Der Greif von Xanthia - Katja Brandis - E-Book

Der Greif von Xanthia E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Als im Gebirge ein Greifenjunges gefunden wird, das aus dem Nest gefallen ist, wagt der Herzog von Xanthia ein einzigartiges Experiment: Er und seine Berater bringen den Greif namens Nor mit Arkash - dem jungen Thronfolger - zusammen, damit beide zusammen aufwachsen und das mächtige Mischwesen aus Löwe und Adler ein treuer Verbündeter Xanthias wird. Wie geplant entsteht eine Freundschaft zwischen Nor und Arkash, doch je älter sie werden, desto schwieriger haben es beide miteinander. Und schließlich kommt es zur Zerreißprobe...

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Seitenzahl: 62

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Katja Brandis

Der Greif von Xanthia

Erzählung

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

Weitere Romane von Katja Brandis

Impressum neobooks

1. Kapitel

Es gab Tage, da fehlte Nor sogar die Kraft, die Sonne zu begrüßen. Wenn die Dunkelheit wich und ein goldener Schimmer die Bergspitzen überzog, stellte er sich in Position und spreizte die Flügel, so wie es Sitte war. Doch kaum hatte sich Jar’khar, das Licht der Seele, über den Horizont erhoben, sank Nor wieder in sich zusammen, um sich mit angezogenen Flügeln auf den Sims seines Horsts zu kauern. Nicht mal Jar’khar schaffte es, seine Seele zu erhellen.

Manchmal war er kurz davor, Steine zu fressen. Sie einfach mit dem Schnabel aufzunehmen und hinunterzuwürgen, bis sein Körper so schwer wäre wie die Felsen auf denen er hockte. Vielleicht wäre es eine gerechte Strafe, dass er dann nicht mehr würde fliegen können und stattdessen in die Tiefe hinabstürzen. Bisher war er noch nicht entschlossen genug gewesen, diesen Weg zu wählen, doch der Gedanke daran verließ ihn nie. Die Schuld, die Nor auf sich geladen hatte, wog schwerer als jeder Stein.

Ein scharfer, kalter Wind fegte um die kahlen Gipfel und zauste die Federn seiner Flügel. Doch Nor bemerkte es kaum, zu versunken war er in seine Gedanken. Auch für den eisblauen Himmel, der sich über ihm wölbte, hatte er keinen Blick übrig. Eigentlich hätte er zur Jagd fliegen müssen, er hatte schon seit zwei Wochen keine Beute mehr gemacht, aber der Hunger war nur ein fernes Unwohlsein ohne jede Bedeutung.

Erst ein seltsames Kratzen ließ ihn aufmerken. Es war ein Geräusch, das nicht hierhergehörte. Da war es wieder und dazu ein metallischer Laut, als pralle Eisen auf Eisen. Seine feinen Sinne vernahmen eigenartige Töne, fast klangen sie wie Worte.

Menschliche Worte!

In einer einzigen geschmeidigen Bewegung war er auf den Beinen. Die Federn an seinem Kopf hatten sich gesträubt und er hielt den halb geöffneten Schnabel drohend erhoben. War es Zufall, dass Menschen ausgerechnet diesen Berg erkletterten, auf den er sich zurückgezogen hatte – oder suchten sie nach ihm, wollten ihn in Ketten zurückbringen? Die Wut belebte Nor und er spürte, wie das Blut heiß durch seinen Körper kreiste. Noch war er stark. Wehe dem Elenden, der ihn herausforderte! Niemals, niemals würde er dulden, dass sie ihn straften.

Eine Art Spinne aus Metall, mit spitzen Haken versehen, flog auf das Felsplateau, kratzte über Stein und Eis, verhakte sich in einer Felsspalte. Keuchend wuchtete sich eine dick gewandete Gestalt über die Kante des Plateaus, kroch schwerfällig voran, richtete sich auf. Es war ein junger Mann, erkannte Nor. Anscheinend unbewaffnet, er trug weder Schwert noch Speer. War er allein? Oder folgte gleich noch eine Kompanie Soldaten? Nein, das hätte er sicher gehört.

Wieder leise Worte. Ja, da waren noch Menschen, anscheinend zwei. Aber sie machten keine Anstalten, ebenfalls zu ihm hochzuklettern.

Nor breitete die mächtigen schwarzgoldenen Flügel aus und warf den Kopf zurück. Scharf und klar schnitt sein Ruf durch die frostige Luft. Wer diese Warnung nicht beachtete, war selbst schuld.

Wenn er wollte, konnte Nor diese jämmerliche Gestalt in den Abgrund fegen – und der junge Mann wusste es, steif und verkrampft stand er am äußersten Rand des Plateaus. Er trug ein dickes Wams aus Kehano-Fell und seine Pelzmütze verbarg einen Teil seines Gesichts. Aber Nor erkannte wache blaue Augen und ein eckiges Gesicht mit blasser Haut, hohen Wangenknochen und einem spitzem Kinn.

„Was willst du hier?“, forderte Nor ihn schroff heraus. Die Sprache Xanthias war seiner Zunge fremd geworden und es fühlte sich ungewohnt an, zu sprechen. Wie lange war es überhaupt her, dass er einem Menschen begegnet war?

Der junge Mann schluckte, suchte nach Worten. Sein Blick wanderte über das kleine Plateau, über die Rinnen im Gestein, die von Nors Krallen stammten, über den Haufen gebleichter Berghirsch-Knochen, über die leere Kuhle im Stein, in der kein einziges Juwel mehr ruhte und darauf wartete, im Licht von Jar’khar zu funkeln.

„Mein Name ist Kenthan, ich bin Geschichtenerzähler“, sagte der Mann. Er hatte eine ungewöhnlich helle Stimme, die Nor irgendwie bekannt vorkam.

Ein Geschichtenerzähler. Von denen hatte Nor schon viele erlebt und die meisten hatten ihn zu Tode gelangweilt. Doch da Herzogin Doriéma Sagen und Märchen liebte – besonders die, in denen Menschen lange Zeit vergeblich versuchten, sich zu küssen –, hatten solche Leute am Hofe von Xanthia ein gutes Auskommen gehabt.

„Verschwinde, du störst mich!“, fuhr Nor den jungen Mann an und zog mit den Krallen eine tiefe Furche in den Fels. „Weißt du denn nicht, dass hier der Ort ist, an dem alle Geschichten enden?“

Die Augen des Geschichtenerzählers waren vor Angst geweitet, doch er ließ die Gelegenheit zur Flucht verstreichen. „Nein. Selbst Ihr, Nor, könnt nicht bestimmen, wann eine Geschichte endet.“

„Und ob ich das kann“, sagte Nor. Natürlich ahnte dieser Fremde nicht, wie nah er daran war, Steine zu fressen und die vielen Jahre, die ihm noch zustanden, einfach wegzuwerfen. „Verschwinde! Bevor ich dich dazu zwinge.“

Er faltete seine Flügel ein und schritt rastlos auf dem Plateau umher. Seine Pranken machten kaum ein Geräusch auf dem Granitboden.

Der junge Mann beobachtete ihn und in seinen Augen stand ein seltsamer Ausdruck. Selbst nach all den Jahren fiel es Nor manchmal schwer, zu ergründen, was in Menschen vorging. Zu Nors Überraschung machte der Fremde sich immer noch nicht an den Abstieg, sondern beugte sich über eine Tasche, die er mit sich auf das Plateau gehievt hatte. Er zog ein längliches Etwas daraus hervor, ein rotes Stück Stoff. Vorsichtig, mit von der Kälte steifen Fingern, rollte er es auf dem kahlen Felsboden auseinander und Nor erkannte, was es war. Eine Fahne. Sie war alt, zerschlissen und an den Rändern angesengt, aber man konnte noch das goldene Bild eines Greifen mit stolz erhobenen Flügeln darauf erkennen.

Sein Bild.

Ein Beben lief durch Nors Körper. Auf einmal war der Schmerz zurück, tief und brennend, so frisch wie damals. Nor wollte sich abwenden und schaffte es nicht.

„Es sind nicht mehr viele übrig, der junge Herzog hat sie alle vernichten lassen“, sagte der Geschichtenerzähler leise. „Aber diese hier konnte ich retten.“

Nor wollte fragen, wieso der Mann sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, aber er brachte kein Wort heraus.

„Ich kenne eine Seite der Geschichte, die des Hofes“, fuhr Kenthan fort, rollte die Fahne sorgfältig wieder zusammen und verstaute sie in seiner Tasche. „Aber ich will Eure Seite hören, Greif. Was ist passiert? Wie konnte das nur geschehen?“

Ja, dachte Nor. Vielleicht ist es an der Zeit, darüber zu sprechen. Oder ist es ein Fehler, jetzt alles zu offenbaren? „Ich warne dich“, knurrte er. „Manche Geschichten sind nur Asche und Staub. Wer sie anrührt, der besudelt sich.“

Der junge Mann grinste schief, seine blauen Augen blitzten. „Mein Risiko. Fang einfach an. Ich hoffe nur, dass ich nicht erfriere, falls sie sich länger hinzieht.“

„Das hoffe ich auch“, knurrte Nor und begann zu erzählen.

***

Nor lag am Fuß des Eisbruchs und zitterte vor Kälte und vor Schmerzen. Es hatte nicht geklappt. Er hatte versucht zu fliegen, wie seine Mutter es von ihm verlangte, aber es war ihm misslungen. Niemand würde ihm jetzt helfen, seine Mutter schon gar nicht. Das Nestjahr war um, seine Mutter hatte kein Interesse mehr an ihrer Brut und war zurückgekehrt in ihr altes Leben irgendwo hoch im Regandhas-Gebirge. Allein und frei bis zum nächsten Sonnenflug mit einem Greifenmännchen, dem nächsten Nest.