Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis - Katja Brandis - E-Book

Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Was wäre ein Gestaltwandler ohne seine Freunde? Nach seinem letzten Kampf gegen den rachsüchtigen Andrew Milling ist Carag glücklicher denn je, Brandon und Holly an seiner Seite zu wissen. Doch irgendwie benimmt sich Holly in letzter Zeit äußerst seltsam. Als sich rund um die Clearwater High plötzlich merkwürdige Diebstähle ereignen, ist Carag sofort in Alarmbereitschaft: Ob am Ende Holly hier ihre Finger im Spiel hat? Oder sind es doch die Wölfe, die einen Keil zwischen ihn und seine Freundin treiben wollen? Vielleicht weiß ja der neue Lehrer für Tiersprachen, Mr Goodfellow Rat ...

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Seitenzahl: 328

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Katja Brandis

Woodwalkers

Hollys Geheimnis

Zeichnungen von Claudia Carls

 

Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag: Woodwalkers. Carags Verwandlung Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft Woodwalkers. Hollys Geheimnis

 

 

 

 

 

Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Gepardensommer, Floaters – Im Sog des Meeres oder Ruf derTiefe. Bei der Recherche für Woodwalkers im Yellowstone-Nationalpark lernte sie eine Menge Bisons persönlich kennen, stolperte beinahe über einen schlafenden Elch und durfte einen jungen Schwarzbären mit der Flasche füttern. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen, von denen eine ein bisschen wie ein Puma aussieht, in der Nähe von München. www.katja-brandis.de

 

Für Christian und Robin

1. Auflage 2017 © Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München) Cover und Illustrationen: Claudia Carls ISBN 978-3-401-80630-3

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Inhaltsverzeichnis

Heiße Fontänen

Füchse, Würstchen und ein scheußlicher Besucher

Schock am Morgen

Nichts wie weg

Es war einmal eine Grillparty

Unerwartete Gesellschaft

Schock am Vormittag

Zweiter Schock am Vormittag

Jedes einzelne Schnauzenhaar

Schneekatze

Spurensuche

Schwere Entscheidung

Gegen die Strömung

Chaos-Montag

Wolfsaugen

Zwei Ausraster

Expedition Highschool

Geständnisse

Für die Katz

Der Eindringling

Krallen und Zähne

Sieben Leben

Welpenweisheit

Schwefelschwaden

Hinterhältig

Schuld und Beute

Wolfsgesang

Der Hügel

Silver Sunday

Football und frische Farbe

Die Suche

Sonnenaufgang

Danksagung

Inzwischen habe ich meine ersten Lernexpeditionen an der Clearwater High hinter mir. Ich kann kaum glauben, dass nun eine Wolfs-Wandlerin zu den Leuten zählt, die ich mag. Sogar meine Handynummer habe ich Tikaani gegeben. Während meiner Zeit als Puma hatte ich natürlich keinen Schimmer gehabt, warum die Menschen mit den Fingern auf irgendwelche flachen Dinger tippten oder hineinsprachen. Das wollte ich damals bei einem meiner heimlichen Besuche bei den Menschen herausfinden. Ich ahnte nicht, dass ich fast dabei draufgehen würde …

Heiße Fontänen

Es war Frühling und langsam schmolz der Schnee in unserem Revier. Auf den weiten Ebenen spross hellgrünes, saftiges Gras, mit Tupfern von gelben, roten und violetten Blumen. Hoch über ihnen, im Kieferndickicht eines Hügels, neckte meine Schwester Mia einen großen schwarzen Käfer, den sie immer wieder belauerte und ansprang. Spielen wir ’ne Runde Käferschubsen?, rief sie mir lautlos zu, von Kopf zu Kopf. Oder wie wär’s mit einem Wettspringen?

Mein Vater erhob sich, streckte seinen langen zimtfarbenen Körper und gähnte, sodass man seine Fangzähne sah. Geh lieber mit mir Wapitis jagen, Carag, du musst endlich lernen, wie man Großwild reißt.

Äh, was? Ich hatte nur die Hälfte mitbekommen, weil ich gerade an der Felskante lag und zwischen den Kiefernästen hindurch ins Tal spähte. Es lebten nur wenige Menschen in unserem Revier, das sie Yellowstone nannten, aber hier in der Nähe hatten sie einen kleinen Stützpunkt. Ich sah die graubraunen Dächer einzelner Häuser und auf einer Straße fuhren Autos darauf zu und davon weg.

Menschen waren geheimnisvoll und mächtig. Manchmal stanken sie auch oder benahmen sich wie Kaninchen, denen der Kopf fehlte. Zum Beispiel kapierte ich beim besten Willen nicht, warum sie es so toll fanden, wenn irgendwo heißes Wasser aus der Erde schoss. Gerade sammelten sich dort beim Stützpunkt im Tal – bei einem dieser heißen Orte – wieder mehr Leute, als ich zählen konnte, setzten sich auf längliche Holzstücke und warteten geduldig auf das Ereignis. Garantiert hatten sie auch wieder diese flachen, handtellergroßen polierten Steine dabei, aus denen ich nicht schlau wurde. Die Leute streichelten die Dinger oder unterhielten sich mit ihnen; manchmal deuteten sie damit auch auf irgendwas oder auf sich selbst …

He, Carag, du bist gerade dermaßen langweilig. Enttäuscht verpasste mir Mia einen Hieb mit eingezogenen Krallen. Blitzschnell schlug ich zurück und zeigte ihr die Zähne. Und du bist kindisch. Käferschubsen? Das habe ich mit fünf gespielt!

Meine Mutter schob sich zwischen uns. Schluss damit, wir gehen jagen. Los jetzt!

Ich komme ein anderes Mal mit, mir tut die Pfote weh, schwindelte ich, schleckte mir die Vorderpranke und hoffte, dass meine Eltern nicht merkten, wie schnell mein Herz klopfte. Wenn alles klappte, würde ich sehr bald dort unten dabei sein und niemand durfte merken, wer und was ich war. Sonst würden die Menschen versuchen, mich zu töten.

Mit einem seltsamen Blick sah mein Vater mich an. Ich erschrak. Ahnte er was? Vielleicht … Er war oft niedergeschlagen oder gereizt in letzter Zeit. Früher hatte er manchmal übermütig mit uns Wettspringen oder Raufen gespielt, wann hatte er eigentlich damit aufgehört?

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich weg, um zu gehen. Mia rief mir ein Bis nachher, fang dir keine Flöhe ein zu, für das ich ihr ein Schnurren hinterherschickte, dann verschwand sie lautlos zwischen den Bäumen.

Kurz darauf machte auch ich mich auf den Weg, als Puma schlich ich zu unserem nächstgelegenen Versteck mit Menschensachen. Dort verwandelte ich mich und holte mir Klamotten aus dem Versteck – es waren leider keine besonders guten Sachen, das Hemd hatte ein Loch und die Schuhe waren mir zu groß. Ich nahm die Schuhe erst mal in die Hand und machte mich auf bloßen Füßen auf den Weg ins Tal. Ein paar Ameisen krabbelten über meine Zehen, eine davon biss mich. Pech für sie, dass ich jetzt wieder meine praktischen Menschenhände hatte. Ich schnippte die Ameise im hohen Bogen von meinem Fuß herunter ins Gebüsch.

Das graue Zeug, aus dem Menschen ihre Straßen bauten, fühlte sich warm an unter meinen bloßen Füßen, als ich vorsichtig zu einem der größten Häuser ging. Aus braun gefleckten Steinen gemauert, mit großen Glasfenstern, ragte es vor mir auf und ständig gingen Leute hinein und hinaus. Zum Glück achtete kaum jemand auf mich – nur ein Kind, das halb so groß war wie ich, starrte mich misstrauisch an. Spürte es irgendwie, dass ich anders war, dass ich kein Mensch war? Mist, ich hatte vergessen, die Schuhe anzuziehen! Und meine Füße sahen gerade verdächtig pelzig aus, auch das noch!

Das Mädchen zupfte seine Mutter am Ärmel, versuchte, sie auf mich aufmerksam zu machen. Doch zum Glück unterhielt sich die Mutter gerade mit einer anderen Frau. Rasch hockte ich mich hin und machte mich daran, meine Füße in die Lederhüllen zu zwängen. Wenn ich schnell war, schaffte ich es noch, bevor …

»Mama! Mama, schau mal, der Junge da …«

Geschmeidig kam ich auf die Füße, genau in dem Moment, als die Frau »Was ist denn, Lydia?« fragte und das Mädchen auf mich deutete. Aber jetzt war ich nicht mehr barfuß und der Blick der Frau glitt über mich hinweg. Uff.

Old-Faithful-Besucherzentrum, las ich auf einem großen Holzschild und schrak zusammen, als an einer Metallstange über mir etwas flatterte, ein großes rot-weiß gestreiftes Stück Stoff mit weißen Sternchen auf einem blauen Feld.

Benimm dich nicht wie ein nervöses Streifenhörnchen!, ermahnte ich mich lautlos. Das Stück Stoff war eindeutig nicht gefährlich, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wozu es gut sein sollte.

Eine Weile beobachtete ich Leute, die in das große Haus gingen, dann versuchte ich selbst hineinzukommen. Zitternd vor Aufregung zerrte ich an der Tür und es funktionierte, schon war ich drin! Staunend schaute ich mich um und sog die Luft ein, die fremdartig und künstlich roch. Vorsichtig ging ich quer durch den Raum und legte die Hand auf die riesigen Fensterscheiben, die so klar wie Quellwasser waren und doch fest wie Stein. Überall schlenderten Leute herum – und sie alle musterten ein Schild, auf dem ich entzifferte: Vorhergesagter nächster Ausbruch des Geysirs: 5:10, dann gingen sie wieder nach draußen, setzten sich und ließen die Stelle, an der das heiße Wasser erscheinen sollte, nicht mehr aus den Augen.

Stumm setzte ich mich dazu und lauschte fasziniert auf das, worüber die Leute redeten. Was in aller Welt waren Ferien, Aktien, Terroristen?

Als die baumhohe weiße Fontäne schließlich zischend aus der Erde emporschoss, glotzten alle sie an und gaben »Ohs« und »Ahs« und »Boah, ist das geil« von sich. Fast alle. Ich selbst hielt den Mund … und beobachtete die Menschen. Geysire hatte ich schon öfter gesehen als Fischadler, und das wollte was heißen, denn von denen gab es hier eine Menge.

Die meisten Leute hielten ihre flachen, polierten Dinger hoch und richteten sie auf den Geysir. Neugierig reckte ich den Hals. Doch obwohl ich sie jetzt aus der Nähe sah, wurde ich nicht schlauer daraus. Offensichtlich waren sie keine Waffen, wie ich damals im Supermarkt gedacht hatte. Vielleicht versuchten die Menschen, damit böse Geister abzuwehren? Meine Mutter glaubte an so was …

»Hey, was hast du für ein Problem?«, fragte das Mädchen, das neben mir saß; es hatte gelbliche Haare, die irgendwie unecht aussahen, und eine unangenehm schrille Stimme. Es knuffte seinen Begleiter. »Du, Mark, der Typ da glotzt mich schon die ganze Zeit an …«

Es dauerte einen Moment, bevor ich kapierte, dass sie mich meinte. »Ich, äh …«, stammelte ich und wusste dann nicht mehr, was ich sagen sollte.

Der junge Mann neben ihr sah aus, als würden seine Muskeln gleich sein T-Shirt sprengen. Er hatte nur Augen für den Old Faithful. »Ist das krass, schau doch mal, Victoria! Wow.«

Sie rückte ein Stück von mir weg und flüsterte ihrem Freund ins Ohr: »Mark, hörst du mir jetzt verdammt noch mal zu oder nicht?!«

»Was?« Jetzt wandte sich der Kerl mit den Muskeln doch um und nahm mich ins Visier. »Wer starrt dich an, der da?«

»Ja, genau, der.«

Schnell wandte ich mich ab und mein Menschengesicht fühlte sich seltsam heiß an. Vorsichtig befühlte ich meine Wangen. Wurde ich gerade krank oder so was?

»Also, Kleiner, was willst du?«, knurrte der Mann, warf mir einen drohenden Blick zu und schielte zwischendurch zum Old Faithful rüber, der wieder und wieder sein kochend heißes Wasser in den Himmel schleuderte. »Lass mein Mädchen in Ruhe, klar? Du bist doch eh noch zu jung für ’ne Freundin.«

Ich raffte meinen ganzen Mut zusammen und sagte: »Entschuldigung. Ich wollte nur mal dieses Ding anschauen … das da.« Zögernd streckte ich die Hand aus und berührte das flache, eckige Teil in der Hand des Mädchens.

Großer Fehler! Sie riss es von mir weg und ihr Gesicht verzerrte sich. »Mark! Der will mein Smartphone klauen!«

»Ach du große Scheiße. Jetzt reicht’s wirklich.« Der Mann schob seine Freundin zur Seite, dann schoss seine Hand vor, um mich zu packen.

Zum Glück war er ziemlich langsam. Als seine Hand ankam, war ich schon längst woanders. Bloß weg hier – ich hatte es verkatzt, das ließ sich jetzt nicht mehr ändern!

Blindlings lief ich los – nicht zu den Gebäuden, sondern zu den Hügeln hin. Auf dem kürzesten Weg. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als ich über die Absperrung sprang und loslief. Was hatten die Leute? Der Old Faithful war, wie es aussah, fertig mit seiner Show.

Selbst durch die Schuhe hindurch spürte ich, wie heiß der Boden war. Kein Wunder, dass mir meine Mutter immer gesagt hatte, ich sollte einen Bogen um die Wasserspucker machen. Hätte ich auch, aber das ging gerade nicht, weil von den Seiten her zwei Männer in grauen Uniformen angerannt kamen. Ranger! Sie sahen alles andere als erfreut aus – war es so schlimm gewesen, dass ich das eckige Ding berührt hatte? Verdammt, die trugen Waffen am Gürtel!

Ich rannte noch schneller, platschte durch dampfende, nach Schwefel stinkende Pfützen, suchte mit den Augen nach einem Weg. Die Ranger kamen immer näher und brüllten: »He, bist du irre, Junge? Bleib sofort stehen!« Half nichts, ich musste noch näher an der Öffnung des Geysirs vorbeilaufen, um denen zu entwischen.

Und ausgerechnet jetzt spürte ich am Vibrieren des Bodens, dass der Old Faithful sich bereit machte für eine Zugabe. Oh, das war nicht gut! Noch mehr Menschen schrien, aber ich hörte sie kaum, weil ich mit Ausweichen beschäftigt war.

Wenige Meter neben mir jagte mit einem lauten Wuuusch! kochendes Wasser aus dem Boden. Ich rannte, wie ich zuletzt als Kätzchen gerannt war, als ein Adler mit vorgereckten Krallen auf mich herabgestoßen war. Gleich würde das Wasser wieder herunterregnen und dann musste ich weit genug weg sein. Ich stolperte, fing mich wieder, warf mich auf den warmen, matschigen Boden und rollte mich weg. Instinktiv schützte ich den Kopf mit den Armen. Heiße Gischt wehte über mich und prickelte auf meiner Haut. Nicht weit entfernt hörte ich das Wasser auf den Boden prasseln. Aber weit genug weg, verbrühen würde es mich nicht. Es war einfach nur scheußlich nass.

»Beweg dich nicht, wir holen dich!«, schrie jemand.

Nicht bewegen? War der Kerl morsch im Kopf? In einer geschmeidigen Bewegung kam ich wieder auf die Füße und rannte weiter.

Bis mir auf der anderen Seite des kahlen gelbgrauen Geysirgebiets eine alte Frau in die Quere kam. Sie war doppelt so breit wie hoch, hatte lange graue Haare und trug Turnschuhe. Ich war kurz davor, an ihr vorbeizurennen, doch dann rief sie plötzlich: »Huhu, Junge! Wieso bist du da durchgerannt?«

Das hatte bisher niemand gefragt und ihre Stimme klang nicht wütend, sondern einfach neugierig. Verblüfft warf ich ihr einen Blick zu, wurde langsamer und hielt an. Dann schaute ich mich nach den Rangern um. Sie hatten die Verfolgung nicht aufgegeben, waren aber noch weit genug weg. Ihre Waffen hatten sie nicht gezogen, das beruhigte mich etwas.

Die Frau lächelte mir zu und instinktiv lächelte ich zurück, obwohl meine Klamotten schlammverschmiert waren und ich so fies nach Schwefel roch, dass ich es selbst kaum aushielt.

»Ich wollte mir nur ein … äh … Smartphone anschauen«, sagte ich schüchtern. »Aber die Leute sind wütend geworden.«

»Du kannst meins anschauen, wenn du willst«, sagte die Frau, als sei das ganz selbstverständlich, holte ihr eigenes Gerät aus der Hosentasche und hielt es mir hin. »Android, allerneuste Version, und ich hab mir gerade ein paar neue Apps draufgeladen. Leider gibt’s hier nicht überall WLAN.«

Ich kapierte überhaupt nichts. Aber das war nicht schlimm. Zögernd tippte ich auf die glatte Oberfläche – nicht aus Stein, sondern aus Glas – und die bunten Symbole bewegten, veränderten sich. Es sah toll aus. Doch als ich gerade eine der tausend Fragen stellen wollte, die sich in mir angesammelt hatten, meinte die alte Frau: »Du gehst jetzt besser, Junge.« Als ich mich umwandte, sah ich, dass die Ranger aufgeholt hatten. Jetzt waren es schon fünf. Das machte mich ein wenig nervös.

»Danke«, sagte ich, gab ihr das Ding zurück und haute ab, so schnell es in den verdammten Schuhen ging. Jetzt fiel mir auch noch einer vom Fuß, als hätte er keine Lust mehr, mich durch den Matsch zu begleiten. »Eulendreck!«, zischte ich, hob den Schuh auf, zog den anderen auch noch aus und rannte barfuß weiter, die Lederdinger in der Hand.

Die Menschen waren nett, ich hatte nur zu viel falsch gemacht!

Schon jetzt wusste ich, dass ich wiederkommen würde. Niemand schaffte es, mich zu fangen. Nach einem kleinen Umweg über einen Bach, an dem ich mich gründlich wusch, kam ich nach Hause, wo schon eine Portion frisches Wapiti auf mich wartete und zum Glück niemand misstrauische Fragen stellte.

Seit damals wusste ich, wie man die eckigen Dinger nannte. Inzwischen hatte ich auch selbst ein Smartphone, auch wenn ich es nicht allzu oft benutzte. Aber diesmal musste ich das sogar im Unterricht, und zwar nicht ganz so, wie die Hersteller das empfahlen. Wir hatten gerade Verhalten in besonderen Fällen und diesmal war es eine echt schräge Stunde. James Bridger war der Meinung, wir müssten im Notfall auch in der Lage sein, unser Handy zu bedienen, während wir in unserer zweiten Gestalt waren. »Stellt euch vor, ihr müsst dringend Hilfe rufen und könnt nicht, weil ihr keine Finger habt«, erklärte er.

Voll easy, fand meine beste Freundin Holly, schon in ihrer Rothörnchengestalt. Sie hatte zwar gerade wieder eine Fünf in Mathe kassiert, aber auf dem Display ihres Handys hüpfte sie herum wie die Profi-Stepptänzerin, die wir neulich im Fernsehen gesehen hatten. Nur leider hatte der Spaß am Tanzen sie ein bisschen mitgerissen – die Nummer, die sie getippt hatte, war viel länger als die an der Tafel.

»Du bist gerade dabei, jemanden in China anzurufen, meine Liebe«, stellte James Bridger mit einem kritischen Blick fest. »Jetzt nicht an die grüne Taste kommen, sonst wird’s teuer.«

Ich schaff das nicht, jammerte Lou, obwohl es sonst nicht ihre Art war, sich zu beklagen. Das schönste Wapiti-Mädchen der Welt hatte es noch nicht mal hinbekommen, eine einzige Zahl richtig zu tippen, und ihre langen braunen Ohren zuckten nervös.

Streng dich halt an, meinte Wing, einer der Rabenzwillinge. Sie hatte gut reden, mit ihrem langen, spitzen Schnabel pickte sie zielsicher auf den Symbolen und Zahlen herum. Lissa Clearwater hatte ihnen extra etwas ältere Handys besorgt, mit denen so etwas ging. Meine Krallen eigneten sich dafür nicht, deshalb hatte mein Display eine Menge Nasenabdrücke. Auf diese Weise hatte ich es schon geschafft, die Wetter-vorhersage-App zu starten. In einem Notfall leider nicht sehr nützlich.

Frustriert vor mich hin fauchend, probierte ich es weiter, bis Leroy, unser Skunk-Wandler, sich zu Wort meldete: Wenn du das machst, Carag, bekomme ich Angst, willst du das wirklich?

Nein!, schrie ich in Gedanken auf und verkniff mir die Faucherei. Denn ein Stinktier, das Angst hat, sprüht drauflos … und wird seinem Namen mehr als gerecht.

Feigling!, höhnte Leitwolf Jeffrey und warf mir einen verächtlichen Blick zu. Er und die anderen Wölfe des etwas geschrumpften Rudels stupsten ihre Displays eifrig mit Nasen und Pfoten an.

Einfach nicht hinhören, riet mir Holly, kletterte mir auf den Kopf und klappte mit den Pfötchen meine pelzigen Ohren zu. Oder versuchte es jedenfalls, doch sie schaffte immer nur eins auf einmal. Die Hinternschnüffler sollen lieber wieder den Mond anheulen, als hier Leute blöd anzuquatschen!

Stimmt genau, gab ich zurück und ignorierte Jeffrey und seine Kumpels, so gut es ging.

Verzweifelt versuchte Brandon neben mir, ebenfalls eine App zu starten, ohne das Display zu zerstören. Aber wie sollte ein Bison, der fast eine Tonne wog, mit Hufen, die größer waren als meine Menschenhand, das hinbekommen? Wenn er zu fest auf sein Gerät trat, machte er daraus einen Haufen Splitter.

Ich weiß, wie ich es schaffe, verkündete Brandon trotzig – und dann streckte er seine feuchte, raue Bisonzunge aus und schleckte damit über das Smartphone.

James Bridger grinste und kratzte sich das Gesicht, auf dem mal wieder ein Dreitagebart spross. Er war ein Kojoten-Wandler und bekam seine Haare als Mensch kaum in den Griff. »Du bist auf einem guten Weg, Brandon, weiter so!«

Sofort schauten sich Lou und ein paar andere den Zungen-Trick von Brandon ab und am Ende der Stunde hatten es fast alle geschafft, wenigstens den Notruf zu wählen. Auch ich.

Na also, sagte ich erleichtert und James Bridgers Augen und meine trafen sich. Wir wussten beide, dass ich derjenige war, der den Notruf am wahrscheinlichsten brauchen würde …

Füchse, Würstchen und ein scheußlicher Besucher

Jedes Mal, wenn ich mich an meinen Kampf auf Leben und Tod mit dem mächtigen Puma-Wandler Andrew Milling erinnerte, überlief es mich kalt und die lächerlichen Härchen auf meinen Menschenarmen versuchten, sich zu sträuben. Ich hatte abgelehnt, ihn zu unterstützen … und er hatte seinen Leuten erst den Auftrag erteilt, mich zu entführen, und dann meine Schwester Melody verschleppt. Er hatte versucht, mich zum Schweigen zu bringen, damit ich niemanden vor ihm warnen konnte. Unwillkürlich strich ich über die Narben an meinem Genick, wo er seinen fast tödlichen Biss angesetzt hatte – sie waren noch deutlich zu fühlen, ebenso wie die verheilten Wunden auf meinen Armen und Schultern. Ja, ich hatte es mithilfe meiner Freunde geschafft, Milling zu besiegen … aber es war ein komisches Gefühl, dass ich nicht wusste, wo er jetzt war und was er plante. Irgendwie glaubte ich nicht, dass er aufgegeben hatte – sein Hass auf die Menschen trieb ihn an und mich hasste er nun bestimmt genauso sehr. Ich hatte das Undenkbare getan, sein Blut vergossen. Zuvor war ich für ihn sicher nur ein Ärgernis gewesen, der von ihm ausersehene Kronprinz, der sich geweigert hatte, seine Krone zu tragen. Aber jetzt? Diese Niederlage würde er mir niemals verzeihen.

Nach der Stunde, als es zur Pause gongte, verkündete Holly: »Ich hole mir ’ne Nussmilch«, und Brandon hielt sein Smartphone mit spitzen Fingern von sich weg. »Und ich geh ins Jungsklo, um die Spucke von diesem Ding abzuwaschen!«

»Bis gleich, ich warte hier«, meinte ich und lehnte mich an das Geländer des ersten Stocks, von dem aus man die Eingangshalle überblicken konnte. Doch plötzlich merkte ich, dass sich mir jemand von hinten näherte. Wie sich herausstellte, war es Theo, unser Hausmeister und Fahrer, er stützte die Arme neben mir auf dem Geländer ab. Wie üblich trug er einen schwarzen Rollkragenpulli und Jeans mit Farb- und Ölspuren. Er hatte die Ärmel seines Pullovers hochgestreift und ich bekam einen guten Blick auf die Tätowierungen, die seine Unterarme bedeckten.

»Hast du noch was von Milling gehört? Du weißt schon, seit eurem Kampf auf dem Berg?«, fragte er und ich musste daran denken, dass er noch vor ganz kurzer Zeit Millings Spion in dieser Schule gewesen war.

»Nichts«, gab ich mit gemischten Gefühlen zurück. »Aber ich weiß nicht, ob das ein gutes Zeichen ist.«

»Ich glaube ehrlich gesagt, nicht«, meinte Theo. »Als ich noch bei seinen Leuten war, kurz bevor ich denen gesagt habe, was sie mich mal können … da habe ich mitbekommen, dass Andrew aufgeregt war … er hatte kurz nach deinem Abgang einen neuen, ganz besonderen Verbündeten gewonnen. Der sei ein großer Schritt vorwärts, hat er gemeint. Wahrscheinlich sei das ein zukünftiger Stellvertreter, Erster Offizier oder so was.«

»Echt?« Ich wandte den Kopf und starrte ihn an. »Also das, was vorher ich werden sollte? Hast du irgendwelche Gerüchte gehört, wer es sein könnte?«

»Nein … aber Andrew und die anderen haben in dieser Zeit oft über die Clearwater High geredet. So oft, dass es eigentlich kein Zufall sein kann.«

Ich fühlte mich, als hätte ich ein verdorbenes Stück Hirsch gefressen. Was bedeutete das für mich … für uns alle hier an der Schule? »Es macht wohl wenig Sinn, dass du dich weiterhin umhörst, oder?«

»Genau.« Er verzog das tief gefurchte Gesicht. »Ich bin raus aus dieser Schurkenbande. Seither habe ich nichts mehr von Andrew gehört. Natürlich nicht.«

»Natürlich.« Inzwischen war ich sicher, dass ich ihm vertrauen konnte. Bei Melodys Befreiung, bei unserem Kampf auf dem Berg, hätte er uns verraten können, aber er hatte es nicht getan. Er hatte Milling und seinen Kumpanen tatsächlich abgeschworen.

»Sei einfach vorsichtig, ja?«, meinte Theo.

Ich nickte. Zum Glück durfte ich inzwischen auch ohne Leibwächter die Schule verlassen und an Lernexpeditionen teilnehmen, denn der nordamerikanische Rat der Woodwalker hatte meinem ehemaligen Mentor ordentlich auf die Finger geklopft für Melodys Entführung. Leider hatte Milling so viel Einfluss, dass er nicht in einem der beiden Gefängnisse gelandet war, die der Rat betrieb und die auf den ersten Blick wirkten wie ganz normale Privatzoos. In Wirklichkeit waren sie für Woodwalker aller Gestalten gedacht, die irgendein schweres Verbrechen begangen hatten, aber aus einer menschlichen Strafanstalt ohne größere Mühe entkommen wären.

Immerhin hatte Lissa Clearwater erreichen können, dass um die Clearwater High herum eine No-go-Zone eingerichtet worden war. Weder dieser verdammte Berglöwen-Wandler noch seine Vertrauten durfte sich der Schule und damit mir nähern. Umso beunruhigender, dass seine Pläne anscheinend trotzdem irgendetwas mit der Schule zu tun hatten!

»Carag, los, beeil dich! Sonst kommen wir zu spät zu Tiersprachen!« Holly zerrte mich am Ärmel davon. »Das ist doch gerade dein Lieblingsfach, oder?«

»Äh, ja«, stammelte ich, noch ganz durcheinander durch das, was ich eben erfahren hatte, und verabschiedete mich schnell von Theo.

Tiersprachen war ein ganz neues Fach bei uns an der Schule, und zwar eins, das ich sehr nützlich fand. Hätte ich zum Beispiel mehr Ahnung von Bärensprache gehabt, wäre mein letzter Campingtrip mit den Ralstons weniger stressig gewesen! Leider hatte ich nicht viel Talent für Fremdsprachen, aber Julian Goodfellow, unser neuer, frisch aus Kalifornien hergezogener Lehrer, schien das nicht schlimm zu finden. Irgendwie schaffte er es, gleichzeitig streng und total nett zu sein. Fast jeder in der Klasse mochte ihn.

»Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.« Mr Goodfellow lächelte uns vergnügt an.

»Nachdem wir gerade den Elch durchgenommen haben, gebe ich Ihnen nun eine Einführung in die Sprache der Rotfüchse. Der echten Füchse, wohlgemerkt, nicht der Fuchs-Wandler, mit denen wir uns ja leicht von Kopf zu Kopf verständigen können.«

Hollys Mundwinkel wanderten nach oben. Ich wusste, warum: Füchse schafften es praktisch nie, ein Rothörnchen zu erwischen, und es war eine von Hollys Lieblingsbeschäftigungen, sich von hoch oben über sie lustig zu machen. Dafür zuckte Nimbles Nase nervös, denn er war schließlich ein Kaninchen-Wandler. »Fuchssprache? Muss das sein?«, murmelte er.

»Kenne deine Feinde!«, flüsterte Maus-Wandlerin Nell, die neben ihm saß. »Sogar in New York hab ich schon Füchse getroffen, die waren ätzend, besonders wenn sie …«

»Ruhe bitte!« Mr Goodfellow strich sich eine Strähne seiner blonden, ordentlich gescheitelten Haare zurecht und atmete so tief ein, dass sein leicht gerundeter Bauch zurückwich. Dann streckte er das Kinn vor, öffnete den Mund und stieß ein hohes, heiseres »Hwaaauh, hwaaauh, hwauuuh!« aus. Staunend blickte ich ihn an. Er war ein Grizzly-Wandler, aber er sprach akzentfreies Füchsisch!

»Nun, meine Damen und Herren, was habe ich gerade gesagt?« Verschmitzt lächelnd blickte Mr Goodfellow in die Runde. Tiefes Schweigen. Dorian, der Katzen-Wandler, studierte eingehend seine gepflegten Fingernägel, Nell spielte mit ihren vielen geflochtenen, perlenbesetzten Zöpfchen und Tikaani, in ihrer zweiten Gestalt eine Polarwölfin, starrte unseren neuen Lehrer finster an. Was aber nichts zu sagen hatte, so schaute sie öfter drein.

Zögernd hob ich die Hand. In unserem alten Revier hatten wir eine Füchsin als Nachbarin gehabt, deshalb hatte ich ein paar Brocken Füchsisch aufgeschnappt. »Sie haben gesagt, Ihre Gefährtin soll ihren Hintern nach Hause schwingen, weil es Essen gibt?«

»Sehr gut.« Julian Goodfellow strahlte mich an und wandte sich dann wieder den anderen zu. »Wenn die anderen die Antwort nicht wissen, dann hoffe ich, dass sie wenigstens das letzte Mal aufgepasst haben! Wie klingt ›Ganz ehrlich, ich hab die Nase voll von dir‹ in Elchisch? Jeffrey?«

Jeffrey fläzte sich gerade gelangweilt in seinem Stuhl. »Keine Ahnung, interessiert mich auch nicht besonders.« Der Rest seines Wolfsrudels fand das wohl sehr lässig, denn Cliff und Bo warfen ihm bewundernde Blicke zu.

»Soso, und deine mündliche Note interessiert dich auch nicht so sehr?« Mr Goodfellow trug etwas in sein kleines schwarzes Notizbuch ein. »Viola, willst du es mal versuchen?«

Viola, die Ziegen-Wandlerin, lächelte schüchtern und nickte. Gespannt warteten wir. Viola schloss kurz die Augen, atmete tief ein und stieß dann ein jammerndes »Uhuhuuuu« und ein dumpfes »Öh öh« aus.

Mr Goodfellow hob eine Augenbraue. »Danke für den Versuch, Viola, aber du hast gerade einem Elchbullen gesagt, dass er bitte seine Hufe essen soll. Das ist nicht das Gleiche und hätte wahrscheinlich einen Angriff zur Folge.«

»Ich versuch’s noch mal.« Viola gab noch nicht auf. Diesmal stieß sie ein kräftiges, schnaubendes Tröten aus.

Unser neuer Lehrer kratzte sich am Kinn. »Hm, das klang leider wie ›Willst du dich mit meinen Kötteln waschen?‹. Geh mit der Stimme ein bisschen mehr nach oben.« Etwas geknickt folgte Viola dem Ratschlag und trötete etwas höher.

Unser neuer Lehrer strahlte. »Wunderbar! Das war gut! Bitte übt das für die nächste Stunde. So, und jetzt weiter mit den neuen Füchsisch-Vokabeln …«

So interessant ich den Unterricht fand, ich konnte mich nicht richtig darauf konzentrieren. Es gab ja nicht nur beunruhigende Nachrichten, sondern auch gute, deshalb brodelten in mir immer wieder Freude und Aufregung hoch wie kleine Geysire. James Bridger hatte mir versprochen, mich am nächsten Wochenende mit dem Auto nach Norden zu fahren, dorthin, wo meine richtige Familie drei Puma-Tagesreisen entfernt ihr neues Revier hatte. Bald würde ich meine Eltern wiedersehen! Nach zweieinhalb Jahren, in denen ich sie und meine Schwester Mia furchtbar vermisst hatte.

Aber ein bisschen Angst hatte ich auch davor. Meine Mutter würde sich bestimmt freuen, doch Mia hatte mir erzählt, dass mein Vater immer noch nicht darüber hinweg war, dass ich nun hauptsächlich in menschlicher Gestalt lebte. Wie würde er mich ansehen, wenn ich ihn begrüßte?

Unsere letzte Diskussion war noch immer ein Echo in meinem Kopf.

Wieso können wir Wandler nicht als beides leben, als Mensch und als Puma?

Du musst dich für eins entscheiden, Carag. Beides geht nicht.

Und dann dieser furchtbare Streit, als ich mich entschieden hatte, zu den Menschen zu gehen und bei ihnen zu bleiben. Wenn ich ihn wiedersah, würde ich ihm so vieles sagen. Wie wichtig er mir war. Dass mir klar war, dass ich niemals ein Mensch sein konnte. Dass ich …

»Carag? Bitte wiederhole, was ich eben erklärt habe!«

Ich schrak hoch. »Äh, was? Wie bitte?, meine ich.«

Mr Goodfellow warf mir einen amüsierten Blick aus seinen himmelblauen Augen zu. »Lou, könntest du unserem in die Luft starrenden Freund bitte sagen, was wir gerade besprochen haben?«

Lou blickte entschuldigend zu mir herüber. Es gefiel ihr nicht, mich belehren zu müssen, und ein warmes Gefühl für sie überschwemmte mein Herz. »Wir haben gerade besprochen, welche Rolle Körpersprache bei der Verständigung von Füchsen untereinander spielt.«

»Ach so, okay«, stammelte ich und hoffte, dass von mir nichts weiter erwartet wurde. Es hätte gerade noch gefehlt, dass ich mich vor Lou und dem Rest der Klasse zum Deppen machte, weil ich auf dem Boden herumkriechen und irgendeine Verhaltensweise demonstrieren sollte.

Doch zum Glück ließ mich Mr Goodfellow nun in Ruhe. Den Rest der Stunde grübelte ich darüber nach, was ich meiner Familie mitbringen konnte, wenn ich sie besuchte. Was hatte die Menschenwelt ihnen zu bieten? Schließlich hatte ich einen oder zwei Geistesblitze. Ich war froh, als die Stunde vorbei war und wir endlich in die Pause konnten.

»Also, das war richtig interessant heute«, meinte Holly. »Ich muss Mr Goodfellow noch fragen, was ›Verpiss dich, du räudiges Vieh‹ und ›Haha, du kriegst mich nie‹ in Füchsisch heißt.«

Brandon schnaubte und warf sich ein Maiskorn in den Mund, das er krachend zerkaute. »Das reimt sich – noch ein paar Sätze mehr und du kannst dem Fuchs ein ganzes Gedicht vortragen.«

»Findet er bestimmt toll«, meinte ich und verabschiedete mich, um noch schnell zur Küche zu rennen. Sherri Rivergirl, die Köchin und Sanitäterin der Clearwater High, hatte immer einen Vorrat von superleckeren geräucherten Würstchen, die Dinger machten süchtig. Mein Plan war, dass ich meiner Puma-Familie einen ganzen Stapel davon mitbringen würde. Solche Extrawürste musste ich zwar bezahlen, aber ich hatte durch verschiedene Ferienjobs genug gespart. So was wie diese Würste gab es in den Bergen nicht!

»Dreißig Würstchen?« Sherri Rivergirl blieb der Mund offen stehen, sodass man ihre prächtigen Vorderzähne sah – sie war eine Biber-Wandlerin. »Gibt es bald eine Hungersnot?«

Hastig erklärte ich ihr, für wen die Würstchen bestimmt waren, und ein breites Lächeln erhellte ihr rundes, indianisches Gesicht. Sie nickte, watschelte zu ihren Vorratskammern und überreichte mir eine große Papiertüte, aus der es himmlisch duftete. »So, hier, das sind alle, die ich noch habe. Macht fünfzehn Dollar. Viel Spaß bei deiner Familie, überfresst euch nicht.«

Ich lächelte zurück. Unwahrscheinlich – wir hatten zu viert mal einen ganzen Maultierhirsch in einer Nacht verputzt. Rasch machte ich mich mit der Tüte auf zu meinem Zimmer, um die Würstchen in meinem Schrank unterzubringen, bevor die Pause vorbei war und wir bei Mrs Calloway Englisch und Geschichte hatten.

Doch blöderweise begegnete mir Bo auf dem Gang. Als Omega-Wolf hatte er den niedrigsten Rang im Rudel und als Mensch war er klein, mit einem spitzen, verkniffenen Gesicht. Seine Nase zuckte gierig, als er die Würstchen witterte. »Was hast du denn da Schönes?«

Sofort blieb ich stehen. »Geht dich nichts an!«, schoss ich zurück. Eins war klar, er durfte nicht sehen, wo ich das Geschenk hinbrachte! Ich wartete, bis er weg war, erst dann verstaute ich die Tüte in meinem Zimmer.

Auch ohne Uhr wusste ich, dass ich jetzt arg spät dran war für die nächste Stunde. Und gerade zum Unterricht von Miss Calloway durfte man nicht zu spät kommen, sie war eine Klapperschlange und mit der wollte man sich nicht anlegen, nicht mal in ihrer Menschengestalt. Ich war beim Herumtollen als Kätzchen einmal fast auf eine getreten, und wäre mein Vater nicht gewesen, der die Schlange mit der Pranke davonschleuderte, hätte mich das Vieh erwischt.

Als ich über die Treppe hinunterraste ins Erdgeschoss und in den Flur einbog, der zu den Klassenräumen führte, wäre ich beinahe mit einem dünnen Mann in einer braunen Jacke zusammengestoßen. Er trug einen Aktenkoffer und eine eckige Brille mit rotbraunem Rand, die er erschrocken festhielt. »Oh, tut mir leid«, sagte ich und wollte gerade weiterrennen, da fielen mir zweierlei Dinge auf. Erstens, ich hatte diesen Typ noch nie gesehen und war ziemlich sicher, dass er nicht hierher gehörte. Zweitens, ich spürte nicht an ihm, dass er ein Wandler war. Eulendreck, das war ein Mensch! Was war, wenn der in irgendein Klassenzimmer hineinstolperte, in dem Mr Ellwood gerade Verwandlung unterrichtete? Oder wenn er einen von uns in seiner zweiten Gestalt sah?

So beiläufig, als hätte ich es sowieso vorgehabt, ging ich zur Wand, an der neben dem roten Knopf des Feueralarms ein blauer Knopf prangte – der Menschenalarm. Ich drückte den Knopf und sofort schrillte der extrem hohe Ton, den nur wir hören konnten, durchs Gebäude.

Schock am Morgen

Aus einem der Klassenräume hörte ich ein Poltern, in einem anderen quiekte jemand auf. Da verwandelten sich gerade ein paar Leute, so schnell sie konnten. Aus einer der Türen lugte ein neugieriges Gesicht und zog sich schnell wieder zurück.

»Kannst du mir sagen, wo ich die Schulleiterin finde?«, fragte mich der fremde Mann, betrachtete mich und rückte seine Brille zurecht. Er hatte einen schmalen, humorlosen Mund und Augen, die genau die gleiche Farbe hatten wie morsches Holz.

»Äh, ich glaube, die ist gerade auf Vortragsreise unterwegs«, sagte ich.

Ja, jetzt fiel es mir wieder ein, sie war an der Ostküste, um dort in Schulen über Adler zu sprechen und gleichzeitig nach neuen Wandlern Ausschau zu halten.

Der Mann runzelte die Stirn. »Und wer vertritt sie?«

»Einer unserer Lehrer, Isidore Ellwood.« Was wollte der Kerl überhaupt? Er roch irgendwie nach Gefahr, aber ich wusste nicht, warum. Ein eisiger Schauer überlief mich. War das womöglich der ganz besondere Verbündete, den Andrew Milling gewonnen hatte? Ein Mensch? Nein, das konnte nicht sein, er hasste Menschen!

»Na, dann führ mich zu ihm.«

Geduldig wartete ich ab, ob noch ein »Bitte« hinterherkommen würde, aber es kam keins. Das entsprach nicht ganz dem, was wir in Menschenkunde als »höflich« gelernt hatten. Ich mochte den Kerl immer weniger.

»Worauf wartest du noch?«, fragte der Mann ärgerlich und blickte auf seine Uhr. »Ich habe nicht viel Zeit.«

Am liebsten hätte ich ihn angefaucht, doch stattdessen sagte ich: »Kommen Sie.« Aber das hätte ich mir auch sparen können, denn in dem Moment flog die Tür eines Klassenraums auf und Isidore Ellwood, Lous Vater und unser Verwandlungslehrer, schoss heraus wie ein Murmeltier aus seinem Bau. »Was ist hier eigentlich los?«, brummte er gereizt. »Carag, du …«

Dann sah er unseren Gast und wechselte sofort in einen freundlichen Ton. »Oh, guten Tag. Herzlich willkommen in der Clearwater High. Kann ich Ihnen helfen?«

Obwohl klar war, dass mich hier niemand mehr brauchte und ich außerdem gerade Unterricht verpasste, blieb ich stehen und lauschte. Doch was ich im nächsten Moment hörte, konnte ich einfach nicht glauben.

»Mein Name ist Crump«, sagte der Fremde knapp. »Ich bin der neue Vormund von Holly Lewis.«

Zu meiner Zeit in den Bergen hätte ich wahrscheinlich »Was für ein ›Mund‹?« gefragt. Doch inzwischen wusste ich darüber, wie elternlose Kinder und Jugendliche vom Staat betreut wurden, mehr, als ich jemals hatte wissen wollen.

»Ich bin der Meinung, es ist dringend nötig, dass ich mich um sie kümmere!«, behauptete der Mann. »Denn mir scheint, bei Ihnen ist sie bisher beklagenswert vernachlässigt worden.«

Verblüfft blickte ich ihn an. Ich hatte zwar gewusst, dass Holly eine Waise war – ihre Eltern waren von Raubtieren erbeutet worden, als sie gerade in ihrer zweiten Gestalt unterwegs gewesen waren. Auch dass niemand Holly adoptiert hatte und sie deshalb an den Wochenenden nicht heimfuhr, hatte ich natürlich mitbekommen. Aber ich hatte nicht gewusst, dass irgendjemand für ihre Betreuung zuständig war, jedenfalls hatte sie nie so etwas erwähnt.

Einen Moment lang wirkte Mr Ellwood genauso verblüfft wie ich. Dann wandte er sich mit verkniffener Miene an mich. »Carag, kannst du bitte mal Holly aus dem Unterricht holen? Ich glaube, sie wird hier gebraucht. Bring sie in mein Büro!«

Ich nickte stumm.

Viele Augenpaare blickten mich an, als ich nach Beginn der Stunde hereinkam – allein Juanita glotzte mit acht Augen, sie hockte wie so oft als Spinne hoch oben in einer Zimmerecke. Sarah Calloway stand in einem eleganten, silbrig blauen Kleid an der Tafel und schaute fragend drein, da ich keine Anstalten machte, zu meinem Platz neben Leroy zu gehen. »Wieso der Alarm? Weißt du etwas darüber, Carag?«

»Es ist ein Gast aufgetaucht, ein Mensch«, erklärte ich schnell. »Er sitzt gerade mit Mr Ellwood zusammen … ich soll Holly mitbringen.«

Holly hatte auf ihrem Stuhl neben Wing herumgehibbelt, nun sprang sie strahlend auf. »Oh, echt, ein Gast? Besuch für mich? Endlich mal!«

Das stach mich ins Herz. »Äh, ja, aber … «, begann ich und hielt Holly die Tür auf, damit sie hinausstürmen konnte. Ihre wilden rotbraunen Haare wehten im Luftzug.

Im Laufschritt gingen wir zum Büro des stellvertretenden Schulleiters. »Was ›aber‹?«, fragte Holly. »Wer ist er denn? Ist es jemand, der mich adoptieren möchte? Oder jemand von der Zeitung? Oder …«

»Wieso von der Zeitung?«, fragte ich. »Man muss erst mal irgendwas Tolles machen, um in die Zeitung zu kommen.«

»Hm, ja, stimmt.« Holly kratzte sich am Kopf und schaute besorgt drein. »Von der Polizei ist er auch nicht, oder?«

Ich musste grinsen, obwohl mir nicht danach zumute war. Holly hatte flinke Finger und die Angewohnheit, den Leuten damit alles Mögliche aus den Taschen zu ziehen. »Nein, nein, keine Sorge, du hast doch sowieso nichts geklaut in letzter Zeit, oder? Der Typ ist dein neuer Vormund.«

»Ach so.« Hollys Schritte wurden langsamer. »Der alte Vormund war richtig nussig, er hat nur jeden Monat einen Scheck für die Schulgebühren und mein Taschengeld geschickt, ansonsten hat er sich nicht eingemischt. Hoffentlich ist der neue auch so.«

Wir waren vor dem Büro angekommen. Mit klopfendem Herzen blieb ich stehen. »Viel Glück«, sagte ich, während Holly die Tür öffnete.

»So schlimm?« Besorgt blickte Holly mich an.

»Ah, da bist du ja, junge Dame – setz dich!«, ertönte schon Isidore Ellwoods Stimme. Momente später schloss sich die Tür vor meinem Gesicht.

Bestimmt wartete die Klasse auf mich. Aber meine Füße klebten am Boden, als wäre ich in Honig getreten. Sie wollten sich einfach nicht fortbewegen. Natürlich bekam ich sogar durch die geschlossene Tür alles mit, was drinnen geredet wurde. Auch als Mensch habe ich verdammt gute Ohren.

»Also, Mr Ellwood, da mein Vorgänger nun in Rente gegangen und nach Florida gezogen ist, habe ich den Fall dieses Mädchens übernommen …«

»Hey, ich bin kein Fall!«

»… und nach einem Blick in die Akte bin ich entsetzt über die Fortschritte von Miss Lewis, denn die sind leider nicht existent. Ich habe mir ihre letzten Zeugnisse angesehen, allesamt eine Katastrophe. Ihre Noten lassen mich daran zweifeln, ob sie hier wirklich angemessen betreut wird, und …«

Hollys Stimme: »Aber … ich bin einfach nicht gut in der Schule, das liegt an diesem verkackten Waisenhaus, in dem mich irgendwie niemand …«

»Holly! Mäßige bitte deine Sprache und hör auf, uns zu unterbrechen!«