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Ein Herrenhaus in Mecklenburg, ein Palais am Bosporus … Frauen waren seine Leidenschaft. Inmitten zweier unterschiedlicher Kulturen wächst der junge Feridun auf. Als Sohn des Dardanellen-Helden Cevat Pascha wird er im Kadettenkorps in Berlin zum Gardejäger gedrillt und ist Gast auf den Gütern adliger Familien in Preußen. Als Diplomat, protegiert von Atatürk, Frauenheld und charmanter Exot erlebt er die bewegende Weltgeschichte zwischen 1920 und 1960. Sein Sohn Hasan, wie der Vater weder in der Türkei noch in Deutschland wirklich zu Hause, erzählt diese wechselvolle Familiengeschichte und schlägt den Bogen über hundert Jahre bis in das Jahr 2013, als er am Gezi-Park eine unerwartete und berührende Bekanntschaft mit einer jungen Demonstrantin macht …
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Seitenzahl: 596
Hasan Cobanli
Stephan Reichenberger
Der halbe Mond
Roman
LangenMüller
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© für die Originalausgabe und das eBook:
2015 LangenMüller in der
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagsgestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagfoto: Mia Takahara, plainpicture
Satz und eBook-Produktion:
Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
www.Buch-Werkstatt.de
ISBN 978-3-7844-8230-9
»Alles, was wir auf der Welt sehen, ist das Werk von Frauen.«
Atatürk
INHALT
PERSONEN
EINS
1915 Feridun
1997 Hasan
1915 Cevat Paşa
1915 Das Herrenhaus
1915 »Sie werden nicht durchkommen!«
1915 Magdolna
1915 Im Kadettenkorps
1997 Nesrin
1919 Heimkehr
ZWEI
1920 Hadije Soraya
1921 Der Gazi
1922 Der Teppich mit der dunklen Stelle
1925 Franz von Papen
1926 Roons dritte Tochter
1930 Der Vulkantänzer
DREI
1997 Selma und Şadi
1934 Zsa Zsa
1937 König Zogu
1938 Letzte Ehre
1938 Vater der Türken
1944 Roncalli
VIER
1949 Allein
1949 Benita
1950 Mein liebster Feridun!Meine liebe Benita!
1951 Der steinerne Gast
1951 Fünf Monate später
FÜNF
1960 Der freundliche Mr. Sziffer
1961 Das Herrenhäuschen
1961 Bern
1961 Mein lieber Sohn
1997 Der letzte Brief
1963 Bosporus Boy
1966 Zurück zu den Dardanellen
SECHS
2013 Gezi
Danksagung
PERSONEN
Cevat Paşa (1870–1938)
Osmanischer General, Feriduns Vater
Feridun Cobanli (1899–1961)
Cevats Sohn, Kadett, Gardejäger-Hauptmann a. D., Diplomat
Hasan Cobanli (1952–)
Feriduns Sohn, Journalist in Deutschland
Hadije Soraya (1875–1935)
Cevats Frau, Feriduns Mutter
Selma Cobanli (1913–2008)
Feriduns 1. Frau, Basris Mutter
Benita Cobanli (1922–2010)
Feriduns 2. Frau, geb. Baronin von Roon, Hasans Mutter
Wolfram von Roon (1882–1972)
Rittmeister a. D., Benitas Vater
Marie-Luise v. Roon (1889–1968)
Wolframs Frau, geb. Gräfin Bassewitz, Benitas Mutter
Basri Cobanli (1932–1996)
Sohn von Feridun und Selma
Jale (1998–)
Feriduns Enkelin
Şadi Cenani (1904–2011)
Feriduns Freund und Trauzeuge, Selmas 2. Mann
Nesrin (1965–)
Şadis Enkelin aus 1. Ehe
Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938)
Gründer der Türkischen Republik
Franz von Papen (1879–1969)
deutscher Politiker, Botschafter in der Türkei
Zsa Zsa Gabor (1917–)
ungarische Soubrette, Schönheitskönigin
Burhan Asaf Belge (1899–1967)
türkischer Journalist und Politiker, erster Ehemann von Zsa Zsa Gabor
Ahmet Zogu (1895–1961)
König von Albanien
Geraldine Apponyi (1915–2002)
ungarische Gräfin, Königin von Albanien
Guiseppe Roncalli (1881–1963)
katholischer Bischof für die Türkei und Griechenland, später Papst Johannes XXIII.
EINS
1915Feridun
Im März 1915 bestieg der fünfzehnjährige Feridun, Sohn des osmanischen Generals Cevat Paşa, in Berlin-Lichterfelde ein Kraftrad und verließ die kaiserliche Kadettenanstalt knatternd in nordwestlicher Richtung. Während die von seinem Vater Cevat befehligte Küstenbrigade bei den Dardanellen unter schwerem Feuer aus Winston Churchills Kanonenbooten stand, kam der Kadett einer Einladung in das mecklenburgische Schlossgut Schwiessel nach. Dort erwartete ihn die Familie des Rittmeisters a. D. Wolfram von Roon.
In Feriduns Gepäck befanden sich: ein dunkler Anzug, weißes Seidenhemd, rote Krawatte, außerdem Pomade, Rasierzeug und Duftwasser. Heute wollte er einmal nicht in Ausgehuniform bei Tisch erscheinen, sondern in elegantem Zivil. Nicht als irgendein Kadett, schon gar nicht als türkischer, sondern als junger Mann von Welt, jener alten Welt, die Europa hieß.
Von dieser Welt kannte Feridun fast nur die Kaserne in Lichterfelde. Den zehnjährigen Knaben hatten die Eltern 1910 mit dem Zug von Konstantinopel nach Berlin verschickt. Dort wurde er gegen hohe Alimentation als türkischer Exot in der berühmtesten Kriegsschule der Welt zum Offizier geschliffen, um anschließend seine Heimat gegen ihre vielen Feinde zu verteidigen. Zuvor war er mit Europa nur in Gestalt von Hauslehrerinnen in Kontakt gekommen – französischen für Geschmack, Manieren und Klavierspiel, deutschen für den Ernst des Lebens. Letzteren lernte er als Kadett am eigenen Leib kennen. Die seltenen Wochenenden in Schwiessel dagegen boten ihm seit einem Jahr Erlösung vom grauen Alltag der Zuchtanstalt.
Der Motor stotterte seit Stunden, als würde er Schrauben spucken. Die klapprige Maschine gehörte dem schon früh kriegsverwundeten Rittmeister Roon, der sie dem Kadetten für Fahrten zwischen Lichterfelde und Schwiessel zur Verfügung stellte. Feridun trug seinen Manöverdrillich, hatte sich die Benzinstationen zwischen Berlin-Lichterfelde und Schwiessel gut eingeprägt, auch Urlaubschein, Fahrerlaubnis und Tankberechtigung nicht vergessen. Als junger Türke auf einem Motorradausflug Richtung Ostsee wollte er unterwegs möglichst wenig auffallen. Hatten doch Brandenburger und Mecklenburger vor einem guten halben Jahr ihre Söhne an die Front verabschiedet wie zu einer Spazierfahrt in die Sommerfrische und sich inzwischen an die bittere Wahrheit gewöhnen müssen, dass der deutsche Soldat nicht unsterblich war.
»Ihr seid hier, um sterben zu lernen«, hatte der Erzieher 1910 dem neuen Kadettenjahrgang zugerufen. Feridun konnte sich damals nichts Schöneres vorstellen. Dulc’ et decorum’st pro patria mori! Schade nur, dass der große Krieg dann etwas zu früh ausbrach. Hoffentlich dauerte er noch ein paar Jahre. Die ganze Schinderei in der Kadettenschule war ja nur auszuhalten, wenn man seine Kenntnisse in der Praxis unter Beweis stellen durfte.
Hinter Roggow hatte Feridun querfeldein die Landstraße verlassen, eine Abkürzung vermutend. Keine fünfzehn Minuten von hier musste sein Ziel liegen, das Herrenhaus am Ende einer von alten Linden gesäumten Auffahrt. Die Zeit drängte. Die Sonne stand schon tief über den mecklenburgischen Seen, ihre Strahlen durchbrachen nur noch sporadisch die aufziehenden Wolken. Ein Regenbogen warf am Horizont sein Pfauenrad, Seitenwind brachte die ersten Tropfen. Feriduns Schutzbrille beschlug von innen und behinderte die Sicht.
Am Krassower See passierte es. Der Kadett hatte sich etwas zu tief in die Kurve gelegt, als er plötzlich ein Pferdefuhrwerk auf sich zukommen sah. Er riss den Lenker herum. Das Motorrad röhrte auf, die Reifen drehten durch, Mann und Maschine schlitterten über den aufgeweichten Forstweg, dann die Böschung hinunter – wasserwärts. Feridun spürte einen harten Schlag gegen den Schädel, versuchte noch, sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen, doch die Beine versagten ihm den Dienst. Das Motorrad war schneller, gurgelnd versank es im See, sein Gepäck mit sich nehmend. Krähen flogen kreischend auf und kreisten neugierig über der Unfallstelle.
Nässe und Kälte schlugen über Feridun zusammen.
Dann wurde es dunkel um ihn und wohlig warm.
Der Kadett kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, sah sich unter der Wasseroberfläche schweben, zu keiner Bewegung fähig. Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als sich ein schnauzbärtiges Gesicht über ihn beugte, kreisförmige Wellen ließen es verschwimmen, doch der Mann kam ihm bekannt vor.
Sein Vater?
Unmöglich, der Pascha befand sich weit weg von hier auf seinem Posten. Feridun aber war doch unterwegs gewesen in Norddeutschland.
Oder lag er schon irgendwo an der Westfront? Der Krieg, auf den er sich all die Jahre vorbereitet hatte – war er für ihn etwa schon vorbei, ganz ohne Ehre und Heldenruhm? Nein, das durfte einfach nicht sein. Das konnte er dem Vater nicht antun.
Der Kadett starrte nach oben, der Bärtige blickte noch immer auf ihn herab.
Rief der Vater ihm ein Lebewohl in die Tiefe nach, ein paar Abschiedsworte, in denen die Enttäuschung des verdienten Generals mitschwang, weil sein einziger Sohn – die Tochter zählte nicht – sich fern der Front aus dem Staub gemacht hatte? Welche Schmach für Familie und Vaterland! Wie sollte der Pascha dies dem deutschen Kaiser erklären und wie dem Sultan?
Nebelschwaden krochen über Feridun hinweg an Land, die letzten Sonnenstrahlen hatten keine Kraft mehr, sie aufzulösen. Der Kadett glaubte auf einmal aromatische Düfte zu riechen, die sein feuchtes Grab in ein türkisches Bad verwandelten. Jemand zog ihn aus und begann seinen Körper zu reinigen und zu balsamieren. Wuschen und salbten die Deutschen ihre Toten?
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