Der große Baum - Herbert von Hoerner - E-Book

Der große Baum E-Book

Herbert von Hoerner

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Beschreibung

"Auch der Herr legt die Hand an den Stamm und schaut zur Krone hinauf. Und wie sie so dastehen, den Baum zwischen sich, ihn betrachtend und an ihn gelehnt, liegt in Blick und Haltung der beiden etwas Verbindendes, von Mensch zu Mensch ein Verstehen. Nicht wie von gleich zu gleich. Herr und Knecht, dabei bleibt es. Aber sie wissen beide, und eben darin verstehen sie sich, daß vor Gott alle Menschen gleich sind. Sie sind es auch vor diesem Baume." Begleitet wird der Majoratsherr bei seiner Fahrt durch den Wald von seinem Enkel, dem fünfjährigen Alexander. Als nun der Schneesturm an Kraft gewinnt, geschieht es, dass der übermütige kleine Junge, dem das Versteckspielen im Schneegestöber Spaß macht, sich verirrt und im Sturm verloren geht. Die Suche nach ihm bleibt erfolglos. Wie soll er nur eine ganze Nacht alleine dort draußen im Toben der Elemente überleben? Doch Alexander ist nicht völlig allein: Der große Baum und die führende Hand seiner alten Kinderfrau Mining scheinen den kleinen Jungherrn zu beschützen. Nur, dass sich Mining währenddessen noch zu einer Beerdigung auf einem Nachbargut befindet ... Das Schneesturmdrama um das im nächtlichen Wald sich verlaufende Kind wird unter Hoerners plastisch gestaltender Hand zum Monumentalgemälde eines gewaltigen Naturereignisses, in dem zugleich eine tiefe menschliche Wahrheit aufscheint.-

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Seitenzahl: 63

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Herbert von Hoerner

Der große Baum

Erzählung

Saga

Der große Baum.

© 1991 Herbert von Hoerner

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved.

ISBN: 9788711593110

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com.

Drüben, jenseits des Moores, dort, wo umsäumt von dichtem Ellerngebüsch wieder der Hochwald beginnt, steht sie, die alte Kiefer, der Baum. Mann und Weib in einem, Ahn allen Kiefernwaldes ringsum, überragt sie mit ihrem Wipfel die anderen Baumhäupter. Weit verbreitet ist ihr Nachwuchs, und immer noch zeugt sie neuen. Längst sind Kinder und Kindeskinder, jedes Vater und Mutter zugleich, Ahnen geworden. Aber auch in dem Urahn ist noch die Kraft der Jugend. Auch von ihm noch stäubt es gelb, wenn im Frühling durch den hochzeitlichen Kiefernwald Wolken schweben des befruchtenden Staubes. Den Segen, maßlos verschwendet im Überfluß, empfängt an der Spitze des Zweiges die Blüte. Wohl jede bekommt davon ihr genügend Teil, und welcher es bestimmt ist, fruchtbar zu sein, die wird als Zapfen den Samen tragen. Rot war die Blüte. Der Zapfen ist grün, er bräunt sich, verholzt. Drei Jahre dauert die Reifung. Der Zapfen spreizt sich, die Schuppen klaffen. Heraus fallen, jedes einen Flügel am Leib, die Körner. Jedes sucht sein Schicksal. Schicksal ist Fallen. Sie fallen dem Winde in die Hand. Er streut sie weit umher. Die Vögel oben in den Zweigen und die Ameisen unten am Boden helfen auch noch auf ihre Weise, daß der Keim in die Erde kommt. Es ist dafür gesorgt, daß das Geschlecht der Kiefern nicht ausstirbt.

Der Baum, dessen Krone die anderen Kronen überragt, hat unter seinesgleichen keinen Altersgenossen. Er ist allein übriggeblieben von dem Walde seiner Jugend, seines Alters. Aufgewachsen ist er in dichtem Bestande. Darum ist sein Stamm so gerade, seine Krone so hoch. Kein Mensch kann sagen, wie alt der Baum ist. Da müßte man schon die Großväter der Großväter fragen, wann der Wald, von dem der Baum nur ein Bäumchen war, zu wachsen begann. Aber die Großväter der Großväter sind tot, und der Baum lebt noch. Wer ihn abschlüge, wer ihn fällte, ja, der könnte wohl unten an der Baumscheibe die Jahresringe zählen und dann wüßte er es. Aber wer wird denn einen solchen Baum fällen?

Laibe, der Holzhändler – Buschwächter Eglis kann ihn nicht leiden –, schleicht nicht zum erstenmal um den Baum herum, befühlt ihn, beklopft ihn, streichelt seine rauhe Rinde. – »Gutes Holz«, sagt der Holzhändler Laibe. »Astfreies Holz. Und gesund bis in die Wurzel. Das sieht man an der Krone. Da stirbt noch nichts ab. Ein schöner Baum. Könnte als Schiffsmast gehen oder als Mühlenwelle. Mühlenwellen sind gesucht. Wozu läßt man einen solchen Baum stehen, wenn man ihn kann verkaufen?«

»Ja, schauen Sie sich den Baum nur an«, sagte Eglis, der Buschwächter, der den Holzhändler nicht leiden kann. »Kriegen tun Sie ihn doch nicht. Sie denken immer noch an das Waldstück, wo vor drei Jahren der Herr Ihnen zu schlagen erlaubte. Da haben Sie viel zuviel daran verdient. Wäre das in meinem Walde gewesen, mich hätten Sie nicht übers Ohr gehauen mit Ihrem Maßstock, der um drei Ginger Breite zu lang war.«

Laibe erwidert auf solche Anschuldigungen nichts. Eglis würde noch anders mit ihm reden und ihn ganz einfach aus seinem Waldberitt hinausjagen, wenn Laibe sich nicht darauf berufen könnte, er habe vom Baron die ganz ausdrückliche Erlaubnis bekommen, sich das Waldstück jenseits des Sumpfes anzusehen. Gegen eine solche Erlaubnis seines Herrn ist der Buschwächter Eglis machtlos. Aber er läßt Laibe nicht aus den Augen, so als wäre dieser imstande, Bäume heimlich abzuschneiden und sich in die Tasche zu stecken.

Den Weg zurück zur Buschwächterei Eglis’, wo Laibe sein Pferd untergestellt hat, kürzen die beiden ab, indem sie über das Moor gehen. Das Moor ist gefroren, denn es ist Winter. Aber der Frost war noch nicht stark genug, um durch die Schneedecke hindurch tief in das Moor einzudringen. Eglis, der vorausgeht, hört hinter sich einen Schrei und sieht, wie Laibe sich angstvoll an eine der Zwergkiefern anklammert, die hier in spärlichem Bestande die festeren Stellen des Moores bezeichnen. Es ist kein Weg, der über das Moor hinüberführt, es ist nicht einmal ein Pfad. Aber wer sich nach dem Stande der Zwergkiefern zu richten weiß, kommt auch im Sommer hinüber. – Laibe natürlich, so ein Holzhändler, von Bäumen versteht er was, aber über ein Moor zu gehen versteht er nicht. Er ist mit einem Bein tief durch den lockeren Schnee in ein Moorloch getreten. Nun kriegt er den Fuß nicht aus dem Filzstiefel und diesen nicht aus dem Loch heraus und muß sich an die Zwergkiefer anklammern, um nicht auch noch mit dem zweiten Bein zu versinken. Eglis leistet ihm halb lachend, halb scheltend Beistand, indem er zuerst ihn aus dem Stiefel und dann den Stiefel, dessen Filzschaft gänzlich durchnäßt und geschwärzt ist, aus dem Moorloch herauszieht. Laut jammernd fährt Laibe mit dem nassen Fuß in die nasse Umhüllung. Im Weitergehen hält er sich am Ärmel von Eglis’ Pelz fest. Er möchte nicht zum zweitenmal ins kalte Unglück sinken.

Das Pferd wird angespannt. Eglis bekommt den von ihm erwarteten Rubel Trinkgeld, und Laibe fährt davon. – Ein dicker Mensch, ein mageres Pferd, ein schiefer Schlitten, denkt Eglis, dem Davonfahrenden nachblikkend. Aber viel Geld! – Er wendet sich seinem Hause zu, aus dessen Schornstein Rauch aufsteigt. An Pfosten und Türschwelle tritt und klopft er sich den anhaftenden Schnee von den Füßen. Seine Fußbekleidung besteht aus drei Paar dicken wollenen Socken übereinander, von der Frau gestrickt aus der Wolle der eigenen Schafe. Darüber ist die Pastel gezogen. Das ist der Schuh, den schon der Mensch der Vorzeit trug: aus einem Stück Leder geschnitten und naß um den Fuß geformt. Er schmiegt sich um Sohle und Zehen und wird am oberen Rande durch feine Riemen zusammengezogen. Von der Pastel geht eine Verschnürung kreuzweise an der Wade hinauf.

Drinnen im Hause wird die Frau schon das Mittagessen bereitet haben, und die Kinder werden auf den Vater warten. Dieser Laibe, der hat ihn so lange aufgehalten. Aber warum steht der Vater immer noch draußen vor der Tür, warum kommt er nicht herein? Laibe mit seinem schiefen Schlitten ist hinter der Biegung des Hügels verschwunden, aber von anderer Richtung her kommt jetzt ein anderes Gefährt. Aus dem Dunkel des Fichtenwaldes bewegt es sich heraus. Das Pferd, den Schlitten, den Fahrer, Eglis erkennt sie von weitem: es ist der Herr. Der Herr wird etwas mit ihm zu besprechen haben, vielleicht wegen der Jagd.

Eglis öffnet die Tür seines Hauses und ruft hinein: »Betet und eßt!« Dann geht er dem mit leisem Schellengeläut sich nähernden Gefährt entgegen. Der Herr sitzt nicht allein im Schlitten. Zwischen den Knien hält er ein Kind. Der kleine Jungherr ist es, der Enkel des Herrn. Es schaut von ihm über die Schlittendecke nicht viel mehr als das Näschen hervor. Aber dieses