Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft - Katja Brandis - E-Book

Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Das neue Schuljahr auf der Clearwater High beginnt. Voller Begeisterung stürzt Carag sich in die ersten Lernexpeditionen mit seinen Freunden. Doch nicht jeder ist glücklich über die Aktivitäten des jungen Puma-Wandlers. Sein ehemaliger Mentor Andrew Milling hat Rache geschworen und plötzlich fühlt Carag sich auf Schritt und Tritt beobachtet. Ob es auf dem Internat für Gestaltwandler etwa Spione gibt? Als die Lage sich immer mehr zuspitzt, bekommt Carag unerwartet Hilfe von Schneewölfin Tikaani. Aber kann ein Puma wirklich einer Wölfin trauen?

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Seitenzahl: 314

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Katja Brandis

Woodwalkers

Gefährliche Freundschaft

Zeichnungen von Claudia Carls

Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag: Woodwalkers. Carags Verwandlung Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft

 

 

 

 

Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Gepardensommer, Floaters – Im Sog des Meeres oder Ruf derTiefe. Bei der Recherche für Woodwalkers im Yellowstone-Nationalpark lernte sie eine Menge Bisons persönlich kennen, stolperte beinahe über einen schlafenden Elch und durfte einen jungen Schwarzbären mit der Flasche füttern. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen, von denen eine ein bisschen wie ein Puma aussieht, in der Nähe von München. www.katja-brandis.de

Für Lina

1. Auflage 2017 © Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München). Cover und Illustrationen: Claudia Carls ISBN 978-3-401-80629-7

Besuche uns unter: www.arena-verlag.dewww.twitter.com/arenaverlagwww.facebook.com/arenaverlagfans

Inhaltsverzeichnis

Bunte Sterne

Funkenflug

Expeditionen ins Ungewisse

Rauchende Colts

Mit Nusscreme und Spucke

Stolperfallen

Norwegische Wursthunde

Es war einmal in einem Container

Plakate und Dickhornschafe

Wer nichts wagt …

Der Unbekannte

Duell am Pool

Stinksauer

Wahrheit oder Lüge

Auf der Jagd nach der Wahrheit

Party-Tiere

Schwimmbadwasser

Verschwunden

Gute Nase

Die Suche beginnt

Das seltsame Haus

Schwarz auf weiß

Bärenwut

Beißender Schnee

Keine Gnade

Mit scharfen Klauen

Kleine Schwester

Große Schwester

Speckpfannkuchen

Ein Frosch und eine Party

Danksagung

Seit ein paar Monaten bin ich nun an der Clearwater High und lerne, als Wandler mit mir selbst und den Menschen klarzukommen. In ein paar Tagen feiern wir an der Schule Silvester. Das, was ich früher die »Nacht der bunten Sterne« genannt habe. Als Puma hatte ich keine Ahnung, wie und warum die Menschen das mit den Leuchtsternen machten. Meine Schwester und ich waren damals entschlossen, es rauszufinden. Leider …

Bunte Sterne

Meine Pfoten versanken im Schnee. Aufgeregt sog ich die eisige, klare Bergluft ein, als ich auf einer Anhöhe stehen blieb und auf die Stadt der Menschen hinunterschaute. Sie sieht so schön aus in der Nacht, flüsterte ich direkt in Mias Kopf. All diese Lichter …

Meine Schwester Mia warf einen kurzen Blick ins Tal und kratzte sich mit der Hinterpfote am Ohr.

Wenn wir rausgefunden haben, woher die bunten Sterne kommen – gehen wir danach noch in den Supermarkt?, fragte sie hoffnungsvoll.

Vergiss es! Weißt du nicht mehr, was das letzte Mal passiert ist? Mit weiten Sprüngen lief ich talabwärts. Wie konnte Mia jetzt ans Essen denken? Mein Magen war völlig verkrampft, ich hätte jetzt nicht mal einen halben Hasen herunterbekommen. In meinem ganzen Körper kribbelte es beim Gedanken, bald wieder bei den Menschen zu sein. Wenn wir Glück hatten, würden wir heute Nacht eins ihrer vielen Wunder enträtseln. Ich hatte die Stadt genau im Auge behalten und war sicher, dass ich die Vorbereitungen, die dort liefen, richtig gedeutet hatte. Heute war die Krachnacht!

Was meinst du, wozu soll das gut sein, dass sie diese bunten Sterne machen? Ich konnte kaum aufhören, daran zu denken.

Ich wette, sie scheuchen dadurch Beute auf. Mia witterte nach rechts und links, während sie lief. Im Winter hatten wir fast immer Hunger.

Zweifelnd zuckte ich mit den Tasthaaren. Also ich glaube, die Stadtleute markieren damit ihr Revier. Die bunten Sterne sieht man schon von Weitem, das ist total praktisch.

Wir waren im Tal angekommen und achteten nun darauf, uns verborgen zu halten. Lautlos glitten wir durch die Nacht, bis wir in der Ferne die ersten Häuser erkennen konnten. Aber näher ran gehen wir nicht, oder? Von hier aus sehen wir genug. Mia war jetzt genauso nervös wie ich.

Nein, eben nicht, ein bisschen näher noch. Ich knuffte sie gegen die pelzige Schulter, weil ihre Schritte immer langsamer wurden.

Es gab da etwas, was sie nicht wusste, was ich ihr lieber nicht gesagt hatte. Ich war vor einem Mond schon mal hier gewesen und hatte ein paar Dinge für heute vorbereitet.

Meine feine Nase verriet mir, wann wir an der richtigen Stelle angekommen waren, und ich begann, Schnee und Erde unter einem Felsen wegzuscharren.

Was machst du da, Carag? Mias Stimme klang schrill in meinem Kopf.

Hier habe ich ein Versteck mit Kleidung. Jetzt musste ich es verraten. Ab hier gehe ich als Mensch weiter.

Mia fauchte mich an. Beim hüpfenden Wildschwein! Das meinst du nicht ernst, oder?

Doch, wenn ich rauskriegen will, was genau die Menschen heute machen, muss ich mich verwandeln, versuchte ich, ihr zu erklären. Sie dürfen uns nicht in Pumagestalt sehen, sonst gibt’s nur ’ne Panik. Du hast es ja beim letzten Mal selbst erlebt, sie haben Angst vor uns.

Wenn Mama und Papa das rauskriegen! Mia kauerte sich zusammen und verbarg den Kopf zwischen den Pranken. So verpasste sie glatt, wie ich mich verwandelte. Die Winterluft war so eisig, dass sie auf meiner nackten Haut brannte.

Wie sollen die das denn rauskriegen? Wir sind auf der Jagd, und basta. Schnell streifte ich mir Hose, T-Shirt und Schuhe über. Danach war mir immer noch kalt. Wie hielten Menschen es nur ohne Fell aus?

Ungeschickt stapfte ich mit meinen Menschenschuhen durch den Schnee und hatte nach zehn Atemzügen kalte Füße. Aber ich ließ mir nichts anmerken, weil Mia mit gesträubtem Nackenfell neben mir herlief und sie das alles sowieso schon für eine schlechte Idee hielt.

Inzwischen waren wir bei den Häusern angelangt, die ordentlich nebeneinander und von ein paar Bäumen bewacht an einer Straße standen. Ihre Fenster leuchteten hell in die Dunkelheit hinaus.

Wie heißt das hier eigentlich?, fragte Mia. Sie schlich dicht über dem Boden dahin, ihre Schwanzspitze zuckte.

Endlich konnte ich mit dem prahlen, was ich schon herausgefunden hatte. Die Gegend heißt Jackson Hole, damit ist das Tal gemeint. Und die Stadt nennen sie Jackson.

Unsere Ohren fingen das Brummen eines Autos auf, und rasch versteckten wir uns hinter einer Garage, damit die Scheinwerfer uns nicht erfassten. Noch waren keine Menschen in Sicht, aber nachdem wir eine Zeit lang gewartet hatten, hörten wir eine Haustür klappern und lachende, schwatzende Leute erschienen im Freien. Vor lauter Stoff sah man sie kaum noch, sie hatten sich hineingewickelt und trugen ihn außerdem an den Händen, auf dem Kopf und am Hals. Als ich an mir hinunterschaute, wurde mir klar, warum mir kalt war und ihnen wahrscheinlich nicht.

Vorsichtig spähten wir hinter der Garage hervor – ein Junge und ein Berglöwen-Weibchen.

Was für durchsichtige Dinger haben die da in den Händen?, hauchte Mia eingeschüchtert.

Die nennt man Gläser. Ich war praktisch Experte, schließlich war ich einmal öfter in der Stadt gewesen als sie. Heimlich natürlich.

Aber die Menschen trugen noch mehr bei sich, irgendwelche kleinen Pakete und länglichen Stäbe mit einer Verdickung daran. War das das Geheimnis der bunten Sterne? Noch wagte ich kaum, mich zu nähern. Was, wenn sie merkten, dass ich nicht zu ihnen gehörte?

Jetzt umarmten sich die Menschen, stießen mit den Gläsern an und lächelten. Wie Götter, die zufrieden sind mit ihren Taten. Über der Stadt blühten die ersten bunten Sterne auf, glitzernd und flimmernd in allen Farben des Regenbogens. Oh!Wie nah die sind! Mia starrte halb erschrocken, halb fasziniert zum Himmel hoch.

Ich gab mir einen Ruck und stand auf. Bis gleich, sagte ich zu Mia und ging los.

Carag, nicht!, gellte ihr Schrei in meinem Kopf.

So locker, wie ich es schaffte, schlenderte ich zu den gut gelaunten Leuten, blieb ein oder zwei Körperlängen von ihnen entfernt stehen und beobachtete, was sie taten. Jetzt sah ich endlich, wie sie die bunten Sterne hervorbrachten. Sie zündeten die Stock-Dinger an und die sausten in den Himmel, wo sie sich knallend in bunten Lichtschauern auflösten.

»Hey, Junge, ist dir nicht kalt? Hast du deine Jacke drinnen vergessen?«

Ich zuckte zusammen, als ich merkte, dass ich gemeint war. Ein Mann blickte mich neugierig an.

Ja, sie merkten, dass ich nicht dazugehörte. Mein ganzer Körper verkrampfte sich. »Mir ist nicht kalt«, log ich und starrte nach oben, so wie die anderen. Bloß nicht auffallen – sie durften nicht merken, dass ich kein Mensch war! Sonst holten sie ihre Gewehre.

»Na, umso besser«, sagte der Mann freundlich. »Frohes neues Jahr!«

»Papa, gib mir eine Rakete, ich bin dran!«, quengelte das dick vermummte Kind neben ihm und hüpfte auf und ab wie ein Schneeschuhkaninchen. Es bekam eine Rakete und durfte ihr Feuer unter dem Hintern machen.

Die Raketen fauchten beim Start, als würden sie mich in Pumasprache anmotzen. Trotzdem hätte ich gerne mal eine gezündet. Aber wie bekam man eine? Musste ich einfach warten, bis ich dran war?

Ich wartete und wartete. Hoffentlich hielt ich es hier lange genug aus, bis ich eine Rakete bekam. Der Krach war schrecklich und der Geruch nach Rauch und Schießpulver machte mich furchtbar nervös. Mein Körper verkrampfte immer mehr, ich spürte, wie Fell auf meinen Armen spross und meine Zähne zu wachsen begannen. Momente später waren sie so lang, dass sie in meine Lippen pikten. Verdammt, nein, nicht jetzt! Nicht hier!

Ich presste mir die Hand vor den Mund und stellte mir verzweifelt vor, wie ich als Junge aussah, sandfarbene Haare und grüngoldene Augen und – bitte, bitte! – winzige Menschenzähne. Viel half es nicht. Schritt für Schritt ging ich rückwärts zur Garage, hinter der Mia wartete. Wie viel Zeit hatte ich noch, bevor mein Körper sich zurückverwandelte, einfach so, ohne mich zu fragen?

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie zwei Jugendliche ein dickes rotes Päckchen aufrissen. Sie hielten eine Flamme daran … etwas fiel direkt neben mir Funken sprühend auf den Boden … und dann gab es einen Knall, der mir fast die Ohren platzen ließ.

Vor Schreck wäre ich beinahe aus meinen Klamotten gesprungen. Bevor ich richtig zum Nachdenken kam, war ich schon halb den nächstbesten Baum hochgeklettert. Viele der Leute schauten neugierig zu mir herüber und fragten sich wahrscheinlich, aus welchem Grund ich wohl dort oben in einer Astgabel klebte. Wie viel konnten sie im Halbdunkel sehen? Konnten sie meine Fangzähne erkennen? Meine Finger, aus denen sich Krallen in die Rinde gruben? Ich kniff die Augen zu und fühlte meinen Körper beben. Hätte ich doch nie diese bescheuerte Idee gehabt hierherzukommen!

Carag, komm da runter! Eine vertraute Stimme. Mias Stimme, ein bisschen zittrig. Du bist hochgeflitzt wie ein Eichhörnchen, so was machen Menschen nicht, glaube ich. Wenn du runterkommst, glotzen sie dich nicht mehr an. Also Augen auf und los!

Ich sah ein vertrautes pelziges Ohr hinter der Garage hervorlugen und meine Angst schrumpfte ein wenig. Unglaublich, Mia war nicht vor all dem Krach geflohen, sie war geblieben und wartete auf mich! Mia. Meine wunderbare große Schwester Mia.

Während ich vom Baum kletterte, sang sie mir die Worte Ruhig, ganz ruhig in den Kopf und es half. Als ich unten ankam, war ich immer noch ein Mensch und kaum jemand achtete auf mich. Alle waren johlend damit beschäftigt, Dinge in die Luft zu jagen.

Bis zur Garage war es ungefähr eine Baumlänge weit. Am liebsten wäre ich losgesprintet, doch Mia warnte mich: Langsam jetzt, nicht rennen, Carag. Wenn du rennst, merken sie, dass irgendwas nicht stimmt.

Ja, gut, gab ich wie betäubt zurück. Steif setzte ich einen Fuß vor den anderen und sprang nur einmal zur Seite, als ein Ding auf dem Boden plötzlich neben mir Feuer sprühte.

Keinen Moment zu früh kam ich bei Mia an. Als ich neben ihr in die Knie sank, waren meine Hände schon zu Pranken geworden. Ein paar Atemzüge später war ich zurück in meiner Pumagestalt, zerknüllt fielen Hose und T-Shirt in den Schnee. Meine Schwester schleckte mir rasch über die Schulter.

Hauen wir ab, sagte sie und dann rannten wir.

Ach, Mia. Ich hatte sie so lange nicht mehr gesehen. Wo konnte sie sein? Würde ich sie jemals wiedertreffen, ihr sagen können, wie lieb ich sie hatte? Manchmal war ich krank vor Sehnsucht nach meiner Familie. So wie jetzt, wenn Erinnerungen sich in meinem Kopf breitmachten.

Nachdem ich mich entschieden hatte, als Mensch zu leben, hatte ich Silvester einfach ausfallen lassen, mich in mein Zimmer verzogen und das Radio aufgedreht. Doch meine Freunde auf der Clearwater High strengten sich richtig an, mich zu überzeugen. Holly hüpfte in ihrer Rothörnchengestalt wild auf dem verschneiten Geländer unseres Baumhauses herum, Dorian hockte neben mir und betrachtete mich aus grünen Katzenaugen. Brandon, mein Bison-Freund, stand wie ein großer brauner Klotz auf der weißen Wiese unter uns.

Du verpasst was, ganz ehrlich!, versicherte er mir gerade ernsthaft.

Ich zuckte missmutig mit einem Ohr. Vergesst es, ich hab mir geschworen, nie wieder an Silvester in die Stadt zu gehen!

Also, ich breche an guten Tagen drei oder vier Schwüre, manchmal auch fünf, meinte meine beste Freundin Holly und kletterte meine Schnauze hoch. Glaub mir, das wird total lustig!

Mit einer schnellen Bewegung schüttelte ich sie herunter und fing sie unter meiner Pfote. Es kitzelte immer so schön, wenn sie darunter zappelte.

Lass mich sofort los, du Mistmieze!, wetterte sie.

Du hast mir eben ein Tasthaar abgeknickt, ist dir das klar?, gab ich unbeeindruckt zurück. Erst entschuldigen!

Holly zappelte noch heftiger. Hoffentlich bindet dir jemand eine Rakete an den Schwanz!

Das war nicht gerade eine Entschuldigung, aber ich hob trotzdem die Pfote. Man will ja mal nett sein. Sie schoss darunter hervor wie ein rotbrauner Blitz, kletterte gleich noch mal auf meinen Kopf und zog mich an den Ohren. Zum Spaß fauchte ich ein bisschen.

Alle gehen mit, Carag, meinte Dorian. Und du willst doch nicht, dass die Wölfe sagen, du hättest Schiss gehabt?

Nein, das wollte ich in der Tat nicht. Na gut, lenkte ich widerwillig ein.

Hoffentlich würde das nicht die totale Katastrophe werden!

Funkenflug

Immerhin, ich war an dem Tag nicht der einzige Woodwalker, der Silvester unheimlich fand. Als wir uns – in menschlicher Gestalt, mit dicken Jacken – in die gemieteten Busse drängten, witterte ich jede Menge Angst. Cookie, die bisher hauptsächlich als Opossum gelebt hatte, sah aus, als würde sie sich am liebsten jetzt schon tot stellen. Und Leroy, in seiner Zweitgestalt ein Stinktier, saß da, als würde er zu seiner eigenen Beerdigung fahren.

Doch wie sich herausstellte, war die ganze Sache Pflicht und unsere Schulleiterin Lissa Clearwater blieb hart. »Alle kommen mit«, sagte sie freundlich. »Menschen lieben Silvester. Wenn ihr euch zum Jahreswechsel im Keller verkriecht, macht ihr euch verdächtig. Also versucht, euch dran zu gewöhnen.«

»Aber diese Knallerei … die klingt, als würde jemand auf unsere Herde schießen.« Lou sah blass aus und wickelte sich nervös die langen dunklen Haare um die Finger. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln und versuchte, so zu tun, als sei diese Wapiti-Wandlerin mir völlig egal und nicht das wunderbarste Mädchen, das ich je getroffen hatte.

»Ich weiß«, sagte Lissa Clearwater und lächelte sie an. »Versuch durchzuhalten, so lange es geht, dann darfst du wieder in den Bus, ja?«

Die Wolfs-Wandler – Jeffrey, Bo, Cliff und Tikaani – grinsten. Sie hatten sich eine große Tüte mit Feuerwerk besorgt und bestimmt würden sie damit versuchen, ein paar Beutetiere in Panik zu versetzen. Wehe, sie versuchten das mit Lou, dann würde ich ihnen die Krallen über den Hintern ziehen!

»Ich weiß gar nicht, was ihr habt, Silvester ist doch cool«, schwärmte Berta, die Grizzly-Wandlerin, die bisher fast nur als Mensch gelebt hatte. »Dürfen wir auch Sekt trinken, Miss Clearwater?«

»Es gibt Apfelschorle«, mischte sich Mr Ellwood, unser Verwandlungslehrer und Lous Vater, ein.

»Hat sich Miss Clearwater gut überlegt, dass auch Leroy dabei sein soll?«, flüsterte mir Brandon ins Ohr, der neben mir saß und nervös ein Maiskorn nach dem anderen zerkaute. »Was ist, wenn er sich aufregt und … du weißt schon?«

»Am besten, wir stellen uns möglichst weit von ihm entfernt auf«, meinte ich. »Ich hab gehört, es hat ewig gedauert, bis Cliff den Gestank von sich abbekommen hat. Du weißt schon: nachdem Leroy ihn auf der Party besprüht hat.«

Holly lehnte sich über den Gang. »Ihr Hasenhirne, er ist doch in seiner Menschengestalt, da kann er gar nicht sprühen.«

»Mal abwarten«, sagte ich und dachte daran, wie ich mich damals nicht ganz freiwillig verwandelt hatte. Und das, obwohl mir Mia gut zugeredet hatte.

Die Busse hielten auf dem Parkplatz des Schwimmbads und Fitnessclubs am Rande von Jackson. Hier standen schon ein paar normale Menschen und warteten auf Mitternacht, aber nicht viele, die meisten hatten sich wahrscheinlich ein paar Hundert Meter weiter auf dem Town Square versammelt, dem Platz in der Ortsmitte. Von hier aus würden wir auf das Town-Square-Feuerwerk einen tollen Blick haben – jedenfalls, wenn wir hinschauten.

Es war eine kalte, klare Nacht und im Mondlicht konnte ich die Umrisse der verschneiten Berggipfel um uns herum erkennen. Schnee knirschte unter unseren Stiefeln, als wir ausstiegen und uns auf dem Parkplatz versammelten. Mr Ellwood ging herum und verteilte Pappbecher und Apfelschorle. Währenddessen drückte James Bridger, unser Lehrer für »Verhalten in besonderen Fällen«, ein paar Schülern Kracher und Feuerzeuge in die Hände.

»Nee danke«, sagte ich, während Holly gleichzeitig »Oh danke!« rief.

James Bridger grinste und überreichte uns beiden eine Handvoll Kracher. »Entspann dich, Carag, und hab einfach Spaß, okay?«

Jaja, schon klar. Einfach entspannen. Nichts leichter als das. Eigentlich mochte ich Mr Bridger, aber jetzt hätte ich ihn auf den Mond schießen können. Das ging vielleicht sogar, er trug eine Großpackung Raketen unter dem Arm.

»Also Leute, wenn ihr merkt, dass ihr in Panik geratet, dann tief atmen, notfalls kurz in den Bus gehen«, empfahl er mir und ein paar anderen, die ebenfalls nicht begeistert wirkten. »Das hier zählt übrigens zum Fach ›Verhalten in besonderen Fällen‹, aber keine Sorge, Noten gibt’s heute keine.«

»Das wäre auch noch schöner«, brummte ich und schaute mich nach jemandem um, dem ich die Kracher schenken konnte. Aber die meisten anderen hatten schon welche und blickten drein, als hätte Bridger ihnen eine Handgranate anvertraut. Also ließ ich die Dinger unauffällig fallen.

»Noch fünf Minuten bis Mitternacht«, sagte Dorian gut gelaunt. Er war einer der wenigen von uns, der eine Armbanduhr trug. Normalerweise funktionierte das große, altmodische Ding nicht, aber zur Feier des Tages hatte er es aufgezogen.

»Woher wissen die Menschen eigentlich, dass jetzt ein neues Jahr anfängt?«, fragte Cookie und legte den Kopf schief. Im Mondlicht sah ich die Sommersprossen auf ihrem zarten Gesicht.

»Sie wissen es nicht, sie feiern einfach irgendwann«, erklärte ich ihr. »Also ich wäre ja eher dafür, dass das neue Jahr im Sommer anfängt, weil …«

Irgendetwas traf mich am Kopf und prallte davon ab. Ein angezündeter Kracher, wie sich herausstellte, als er direkt neben meinen Füßen explodierte. Die Wölfe – die das Ding geworfen hatten – lachten sich halb tot, als ich vor Schreck zur Seite sprang.

»Hey, lasst den Scheiß!«, schrie ich sie an und ärgerte mich darüber, wie durcheinander ich klang.

»Schaut mal, das Kätzchen ist heute arg nervös«, kicherte Bo, der Omega-Wolf, der im Rudel den niedrigsten Rang hatte und das mit einem fiesen Mundwerk ausglich.

»Ihr jämmerlichen Pelzwürste, so was macht man nicht!«, brüllte Holly die Wölfe an.

»Wo ist hier ’ne Pelzwurst, ich will eine, ich hab Hunger«, hänselte sie Jeffrey, der Alpha-Wolf und damit Chef des Rudels. »Eigentlich bist du eine, komm doch mal her, du riechst so appetitlich …«

Tikaani, die einzige Wölfin im Rudel, grinste und schnippte mit den Fingern an einem Feuerzeug herum. Zwischen ihren Fingern hing schon der nächste Knaller.

Ich hatte es gewusst, dieses Silvester würde genauso schrecklich werden wie das damals!

»Schluss jetzt.« Lissa Clearwater trat zwischen uns. »Wir feiern alle gemeinsam, und zwar friedlich. Auch du, Jeffrey. Also ruf jetzt gefälligst dein Rudel zur Ordnung. Und wenn ich noch mal sehe, wie du Feuerwerk auf jemanden wirfst …«

»Jaja, schon gut.« Jeffrey lächelte sie an, als hätte sie ihn gelobt. »Kommt nicht wieder vor, Miss Clearwater.«

»Los, wir gehen woandershin«, meinte Brandon und wir wanderten zur anderen Seite der Schülergruppe. Zum Glück folgten die Wölfe uns nicht, sie stritten sich gerade darum, wer den nächsten Kracher anzünden durfte.

»Noch zwei Minuten«, verkündete Dorian, eine große Atemwolke vor dem Gesicht.

Schon schossen über dem Town Square die ersten Raketen in den Himmel. Ich schaute ihnen nach, den Sternen in Blau und Lila und Rot, die feurige Spuren über den Himmel zogen, und auf einmal war das Staunen zurück: das Gefühl, dass die Menschenwelt voller Wunder war, die ich alle kennenlernen wollte. Klar, die Knallerei war schwer auszuhalten, das würde ich noch ein paarmal üben müssen. Aber in diesem Moment war ich froh, mit meinen Woodwalker-Freunden hier zu sein und dieses Fest mit den Menschen teilen zu können.

»Genau Mitternacht – frohes neues Jahr!«, erhob Lissa Clearwater die Stimme und Jubel stieg unter meinen Schulkameraden auf. Holly, Brandon, Dorian und ich umarmten uns, schütteten versehentlich Apfelschorle über unsere Schuhe und mussten lachten.

»Nasses neues Jahr, Carag!«, wünschte mir Holly grinsend.

»Nussiges neues Jahr!«, wünschte ich ihr zurück. Dann drückte ich auch noch Wing, Shadow, Nell und alle anderen, die mir in die Quere kamen.

Lou ging herum und umarmte ebenfalls alle möglichen Leute. Plötzlich standen wir voreinander – ich erschrak richtig. Wir hatten im letzten Jahr zwar immerhin ein paar Sätze geredet und sie hatte mich in der Krankenstation besucht, aber konnte ich sie einfach so an mich drücken? Und das Schlimmste war, auch sie zögerte. Ich wusste, warum. Ihr ganzer Familienclan mochte keine Raubkatzen, und Pumas ganz besonders nicht, nachdem einer Lous Mutter verletzt hatte.

In der dichten Menge drängelte jemand an uns vorbei und schubste uns dabei aufeinander zu. Und plötzlich umarmten wir uns doch, als hätten wir das sowieso vorgehabt. »Frohes neues Jahr, Carag!«, meinte Lou mit einem verlegenen Lächeln und ich stammelte irgendwas zurück. Schon ließ sie mich wieder los und wandte sich jemand anders zu. Uff. Ich atmete tief durch. Bei allen Gipfeln, gerade hatte ich Lou umarmt! Vielleicht würde es doch noch ein ganz guter Jahreswechsel werden.

»Wer mag noch mal oder hat noch nicht?« Als James Bridger diesmal vorbeikam, verteilte er Raketen.

»Ich!«, hörte ich mich sagen und plötzlich hatte ich eines der Dinger in der Hand. An einem fast armlangen Holzstock war ein runder Behälter befestigt. Darauf war ein Bild von roten und grünen Leuchtpunkten aufgedruckt.

Plötzlich pochte mein Herz wie verrückt. Ich holte mir von Brandon, der schon eifrig herumknallte, ein Feuerzeug und steckte die Rakete in den tiefen Schnee, wie ich es bei den anderen gesehen hatte. Dann fummelte ich die Zündschnur frei und hielt das Feuerzeug daran, bis die Schnur zu sprühen begann. Gleich würde dieses Ding explodieren! Nie ist ein Junge schneller weggeflitzt als ich in diesem Moment.

In sicherer Entfernung hielt ich an, presste die Hände über die Ohren und wartete. Ein paar atemlose Momente vergingen, in denen nichts passierte. Dann jagte die Rakete fauchend davon und löste sich über uns in rote und grüne Leuchtsterne auf. Wow!

Holly, Brandon und ich strahlten uns an und klatschten in einem High Five die Hände zusammen. Dann rannte ich zu James Bridger, um mir die nächste Rakete zu holen.

Meine vierte Rakete hatte ich wohl nicht ganz gerade in den Schnee gesteckt, denn sie sauste schräg davon – geradewegs in Richtung der Wölfe! Quiekend rannten Jeffrey, Cliff und Bo in alle Richtungen davon. Tikaani warf sich mit einem Hechtsprung in den Schnee. Knapp sauste die Rakete über sie hinweg.

»Lass das, du Depp!«, schrie Jeffrey und musste sich schnell seine Kapuze überziehen, weil er durch den Schreck ein gesträubtes Nackenfell bekommen hatte.

Ein paar Schüler wieherten vor Lachen und ich rief hinüber: »Sorry, keine Absicht!«

Eine Stunde später stiegen wir alle wieder in die Busse und wurden zurückgefahren zur Clearwater High.

Von den Menschen, die mit uns auf dem Parkplatz gewesen waren, hatte niemand gemerkt, dass wir anders waren als sie. Cookie hatte sich nicht tot gestellt, Leroy hatte keine Stinkwolke abgelassen und niemand hatte sich in die Luft gesprengt.

Es war ein richtig schönes Silvester gewesen.

Expeditionen ins Ungewisse

Wirklich gefährlich war Silvester nicht gewesen … die Gefahr lauerte anderswo, jedenfalls für mich. Während der freien Tage musste ich immer wieder daran denken, wie ich dem Raubkatzen-Wandler Andrew Milling gesagt hatte, dass ich ihn nicht unterstützen wollte. Seine wütende Antwort klang mir noch immer im Ohr: Das wirst du noch bereuen, Carag. Das wirst du bitter bereuen, du kleiner Mistkerl.

Was würde er tun, um mich meine Absage büßen zu lassen? War ich in Gefahr?

Es half nicht, dass ich fast täglich daran erinnert wurde, wie reich er war und wie viel Macht er hatte. »Ich glaub, das Zeitunglesen tut dir nicht gut«, stellte Holly fest, als wir beim Frühstück saßen und ich gerade mit verkniffener Miene die Schulausgabe der USAToday auf den Tisch fallen ließ. »Zu viele Buchstaben?« Sie hatte es nicht so mit dem Lesen und Schreiben.

»Nein, aber die falschen«, sagte ich bitter und grub die Zähne in ein Schinkenbrot. Wahrscheinlich hatten die meisten Leute die Meldung, dass die Firma Montanus Trust gerade zwei andere große Unternehmen gekauft hatte, einfach überlesen. Aber ich wusste, dass hinter Montanus Trust Milling steckte. Der jetzt nicht mehr mein Mentor war, sondern mein Feind. Er wurde immer mächtiger.

»Ich schau mal, ob ich auf den Promi-Seiten was Lustiges zum Ablenken finde.« Brandon schnappte sich die Zeitung und schlug sie auf. Doch das Lustige, auf das wir warteten, kam nicht, stattdessen schaute Brandon betreten drein.

»Was ist?«, fragte ich ihn beunruhigt.

»Ähm, ein paar berühmte Leute, Filmstars und so, haben gerade verkündet, dass sie einen neuen großen Wettbewerb unterstützen«, sagte er widerstrebend. »Den hat anscheinend Andrew Milling gerade gestartet. Für Leute mit einer besonderen Beziehung zur Natur. Es gibt tolle Preise.«

Mir war endgültig der Appetit vergangen, ich schob das halb gegessene Brot beiseite. »Er sucht andere Woodwalker, um sie auf seine Seite zu ziehen«, stellte ich fest und spürte den starken Wunsch, diese Zeitung mit meinen Krallen in ganz kleine Fetzen zu zerlegen. »Ich wette, hauptsächlich Raubtiere. Denn die braucht er für seinen Plan – was auch immer er vorhat, um den Menschen zu schaden.«

Wir hatten viel Spaß während der freien Zeit, aber ich war fast froh, dass ein paar Tage später der Unterricht wieder losging – der würde mich von den düsteren Gedanken ablenken.

Besonders freute ich mich auf »Verhalten in besonderen Fällen« bei James Bridger, der uns auch in Mathe und Physik unterrichtete. Im letzten Herbst war er mein Lieblingslehrer geworden, weil er mich heimlich unterstützt hatte, und sein Unterricht war nicht anstrengend, sondern genial. Aber heute war irgendetwas anders, das spürte ich. Nicht nur, weil Bridger heute zu den Jeans und Cowboystiefeln eins seiner besten karierten Hemden trug. Auch nicht, weil er es geschafft hatte, sein haariges Gesicht halbwegs erfolgreich zu rasieren, was für ihn als Kojoten-Wandler nicht einfach war. Eher lag es daran, dass Mr Bridger so ernst wirkte. Statt uns wie üblich etwas aus seinem Leben zu erzählen, schaute er uns nachdenklich an … und fragte dann plötzlich: »Schön kuschelig in unserer Clearwater High, oder?«

Aus der Klasse stieg gemurmelte, leicht zögerliche Zustimmung auf.

Holly und ich tauschten einen Blick. Wenn Lehrer so was sagten, kam als Nächstes meist ein großes, fettes ABER.

So war es auch diesmal. »Aber es gibt ein Problem dabei«, fuhr mein Lieblingslehrer genüsslich fort und setzte sich auf den Rand seines Pults. »Ihr werdet nicht den Rest eures Lebens in einer gemütlichen Schule unter euresgleichen verbringen. Ihr werdet in der Menschenwelt und im echten Leben bestehen müssen. Damit ihr das schafft, werdet ihr jetzt nach der Prüfung anwenden, was ihr im letzten Jahr gelernt habt.« Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Gleichzeitig lernt ihr etwas über Teamwork, denn die meisten von euch haben keine Übung darin, mit anderen zusammenzuarbeiten. Teamwork ist wichtig, denn gemeinsam seid ihr deutlich stärker als alleine.«

Ich horchte auf. Ja, das stimmte. Gegen Milling würde ich Verbündete brauchen. Und von Zusammenarbeit hatte ich bisher keinen Schimmer, weil Pumas Einzelgänger waren.

»Wisst ihr, was eine Lernexpedition ist?«, fragte Bridger.

Die meisten zuckten die Schultern, doch auf Shadows und Wings Gesichtern ging die Sonne auf. Fast gleichzeitig schossen die Arme der Rabengeschwister nach oben. »Man löst im Team Aufgaben oder erfüllt Aufträge«, verkündete Shadow. Er und seine Schwester hatten – mit Sondergenehmigung – schon ein paar Lernexpeditionen hinter sich.

»Und zwar draußen«, fügte der Otter-Wandler Frankie hinzu. Er war neu in unserer Klasse, weil er die letzte Prüfung nicht geschafft hatte – er war in »Kampf und Überleben« durchgefallen und deshalb nicht wie seine Klassenkameraden weitergekommen. Aber falls ihm das etwas ausmachte, ließ er es sich nicht anmerken. Er war ein nicht sehr großer Junge mit munteren Augen und glatten braunen Haaren.

»Wie viele Leute sind in jedem Team?«, fragte ich neugierig.

»Drei«, erklärte James Bridger. »Ihr bekommt einmal in der Woche einen Umschlag mit eurem Auftrag. Darin steht auch, in welchem Zeitraum ihr ihn erledigen sollt. Meistens habt ihr ein paar Stunden Zeit, auch mal einen halben oder ganzen Tag.«

»Sind die Aufträge gefährlich?«, fragte Nell, die Maus-Wandlerin aus New York, mit verschränkten Armen. Sie hatte ihre Haare gerade neongrün gefärbt und ich konnte es kaum erwarten, sie in ihrer Zweitgestalt zu sehen. Hatte sie auch als Maus ein grünes Fell?

»Manchmal sind sie riskant«, mischte sich Frankie, der Otter-Wandler, ein und wirkte dabei richtig fröhlich.

»Du siehst aus, als fändest du das toll«, rutschte es Nell heraus.

»Ja klar, wieso nicht?« Frankies braune Augen leuchteten. Ich fragte mich, wie er es geschafft hatte, ausgerechnet im Kämpfen durchzufallen, wenn er Gefahr so mochte.

Nell verzog den Mund. »Also, Mr Bridger – meine Eltern fänden es nicht prickelnd, wenn ich so einen Auftrag nicht überlebe.«

»Keine Sorge, ihr seid zu dritt, das heißt, ihr könnt und sollt euch gegenseitig aus der Patsche helfen«, beruhigte uns James Bridger. »Und wenn alles schiefgeht, dann brecht ihr den Auftrag eben ab und kommt direkt zurück. Aber ich sag’s euch gleich, das gibt nicht gerade Top-Noten.«

»Bekommt jeder eine Note? Oder gibt’s eine für das ganze Team?«, fragte Jeffrey und sein Rudel spitzte die Ohren. Cliff und Tikaani knufften sich freundschaftlich.

»Die denken, die haben Teamwork erfunden«, flüsterte mir Holly zu. »Nur leider sind sie zu viert, ätsch, und in jedem Team gibt es nur drei Leute, da muss wohl einer daheimbleiben …«

»Holly, hast du uns etwas Interessantes zu sagen?« Bridger hörte ebenso gut wie die meisten von uns.

Vor Schreck bekam Holly pelzige Ohren, obwohl sie ihre Verwandlungen sonst sehr gut im Griff hatte. »Ja, äh, ich wollte nur sagen, wie unfassbar cool ich finde, dass wir aus der Schule rausdürfen und …«

Bridger zog die Augenbrauen hoch und wandte sich wieder Jeffrey zu. »Zurück zu deiner Frage: Es gibt eine Note für das ganze Team. Wenn einer Mist baut, hängt ihr alle drin.«

»Wir bauen keinen Mist«, versicherte Jeffrey selbstsicher, strich sich durch das perfekt gestylte braune Haar und ließ den Blick kurz über Cliff, Bo und Tikaani schweifen. »Wir sind schließlich Wölfe, Mann, die sind übrigens stärker als Kojoten und …«

»Danke, Jeffrey, das reicht«, erwiderte James Bridger liebenswürdig. »Ich glaube, das ist der richtige Moment, euch eure Aufträge auszuteilen. Wir Lehrer haben sie uns gemeinsam ausgedacht, damit sie zu euren Lernzielen passen. Ach ja, und manchmal finden eure Expeditionen am Nachmittag statt, dafür gibt es ja an der Clearwater High keine Hausaufgaben.«

Das stimmte und hatte mir von Anfang an gefallen.

Er ging durch die Reihen und reichte jedem einen verschlossenen Umschlag. Dorian und Berta, die in der ersten Reihe saßen, rissen ihre natürlich sofort auf und ich hörte Berta überrascht keuchen. Immer mehr Schüler bekamen ihren Auftrag und nicht alle wirkten begeistert. Trudy, die Eule, starrte auf ihr Blatt Papier, als wolle sie mit ihrem Blick ein Loch hineinbrennen. Bo raufte sich die straßenköterfarbenen, schulterlangen Haare und verzog das Gesicht, als hätte er gerade in einen Igel gebissen. Und Leroy ließ das Blatt mit seinem Auftrag sogar vor Schreck fallen.

Jeden Moment würde ich vor Neugier platzen. »Was hast du bekommen?«, wisperte ich in seine Richtung.

»Ich … ich … soll zusammen mit Berta und Wing einen wilden Grizzly finden, der gerade aus der Winterruhe aufgewacht ist, und ihm Hallo sagen«, stammelte Leroy.

»Ja, genau, und ich soll das in meiner Bärengestalt machen!« Berta machte sich nicht mal mehr die Mühe, leise zu sprechen. »Aber, Mr Bridger, ich habe doch noch nie einen wilden Grizzly getroffen! Was ist, wenn der merkt, dass ich ein Woodwalker bin? Wenn er mich nicht mag?«

Freundlich blickte James Bridger sie an. »Wo liegt das Problem? Du magst doch auch nicht alle Menschen, die du triffst, oder?«

»Ja, aber …«

Inzwischen hatten die Wölfe ihre Umschläge aufgefetzt. Entsetzt blickten Jeffrey und die anderen sich an. Was bedeutete das? Neugierig schielte ich rüber zu ihnen, konnte aber nicht lesen, was auf ihrem Blatt stand. Lissa Clearwater hätte es garantiert geschafft, aber Pumas haben nicht ganz so gute Augen wie Adler.

»Mr Bridger, Mr Bridger, das geht nicht!« Jeffrey war rot angelaufen, er schwenkte seinen Umschlag. Er sah aus, als würde ihm gleich schlecht werden. »Hier steht, ich soll zusammen mit Nell und mit Juanita einen Zettel mit dem Wort ›Jaul!‹ ans Schwarze Brett des Fitnessclubs in Jackson heften …«

»Und?« James Bridger schien an diesem Auftrag nichts Ungewöhnliches zu finden.

Mein Blick wanderte hoch zu Juanita. Sie hing gerade als kleine schwarze Spinne an der Lampe knapp unter der Klassenzimmerdecke. So wie meistens. Menschliche Gestalt anzunehmen, war nicht so ihr Fall.

»… und wir sollen das in unserer Zweitgestalt machen!«

»Na, dann würde ich euch empfehlen, den Zettel vorher zu schreiben – Spinnen, Mäuse und Wölfe sind nicht für ihre hübsche Handschrift bekannt«, sagte James Bridger trocken.

»Lassen Sie uns bitte, bitte ein weniger albernes Wort nehmen!«

»Die Aufträge können nachträglich nicht geändert werden, tut mir leid.«

Jeffrey stöhnte, ließ sich nach vorne auf sein Pult fallen und verbarg den Kopf in den Armen. Einen Moment lang tat er mir fast leid. Aber nur fast.

Bridger teilte seine Umschläge inzwischen in der Mitte der Klasse aus, wo auch ich hockte und kaum stillhalten konnte vor Aufregung. Wenn die anderen so heftige Aufträge bekommen hatten, welcher wartete dann auf mich?

Dann endlich lag auch ein weißer Umschlag vor mir, fest zugeklebt.

Ich verwandelte einen meiner Finger und schlitzte den Umschlag mit der Kralle auf. Ungeduldig zerrte ich das Blatt heraus und überflog, was darauf stand.

Teilnehmer: Carag, Brandon, HollyAuftrag: Bei der Wildwest-Schießerei, die einmal wöchentlich in Jackson stattfindet, zeigen, dass ihr auch unter Feuer die Nerven behaltet. Sprecht dabei mit mindestens drei Touristen.Zeitraum: heute Nachmittag

Eine Expedition mit meinen Freunden … das war schon mal genial! Aber der Auftrag klang rätselhaft. Ich schaute zu Brandon rüber, der eine Bank weiter saß, und wir wechselten einen verdutzten Blick. Holly war noch dabei, ihren Zettel zu entziffern, ihre Lippen bewegten sich, während sie las. Als sie aufblickte, sah sie irgendwie fasziniert aus. »Ehrlich, wir sollen in eine Schießerei?!«

»Keine Sorge, die ist nicht echt«, erklärte ich ihr. »Da wird niemand erschossen. Den Wilden Westen gab es hier früher, jetzt spielen sie ihn nur noch nach. Sollte also kein Problem sein, die Nerven zu behalten.«

»Wenigstens machen sie nicht auch noch ’ne Show aus dem großen Bison-Massaker von Buffalo Bill«, ächzte Brandon, selbst ein Bison-Wandler. Es war schlimm genug für ihn, dass man in den Steakhäusern der Stadt überall Büffelsteak bestellen konnte.

James Bridger teilte als Beispiel dafür, woraus sich unsere Expeditionsnote zusammensetzen würde, einen leeren Bewertungsbogen aus. Es gab Punkte für alles Mögliche, von »Auftragserfüllung« und »Problemlösung« über »Verwandlungen« bis hin zu »Geheimhaltung« und »Zusammenarbeit«.

Der Schulgong verkündete, dass es Zeit für die Pause war. Wir hasteten auf die verschneite Wiese vor der Schule – diesmal nicht, um uns gegenseitig in den Schnee zu werfen, sondern, um rauszukriegen, was die anderen machen mussten. In der Pause durften wir uns verwandeln, wenn wir wollten. Holly, die sich ihre Wollmütze aufgesetzt hatte, verwandelte sich in ihre Rothörnchengestalt, noch während sie nach draußen stürmte, und war ein Stück als laufende Pudelmütze unterwegs, bis sie das Ding wegschleuderte. Lou schritt als elegante Hirschkuh vorbei. Dorian fläzte sich in Katergestalt auf ihrem Rücken, als wäre sie ein besonders bequemes Kissen. Heiße Eifersucht durchzuckte mich. Leider war ich als Puma ein bisschen zu groß, um das nachzumachen. Außerdem würde Lou denken, ich wollte sie reißen.

Sollte ich mich einfach trauen und fragen, was für einen Auftrag sie hatte?

Noch während ich meinen Mut zusammenraffte, brüllte Holly zu Lou hinüber: Na, und ihr? Kompost aufschlecken im Stadtpark?

Nee, aber fast so schlimm, antwortete Lou in unsere Köpfe. Dorian, Bo und ich sollen auf einen Gipfel in der Nähe steigen, dort soll Bo Kekse an menschliche Wanderer verschenken. Wofür könnte das gut sein?

Dorian seufzte tief und rekelte sich. Ich weiß sofort, was sie sich bei mir gedacht haben. Sie wissen genau, dass ich am liebsten auf dem Sofa liege, und wollen mich körperlich fordern. Schweiß vergießen – einfach eklig!

Vielleicht soll Bo lernen, nett zu sein. Holly lachte voller Schadenfreude. Aber wenn der mit seinen üblichen Sprüchen Kekse verschenkt, denken die Leute, er wolle sie vergiften.

Lou schnaubte einen Abschiedsgruß und schritt weiter durch den Schnee.

»Bei Jeffrey ist die Aufgabe klar, der soll lernen, mit anderen zusammenzuarbeiten, die nicht zu seinem Rudel gehören«, meinte ich nachdenklich. »Keiner der drei kann in seiner Tiergestalt den Zettel alleine anbringen. Die müssen sich schon gegenseitig helfen.«

Ich würde zu gerne sehen, wie Jeffrey überhaupt in den Fitnessclub reinkommt, johlte Holly. Da ist nämlich ein »Hunde verboten«-Schild an der Tür, wenn ich mich richtig erinnere. »Jaul« wird genau das sein, was ihm bei diesem Auftrag durch den winzigen Blödkopf geht!

»Okay, Leute, jetzt mal zurück zu unserem Auftrag – wie können wir den erfüllen und was könnte der zu bedeuten haben?«, rätselte ich, bückte mich nach einer Handvoll Schnee und knetete abwesend einen Ball daraus.

Vielleicht müssen wir einfach nur locker bleiben, mehr nicht, meinte Holly.