Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / Ein Besuch / Auf dem Altenteil Erzählungen - Raabe, Wilhelm - kostenlos E-Book

Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / Ein Besuch / Auf dem Altenteil Erzählungen E-Book

Wilhelm, Raabe

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The Project Gutenberg EBook of Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / EinBesuch / Auf dem Altenteil, by Wilhelm RaabeThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Der Junkervon Denow / Ein Geheimnis / Ein Besuch / Auf dem Altenteil       ErzählungenAuthor: Wilhelm RaabeRelease Date: January 9, 2014 [EBook #44639]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER JUNKERVON DENOW / EIN ***Produced by Norbert H. Langkau, Norbert Müller and theOnline Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net

The cover image was created for this edition and is placed in the public domain.

Anmerkungen zur Transkription

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Text, der im Original in Antiqua gesetzt ist, ist hier kursiv dargestellt. Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originaltextes wurden übernommen; nur offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

Wilhelm Raabe

Bücherei

Erste Reihe: Kleinere Erzählungen

Zweiter Band

Berlin-Grunewald

Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst/Hermann Klemm

Wilhelm Raabe

Der Junker von Denow

Ein Geheimnis

Ein Besuch

Auf dem Altenteil

Erzählungen

Dritte Auflage 11.-16. Tausend

Berlin-Grunewald Verlagsanstalt für Litteratur und Kunst/Hermann Klemm

Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig

DerJunker von Denow Historische Novelle

I.

er am Abend des sechsten Septembers alten Stils, am Donnerstag vor Mariä Geburt im Jahre unsers Herrn Eintausendfünfhundertneunundneunzig, nach Sonnenuntergang einen Blick aus der Vogelschau über die Rheinebene von Rees bis Emmerich und weit nach Ost und West ins Land hinein hätte werfen können, der würde eines erschrecklichen Schauspiels teilhaftig geworden sein.

Schwarze regendrohende Wolken verhingen das Himmelsgewölbe, und es würde eine dunkle Nacht gewesen sein, wenn nicht der Mensch diesmal dafür gesorgt hätte, daß es auf der weiten Fläche nicht ganz finster wurde. Auf den Wällen von Rees leitete, an der Spitze seiner Hispanier, Burgunder und Wallonen, Don Ramiro de Gusman die Verteidigung der Stadt und Festung gegen das Reichsheer, welches schläfrig und matt genug der Belagerung oblag, dafür aber auf andere Weise desto mehr Lärm machte, wie es einer Armee des heiligen römischen Reichs deutscher Nation zukam. Ein fahles, blitzartiges Leuchten lag hier über der Gegend, denn wenn auch das schwere Geschütz seit Mittag schwieg, so knatterte doch das Musketenfeuer, schwächer oder stärker, rund um die Stadt fort und fort, und manch ein Wachtfeuer flackerte auf beiden Ufern des Flusses, welcher manche Leiche in seinen nachtschwarzen Fluten mit sich hinab führte in das leichenvolle Holland, wo der finstere Admiral von Aragonien, Don Francisco de Mendoza, und der Sohn der schönen Welserin, der bigotte Kardinal Andreas von Österreich, die Zeiten Albas erneuerten. —

Wir haben es jedoch nur mit der rechten Seite des Rheines zu tun, wo tief in das Land hinein unter den zusammengewürfelten Tausenden des Reichsheeres, Hessen, Brandenburgern, Braunschweigern, Westfalen, der furor teutonicus, die sinnlose, trunkene, deutsche Furie ausgebrochen war und in Verwüstungen aller Art sich Luft machte. In allen Dörfern und Lagerplätzen Sturmglocken, Trommeln und rufende Trompeten — Geschrei und Jammer des elenden, geplünderten, mißhandelten Landvolkes — bittende, drohende Befehlshaber — flüchtende Herden, Weiber, Kinder, Kranke, Greise — Reitergeschwader, die sich sammelten, Reitergeschwader, die auseinanderstoben — brennende Häuser und Zeltreihen, und zwischen allem die Cleveschen Milizen, die „Hahnenfedern“, zur Wut gebracht durch die Ausschweifungen derer, welche da Hilfe bringen sollten gegen die Ausschweifungen des fremden Feindes! Überall Blut und Feuer und Brand — ein unbeschreibliches, wüstes, grauenhaftes Durcheinander, zu dessen Schilderung Menschenrede nicht hinreicht!...

Lange genug hatte an diesem Abend Don Ramiro, hinter seiner Brustwehr an eine zerschossene Lafette gelehnt, hinübergeschaut nach den Laufgräben und Angriffswerken der tollgewordenen Belagerer; jetzt stieg er langsam herab von seinem Lugaus, und begleitet von zwei Fackelträgern und mehreren seiner Unterbefehlshaber schritt er durch die Gassen von Rees, dessen zitternde Bewohner jedes Fenster hatten erhellen müssen, und dessen Straßen dumpf dröhnten unter den Schritten der gegen die östlichen Ausfallspforten heranmarschierenden Besatzung.

„Francisco Orticio!“ sagte der spanische Kommandant, und im nächsten Augenblick stand der Geforderte vor ihm.

„Alles bereit?“ fragte Don Ramiro wieder.

Der gerüstete Führer senkte stumm den Degen und wies mit der Linken auf die Haufen der Krieger, welche jetzt alle an den ihnen bestimmten Plätzen dicht gedrängt, regungslos standen. Des Spaniers Auge flog mit düsterer Befriedigung über all diese im Glanz der Fackeln blitzenden Harnische, Sturmhauben, Piken und Schwerter — er nickte. „Sie würden sich da draußen untereinander selbst fressen, gleich den hungrigen Wölfen,“ sagte er, „aber wir wollen zur Ehre Gottes und der heiligen Jungfrau“ — hier lüftete er den Hut, und alle Umstehenden taten das Gleiche — „unsern Teil an dem Verdienst haben, die Ketzer zu vertilgen! Erinnert Euch, Orticio, mit dem Schlage Elf beginnt das Feuer wiederum — mit dem Schlage Elf hinaus auf sie! Spanien und die Jungfrau! die Losung.“

„An eure Plätze, ihr Herren!“ erschallte das Kommandowort Francisco Orticios — ein dumpfes Gerassel und Geklirr der sich aneinander reibenden Harnische — Don Ramiro de Gusman schritt langsam prüfend die Reihen entlang; dann stieg er schweigend wieder zu dem Walle empor, nach einem letzten Wink und Gruß für Orticio, welcher sein Wehrgehäng fester zog.

„Noch eine halbe Stund’! Spanien und die Jungfrau, Spanien und die Jungfrau!“ ging es dumpf durch die Reihen der harrenden Krieger. — — —

Unsere Geschichte beginnt!

„So hole der Teufel die meineidigen Schufte und meuterischen Hunde!“ schrie der Hauptmann Burghard Hieronymus Rußwurmb in Verzweiflung, im Lager der dreizehn Fähnlein gewappneter Knechte, Reisiger und Fußsöldner, welche Herr Heinrich Julius, postulierter Bischof zu Halberstadt, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg als Obrister des niedersächsischen Kreises zufolge des Koblenzschen Reichsabschieds für diesen Krieg geworben und aus aller deutschen Herren Ländern zusammengebracht hatte. „Ist denn die Welt ganz umgekehrt? Es ist zum Rasendwerden!... So schlage zum letzten Mal die Trommel, Hans Niekirche — o heiliges Wort Gottes, das ist das Jüngste Gericht!“

Hans Niekirche aus Braunschweig, der Trommelschläger, ein blutjunger Wicht, welcher einem Schneider seiner Geburtsstadt aus der Lehre gelaufen war, hatte, hierhin gestoßen, dahin gezerrt, sich fast zwischen die langen Beine seines Hauptmanns gerettet und fing nun mit zitternden Händen von neuem an, das Kalbfell zu bearbeiten; während der Hauptmann hin und her lief, mit beiden Händen das Haupthaar durchwühlend. Er hatte wohl das Recht, zornig zu sein, der Wackere! Dicht hinter sich hatte er ein geplündertes Bauernhaus, dessen Fenster und Türen eingeschlagen waren, und auf dessen Schwelle ein junges Weib mit zerrissenen Kleidern, in der im letzten Krampf zusammengekniffenen Hand ein Büschel roter Haare, leblos ausgestreckt lag. An sein linkes Bein hing sich jetzt auch noch ein arm Kindlein in seiner Todesangst, zu seiner Rechten schlug Niekirch seine Wirbel, und rings um ihn her schrie und stampfte, fluchte und drohete sein meuterisch Fähnlein und rasaunte durcheinander, wie ein aufgestört Rattennest.

„O ihr Schelme, ihr Hunde, das soll euch heimgezahlt werden!“ brüllte der Hauptmann. „Warte, Hans Diroff von Kahla, warte, Koburger, Christoph Stern von Saalfeld, an den Galgen und aufs Rad kommt ihr; oder die Gerechtigkeit ist krepiert auf Erden. Warte, du Schmalz von Gera, dein Fett soll all werden, wie eine Kerze im Feuer! O Tag des Zorns, o Hunde! Hunde!“

„Gebt Raum, Hauptmann!“ schrie ein riesenhafter Kerl, genannt Valentin Weisser von Roseneck, dem Führer den Büchsenkolben vor die Brust setzend. „Ihr seid die Verräter, die Schelme, Ihr und Eure saubern Gesellen und Euer Graf von Hohenlohe, der Holländer! Wollt Ihr uns nicht etwa über das Wasser, über den Rhein, von des Reiches Boden führen? He, sprecht!“

„Nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! nicht vor Bommel! nicht vor Bommel!“ schrie es von allen Seiten, und weit über das Feld durch alle Tausende wälzte sich dasselbe Wort. Der Hauptmann schlug den Kolben von seiner Brust zur Seite.

„Du wirst gehängt, wie ein Spatz, Rosenecker,“ schrie er.

„Ihr sollt es wenigstens nit erschauen!“ brüllte der Schütz wieder, die brennende Lunte über dem Haupte schwingend. Er nahm sich nicht die Mühe, sie aufzuschrauben, das Feuerrohr lag auf der Gabel — im nächsten Augenblick wäre der Hauptmann ein Kind des Todes gewesen, wenn nicht plötzlich zwischen dem Bedrohten und dem Drohenden ein Reiter im vollen Galopp angehalten und dem wütenden Musketierer den Büchsenlauf in die Höhe geschlagen hätte, daß der Schuß in die Luft ging.

„Der Junker! der Junker!“ schrie es auf allen Seiten. „Der Junker zurück! sprecht, sprecht, was ist’s? was sagt der Graf? Haben sie uns verkauft an die holländischen Juden, ihnen ihre Festung Bommel zu entsetzen?... Der Junker, der Junker! Nicht nach Bommel, nicht vor Bommel! nicht über den Rhein! nicht über den Rhein! In die Spieße der von Hollach!“

„Ja, schreit nur, bis ihr berstet!“ zischte blau vor Grimm der Hauptmann durch die zusammengebissenen Zähne und ballte die Hände, daß die Nägel tief ins Fleisch drangen. „Schreit nur — es ist noch nicht im Topf, darin es gekocht wird — Christoph von Denow, sprecht zu den Meutmachern! sagt den räudigen Hunden Eure Botschaft!“

Der junge Reiter richtete sich hoch auf im Sattel, und alle die wilden Gesichter im Fackelschein ringsumher wandten sich ihm zu.

„Der wohlgeborene und edle Graf Philipp von Hohenlohe, unser gnädiger Feldhauptmann —“

„Nichts von dem Grafen von Hollach, dem Verräter, dem Judas!“ schrien einige. „Stille! Ruhe! Hört ihn!“ riefen die andern und gewannen die Oberhand, daß der Reiter fortfahren konnte.

„Der Graf läßt den Fähnlein des braunschweigischen Regiments zu Roß und zu Fuß vermelden, daß ihr Begehren und Gebaren unehrlich und treulos sei, deutscher Nation zu Schimpf und Schande und großem Schaden gereiche —“

Ein allgemeines Wut- und Spottgebrüll unterbrach den Redner, der erst nach langem Harren weiter rufen konnte.

„Es sagt der Graf von Hohenlohe, daß er befehle, Generalmarsch zu schlagen vor jeglichem Quartier und auszurücken in die Linien gen Rees, auf weitern Befehl! Da kommt unser gnädigster Obrister, der Herr von Rethen.“

Neues Geschrei empfing den ebenfalls im vollen Rosseslauf erscheinenden Führer, welcher den schriftlichen Befehl des Grafen mit sich führte; aber ebenfalls vergeblich durch Bitten, Drohungen, Erinnerungen an den Artikelbrief das Volk zur Ruhe zu bringen versuchte. Atemlos, zornesbleich hielt er zuletzt in dem kleinen Kreise der Hauptleute und Offiziere und der wenigen treugebliebenen Söldner. Der Junker aber befand sich, willenlos fortgerissen, inmitten des wildesten Getümmels der aufrührerischen Knechte, die von Mord und Blut sprachen, und bereits ihre Spieße senkten, ihre Feuergewehre richteten auf das Häuflein der Getreuen, welche einen Ring schlossen um die Führer und die geretteten Feldzeichen, und sich rüsteten, ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen.

Auch das Reiterlager hatte sich in Bewegung gesetzt, von Minute zu Minute wuchs der Tumult, und inmitten all dieser drohenden Spieße, Schwerter und Büchsen, unter all diesen scheu gewordenen, ausschlagenden, stampfenden Rossen und trunkenen Männern taucht jetzt für uns eine Gestalt auf, klein und zierlich gebaut, aber trutzig und unverzagt, im Heerlager aufgewachsen, gebräunt von Wind und Wetter, abgehärtet in mancher bösen Sturmnacht am schwächlichen Lagerfeuer, ein klein Hütlein, geziert mit einer Häherfeder, auf den krausen, wirren Locken, ein Dolchmesser im Gürtel, — bekannt bei Führern, Knechten und Reisigen; zu Roß, zu Fuß, zu Wagen stets dem Heere zur Hand: Anneke Mey von Stadtoldendorf, des braunschweigschen Regiments Marketenderin und Schenkin!

„Hab’ ich dich auf den Fuß getreten, Anneke?“ fragte ganz kleinmütig der wilde Valentin Weisser, der eben das Feuergewehr gegen den Hauptmann hatte losgehen lassen. „Nimm dich in acht, daß sie dich nicht erdrücken, Engel-Anneke — stelle dich hinter mich, du wirst gleich dein blaues Wunder sehen.“

„Nehmet Ihr Euch in acht, Rosenecker,“ lachte das wildherzige Kind, „Ihr spielt ein hoch Spiel diese Nacht!“

Der Riese warf einen trotzigen, lachenden Blick über die hin und her wogenden Massen. —

„Hoho, sind wir nicht unsrer genug, zu gewinnen? Nicht vor Bommel! Ju — ho! ho! nicht vor Bommel! nicht übern Rhein! Fort mit den Hauptleuten, fort mit dem Grafen von Hollach!“

In diesem Augenblick riefen wieder Hunderte von Stimmen nach dem Junker — dem Christoph von Denow. Da zuckte ein seltsamer Glanz über das Gesicht des Mädchens. Es stellte sich zuerst auf die Zehen, dann kletterte es mit katzengleicher Behendigkeit und Schnelligkeit auf einen Schutthaufen, wo sich bereits mehrere Soldatenweiber mit ihren Kindern und Habseligkeiten zusammengedrängt hatten und alle zugleich in den Lärm hineinkreischten.

„Mein Mann! mein Mann! Jesus, sie würgen sich alle! Gottes Sohn — Franz! Franz!“

„Was macht der Junker? wo ist der Junker?“ rief Anneke Mey, eine Hand, welche ihr entgegengestreckt wurde, ergreifend.

„Da! da! er spricht zu denen vom vierten Fähnlein — da — da — Jesus, sie werfen den Hauptmann Eberbach nieder, und mein Mann, Jesus, mein Mann!“ —

Die Augen der Armen wurden starr, mit einem Sprung war sie von der Höhe herab und stürzte sich mitten in das Getümmel; über den am Boden liegenden Hauptmann sank unter den Hieben und Stößen der Meutrer der Doppelsöldner Franz Hase von Erfurt zusammen. Vergeblich hatte sich Christoph von Denow unter die Piken und Hellebarden geworfen, mit seinem Schwert die Spitzen niederschlagend; im vollen Lauf stürzte jetzt das aufrührerische Kriegsvolk auf die Treugebliebenen und die Befehlshaber, Schüsse krachten hinüber und herüber. Ihr Messer aus der Scheide reißend trieb Anneke Mey in den Aufruhr hinein. Christoph von Denow sah sie plötzlich an seiner Seite unter den Füßen der Kämpfenden; — noch ein Augenblick, und sie war verloren, noch ein Augenblick, und er hatte sie, fast ohne zu wissen, was er tat, zu sich emporgezogen aufs Pferd; alles drehte sich um ihn her — „Mordio! Mordio!“ brüllte es auf allen Seiten — — Da — — urplötzlich — — blieben alle die zum Verbrechen gezückten und geschwungenen Waffen, wie durch ein Zauberwort aufgehalten in der Luft — jeder Wut- und Angstschrei erstarrte auf den Lippen — Angreifer und Angegriffene standen lautlos, bewegungslos!

Im Westen über Rees hatte sich, begleitet von einem donnerartigen Krachen, der dunkle Nachthimmel blutig-rot gefärbt. Alle Geschütze auf den Wällen, alle Geschütze in den Angriffslinien brüllten los; im Lager des Reichsheeres flog ein Pulvervorrat in die Luft, dazwischen rollte, immer stärker werdend, das kleine Gewehrfeuer.

Mit einem Male hatte sich die Szene im aufrührerischen Lager vollständig verändert.

„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen!“ ging es von Mund zu Mund. „Sturm! Sturm! Gen Rees! gen Rees!“

Und als peitsche der Satan sie vorwärts, seiner Hölle zu, hatte sich plötzlich diese ganze Masse von Kriegern, Führern, Weibern, Troßknechten in Bewegung gesetzt, dem flammenden Vulkan im Westen entgegen. Gier nach Beute, unbefriedigte Gier nach Blut trieb sie von dannen. Im wildesten Taumel, Reiter und Fußvolk und Wagen bunt durcheinander, raste sie über das Feld durch die Nacht. Im wildesten Taumel und Traum, das Schwert am Faustriemen, vor sich auf dem Sattel das Mädchen aus den Weserbergen, saß Christoph von Denow auf seinem schwarzen Roß. — —

„Sturm! Sturm! Rees zu Sturm geschossen! Vivat der Graf! Vivat der Graf von Hollach! Vorwärts! Vorwärts!“

Ein sekundenlanges Anhalten in dieser wüsten Menschenflut war eine Unmöglichkeit, ein Fehltritt, ein Straucheln der sichere Tod. Schon hörte man zwischen dem Donnern und Krachen um die Stadt den Schlachtruf der Feinde: „Spanien und die Jungfrau! Spanien und die Jungfrau!“ und lauter und näher den Ruf der angegriffenen Belagerer: „Das Reich! das Reich! Vorwärts, das Reich!“

Hinein in die Atmosphäre von Blut und Feuer brauste die anstürzende Menschenmasse, und die Letzten drängten bereits die Vordersten in die angegriffenen Laufgräben, aus denen eine andere Flut ihnen entgegen wogte. Das waren die Hessischen, die schlecht bewaffneten, halbverhungerten, im Regen und Rheinwasser fast ertränkten Schanzgräber, welche dem wilden Anprall der Spanier nicht hatten widerstehen können.

„Spanien! Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ rief Francisco Orticio, sich über einen Schanzkorb in die Höhe schwingend.

„Spanien! Spanien und die Jungfrau!“ wiederholten seine Krieger ihm nachdringend.

„Rette, Hessen! Rette!“ schrien die flüchtigen Söldner des Landgrafen im panischen Schrecken.

„Braunschweig! Braunschweig!“ brüllte es von den Höhen der Böschungen.

„Up dei Düvels!“ schrie Heinrich Weber aus Schöppenstedt, eine Fackel in der Hand mitten unter die Hessen springend. Der flammende Brand flog im weiten Bogen gegen die Spanier — ein zweiter Satz — die zu Grund, der Bergstadt im Harz, gehämmerte Hellebarde schmetterte nieder auf eine zu Cordova geschmiedete Sturmhaube: Diego Lua aus Toboso stürzte mit einem „Valga me Dios!“ tot zurück.

„Braunschweig! Braunschweig!“ brauste es dem Schöppenstedter nach, und „Braunschweig! Braunschweig!“ jubelten auch die Hessen, welche mit neuem Mut sich wandten gegen ihre Verfolger.

„Braunschweig! Braunschweig!“ rief Christoph von Denow, dem es gelungen war, sich von seinem Pferde zu werfen, welches sich auf der Böschung hoch bäumte, im nächsten Augenblick aber, von einer Kugel getroffen, zusammenbrach. Anneke Mey stand unbeschädigt auf den Füßen, doch auch sie wurde mit hinabgerissen in die Gräben, wo sie jedoch samt Hans Niekirche hinter einem Haufen umgestürzter Schanzkörbe den verlorenen Atem wieder gewinnen konnte.

Und jetzt Angriff und wütende Verteidigung, Flüche in sechs Sprachen, Todesrufe; — auf engstem Raum Vernichtung jeder Art! — Alle Hauptleute der Braunschweiger: Adebar, Maxen, Wulffen, Wobersnau, Rußwurmb, Dux, Statz, und wie sie hießen, hatten ihre Stellen als Befehlshaber wieder eingenommen und drängten tapfer kämpfend die Spanier zurück. Tapfer stritten aber auch die Spanier. Sechs Geschütze hatten sie in den hessischen Schanzen genommen und in den Rheingraben versenkt, Schritt für Schritt wichen sie zu den flammenden Mauern und Wällen der Stadt über die Leichen ihrer Landsleute und ihrer Feinde. Der Graf von Hohenlohe in vollster Rüstung mit seinen Herren führte stets neue Truppen an; Haufen auf Haufen ließ Don Ramiro de Gusman hervorbrechen.

Dicht an den Spaniern kämpfte Christoph von Denow, das Blut rieselte aus einer Stirnwunde, — er merkte es nicht. Anneke Mey hatte sich mutig auf ihren Schanzkorb geschwungen und den widerstrebenden Niekirche nachgezogen. Sie hielt ihr Messer noch immer gezückt in der Rechten, mit der Linken hielt sie den schlotternden Trommelschläger am Kragen.

„So schlage den Sturmmarsch, Junge!“ rief sie lachend. „Willst’ nicht? Wart, gleich fliegst du herunter, daß sie dich drunten zu Brei vertreten, Feigling!“

„Ja! ja! ich will!“ jammerte Hans. „Ach wär’ ich doch daheim! Ach wär’ ich doch zu Haus! Mein Mutter! mein Mutter!“

„Na, na, schlage nur immer zu, du kommst noch davon!“ sagte Anneke begütigend und ließ den Kragen des Armen los. „Dein’ Mutter wartet schon a bissel! Schau, wie lustig das aussieht — da, guck, sie geben’s den welschen Bluthunden! Wär’ ich ’n Knab, wie du — hei, ich wollt’s ihnen auch schon zeigen!“ Und mit heller Stimme fing das Mädchen an zu singen:

„Mein Vater wollt’ ein Knäbelein,Mein Mutter wollt’ ein Mägdelein,Mein’ Mutter tät gewinnen,Des muß den Flachs ich spinnen — Ja spinnen!Das ist mir großes Leid!“