgültig zuckt Casey mit der Schulter und öffnet die Tür zur Kabine. Halbbekleidete Teamkollegen strömen an ihnen vorbei, manche gehen gerade in die Duschen, manche kommen gerade fertig geduscht zurück.

Casey streift sich nach und nach die Ausrüstung vom Körper, streicht sich die verschwitzten Strähnen aus dem Gesicht.

Die ganze Zeit spürt er Baniks erwartungsvollen Blick auf sich ruhen. Der Typ wird auch in nächster Zeit nicht Ruhe geben.

Seufzend lässt sich Casey auf die Bank fallen und löst die Schnüre an seinen Schlittschuhen. »Ich war gestern nicht aus, ich habe sie nicht im Club getroffen.«

»Sondern …?« Banik schüttelt seine dunklen Haare.

Jetzt grinst auch Casey.

Es macht wirklich Spaß, Gabe so im Dunkeln tappen zu lassen. »Wir kennen uns schon länger.«

Diesmal wird Banik richtig aufmerksam, das Lächeln wird breiter. »High School?«

»Länger.«

»Grundschule?«

Abschätzend kneift Casey seine Augen zusammen. Wieder merkt er, wie Iven die beiden beobachtet und weiß, worum es geht. Der Däne schüttelt nur lächelnd seinen Kopf.

Banik hasst Quinn tatsächlich so sehr, dass sie nicht einmal eine Option für ihn ist. Ein Wunder, dass sie sich noch nicht gegenseitig umgebracht haben.

»Nicht direkt, aber um die Zeit herum.«

Ungeduldig hockt sich Banik auf die Bank. »Komm, sag´s einfach. Wir sind Freunde.«

»Du hast mir erst letzte Woche auf der Party bei Gramps eine reingehauen«, erinnert Casey ihn an den Zwischenfall und sieht ihn ernüchtert an.

Mit offenem Mund sucht Banik einen Ausweg und stammelt irgendetwas vor sich hin.

»Ja … das schon. Aber wir sind Freunde«, kommt Gabe darauf zurück. »Erzähl mal. Wie sieht sie aus?«