Der Junge, der die Zeit besiegte - Martin Bolik - E-Book

Der Junge, der die Zeit besiegte E-Book

Martin Bolik

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Beschreibung

Der 13-jährige Luke Wild, Anführer der Brockenbande, steht kurz davor, ein dunkles Familiengeheimnis zu lüften – denn sein Großvater Erik Slowik ist spurlos verschwunden. Antworten bekommt Luke ausgerechnet von einem ungewöhnlichen Erzähler: dem alten, sprechenden Raben Pjotr. einem jahrzehntelangen Begleiter der Familie. Erik, ein Flüchtlingskind ohne Erinnerung und Sprache, landet 1945 im Harz und liegt seitdem im Wachkoma. Erst eine Spieluhr öffnet das Tor zu seiner Kindheit – und schickt ihn zurück in ein märchenhaftes Pommerellen, wo der Krieg seine Schatten wirft und ein Junge namens Kire mit Tieren spricht. Doch wer ist dieser Kire wirklich? Und wie passt ein Pferd mit Horn unter einem Walnussbaum in das Puzzle von Eriks längst vergessener Geschichte? Je näher Erik Kire kommt, desto mehr ahnt er: Dieser Junge ist kein Fremder. Und er beginnt zu begreifen, dass er nicht nur sein Gedächtnis zurückerobert, sondern auch die eigene Kindheit – und mit ihr ein vergessenes, überlebenswichtiges Geheimnis. Ein poetischer, tiefgründiger Roman über die Kraft von Geschichten, die Suche nach sich selbst und die Wunder, die auch im dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit aufleuchten können.

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Seitenzahl: 355

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Martin Bolik

Der Junge, der die Zeit besiegte

Nach Ideen von

Erika Bolik

Unter Mitwirkung von

Rolf Losansky & Erik Elias Bolik

Für

Erika Bolik

(1940-2003)

Franz Bolik

(1934-2005)

Rolf Losansky

(1931-2016)

Impressum

Der Junge, der die Zeit besiegte

ISBN 978-3-96901-117-1

ePub Edition

V1.0 (09/2025)

© 2025 by Martin Bolik

vertreten durch Christiane Altenburg

VERLAG DER AUTOREN

Abbildungsnachweise:

Innenteil

Steffen Gumpert (Pjotr, Brockenbande, Paul), Martin Bolik, Andreas Blum, Mika Hochapfel,

Erik Elias Bolik und Louis Matheo Bolik

(Illustrationen inspiriert von „Punkt Punkt Komma Strich“, Hans Witzig, 1944)

Umschlag

Pjotr | Steffen Gumpert | steffengumpert.de

Fensterrahmen, Schmetterling | Martin Bolik | studio-regenbogen.de

Schloss Wernigerode | Harzi | #737663760 | pixabay.com

Lazarettschiff „Wilhelm Gustloff“ | H.F. Augst | #183-L12212 | bundesarchiv.de

Dark reddish grungy background | Jessica Hyde | Getty Images Pro via canva.com

Lektorat:

Sascha Exner

Harzkrimis.de ist ein Imprint von

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt · Deutschland

Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

Web: harzkrimis.de · E-Mail: [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://www.dnb.de abrufbar.

Die Schauplätze dieses Romans beruhen größtenteils auf real existierenden Orten. Einzelne Ereignisse orientieren sich teilweise an historischen Geschehnissen, die Handlung und sämtliche Figuren sind jedoch frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Titelseite

Widmung

Impressum

Prolog

Erste Erinnerung

Ausgang

Zweite Erinnerung

Dritte Erinnerung

Vierte Erinnerung

Fünfte Erinnerung

Sechste Erinnerung

Siebte Erinnerung

Achte Erinnerung

Neunte Erinnerung

Zehnte Erinnerung

Elfte Erinnerung

Zwölfte Erinnerung

Epilog

Personenverzeichnis

Über den Autor

Danke

Hinweise

Prolog

Es ist Zeit

Es ist Zeit, der Menschheit von einem Jungen zu erzählen. Von ihm, dem letzten Jahr seiner Kindheit in den Pommerellen1 und unserer abenteuerlichen Flucht in den Harz. Er floh 1945 vor den Schatten der Zeit und hat dabei die Geschichte verändert. Zusammen mit mir, einem Kolkraben. Mich nennen die Menschen Pjotr. Der Junge aber hat mehr als einen Namen. Und einer davon ist Erik Slowik. Es ist Zeit für die Reise in seine vergessene Kindheit.

Damit eine ganz neue Generation diese Kindheit wiederentdeckt, wird der dreizehnjährige Luke Wild mit uns reisen. Denn er hat die Gabe, mit seinen Gedanken in Geschichten eintauchen zu können, als wäre er selbst Teil davon. Und er kann mit Tieren kommunizieren. Die Mutter von seinem Freund Henry sagt dazu, Luke hätte ein drittes Auge, weswegen ihn Henry auch ,Dreiauge‘ nennt. Ich denke, Luke hat diese Fähigkeiten von seinem ihm lange unbekannten Großvater geerbt. Ihr ahnt sicher schon den Namen dieses Großvaters: Erik Slowik.

Luke stammt, wie ich, nicht aus dem Harz, sondern wuchs elf Jahre in Hannover auf. In einem Reihenhaus am Güterbahnhof, mit Pflegeeltern. Er hatte sich immer gewünscht, einmal seine echte Familie kennenzulernen. Denn Luke verbrachte viel Zeit mit Nachdenken. Sitzend in alten ausrangierten Waggons, mit der Zeit von der Welt vergessen – er, genauso wie die Waggons. Lukes Pflegemutter reiste währenddessen als Umweltaktivistin durch die Welt, um selbige zu retten. Und sein Pflegevater kam von einer Klaviertour in Südafrika einfach nicht nach Hause zurück. Als der Güterbahnhof abgerissen wurde mitsamt dem Reihenhaus, musste Luke die geliebten Waggons verlassen und mit seiner Pflegemutter in den Harz ziehen. Nach Sorgemoos. Der Wunsch, seine echte Familie kennenzulernen, blieb in einem der Waggons zurück. Luke ahnte nicht, dass er der Erfüllung dieses Wunsches entgegenreiste. Und damit direkt unter meine Fittiche.

Alle Erwachsenen, die Luke liebte, hatten gewusst, wer seine wirkliche Familie ist. Und ihn belogen. Außer Martha von nebenan. Sie hatte ihm erzählt, sein Name – Luke Wild – stamme vom Wilden Mann ab. Einer Art ,Harzer Ur-Superheld‘. Eine typisch menschliche Bezeichnung, aber doch recht treffend. Und sie verriet ihm auch, dass irgendwann in der Zukunft jemand kommen würde, der Luke verrät, wer er wirklich ist. Nein, Martha kann nicht in die Zukunft schauen. Das kann niemand. Dafür ist die Zukunft viel zu … bewegungslustig. Martha wusste es einfach!

Und weil die Zukunft so bewegungslustig ist, bekam Luke in der neuen Harzer Heimat zum 13. Geburtstag seinen größten Wunsch erfüllt und einen ebenso bewegungslustigen Großvater geschenkt, mitsamt seiner Familie. Selbiger war natürlich Erik ,Birdy‘ Slowik. Und der donnerte wie ein Harzer Gewitter in den Heimatort Sorgemoos. Wenn ein Unwetter über dem Harz aufzieht, wird es immer ganz ruhig in den Wäldern. Bis plötzlich der Sturm losbricht und sich das Gewitter mit Blitz, Donner und zumeist starkem Regen ausschüttet. Erik Slowik schlug genauso blitzartig in Sorgemoos ein, schüttete seine Sagengeschichten aus, nahm etwas mit und verschwand dann wieder. Wie üblich!

Eriks Sohn, Lukes Onkel Paul, die Radio-Plaudertasche in Sorgemoos, wusste angeblich auch nicht, dass Luke sein Neffe war. Paul behauptete, lediglich zu wissen, dass sein Vater wie immer vor der Vergangenheit auf der Flucht sei. So etwas erzählt man besser nicht einem Menschen, der Dreiauge genannt wird. Natürlich fragte Luke gleich bei seinem Großvater nach, der darauf antwortete: „Ich fliehe vor dem Winter. So wie ... Zugvögel.“

Und natürlich fangen aufgeschlossene Menschen wie Luke bei einer solchen Antwort gleich an, detektivisch zu kombinieren. Luke weihte Henry und die Brockenbande ein, welche aus den beiden Freunden, Henrys kleiner Schwester Emma und Lukes Schwarm Hanna besteht. Sie zogen sich heimlich in einen ausrangierten Güterwaggon der Harzer Schmalspurbahn zurück und versuchten gemeinsam, das Rätsel um Lukes mysteriöse Familie zu entschlüsseln. Allein schon, dass sein Opa Erik vom Harz nach Hawaii gezogen war, beflügelte natürlich die Fantasie der Brockenbande: Von der Idee, Erik Slowik sei ein Pirat, bis hin zu dem Gedanken, aus dem Harz vor etwas geflohen zu sein, sponnen sie vieles zusammen!

Ihr Menschen solltet niemals Kinder unterschätzen. Besonders nicht die aufgeschlossenen. Ich will aber nichts vorweggreifen. Nur so viel: Ein von der Besatzung im Harz gebliebener amerikanischer Ureinwohner hatte Erik Slowik in den 50er Jahren ,Birdy‘ genannt, weil Lukes Großvater zusammen mit einem Raben als Schmuggler bekannt und beliebt gewesen war. Die Brockenbande bekam schnell heraus, dass er dies bis heute tut. Speziell Henry fiel auch auf, dass Birdy nicht wirklich schon 90 Jahre alt sein konnte. Luke begann, mit Fragen über seinen Großvater Onkel Paul zu löchern wie ein Sieb. Und was macht ein Sieb? Kleine Dinge durchlassen. So war es Luke mit seinen Fragen oder besser dem ,dritten Auge‘, der Erik Birdy Slowik aufscheuchte und verschwinden ließ.

Der nur noch wenige Mitglieder zählende Sorgemooser Männerchor singt immer: „Seid wie Sonne und Mond! Sie lösen sich ab ohne Streiten, weil Streiten im Leben nicht lohnt“, doch Birdy hat es geschafft, in den 30 Tagen, in denen er hier war, mit fast jedem im Dorf Streit anzufangen. In Elses Kopfnussbar musste er sich sogar prügeln. Jene war einst sogar seine. Die Bar, nicht die Else. Bis er die Kopfnussbar verschuldet zurückgelassen hatte, als er nach Hawaii floh. Die Kopfnussbar heißt so, weil da gestritten und geprügelt wurde früher. Else hat kaum noch Gäste außer der Dorfband und dem Chor, die dort üben.

Es wohnen nur noch 101 Menschen und Tiere in diesem ,Schmugglernest‘, wie die Harzer Sorgemoos nennen. Beginnen wir mit den Menschen: 13 etwas ältere und 65 alte. Darunter 2 Schmuggler, die nur untereinander streiten, und besagter amerikanischer Ureinwohner, der Lukes Großvater seinen Spitznamen gab. Dann gibt es hier noch 8 Kinder, von denen aber nur Lukes Freund Frido streitet. Kommen wir nun zu den Spezies, die nie streiten, zumindest nicht untereinander: 1 wortkarger Papagei, 1 dichtender Luchs, 1 betrunkene Katze, Marthas Wolfshund, 1 Ziege, 3 Hühner, 1 Hahn und ich. Ach ja, und Lukes Dampflok, Erika. Die streitet auch nie, obwohl sie Birdy gehört hat. Jedoch haben alle etwas gemeinsam: Ständig suchen sie etwas oder jemanden.

In der kurzen Zeit, die Erik Birdy Slowik noch einmal hier verbracht hat, erzählte er sogar in Pauls Radio jeden Tag eine alte Sage. Und er tat dies so wie in alten Zeiten – als hätte er sie selbst erlebt. Und Luke, der hörte im Studio zu, und kommentierte diese, als wäre er dabei gewesen.

Abends in der Kopfnussbar wurden die Sagen dann ausschweifender. Wie früher, wenn er einen, zwei oder auch drei getrunken hatte und stritt. Die Kopfnussbar hieß einst Kopfschussbar. Nicht, weil dort geschossen wurde. ,Abschießen‘ sagen die Menschen hier im Harz zum Betrinken. Wenn der Name deshalb geändert wurde, weil sich die Gäste mehr gestritten und geprügelt haben, als zu trinken, weiß ich auch nicht, was besser ist. Else sollte ihre Bar vielleicht besser noch einmal umbenennen, um die Gäste auf andere Gedanken zu bringen. Wunderbar wäre ein guter Name.

Unsere Flucht-Geschichte, die erzählte Birdy allerdings nie dort. Auch nicht, warum er 20 Jahre jünger aussieht als andere in seinem Alter. Lukes geschichtsversessener Freund Henry, Hobby-Archäologe und Erfinder in der Brockenbande, fragte sich, ob Lukes Opa Birdy vielleicht wirklich ein Zeitreisender sei. Und das fragte Luke dann auch Paul. Mit Erfolg. Als hätte er bei Paul ein Fenster geöffnet, bekam Luke nach und nach etwas über Birdy heraus. Verständlich, wenn sein Vater noch immer vor der Vergangenheit flieht, dann bewegt das auch Paul. Denn eigentlich gäbe es ohne Birdy – oder vielmehr Erik Slowik – den Harz nicht so, wir ihn kennen. Zumindest nicht mit den Menschen, die heute dort leben! Paul wusste das, und weil er nichts für sich behalten kann als Radiomensch, hat er dies selbstverständlich auch vor Luke angedeutet.

Paul reist im Gegensatz zu Lukes Großvater oder auch Lukes Pflegemutter nirgendwo hin. Er verlässt seine Radiostation im Grenzturm nur im ,Notfall‘, wie er selbst sagt. Seine Welt ist das Radio. Und eine Modelleisenbahn, auf der er darstellt, was unter ihm im Harz so passiert. Manchmal auch, bevor es passiert. Wenn das nicht allein schon einen aufgeschlossenen Jungen neugierig macht! Und eines habe ich über aufgeschlossene Menschen gelernt: Lass sie nicht lange auf eine Geschichte warten, wenn du sie angedeutet hast! Denn das führt nur zu den gewagtesten Spekulationen. Doch genau das tat Paul. Er ließ Luke auf die Flucht-Geschichte seines Vaters warten. Allerdings hatte Paul einen guten Grund dafür: Er kannte nicht Birdys gesamte Geschichte.

Da ich der einzige verbliebene Zeitzeuge bin, wollte ich Luke Wild zum genau richtigen Zeitpunkt die Geschichte von Erik Birdy Slowik erzählen. Der richtige Zeitpunkt kam zu einem magischen Datum. In der Nacht zuvor war Birdy verschwunden. Zeitgleich mit einem Gegenstand, der zu diesem Datum gehört wie die Sterne zum Himmel und die Sonne zum Mond. Lukes bester Freund Henry hat beobachtet, wie Birdy in unsere Litfaßsäule stieg. In selbiger wohnt eigentlich die stets betrunkene Katze, welche immer die Neigen aus der Kopfnussbar schleckt. Und genau diese kam auch kurze Zeit später wieder heraus. Allerdings ohne Lukes Großvater. Der neugierige Henry ließ es sich natürlich nicht nehmen, die Litfaßsäule zu inspizieren. Aber außer dem Schlafplatz der Katze und einigen vermissten Gegenständen aus Sorgemoos war die Litfaßsäule leer – kein Birdy.

,Am 30. Mai ist Weltuntergang‘2 singt der Chor heute in der Kopfnussbar. Wohl, um einen Weltuntergang zu verscheuchen. Aber eigentlich haben die Menschen vergessen, warum sie dies tun. Von diesem kuriosen Chor-Gesang inspiriert, habe ich Luke heute eine Botschaft zugedacht. Und selbige lautete: „Komm heute um 20 Uhr auf den Turm.”

1 Ein historisches Gebiet an der Ostseeküste im Norden Polens unterhalb von Danzig, auch Klein-Pommern oder Weichselpommern genannt.

2 Das Lied ,Am 30. Mai ist der Weltuntergang‘ galt der ersten Flächenbombardierung der Stadt Köln im Zweiten Weltkrieg in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942. Melodie: Will Glahé, Text: Karl Golgowsky.

Erste Erinnerung

Blue

Glück auf, liebe Hörer!

Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin Luke Wild und sitze grad in Onkel Pauls Radiostudio im alten Grenzturm. Auf dem Radiopult hockt Pauls Rabe Pjotr und Paul selbst sitzt mal wieder auf’m Klo. Für alle, die auch Paul und Pjotr noch nicht kennen: Paul berichtet von Menschen und Geschichten, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Also im Radio. Na ja, vielleicht auch auf’m Klo. Und Rabe Pjotr kommentiert das. Viele hören zwar nur Krächzen; Kinder und so können dann aber auch Pjotrs Gedanken hören. Echt, das geht! Paul ist ’ne Art Sagenforscher und schreibt Bücher. Genau gesagt nur an einem, denn das wird einfach nicht fertig. Darum helfe ich ihm im Radio mit meiner Brockenbande als Reporter für Pauls Harz Mountain Radio. Solange Opa hier war, kam er auch immer auf den Turm und hat sich bei unseren Sagen-Erzählungen eingemischt, als hätte er die Sagen selbst erlebt. Wenn er die dann weitererzählte, hat er mich irgendwie mitgenommen in die jeweilige Sage. So, dass auch ich sie selbst erleben konnte. Hammerkrass! Ob die Hörer das konnten, weiß ich nicht. Rabe Pjotr meint, Pauls Radio hört sowieso keiner außer unserer Brockenbande. Ich denke, man kann nie wissen, wer alles zuhört von den Menschen, Tieren und Blumen in der großen weiten Welt ...

Pauls weite Welt ist eine Modelleisenbahn mit den Häusern von Sorgemoos, dem Bahnhof, meinem Waggon, dem Brunnen und unserer Litfaßsäule. Und darauf stellt er nach, was in Sorgemoos so passiert. Manchmal auch, bevor es passiert. Er hält damit die Zeit an, sagt Paul. Ich glaube, Paul versteckt sich hier oben vor der Zukunft. Denn er forscht nur über die Vergangenheit.

LUKE!?

Mensch, Paul, hast du mich erschreckt! Wo kommst du denn plötzlich her? Vom Klo jedenfalls nicht, so laut, wie du die Treppe immer hochstapfst! Hast du was gehört, Pjotr?

DU HÖRST DOCH SONST IMMER DAS GRAS WACHSEN, TROTZDEM DEIN RECHTES OHR HALB TAUB IST. WENN DU AN DER LITFAßSÄULE VOR DER KOPFNUSSBAR STEHST, BEKOMMST DU 10 METER WEITER WEG SOGAR MIT, WAS DRINNEN GETUSCHELT WIRD.

Gut, Luke, oder auch nicht! Du hast ja sicher schon auch noch etwas anderes gehört: Irgendjemand hat die berühmte Sternenscheibe gestohlen, die vor ein paar Jahren im Vorharz von Schatzräubern gefunden wurde.

Du meinst diese Himmelsscheibe! Die haben Henry und ich mit der Schule im Museum in Halle gesehen.1

Himmelsscheibe. So wird sie seit dem Ausgraben genannt. Weil sie den Sternenhimmel zeigt.

Von dem Klau habe ich gehört. Haben sie in der Kopfnussbar erzählt. Bäcker Becker und Köhler Karl. Sind wir deswegen hier? Ich dachte, wir treffen uns, weil Opa weg ist! Warum schweigt ihr denn plötzlich? Moment! Köhler Karl und Bäcker Becker haben doch mit Opa geschmuggelt früher. Und Opa Birdy ist ganz plötzlich aus Sorgemoos verschwunden. Sag nich‘, die haben ...

Ich fange mal ganz von vorne an. Nicht weit von hier, im Mühlental, da gibt’s heute noch ein Kinderheim. Dorthin floh dein Opa Ostern 1945!

ICH HAB’S GEAHNT. DER RABE PACKT AUS!

Geht’s also doch um Opas Flucht?! Und hat die mit der geklauten Scheibe zu tun?

Ja und nein! Lass es dir einfach erzählen.

Du willst das erzählen, Pjotr? Aber ich dachte, Paul ... Wartet mal! Natürlich! Du warst dabei, Pjotr. Bist zusammen mit Opa geflohen! Bekam Opa deshalb den Namen Birdy, weil er einen Vogel hatte?

Ach wie lustig. Ich sage ja, unterschätzt eure aufgeschlossenen Kinder nicht!

Wie alt war Opa, als er hier ins Kinderheim kam?

Erik ,Birdy‘ Slowik war zwei Jahre älter als du jetzt, als er ins Waldschulheim gebracht wurde. Doch er hatte keine Erinnerung, woher er kam oder wie alt er war. Und so schätzten sie ihn auf dein Alter, also 13. Aber er hatte einen Namen: Erik. Der war in einen ihm viel zu großen Mantel gestickt, den er trug, als ihn ein Oberst in der Bahnhofshalle fand, direkt vor einem zerbrochenen Spiegel. Mit einem regenbogenbunten Surfbrett im Arm und einem großen Hut mit langer Feder dran lag er dort auf dem Mosaikboden. In der Manteltasche fand der Oberst auch noch ein Skizzenbuch. Alle Zeichnungen waren herausgewaschen, bis auf eine. Diese war erhalten geblieben, weil die Seite, auf der sie sich befand, mit einer abgerissenen Seite verklebt war. Als hätte sein Skizzenbuch die herausgerissene Seite behalten wollen, um die Zeichnung auf der anderen Seite zu schützen. Selbige schimmerte leicht hindurch und der Blick des Oberst soll lang auf der mysteriösen Zeichnung verharrt haben: ein Schiff in den Sternen. Im Mantel fand er noch eine Konzertkarte mit der Aufschrift: ,Der blaue Engel in der Taverne Zum Stadttor Minden‘. Als hätte der Oberst gewusst, wo im Mantel noch etwas zu finden war, entdeckte er im Saum auch ein kleines geschnitztes Piratenschiff, das ihm ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben soll und er daraufhin mitnahm.

Echt jetzt? Opa lag als kleiner Junge verletzt mit Surfbrett unter dem Arm vor einem zerbrochenen Spiegel in einer Bahnhofshalle? Und ausgerechnet ein Oberst, der ihm vielleicht sogar schon einmal begegnet ist, findet ihn und ein verstecktes Piratenschiff im Mantelsaum? Veräppeln könnt ihr beim Apfelmus. Hast du das mit eigenen Augen gesehen, Pjotr?

Ja!

DAS IST TATSÄCHLICH DIE GESCHICHTE DEINES OPAS – ERIK BIRDY SLOWIK. UND DIE UNSERER FAMILIE.

Und um deine Frage über den Oberst zu beantworten: Dein Großvater war ihm schon begegnet. Aber es ging deinem Großvater wie dir – er konnte nichts damit anfangen, was ihm im Kinderheim über seinen Fundort und die Sachen, die er bei sich hatte, erzählt wurde. Ohne Erinnerung konnten ihm auch seine drei inneren Stimmen nichts von alledem erklären. Luke, du weißt doch, was innere Stimmen sind!?

Natürlich! Hab‘ ja auch eine. Die von Penni, meiner neuen Mutter. Eigentlich ist sie ja nicht neu, sondern schon 33. Aber sie outete sich ja auch erst an meinem 13. Geburtstag. Ihre Stimme war aber schon immer da.

SIEHST DU, SO IST DAS, LUKE! DAS HAST DU ALLES VON OPA!

Sagt Opa auch. Und woher wisst ihr, dass alles stimmt, was Pjotr erzählt wurde?

Also ich war immer dabei!

Echt jetzt?

Na ja, fast immer.

Aha! Und du glaubst ihm, Paul?

ICH ÜBERPRÜFE ALLES FÜR MEIN BUCH. AUCH, WAS ICH AUS OPAS ERZÄHLUNGEN ERFAHRE. AN DEM BUCH SCHREIBE ICH AUCH NUR SO LANGE, WEIL BIRDY NIE AM STÜCK ERZÄHLT UND IMMER WIEDER VERSCHWINDET. DAMIT HAT ER ANGEFANGEN, ALS ICH GENAUSO ALT WAR WIE DU.

Das wird so ein Generationsding, woraus ich jetzt lernen soll? Wie du von deinem Papa?

NATÜRLICH KANNST DU AUS DIESER GESCHICHTE VIEL LERNEN, ABER ES IST NICHT NUR FÜR DICH GEDACHT. UND DAMIT ERIK SLOWIKS GESCHICHTE ÜBER DIE VON DER ZEIT VERGESSENEN KINDER NICHT IRGENDWANN IN VERGESSENHEIT GERÄT, SCHREIBE ICH EIN BUCH DARÜBER.

Von der Zeit vergessen? Was bedeutet das?

KINDER, DIE AUS DER ZEITGESCHICHTE VERSCHWINDEN.

Birdys Geschichte handelt vom Vergessen und Vergessenwerden. Und von einer Zwischenwelt, in der wir diese Geschichten wiederfinden. Wo soll ich anfangen, Luke? Wo die Flucht deines Opas begann oder wo sie mit dir weitergeht, Luke Wild?

HÄLTST DU MAL DEN SCHNABEL, PJOTR!

Lass ihn doch. Ich weiß, was die Zwischenwelt ist.

ICH WARNE DICH, RABE!

Wer schreibt hier denn eigentlich dein Buch? Nur weil ich mit Schnabel nicht schreiben kann, bist du noch lange nicht der Autor dieses Buches.

ACH NEE, WAS BIN ICH DENN DANN?

So `ne Art Ghostwriter?

Maximal!

SCHÖN, DASS IHR EUCH MAL WIEDER EINIG SEID.

Du siehst mal wieder Gespenster, Onkel Paul!

Ghostwriter, ha ha!

DANN ERZÄHL DOCH ALLES GLEICH SELBER, ALTE KRÄHE!

Kolkrabe! Aber wenn du mich so nett bittest …

Es war einmal – oder auch zweimal – ein Junge namens Erik, der nicht wusste, woher er kam und wohin er wollte oder sollte. Auch an die Herkunft seiner inneren Stimmen hatte Erik keine Erinnerungen, als er in einem Kinderheim aufwachte. Weißt du, Luke, innere Stimmen werden in Notsituationen geboren und bleiben immer so jung wie zu ihrer Geburt!

Ich weiß!

ICH AUCH!

Wie gesagt, Erik Birdy Slowik wusste damals nichts über seine inneren Stimmen. Er spürte nur: Eine seiner inneren Stimmen war beruhigend weiblich wie eine Mutter. Eine weitere klang männlich und machte ihn stark. Und die dritte war eine Mädchenstimme, die viel erzählte, von dem er oft nichts verstand. Dennoch fühlte Erik, dass es wunderbar war, was sie erzählte!

Das Kinderheim lag hier im Harz, im schönen Mühlental bei Nöschenrode, direkt unterhalb vom Schloss. Dem Namen Waldschulheim2 machte es alle Ehre – allein schon aufgrund seiner Lage. Aber während sich die meisten anderen Kinder an der Lage erfreuten, im Mühlental spielten oder in kleinen Gruppen mit den Heimschwestern zum Schloss pilgerten, blieb Erik nur der begrenzte Blick in sein Zimmer. Dieses Begrenztsein aufgrund seiner Unbeweglichkeit brachte ihn natürlich früher oder später zum Grübeln. Und irgendwann bekam er das Gefühl, nur dort zu sein, weil er etwas wusste, an das er sich aber nicht erinnern konnte. Und schuld daran war sein Skizzenbuch. Denn als der Oberst ihn in das Kinderheim brachte und der Heimleitung seine Habseligkeiten gab, fiel der Heimleiterin Frau Horatio gleich die letzte im Buch verbliebene Skizze auf. Und das Erste, was sie sagte, war: „Es ist das fliegende Schiff. Die Barke aus den Sternen…!“

Frau Horatio betrachtete das Skizzenbuch, schüttelte es, als müsse etwas herausfallen, und blätterte die Seiten durch. Auf der verklebten Seite schimmerte schemenhaft ein Text durch. Ein Auseinanderreißen hätte Text und Zeichnung zerstört. Also blieb der Text ein Geheimnis, vorerst. Und seit sie deinen Großvater danach das erste Mal untersucht hatte oder wann immer sie ihn versorgte, hatte der bewegungslose Erik das Gefühl, Frau Horatio tat dies nicht für ihn.

Tat sie es wegen dem Geheimnis hinter der verklebten Seite und den leeren Blättern im Skizzenbuch?

Das fragt sich dein Großvater bis heute. Deren verloren gegangenen Motive waren ja wie seine Erinnerungen – ausgewaschen. Der junge Erik war im Geiste genauso bewegungslos wie im Körper.

Warum konnte sich Opa denn nicht bewegen? Und was bekam er wirklich mit? Konnte er etwas fühlen?

Eriks Körperfunktionen waren zwar intakt, aber verlangsamt wie bei einer Kröte im Winterschlaf. Und genauso fühlte sich Erik auch: Seine Sinne waren wach, aber eingeschlossen in einem schlafenden Körper, in einem Zimmer, in dem sich auch um ihn herum kaum etwas bewegte. Es gab keinen Schrank und keine Uhr. Ein Raum ohne Zeit. ,Niemandszeit‘ nennt es dein Großvater Erik. Wegen der Einschränkungen von Körper und Geist, sich zu erinnern, blieb Erik nur seine Neugierde. Selbige ließ ihn sofort die begrenzte Welt um ihn herum erkunden. Mit den Sinnen, die ihm noch zur Verfügung standen: Fühlen, Schmecken, Sehen und Hören. So war das Erste, was seine Ohren fanden, ein Tropfen. Und obwohl sich Erik an nichts von seinem Leben vor dem Aufwachen erinnern konnte, hatte er ein Bild zu diesem Geräusch in seinem Kopf: einen Wasserhahn.

Besonders deutlich hörte Erik seine Umwelt, wenn Heimleiterin Frau Horatio Dunkelheit schaffte, indem sie die Fenster schloss und die Vorhänge zuzog. Sie gab ihm dann Spritzen und sagte dabei immer das Gleiche: „Ich tue dies alles zu deinem Schutz!“ Und danach fragte sie stets etwas, wie zum Beispiel: „Das fliegende Schiff in deinem Skizzenbuch stammt von einem runden Teller mit Sternen drauf! Das weißt du! Sprich, sonst passiert bald etwas Schlimmes. Sag mir, wo die Sternenscheibe deiner Großmutter versteckt ist! Erinnere Dich! Sie heißt Alisha und du kommst aus Otnoga! Wach endlich auf, sonst schläfst du bald für immer!“

Erik konnte sich durch die Drohungen weder erinnern, noch seine Stimme zurückbekommen. Doch auch wenn Frau Horatio schimpfte, fühlte er trotzdem einen Hauch von Liebe in ihren Worten. Und dieses Gefühl inspirierte ihn, sich mit dem Lauschen anderer Geräusche abzulenken, als sich von ihrem Keifen verängstigen zu lassen. Dann machten sich Insekten, ein Kriechtier, der Wasserhahn und ganz besondere Schmetterlinge im Zimmer lautstark bemerkbar.

Schmetterlinge?

FALTER MOCHTEN OPA SCHON IMMER UND UMGEKEHRT. SIE SEHEN PARADIESISCH AUS, KÖNNEN EINZIGARTIG FLIEGEN UND SICH ÜBERDIMENSIONAL GUT ... ERINNERN!3

Vielleicht ist Opa auch wegen der Schmetterlinge nach Hawaii ausgewandert. Da gibt es ja noch viele.

WARTE, LUKE! ICH HABE HIER NOCH ETWAS FÜR DICH!

Schmetterling

Erik Slowiks Skizzenbuch!

GENAU DAS, RABE! AUS BIRDYS MANTEL. ER SCHENKTE IHN MIR ZU MEINEM DREIZEHNTEN GEBURTSTAG! UND DAS BUCH WAR NATÜRLICH NOCH DRIN. MIT VOLLER ABSICHT!

Warum hast du mir das nie gezeigt, Paul?

WARTE EINFACH DIE GESCHICHTE AB, DANN WEIßT DU ES!

Wenn die Menschheit dann so weit wäre. Also, Erik nutzte Stille und Dunkelheit, um sich das vorher Gesehene noch einmal vor Augen zu führen. Diese Bilder wollte er dann in das Skizzenbuch zeichnen, irgendwann einmal. Denn seine Finger waren ja damals ohne Leben. So gut wie nichts war in der Lage, den Bewegungswünschen des Gehirns zu folgen. Aber Erik wartete. Lange. Sehr lange. Als er später davon erzählte, wunderte sich Erik noch immer, wie gelassen er war, als er aufwachte und nichts bewegen konnte außer seinen Augen. Vielleicht, weil er sich nicht erinnerte, wie gut sich Bewegung anfühlt.

Vielleicht waren es aber auch die Medikamente im Heim!

Den Erinnerungsverlust und vielleicht auch seine Bewegungslosigkeit hätten Schatten verursacht, sagte ihm ein Engel in seiner Heimzeit – eine Kinderkrankenschwester, die sich ihm persönlich als Marina vorstellte. Zwei Jahre nach seiner Ankunft tauchte sie im Heim auf und behauptete, sie würde in einem Märchenschloss wohnen, direkt in Sichtweite vom Kinderheim. Die zwei Jahre vor ihrer Ankunft mit den sich täglich wiederholenden Fragen von Heimleiterin Horatio nach seiner Vergangenheit und vor allem nach jener mysteriösen Sternenscheibe hatten Eriks Fantasie abgestumpft und er glaubte Marina zuerst weder, dass es oberhalb von Nöschenrode ein Märchenschloss gab, noch dass sie dort lebte.

Das Wenigeröder Schloss! Da war ich mit der Brockenbande. Das ist wirklich märchenhaft. Hat denn Erik dieser Marina später geglaubt?

Das dauerte gar nicht so lange. Denn er hatte vom ersten Augenblick mit Marina das Gefühl, die Stimme jener liebevollen Krankenschwester zu kennen. Sie klang für ihn wie seine innere Stimme des jungen Mädchens. Und auch das Erste, was sie sagte, als beide allein im Zimmer waren, deutet darauf hin, dass sie sich kannten: „Erkennst du mich, Kire? Ich bin es, Marina! Otnoga, Zack, Laika, Alisha, Erika, Franz, Pjotr! Und du bist Kire.“

Erik konnte damit nichts anfangen, denn er erinnerte sich nicht an einen Kire und auch nicht an eine Marina. Aber ihre Aussage: „Ich bin so froh, dich gefunden zu haben!“ machte Erik dennoch sehr glücklich. Auch Marinas oft wiederholtes Versprechen: „Wir holen dich hier raus und bringen dich auf das Märchenschloss!“ hielt ihn im wahrsten Sinne am Leben.

Frau Horatio nannte die engelsgleiche Krankenschwester allerdings ,Ani‘. Und Marina erzählte Erik dazu, Ani sei ein Tarnname und sie eine geheime Meistererzählerin. Marina sprach zu ihm auch nach einem besonderen Meistererzähler-Rezept gegen Schatten: Sie verschlüsselte Schattenwörter beim Erzählen, damit ihre dunkle Wirkung verloren geht. Dabei werden einfach die Buchstaben vertauscht. Aus Angst wird GNAST und aus Krieg GREIK. Das hilft. Wer nach einem Krieg aufwacht, der will keine schattigen Erzählungen mehr hören und sich keine Angst mehr machen lassen. GNAST ist die größte Waffe, nicht nur im GREIK. Wirkt’s?

Aber das funktioniert doch nur, solange man nicht selbst lesen kann, oder?

Und, wenn auch der Erzählende daran denkt…

... und nicht an Angst und Krieg. Das ist grade nicht einfach bei all den schrecklichen Meldungen.

BEI MIR IM RADIO GIBT’S KEINE SCHLECHTEN MELDUNGEN.

Du gehst ja auch nie raus aus deinem Radioturm! Und siehst ja nicht, was draußen passiert!

WENN DU WÜSSTEST!

Meine Herren! Wollt ihr nun hören, wie es Birdy, also Lukes Opa Erik, erging, oder darüber streiten, was Paul sieht und nicht sieht?

Konnte Schwester Marina ihn da nicht endlich rausholen, wie sie es versprochen hatte?

Ich denke, sie wartete anfangs darauf, dass sich sein Zustand verbesserte oder er sich zumindest erinnerte. Seit den letzten Kriegstagen war den Kindern im Waldschulheim nichts geschehen. Vielleicht wähnte sie ihn dort in Sicherheit.

Aber es kam ein Tag, der auch Marina deutlich machte, dass sie keine Zeit mehr zu verlieren hatte, Erik so schnell wie möglich aus dem Heim zu holen. Da sein Gehör ständig aufnahmefähiger wurde, nahm Erik eines Abends ein ziemlich leises unheimliches Geräusch wahr, welches er noch nicht kannte: ein leises Rauschen. Es gehörte nicht zu den Geräuschen seines Grundwissens, so wie das Rauschen des Windes, der durch Fensterritzen pfiff, oder das Rauschen einer offenen Wasserleitung. Es sollte ein Mysterium bleiben, bis Schwester Marina mitten in dieses Rauschen ein Tor zur Welt öffnete, indem sie einen Sender fand. Es war ein Radiosender in einem sogenannten Weltempfänger. Ein Röhrenradio, das außerhalb Eriks Blickwinkel auf einem Regal hoch oben in seinem Zimmer stand. Und das erste Lied, das er im Radio hörte, war ,Swinging on a Star‘4. Ein Lied darüber, dass es an einem selbst liegt, es einmal besser zu haben in der Zukunft. Dass alles möglich ist, sogar auf einem Stern zu schaukeln. So übersetzte es Schwester Marina. Doch als könne Licht und Musik ihm schaden, kam viel zu schnell Heimleiterin Frau Horatio in sein Zimmer, zog die Vorhänge zu und drehte den Sender ab, sodass wieder nur Rauschen zu hören war. Sie holte eine Spritze aus der Tasche, stach Erik in den Arm, und während Frau Horatio dies tat, verbot sie Marina den Kontakt zu ihm. Die Vorhänge blieben seither zu. Tag und Nacht gab es in Eriks Zimmer lange Zeit nicht mehr. Natürlich verfolgte Frau Horatio damit nur ein Ziel: Erik sollte sich erinnern und sprechen.

„Wenn du nicht sagst, wo diese Sternenscheibe steckt, lasse ich deine Vorhänge zu. Und dann ist Nacht für immer! Verstehst du – für immer!“, drohte sie ihm strenger als je zuvor.

Eriks Fantasie blieb in dieser sich scheinbar ins Unendliche dehnenden Zeit nur das Wasserhahntropfen, ein leises Krabbeln von Kellerasseln und das Flügelschlagen der kleinen Flugtierchen, die er sich als geheimnisvolle Flügelwesen vorstellte und genau so später in sein Skizzenbuch malen sollte.

Irgendwann gesellte sich eine Maus dazu. Erik konnte sich weder an dieses Wesen erinnern, noch an dessen Bezeichnung. Sie war durch ein Loch in der Wand gekrochen und im wahrsten Sinne ein von der Dunkelheit ablenkendes Hörerlebnis.

Als sich nach einer gefühlten Unendlichkeit die Vorhänge wieder öffneten und Schwester Marina zu Erik durfte, drehte sie Eriks Bett zum Fenster und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich wusste bis heute nicht, was sie hier mit dir anstellen und warum. Es tut mir so leid, Kire! Heute Abend verlassen wir durch diesen Park da draußen dein Gefängnis und fliehen ins Märchenschloss! Zu deiner Großmutter Alisha! Versprochen.“

Erik dachte daran, dass Frau Horatio wegen der Sternenscheibe ebenfalls von seiner Großmutter gesprochen hatte, und bekam ein Gefühl der Unsicherheit. Als er dann beim Drehen des Bettes das Loch sah, aus dem die Maus hineingekommen war, begann er zu weinen.

Schwester Marina schien die Einzige, die wusste, dass Erik fähig war, mehr zu sehen als nur hell und dunkel. Und so ermöglichte sie ihm durch das Umstellen des Bettes den Blick durchs Fenster, direkt in den Park davor. Das Fenster lag etwas höher als das Bett. So war das Erste, was er dort sah, Bäume und Himmel. Marinas Versprechen machte diesen Ausblick für Erik zu einem Blick ins Paradies. Sie tat an jenem Tag alles, um Erik aus seinem von der Heimleitung verursachten Zustand zu holen, den man nicht anders nennen konnte als ,Nichts‘. Denn sein Blick war nach der langen Dunkelheit noch starrer geworden. Marina las ihm vor und nannte nun noch eindringlicher Orte und Namen, die sie ihm schon oft zugeflüstert hatte: Otnoga, Zack, Laika, Alisha, Erika, Franz, Marina und Kire. Doch Marina musste ihr Vorhaben abrupt abbrechen, denn Frau Horatio rief sie viel früher als sonst aus seinem Zimmer: „Ani! Kommen Sie bitte mal!“

Beim Hinausgehen zupfte Schwester Marina große und kleine Türme in Eriks Bettdecke und kommentierte dies mit einem Versprechen: „Denk immer daran – dorthin bringe ich dich. Ins Wernigeröder Schloss zu deiner ...“ Doch Frau Horatio schickte ihrer Bitte ein befehlendes „Sofort!“ Hinterher und Marinas Versprechen blieb unvollständig.

Ahnte sie, dass die Krankenschwester Opa Erik von irgendwoher kannte?

Das und mehr. Da Eriks Gehör immer sensibler wurde, konnte er hören, wie Frau Horatio Schwester Marina auf dem Flur warnte: „Sie verbringen zu viel Zeit mit diesem einen Jungen. Die anderen Kinder brauchen Sie auch. Wir haben kaum genug Kräfte für die Hälfte der Flüchtlinge hier!“

Marina schwieg, was Frau Horatio offenhörlich irritierte: „Noch eine Warnung: Bekomme ich mit, dass du etwas mit dem Jungen vorhast, lass ich dich wegen geplanter Kindesentführung verhaften! Oder als Spionin!“

Schwester Marina schwieg weiter und verließ dann den Flur über die Treppe in die obere Etage.

Was Erik blieb, war die Berglandschaft in seinem Bett. Für ihn war sie wie eine Bekräftigung des Versprechens, das ihm Schwester Marina gegeben hatte. Und er sah in Marinas Bett-Kunstwerk den Ort, zu dem sie fliehen würden – das Märchenschloss auf dem Berg hinter dem Kinderheim. Anders als der eisern tropfende Hahn, der hörbar alles beim Alten beließ, schien die Maus Eriks geplante Flucht begleiten zu wollen und lief wild zwischen den Schlosstürmen der Bettlandschaft umher. Doch Erik war noch nicht so weit, auch mit Tieren oder Dingen kommunizieren zu können. Meistererzähler gehen davon aus, dass alles sich gegenseitig verstehen kann, was eine Seele besitzt. Auch ohne gleiche Wortsprache. Egal ob eine Blume oder ein Hut. Mitgefühl ist diese gemeinsame Sprache. Für Blumen genauso wie für Hüte.

Manchmal verbindet man auch Menschen mit Tieren, Pflanzen oder Dingen. Und sieht in ihnen geliebte Menschen, die man vermisst!

OPA ERIK SAGT, EIN MENSCH KANN SICH ZWAR NICHT EINFACH SO IN EIN TIER VERWANDELN, ABER UNSERE SEELE KANN SICH IN ANDERE LEBEWESEN ÜBERTRAGEN. ZUM BEISPIEL, WEIL MAN ERLEBNISSE MIT IHNEN TEILT, BEIDE DIE GLEICHE GESINNUNG HABEN ODER BEIDE FÜR DASSELBE ZIEL LEBEN!

Und wenn beide die gleichen Geschichten erzählen? Das sind doch dann auch gemeinsame Erlebnisse!

SO IST DAS, LUKE!

Schwester Marina hatte Erik zudem einmal verraten: „Meistererzähler können mit ihrem dritten Auge gewanderte Seelen sehen.“

Kinder auch, Pjotr!

Sehr richtig, Luke! Schwester Marina sagte immer zu Erik, in jedem Kind stecke mehr als nur das Kind. Sie sah da manchmal den Großvater drin oder die Mutter oder den Onkel oder die Tante.

Sah denn Frau Horatio die Maus auch? Die wollte doch bestimmt keine Mäuse im Heim!

Für Frau Horatio war das eine kleine Ratte. Und die wurden vom Kinderheim ferngehalten, weil sie Krankheiten auf die geschwächten Flüchtlingskinder hätten übertragen können. Frau Horatio duldete die Maus nur, weil sie ein möglicher Auslöser für Erik sein konnte, sich zu erinnern. Frau Horatio hatte recht, ohne es zu merken. Denn Erik fühlte, mit der Maus eine geliebte Freundin zu haben. Eine, die er kannte und an deren Namen er sich bald sogar erinnern sollte. Erst einmal aber auch leider nur an den Namen.

Seine geliebte Mausefreundin legte sich stets brav zu ihm auf sein Bett. Immer wenn er in Gedanken erzählte, blieb sie so lange bei ihm liegen, bis er nichts mehr zu erzählen hatte. Die Maus soll wunderbar nach ,draußen‘ gerochen haben, erzählte Erik später. So wie es roch, wenn die Fenster offenstanden, was selten vorkam.

Wegen Frau Horatio?

Und weil es dort sehr oft sehr kalt war. Draußen wie drinnen. Weißt du, Luke, die Winter fühlten sich im Krieg und noch Jahre danach viel kälter an als heutzutage. Nicht nur in den Häusern, sondern auch in den Menschen selbst. Das lag an den vielen Schattengeschichten, die in den Köpfen und Herzen der Menschen feststeckten.

Schattengeschichten? Ich weiß, die überdecken alles Schöne, was ich dann gar nicht mehr sehe. In der Kopfnussbar verbreiten die Erwachsenen oft solche Geschichten, die ich dann nicht mehr aus dem Kopf kriege. Vielleicht heißt die Bar ja auch deswegen so ...

DANN SOLLTEST DU EH EINEN BOGEN UM DIE BAR MACHEN IN DEINEM ALTER, LUKE! OPA HAT DIE BAR AUCH NICHT GUTGETAN.

Das mit Eriks Schattengeschichten begann schon sehr viel früher. Die ersten zwei Jahre im Heim noch ohne Marina waren für Erik voll solcher Schattengeschichten. Gleich nach seiner Ankunft hatte jemand mit französischem Akzent Frau Horatio auf dem Flur erzählt, ein Zug wäre verunglückt. In selbigem sollen Heimkinder gewesen sein. Und es wurde nicht von Flucht gesprochen, sondern von Bestellung.

Bestellung? Was ist mit den Kindern passiert?

Was mit ihnen geschehen ist, weiß niemand so genau. Zumindest sollen sie nicht mehr im Zug gewesen sein, als das Rote Kreuz zum Unfallort kam. Anfangs wurden auch ständig neue Kinder ins Heim gebracht, Kinder ohne Familie. Genannt: Niemandskinder. Viele wurden zur Adoption freigegeben oder an Pflegefamilien vermittelt ...

... die Kinder bestellt hatten. Das kenne ich. War auch in einer Pflegefamilie. Aber ’ner guten.

Als ältestes Kind von allen – sie schätzten Eriks Alter auf 13 Jahre – wusste er viel weniger als die anderen, da er ja seine Erinnerungen verloren hatte. Vielleicht hat ihn das davor geschützt, verrückt zu werden. Allerdings konnte er sehen und besonders gut hören. Er verstand mehr, als die anderen dachten. Nur wenige der Kinder im Heim wussten das. Und von den Erwachsenen wusste es nur Schwester Marina. Vielleicht, weil sie irgendwie selbst noch ein Kind war. Viele Kinder, welche mit ihm im Waldschulheim aufwuchsen, sprachen fremdartig und doch vertraut. Als wären ihre Sprachen verzaubert. Das war natürlich so, weil die Kinder von überallher kamen. Schwester Marina hatte Erik gelehrt, die Geschichten und Herkünfte anderer zu respektieren. Dazu muss man sie verstehen, und so hatte er von Marina Sprachunterricht erhalten. Sie las ihm auf Englisch und Französisch, aber auch auf Slawisch vor und übersetzte. Erik konnte damit gut Erzählungen anderer Kinder verstehen.

O.K.! Und wie verlief der Tag, als Schwester Marina Erik holen wollte, dann weiter? Hat sie es geschafft?

OPA HAT TAGE, DA PASSIERT MEHR ALS BEI ANDEREN IM GANZEN LEBEN!

An so einem Tag spürte Erik, dass irgendwie mehr in der Maus steckte als nur eine Maus. Als die Maus an jenem Tag auf seinen Bauch sprang und zu tanzen schien, schoss ihm die Erinnerung an einen Namen in Kopf und Herz. ,Blue‘. Selbiger war begleitet von Liebe und Schmerz. Erik konnte sich zwar weder an diese Gefühle noch an die Bedeutung des Namens erinnern. Auch nicht, zu wem er eigentlich gehörte. Dennoch empfand er den Namen als passend und gab seiner kleinen Freundin den Namen Blue.

Schwester Marina kam wie versprochen abends zurück. Doch statt Freude spürte Erik Angst. Angst vor drohender Einsamkeit. Schwester Marina sah dies natürlich, schloss die Tür zum viel zu belebten Flur und schaltete das Radio ein. Die beschwingte Swingmusik lenkte ihn ein wenig von seiner Angst ab. Besonders ‚Swinging on a Star’ schien Schwester Marinas nächste Offenbarung zu untermalen: „Erik, ich habe dir doch erzählt, dass ich eine als Krankenschwester getarnte Meistererzählerin bin ... für eine geheime Gilde!“

„Doch eine Spionin?“, dachte Erik sichtlich voller Angst. Denn über Spione und was mit ihnen passiert, hatte Frau Horatio auf dem Flur öfter gesprochen. Marina blickte zuerst erstaunt und nickte dann zögerlich. Erik wusste schon immer, dass Marina seine Gedanken hören konnte. Um ihn zu beruhigen, erzählte sie ihm eine Geschichte, wie an ganz normalen Tagen. Erik wollte nicht, dass sie jemals aufhörte, aber irgendwann tat sie es. Mitten in der Erzählung über eine Schiffsreise brach sie ab, holte das Skizzenbuch aus seinem Mantel und steckte es unter seine Bettdecke. Sie sprach jetzt auffällig anders. Mehr so, wie vielleicht Engel sprechen: „Bald wirst du dich erinnern! Und dann wirst Du erkennen, was dieses Schiff bedeutet, und es allen mitteilen!“ Da Schwester Marina bei diesen Worten ernst blieb, schöpfte er Hoffnung, tatsächlich wieder irgendwann sprechen zu können. Schwester Marina umarmte ihn ganz fest, bestärkte seine Hoffnung und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich verrate dir ein Geheimnis. Das Schiff in deinem Buch kann durch die Zeit reisen. Wenn du ein Meistererzähler wirst, bist du sein Kapitän!“

Erik hielt sich und seinen Zustand nicht unbedingt für meisterhaft genug, ein zeitreisender Erzähler zu sein, und schon gar kein Kapitän. Aber Schwester Marina gab ihm einen Kuss, lächelte seine trüben Gedanken fort und flüsterte: „Wir ... werden ... jetzt ... fliehen!“

Marina drehte das Radio leiser und öffnete die Zimmertür, um zu schauen, ob die Luft jetzt rein war. Geräusche und Stimmen drangen aus Frau Horatios Raum in den Flur und schallten herüber. Zuordnen konnte Erik das zu Hörende diesmal nicht, und so beschrieb es ihm Marina – ohne es wohl beeinflussen zu können, dass ihre Stimme dabei zitterte: „Da ist ein junger Franzose im Kinderheim angekommen. Der pellt in der Küche grad die Kartoffeln. Mit Frau Horatio. Nun ja. Eigentlich ist er deinetwegen hier. Deshalb trage ich dich jetzt sofort hier raus. Solange die Küchentür zu ist, wird uns keiner daran hindern!“

Diese Worte veränderten alles. Denn Frau Horatio stand plötzlich in der Tür und Erik konnte nichts tun, als Marina anzuschauen. Frau Horatio ging wieder, schweigend. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. Erik begann zu weinen, weil er Marina nicht hatte warnen können, als Frau Horatio sie belauschte.

Schwester Marina sah die Tränen, schloss die Tür und versuchte ihn wieder zu beruhigen: „Du hast mich mit deinen Augen gewarnt und ich muss sowieso fliehen!“

„Wegen deiner geheimen Gilde?“, dachte Erik.

Schwester Marina nickte. „Sprich niemals jemanden darauf an – ist ja schließlich geheim! Und jetzt trage ich dich zum Schloss!“

Im selben Moment wurde die Zimmertür aufgerissen und Marina am Arm gepackt. Der erwähnte Franzose zog sie aus dem Zimmer und schimpfte ein Wort mehrfach so laut, als sollte Erik alles verstehen und auch Frau Horatio: „Mademoiselle!“

Alle im Heim hatten sicher gedacht, der Franzose meinte auf Französisch ,Fräulein!‘ und wollte Marina damit streng bitten, zu folgen. Erik hatte von Marina aber gelernt, die Übersetzung von ,Mademoiselle‘ wäre ,vermissen‘. Und in diesem Fall sollte er recht behalten.

Und was geschah mit Marina?

JA! WAS HAT DENN BIRDY DAZU ERZÄHLT, PJOTR?

Natürlich fühlte sich Erik danach alleingelassen. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, von Marina nachgeholt zu werden.

Wie, das ist alles?

Nein. Aber an jenem Tag kam sie nicht zurück. Und seine inneren Stimmen schwiegen dazu. Erik musste viele Tage warten, bis sie sich wiedersehen sollten ...

Na ganz toll!

Ohne Schwester Marina war das Kinderheim wie ein Hühnerstall, sagte dein Opa. Heimleiterin Horatio hatte begonnen, die Kinder zu ,behüten‘, wie sie es nannte. Der Grund lag in Marinas ,Entführungsversuch‘, wie Frau Horatio es ausdrückte. Das Wort ,Behüten‘ traf ihre Handlungen in zweierlei Hinsicht: Sie hatte jedem von ihnen einen großen Hut mit einer Feder geschenkt und „...sich wie eine Glucke schwer behütend auf ihre Küken gesetzt, bis sie flügge wurden ... oder unter ihr erstickten!“, erzählte dein Opa. Unheimlich war ihm die Heimleiterin ja schon länger. Aber nun wuchs seine Angst täglich vor dieser Frau Horatio, der er nicht traute und die in seinen Augen nur Dunkelheit brachte.

Was heißt denn eigentlich ‚flügge werden‘?

Flügge werden bedeutete für die Heimkinder, Talente, aber auch Schwächen zu finden, um eine Ausgangsaufgabe absolvieren zu können. Eine Aufgabe, welche die Kinder auf ihren eigenen Weg schickte. Jedes Heimkind wählte vor dem sogenannten Ausgang