Der Höhlenbub - Thomas Fieglmüller - E-Book

Der Höhlenbub E-Book

Thomas Fieglmüller

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Beschreibung

Was Johannes zwischen seinem 10. und 14. Lebensjahr erlebt und überlebt, passiert den meisten Menschen nicht einmal während ihres gesamten Lebens. Auf der Flucht vor seinen gewalttätigen Eltern haust er zunächst in einer Höhle, kämpft dort mit Krankheit und Hunger, Trockenheit und Angst – und gegen Alpträume, die ihn auf Grund seiner Erlebnisse immer wieder heimsuchen. Doch plötzlich wird alles anders. Plötzlich scheinen ihm zwei Menschen den Weg in ein neues Leben zu ebnen. Doch wird das am Ende tatsächlich gelingen?

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Thomas Fieglmüller

Der Höhlenbub

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON • NEW YORK

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2022 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE GMBH

Mainstraße 143

D-63065 Offenbach

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

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Titelbild: Michal Ico/Unsplash

ISBN 978-3-8372-2621-8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ohnmacht

Flucht

Höhle

Hölle

Hexe

Licht

Feuer

Wärme

Schock

Frost

Quelle

Vorwort

Das vorliegende Buch erzählt die wahre Geschichte eines Buben, die sich Anfang der sechziger Jahre zugetragen hat. Was dieser Bube – ‚Johannes‘ will er genannt werden – zwischen seinem 10. und 14. Lebensjahr erlebt und erlitten hat, ist hier niedergeschrieben. ‚Johannes‘ hat sie mir erzählt und mir auch seine – auf ‚fliegenden Blättern‘ notierten – Aufzeichnungen von dieser Zeitspanne zu lesen gegeben. Zum Abschluss unserer vielen Gespräche habe ich ihm meinen GedichtbandVerwundete Wurzelmitgegeben. Dadurch erst ist er aufmerksam geworden, dass ich auch ein Schriftsteller bin. So bekam ich nach einigen Wochen von ihm seine ‚fliegenden Blätter‘, die er datiert hatte, zugesandt mit der drängenden Bitte, diese seine Buben-Erlebnisse zu veröffentlichen – allerdings ohne die tatsächlichen Orte seiner meist bitteren Erfahrungen zu nennen. Dem bin ich dann doch gerne nachgekommen und habe deshalb Wien und das Waldviertel als Schauplatz seiner vierjährigen Lebensgeschichte gewählt. Ich habe versucht seinem Buben-Sprachduktus, wie er mir aus seinen schriftlichen Unterlagen bekannt war, soweit es geht zu folgen; doch manche Dialektausdrücke mussten, der besseren Lesbarkeit wegen, ‚verdeutscht‘ werden. ‚Johannes‘ hat mein Manuskript gelesen und war voll zufrieden damit. So bleibt mir nur mehr mich herzlich bei ihm für seine Offenheit und Ehrlichkeit zu bedanken und ihm und seiner Familie noch eine glückliche Zeit zu wünschen! Michaela und Hans, die nach wie vor in Kanada leben, gebührt meine tiefe Bewunderung für ihr spontanes, von Herzen kommendes Handeln als sie damals den ‚spindeldürren‘ Buben trafen!

Mein Dank gilt auch meiner Nichte Susanne und meinem Neffen Bernhard, die mich technisch unterstützt haben und meiner lieben Salzburgerin Brigitte, die für mich oftmals fest die Tasten gedrückt hat. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Nikolaus Gruß, der mir ein hilfreicher Lektor war.

Wien, 22.02.2022                 Thomas Fieglmüller

Ohnmacht

‚Du bist eine Hure‘, voll Wut im Bauch habe ich mir das gedacht, wie meine Mutter wieder mit der alten Leier angefangen hat: „Ihr seid undankbare Fratzen, elendige Pankert. Da schuftet man sich ab für euch – und was ist der Dank? Ja, schaut nur so, vor allem du“, sie sieht mich an, „In der Schule stinkfaul, bei deinem Bruder wurde ich nicht so oft zu den Lehrern vorgeladen wie bei dir!“ ‚Du musst eine Hure sein!‘, habe ich mir gedacht. Ich weiß eigentlich gar nicht, was das ist: Hure, aber das U im Wort kann ich so schön langziehen – das klingt dann so böse. Es war wieder einmal so eine Strafpredigt von ihr, wie wir sie ein paarmal in der Woche zu hören bekommen – und ich kriege immer am meisten davon ab. Sie hat mir auch so oft schon eine Watsche gegeben. Noch ärger aber ist mein Vater, der hat mich schon so oft verprügelt, dass ich mich schon zweimal hab umbringen wollen, aber es ist mir leider nie gelungen – nicht einmal das bringe ich zustande! So langsam glaube ich wirklich, dass ich zu Allem zu blöd bin, wie meine Eltern immer sagen.

Das erste Mal habe ich mich vor ein Lastauto geworfen, das gerade dahergekommen ist. Der Fahrer hat das Auto leider doch noch abbremsen können, weil er abbiegen wollte und von daher sowieso schon langsamer gefahren ist. Zuerst habe ich die Augen gar nicht aufgemacht, ich habe nur gehört, wie Leute geschrien haben: „Du bleder Bua, kannst net aufpassen, hast net glernt zuerst links und rechts schauen, bevor du über d Straßen gehst!“ Ich glaube der Fahrer war es, der immer gesagt hat: „Der is ma furs Auto gsprungen – ich kann nix dafür, ich kann nix dafür!“ Dann ist einer zu mir gekommen, hat mich vorsichtig angefasst: „Ist dir was passiert? Kannst aufstehn?“ Da habe ich erst die Augen aufgemacht und gesehen, dass es ein Polizist ist. „Ja, ich kann schon aufstehn“, habe ich gesagt. „Na, dann kumm da ausse“, hat er gesagt. Als ich vor ihm stand, habe ich angefangen zu zittern. „Sag amoi, warum hast denn des gmacht, dass du net auf die Straßen gschaut hast?“ „Ich wollt mich umbringen.“ „Mei liaba Bua, mit sowas macht ma keinen Gspaß net!“ „Ja eh net. Des is eh ka Spaß,“ habe ich nur rausgebracht. Aber er hat mich nicht verstanden. Er hat daraufhin nur gesagt: „Na, da samma uns ja einig.“ Ich war dann direkt froh, dass er mich nach Hause gebracht hat, weil die Leute, die dort herumgestanden sind, mich, glaube ich, abgewatscht hätten.

Daheim hat mich mein Vater deswegen verprügelt, weil ich von einem Polizisten nach Hause gebracht worden bin – das hat natürlich meine Mutter meinem Vater gesagt. Immer wieder träume ich in dieser Nacht von diesen großen, dicken schwarzen Rädern vom Lastwagen, die direkt vor meinem Kopf stehen – da wird mir ganz heiß und ich wache auf.

Bei meinem zweiten Versuch habe ich mich aufs Klo gesetzt – mein Lieblingsplatz zum Träumen, der einzige ruhige Platz für mich – aber unser Nachbar, der bei der Rettung Sanitäter ist und der auch auf unsere Toilette auf dem Gang geht, hat mich entdeckt, wie ich mir gerade die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Ich habe leider vergessen, die Klotür zu verriegeln. Er hat mich sofort verbunden – links und rechts auf der Hand mit so einem festen Verband – obwohl ich wie am Spieß geschrien habe: „Ich will das nicht!“ Natürlich hat auch das wieder meine Mutter meinem Vater erzählt und der hat mich wieder einmal dafür verprügelt. Das ist aber auch das erste und einzige Mal gewesen, dass meine Mutter dazwischen gegangen ist, aber nicht weil er mich verprügelt, sondern weil meine Wunden auf den Händen aufgegangen sind und ich von beiden Händen stark zu bluten begonnen habe und das Blut auf den Boden getropft ist. Da hat meine Mutter geschrien: „Hör doch auf damit, siehst du nicht was er“, damit war ich gemeint, „für eine Schweinerei in der Wohnung anrichtet, sein Blut versaut mir ja den ganzen Teppich!“ Von meinem Vater bin ich oft verprügelt worden, meistens auch wegen Kleinigkeiten. Manchmal hat er mich so lange geschlagen, bis ich mich angemacht hab: „Ich werd dir das schon noch austreiben“, hat er dazu gebrüllt.

Ja, das Klo ist für mich mein Lieblingsplatz, weil das normal der einzige Raum war, wo ich alleine bin. Meistens, wenn ich aufs Klo gegangen bin, habe ich gar nicht gemusst, aber da war ich alleine, habe das schmale Fenster aufgemacht, in den Himmel geschaut und dahingeträumt. Die anderen haben sich oft über mich geärgert, wenn das Klo durch mich so lange ‚besetzt‘ war. Wir sind immerhin mit der Nachbarsfamilie elf Leute, die das Klo benutzen müssen.

Nachdem das mit dem Umbringen nicht geklappt hat, wollte ich einfach nicht mehr zu Hause bleiben, ich wollte weg, nichts als weg. Für mich war daheim die Hölle. Nach den beiden Versuchen mich umzubringen wird mir klar, dass ich es diesmal viel schlauer anstellen muss, wenn ich von zu Hause weglaufen will, weil es sonst wieder nichts wird – wie bei meinen Selbstmordversuchen. Die ganze Zeit habe ich mir überlegt: Wie mache ich das am besten? Dann ist mir langsam klar geworden: Ich laufe von Daheim weg! Wenn des gehen soll, dann darf ich erstens jetzt daheim nicht auffallen, zweitens, muss ich mir ein Gewand mitnehmen und drittens, brauche ich ein Geld. Also habe ich in den nächsten Wochen den braven Sohn gespielt: Wenn meine Mutter etwas gebraucht hat, habe ich das sofort getan, wenn mein Vater beim Essen zu Hause war, habe ich nie ein Wort geredet, weil alles, was ich gesagt hätte, Prügel bedeutet hätte.

Nur einmal war es anders. Normal habe ich beim Essen nur auf den Teller geschaut – auch heute. Und gerade da fragt mich mein Vater etwas, ich weiß nicht was, ich habe es einfach nicht gehört. Bisher hat er das noch nie gemacht, deshalb habe ich es gar nicht gehört. Dann ist das Gebrüll von ihm losgegangen: „Du elendiger Hund, du antwortest mir, deinem Vater, nicht! Da komm her zu mir!“ Ich bin hin zu ihm, ich muss wie üblich meine Hose runterziehen, mich hinknien mit dem Kopf nach unten und dann habe ich seine Schläge mit der Hand erwartet. Aber diesmal hat er die Schmarrenschaufel genommen, die am Tisch gelegen ist und hat mich damit geschlagen, aber so stark, dass ich geblutet habe am Hintern: „Dir werd ich die Wadln schon noch vire richten, du Rotzbua, du elendiger!“ Danach habe ich meine Hose wieder raufgezogen und in die Küche gehen müssen und die Schmarrenschaufel abwaschen, weil sie blutverschmiert ist. Mein Hintern hat mir so gebrannt wie noch nie. Da habe ich so eine Wut gekriegt und habe zwar das Wasser aufgedreht, aber über die Schmarrenschaufel habe ich mein Lulu rinnen lassen, um so mein Blut von ihr wegzuwaschen. Dann habe ich sie wieder zum Tisch gebracht. Mein Vater hat zwar gesagt: „Aber abtrocknen häst dus auch können!“ „Tschuldigen“, habe ich gesagt und meine Mutter: „Na, jetzt bleib da, es geht schon.“ Und sie hat – wie immer – bei meinem Vater zum Essenausteilen angefangen, dann hat sie sich genommen, dann hat mein Bruder gekriegt, dann meine Schwester, weil sie ja ein Mädchen ist – für meinen Bruder hat das nicht gegolten – ja und dann erst ich. Weil ich mich über meine Rache, dass mein Vater mein Lulu am Teller hat, so gefreut habe, sage ich ein bisschen zu fröhlich: „Mahlzeit!“ „Halt dein Maul, oder willst noch eine abhaseln?“ „Tschuldigen.“ Ich habe aufpassen müssen, dass ich nicht grinse. Meine kleine Rache hat mich gefreut, aber mein Hintern brennt noch immer wie Feuer. Die Hände vom Papa tun nicht so weh, wie die Schmarrenschaufel.

Nach dem Essen bin ich aufs Klo gegangen und habe dort geheult vor Schmerz und Wut. Sage ich etwas, ist es nicht richtig, sage ich nichts, ist es auch nicht richtig. Meine Mutter hat mich dann sogar am Abend noch geschimpft, wie ich mir den Pyjama angezogen habe, weil ich so eine dreckige Unterhose mit lauter Flecken habe. Dabei waren das die eingetrockneten Blutflecken, die mir mein Vater gehauen hat mit der Schmarrenschaufel. Ich habe aber nichts gesagt, weil es eh zwecklos ist. Ich halte das nicht mehr aus – ich muss weg, ich muss weg! Es kann nirgends so schlecht sein wie hier! Trotzdem: Ich darf nichts überstürzen, diesmal muss mein Plan klappen. Ich habe mir überlegt: Ich werde ins Waldviertel flüchten, da kenn ich mich ein wenig aus.

Bei uns auf dem Dachboden haben wir zwei große Körbe stehen, wo je nach Jahreszeit entweder das Winter- oder das Sommergewand gelagert ist. In dem einen Korb, wo noch ein bisschen Platz war, habe ich dann zu sammeln begonnen, was ich mir mitnehmen wollte: Vor allen Gewand, aber auch den großen Rucksack habe ich vom Kasten auf dem Dachboden in den Korb gelegt. Außerdem habe ich aus der Geldbörse meiner Mutter hier und da einen 10 Schillingschein herausgenommen, so dass es nicht aufgefallen ist. Meine Mutter hat auch in einer Schatulle so 25 Schillingmünzen aus Silber, da habe ich mir auch schön langsam immer einen genommen, aber eben nicht alle. In dieser Sammelzeit habe ich mich sehr bemüht, nicht aufzufallen, was anstrengend genug war für mich, weil meine Eltern unberechenbar sind: Manchmal, wenn mein Bruder etwas gesagt hat, war es in Ordnung, wenn ich dasselbe gesagt habe, ist bei mir oft der Watschenbaum umgefallen.

Ich bin gerade in die erste Hauptschulklasse gegangen, da wollte meine Mutter, dass ich gefirmt werde. Sie hat alles geplant. Ich hätte es ja nicht gebraucht, aber ich habe zugestimmt, weil ich ja gerade der brave Bube bin. Meine Tante sollte meine Firmpatin sein. Mit gespielter Freude habe ich auch da zugestimmt, obwohl ich gerade diese Tante nicht mag. Anlässlich meiner Firmung hat meine Patentante vorher in ihrem Garten ein Kinderfest gegeben, wo alle Kinder aus der Verwandtschaft eingeladen waren. Die sind aber alle jünger als ich. Mein Bruder war mit Abstand der Älteste, der hat sich in ein Eck im Garten gesetzt und hat ein Buch gelesen. Meine Schwester und die anderen Mädchen haben irgendwas Blödes gespielt und mir war fad. Daweil die Mädchen gespielt haben, habe ich mich auf die Schaukel gesetzt, aber meine Mutter hat mich vertrieben, weil die Schaukel nur für die Mädchen bestimmt ist. Nachdem mir dann nur noch fader geworden ist, habe ich mich von meinem Fest davongeschlichen und mir gedacht, jetzt kann ich unbemerkt meine Strafe vom Englischunterricht schreiben. Ich habe nämlich meine letzte Hausaufgabe vergessen zu schreiben und deshalb die Strafarbeit bekommen.

Auf einmal kommt meine Mutter vom Garten in die Wohnung und schimpft mich gleich aus, weil ich nicht mehr im Garten war: „Die Tante Mausi hat sich so große Mühe gemacht, um ein Fest für dich zu machen und du bist nicht unten. Was glaubst du, wird sie sich über dich denken?“ „Das ist mir wurscht“, ist mir so rausgerutscht, ich wollte ja eigentlich brav sein, aber umgekehrt war es eine ehrliche Antwort, und für meine Mutter war es ja immer wichtig, nicht zu lügen. Nur die Wahrheit wollte sie auch nicht von mir hören. Das hat für eine feste Watsche gereicht. „Außerdem, was machst du hier?“ „Ich mache meine Englisch-Hausaufgabe,“ was natürlich nur die die halbe Wahrheit war. „Seit wann machst du für die Schule so eifrig Hausaufgaben?“ Mit diesen Worten hat sie mir das Heft aus der Hand gerissen und hat natürlich gesehen, dass es eine Strafarbeit war. „Na warte, du elender Fratz! Mich, deine Mutter anlügen, das werde ich dir austreiben, so lange austreiben bis dir das Lügen vergeht!“, hat sie geschrien, ist in die Küche gegangen und mit einem Teppichklopfer zurückgekommen, um damit sofort wie wild auf mich einzuschlagen. Ich bin vom Sessel weinend aufgesprungen, denn den Teppichklopfer hat sie vorher nass gemacht, deswegen haben mir auch die Schläge besonders wehgetan, vor allem wenn sie meine Füße oder meine Hände erwischt hat, weil es ja ein warmer Tag war und ich da nur ein kurzes Hemd und eine kurze Hose angehabt habe. Ich bin dann ins Schlafzimmer geflüchtet ins Eck, wo ein Hocker steht, den habe ich mir dann vorgehalten um mich zu schützen. Obwohl meine Mutter schreit, ich soll den Hocker weggeben, habe ich das nicht gemacht. Auf einmal steht meine zukünftige Firmpatin in der Tür und fragt, was denn da los ist. Meine Mutter war ein bisschen sprachlos und hat dann gesagt: „Der Fratz hat mich schon wieder angelogen, ich musste ihm die Lügerei austreiben!“ Ich weiß nicht mehr, ob meine Tante ‚ach so‘ gesagt hat oder ‚doch nicht so‘. Egal, ich habe wieder in den Garten gehen müssen. Mein Bruder hat mich uninteressiert gefragt: „Was war denn los, ich hab die Mama und dich schreien ghört?“ „Nichts.“

Voll Wut habe ich mich in eine Ecke des Gartens hingesetzt und geheult. Wie meine Tante gerufen hat: „Kommt Kinder, es gibt jetzt eine Jause!“ bin ich sitzen geblieben. Ich habe gehört, wie meine Mutter wieder lospoltern wollte, aber offensichtlich hat sie meine Tante bändigen können und sie ist dann zu mir gekommen und hat gesagt: „Bitte komm auch – auch um meinetwillen.“ Also bin ich mit meiner Tante zum Jausentisch gegangen. Appetit habe ich eh keinen gehabt, aber ein Stück Kuchen habe ich doch hinuntergewürgt. Außerdem wollte ich einen neuerlichen Streit mit meiner Mutter aus dem Weg gehen.

Endlich war dieses fade Fest zu Ende. Ich habe mich ‚artig‘ bei meiner Tante Mausi bedankt und habe dann Angst gehabt, in unsere Wohnung zu kommen, weil ich mich vor meinem Vater so gefürchtet habe, wenn ihm meine Mutter das von mir erzählen wird. Ich habe eine solche Wut in mir gehabt und so viel Zorn, dass ich mir sogar überlegt habe, mir das große Küchenmesser einzustecken und, wenn mein Vater mich prügelt, entweder ihn oder meine Mutter oder mich zu erstechen. Aber ich habe Glück gehabt: Gerade an diesem Tag ist mein Vater nicht nach Hause gekommen, ich weiß nicht warum, aber Hauptsache er ist nicht da. In der Wohnung hat meine Mutter mir den Befehl gegeben: „So, und jetzt schreibst du deine Strafe nochmals, auch wenn du bis Mitternacht dasitzt.“ Meine Mutter hat mir nämlich das, was ich von der Strafe schon geschrieben hatte, zerrissen. Das war aber für mich eh noch das Angenehmste, weil sie mich nicht mehr geschlagen hat und auch nichts mehr gesagt hatte. Nach zwei Stunden war ich fertig. Mein Bruder hat die Strafe kontrollieren müssen, ob alles richtig war, weil meine Mutter ja kein Englisch kann. Mein Bruder hat sich alles durchgelesen und dann zu meiner Mutter gesagt, dass ‚eh alles in Ordnung ist‘. Danach hat sie mich ins Bett geschickt. In mir hat sich so viel Wut aufgestaut, dass ich gar nicht einschlafen konnte. Mein einziger Gedanke war nur, so rasch wie möglich von hier zu verschwinden, aber natürlich unauffällig. Ich will mich ja dabei nicht mehr erwischen lassen, wie das schon zweimal war. Irgendwann bin ich dann doch eingeschlafen.

Am nächsten Tag war ich wieder der brave Bube. Aber in mir hat es gearbeitet: Wann ist der beste Zeitpunkt? Das Klima daheim hat sich wieder gebessert, das war gut. In zwei Wochen ist meine Firmung, die will ich noch abwarten, denn vielleicht kriege ich von meiner Patin auch Geld. Eines ist mir klar geworden: Nach der Firmung laufe ich so bald wie möglich weg. Gewand habe ich schon alles beisammen.

Am Tag der Firmung ist mein Vater schon zeitig in der Früh weggegangen – bei Familienfesten ist er immer untergetaucht. Meine Mutter hat zu den Verwandten dann immer gesagt, dass er dringend zu seinen Schwestern fahren muss, aber das war gelogen, ich habe es nämlich herausgekriegt.

Mir hat meine Mutter Regeln gegeben für die Firmung, wie ich mich verhalten sollte. Deshalb habe ich auch unbedingt frühstücken müssen daheim, damit ich dann beim Frühstück bei meiner Tante nicht das Essen hinunterschlinge und sie dadurch nicht blamiere. Kaum war ich mit dem Frühstück fertig, ist meine Firmpatin gekommen und hat mich zum Frühstück zu sich abgeholt, ihr Mann hat unten im Auto gewartet. Wir sind dann gar nicht zu ihr nach Hause gefahren, sondern das Frühstück war in einem sehr noblen Hotelrestaurant. Das war sehr aufregend für mich. Im Restaurant durfte ich mir alles aussuchen, was ich wollte, aber ich hatte überhaupt keinen Hunger. Also habe ich mich gezwungen einen Kakao zu bestellen. Darauf hat meine Firmpatin gemeint, da ich jetzt schon erwachsen sei, so soll ich wie sie einen Kaffee bestellen. Dass ich mit elf Jahren schon erwachsen sein soll, war mir neu und dass man nicht auch als Erwachsener einen Kakao trinken kann, fand ich eigenartig. Ich denke mir nur, dass die Erwachsenen schon sehr sonderbare Menschen sind. Zum Essen habe ich mir ganz wenig bestellt – wie von meiner Mutter befohlen – doch meine Tante hat meine Bestellung sicherlich um das Doppelte ergänzt. Wie dann so alles am Tisch gestanden ist und ich einige Bissen gegessen habe, ist mir schlecht geworden. Ich habe mich entschuldigt und bin so rasch als möglich aufs Klo gerannt. Ich habe die Klomuschel gerade noch rechtzeitig erreicht und hab gespien – ich glaube, ich habe mehr gespien als in meinem Magen drin war. Mit zitternden Knien bin ich an den Tisch zurück. Meine Tante hat mich direkt gefragt, ob ich denn schon zu Hause gefrühstückt hätte. Ich habe nur genickt. „Ich hab doch deiner Mutter extra gesagt, dass wir hier zum Frühstücken gehen. Na warte, ein Bisserl trink ein Mineralwasser und dann iss, was dir Spaß macht.“

Meine Patin hat sich mit ihrem Mann über meine Mutter unterhalten, wie unvernünftig sie manchmal sei und dem Kind nichts vergönnt. Obwohl sie ganz leise geredet haben, habe ich doch fast alles verstanden. Was sie so über meine Mutter gesagt hat, das hat mir direkt gutgetan – und so habe ich schön langsam wieder Appetit bekommen, weil ich den Eindruck bekommen habe, dass sie auch nicht einer Meinung mit meiner Mutter waren. Also nicht alle Erwachsenen sind so wie meine Mutter. „Na also“, hat meine Firmpatin gesagt, wie sie mich wieder essen und trinken gesehen hat. Nur statt Kaffee hätte ich doch lieber einen Kakao gehabt. Nachdem meine Patin bezahlt hat, sind wir zum Dom gefahren. Wir haben schon vorher stehen bleiben müssen, weil der ganze Platz vor der Kirche abgesperrt war. Mein Onkel hat sich verabschiedet, hat uns aussteigen lassen und meine Patin und ich sind Richtung Kirche gegangen.

Der ganze Platz war voller Leute. Als meine Patin gesehen hat, dass die anderen Firmlinge so eine Schleife auf der Jacke haben, hat sie mir auch eine bei einem Händler gekauft. Ich hätte es nicht gebraucht, aber ich bin auch nicht gefragt worden. Irgendwie sind wir dann in den Dom geschoben worden von der ganzen Menge. Am Eingang habe ich die Firmkarte vorweisen müssen und der Kontrolleur hat uns einen Platz zugewiesen. Ein Ordner hat dann gesagt, dass wir uns alle im Kreis aufstellen müssen: vorne die Firmlinge und dahinter die Paten. Den Satz ‚Vorne der Firmling, dahinter die Paten‘, habe ich noch hundert Mal gehört. Durch einen Lautsprecher plärrte ständig einer und hat auch irgendwelche Anweisungen gegeben – auch den Satz: vorne die Firmlinge, dahinter die Paten. Ich war übrigens der einzige Bube, der eine Firmpatin gehabt hat. Ein Glockengebimmel und dann hat die Orgel zu spielen begonnen. In meinen Kreis ist ein alter Mann mit weißem Bart gekommen, der hat so einen spitzen Hut aufgehabt, neben ihm ein kleiner Mann mit ganz rotem Gesicht. Für mich waren das der Nikolaus und der Krampus. Das war das Lustigste von der ganzen Firmung. Die ganze Veranstaltung in der Kirche habe ich fad gefunden. Und ich habe mir gedacht: Im Firmunterricht hat der Kaplan immer von den sieben Gaben des Heiligen Geistes geredet, aber bei dieser Firmung da war nichts von diesen Gaben zu erleben. Hier war es nur blöd und fad. Was immer der Heilige Geist ist, hier kann er auf alle Fälle nicht sein, vom Geist ist hier keine Spur, der ist wahrscheinlich ausgeflogen, weil er das Theater hier auch nicht ausgehalten hat. Vor dem Nikolaus ist der Krampus gegangen und hat allen Firmlingen gesagt, dass sie ihren Namen sagen sollen. Und ich sage dann meinen Familiennamen. Der Krampus ist noch röter im Gesicht geworden und hat gezischt: „Den Vornamen, du Trottel!“ Also bin ich wieder der Trottel. Der Nikolaus hat ihn weggeschubst und mich gefragt, wie ich mit dem Vornamen heiße. Ich sage es ihm und er hat dann meinen Vornamen wiederholt und irgendwas lateinisches gesagt, hat mich auf der Wange gestreichelt und ist zum Nächsten gegangen. Das mit dem Namen war das einzig spannende bei der Firmung.

Nach diesem Theater sind wir in den Praterrummel gegangen – ich war das erste Mal bei sowas. Beim Eingang dort haben wir meine Mutter, meine beiden Geschwister und die Tochter meiner Patin getroffen. Für mich war das das Schönste von der ganzen Firmung: Meine Tante hat mir einen hundert Schillingschein gegeben und ich hab damit alle Ringelspiele bezahlen dürfen mit denen wir vier Kinder fahren wollten und wenn das Geld aufgebraucht war, hab ich wieder einen Hunderter von meiner Firmpatin bekommen. Meine Mutter hat zwar einmal gesagt: „Nun ist es aber genug, ihr müsst nicht mit so viel fahren!“, aber bei meiner Tante hatte sie keine Chance. Dass ich die Hunderter bekommen habe, war auch gut, weil ich so immer zehn Schilling abzweigen konnte für mich und es nicht aufgefallen ist. Es ist auch nicht aufgefallen, dass ich nur zwei oder dreimal selbst mit einem Ringelspiel gefahren bin, ich habe ja das Geld gebraucht für mein Davonlaufen. Mit einem Abendessen in einem Gasthaus ganz in der Nähe ist mein Firmtag zu Ende gegangen.

Daheim angekommen, habe ich sofort mit meiner Vorbereitung begonnen: „Ich bin so schwindlig, mir ist gar nicht gut.“ Das war zwar kein guter Einstieg, denn sofort hat mir meine Mutter geantwortet: „Ich hab dir ja gleich gesagt, iss nicht so viel und wärst halt nicht so viel mit dem Ringelspiel gefahren, dann wär dir jetzt nicht schlecht – selber schuld. Aber folgen kannst du ja nicht. Leg dich einmal ins Bett und morgen früh wird alles gut sein.“ Diese Predigt hätte ich mir ersparen können, aber ich bin ohne Widerrede ins Bett gegangen und habe mir nur gedacht: Morgen wirst du blöd schauen!

Flucht

Am nächsten Morgen habe ich schon in der Früh zu stöhnen begonnen, damit meine Geschwister das natürlich auch mitbekommen. Wir liegen ja alle zu dritt im selben Zimmer beisammen. Ich habe gestöhnt und mein Nachtkastllamperl aufgedreht und mir die Birne auf meine Stirn gehalten damit meine Stirn warm wird. Nach dem Protest meiner Geschwister ist meine Mutter ins Zimmer gekommen und hat gefragt, was da los ist. Vorsorglich habe ich das Licht vorher wieder abgeschaltet. Meine Geschwister haben gesagt, dass ich so stöhne. Meine Mutter hat mich gefragt, was los sei und ich habe ganz schwach gesagt: „Mir ist so schwindlig und so schlecht.“ Meine Mutter hat mir – wie von mir erwartet – an die Stirn gegriffen, die ich vorher mit der Lampe warm gemacht hab und hat mich gefragt: „Hast du vielleicht Fieber?“ „Ich weiß nicht,“ habe ich mit schwacher Stimme geantwortet. „Du wirst jetzt einmal Fieber messen und ihr beiden, steht endlich auf, es ist eh schon höchste Zeit.“ Nach kurzer Zeit ist meine Mutter mit dem Fieberthermometer wiedergekommen, hat es geschüttelt und mir unter die Achsel gesteckt. „Acht Minuten und ruhig liegen“, war noch ihre Anordnung. Meine Geschwister sind nun schon aufgestanden, ich habe wieder meine Nachtkastllamperl aufgedreht und das Fieberthermometer gegen die Lampe gehalten, bis es genau bei 38,2 Grad war. Dann habe ich ihn wieder unter die Achsel gesteckt und gewartet, bis meine Mutter kommt. Ich habe auf meine Firmungsuhr geschaut und ziemlich genau nach acht Minuten ist meine Mutter hereingekommen und hat sich das Fieberthermometer angeschaut und gesagt: „Na ja, wenn das so ist, musst du im Bett bleiben. Ich werd dir einen Tee machen und ein Pulver geben. Aber wenn es nicht besser wird, werd ich unseren Doktor am Nachmittag holen.“ „Wieso, wie viel Fieber hab ich denn?“, frage ich mit schwacher Stimme – „38,3.“ Ich habe mich innerlich wahnsinnig gefreut. Nachdem meine Mutter mir einen Lindenblütentee und ein Pulver gebracht hat, hat sie noch gesagt, dass ich liegen bleiben soll und sie jetzt einkaufen geht und nachher auch Tante Grete kurz besuchen wird, aber gegen Mittag wird sie wieder zu Hause sein. Meine Geschwister sind in der Zwischenzeit schon in die Schule gegangen. Nachdem sie aus dem Zimmer gegangen ist, war ich erleichtert und stolz auf mich, weil ich meine Rolle als kranker Bube so überzeugend gespielt habe. Dann habe ich noch gewartet bis sie aus der Wohnung gegangen ist – dann habe ich noch einen Augenblick gewartet, bis sie die Haustür zu gemacht hat und dann ist meine Stunde gekommen!

Ich bin aus dem Bett gesprungen, habe mehr als das Notwendige angezogen, habe den Tee getrunken, das halbe Jausenbrot gegessen. Dann bin ich auf den Dachboden gerannt, habe den fertig gepackten Rucksack in die Wohnung getragen, mir eine dicke Scheibe vom Brotlaib abgeschnitten und zusammen mit einem Marmeladenglas in den Rucksack gepackt. Dann bin ich ganz vorsichtig – ich habe immer links und rechts geschaut, ob mich irgendwelche Hausbewohner oder Bekannte sehen würden – aus dem Haus geschlichen und zur übernächsten Straßenbahnhaltestelle gegangen, meine Mütze habe ich tief ins Gesicht gezogen. Der Rucksack war schwer und die Riemen zu weit. Wenn ich einmal in der Straßenbahn bin, muss ich die Riemen enger schnallen. Dann ist eine Straßenbahn gekommen, ich bin im letzten Waggon eingestiegen und auf der hinteren Plattform stehen geblieben. Von dem Ringelspielgeld meiner Patin habe ich mir noch einige Schillinge zurückbehalten, damit werde ich alle Fahrkarten bezahlen.

Der Schaffner hat mich gefragt: „Solltest du nicht eigentlich in der Schule sein?“ „Ja, aber meine Großmutter ist krank und sie braucht dringend einige Sachen, weil sie wahrscheinlich mit der Rettung ins Spital fahren muss und meine Mutter liegt selber mit Grippe im Bett.“ Ich war auf eine solche Frage gar nicht vorbereitet und hab mich nur über mich selber gewundert, wie mir so eine Ausrede eingefallen ist. „Na, ist schon in Ordnung“, hat er gesagt, „Aber ich werd dich im Auge behalten.“ Können Erwachsene eigentlich immer nur drohen? Ich bin mir auch wirklich von ihm beobachtet vorgekommen, deswegen war ich sehr froh, wie ich am Bahnhof ausgestiegen bin. Dann habe ich nur gewartet, bis die Straßenbahn weggefahren ist und bin über die Straße in den Bahnhof gegangen. Endlich habe ich die Trageriemen vom Rucksack kürzer machen können. Bis jetzt bin ich noch niemand Bekannten begegnet und ich glaube, es hat mich auch niemand gesehen. Hier am Bahnhof kenne ich mich aus, weil wir hier und da von hier weg in die Sommerferien ins Waldviertel gefahren sind. Um 9 Uhr geht immer ein Eilzug nach Krems. Natürlich kann ich nicht genau dorthin fahren wo wir in den Ferien waren, aber in der weiteren Umgebung kenne ich mich gut aus, und einen anderen Teil von Österreich kenne ich ja gar nicht. Außerdem weiß ich, dass es im Waldviertel Höhlen gibt und dass dort viele Beeren und Schwammerln wachsen.

Also bin ich zum Fahrkartenschalter gegangen und habe mir eine Karte nach Krems gekauft. Der am Schalter hat mich gefragt, ob ich alleine bin. „Ja“, habe ich gesagt, „Meine Tante holt mich dort ab.“ „Aber dass du mir nichts anstellst im Zug, sonst fliegst du raus!“ Immer wieder dasselbe: Die Erwachsenen drohen! Das können meine Eltern auch gut, die schlagen auch wirklich zu und das tun die da Gott sei Dank nicht. Also habe ich die Karte und das Wechselgeld genommen und bin zu den Bahnsteigen. Dort war eh angeschrieben auf welchen Bahnsteig der Zug abfährt. Obwohl noch eine Viertelstunde bis zur Abfahrt Zeit war, bin ich gleich in einen Waggon in der Mitte vom Zug eingestiegen, denn von dort kann ich leichter flüchten, wenn jemand zusteigt, den ich kenne. Deshalb bin ich ziemlich aufgeregt. Diese fünfzehn Minuten haben für mich endlos lang gedauert. Ständig habe ich die Zeit meiner Armbanduhr mit der Bahnhofsuhr verglichen und zugleich habe ich immer zum Fenster hinausgeschaut, ob nicht jemand einsteigt, der mich kennt. Nach endlos langer Zeit war der Pfiff des Bahnhofsleiters eine Erlösung und der Zug hat sich langsam in Bewegung gesetzt. Jetzt kann niemand mehr zusteigen: Also hier im Zug kennt mich niemand! Nun hat meine Reise weg von daheim erst richtig angefangen.

Im Zug waren nicht viele Fahrgäste und so bin ich allein in dieser Doppelreihe mit meinem Rucksack gesessen. Das war mir auch sehr recht. Der Schaffner ist dann bald gekommen und er hat mich nur gefragt, ob ich allein fahre. „Ja, mein Onkel holt mich in Krems ab,“ habe ich ihm geantwortet. „Wenn du willst, kann ich dir den Rucksack ins Gepäcksnetz geben? Aber solange niemand zusteigt kannst du ihn auch am Sitz neben dir hinstellen.“ Ich wollte nicht, obwohl der Schaffner sehr freundlich war, und habe den Rucksack auf meinem Schoß gehalten. „Gut, wie du willst“, hat der Schaffner gesagt und ist weitergegangen. Je weiter weg ich von daheim war, desto wohler fühle ich mich. In der nächsten Station ist eine Frau zugestiegen, die sich ausgerechnet zu mir gesetzt hat. Das wäre ja noch nicht das Schlimmste gewesen, aber sie hat gemeint, dass ich ein netter Bube wäre und sie gerne mit mir plaudern würde, außerdem würde das die Fahrzeit verkürzen. Ich wollte aber mit niemandem reden und mit der schon gar nicht. Deshalb habe ich ihr auch keine Antwort auf ihre Fragen gegeben und habe fest aus dem Fenster geschaut. „Also willst du nicht mit mir reden?“ Daraufhin habe ich nur „Nein“ gesagt. Dann ist sie aufgestanden und hat mir gesagt, was ich für ein ungezogener Bube wäre, weil ich nicht mit ihr reden wollte, dabei könnte ich doch von ihr viel lernen, dann hat sie mit den Füßen aufgestampft, hat sich umgedreht und sich dann irgend wohin auf einen anderen Sitzplatz gesetzt. Ich habe zum Fenster rausgeschaut. Sie hat noch herumgeschimpft, wie undankbar die heutige Jugend wäre! Aber Gott sei Dank ist sie dann schon ein Stückl weiter weg von mir gesessen. Danach habe ich noch eine schöne und ruhige Fahrt bis Krems gehabt.

Dort bin ich ausgestiegen und habe sehr wohl gesehen, wie mich der Schaffner beobachtet hat. Also habe ich ins Bahnhofsgebäude gewunken und bin mit Hallo-Rufen so schnell ich mit dem Rucksack konnte dort hineingelaufen und habe mich sofort im Bahnhofsklo versteckt. Dort bin ich dann ungefähr eine Viertelstunde geblieben, weil ich gehofft habe, dass dann alle Fahrgäste von meinem Zug verschwunden sind. Am Vorplatz vom Bahnhof habe ich gewusst, dass dort die Autobusse wegfahren. Bei den Haltestellentafeln habe ich nachgeschaut, wann und wo mein Autobus wegfährt, ich habe gesucht und gesucht, aber ich habe ihn nicht gefunden. Ein freundlicher Busfahrer ist zu mir hergekommen und hat mich gefragt: „Na, junger Mann, wo willst du denn hin?“ Ich habe ihm dann gesagt, dass ich nach Pfaffenschlag will. Ich habe gewusst, dass das die Endstation von dem Bus ist. Er hat mir gleich gesagt: „Oje, mein lieber, der fahrt erst um zwei Uhr von dort drüben weg.“ Er hat mir die Haltestelle gezeigt. Ich habe mich bei ihm bedankt und bin weggegangen. Dann habe ich mich auf eine Bank gesetzt, um zu überlegen, ob ich den Rucksack mittragen oder in einem Schließfach am Bahnhof lassen soll. Aber weil ich mich mit einem Schließfach nicht auskenne und am Bahnhof auch niemand fragen will – ich will ja nicht auffallen – da ist mir nichts anderes übriggeblieben, als mit meinem Rucksack in die Stadt hineinzugehen. Im Zug ist mir außerdem noch eingefallen, dass ich ja für eine Höhle noch Kerzen und Zünder brauche. Also bin ich mit meinem Rucksack, der mit jedem Schritt schwerer geworden ist, in die Stadt Krems hineingegangen.

Ich habe mir nur gedacht: Wer so selbständig wie ich leben will, der muss sich auch anstrengen.

So bin ich so durch die Straßen gegangen, bis ich auf einmal Gebratenes gerochen habe. Dem Geruch bin ich nachgegangen bis ich zu einer Fleischhauerei gekommen bin. Da ist dann auch bei mir der Hunger gekommen. Die Tür ist offen gestanden und am liebsten wäre ich hineingestürmt und hätte das ganze Gebratene gekauft. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich nicht Unmengen Geld zur Verfügung habe und ich keine Ahnung habe, was das kostet. So bin ich schweren Herzens mit meinem Hungergefühl weitergegangen, bis ich zu einem Geschäft gekommen bin, wo auf der Tafel: ‚Haushaltsartikel‘ gestanden ist. Eine ältere Frau ist hinter dem Ladentisch gestanden und ich habe sie nach Kerzen und Zünder gefragt und was das denn kostet. Nachdem sie mir den Preis einer Kerze und einer Schachtel Zündhölzer gesagt hat, habe ich gleich zehn Kerzen und eine Packung Zünder gekauft. Weil das nicht so teuer war, wie ich befürchtet hatte, bin ich gleich zum Fleischhauer gerannt und habe mir eine Semmel mit einem Braten gekauft. In der Nähe war ein Park mit Bänken, da habe ich mich im Schatten einer Kirche hingesetzt und die Bratensemmel verschlungen. War die gut! Nach einer kurzen Pause bin ich dann weiter gegangen. Wie ich dann bei einem Eisgeschäft vorbeigekommen bin, habe ich nicht widerstehen können und mir um zwei Schilling eine Waffel mit Erdbeer- und Zitroneneis gekauft. Dann habe ich auf die Uhr geschaut und gesehen, dass es Zeit war, wieder Richtung Bahnhof zu gehen. Am Vorplatz vom Bahnhof ist dann auch schon mein Bus gestanden. Der Busfahrer war auch sehr freundlich, hat mir meine Karte gegeben und mich nur gefragt, ob er meinen Rucksack nicht in das Gepäckfach legen sollte. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich ihn auf meinen Schoß halten werde. „In Ordnung“, hat er gesagt. Es sind dann noch einige Leute eingestiegen und Gott sei Dank hat mich niemand gekannt. Pünktlich um 14 Uhr ist er dann abgefahren. Ich war im Hochgefühl: Ich habe was sehr Gutes gegessen und jetzt komme ich meiner Freiheit immer näher – endlich frei, kein Schimpfen und keine Schläge!

Ab jetzt habe ich auch nicht mehr so angestrengt beim Fenster hinausschauen müssen, ob bei einer Station Fahrgäste einsteigen, die mich kennen. Einmal machte der Fahrer bei einer Station vor einem Gasthaus eine Pause und sagte zu uns: „Wenn jemand was trinken will oder aufs Klo muss, kann er das jetzt tun.“ Ich bin als Einziger sitzen geblieben, denn ich wollte zwar etwas trinken, aber auf keinen Fall auffallen. Nach ungefähr 10 Minuten ist der Bus dann endlich weitergefahren. Ich will ja nichts anderes als so bald wie möglich auf die Suche nach einer guten Höhle gehen. Die Straße auf den Manhartsberg hinauf ist steil, da gibt es viele Serpentinen. Da gings leider nur langsam weiter und ich war schon sehr ungeduldig. Oben angekommen ist der Bus dann wieder schneller gefahren. Normalerweise waren die Busstationen immer in einem Dorf, nur die Station bei der ich aussteigen werde, ist mitten auf der Landstraße, wo nur eine schmale Straße wegführt zu einem ein paar Kilometer entfernten Ort. Das wird meine Endstation. Nach über einer Stunde Fahrzeit ist es nun endlich soweit. Ich steige aus. Der Busfahrer sagt noch: „Aber hier ist niemand, der dich abholt.“ „Na das macht nichts“, habe ich ihm geantwortet, „Die werden gleich kommen, außerdem kann ich ihnen ja entgegen gehen.“. Darauf hat der Fahrer das Posthorn ertönen lassen, was mir nicht recht war, aber mit einem guten Wunsch für mich hat er die Tür zugemacht und ist weitergefahren. Ich habe dann noch so getan, als würde ich mir die Schuhbänder zubinden, dabei habe ich nur gewartet, bis der Autobus auf der Schotterstraße in seiner Staubwolke hinter der nächsten Kurve verschwunden ist.

Höhle

Aber kaum war der Bus hinter der Kurve verschwunden, bin ich aufgesprungen, habe mir den Rucksack umgehängt und bin in die andere Richtung als der Ort liegt über Wiesen und am Rand von Feldern Richtung Wald gerannt. Solange es eben war oder bergab konnte ich noch rennen, nur bergauf geht mir die Kraft aus. Zuerst muss ich noch über einen Bach springen, daneben geht ein ziemlich verwachsener Weg und dann bin ich hinauf in den Wald. Da spüre ich wieder, wie schwer der Rucksack ist. Wie ich so langsam weitergehe und immer müder werde, sehe ich einen Baum, bei dem aus einem Stamm zwei Stämme wachsen. Also stelle ich bei diesem auffälligen Baum meinen Rucksack ab und suche ohne Rucksack nach einer geeigneten Höhle für mich. Beim Durchstreifen von dem hügeligen Wald finde ich einige Höhlen, wie ich es ja vermutet habe, aber die waren nicht geeignet für mich. Die meisten waren zu klein und zu meist auch nach außen weit offen. Nach fast zwei Stunden Suche bin ich schon sehr müde und auch grantig, weil ich keine passende Höhle gefunden hab. Also gehe ich zu dem zweistämmigen Baum zurück zu meinem Rucksack. Danach gehe ich zu dem Bach hinunter, weil ich verschwitzt bin und Durst habe. Das Wasser schmeckt gut. Dann setze ich mich auf einen Baumstrunk und schau in den Wald hinein: Wo könnte noch eine Höhle sein? Auf einmal sehe ich ein bisschen entfernt von mir einen Hügel, vor dem einige kleine Bäume stehen. Ich stehe auf und gehe dorthin und siehe da: eine Höhle! Und was für eine! Die hat zwar auch einen großen Eingang, aber ist innen noch höher, geht aber tief hinein und wird nach hinten immer enger, soweit ich das von außen sehen kann. Das ist meine Höhle! Ich hole sofort meinen Rucksack und will ihn in meine Höhle stellen, doch mir fällt ein, dass es vielleicht besser ist zuerst die Höhle auszuräuchern, um verschiedene Tiere, Mäuse, Spinnen und anderes Ungeziefer, die da drinnen schon vor mir waren, zu vertreiben. Ich suche Reisig, das überall im Wald herumliegt, zünde es in der Höhle an und lege grüne Äste auf das Feuer, so dass es ordentlich raucht. Der Rauch soll die Tiere vertreiben. Als dann der meiste Qualm aus der Höhle abgezogen war, habe ich begonnen die Höhle mit Fichtenzweigen von oben bis unten auszukehren. Die Steine, die herumliegen, schichte ich am Eingang wie einen Türstaffel auf. Nach dieser Arbeit habe ich nach Rauch gestunken und war dreckig.

Dann fällt mir ein, dass ich das Waschzeug ganz vergessen habe. Ich habe keine Seife, auch keine Zahnbürste und ebenso keine Zahnpasta. Heute ist Gott sei Dank ein sehr schöner, warmer Tag, also werde ich mich mit dem Gewand in den Bach waschen gehen. Meine paar Habseligkeiten, wie das Taschenmesser, Geldtasche usw. nehme ich aus den Hosentaschen und dann samt meinen Kleidern ab in den Bach. Das Wasser ist noch sehr kalt und so halte ich es nicht lange darin aus und steige bald heraus. Jetzt muss ich in die Sonne und wie ich mich so umschaue, fällt gerade die Sonne auf das Dach meiner Höhle. So setzte ich mich oben auf das Dach, die Sonne scheint mich an und ich fühle mich wie ein König. Ich habe mir vorgestellt, dass die kleinen Baumwipfel vor dem Eingang, die vom Wind bewegt werden, meine Untertanen sind, die mir, ihrem König, zujubeln. Dann hole ich aus meinem Rucksack das halbe Jausenbrot von zu Hause – es hat mir noch nie so gut geschmeckt wie heute. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich rundherum glücklich! Ich fühle mich wirklich wie ein König! Endlich keine Schimpftiraden und keine Schläge mehr, weder von den Eltern noch von den Lehrern. So habe ich nicht nur mein Gewand von der Sonne trocknen lassen, sondern ich glaube, die Sonne scheint mir bis ins Herz. Ja, die Sonne hat auch in der Zwischenzeit meine Kleider fast getrocknet und war gerade dabei, hinter den großen Bäumen zu verschwinden.

Deshalb stehe ich jetzt auf und gehe ein bisschen herum. Dabei spüre ich immer deutlicher mein Bauchweh – also ich brauche ein Klo. Nun im Wald wo hinzumachen ist ja nicht schwer, aber ich kann ja nicht immer hinter einen anderen Baum gehen, da fängt dann doch bald die ganze Umgebung an zu stinken. Noch dazu ist mir eingefallen: Klopapier habe ich auch keines mitgenommen, daran habe ich nicht gedacht – das ist schon ein größeres Problem.

So bin ich mit meinem Bauchweh eine Zeit lang herumgegangen und habe nach einem geeigneten Platz für mein jetzt dringendes Geschäft und auch für später gesucht. Nach einigem Suchen habe ich auch einen idealen Platz gefunden: Ein umgestürzter Baum hat sich – wahrscheinlich beim Umstürzen – entwurzelt und dadurch ein großes Erdloch geschaffen. Außerdem sind über dem Erdloch zwei feste Wurzeln. Auf den einen habe ich mich mühelos vom Grabenrand aus setzen können und auf der höheren Wurzel habe ich mich anhalten können. Jetzt brauche ich nur dingend einen Ersatz fürs Klopapier. In der Nähe habe ich ein paar Farne gefunden, mit denen wollte ich meinen Hintern wieder reinigen, ein Versuch halt für jetzt. Wie ich das weiter machen werde, weiß ich noch nicht. Das Ganze hat recht gut geklappt. Es ist natürlich neu, auf einer dicken Wurzel zu sitzen und zu scheißen, aber es geht. Die Kacke ist auch tief nach unten gefallen und die benutzten Farne habe ich drauffallen lassen. Vielleicht kann ich auch später Erde draufschütten, damit man die Scheiße nicht sieht und nicht riecht. Eine Schaufel wäre nicht schlecht. Dann bin ich wieder zurück zu meiner Höhle und habe überlegt, was ich sonst noch vergessen habe mitzunehmen. Außer der Seife habe ich auch keine Zahnbürste und keine Zahnpasta mit, kein Klopapier und auch kein Geschirr – nicht einmal eine Tasse. Ich hab mir schon überlegt: Ein bisschen Geld habe ich ja noch, um das Fehlende einzukaufen, aber ich getraue mich nicht, in ein Geschäft zu gehen, weil ich Angst habe, dass mich jemand erkennen könnte, weil ich überzeugt bin, dass irgendwann einmal nach mir gesucht wird und ein Bild von mir in der Zeitung ist und dass mich jemand erkennen könnte – sowas habe ich schon einmal in einer Zeitung gesehen. Denn auf dem Land da kennt jeder jeden und als Unbekannter fällt man sofort auf und zurück zu meinen Eltern will ich auf keinen Fall! Ich glaube, dass mich dieses Problem die ganze Zeit verfolgen wird, aber vielleicht wächst auch nach einiger Zeit Gras über die Sache, aber jetzt am Anfang muss ich besonders vorsichtig sein. Fürs Zähneputzen ist mir was eingefallen: Ich habe einmal einen Bauer gesehen, wie der sich mit Holzasche die Zähne geputzt hat und er hat ganz weiße Zähne gehabt. Als ich es das erste Mal probiert habe, hat mir ein bisschen gegraust, es hat auch so komisch geschmeckt – die Zahnpasta war mir lieber – aber ich werde mich sicher auch dran gewöhnen, wie der Bauer.

Jetzt will ich einmal schauen, was ich für die erste Nacht brauche: Einen Schlafplatz, eine Feuerstelle und natürlich Holz zum Feuer machen. Mir war gleich klar, dass mein Schlafplatz ganz hinten in der Höhle sein wird. Dazu brauche ich dürre Blätter und Nadeln. Beides liegt eigentlich vor der Haustüre: Blätter und dürre Nadeln für den Schlafplatz und am Boden liegt auch genügend Holz fürs Feuer. Mit meiner Jacke sammele ich die Streu und habe es auf den Platz hinten in meiner Höhle aufgeschichtet: Das wird mein Bett. Holz liegt ja genug im Wald herum. Dann habe ich nicht sehr weit weg vom Schlafplatz eine kleine Grube gegraben, rundherum einen Kreis aus Steinen angelegt und dürres Reisig hineingegeben und darauf größeres Holz, habe es unten angezündet und schon hat ein schönes knisterndes Feuer meine Höhle erleuchtet. Vor Freude habe ich rund um das Feuer zu tanzen begonnen. Später habe ich noch größere Holzstücke aufs Feuer gelegt und es ist auch gleich wärmer geworden. Meine natürliche Matratze war aufgeschüttet und damit waren die Vorbereitungen auf die erste Nacht in meinem neuen zu Hause gemacht. Es war eh schon höchste Zeit, denn so langsam ist es dunkel geworden. Ich war sowieso sehr müde, denn der ganze Tag war für mich ja wahnsinnig aufregend und mein Rucksack schwer. So habe ich mich auf mein Lager gelegt, mich mit einem Pullover und einer Jacke zugedeckt und ich glaube, ich bin sofort eingeschlafen.

Irgendwann bin ich dann aber doch in der Nacht aufgewacht. Wahrscheinlich waren es die Geräusche im Wald, die mich aufgeweckt haben. Der Wind hat den Wald rauschen lassen, die Bäume haben geknackt und irgendwo hat ein Tier klagende Rufe ausgestoßen – vielleicht war es ein Kauz oder ein anderer Vogel. Das war schon ein bisschen schaurig. Aber ich bin überzeugt, dass ich die Geräusche kennenlernen werde und mich an sie gewöhnen werde. Weil es kühl war, habe ich im Rucksack herumgekramt und mir noch Wäschestücke als Decke drübergelegt. In der Höhle war es ganz finster, das Feuer ist schon ausgegangen, aber die Asche war noch warm. Ich habe ganz angestrengt auf die Geräusche des Waldes gehört, doch irgendwann bin ich dann doch wieder eingeschlafen.

Aufgeweckt hat mich dann ein Eichhörnchen, das beim Höhleneingang an einem Tannenzapfen genagt und dabei so eigenartige Geräusche gemacht hat. Mir ist es so vorgekommen, als wollte es zu mir sagen: „Na, was machst denn du da?“ Als ich mich bewegt habe, ist es flugs auf einen Baumstamm, der hinter den jungen Bäumen vor dem Eingang steht, halb hinaufgeklettert und von dort wieder so Geräusche losgelassen, die ich vorher von Eichhörnchen noch nie gehört habe; es hat wieder so vorwurfsvoll geklungen: „Na, was machst denn du da, du störst.“ Das war witzig. Nun habe ich auch bemerkt, dass ich fast am Boden gelegen bin, denn das aufgeschüttete Laub, das habe ich oben und unten und auch links von mir herausgedrückt. Da muss ich mir für die nächste Nacht etwas einfallen lassen. Meine Kleider, die ich als Decke benutzt hatte, habe ich wieder im Rucksack verstaut. Dann bin ich zum Bach hinuntergegangen und habe mir den Schlaf aus dem Gesicht gewaschen und gleich ein paar Schluck getrunken. Ja, zu irgendeinem Gefäß muss ich auch noch kommen, damit ich mir wenigstens ein Wasser warm machen kann. Ich hoffe ja auch, dass ich hier Brennnessel, Salbei oder Kamille finde, mit denen ich mir einen Tee machen kann – Tannenwipfel wären auch noch möglich. Diese Gewächse kenne ich nämlich von früher. Und Brot wäre schon auch sehr wichtig – ein Stück habe ich ja noch von zu Hause, aber das wird höchstens zwei drei Tage reichen, und dann? Da muss ich mir was einfallen lassen. Also ich habe noch viel zu tun. Wie ich aus meiner Höhle komme und mich umdrehe, bin ich erschrocken: Direkt oberhalb meiner Höhle am Bergrücken steht ein Hochstand. Mir ist sofort klar: Der muss weg. Also bin ich hinauf zu diesem Jägerstand gegangen. Dass der nicht mehr neu war, habe ich gleich gesehen. Das hat mir Mut gemacht, dass ich ihn sicher zum Einsturz bringen kann.

Also bin ich gleich zuerst einmal hinaufgeklettert. Da habe ich auch gleich bemerkt, dass eine Sprosse der Leiter schon abgebrochen war, da war wahrscheinlich schon länger niemand oben. Denn Jäger sind ja meist ältere, dickere Herren, habe ich mir vorgestellt, und die kommen da dann eh nicht herauf, aber die Sprossen und Latten und überhaupt das Holz kann ich gut gebrauchen. Von oben habe ich gesehen, dass man zwar den Eingang zur Höhle nicht sieht, aber mich könnte man sehen, wenn ich in die Höhle gehe oder halt herauskomme – oder Rauch könnte man auch sehen und riechen. Auf der anderen Seite habe ich einen kleinen Fluss entdeckt, das wird wahrscheinlich die Krems sein – das hat mich gefreut, weil es da sicherlich auch Fische gibt – also eine Angel muss ich mir dann auch noch basteln. Die Bank oben war in der Mitte mit einer Decke umwickelt. Das ganze Brett hat sich leicht abheben lassen und so habe ich es gleich durch die Öffnung nach unten geworfen, weil die kann ich sicher gut gebrauchen. Unter dem Sitz ist eine alte Bierflasche gelegen und zwei leere Konservenbüchsen. Alles war sehr dreckig, aber ich kann alles trotzdem gut brauchen und sauber werde ich sie schon kriegen. Also habe ich sie auch gleich hinuntergeworfen. Drei Dachlatten haben sich leicht ablösen lassen, also waren sie auch für mich. Schön wären auch die festen Bodenplatten und die Seitenlatten, aber die haben sich nicht bewegt. Also bin ich wieder hinuntergestiegen, habe an jeder Sprosse gerüttelt und einige haben sich gelöst. Unten angekommen hat sich auch das Geländer leicht herausreißen lassen. Von den Spreizlatten zwischen den Pfosten, die den Hochstand tragen, habe ich auch zwei davon herausreißen können. Also habe ich meine reiche Beute hinunter zu meiner Höhle getragen. Dann habe ich mir einen geschickten Stein gesucht, mit dem ich wie mit einem Hammer die Nägel aus den Latten schlagen kann. Die Nägel habe ich mir natürlich auch aufgehoben. Dann bin ich mit der Bierflasche und den beiden Konservenbüchsen zur Krems gegangen. Erstens muss ich ja sowieso die ganze Gegend erkunden und andererseits gibt es sicherlich in der Krems mehr Flusssand und Strömung, damit ich die drei Sachen besser reinigen kann.

Erschrocken bin ich wie ich gerade runter zur Krems gehe, weil ich ein lautes Knacken im Wald höre. Ich verstecke mich sofort hinter einen Busch und traue mich nicht einmal zu atmen, weil ich auf keinen Fall erwischt werden will – von keinem Menschen! Ich habe lange gewartet und in den Wald hineingehört, aber es war ganz still. Also bin ich vorsichtig aus meinem Versteck heraus und weiter bis zu Krems. Auf der anderen Seite der Krems geht so ein Waldweg entlang, der aber öfter benutzt wird als der Weg neben meinem kleinen Bach. Durch das Rauschen muss ich doppelt vorsichtig sein, damit ich von keinem Menschen überrascht werde. Ich habe mir eine Stelle um Ufer gesucht, wo das Wasser flach ist und es Flusssand gibt. Bei der Bierflasche habe ich nicht genau gesehen, ob sie schon sauber ist, aber bei den beiden Konservenbüchsen wars leichter. Die eine dürfte eine Sardinenbüchse gewesen sein und die andere vielleicht für so eine Fleischwurst. Die war aber besonders geschickt für mich, weil sie höher ist und die kann ich als Tasse nehmen, die ist rund und sicher eine Handbreit hoch. Das Wasser war noch recht frisch, trotzdem habe ich mir noch das Gesicht gewaschen und habe mich dann am Waldrand ein bisschen hingesetzt. Die Schuhe habe ich mir gar nicht mehr angezogen, weil ich sowieso barfuß gehen will. Und wie ich da so sitze und in den Fluss schaue, sehe ich wirklich Forellen schwimmen. Da bin ich dann aufgestanden und bin wieder nach Hause gegangen: Ich brauche noch so viele Sachen, damit ich hier alleine überleben kann!

Von daheim habe ich ja noch ein großes Stück Brot, da habe ich mir mit meinem Taschenmesser ein dickes Stück abgeschnitten, habe das Marmeladenglas und die Bierflasche mitgenommen und bin runter zu meinem Bach. Dort habe ich die Bierflasche mit Wasser aufgefüllt und habe mich an den Bach gesetzt und hab gegessen. Vorsichtig habe ich aus der Bierflasche ein Schluck Wasser gekostet, aber die Flasche dürfte auch ganz rein sein, weil das Wasser hat genauso gut geschmeckt, wie direkt aus dem Bach.

Dann habe ich mir eine Liste im Kopf gemacht, was ich alles brauche: Brot, Butter, Milch, Angelrute, Klopapier, irgendeinen Topf oder eine Pfanne, eine Gabel, einen Hammer, eine Zange, eine Decke … mir wird ganz schwindlig von dem, was ich alles brauche – vor allem: Woher nehmen? Nein, nicht alles auf einmal. Das Wichtigste ist ja überhaupt etwas zum Essen zu haben und nicht gesehen zu werden – das sind meine zwei wichtigsten Aufgaben. Mit Beeren und Pilzen kenne ich mich ja aus und ich bin mir sicher, dass ich hier etwas finden werde. Nur vorsichtig muss ich sein bei der Suche! So wie ich die Krems entdeckt habe, werde ich herumstreifen und die Gegend erkunden, da werde ich sicher viel entdecken, was mir hilft und beim nach Hause gehen sammle ich Holz für mein Feuer, da liegt im Wald eh genug herum. Sicherheitshalber bin ich meist nur durch den Wald gegangen und nicht auf Wiesen, damit mich niemand sieht.

Ich selber habe aber genau ausgespäht, was für mich wichtig war: Gemüsegärten, die oft nicht direkt beim Bauernhof sind, Stalleingänge, wo man von hinten reingehen kann, Heustadel und auch eine alte Scheune hinter einem Bauernhaus, aber im Wald versteckt. Da habe ich mich getraut hineinzugehen. Da standen viele alte Sachen herum: eine alte Kutsche, ein Pferdeschlitten, zwei Pflüge und eine Egge und viel Kleinzeug. Alles war mit viel Spinnweben überdeckt, offensichtlich war da schon lange niemand drin gewesen. Also war ich mir hier drinnen ziemlich sicher und hab mich deshalb in Ruhe umschauen können, ob es etwas gibt, das ich brauchen kann. Ich habe auch sofort einiges entdeckt: eine rostige Hacke, ein paar kurze Eisenstäbe, einen großen abgeschlagenen Topf und am Schlitten ist so eine schwere Rossdecke gelegen und in der Kutsche eine kleinere Decke – das habe ich mir alles mitgenommen, einige Nägel sind auch noch herumgelegen, die habe ich natürlich auch nicht dort gelassen. So bin ich mit reicher Beute zu meiner Höhle zurückgegangen und bin noch gerade rechtzeitig da gewesen, bevor es zu regnen begonnen und ein ziemlicher Sturm angefangen hat, zuletzt hat es auch noch zu blitzen und donnern begonnen. Aber das hat mir nichts ausgemacht, weil ich jetzt meine Beute sortieren kann. Natürlich habe ich meine erste Kerze angezündet, um Licht in meiner Höhle zu haben. Die Nägel habe ich zu den anderen gelegt, die kurzen Eisenstangen lege ich über meine Feuerstelle, weil da kann ich mir dann gut ein Wasser wärmen, der Topf ist ja viel zu groß, aber ich habe ihn umgedreht und mich draufgesetzt – auch gut. Die Decke war sehr staubig, die habe ich hinaus in den Regen gehängt – vielleicht wird sie dadurch ein bisschen sauberer. Ja und die große Rossdecke, die werde ich vor den Eingang hängen, wenn ich einen Ast finde auf dem ich sie aufhängen kann – na ich hab ja eh die Geländerstange von dem Hochstand! Über die Hacke habe ich mich am meisten gefreut, die hat auch in der Mitte so eine kleine Öffnung mit der man Nägel aus dem Holz ziehen kann, nur war die Schneide leider stumpf. Und so habe ich mir vorgenommen, sobald das Gewitter wieder abgezogen ist, werde ich in der Krems den Rost mit Sand abschleifen, um an einem geschickten Stein dort die Schneide wieder zu schärfen.