Der goldene Palast (Edition Gegenwind) - Ursula Flacke - E-Book

Der goldene Palast (Edition Gegenwind) E-Book

Ursula Flacke

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Beschreibung

Da ist der Baum, der fliegen wollte oder das schnurrende Herz, Prinz Arman, der sich im goldenen Maul einer Kobra wiederfindet, das Mädchen, das mit dem Irrlicht flieht, der Ton Pling, der im Schlossgarten verloren geht oder der alte Hund, der wissen will, wie Liebe riecht ... Ursula Flacke erzählt in Parabeln, kuriosen Erzählungen und Satiren vom Glück des Lebens. Ungewöhnliche Geschichten für kleine und große Menschen - zum Vorlesen oder selber Entdecken

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Zu diesem Buch:

In dieser Erstausgabe erzählt Ursula Flacke in Parabeln und Fabeln, kuriosen Geschichten und Satiren vom kleinen und großen Glück.

Zur Autorin:

Ursula Flacke studierte (zweiter Bildungsweg) Germanistik, Geschichte und Theater-, Film und Fernsehwissenschaft.

Sie wirkte als Kabarettistin und Schauspielerin in zahlreichen Fernseh- und Theaterproduktionen mit. (u.a .Frankfurter und Berliner Festwochen, Alte Oper Frankfurt,)Sie schreibt Musicals und Drehbücher (u.a. „ für die Sendung mit der Maus“ und „Schloss Einstein“ und hält Schreibwerkstätten ab, auch Drehbuch- und Musicalwerkstätten.

Inzwischen verfasste sie 56 Bücher, die teilweise weltweit übersetzt wurden und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.

(u.a. Österreichischer Jugendbuchpreis, Goldener Spatz, Mommy Award, Deutscher Kulturförderpreis, Renate-Chotjewitz-Häfner-Förderpreis)

Homepage:www.Ursula-Flacke.de

INHALT

Der goldene Palast

Die Spritzspratzpfützespatzen

Von Vulkangeistern und Paradiesvögeln

Der schönste Tag in ihrem Leben

Der Fisch, der klettern konnte

Bist du auch ein Schmetterling

Der Baum, der fliegen wollte

Robbin, der Cyber-Hund

Die Geschichte von Pling

Der Zauberer und die silberne Kanne

Die Wanderdüne

Der kleine Gustav vom fremden Planeten

Das schnurrende Herz

Wenn ich mir begegne…

Wie wöndervill

Das Irrlicht und das Mädchen

Die glückliche Schlange

Das kleine Schaf und das große Glück

Ein Leben ist ein Leben

Die Liebe zwischen Tag und Nacht

Omega und die fliegenden Funken

Die Chaos-Katzen

Der Geist der schwarzen Materie

Du bist zu dick…

Das Puzzle des Universums

Weißt du, wie Liebe riecht

Wenn der Tag kommt, an dem ich gehe…

Für Andrea, die Gibbeline

Der goldene Palast

Prinz Arman hockte auf einem Fels und schaute in den Abendhimmel. So wie an jedem Abend. So wie schon seit langer Zeit. Er gab sich der Trauer hin, denn sein goldener Palast war vor Monaten von feindlichen Truppen zerstört worden. Nicht ein Stein war auf dem anderen geblieben.

Seine Eltern waren verstorben, und er lebte jetzt bei Jodd, seinem Großvater in einem einfachen Steinhaus. Hier gab es keine seidigen Vorhänge oder kostbaren Teppiche. Keine Marmorstatuen oder Sitzkissen, die mit Silberfäden durchzogen waren, so wie er es kannte. Und keine Räucherwaren, die nach Weihrauch dufteten.

Schon längst wollte er mit Freunden den Schutt und das Geröll des zerstörten Palasts beiseite räumen, um neu anzufangen. Doch er fand nicht die Kraft. Wie sollte er mit bloßen Händen und arm, wie er war, sein Reich neu aufbauen?

Aber es gab Hoffnung, denn irgendwo zwischen den Trümmern musste eine Kiste mit wertvollen Diamanten und Goldmünzen begraben liegen. Allerdings könnte es sein, dass sie von den feindlichen Truppen entdeckt und weggeschleppt worden war…

Wenn er die Schatzkiste wiederfinden würde, hätten sie Geld genug, um den goldenen Palast neu zu aufzubauen. Der Schlüssel für das Schloss hing ja schon seit Jahren auf seiner Brust.

Aber Prinz Arman wagte nicht, die Steine anzuheben, denn zwischen den Steinbrocken krochen Schlangen. Sie waren schön anzusehen, aber ihr giftiger Biss war tödlich. Er hasste Schlangen. Schon der Gedanke an sie ließ ihn frösteln.

„Ich habe Angst zu versagen“, sagte Prinz Arman zu Jodd, als sie abends vor einem Schüsselchen Reis saßen.

„Wer bestimmt, dass du versagst?“, fragte der Alte.

Prinz Arman schaute ihn verwundert an. „Die Freunde? Das Volk?“

„Oder vielleicht du selbst? Wenn sie über dich bestimmen, dann lebst du ihr Leben. Wenn die Angst dein Leben bestimmt, lebst du das Leben der Angst“, antwortete er, aß den Reis und legte sich in seiner Kammer schlafen.

Prinz Arman schloss nachdenklich die Haustür und verriegelte sie fest. Ja, er hatte Angst, übergroße Angst vor diesen giftigen Schlangen, Angst, die ihn lähmte…

In dieser Nacht hatte Prinz Arman einen seltsamen Traum: Er glitt durch einen Tunnel auf ein grelles Licht zu. Am Ende des Tunnels wartete ein riesiger Adler auf ihn. Ohne zu überlegen setzte er sich auf den Rücken des Vogels. Der breitete seine Flügel aus und flog mit ihm davon. Erst verhüllte Arman sein Gesicht, aber langsam wuchs seine Neugier, und er schaute in die Tiefe.

Sie flogen über eine Schlucht, die Bergwände fielen steil ab. Unten glitzerte ein Fluss, der sich wohl im Laufe der Zeit durch die Berge gegraben hatte. Die Farbe des Flusses war tiefblau, und die Felswände waren aus rostfarbenem Gestein. Es war, als strahlten sie aus sich selbst heraus. Ein seltsamer Glanz lag über der Gegend.

An den Berghängen standen auf Felskanten vereinzelt Krieger. Sie trugen silberne Helme und hielten spitze Speere in der Hand. Sie verharrten ganz still und bewachten das Land.

Prinz Arman betrachtete die weiten Schwingen des mächtigen Vogels. Auf ihnen schien sich der Himmel zu spiegeln, ein tiefes Blau überzog die schillernden Federn.

Da änderte der Adler seinen Flug. Er senkte sich hinab auf ein gelbfarbenes Ufer zu, das mit hohen Palmen umsäumt war.

Als der Adler gelandet war, stieg Prinz Arman von seinem Rücken, und plötzlich kroch zwischen den Palmen eine riesige Schlange auf ihn zu. Es war eine Kobra, die ihren Kopf hochstreckte und langsam ihr Maul öffnete. Die spitzen Giftzähne glänzten in der Sonne, und aus ihrem Maul leuchtete ein goldenes Licht.

Eine unwirkliche Kraft zog Prinz Arman auf die Kobra zu, Angst stieg in ihm hoch, aber die Kraft war stärker. Trotz seiner Beklemmung stieg er in das Maul, vorbei an den spitzen Giftzähnen.

Wenn sie jetzt zubeißen würde, genau in diesem Moment, dachte er, dann würde sein Körper zermalmt. Oder das tödliche Gift der Zähne würde in kürzester Zeit wirken. Aber die Kobra verbreitete eine unermessliche Ruhe, die ihm Vertrauen gab.

Im Schlangenmaul war alles golden. Das Gold im Rachen strahlte und glänzte so unwirklich, wie er es noch nie wahrgenommen hatte.

„Du bist geschützt“, hörte er eine Stimme in sich.

Prinz Arman setzte sich auf die goldene Zunge und schaute an den Giftzähnen vorbei nach draußen ins weite Tal. Da sah er andere Schlangen, die näher krochen. Sofort stieß die Kobra ein Fauchen aus, und die feindlichen Angreifer flüchteten.

Ich bin geschützt, dachte Prinz Arman. Eine tiefe Ruhe erfasste ihn.

Ich bin geschützt…

Was für ein seltsamer Traum, dachte Prinz Arman, als er aufwachte. Es war doch nur ein Traum gewesen, und trotzdem änderte sich sein Leben. Er trommelte seine Freunde zusammen, und sie begannen, Steinbrocken von dem zerstörten Palast zur Seite zu schaffen.

Trotzdem war höchste Achtsamkeit geboten, denn noch immer lebten Giftschlangen zwischen den Hunderten von Bruchsteinen, die einmal ein Palast gewesen waren. Aber Prinz Arman wusste jetzt mit ihnen umzugehen. Mit Stöcken wurden sie vertrieben oder mit Schlingen gefangen und in Säcke gesteckt, die später weit entfernt im Hinterland geöffnet oder im Fluss versenkt wurden.

Prinz Arman spürte eine Kraft aufsteigen, die tief aus seinem Herzen kam, denn immer mehr Menschen meldeten sich, um bei den Arbeiten zu helfen.

„Es war doch nur ein Traum gewesen“, sagte Prinz Arman zu Jodd. „Und trotzdem hat er mich verändert.“

„Du hast dir Bilder gegeben“, antwortete er. „Lass deine Wünsche zu Bildern werden. Dann wird dir gegeben, was dein Herz begehrt.“

Nachdenklich setzte sich Prinz Arman in der Abenddämmerung auf seinen Fels und überlegte. Er brauchte die Schatztruhe, um mit dem Geld den goldenen Palast wieder aufbauen zu können. Und er stellte sich die Truhe vor, aus Eichenholz geschnitzt, mit eisernem Schloss. Den Schlüssel dazu trug er ja an einer Kette um den Hals. Der ruhte auf seinem Herzen. Prinz Arman wünschte sich diese Truhe so sehr, dass sein Verlangen wie Feuer aufloderte. Er war der Prinz. Und er wollte den goldenen Palast wieder aufbauen und dem Volk Frieden schenken.

Diese Bilder trug er mit sich, den nächsten Tag, die nächsten Nächte, und er wünschte sich Träume, in denen er sich ausruhen konnte.

Tatsächlich wurde die Schatzkiste gefunden. Sie lag verschüttet unter zerschlagenen Statuen und Marmorblöcken. Die Feinde hatten sie nicht gefunden. So konnten Hunderte von Arbeitern angeworben und bezahlt werden, aber auch Wächter zum Schutz des Landes, die mit silbernen Helmen und spitzen Speeren ausgestattet wurden.

Den Weg zum goldenen Palast wollte Prinz Arman mit farbigen Steinen pflastern, aus Farben der Erinnerung: Das tiefe Blau der Adlerschwingen, das helle Blau des Flusses, das Grün der Palmen, das Rostfarbene der Berge, das Gelb des Ufers, das Gold aus dem Maul der Kobra. Und täglich sollten farbige Steine dazukommen. Das alles wollte er seinem Volk geben.

„Du hast den Weg zu deinem Herzen gefunden“, sagte Jodd und lächelte. „Den Weg zum goldenen Palast.“

Die Spritzspratzpfützespatzen

Langsam schieben sich die Wolken ineinander und türmen sich auf. Wie dunkelgraue Wattebäusche hängen sie ineinander. Hin und wieder blitzt grelles Sonnenlicht durch die Lücken. Heiße Sommerluft liegt in den Straßen, und die Luft schmeckt nach Staub.

Doch dann bläht der Wind sich auf, fasst nach trockenen Blättern, wirbelt sie hoch und pustet sie davon. Mit aller Kraft rüttelt er an den Ästen und fährt durch ihre Blätter.

Dann öffnet sich der Himmel. Ein feines Sirren liegt in der Luft, ein fernes Rauschen.

„Sie kommen“, ruft ein feines Stimmchen. „Achtung, sie kommen! Auf die Plätze, zehn, neun, acht…“

Erste Tropfen fallen zu Boden, platzen auf und spritzen. Es tröpfelt, nieselt, rauscht und prasselt. Rinnsale von Wasser suchen sich Wege, sammeln die Tropfen in Mulden und bilden kleine Seen.

„Drei, zwei, eins… Start!“

Die Blätter der Eiche flattern. Ach, nein, es sind acht kleine Spatzen, sie fallen hinab in die Tiefe, mitten hinein in die Pfützen. Der Regen klatscht, das Wasser spritzt, die Spatzen: klitschnass, sie plantschen und platschen, meine Worte zerspritzen, Buchstaben zerplatzen, plitschplatschen, matschpatschen. Die Spatzen flitzspritzen durch Pfützespitzen, vorbei das Hitzschwitzen, jetzt spritzspratzspritzen, in die Spritzpfützen klitschflitschen.

Es klatscht und matscht und saut wie Schwein.

Da… da will ich auch mit rein!

Ich steh‘ an der Scheibe, schau auf die Straße, mein Herz wummert, will auch Spatzenglück und Spatzenlust. Doch hinter mir die Tante Werhahn, dreht den drohenden Winkfinger hin und her und ordnet die Wörter neu, so wie es sich gehört. In festen Regeln, in starren Bahnen:

Das Wasser spritzt.

Der Vogel flitzt.

Der Regen platscht.

Da ist kein Platz für Spritzspratzen und Klitschflitschen.

Und sie klopft mit dem krummen Winkfinger auf den Tisch, den Tisch, sie klopft und klopft:

Das Was-ser spritzt.

Der Vo-gel flitzt.

Der Re-gen platscht.

Des Nachts hör ich ein Spritzen. Die Spatzen, sie platschen? Sie spritzplatzflitzen? Ich springe auf: Vom Fenster aus seh‘ ich die Straße und da! Die Tante, die Tante! Mit Barfüßen springt sie hoch, ganz nackig am Bein, den Rock gerafft bis zur Hüfte. Und sie klatscht ins Pfützenwasser hinein, mitten hinein, dass es spritzt. Spritzspratzplitscht. Die nackten Beine ganz hoch, dass sie quiekt.

Schlagt auf! Schlagt auf den Duden unter ‚S‘:

Von Vulkangeistern und Paradiesvögeln

Am ersten Frühlingstag sollte im Land Sikoras ein Wettbewerb der Schönheit stattfinden. Alle Wasserfeen, Gnome und Waldgeister waren eingeladen, und die Anmeldungen stapelten sich.

Wundersame Vögel mit Federn, die mit Perlmutt geschmückt waren, Froschwesen mit gelackter Haut und Vulkangeister mit flatternden Feuerflügeln waren in Sikoras eingetroffen. Waldelfen in wachsbleichen Gewändern und auch der Wassergeist aus dem Quell der tausend Wünsche waren angereist, um an dem Spektakel teilzunehmen. Das war ein Schwatzen und Plappern, Quieken und Quaken.

Ein Gnom in einem blauen Gewand, das mit Goldknöpfen verziert war, blies in eine Trompete, und sofort wurde es still. Mucksmäuschenstill. Sogar die Turtelmäuse aus dem fernen Turtelland waren gekommen und wagten keinen Mucks mehr von sich zu geben. Auch sie wollten nichts davon verpassen, was der Wicht zu verkünden hatte.

„Liebe Elfen, Gnome, Paradiesvögel …“, rief der Gnom.

„Und Turtelmäuse!“, muckste die eine Maus auf.

„Und Turtelmäuse“, wiederholte der Wicht ein wenig genervt. „Ich begrüße euch alle recht herzlich zum heutigen Schönheitswettbewerb!“

Tosender Applaus wallte auf. Es krächzte, quakte, turtelte, piepste und grunzte aus vollen Kehlen.

„Ruhe“, rief der Gnom und griff nach einem Sprachrohr. „Ruhe! Der Wettbewerb läuft folgendermaßen ab: Die Bewerber für den Preis werden sich nacheinander vorstellen. Eine internationale Jury wird dann darüber beraten, wer als Sieger hervorgeht.“

Ein Froschwesen schlug mit aller Wucht zwei Becken zusammen, und eine Blaskapelle aus Irrlichtern, die in Glasröhren hauchten, verkündete den Beginn des Geschehens.

Ein seltsames Sirren hallte über die grünglühenden Wiesen.

Vor einem hohen Felsen war ein Gerüst aufgebaut. Auf einem Podest stand der Siegerpokal aus reinem Gold. Jetzt klatschte der Gnom im blauen Anzug in die Hände.

„Achtung, jetzt geht’s los.“

Ein lila Äffchen, das ein Schild mit der Nummer eins in den Pfoten hielt, wirbelte über die Bühne.

Dann betrat ein Pfau mit stolzem Schritt das Podest, sein Krönchen wippte bei jeder Bewegung. Mitten auf der Bühne blieb er stehen und wartete einen Moment, bis alles ruhig war.

Dann fächerte er seine Federn auf und schlug ein grünblau schillerndes Rad. Mit leicht erhobenem Schnabel drehte er sich nach rechts und dann nach links. Ein anerkennendes Raunen hallte auf die Bühne.

„Das wird schwer für uns“, grunzte das dicke Warzenschwein. „Ich habe keine Federn am Po, die ich auf- und zuklappen kann.“

„Ich mag sowieso viel lieber Matsch“, sagte das Warzenschweinkind.

Die Juroren, die an einem langen Tisch saßen, aber Masken trugen, um nicht erkannt zu werden, raunten sich etwas zu.

Wieder tanzte das Äffchen über die Bühne. Es hielt ein Schild mit der Aufschrift ‚Nr. 2‘ in den Pfoten.

Diesmal schlängelte sich eine grüne Kobra auf die Bühne. Ihre Haut schillerte und glänzte, als wäre sie aus Hunderten von Edelsteinen gemacht. Mitten auf der Bühne reckte sie sich. Dann schob sie ihren Körper hin und her, sodass ihre Schuppenhaut in einem Stück von ihr abglitt.

„Sie häutet sich“, grunzte das Warzenschwein. „Jetzt sieht sie noch viel strahlender aus. Das wird schwer für uns. Ich kann mich nicht häuten …“

„Aber wenn sie sich am Baum kratzt, macht sie ihre ganze Haut kaputt“, rief das Warzenschweinkind. „Da ist ein Fell tausend Mal besser. Außerdem mag ich lieber Matsch.“

Die Mitglieder der Jury saßen an einem langen Tisch, flüsterten und tuschelten, rückten ihre Masken zurecht, nickten oder wiegten ihre massigen Köpfe.

Ein Kandidat folgte dem Nächsten. Da hüpfte ein mit Perlmutt geschmückter Vogel auf die Bühne, und das Froschwesen mit gelackter Haut platschte heran. Dann schwebte ein Vulkangeist über das Podium und ließ seine Feuerflügel in weiten Bahnen durch die Luft flattern. Es roch nach Asche und verbrannter Erde.

Erst als der lila Affe die ‚Nr. 67‘ über die Bühne trug, war kein Anwärter auf den Schönheitspreis mehr zu sehen.

Die Jury schien ratlos. Wie sollte sie die Schönste herausfinden? Wer konnte der Schönste sein? Der schillernde Pfau? Die gehäutete Schlange? Der Vulkangeist mit den Feuerflügeln?

„Halt, halt“, rief der lila Affe. „Hier ist noch jemand.“

In seinen Pfoten hielt er ein dunkles Gebilde, mit rissigen Spalten und Wölbungen.

„Was soll das denn sein?“, rief der stolze Pfau empört. „So ein hässliches Wesen habe ich ja noch nie gesehen. Sowas hat hier nichts zu suchen!“

Die anderen Kandidaten gaben dem Pfau recht, sie schimpften und plärrten, drohten und knurrten.

„Moment“, rief der Gnom in dem blauen Gewand und trötete in sein Horn. Sofort kehrte wieder Ruhe ein. „Wollen wir doch mal sehen, was sich da versteckt hat.“ Der Gnom klopfte gegen das dunkle Gebilde. Es klang dumpf und hart.

„Eine Schale“, rief der stolze Pfau abfällig. „Das ist nur die Schale von einer hässlichen Muschel.“

Langsam öffnete sich der Deckel, und ein seltsam glibberiges Wesen kam zum Vorschein.

Angewidert wandte sich der stolze Pfau ab, die Vulkangeister rümpften die Flammennasen, und die Warzenschweine reckten die Hälse.

Die Jurymitglieder trampelten, hopsten und staksten näher und betrachteten das Gebilde genau.

In diesem Moment fiel Sonnenlicht auf das Innere der Muschel. Sie glänzte wie aus Silber gemacht und wirkte wie ein kleiner Palast, den das Glibberwesen sich gebaut hatte.

Die Jury tuschelte und flüsterte, hauchte und säuselte. Schließlich trat der bullige Sprecher vor. Wegen der Maske im Gesicht fiel ihm das Sprechen ein wenig schwer.

„Liebe Freunde und Freundinnen“, dröhnte es dumpf. „Wir haben die Entscheidung getroffen. Ihr alle da unten habt seit der Geburt eure Schönheit. Die bunten Federn, die schillernde Haut, die rotflammenden Arme. Ihr musstet nichts dafür tun, sondern habt nur das zur Schau getragen, was nicht euer Verdienst ist. Keiner kann etwas dazu, wie er geboren wird.“

Ein unwilliges Murren waberte durch aus dem Publikum. Der Pfau kräuselte empört die Stirn, die wachsbleiche Waldelfe schob abfällig die Unterlippe vor.

„Aber dieses Wesen …“, fuhr der bullige Sprecher fort, während er ein wenig die Maske zur Seite schob, um besser Luft zu kriegen, „… Dieses Wesen hier hat sich einen Silberpalast gebaut. Schöner als die schönste Höhle, die ich jemals gesehen habe. Dieses Muschelwesen hat etwas aus seinem Leben gemacht. Wer von euch kann etwas Ähnliches bieten?“

Keiner antwortete. Nichts regte sich. Niemand wagte zu widersprechen.

Dann schmetterte der Gnom auf seinem Horn eine Fanfare.

Mit fast zärtlicher Berührung fuhr er über seine knorpelige Haut und lächelte. Mit niemandem hätte er tauschen mögen, denn niemand wusste so betörend Trompete zu spielen wie er.

„Das war kein Schönheitswettbewerb“, krakeelte der Pfau. „Denn sonst hätte ich gewonnen!“

Die grünschillernde Kobra zischelte empört vor sich hin und schlängelte sich davon. Die Vulkangeister erhoben sich in die Lüfte und zogen in einem donnernden Feuerschweif zurück zu ihren Bergen.

„Ist es jetzt vorbei?“, fragte das Wildschweinkind.

„Noch nicht ganz“, antwortete die Wildschweinmutter.

Da nahm der Jurysprecher seine Maske vom Gesicht. Es war der Anführer der Wildschweinherde. Er rannte auf seine Familie zu. „Und jetzt ab“, grunzte er. „Ab in die Wälder!“

„In den Matsch?“, rief das Wildschweinkind und stellte die haarigen Ohren hoch.

„In den Matsch!“, grunzte er. „In den matschigsten Matsch, den wir finden können.“