Der Goldvulkan: Abenteuerroman - Jules Verne - E-Book

Der Goldvulkan: Abenteuerroman E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Diese Ausgabe wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Summy Skim lebt zufrieden im kanadischen Montreal. Er ist nicht reich, lebt aber in finanziell abgesicherten Verhältnissen. Sein Vetter Ben Raddle, ein Ingenieur, sucht ständig nach neuen Herausforderungen und ist am Gewinn orientiert. Eines Tages werden Summy und Ben von einem Notar geladen. Dieser eröffnet ihnen, dass sie im Norden von Kanada am Miles Creek einen Claim von ihrem verstorbenen Onkel Josias Lacoste geerbt haben. Ein Angebot von einer Minengesellschaft über 5000 Dollar trifft ein und Summy will den Claim verkaufen. Beide brechen gemeinsam zu ihrer Reise in den Norden auf. Nach der Ankunft in Skagway geht es nur noch mit dem Hundeschlitten weiter. Ben bringt die beiden Edgerton-Cousinen dazu mit ihnen eine Reisegesellschaft zu bilden. Zwei Gauner Malone und Hunter haben von einem Indianer ebenfalls von einem Goldvulkan erfahren. Sie führen ebenfalls eine Expedition dorthin durch. Die beiden Vettern treffen mit Jane am Vulkan ein und entdecken, dass dieser aktiv ist. Der Ingenieur Ben hat die Idee einen künstlichen Vulkanausbruch herbeizuführen, um nach dem folgenden Abebben der vulkanischen Aktivitäten an das Gold heranzukommen. Jules Verne (1828-1905) war ein französischer Schriftsteller.

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Jules Verne

Der Goldvulkan: Abenteuerroman

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Inhaltsverzeichnis

Erster Band.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechtes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Zweiter Band.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.

Erster Band.

Erstes Kapitel.

Ein Onkel aus Amerika.

Inhaltsverzeichnis

Am 17. März im drittletzten Jahre des vorigen Jahrhunderts gab der Briefträger bei seinem Dienstgange durch die Jacques Cartierstraße in Montreal in Nr. 29 einen an Herrn Summy Skim adressierten Brief ab.

Der Inhalt des Schreibens lautete:

»Der Notar Snubbin empfiehlt sich Herrn Summy Skim bestens und bittet ihn, wegen einer ihn betreffenden Angelegenheit möglichst bald in seinem Bureau vorzusprechen.«

Warum mochte der Notar wohl Herrn Summy Skim zu sehen wünschen? Wie jedermann in Montreal, kannte auch dieser den Notar Snubbin als einen vortrefflichen Mann, einen zuverlässigen und klugen Berater, der, ein Kanadier von Geburt, das am meisten in Anspruch genommene juristische Bureau der Stadt leitete, dasselbe, dessen Vorsteher vor sechzig Jahren der berühmte Notar Nick – eigentlich Nicolas Sagamore mit Namen – gewesen war, jener huronische Notar, der sich voller patriotischen Eifers der traurigen Angelegenheit eines gewissen Morgaz angenommen hatte, die gegen 1837 ein so weitreichendes Aufsehen erregte.1

Summy Skim erstaunte anfänglich ein wenig, als er das Schreiben des Notars Snubbin gelesen hatte, er machte sich aber sofort bereit, der Aufforderung zu folgen. Kaum eine halbe Stunde später hatte er den Bon-Secoursplatz überschritten und wurde in das Sprechzimmer des Notars eingeführt.

»Ah, guten Tag, Herr Skim,« sagte dieser aufstehend, »es ist mir eine Ehre, Sie zu begrüßen....

– Bitte.... ganz auf meiner Seite, antwortete Summy Skim, während er in der Nähe des Schreibtisches Platz nahm.

– Sie sind also der Erste, der gekommen ist, mein Herr Skim....

– Der Erste, sagen Sie, Herr Notar? Bin ich nicht der einzige, den Sie in Ihr Bureau bestellt haben?

– Ihr Vetter, der Herr Ben Raddle, antwortete der Rechtsgelehrte, hat einen mit dem Ihrigen gleichlautenden Brief erhalten.

– Dann darf es aber nicht ›hat‹, sondern es muß heißen ›wird ihn erhalten‹, erklärte Summy Skim. Ben Raddle befindet sich augenblicklich nicht in Montreal.

– Wird er denn bald zurückkehren? fragte Snubbin.

– Nach drei oder vier Tagen.

– Sapperment, das bedaure ich!

– Haben Sie uns denn eine so dringliche Mitteilung zu machen?

– In gewisser Beziehung, ja, antwortete der Notar. Doch.... nun ja.... ich werde Sie darüber aufklären und Sie teilen Herrn Ben Raddle nach seiner Heimkehr gefälligst mit, was ich Ihnen hier amtlich zu eröffnen habe.«

Der Notar setzte die Brille auf, durchblätterte einige auf dem Tische liegende Papiere und holte einen Brief daraus hervor. Ehe er ihn vorlas, stellte er aber noch die Frage:

»Herr Raddle und Sie, Herr Skim, sind doch die Neffen des Herrn Josias Lacoste?

– Gewiß. Meine Mutter und die Ben Raddles waren dessen Schwestern, doch seit ihrem Ableben – es mag sieben bis acht Jahre her sein – waren alle Beziehungen zu unserm Onkel so gut wie abgebrochen. Damals kamen Vermögensfragen ins Spiel, er selbst hatte Kanada verlassen und war nach Europa gereist. Kurz, seit jener Zeit haben wir keine Nachricht von ihm oder über ihn erhalten und wissen deshalb auch nicht, was aus unserm Onkel geworden ist.

– Er ist gestorben, erklärte Snubbin. Ich habe soeben die Mitteilung über sein am 16. Februar erfolgtes Ableben erhalten.«

Obwohl alle Verbindungen zwischen Josias Lacoste und seinen nächsten Verwandten seit langer Zeit unterbrochen gewesen waren, fühlte sich Summy Skim von dieser Nachricht doch schmerzlich berührt. Sein Vetter Ben Raddle und er hatten weder Vater noch Mutter mehr; beide waren, als einzige Söhne, auf diesen leiblichen Verwandten beschränkt und Summy Skim war überzeugt, daß außer Ben Raddle und ihm von seiner nähern Familie nun keiner mehr übrig sei. Gewiß hatten sie wiederholt zu erfahren gesucht, was aus ihrem Onkel geworden sein möchte, da sie es immerhin bedauerten, daß er jedes Band zwischen sich und den beiden Neffen zerschnitten hatte. Sie hofften auch immer, ihn noch einmal wiederzusehen, und nun hatte der Tod diese Hoffnung endgültig vernichtet.

Der von Natur wenig mitteilsame Josias Lacoste hatte immer einen Hang zu Abenteuerlichkeiten gezeigt. Aus Kanada war er schon vor zwanzig Jahren fortgegangen, um sein Glück in fremder Welt zu suchen. Ein Hagestolz, besaß er ein bescheidnes väterliches Erbteil, das er durch Spekulation zu vermehren hoffte. Ob ihm das wohl gelungen war? Hatte er sich nicht vielmehr ruiniert bei seiner bekannten Neigung, leicht alles auf eine Karte zu setzen? Es war doch sehr fraglich, ob da seinen Neffen als einzigen Erbberechtigten auch nur noch Brocken von seinem einstigen Vermögen zufielen.

Im Grunde hatte Summy Skim nie an dergleichen gedacht und er schien auch jetzt nicht mehr daran zu denken, wo er nur bekümmert war, den letzten Verwandten verloren zu haben.

Snubbin störte seinen Klienten nicht, sondern wartete, daß dieser Fragen an ihn stellen sollte, die er zu beantworten bereit war.

»Unser Onkel ist also am 16. Februar gestorben, Herr Notar? fragte dieser.

– Wie Sie sagen, Herr Skim, am 16. Februar.

– Das wäre demnach schon vor neunundzwanzig Tagen?

– Ganz recht. Es hat so langer Zeit bedurft, ehe die Meldung mich erreichte.

– Unser Onkel weilte damals also wohl in Europa.... tief drin in irgend einer entlegnen Gegend?

– Nein.... das nicht,« antwortete der Notar.

Er wies dabei gleich einen Briefumschlag vor, dessen Marken das Wappen Kanadas zeigten.

»Es handelt sich um einen Onkel aus Amerika, einen richtigen Onkel aus Amerika, wie die Europäer sagen, dessen Erben Sie beide sind. Nun gilt es nur noch zu wissen, ob dieser Onkel aus Amerika auch die klassischen Eigenschaften hatte, die man bei dieser Bezeichnung voraussetzt!

– Er befand sich also, fuhr Summy Skim fort, hier in Kanada, ohne daß wir etwas davon wußten?

– Jawohl, in Kanada, doch im entlegensten Teile der Dominion2, fast an der Grenze, die unser Land von dem amerikanischen Alaska scheidet und mit der die Verbindung ebenso langsam wie beschwerlich ist.

– Sie sprechen wohl von Klondike, Herr Notar?

– Ja, von Klondike, wo Ihr Onkel sich etwa seit zehn Monaten niedergelassen hatte.

– Seit zehn Monaten! wiederholte Summy Skim. Und als er damals auf dem Wege nach dem Minenbezirke durch Amerika reiste, ist es ihm nicht eingefallen, einmal wieder nach Montreal zu kommen, um seinen Neffen die Hand zu drücken!

– Ja, was glauben Sie? sagte dazu der Notar. Herr Josias Lacoste hatte es, wie tausende seinesgleichen, überaus eilig, in Klondike einzutreffen, ich möchte sagen, wie tausende von Kranken, die von dem Goldfieber ergriffen waren, das schon unzählige Opfer gefordert hat und noch weiter fordern wird. Aus allen Winkeln der Welt wälzt sich ja jetzt ein reiner Strom nach den Placers (den goldführenden Plätzen). Nach Australien kam Kalifornien, nach diesem das Transvaal an die Reihe; dem Transvaal folgte Klondike und nach Klondike werden es andre goldhaltige Länder sein und so bleibt es voraussichtlich bis zum Tage des Gerichtes.... ich meine natürlich des Jüngsten Gerichtes!«

Snubbin teilte Summy Skim nun alles mit, was er wußte.

Gegen Anfang des Jahres 1897 war Josias Lacoste mit der vollständigen Ausrüstung des Prospektors nach Dawson City, der Hauptstadt von Klondike, ge kommen. Seit Juli 1896 hatte sich nach der Entdeckung von Gold im Gold Bottom, einem Nebenflusse des Hunter, die Aufmerksamkeit jenen Gebieten zugelenkt. Im folgenden Jahre erschien auch Josias Lacoste an den Lagerstätten, wo schon eine Menge Goldgräber zusammengeströmt waren, die das letzte ihnen übrig gebliebne Geld für die Erwerbung eines Claims – einer beschränkten, ausschließlich dem Besitzer zur Ausbeutung überlassenen Stelle – zu opfern bereit waren. Einige Tage nach seiner Ankunft wurde er schon Eigentümer des Claims Nummer 129, der am Forty Miles Creek, einem Nebenarme der großen, Kanada und Alaska verbindenden Wasserader, des Yukonstromes, lag.

Snubbin fügte dem weiter hinzu:

»Aus dem mir zugegangnen Schreiben des Gouverneurs von Klondike habe ich übrigens nicht den Eindruck gewonnen, daß dieser Claim bisher die von Herrn Josias Lacoste erhoffte Ausbeute geliefert hätte. Immerhin scheint es nicht so, als ob er schon erschöpft wäre, und schließlich hätte Ihr Onkel davon doch noch den erwarteten Gewinn gehabt, wenn ihn nicht der Tod überrascht hätte.

– Vor Armut und Entbehrung ist unser Onkel also nicht gestorben? fragte Summy Skim.

– O nein, der Brief erwähnt wenigstens nichts davon, daß er so weit heruntergekommen wäre. Er ist dem unter dem dortigen Klima so gefährlichen Typhus erlegen, dem ja so viele zum Opfer fallen. Als bei ihm die Vorzeichen der Krankheit auftraten, hat Herr Lacoste seinen Claim verlassen; gestorben ist er dann in Dawson City. Da man wußte, daß er aus Montreal stammte, hat der Gouverneur mich aufgefordert, seine Familie auszukundschaften und sie von seinem Heimgange zu unterrichten. Herr Ben Raddle und Sie, Herr Skim, sind in Montreal zu bekannt, und ich füge hinzu, zu ehrenvoll bekannt, als daß in mir hätte ein Zweifel aufkommen können, an wen ich mich zu richten hätte, und so habe ich Sie beide ersucht, in meinem Bureau von den Ihnen an dem Nachlaß des Verschiedenen zustehenden Rechten Kenntnis zu nehmen!«

Von zustehenden Rechten! Über Summy Skims Züge flog ein Lächeln melancholischer Ironie. Er vergegenwärtigte sich das Leben Josias Lacostes bei einem so schwierigen und mühsamen Unternehmen. Sollte er nicht seine letzten Hilfsmittel daran gegeben haben, diesen Claim und obendrein vielleicht, wie so viele unkluge Prospektoren, zu übertriebenem Preise zu kaufen? War er nicht gar verschuldet, zahlungsunfähig verstorben? Solchen Gedanken nachhängend, sagte Summy Skim zu dem Notar:

»Lieber Herr Snubbin, es wäre ja möglich, daß unser Onkel in mißlichen Verhältnissen die Augen geschlossen hätte. In diesem Falle – ich verbürge mich auch für Vetter Raddle, der keiner andern Ansicht sein wird – werden wir keinen Flecken auf dem Namen unsrer Mutter haften lassen. Sind deshalb Opfer zu bringen.... wir werden nicht zaudern. Darum erscheint es mir geboten, baldigst ein Verzeichnis des Nachlasses aufzustellen....

– Da muß ich Sie unterbrechen, verehrter Herr Skim, fiel ihm der Notar ins Wort. Soweit ich Sie kenne, verwundern mich solche Gefühle bei Ihnen freilich nicht. Ich glaube aber auch nicht, daß es solcher von Ihnen angedeuteter Opfer bedürfen werde. Obwohl Ihr Onkel wahrscheinlich ohne Barvermögen gestorben ist, wollen wir nicht vergessen, daß er Eigentümer eines Claims am Forty Miles Creek war, und dieses Besitztum hat einen Wert, der jedenfalls genügt, alle Forderungen an seinen Nachlaß, wenn solche vorhanden wären, zu decken. Dieses Besitztum ist jetzt auf Sie und Ihren Vetter Ben Raddle zu gleichen Teilen übergegangen, da Sie die einzigen berechtigten Erben des Herrn Josias Lacoste sind.«

Snubbin setzte jedoch hinzu, es empfähle sich auf jeden Fall, mit einiger Vorsicht zu handeln. Das Erbe dürfe nur nach Regulierung und Kenntnisnahme des Nachlasses angetreten werden. Es sollten deshalb die Aktiva und die Passiva zusammengestellt werden und dann erst, wenn sie einen Überblick über die Sachlage hätten, brauchten sich die Erben zu entscheiden.

»Ich werde mir das Nötige angelegen sein lassen, Herr Skim, schloß er, und werde die zuverlässigsten Erkundigungen einziehen. – Doch, mein Gott, wer weiß?.... Ein Claim ist doch ein Claim, selbst wenn er bisher so gut wie nichts ergeben hat. Vielleicht bedarf es nur eines glücklichen Hiebes mit der Spitzaxt, die Tasche zum Überlaufen zu füllen, wie die Prospektoren sagen.

– Ganz recht, Herr Notar, antwortete Summy Skim, und wenn der Claim unsers Onkels einigen Wert hat, werden wir ihn zum besten Preise an den Mann zu bringen suchen.

– Natürlich, stimmte ihm der Notar bei, und ich hoffe, daß Sie darin mit Ihrem Herrn Vetter übereinstimmen.

– Darauf rechne ich von vornherein, erklärte Summy Skim. Ich kann mir nicht denken, daß Ben Raddle je zu der Idee kommen könnte, ihn selbst ausbeuten zu wollen.

– Ja, wer weiß das, mein Herr Skim? Herr Ben Raddle ist Ingenieur und ein unternehmender, kühner Mann. Er könnte sich doch versucht fühlen.... und wenn er nun zufällig hörte, daß der Claim Ihres Onkels nahe einer reichen Ader liege....

– Ich stehe dafür ein, Herr Snubbin, daß er sich gar nicht die Mühe nehmen wird, ihn zu besichtigen. Übrigens muß er binnen zwei bis drei Tagen zurück sein. Wir werden die Sache besprechen und Sie dann ersuchen, das Nötige zu veranlassen, entweder bezüglich des Verkaufs des Claims am Forty Miles Creek oder, was ich für wahrscheinlicher halte, ob wir Veranlassung haben, für den ehrlichen Namen unsers verstorbenen Onkels einzutreten.«

Mit dieser pessimistischen Schlußfolgerung verließ Summy Skim das Bureau des Notars, wobei er seinen nächsten Besuch nach zwei oder drei Tagen in Aussicht stellte, und kehrte dann nach dem Hause in der Jacques Cartierstraße zurück, das er und sein Vetter gemeinschaftlich bewohnten.

Summy Skim war der Abkömmling eines angelsächsischen Vaters und einer franko-kanadischen Mutter. Seine Familie reichte nachweisbar bis zur Zeit der Eroberung (1759) zurück. In Unterkanada im Bezirke Montreal ansässig, besaß sie hier große, einträgliche Ländereien, Wälder, Felder und Wiesen, die den größten Teil des Familienvermögens bildeten.

Zweiunddreißig Jahre alt, etwas über mittelgroß, von angenehmem Gesicht und der kräftigen Konstitution des die freie Luft gewohnten Mannes, mit seinen blauen Augen und dem blonden Barte, erschien Summy Skim als das ebenso ausgesprochene wie sympathische Musterbild eines Franko-Kanadiers, Eigenschaften, die er von der Mutter ererbt hatte. Sorg los und ohne ehrgeizige Ansprüche, lebte er von dem Ertrage seines Besitztums, ein »Gentleman-Farmer« dieses von der Natur bevorzugten Bezirkes der Dominion. Ohne gerade beträchtlich zu sein, gestattete ihm sein Vermögen, seinen bescheidnen Neigungen zu huldigen, und nie hatte er das Verlangen gespürt, sein Vermögen zu vermehren. Ein großer Freund des Fischfangs, stand ihm das ganze hydrographische Netz der Nebenarme und Zuflüsse des St. Lorenzo zur Verfügung, abgesehen von den zahlreichen Binnenseen, die sich im nördlicheren Amerika finden. Als eifriger Jäger konnte er ferner seiner Liebhaberei unbeschränkt auf den weiten Ebenen und in den wildreichen Waldungen nachgehen, die den größten Teil dieser Gegend Kanadas bedecken.

Das nicht luxuriöse, aber komfortable Haus, das die beiden Vettern besaßen, lag in einem der ruhigsten Stadtviertel Montreals, außerhalb des Getriebes der Industrie und des Handels. Hier verbrachten beide, immer sehnsüchtig die Wiederkehr der schönen Jahreszeit erwartend, die in Kanada so rauhe Winterszeit, obwohl dessen Breitenlage der des mittleren Europa entspricht.

Montreal, seit 1843 der Sitz der Regierung, hätte Summy Skim wohl Gelegenheit bieten können, sich in öffentlichen Angelegenheiten zu betätigen. Er war dazu aber von zu unabhängigem Charakter, hielt sich von den offiziellen Kreisen fern und verkehrte bei seinem Widerwillen gegen alle Politik auch niemals in der Gesellschaft hochstehender Beamten. Im übrigen fügte er sich gern der mehr scheinbaren als tatsächlichen Oberherrschaft Großbritanniens und hatte sich niemals an einer der Parteigruppen beteiligt, die eine Spaltung in die Dominion hineintragen. Kurz, er war ein Philosoph, der nach eignem Geschmacke zu leben vorzog und keinen Ehrgeiz irgendwelcher Art kannte.

Seiner Meinung nach mußte jede Veränderung seiner Lebensbedingungen belästigend und auf sein Wohlbefinden störend wirken.

Selbstverständlich hatte dieser Philosoph niemals an eine Eheschließung gedacht und dachte auch weiter nicht daran, obgleich schon zweiunddreißig Sommer über seinem Haupte dahingegangen waren. Ja, wäre ihm seine Mutter nicht entrissen – man weiß doch, wie es die Frauen lieben, kleine Enkel um sich zu sehen – hätte er vielleicht die nötige Anstrengung gewagt, sie mit einer Schwiegertochter zu beschenken. In diesem Falle hätte die betreffende Frau zweifellos die Neigungen Summy Skims geteilt. Unter den zahlreichen Familien Kanadas, die oft über zwei Dutzend Kinder zählen, hätte er, ob in der Stadt oder auf dem Lande, jedenfalls eine ihm passende einfache und gesunde Evastochter gefunden. Frau Skim war aber seit fünf Jahren – drei Jahre nach ihrem Gatten – verstorben und von da an hätte man unbesorgt darauf wetten können, daß ihren Sohn niemals Gelüste nach einer Ehe ankommen würden.

Sobald sich die Temperatur des rauhen Klimas von Montreal milderte und die frühzeitiger aufgehende Sonne die Rückkehr der schönen Jahreszeit verkündigte, trieb es Summy Skim, das Haus in der Jacques Cartierstraße zu verlassen. Er begab sich dann nach seiner zwanzig englische Meilen nördlich von Montreal gelegnen Farm Green-Valley am linken Ufer des St. Lorenzo. Hier nahm er dann sein Landleben wieder auf, das von der Unbill eines Winters unterbrochen gewesen war, der alle Wasserläufe in Eisesfesseln schmiedet und alle Ebenen mit einer dicken Schneedecke verhüllt. Dort befand er sich unter seinen Arbeitern, lauter braven, zum Teil schon seit einem halben Jahrhundert im Dienste seiner Familie ergrauten Leuten, die ihrem gütigen Herrn eine aufrichtige Zuneigung und unbeschränkte Ergebenheit entgegenbrachten, war ihr Herr doch immer freundlich und dienstbereit, selbst wenn er dazu die eigne Person einsetzen mußte. Sein Eintreffen gab allemal Veranlassung zu lauten Freudenbezeugungen, wie sein Scheiden zu lebhaft geäußertem Bedauern.

Das Besitztum Green-Valley lieferte einen jährlichen Ertrag von dreißigtausend Francs, in die sich die beiden Vettern teilten, denn die Farm hatten sie eben so gemeinschaftlich behalten wie das Haus in Montreal. Hier wurde ein an Futtergewächsen und Getreide ertragreicher Boden kultiviert und zu dessen Ertrag kam noch der von den prächtigen Wäldern, die noch heute das Gebiet der Dominion, vorzüglich in ihrem östlichen Teile, weithin bedecken. Die Farm umfaßte eine Gruppe gut eingerichteter und wohlerhaltner Häuser, Schuppen, Ställe, Geflügelhöfe usw. und alle nötigen Geräte von bester Art, die allen Anforderungen der modernen Landwirtschaft genügten. Nahe dem Eingange zu einer großen Einfriedigung, die Rasenflächen und Baumgruppen umschloß, erhob sich ein größres Landhaus, das trotz aller Einfachheit jede Bequemlichkeit bot und dem Gutsherrn als Sommerwohnung diente.

Das war die Stätte, wo Summy Skim am liebsten weilte und wo auch Ben Raddle in der schönen Jahreszeit einige flüchtige Tage verbrachte. Wenigstens der Erstgenannte hätte sie mit keinem noch so fürstlichen Schlosse eines steinreichen Amerikaners vertauschen mögen. So bescheiden die Wohnung auch war, ihm genügte sie vollständig und er dachte weder an ihre Vergrößerung noch an eventuelle Verschönerungen, da er mit denen zufrieden war, deren Unkosten die gütige Natur allein trug. Hier verflossen seine Tage unter Jagdausflügen und seine Nächte unter friedlichem Schlummer.

Contentus sua sorte (mit seinem Lose zufrieden), wie es die Weisheit empfiehlt, fühlte sich Summy Skim reich genug durch den Ertrag seiner Ländereien, den er planmäßig und einsichtig zu verwerten verstand. Wenn er auch darauf achtete, sein Vermögen nicht zu verringern, so kam es ihm doch gar nicht in den Sinn, es vergrößern zu wollen. Um keinen Preis der Welt hätte er sich in irgendeins der unzähligen Geschäfte eingelassen, die Nordamerika immer in einer Art Spannung erhalten, wie kommerzielle und industrielle Spekulationen Eisenbahnen, Banken, Bergwerke, Schiffahrtsgesellschaften u. a. m. Nein! Dieser Weise hatte einen Abscheu gegen alles, was mit einem Risiko verknüpft oder Zufälligkeiten ausgesetzt war. Sich zu binden, einen guten Erfolg oder einen Fehlschlag hinzunehmen, sich auf Gnade und Ungnade Möglichkeiten ausgesetzt zu fühlen, die kein Mensch verhindern, keiner voraussehen kann, am Morgen mit dem Gedanken »Bin ich heute reicher oder ärmer als gestern?« aufzuwachen, das wäre ihm zu widerwärtig erschienen und er hätte es dann vorgezogen, niemals einzuschlafen oder niemals aufzuwachen.

Zwischen den beiden Vettern bestand freilich ein sehr deutlicher Unterschied; gewiß waren sie beide von zwei Schwestern geboren und hatten sie französisches Blut in den Adern. Während Summy Skims Vater aber angelsächsischer Nationalität gewesen war, war der Ben Raddles ein geborner Amerikaner und zwischen dem Engländer und dem Yankee bestehen Unterschiede, die mit der Zeit immer mehr hervortreten. Wenn Jonathan und John Bull auch Verwandte sind, so sind sie das doch nur in entferntem Grade und diese Verwandtschaft scheint sich allmählich ganz verwischen zu wollen.

Ob die Verschiedenheit der Abstammung oder irgendwelche andre Ursache der Grund für die Ungleichheit ihrer Charaktere war, eins stand fest: daß die beiden, im übrigen einander warm zugetanen Vettern, die gewiß immer treu zusammenhielten, nicht dieselben Neigungen, dasselbe Temperament hatten.

Der etwas kleinere, braunhaarige und braunbärtige, um vier Jahre jüngre Ben Raddle betrachtete das Leben nicht unter demselben Gesichtswinkel wie sein Vetter Skim. Während der eine sich begnügte, als sorgenfreier Gutsherr zu leben und seine Ernten zu überwachen, verfolgte der andre eifrig die industrielle Entwicklung der Zeit. Nach Vollendung seiner Studien als Ingenieur war er schon bei einigen jener erstaunlichen Werke beteiligt gewesen, mit denen die Amerikaner sich durch die Kühnheit des Entwurfes und die Unverzagtheit der Ausführung über andre Nationen zu erheben trachten. Gleichzeitig stand sein Sinn auch nach Reichtum.... nicht nach dem bescheidnen Wohl stand unsrer mittelmäßigen Millionäre, sondern nach dem Goldstrome der Milliardäre Amerikas. Die fabelhaften Vermögen eines Gould, Astor, Vanderbilt, Rockefeller, Carnegie, Morgan und so mancher andrer, die hatten es ihm angetan. Er träumte stets von außergewöhnlichen Gelegenheiten, die einen wohl in wenigen Tagen sozusagen das Kapitol ersteigen lassen, ihn aber auch zuweilen in wenigen Stunden den tarpejischen Felsen hinunterstürzen. Und während Summy Skim, abgesehen von seiner jährlichen Übersiedlung nach Green-Valley, ein Feind von Ortsveränderungen war, hatte Ben Raddle schon viele Male die Vereinigten Staaten durchstreift, die Fahrt über den Atlantischen Ozean gemacht und einen Teil Europas besucht, ohne bisher jemals die bewußte »große Gelegenheit« beim Schopfe fassen zu können. Erst unlängst war er von einer weiten überseeischen Reise zurückgekehrt und seitdem gönnte er sich keine Minute Ruhe, sondern lauerte immer auf das geträumte ungeheure Unternehmen, woran er sich beteiligen könnte.

Dieser Widerspruch ihrer Neigungen machte Summy Skim heimlich rechten Kummer. Er fürchtete immer, daß Ben Raddle sich einmal gezwungen sehen würde, ihn zu verlassen, oder daß er das mäßige Vermögen, das ihnen beiden Unabhängigkeit und Freiheit sicherte, durch ein abenteuerliches Unternehmen verschlungen sehen könnte.

Das bildete auch unablässig den Gegenstand des Gesprächs der beiden Vettern.

»Sage mir nur, Ben, bemerkte gelegentlich Summy Skim, wozu dient es, sich den Kopf zu zerbrechen über das, was du so pomphaft ›große Geschäfte‹ nennst?

– Das dient dazu, reich zu werden, sehr reich zu werden, Summy, antwortete Ben Raddle.

– Ha, by God! Vetter, was hat einer davon, so reich zu sein? So viel braucht man doch nicht, in Green-Valley glücklich zu leben. Was würdest du denn mit so vielem Gelde anfangen?

– O, neue und noch bedeutendere Unternehmungen, lieber Vetter.

– Zu welchem Zwecke?

– Noch mehr Gold anzuhäufen, das ich dann zu noch umfänglicheren Geschäften verwenden würde.

– Und so weiter?

– Richtig.... und so weiter.

– Bis zum seligen Ende, nicht wahr? bemerkte Summy Skim ironisch.

– Bis zum letzten Atemzuge, Summy,« schloß Ben Raddle, ohne aus seiner Ruhe zu kommen, das Zwiegespräch, während sein Vetter, der nichts mehr zu erwidern wußte, verzweifelt die Arme zum Himmel emporstreckte.

Fußnoten

1 Diese Ereignisse sind in den »Außerordentlichen Reisen« in dem Romane »Die Familie ohne Namen« ausführlich geschildert.

2 Der offizielle Name Kanadas.

Zweites Kapitel.

Summy Skim wider Willen auf abenteuerlichem Pfade.

Inhaltsverzeichnis

In seinem Heim angelangt, beschäftigte sich Summy Skim mit den ihm zunächst liegenden Aufgaben und Pflichten. Er mußte den Bekannten der Familie Mitteilung machen, sich für die Trauer ausrüsten und die kirchlichen Feierlichkeiten bestellen, die in der Parochie bei Todesfällen Sitte waren.

Was die Ordnung der seinen Onkel persönlich betreffenden Angelegenheiter anging, war es noch Zeit, darüber mit Herrn Snubbin eingehend zu sprechen wenn die beiden Vettern sich über ihre Entschließung geeinigt hatten und der Notar im Besitze der telegraphisch verlangten Unterlagen war, die es ihm ermöglichten, über die Hinterlassenschaft ein Verzeichnis aufzustellen.

Ben Raddle kam erst nach fünf Tagen, am 21. März, nach Montreal zurück, nachdem er sich einen Monat in New York aufgehalten hatte, wo zwischen ihm und mehreren andern Ingenieuren das Riesenprojekt einer Brücke beraten worden war, die, den Hudson überspannend, die Metropole mit New Jersey verbinden sollte.

Ben Raddle hing mit allen Fasern seines Herzens an dieser Arbeit, die ja geeignet war, einen Ingenieur zu begeistern. Die Errichtung der Brücke schien jedoch nicht so nahe bevorzustehen. Wohl sprach man davon in allen Journalen und studierte man die Sache auf dem Papier, mindestens vergingen aber voraussichtlich ein, vielleicht zwei Jahre, ehe es zur Ausführung der Arbeit kam. Daraufhin eben hatte sich Ben Raddle zur Heimreise entschlossen.

Sein Ausbleiben war Summy Skim recht lang vorgekommen. Wie oft bedauerte er, den Vetter nicht zu seinen Anschauungen bekehren, ihn nicht veranlassen zu können, ein friedliches, sorgenfreies Leben der jetzigen aufreibenden Existenz vorzuziehen. Die Geschichte mit der Hudsonbrücke steigerte nur noch seine Beunruhigung. Beteiligte sich Ben Raddle bei der Ausführung dieses Projektes, so fesselte ihn das vielleicht jahrelang an New York und er, Summy Skim, würde dann allein sein in dem gemeinschaftlichen Hause und allein auch in Green-Valley.

Gleich nach dem Eintreffen des Ingenieurs meldete sein Vetter ihm das in Dawson City erfolgte Ableben ihres Onkels Josias Lacoste, der als einziges Vermögen den Claim Nummer 129 am Ufer des Forty Miles Creek im Gebiete von Klondike hinterlassen hatte.

Bei dem letzten Namen, der jetzt eben in aller Munde war, spitzte der Ingenieur die Ohren. Wahrscheinlich vernahm er nicht mit der schönen Gemütsruhe Summy Skims die Mitteilung, in Zukunft Eigentümer eines goldführenden Erdenfleckchens zu sein. Wie er darüber dachte, das sprach er im ersten Augenblicke übrigens nicht aus.

Bei seiner Gewohnheit, sich all und jedes gründlich zu überlegen, wollte er das auch jetzt tun, bevor er sich über die Angelegenheit äußerte.

Vierundzwanzig Stunden genügten ihm, das Für und Wider abzuwägen, und beim Frühstück am nächsten Morgen interpellierte er ohne Vorrede Summy Skim, den er tief in Gedanken versunken fand.

»He, Vetter, begann er, wie wär's denn, wenn wir ein wenig von Klondike sprächen?

– Ja, wenn sich's nur darum handelt, ein wenig....

– Na, ein wenig oder auch viel, lieber Summy.

– Gut, wie es dir gefällt, mein lieber Ben.

– Der Notar hat dir die Eigentumsdokumente betreffs des Claims Nummer 129 wohl noch nicht vorgewiesen?

– Nein, antwortete Summy Skim, ich hielt es auch für nutzlos, davon Kenntnis zu nehmen.

– Na ja, daran erkenn' ich meinen herzensguten Summy! rief Ben Raddle lachend.

– Wozu sollte es dienen? entgegnete ihm Summy Skim. Mir scheint gar kein Anlaß vorzuliegen, sich wegen dieser Sache Scherereien zu machen. Es ist doch höchst einfach: Entweder hat der Nachlaß einigen Wert, dann werden wir ihn so vorteilhaft wie möglich veräußern, hat er aber – und das halte ich für weit wahrscheinlicher – keinen solchen, nun, so bekümmern wir uns um die ganze Sache nicht weiter.

– Ja, ja, du hast recht, stimmte ihm Ben Raddle zu. Doch uns treibt ja nichts.... so ein Placer.... man weiß doch manchmal nicht.... Man hält ihn für wertlos, für erschöpft.... und siehe da, ein Spitzaxthieb beschert dir ein Vermögen.«

Bei diesen Worten gab es Summy Skim einen recht schmerzlichen Stich.

»Nun, lieber Ben, sagte er, wärmer werdend, das müssen doch die Leute dort, die, die gegenwärtig die berühmten Goldfundstätten von Klondike ausbeuten, am allerbesten wissen. Ist der Claim am Forty Miles Creek überhaupt etwas wert, dann, ich wiederhole es dir, dann versuchen wir, ihn zum günstigsten Preise an den Mann zu bringen. Wie ist aber anzunehmen, daß unser Onkel Lacoste die Welt gerade verlassen haben sollte, wo er vielleicht im nächsten Augenblicke hätte Millionär werden können?

– Darüber müssen wir erst Klarheit haben, antwortete Ben Raddle. Der Beruf des Prospektors ist reich an derartigen Überraschungen. Man kann doch jede Minute eine glückliche Ader entdecken, das soll nicht etwa heißen, die Aussicht auf einen Zufall, sondern sie, die Goldader selbst, die an Pepiten Überfluß hat. Jedenfalls gibt es, das wirst du ja nicht bestreiten, doch nicht gar so wenige Goldsucher, die sich wahrlich nicht zu beklagen haben.

– Jawohl, antwortete Summy Skim, einen auf hundert, auf tausend, vielleicht auf hunderttausend, und was haben sie darum für Sorge und Mühe, ich möchte hinzufügen, für Elend in Kauf nehmen müssen!

– Ach, das sind billige Redensarten, Summy, sagte Ben Raddle, nichts als Redensarten! Ich gebe da nichts auf die Schreibereien der Blätter, nein, ich halte mich an Tatsachen, nur an Tatsachen.«

Summy Skim erkannte, ohne sich darüber zu wundern, wo sein Vetter hinaus wollte; darum schlug er nochmals das frühere Thema an und die ewige Diskussion darüber begann von neuem.

»Sage mir, lieber Vetter, genügt die Erbschaft, die wir nach dem Ableben unsrer Eltern gemacht haben, uns wirklich nicht? Sichert dieses Erbteil nicht unsre Unabhängigkeit, unser Wohlbefinden? Wenn ich so zu dir rede, geschieht es, weil ich bemerke, daß du der Sache mehr Gewicht beilegst, als sie verdient. Ich bitte dich, sind wir denn nicht vermögend genug?

– Nein, niemals genug, solange man noch vermögender werden kann.

– Wenigstens wenn man nicht schon gar zu reich ist, Ben, so reich wie gewisse Milliardäre, die ebensoviele Unannehmlichkeiten wie Millionen haben und denen es, ihre Schätze zusammenzuhalten, jetzt mehr Mühe kostet als früher deren Erwerbung.

– O, nur gemach, nur gemach! erwiderte Ben Raddle, die Philosophie ist ja eine recht schöne Sache, mißbrauchen sollte man sie aber doch nicht. Du brauchst für mich auch nicht zu sagen, was ich ja selbst nicht sage. Es fällt mir nicht ein, zu erwarten, daß das Gold aus dem Claim unsers Onkels tonnenweise hervorquillt; über die Verhältnisse möchte ich mich aber wenigstens unterrichten.

– Natürlich werden wir das tun, lieber Ben, das ist ja schon ausgemacht, und gebe nur der Himmel, daß wir, wenn uns die verlangte Aufklärung zuteil geworden ist, nicht einer verfahrenen Sachlage gegenüberstehen und aus Rücksicht für unsre Familie zu deren Ordnung einspringen müssen. In diesem Falle habe ich dem Notar Snubbin schon zugesagt....

– Ja ja, daran hast du ganz recht getan, Summy, unterbrach ihn Ben Raddle. Mir erscheint es nur überflüssig, schon eine solche Zwangslage ins Auge zu fassen, denn in eine solche kommen wir wahrscheinlich doch nicht. Wären Gläubiger vorhanden, so hätten sie sich gewiß schon gemeldet. Laß uns lieber von Klondike sprechen. Du kannst mir wohl glauben, daß ich nicht erst etwas von jenen Erzlagern zu hören brauche. Obwohl sie erst seit kaum zwei Jahren ausgebeutet werden, habe ich doch alles gelesen, was über deren Bodenschätze veröffentlicht worden ist, und ich sage dir, Dinge, die auch die waschechteste Gleichgültigkeit aufrütteln müßten. Nach Australien, Kalifornien und Südafrika hätte man ja annehmen können, daß unsre Erdkugel keine weitern Placers enthielte. Da kommt der plumpe Zufall und läßt in jenem Teile Nordamerikas, nahe den Grenzen von Alaska und der Dominion, doch noch neue entdecken, ja es scheint sogar, als ob die nördlichen Gebiete Amerikas in dieser Hinsicht allen übrigen voranstünden. Goldminen finden sich nicht allein in Klondike, sondern auch in Ontario, auf Michipicoton und in Britisch-Kolumbien, wo schon große Gesellschaften entstanden sind, wie die War Eagle, Standard, Sullivan Grup, Alhabarka, die Ferm, das Syndicate, der Sans-Poel, Cariboo, der Trail, die Georgi-Reed und noch manche andre, deren Aktien alle hoch über Nennwert stehen, ohne von den Silber-, Kupfer- und Manganminen, den Eisen- und den Kohlengruben zu sprechen. Was insbesondre Klondike angeht, so denke, Vetter Summy, an die Ausdehnung dieses goldhaltigen Gebietes, das zweihundertfünfzig Meilen (400 km) Länge ungefähr bei vierzig Meilen (64 km) Breite aufweist, und das allein innerhalb der Dominion, ohne von den Goldlagern in Alaska zu reden. Ist dort der Tätigkeit des Menschen nicht ein ungeheures Feld eröffnet, das größte vielleicht, das es überhaupt auf Erden gibt? Wer weiß denn, ob die Ausbeute jener Gegenden einst nicht Millionen, nein, Milliarden wertet?«

Ben Raddle hätte über derlei Dinge noch lange sprechen können, Summy Skim hörte darauf doch nur mit halbem Ohr. Mit den Schultern zuckend, begnügte er sich zu erwidern:

»Ich bitte dich, Ben.... das liegt ja auf der Hand.... Du hast Fieber!

– Was?.... Ich hätte Fieber?

– Ja, das unselige Goldfieber wie so viele andre, ein Fieber, das leider kein dreitägiges ist und das man nicht mit schwefelsaurem Chinin heilen kann.

– O, sei nur ganz ruhig, mein lieber Summy, antwortete Ben Raddle lächelnd. mein Puls schlägt nicht schneller als gewöhnlich. Ich würde mir auch Vorwürfe machen, deine kostbare Gesundheit dadurch zu gefährden, daß ich dich der Berührung mit einem Fieberkranken aussetzte.

– Ach, ich.... ich bin geimpft, erwiderte Summy Skim in gleichem Tone, ich sehe aber mit Schmerzen – das kann ich dir nicht verhehlen – dich in hohle Träumereien verlieren, die zu nichts Gutem führen und dich nur ins Unglück stürzen können....

– Woran erkennst du das? fiel ihm Ben Raddle ins Wort. Vorläufig ist doch nur davon die Rede, die Sachlage gründlich kennen zu lernen und dann daraus so viel wie möglich Nutzen zu ziehen. Du glaubst natürlich, unser Onkel habe mit seinen Spekulationen kein Glück gehabt. Freilich ist es möglich, daß der Claim am Forty Miles Creek ihm mehr Schlamm als Goldkörner geliefert hätte. Vielleicht fehlte es ihm aber an den zur Ausbeutung unentbehrlichen Hilfsmitteln, vielleicht ging er nicht so planmäßig vor, wie es ein andrer....

– Ein Ingenieur getan hätte, nicht wahr, Ben?

– Gewiß, ein Ingenieur....

– Zum Beispiel du selbst?

– Warum nicht? antwortete Ben Raddle. Übrigens handelt es sich um eine solche Frage gegenwärtig noch gar nicht; jetzt gilt's nur, Aufklärung zu erhalten, weiter nichts. Wissen wir erst, wie es sich mit dem Werte des Claims verhält, so werden wir ja sehen, was ferner zu tun ist.«

Das Gespräch wurde hiermit abgebrochen. Gegen die Vorschläge Ben Raddles ließ sich ja im ganzen nichts einwenden, es war doch so natürlich, sich vor jeder weitern Entscheidung von der Lage der Dinge Kenntnis zu verschaffen. Daß der Ingenieur ein ernster, verständiger und praktischer Mann sei, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Dennoch beunruhigte und betrübte es Summy nicht weniger, seinen Vetter sich mit einem solchen Eifer auf eine Beute stürzen zu sehen, die sich seinem ehrgeizigen Streben so unvermutet darbot. Ob es ihm – Summy – wohl gelingen würde, ihn im Zaume zu halten? Jedenfalls wollte er sich nicht von Ben Raddle trennen. Ihre Interessen blieben gemeinschaftlich, was auch kommen mochte. Insgeheim wetterte er aber doch gegen den unseligen Einfall des Onkels Josias, dem Glücke in Klondike nachzujagen, wo nur Elend und Not seiner harrten, und er hegte den dringenden Wunsch, die verlangten Mitteilungen möchten so ausfallen, daß keine Veranlassung vorläge, der Angelegenheit weiter Folge zu geben.

Am Nachmittage begab sich Ben Raddle ins Bureau des Notars und nahm hier Einsicht in die Besitzdokumente, die er vollkommen in Ordnung fand. Auf einem in großem Maßstabe ausgeführten Plan war die Lage des Claims Nummer 129 deutlich zu erkennen. Er befand sich zweiundvierzig Kilometer weit vom Fort Cudahy, einer von der Hudsonbai-Kompagnie gegründeten Ortschaft am rechten Ufer des Forty Miles Creek, eines der zahllosen Zuflüsse des Yukon, dieses mächtigen Stromes, der nach Bewässerung der westlichen Gebietsteile der Dominion ganz Alaska durchfließt und dessen in seinem Oberlaufe englische Fluten weiter stromabwärts amerikanisch geworden sind, seit jenes ausgedehnte Gebiet von Rußland an die Vereinigten Staaten abgetreten worden war.

»Sie haben hier wohl eine merkwürdige Eigentümlichkeit nicht bemerkt, Herr Notar, sagte Ben Raddle nach Besichtigung der Plankarte. Der Forty Miles Creek schneidet, ehe er in den Yukon mündet, den als Grenzlinie zwischen der Dominion und Alaska angenommenen hundertvierzigsten Meridian und dieser Längengrad fällt genau mit der Westgrenze unsers Claims zusammen, der also mathematisch an der gemeinschaftlichen Grenze der beiden Länder liegt.

– Ja ja, das stimmt, bestätigte Snubbin.

– Und diese Lage, fuhr Ben Raddle nach weiterer Prüfung des Planes fort, erscheint mir auf den ersten Blick als keine schlechte. Es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß der Forty Miles Creek von der Natur weniger begünstigt sei als der Klondikefluß oder sein Nebenzweig, die Bonanza, oder auch als die unbedeutenderen Zuflüsse, die Viktoria, der Eldorado und wie die übrigen so ergiebigen Rios heißen, die von den Goldgräbern so gesucht sind.«

Ben Raddle verschlang buchstäblich mit dem Blicke die wunderbare Gegend, deren hydrographisches Netz das kostbare Metall in so großer Menge mit sich führt, das Metall, das nach der Taxe in Dawson City die Tonne zwei Millionen dreihundertzweiundvierzigtausend Francs (1,873.600 Mark) wert ist.

»Verzeihen Sie eine Frage, Herr Raddle, begann da der Notar. Darf ich annehmen, daß es Ihre Absicht ist, den Placer des seligen Herrn Josias Lacoste selbst zu bearbeiten?«

Ben Raddle antwortete mit einer ausweichenden Bewegung.

»Wenn nun Herr Skim.... fuhr Snubbin fort.

– Summy hat sich darüber noch nicht aussprechen können, erklärte Ben Raddle sehr bestimmt, und ich.... ich halte meine Meinung darüber zurück, bis wir alle erforderliche Aufklärung über die Sachlage haben.... wenn dann eine persönliche Besichtigung nötig erschiene....

– Könnten Sie wirklich daran denken, die weite Reise nach Klondike zu unternehmen? fragte Snubbin, den Kopf zurückwerfend.

– Ja, warum denn nicht? Wie Summy auch darüber denken mag, meiner Ansicht nach ist die Sache doch einiger Bemühung wert. Einmal in Dawson City angekommen, würde man ja bald klar sehen lernen, und wenn sich's nur um den Verkauf des Claims, nur darum handelte, eine Schätzung seinesWertes zu gewinnen, meinen Sie, Herr Notar, nicht, daß es sich dazu empfähle, ihn aufgesucht zu haben?

– Erscheint Ihnen das wirklich so nötig? bemerkte Snubbin dazu.

– Gewiß, und wär's auch nur, um einen Käufer zu finden.«

Der Notar wollte eben antworten, er wurde daran aber durch den Eintritt eines Depeschenboten verhindert.

»O, wenn's nur das ist, sagte er nach der Entfaltung des Telegramms.... hier.... hier sehen Sie, was Ihnen die Beschwerden einer solchen Reise ersparen kann.«

Damit händigte der Notar seinem Klienten ein Telegramm ein, das aus der Zeit vor acht Tagen datiert und das nach seiner Beförderung von Dawson City nach Vancouver über die Telegraphenlinien der Dominion endlich in Montreal eingetroffen war.

Nach dem Wortlaute dieses Telegramms machte die Anglo-American Transportation and Trading Co. (Chicago-Dawson), ein amerikanisches Syndikat und bereits Besitzerin von sieben Claims, deren Bearbeitung ein gewisser Kapitän Healey leitete, für die Erwerbung des Claims Nummer 129 am Forty Miles Creek das feste Angebot von fünftausend Dollars, die sofort nach Eintreffen eines die Annahme dieses Gebotes zusagenden Telegramms nach Montreal abgesendet werden sollten.

Ben Raddle hatte die Depesche vor sich entfaltet und durchlas sie mit derselben Aufmerksamkeit wie vorher die Besitztitel.

»Nun, was sagen Sie dazu, Herr Raddle? fragte der Notar.

– Vorläufig gar nichts, antwortete der Ingenieur. Ist denn das ein angemessener Preis? Fünftausend Dollars für einen Claim in Klondike!

– Ich dächte, fünftausend Dollars wären eine ganz nette Summe.

– Es sind aber keine zehntausend, Herr Snubbin.

– Das ist freilich wahr. Ich vermute aber doch, daß Herr Skim....

– Summy wird stets meiner Ansicht sein, wenn ich sie mit guten Gründen unterstützen kann. Und wenn ich ihm auseinandersetze, daß diese Reise notwendig ist, wird er sie unternehmen, verlassen Sie sich darauf.

– Er?.... rief Snubbin, er, einer der glücklichsten, unabhängigsten Menschen, die je ein Notar in seiner Praxis angetroffen hat?

– Ja, wenn ich diesem Glücklichen, diesem Vorbilde von Unabhängigkeit aber beweise, daß er sein Glück, seine Unabhängigkeit noch verdoppeln kann....

Übrigens, was wagen wir denn dabei?.... Die von jenem Syndikate gebotene Summe könnten mir doch allemal noch annehmen.«

Als Ben Raddle das Bureau verlassen hatte, schlug er, immer in Nachdenken darüber, welchen Entschluß er fassen sollte, den kürzesten Weg nach Hause ein. Vor der Wohnstätte in der Jacques-Cartierstraße angekommen, war er mit sich ins Reine gekommen und begab sich nun sofort nach der Wohnung seines Vetters.

»Nun, fragte dieser, hast du denn unsern Herrn Snubbin gesprochen?.... Gibt es etwas Neues?

– Etwas Neues, ja, Summy, und auch neue Nachrichten.

– Gute?

– Ganz vortreffliche.

– Hast du die Besitzdokumente durchgesehen?

– Wie sich's gebührt. Die waren in bester Ordnung. Wir sind mit Fug und Recht die Eigentümer des Claims Nummer 129.

– Na, das wird unser Vermögen auch arg vermehren, bemerkte Summy Skim lachend.

– Mehr, als du vielleicht denkst,« erklärte der Ingenieur ernst.

Damit überreichte Ben Raddle seinem Vetter die Depesche der Anglo-American Transportation and Trading Company.

»Das ist ja herrlich! rief dieser. Da wollen wir nicht zaudern. Laß uns den Claim dieser so kulanten Gesellschaft abtreten und das so schnell wie möglich!

– Warum denn für den Preis von fünftausend Dollars etwas abtreten, was möglicherweise viel mehr wert ist? erwiderte Ben Raddle.

– Ja, mein lieber Ben, ich dächte doch....

– Nein, nein, ich sage dir, so verfährt man in Geschäftsangelegenheiten nicht. Um eine Sache beurteilen zu können, muß man sie gesehen, mit den eignen zwei Augen gesehen haben.

– Du bestehst also noch immer darauf?

– Mehr als je. Bedenke doch, Summy: Wenn man uns dieses Kaufsanerbieten macht, geschieht das, weil man den Wert des Claims kennt und weil dieser Wert ein weit, weit höherer ist. Es fehlt ja nicht an andern käuflichen Placers längs der Rios oder in den Berggegenden von Klondike.

– Weißt du das so genau?

– Und wenn eine Gesellschaft, fuhr Ben Raddle, unbeirrt durch diese Zwischenfrage, fort, die schon eine Anzahl Claims besitzt, gerade den unsrigen erwerben will, so hat sie nicht fünftausend Gründe, fünftausend Dollars dafür zu bieten, sondern zehn-, nein, hunderttausende.

– Nein nein, eine Million, zehn Millionen, hundert Milliarden, fuhr Summy ironisch fort. Wahrhaftig, Ben, du spielst nur so mit den Zahlen!

– Die Zahlen.... die Zahlen.... die bestimmen das Leben, mein Lieber, und mir scheint, du rechnest etwas zu wenig.

– Vielleicht weil du gar zu viel rechnest.

– Ich bitte dich, lieber Summy, ich spreche jetzt in vollem Ernste. Vorher zögerte ich noch wegen der Reise, seit dem Empfang dieser Depesche bin ich aber entschlossen, meine Antwort persönlich abzugeben.

– Was?.... Du willst wirklich nach Klondike reisen?

– Jawohl.

– Ohne noch nähere Mitteilungen abzuwarten?

– Ich werde mich schon an Ort und Stelle weiter unterrichten.

– Und mich willst du hier allein lassen?

– O nein, denn du wirst mich ja begleiten.

– Ich?

– Ja, du.

– Nimmermehr!

– O doch; die Sache geht ja uns beide an.

– Ich erteile dir die weitgehendste Vollmacht.

– Die nehme ich nicht an; ich bedarf deiner persönlichen Anwesenheit.

– Eine Reise von zweitausend Lieues?....

– Das nicht. Es sind ihrer ja nur zweitausendfünfhundert.

– Allgütiger Gott! Wie lange soll die wohl dauern?

– O, nur so lange wie nötig. Es könnte ja der Fall eintreten, daß unser Interesse es erforderte, nicht den Claim zu verkaufen, sondern ihn selbst auszubeuten.

– Auch das noch.... selbst ausbeuten? rief Summy ganz außer Fassung. Dann verginge darüber eingan zes Jahr....

– Oder auch zwei, wenn das angezeigt erscheint.

– Zwei Jahre! Zwei Jahre! wiederholte Summy Skim fast jammernd.

– Nun, was ist dabei? erwiderte Ben Raddle, wenn nun jeder Monat, jeder Tag, jede Stunde unser Vermögen vermehrte?

– »Nein.... nein! Daraus wird nichts!« rief Summy Skim, der, sich zusammenduckend, in seinen Lehnstuhl niedersank wie einer, der entschlossen ist, nie wieder davon aufzustehen.

Er hatte es jedoch mit einem übermächtigen Gegner zu tun. Ben Raddle ließ ihn gewiß nicht aus seinen Fängen los, als bis er dem Vetter seine Zustimmung abgerungen hatte.

»Nun, was mich betrifft, Summy, schloß der Ingenieur, steht es fest, daß ich mich nach Dawson City begebe, und ich kann nicht glauben, daß du dich weigern solltest, mich zu begleiten. Du hast überhaupt hier viel zu lange still gesessen.... du mußt dir auch ein bißchen die Welt ansehen!

– O, entgegnete Summy, wenn ich dazu Lust verspürte, gäb' es in Amerika oder in Europa noch andre Gegenden zu besuchen. Jedenfalls würde ich den Anfang nicht damit machen, mich bis ins Herz jenes entsetzlichen Klondike zu verlaufen!

– Ach, das würdest du bezaubernd schön finden, wenn du dich erst überzeugt hättest, daß es mit Goldpulver bestreut und mit Goldklümpchen gepflastert ist.

– Ben, mein lieber Ben, flehte Summy Skim, du ängstigst mich, wahrhaftig, du erschreckst mich! Du willst dich da in eine Geschichte einlassen, die dir nur Gefahren und Enttäuschungen in Aussicht stellt.

– Das wird sich ja zeigen.

– Da ist zuerst dieser unselige Claim, der gewiß nicht so viel wert ist wie ein Gartenbeet mit Weißkohl drauf!

– So?.... Wie käme denn jene Gesellschaft dann dazu, uns mehrere tausend Dollars dafür zu bieten?

– Und wenn ich mir dann vorstelle, Ben, diesen lächerlichen Claim in einem Lande aufsuchen zu müssen, wo die Temperatur gelegentlich bis fünfzig Grad unter Null sinkt!

– O, da werden wir Feuer machen.«

Ben Raddle wußte auf alles eine Antwort. Die Angst seines Vetters rührte ihn nicht im mindesten.

»Aber Green-Valley, Ben; denkst du daran gar nicht?

– O, an Wild fehlt es nicht auf den Ebenen und an Fischen nicht in den Flüssen von Klondike. Du wirst da jagen und angeln in einem neuen Lande, das dir viele Überraschungen bereiten wird.

– Aber unser Gesinde, unsre braven Landarbeiter, die uns doch erwarten, seufzte Summy Skim.

– Hätten die denn Ursache, unser Ausbleiben zu bedauern, wenn wir reich genug zurückgekehrt sind, ihnen andre Farmen zu errichten und den ganzen Bezirk anzukaufen?«

Summy Skim mußte sich am letzten Ende für besiegt erklären. Nein, allein konnte er seinen Vetter nun einmal nicht nach Klondike reisen lassen. Er würde ihn also begleiten, wär's auch nur, um ihn bald wieder zur Heimkehr zu veranlassen. Über die Telegraphenlinien der Dominion flog an demselben Tag eine Depesche an den Kapitän Healey, die dem Direktor der Anglo-American Transportation and Trading Company, Dawson City, Klondike, die demnächst erfolgende Abreise der Herren Ben Raddle und Summy Skim, der Eigentümer des Claims Nummer 129, anzeigte.

Drittes Kapitel.

Unterwegs.

Inhaltsverzeichnis
Auf der kanadischen Pacificbahn können Vergnügungs- und Handelsreisende Auswandrer und nach Klondike gehende Goldsucher ohne Wagenwechsel, ohne die Dominion oder Britisch-Kolumbien zu verlassen, von Montreal nach Vancouver gelangen. Hier in der Hauptstadt Kolumbiens eingetroffen, haben sie verschiedne Wege, zu Lande, zur See oder auf Strömen, zur Auswahl und können da auch die verschiednen Beförderungsarten – Schiffe, Reitpferde, Wagen nebst einem Stück Fußwanderung – für einen großen Teil der Strecke kombinieren.

Nachdem nun die Reise beschlossen war, konnte Summy Skim alle Vorbereitungen dazu, die Besorgung aller Bedürfnisse für die Fahrt, die Wahl der Wege usw., seinem Vetter Ben Raddle überlassen. Das war ja recht eigentlich die Sache dieses ehrgeizigen, aber intelligenten Ingenieurs, des einzigen Anstifters dieses Unternehmens, dem dafür alle Verantwortlichkeit zufiel und der sie auch auf sich nahm.

Vor allem andern erklärte Ben Raddle, daß die Abreise nicht verzögert werden dürfe. Es war besonders wichtig, daß die Erben Josias Lacostes zu Anfang des Sommers in Klondike waren, des Sommers, der diese hochnördlichen Landstriche, die schon an den Polarkreis grenzen, nur wenige Monate etwas erwärmt.

Als er die Zusammenstellung der auch für den Bezirk des Yukon gültigen kanadischen Berg- und Grubengesetze studierte, hatte er nämlich in deren neuntem Artikel folgendes gelesen:

»Jeder Claim fällt wieder dem Staate anheim, der in der schönen Jahreszeit nicht binnen fünfzehnmal vierundzwanzig Stunden in Bearbeitung genommen worden ist, wenn der Kommissar, der auch zu entscheiden hat, von wann an die schöne Jahreszeit zu rechnen ist, keine besondre Erlaubnis zum spätern Betriebsanfange erteilt hat.«

Die schöne Jahreszeit tritt aber, wenn sie nicht einmal vorzeitig beginnt, mit der zweiten Hälfte des Mai ein. Kam es dann binnen vierzehn Tagen nicht zu einer Bearbeitung des Claims Nummer 129, so fiel das Besitztum Josias Lacostes an die Dominion zurück und höchstwahrscheinlich verfehlte das amerikanische Syndikat nicht, der Behörde die Überschreiung der gesetzlichen Frist für den Arbeitsbeginn an dem Claim mitzuteilen, dessen Besitz sie zu erwerben trachtete.

»Du begreifst, Summy, erklärte Ben Raddle, daß wir uns da von keinem den Rang ablaufen lassen dürfen.

– Ich begreife alles, Ben, was du von mir begriffen zu sehen wünschest.

– Um so mehr, setzte der Ingenieur dazu, weil ich vollkommen recht habe.

– Das bezweifle ich ja gar nicht, Ben. Übrigens habe ich nichts dagegen, Montreal so bald wie möglich zu verlassen, damit wir desto früher wieder heimkehren.

– O, wir bleiben in Klondike nicht länger als nötig.

– Ganz meine Meinung, Ben. Wann soll es denn fortgehen?

– Am 2. April, erklärte Ben Raddle; nach zehn Tagen.«

Die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt, hatte Summy Skim stark Lust, »Was?.... So bald?« zu rufen. Er schwieg aber; darüber zu klagen, hätte doch nichts genützt.

Übrigens war es von Ben Raddle sehr richtig, als letzten Termin zur Abreise den 2. April bestimmt zu haben. Sein Kursbuch vor Augen, machte er sich zahllose Bemerkungen mit einer Menge Zahlen und mit solchen wußte er ja meisterhaft umzuspringen.

»Nach Klondike zu kommen, haben wir nicht einmal die Wahl zwischen zwei Wegen, sagte er, denn es gibt dahin nur einen einzigen. In Zukunft gelangt man nach dem Yukon vielleicht über Edmonton und das Fort Saint John und auch auf dem Peace River weiter, der im Nordosten Kolumbiens den Bezirk von Cassiar durchströmt....

– Ah, eine sehr wildreiche Gegend, habe ich sagen gehört, unterbrach ihn Summy Skim, der gleich von den Freuden der Jagd träumte. Ja, warum schlagen wir diesen Weg nicht ein?

– Weil wir da von Edmonton aus vierzehnhundert Kilometer weit durch eine kaum bekannte Gegend über Land fahren müßten.

– So, so. Und welchen Weg hast du dann im Auge?

– Natürlich den über Vancouver. Hier hast du die genauen Zahlen, aus denen sich die Länge der Reisestrecke ergibt: von Montreal nach Vancouver sind's viertausendsechshundertfünfundsiebzig Kilometer und von da nach Dawson City noch zweitausendvierhundertneunundachtzig.

– Das wäre zusammen, murmelte Summy, der zu addieren begann: fünf und neun ist vierzehn, ich behalte eins im Kopfe, acht und acht gibt sechzehn, eins im Kopfe, sieben und vier sind elf, nochmals eins im Kopfe, und fünf und zwei macht sieben, also siebentausendeinhundertvierundsechzig Kilometer.

– Ganz richtig, Summy.

– Na, Ben, wenn wir dann ebensoviele Kilogramm Gold mit nach Hause bringen, wie wir Kilometer zurückgelegt haben werden....

– Das ergäbe – nach der Taxe von zweitausenddreihundertvierzig Francs das Kilogramm – sechzehn Millionen siebenhundertdreiundsechzigtausendsiebenhundertundsechzig Francs.

– Na na, murmelte Summy Skim, wenn wir nur die siebenhundertsechzig Francs mit nach Hause bringen!

– Was sagtest du, Summy?

– Ach, nichts, mein lieber Ben, gar nichts.

– Über eine solche Summe würde ich mich gar nicht wundern, fuhr Ben Raddle fort. Der Geograph John Minn behauptet ja, daß Alaska mehr Gold liefern werde als Kalifornien, dessen Ausbeute allein im Jahre achtzehnhunderteinundsechzig vierhundertfünf Millionen betragen hat. Warum sollte nun Klondike zu dem auf fünfundzwanzig Milliarden Francs geschätzten Goldvorrat der Erde nicht sein gutes Teil beitragen?

– Das kommt mir sehr wahrscheinlich vor, stimmte ihm Summy klugerweise bei. Zunächst heißt es aber, an die nötigen Reisevorbereitungen denken, lieber Ben. Da hinaus nach jenen seltsamen Ländern zieht man doch nicht mit einem Hemd zum Wechseln und zwei Paar Socken.

– Darum ängstige dich nicht, Summy laß das nur meine Sorge sein. Du wirst in Montreal nur in den Bahnzug ein- und in Vancouver daraus auszusteigen haben. Unsre Reisebedürfnisse sind ja auch nicht dieselben wie die eines Auswandrers, der, wenn er auf gut Glück in ein fernes Land pilgert, eine Last der verschiedensten Dinge mitschleppen muß. Was wir brauchen, das ist schon vorhanden, das findet sich auf dem Claim unsers Onkels. Wir haben nur für die Beförderung unsrer Personen zu sorgen.

– Nun, das ist doch auch etwas! rief Summy Skim, die sind doch der Mühe wert, einige Vorsichtsmaßregeln zu treffen.... vor allem gegen die Kälte.... brrr.... mir ist's schon zu Mute, als wäre ich bis auf die Knochen zu Eis erstarrt!

– Ach, Torheit, Summy. Wenn wir in Dawson City eintreffen, ist ja die schöne Jahreszeit bestens im Gange.

– Mag sein, doch später folgt ihr auch die schlechte.

– Beruhige dich nur, tröstete ihn Ben Raddle. Auch im Winter wirst du keine Not leiden. Passende Bekleidung.... gute Ernährung.... ich sage dir, du kommst fetter nach Hause zurück, als du's bei der Abreise warst.

– Na, das verlange ich gar nicht, protestierte Summy Skim, der sich nun einmal in sein Schicksal ergeben hatte. Das sage ich dir: wenn ich auch nur um zwei Pfund zunehmen sollte, da ist's mein Ende!

– Scherze nur, Summy, scherze, so viel du willst, doch habe Vertrauen.

– Ja ja, ohne Vertrauen geht's gar nicht. Es ist also ausgemacht, daß wir am 2. April als El Doradosucher aufbrechen?

– Ja, die Zwischenzeit genügt mir für alle Vorbereitungen.

– Gut, Ben; da ich nun aber noch zehn Tage frei habe, werde ich sie auf dem Lande zubringen.

– Ganz nach Belieben, Herr Vetter, antwortete Ben Raddle, ich meine nur, gar so schön wird's in Green-Valley noch nicht sein.«

Summy Skim hätte darauf entgegnen können, daß die Witterung dort jedenfalls besser als die in Klondike sein würde. Er unterdrückte das aber und begnügte sich mit der Versicherung, es werde ihm ein großes Vergnügen gewähren, noch ein paar Tage unter seinen Pächtern zu weilen, seine Felder, auch wenn Schnee darauf läge, und die schönen, von Rauhfrost glitzernden Wälder wiederzusehen, die eisbedeckten Flüsse und das Schollentreiben im Sankt Lorenzo zu betrachten. Bei tüchtiger Kälte böte sich einem Jäger dann auch Gelegenheit, ein gutes Stück Haar- oder Federwild zu erlegen, ohne von dem Raubzeug zu reden, von den Bären, Pumas und andern, die sich dort gelegentlich umhertreiben. Es sah fast aus, als wollte Summy Skim von allem Lebenden in jener Gegend Abschied nehmen.

»Du solltest mich eigentlich begleiten, Ben, sagte er.

– Meinst du wirklich? antwortete der Ingenieur. Wer befaßt sich denn dann mit unsren Reisevorbereitungen?«

Schon am nächsten Tage saß Summy Skim auf der Eisenbahn. Am Bahnhofe von Green-Valley fand er ein Geschirr mit einem Paar kräftiger Pferde und am Nachmittage traf er auf seiner Besitzung ein. Wie immer, zeigte er sich sehr erkenntlich für den herzlichen Empfang, den man ihm hier bereitete; doch als die Pächter und die Arbeitsleute die Veranlassung zu dem vorzeitigen Besuch erfuhren, als sie hörten, daß der Gutsherr diesen Sommer nicht bei ihnen zubringen werde, gaben sie unverhohlen dem Kummer Ausdruck, den ihnen diese Nachricht machte.

»Ja, liebe Freunde, sagte Summy Skim, Ben Raddle und ich, wir gehen nach dem Teufelslande, nach Klondike, das so fern von hier ist, daß man allein zwei Monate braucht, dahin zu kommen, und natürlich ebensolange zur Rückkehr.

– Und das alles, um ein paar Goldklümpchen aufzulesen! äußerte, die Achseln zuckend, einer der Bauersleute.

– Wenn man überhaupt solche Dinger findet, setzte ein alter Philosoph hinzu, der den Kopf in wenig ermunternder Weise schhüttelte.

– Ihr lieben Leute, fuhr Summy Skim fort, das ist einmal so wie ein Fieber, schon mehr eine Epidemie, die von Zeit zu Zeit über die Erde hinzieht und ihre Opfer fordert.

– Warum muß aber gerade unser Herr mit da hinausgehen?« fragte die älteste Pächtersfrau.

Summy Skim erklärte den Leuten nun, daß er und sein Vetter infolge des Ablebens ihres Onkels Josias Lacoste einen Claim geerbt hätten, und er setzte ihnen auseinander, warum Ben Raddle ihre Anwesenheit in Klondike für notwendig hielte.

»Ja ja, sagte der Alte, wir haben auch davon gehört, was dort an der Grenze der Dominion vorgeht, auch von dem Elend so vieler armer Teufel, die den Strapazen der Reise und der Arbeit erliegen. Es ist aber doch ausgeschlossen, Herr Summy, daß Sie etwa in jenem Lande des Schreckens blieben; Sie kehren doch wohl nach dem Verkauf Ihres Schlammhausens wieder zurück?

– Darauf könnt ihr euch verlassen, liebe Freunde. Fünf bis sechs Monate werden aber immerhin vergehen und dann ist die schöne Jahreszeit vorbei. Ich werde leider einen ganzen Sommer verlieren.

– Ja, und nach einem verlornen Sommer ist der Winter um so trauriger,« sagte eine alte Frau, die, sich bekreuzigend, noch hinzufügte:

»Gott nehme Sie, unsern guten Herrn, in seinen mächtigen Schutz!«

Nach einwöchigem Aufenthalt in Green-Valley glaubte Summy Skim, es wäre doch nun Zeit, zu Ben Raddle zurückzukehren. Es war ein rührender Auftritt, als er von all den braven Leuten Abschied nahm. Und wenn er sich dazu vorstellte, daß in wenigen Wochen die Aprilsonne über Green-Valley aufsteigen, daß durch die Schneedecke das erste Frühlingsgrün hervorsprossen würde und daß er dann, wenn diese verwünschte Reise nicht wäre, wie alle Jahre hierherkäme, im laubumrankten Pavillon zu wohnen, bis die erste Winterkälte fühlbar würde! In den verflossenen acht Tagen hatte er immer heimlich auf das Eintreffen eines Briefes von Ben Raddle gehofft, der ihm melden sollte, daß sie von ihrem Vorhaben abstehen könnten... vergeblich... es war kein Brief gekommen, nichts hatte sich geändert, am vorausbestimmten Tage sollte die Abreise erfolgen. Summy Skim mußte sich wohl oder übel zum Bahnhofe fahren lassen und am Morgen des 31. März stand er seinem schrecklichen Vetter wieder Auge in Auge gegenüber.

»Nun, nichts Neues? begann er, indem er sich vor diesem wie ein Fragezeichen aufpflanzte.

– Gar nichts, Summy, außer daß unsre Vorbereitungen beendet sind.

– Du hast also alles besorgt?

– Alles, bis auf Lebensmittel, die wir unterwegs genug finden, antwortete Ben Raddle. Ich habe eigentlich nur unsre Bekleidung vervollständigt. Waffen?.... Du hast ja die deinigen, ich die meinigen, zwei gute Gewehre, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind, und auch die vollständige Ausrüstung zur Jagd. Da es aber nicht möglich ist, da draußen unsre Garderobe zu erneuern, siehst du hier, was davon jeder von uns mitnehmen soll: Flanellhemden, wollene Westen und Unterbeinkleider, dicke Trikotjacken, je einen Cordanzug, Beinkleider aus starkem Tuche und solche aus Leinwand, blaue Leinenblusen, eine pelzgefütterte Lederweste, eine wasserdichte Seemannskleidung mit Kapuze, einen Kautschukmantel je sechs Paar große Socken über den Strümpfen zu tragen, Fausthandschuhe aus Pelz und aus Leder, stark benagelte Jagdstiefel, Mocassins, Schneeschuhe, Taschentücher, Servietten...

– He, halt! rief Summy Skim, die Arme zum Himmel erhebend, dazwischen, willst du denn in der Hauptstadt von Klondike ein Warenhaus eröffnen? Du hast ja Vorräte für zehn Jahre angeschafft!

– O nein, nur für zwei Jahre.

– Nur! wiederholte Summy. ›Nur‹... das ist ja schrecklich. Ich bitte dich, Ben, wir gehen doch einfach nach Dawson City, unsern Claim Nummer 129 zu verkaufen, um dann nach Montreal heimzukehren. Dazu braucht man zum Kuckuck doch keine zwei Jahre!

– Gewiß nicht, Summy, vorausgesetzt, daß man uns für den Claim so viel bietet, wie er unter Brüdern wert ist.

– Und wenn das nun keiner geben will?

– Dann wird sich das Weitere ja finden.«

Da es Summy Skim doch unmöglich gewesen wäre, eine andre Antwort zu erzwingen, schwieg er gelassen still.

Am Morgen des 2. April befanden sich die beiden Vettern auf dem Bahnhofe, wohin ihr Gepäck schon befördert worden war. Das war übrigens nicht von gar so großem Umfange, erst wenn die Prospektorausrüstung in Vancouver dazugekommen wäre, würde es zu einem wohl etwas lästigen impedimentum anschwellen.

Hätten sie sich vor der Abreise an die Kanadische Pacificbahngesellschaft gewendet, so würden sie gleich durchgehende Billetts für den Dampfer nach Skagway bekommen haben können. Ben Raddle hatte sich aber noch nicht schlüssig gemacht, welchen Weg sie nach Dawson City wählen sollten, ob den über See und dann stromaufwärts den Yukon von dessen Mündung bis zur Hauptstadt von Klondike oder den Landweg, der jenseits von Skagway über Berg und Ebene und über die Seen von Britisch Kolumbien dahin führt.

Sie waren also endlich abgefahren, die beiden ungleichen Vettern, der eine weggeschleppt von dem andern, jener voller Zuversicht, dieser in sein Schicksal ergeben, beide aber bequem untergebracht in einem vortrefflichen Wagen erster Klasse. Die nötige Behaglichkeit ist doch das wenigste, was man für eine Fahrt von mehr als viertausendsiebenhundert Kilometern verlangen kann, für eine Reise. die von Montreal bis Vancouver sechs volle Tage in Anspruch nimmt.

Von Montreal aus bewegt sich der Zug zuerst durch den Teil der Dominion, der die so wechselreichen Gebiete des Ostens und des Zentrums enthält. Erst wenn er über die Gegend der großen Seen hinausgekommen ist, erreicht er eine dünner bevölkerte, zuweilen, vorzüglich mit der Annäherung an Kolumbien, eine fast öde, menschenleere Landschaft.

Das Wetter war heute schön, die Luft etwas bewegt und der Himmel von leichtem Dunste verschleiert. Das Thermometer schwankte um den Nullpunkt. Soweit das Auge reichte, schimmernd weiße Flächen, die binnen wenigen Wochen ein grünes Kleid tragen würden, wenn die Rios erst aus den Fesseln des Eises erlöst waren. Mächtigen Flügelschlags zogen große Vogelherden, immer dem Bahnzuge voran, nach Westen hinaus. Auf beiden Seiten der Strecke zeigten sich in der Schneeschicht die Fährten von Tieren bis hinaus an den fernen Horizont... leicht zu verfolgende Spuren, bei deren Anblick ein Jägerherz schneller schlagen mußte.

Jetzt war wohl auch von einer Art Jagd die Rede. Doch wenn es Jäger gab in dem nach Vancouver rollenden Zuge, so waren es nur Goldklümpchenjäger, und die Hunde, die sie mit sich führten, waren nicht abgerichtet, Rebhühner oder Hafen zu stellen, auch nicht Damwild oder Bären zu verfolgen. Nein, das war nur Zugvieh, bestimmt, in dem Teile Kolumbiens zwischen Skagway und dem Gebiete von Klondike die Schlitten über die erstarrte Oberfläche der Seen und Flüsse zu schleppen.