Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8) Hausbücherei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung, 3. Band - Rosegger, Peter; Reuter, Fritz; Raabe, Wilhelm; Roderich, Albert - kostenlos E-Book

Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8) Hausbücherei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung, 3. Band E-Book

Wilhelm, Albert, Rosegger, Peter, Fritz, Reuter, Raabe, Roderich

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The Project Gutenberg EBook of Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8), by Peter Rosegger and Fritz Reuter and Wilhelm Raabe and Albert RoderichThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8)       Hausbücherei der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung, 3. BandAuthor: Peter Rosegger        Fritz Reuter        Wilhelm Raabe        Albert RoderichRelease Date: September 5, 2016 [EBook #52985]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DEUTSCHE HUMORISTEN, 1. BAND ***

Anmerkungen zur Transkription

Der vorliegende Text wurde anhand der 1911 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Zeichensetzung und offensichtliche typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche sowie inkonsistente Schreibweisen wurden beibehalten, insbesondere wenn diese in der damaligen Zeit üblich waren oder im Text mehrfach auftreten.

Das Bücherverzeichnis der ‚Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung‘ wurde vom Bearbeiter an das Ende des Buches verschoben.

Der Originaltext wurde in Frakturschrift gedruckt; Passagen in Antiquaschrift werden in dieser Version kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen.

Hausbücherei 3

Hausbücherei

der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

3. Band

Hamburg-Großborstel

Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

1911

46.–55. Tausend

Deutsche Humoristen

1. Band

Peter Rosegger Fritz Reuter

Wilhelm Raabe Albert Roderich

Hamburg-Großborstel

Verlag der Deutschen Dichter-Gedächtnis-Stiftung

1911

46.–55. Tausend

Inhaltsverzeichnis zum 2. Bande der „Deutschen Humoristen“ (Hausbücherei Band 4).

Vorwort.

Brentano, Clemens: Die mehreren Wehmüller oder ungarische Nationalgesichter.

Hoffmann, E. Th. A.: Die Königsbraut. Ein nach der Natur entworfenes Märchen.

Zschokke, Heinrich: Die Nacht in Brczwezmcisl.

Inhaltsverzeichnis zum 3. Bande der „Deutschen Humoristen“ (Hausbücherei Band 5).

Hoffmann, Hans: Eistrug.

Ernst, Otto: Die Gemeinschaft der Brüder vom geruhigen Leben.

Eyth, Max: Der blinde Passagier.

Böhlau, Helene (Madame al Raschid Bey): Die Ratsmädel gehen einem Spuk zu Leibe.

Inhalt.

Vorwort

7–8

Vischer, Friedr. Theodor

: Humor. Gedicht

9–10

Rosegger, Peter

: Als ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß

11–24

Rosegger, Peter

: Wie wir die Gürtelsprenge haben gehalten

25–40

Raabe, Wilhelm

: Der Marsch nach Hause

41–146

Reuter, Fritz

: Woans ick tau ’ne Fru kamm

147–204

Roderich, Albert

: Nemesis

205–221

Vorwort.

Der Humor ist den Menschen ein so willkommener Gast, daß er eigentlich keiner Einführung bedarf; sein schalkhaft-ehrliches Gesicht empfiehlt ihn überall. Aber da es der Deutsche nun einmal nicht lassen kann, bei allem, was er beginnt, von „Grundsatz“ und „System“ zu reden, so sei hier bemerkt, daß diese kleine Sammlung humoristischer Geschichten nach keinem System und nach keinem Grundsatze zusammengestellt ist, außer nach dem, den Lesern etwas Gutes vorzusetzen. Es soll also keiner kommen und uns sagen, es gebe noch mehr humoristische Dichtungen als diese, oder bessere, oder lustigere, oder gediegenere. Wir sagen dazu nicht ja und nicht nein. Wir sagen nur: abwarten! Denn trotz der pedantischen Aufnahme, die der Humor in deutschen Landen fast immer gefunden hat, ist der Vorrat an humoristischer Literatur bei uns Gott sei Dank so groß, daß fünf Geschichtchen nur einen winzigen Bruchteil von ihr bedeuten. Und so hoffen wir noch manches Mal mit ähnlicher Gabe vor unsere Leser treten zu können und den Born, aus dem wir solche Gaben heraufholen, ewig unerschöpft zu finden.

Hamburg, Pfingsten 1903.

Deutsche Dichter- Gedächtnis-Stiftung.

Humor.

Von Friedrich Theodor Vischer.

Man spricht von Humor jetzt oft und viel
Und denkt dabei nur an ein leeres Spiel.
Mancher kursiert als Humorist,
Der nichts weiter als Spaßmacher ist,
Nichts ahnt von dem innern Widerspruch,
Von dem Zickzack, dem tiefen Bruch,
Der durch das ganze Weltall dringt,
Daß man immer fürchtet: es zerspringt,
Während die also geborstne Welt
Doch immer noch steht und zusammenhält, —
Mancher, der diesen Riß zwar merkt,
Doch zu freiem Lachen den Geist nicht stärkt,
Sondern mit Weltschmerz kokettiert
Und den Blasierten affektiert, —
Ja mancher eisige, spitzige Spötter,
Der Witze nur macht auf Menschen und Götter,
Mancher verdorbne, mit Seelengicht
Behaftete, zotensinnende Wicht,
Mancher schäkernde, eitle Mann,
Der über sich selbst nicht lachen kann. —
Hat aber einer die Geistesmacht,
Die scharf durchschaut und doch heiter lacht,
Bleibt er fest und verzweifelt nie,
Hat er mehr als Witz, hat er Phantasie,
Versteht er über sich selbst zu schweben,
Sich selber dem Lachen preiszugeben:
Dem sei es gegönnt von ganzem Herzen,
Auch einmal einfach närrisch zu scherzen,
Ohne versteckte Gedankentiefen
Seine Freude zu haben am Naiven.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verlegers und des Sohnes des Verfassers abgedruckt aus Friedrich Theodor Vischer’s Gedichtsammlung „Allotria“ (Stuttgart: Verlag von Adolf Bonz & Co.).

Peter Rosegger: Als ich das erste Mal  auf dem Dampfwagen saß.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers und des Verlegers abgedruckt aus dem 1. Bande von Peter Roseggers Buch „Waldheimat. Erinnerungen aus der Jugendzeit.“ (Leipzig: Verlag von L. Staackmann, 18. Aufl. 1902).

 Als ich das erste Mal  auf dem Dampfwagen saß.

Mein Pate, der Knierutscher Jochem — er ruhe in Frieden! — war ein Mann, der alles glaubte, nur nicht das Natürliche. Das Wenige von Menschenwerken, was er begreifen konnte, war ihm göttlichen Ursprungs; das Viele, was er nicht begreifen konnte, war ihm Hexerei und Teufelsspuk. — Der Mensch, das bevorzugteste der Wesen, hat zum Beispiel die Fähigkeit, das Rindsleder zu gerben und sich Stiefel daraus zu verfertigen, damit ihn nicht an den Zehen friere; diese Gnade hat er von Gott. Wenn der Mensch aber hergeht und den Blitzableiter oder gar den Telegraphen erfindet, so ist das gar nichts anderes als eine Anfechtung des Teufels. — So hielt der Jochem den lieben Gott für einen gutherzigen, einfältigen Alten (ganz wie er, der Jochem, selber war), den Teufel aber für ein listiges, abgefeimtes Kreuzköpfel, dem nicht beizukommen ist und das die Menschen und auch den lieben Gott von hinten und vorn beschwindelt.

Abgesehen von dieser hohen Meinung vom Lucifer, Beelzebub (was weiß ich, wie sie alle heißen), war mein Pate ein gescheiter Mann. Ich verdankte ihm manches neue Linnenhöslein und manchen verdorbenen Magen.

Sein Trost gegen die Anfechtungen des bösen Feindes und sein Vertrauen war die Wallfahrtskirche Mariaschutz am Semmering. Es war eine Tagreise dahin, und der Jochem machte alljährlich einmal den Weg. Als ich schon hübsch zu Fuße war (ich und das Zicklein waren die einzigen Wesen, die mein Vater nicht einzuholen vermochte, wenn er uns mit der Peitsche nachlief), wollte der Pate Jochem auch mich einmal mitnehmen nach Mariaschutz.

„Meinetweg’“, sagte mein Vater, „da kann der Bub’ gleich die neue Eisenbahn sehen, die sie über den Semmering jetzt gebaut haben. Das Loch über den Berg soll schon fertig sein.“

„Behüt’ uns der Herr“, rief der Pate, „daß wir das Teufelszeug anschau’n! ’s ist alles Blendwerk, ’s ist alles nicht wahr“.

„Kann auch sein“, sagte mein Vater und ging davon.

Ich und der Pate machten uns auf den Weg; wir gingen über das Stuhleckgebirge, um ja dem Tale nicht in die Nähe zu kommen, in welchem nach der Leut’ Reden der Teufelswagen auf und ab ging. Als wir aber auf dem hohen Berge standen und hinabschauten in den Spitalerboden, sahen wir einer scharfen Linie entlang einen braunen Wurm kriechen, der Tabak rauchte.

„Jessas Maron!“ schrie mein Pate, „das ist schon so was! spring Bub’!“ — Und wir liefen die entgegengesetzte Seite des Berges hinunter.

Gegen Abend kamen wir in die Niederung, doch — entweder der Pate war hier nicht wegkundig, oder es hatte ihn die Neugierde, die ihm zuweilen arg zusetzte, überlistet, oder wir waren auf eine „Irrwurzen“ gestiegen — anstatt in Mariaschutz zu sein, standen wir vor einem ungeheuren Schutthaufen, und hinter demselben war ein kohlfinsteres Loch in den Berg hinein. Das Loch war schier so groß, daß darin ein Haus hätte stehen können, und gar mit Fleiß und Schick ausgemauert; und da ging eine Straße mit zwei eisernen Leisten daher und schnurgerade in den Berg hinein.

Mein Pate stand lange schweigend da und schüttelte den Kopf; endlich murmelte er: „Jetzt stehen wir da. Das wird die neumodische Landstraßen sein. Aber derlogen ist’s, daß sie da hineinfahren!“

Kalt wie Grabesluft wehte es aus dem Loche. Weiter hin gegen Spital in der Abendsonne stand an der eisernen Straße ein gemauertes Häuschen; davor ragte eine hohe Stange, auf dieser baumelten zwei blutrote Kugeln. Plötzlich rauschte es an der Stange und eine der Kugeln ging wie von Geisterhand gezogen in die Höhe. Wir erschraken baß. Daß es hier mit rechten Dingen nicht zuginge, war leicht zu merken. Doch standen wir wie festgewurzelt.

„Pate Jochem,“ sagte ich leise, „hört ihr nicht so ein Brummen in der Erden?“

„Ja freilich, Bub’“, entgegnete er, „es donnert was! es ist ein Erdbidn“ (Erdbeben). Da tat er schon ein kläglich Stöhnen. Auf der eisernen Straße heran kam ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schnauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. Und hintenher —

„Kreuz Gottes!“ rief mein Pate, „da hängen ja ganze Häuser d’ran!“ Und wahrhaftig, wenn wir sonst gedacht hatten, an das Lokomotiv wären ein paar Steirerwäglein gespannt, auf denen die Reisenden sitzen konnten, so sahen wir nun einen ganzen Marktflecken mit vielen Fenstern heranrollen, und zu den Fenstern schauten lebendige Menschenköpfe heraus, und schrecklich schnell ging’s, und ein solches Brausen war, daß einem der Verstand still stand. Das bringt kein Herrgott mehr zum stehen! fiel’s mir noch ein. Da hub der Pate die beiden Hände empor und rief mit verzweifelter Stimme: „Jessas, Jessas, jetzt fahren sie richtig in’s Loch!“

Und schon war das Ungeheuer mit seinen hundert Rädern in der Tiefe; die Rückseite des letzten Wagens schrumpfte zusammen, nur ein Lichtlein davon sah man noch eine Weile, dann war alles verschwunden, bloß der Boden dröhnte, und aus dem Loche stieg still und träge der Rauch.

Mein Pate wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Angesicht und starrte in den Tunnel.

Dann sah er mich an und fragte: „Hast du’s auch gesehen, Bub’?“

„Ich hab’s auch gesehen“.

„Nachher kann’s keine Blenderei gewesen sein“, murmelte der Jochem.

Wir gingen auf der Fahrstraße den Berg hinan; wir sahen aus mehreren Schachten Rauch hervorsteigen. Tief unter unsern Füßen im Berge ging der Dampfwagen.

„Die sind hin wie des Juden Seel’!“ sagte mein Pate und meinte die Eisenbahn-Reisenden. „Die übermütigen Leut’ sind selber ins Grab gesprungen!“

Beim Gasthause auf dem Semmering war es völlig still; die großen Stallungen waren leer, die Tische in den Gastzimmern, die Pferdetröge an der Straße waren unbesetzt. Der Wirt, sonst der stolze Beherrscher dieser Straße, lud uns höflich zu einer Jause ein.

„Mir ist aller Appetit vergangen“, antwortete mein Pate, „gescheite Leut’ essen nicht viel, und ich bin heut’ um ein Stückel gescheiter worden“. Bei dem Monumente Karls VI., das wie ein kunstreiches Diadem den Bergpaß schmückt, standen wir still und sahen ins Österreicherland hinaus, das mit seinen Felsen und Schluchten und seiner unabsehbaren Ebene vor uns ausgebreitet lag. Und als wir dann abwärts stiegen, da sahen wir drüben in den wilden Schroffwänden unsern Eisenbahnzug gehen — klein wie eine Raupe — und über hohe Brücken, fürchterliche Abgründe setzen, an schwindelnden Hängen gleiten, bei einem Loch hinein, beim andern hinaus — ganz verwunderlich.

„’s ist auf der Welt ungleich, was heutzutag’ die Leut’ treiben“, murmelte mein Pate.

„Sie tun mit der Weltkugel kegelscheiben!“ sagte ein eben vorübergehender Handwerksbursche.

Als wir nach Mariaschutz kamen, war es schon dunkel.

Wir gingen in die Kirche, wo das rote Lämpchen brannte, und beteten.

Dann genossen wir beim Wirt ein kleines Nachtmahl und gingen an den Kammern der Stallmägde vorüber auf den Heuboden, um zu schlafen.

Wir lagen schon eine Weile. Ich konnte unter der Last der Eindrücke und unter der Stimmung des Fremdseins kein Auge schließen, vermutete jedoch, daß der Pate bereits süß schlummere; da tat dieser plötzlich den Mund auf und sagte:

„Schlafst schon, Bub’?“

„Nein“, antwortete ich.

„Du“, sagte er, „mich reitet der Teufel!“

Ich erschrak. So was an einem Wallfahrtsort, das war unerhört.

„Ich muß vor dem Schlafengehen keinen Weihbrunn’ genommen haben“, flüsterte er, „’s gibt mir keine Ruh’, ’s ist arg, Bub’“.

„Was denn, Pate?“ fragte ich mit warmer Teilnahme.

„Na, morgen, wenn ich kommuniziere, leicht wird’s besser“, beruhigte er sich selbst.

„Tut euch was weh’, Pate?“

„’s ist eine Dummheit. Was meinst, Bübel, weil wir schon so nah’ dabei sind, probieren wir’s?“

Da ich ihn nicht verstand, so gab ich keine Antwort.

„Was kann uns geschehen?“ fuhr der Pate fort, „wenn’s die andern tun, warum nicht wir auch? Ich lass’ mir’s kosten“.

Er schwätzt im Traum, dachte ich bei mir selber und horchte mit Fleiß.

„Da werden sie einmal schauen“, fuhr er fort, „wenn wir heimkommen und sagen, daß wir auf dem Dampfwagen gefahren sind!“

Ich war gleich dabei.

„Aber eine Sündhaftigkeit ist’s!“ murmelte er, „na leicht wird’s morgen besser, und jetzt tun wir in Gottes Namen schlafen“.

Am andern Tage gingen wir beichten und kommunizieren und rutschten auf den Knieen um den Altar herum. Aber als wir heimwärts lenkten, da meinte der Pate nur, er wolle sich dieweilen gar nichts vornehmen, er wolle nur den Semmering-Bahnhof sehen, und wir lenkten unsern Weg dahin.

Beim Semmering-Bahnhof sahen wir das Loch auf der andern Seite. War auch kohlfinster. — Ein Zug von Wien war angezeigt. Mein Pate unterhandelte mit dem Bahnbeamten, er wolle zwei Sechser geben, und gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, wollten wir wieder absteigen.

„Gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, hält der Zug nicht“, sagte der Bahnbeamte lachend.

„Aber wenn wir absteigen wollen!“ meinte der Jochem.

„Ihr müßt bis Spital fahren. Ist für zwei Personen zweiunddreißig Kreuzer Münz.“

Mein Pate meinte, er lasse sich was kosten, aber so viel wie die hohen Herren könne er armer Schlucker nicht geben; zudem sei an uns beiden ja kein Gewicht da. — Es half nichts; der Beamte ließ nicht handeln. Der Pate zahlte; ich mußte zwei „gute“ Kreuzer beisteuern. Mittlerweile kroch aus dem nächsten, unteren Tunnel der Zug hervor, schnaufte heran, und ich glaubte schon, das gewaltige Ding wolle nicht anhalten. Es zischte und spie und ächzte — da stand es still.

Wie ein Huhn, dem man das Hirn aus dem Kopfe geschnitten, so stand der Pate da, und so stand ich da. Wir wären nicht zum Einsteigen gekommen; da schupste der Schaffner den Paten in einen Waggon und mich nach. In demselben Augenblicke wurde der Zug abgeläutet, und ich hörte noch, wie der ins Coupé stolpernde Jochem murmelte: „Das ist meine Totenglocke“. Jetzt sahen wir’s aber: im Waggon waren Bänke, schier wie in einer Kirche; und als wir zum Fenster hinausschauten — „Jessas und Maron!“ schrie mein Pate, „da draußen fliegt ja eine Mauer vorbei!“ — Jetzt wurde es finster, und wir sahen, daß an der Wand unseres knarrenden Stübchens eine Öllampe brannte. Draußen in der Nacht rauschte und toste es, als wären wir von gewaltigen Wasserfällen umgeben, und ein ums andere Mal hallten schauerliche Pfiffe. Wir reisten unter der Erde.

Der Pate hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet und hauchte: „In Gottes Namen. Jetzt geb’ ich mich in alles drein. Warum bin ich der dreidoppelte Narr gewesen.“

Zehn Vaterunser lang mochten wir so begraben gewesen sein, da lichtete es sich wieder, draußen flog die Mauer, flogen die Telegraphenstangen und die Bäume, und wir fuhren im grünen Tale.

Mein Pate stieß mich an der Seite: „Du, Bub’! Das ist gar aus der Weis’ gewesen, aber jetzt — jetzt hebt’s mir an zu gefallen. Richtig wahr, der Dampfwagen ist was Schönes! Jegerl und jerum, da ist ja schon das Spitalerdorf! Und wir sind erst eine Viertelstunde gefahren! Du, da haben wir unser Geld noch nicht abgesessen. Ich denk’, Bub’, wir bleiben noch sitzen.“

Mir war’s recht. Ich betrachtete das Zeug von innen und ich blickte in die fliegende Gegend hinaus, konnte aber nicht klug werden. Und mein Pate rief: „Na, Bub’, die Leut’ sind gescheit! Und daheim werden sie Augen machen! Hätt’ ich das Geld dazu, ich ließe mich, wie ich jetzt sitz’, auf unsern Berg hinauffahren!“

„Mürzzuschlag!“ rief der Schaffner. Der Wagen stand; wir schwindelten zur Tür hinaus!

Der Türsteher nahm uns die Papierschnitzel ab, die wir beim Einsteigen bekommen hatten, und vertrat uns den Ausgang. „He, Vetter!“ rief er, „diese Karten galten nur bis Spital. Da heißt’s nachzahlen, und zwar das Doppelte für zwei Personen; macht einen Gulden sechs Kreuzer!“

Ich starrte meinen Paten an, mein Pate mich. „Bub’“, sagte dieser endlich mit sehr umflorter Stimme, „hast du ein Geld bei dir?“

„Ich hab’ kein Geld bei mir“, schluchzte ich.

„Ich hab’ auch keins mehr“, murmelte der Jochem.

Wir wurden in eine Kanzlei geschoben, dort mußten wir unsere Taschen umkehren. Ein blaues Sacktuch, das für uns beide war und das die Herren nicht anrührten, ein hart Rindlein Brot, eine rußige Tabakspfeife, ein Taschenfeitel, etwas Schwamm und Feuerstein, der Beichtzettel von Mariaschutz und der lederne Geldbeutel endlich, in dem sich nichts befand als ein geweihtes Messing-Amuletchen, das der Pate stets mit sich trug im festen Glauben, daß sein Geld nicht ganz ausgehe, so lange er das geweihte Ding im Sacke habe. Es hatte sich auch bewährt bis auf diesen Tag — und jetzt war’s auf einmal aus mit seiner Kraft. — Wir durften unsere Habseligkeiten zwar wieder einstecken, wurden aber stundenlang auf dem Bahnhofe zurückbehalten und mußten mehrere Verhöre bestehen.

Endlich, als schon der Tag zur Neige ging, zur Zeit, da nach so rascher Fahrt wir leicht schon hätten zu Hause sein können, wurden wir entlassen, um nun den Weg über Berg und Tal in stockfinsterer Nacht zurückzulegen.

Als wir durch den Ausgang des Bahnhofes schlichen, murmelte mein Pate: „Beim Dampfwagen da — ’s ist doch der Teufel dabei!“

Peter Rosegger: Wie wir die Gürtelsprengehaben gehalten.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers und des Verlegers abgedruckt aus dem 1. Bande von Peter Roseggers Buch „Waldheimat. Erinnerungen aus der Jugendzeit“ (Leipzig: Verlag von L. Staackmann, 18. Aufl. 1902).

Wie wir die Gürtelsprengehaben gehalten.

Wenn man in jener Gegend den Bauern nach der Anzahl der Bewohner seines Hauses fragt, so mag wohl folgende Antwort geschehen: „Bewohner? Ja, die muß ich mir selber erst zusammendenken. Da bin ich; — tut nur fleißig nachzählen — ich und mein Weib und unsere fünf Kinder und der Knecht und acht Rindvieher und die Magd.“

Und er meint es nicht anders. Schützt sie doch allzusammen ein Dach, lebt doch eines für alle, wie alle für eines leben, und sie ernähren sich gegenseitig und erheitern sich das Leben, und die Kinder und die Kälber laufen lustig durcheinander herum. — Für die Rinder hat der liebe Gott die Almen und die Heustadeln erschaffen. Und wenn die Stadeln sich gefüllt haben und die Zeit der Heue vorüber ist, so wird im Hause des Hirtenbauers ein Fest begangen. Der Bauer gibt den Seinen ein Mahl. Und da wird nicht geschont, ist doch der Heustadel voll.

Und besonders Hansjörgl, der Knecht, dem in letzterer Zeit der Bauchriemen ohnehin schon zu lang geworden ist, läßt sich das Fest angelegen sein, und so eine Bäuerin wie die unsere, sagt er, gibt’s nimmermehr — und der Riemen wird kürzer und kürzer, und die Enden seines Ringes wollen nicht mehr reichen, und mit Gewalt zusammengeschnallt, springen sie wieder mit Gewalt auseinander.

Das Fest der Gürtelsprenge.

Mir ist aus jener Zeit, in der ich solche Feste noch mitmachte, ein Geschichtchen in Erinnerung.

Ich war noch im Hefelrainhof beim Vieh. Die Heue war vorüber, und unser Knecht hatte zwei Tage lang fast nichts gegessen, um sich auf den nahenden Genuß gebührend vorzubereiten. Es waren Stunden aufgeregter Erwartung, bis am dritten Tage zum späten Mittag der Bauer das weiße Tuch, mit dem roten Streifen in der Mitte, über den Tisch zog. Dann legte er die glänzend gefegten Messer und Gabeln und Löffel auf ihre Plätze. Dann begann er in gehobener Stimmung — er hatte heute auch reine Wäsche an — Weißbrot aufzuschneiden. Ich stand neben dem Tisch und sah, wie der Haufen der Brotspalten immer mehr anwuchs und anwuchs. Hansjörgl, der Knecht, beobachtete diesen Vorgang nicht ohne Mißtrauen; — wozu das viele Brot hier? Soll das etwa bestimmt sein, die Haupträumlichkeiten zu füllen, auf daß feinere Bissen nicht sollen untergebracht werden können? — Endlich kam der dampfende Milchtopf, und der Tisch ächzte, und die Massen der Brotspalten wurden hineinversenkt, so wie sich bei Erdrevolutionen Berge versenken in die Tiefen des Meeres. Wir beteten, dann setzten wir uns alle zu Tische.

Der Knecht begann zu essen, still und langsam, mit einer ehernen Ruhe. Als die Milch und das darauffolgende Speckkraut abgetan war und die Lasten der Roggenknödeln erschienen, fühlte ich die früher so mächtigen Sympathieen für die Gegenstände nach und nach schwinden — ich war gesättigt. Ich sah nur sinnend zu, wie die bedeutsamen Reihen der Gerichte vorüberzogen, die Butterschnitten und die Rahmstrudeln und die Fleischnudeln, und das Schottenkoch und die Milchkrapfen und das Schmalzmus. Sie aßen und redeten dabei von Dingen, die sich früher bei dem Feste der Gürtelsprenge zugetragen hatten und in der Zukunft noch zutragen können. Der Knecht redete nicht, er saß und aß still und langsam, mit einer ehernen Ruhe. Es kamen noch fernere Gerichte und fernere Gespräche, und der Knecht aß still und langsam fort. Als sie bei den Butterkrapfen waren, hörte man ein leichtes Schnalzen — es war sein Gürtel auseinander gesprungen. Der Knecht ließ ihn auseinandergesprungen sein, blieb in seiner Ruhe und aß.

Endlich aber blieb die geleerte Schüssel auf dem Tische stehen, und es kam nichts mehr. Der Knecht blickte befremdet auf; — wo spannt sich’s denn? ja, geht’s denn nicht allweg so fort? — Er war schwermütig, er dachte an das Los alles Zeitlichen, er erhob sich, er ging in das Freie, er stand eine Weile still und sah hinaus in die Berge und Täler, er stieg empor zum Heuboden, er legte sich in sein Bett.

Es nahte schon der Abend.

Über den Almen zogen Nebel, wie sie sich zur Herbstzeit gern über das Gebirge niedersenken. Ich ging hinaus auf die Halde und rief so lange: „Hoi ho, hoi ho!“ bis die Kuh mit der Glockenschelle auf mich zukam und ihr die Heerde nachfolgte. Dann führte ich sie zum Hause und in den Stall.

Als dieses geschehen, und als gemolken war, gingen wir zur Abendsuppe; ich hatte wieder recht Appetit, und der Bauer sagte, so eine saure Suppe könne er zu jeder Zeit essen, und sie sei ihm lieber wie die besten Butterkrapfen. Aber der Knecht erschien nicht zur Suppe.

Endlich gingen wir alle zur Ruhe. Ich hatte mein Lager im Stalle, um die Rinder zu bewachen, daß sich keines etwa von seiner Kette losmache und die anderen beschädige. Mir war recht behaglich unter der Decke. Die Glockenkuh schellte noch eine Weile, weil sie sich an den Lenden leckte, und der Stier rasselte noch dann und wann an der Kette und gaukelte mit den Hörnern. Nach und nach ließen sie sich alle nieder auf die frische Fichtenstreu und begannen das Wiederkäuen. Einige Zeit hörte ich noch das gleichmäßige Gescharre der Zähne, dann sanken mir nach und nach die Augen zu. — Noch war mir, als säße auch der Knecht auf der Fichtenstreu, und rassele mit der Kette und gaukele wie der Stier, und kaue, wie alle anderen, und kaue ohne Ende.

Plötzlich weckte mich ein Poltern außen an der Stalltür. „Halterbub’, schreck’ dich nicht und steh’ auf!“ hörte ich rufen; es war des Bauern Stimme, und das Poltern an der Tür wurde heftiger.

Ich kollerte von dem Bette auf die Streu hinaus, stieß in der Verwirrung an die Glockenkuh, daß sie mit einem ohrenzerreißenden Geschelle aufsprang, und ich taumelte der Türe zu.

„Schreck’ dich nicht, Bub’, und mach’ dir nichts draus“, rief der Hefelrainhofer wieder, „schlupf’ geschwind in deine Hose hinein, du mußt eilig hinablaufen nach Kathrein um den Herrn Pfarrer, ’s will uns der Hansjörgl sterben!“

„Der Hansjörgl will sterben!“ sagte ich zitternd und nestelte die Türkette auf, „ja warum denn und wegen was denn?“

„Der lieb’ Herrgott wird’s wissen! Da kugelt er oben in seinem Bett und schiebt die Augen über und ächzt — und — nein, meiner Tag hab’ ich so was nicht erlebt. Geh’, Bübl, geh’, wenn du den Pfarrer bei Zeiten bringst, so kriegst einen Sechser. Und das letzt’ Öl soll er dennoch wohl auch mitbringen — und begraben laß ich den Hansjörgl mit dem großen Kondukt. Ach, mein guter, rechtschaffener Knecht!“

Ich weiß nicht, wie ich’s gemacht hatte; ehe noch der Bauer aufgehört zu sprechen, war ich angezogen, und in den nächsten Augenblicken schon eilte ich den Berghang hinab. Zerrissene Wolken hingen am Himmel, matt schien der Halbmond, in den Ästen der Tannen fächelte zeitweilig der Wind. Meine Schuhe machten ein Getöse in den Steinen des Hanges, mir voran und zur Seite kollerten diese hinab, und ich kollerte schier auch selbst mit ihnen. Und ich ging durch Täler hinaus, oft hingen Bäume derart über mir zusammen, daß ich keinen Boden, keine Wurzel, keinen Stein mehr sah, daß ich im Schwarzen dahinwandelte, stolperte, in Pfützen sprang, an Bäume prallte — in Todesangst war. Neben mir hin rauschte der Waldbach. Oft hörte ich Gekrächze über mir, Schritte hinter mir, und ich meinte, der Knecht sei bereits gestorben und sein irrender Geist folge mir. Ich hatte Angst um meine arme Seele, ich betete im Herzen, ich versicherte den lieben Gott und alle Heiligen, daß ich all’ mein Lebtag keine Sünde mehr begehen wolle, wenn ich diesmal in Gnaden bewahrt bliebe. Und bis auf einige blaue Ballen an Gesicht und Händen blieb ich in Gnaden bewahrt. Nach Stunden kam ich nach Kathrein, und da ging die Morgenröte auf.

Ich eilte zum Pfarrhof und riß mit beiden Händen an dem Drahte der Türglocke so heftig, daß ich von innen einen Jammerschrei hörte. Dann wurde ein Fenster aufgerissen, und die alte Haushälterin in schneeweißem Nachtgewande rief alle Namen der Himmel um Antwort an, wer denn Sturm läute in solcher Stunde. Da öffnete ich denn mein bedrängtes Herz: „Der Hansjörgl will sterben — das letzte Öl soll er auch mitnehmen, und begraben läßt er ihn mit dem großen Kondukt!“

Ich wurde verstanden. Schwer mag’s dem greisen Mann gewesen sein, nun aus den weichen Federn fort, in die frostige Herbstluft hinaus, und nüchtern in das Gebirge. Aber er ging. Lautlos kleidete er sich an, eilte zur Kirche, läutete selbst das Versehglöcklein, holte das Heiligste und ging mit mir. Ich ging voran, trug in der einen Hand die brennende Laterne, in der andern das Metallglöcklein, mit dem ich schellte, auf daß die Menschen in den Häusern und Hütten, an denen wir vorüberzogen, auf die priesterliche Handlung aufmerksam gemacht würden.

Wir gingen denselben Weg, den ich hergegangen war. Das Wasser rauschte; ich schellte den Fischen, daß nun ihr Schöpfer vorüberziehe, und daß sie anbetend ihre Köpfe emporrecken sollten aus den Wellen. Keine einzige Forelle hat mein Glöcklein gehört.

Als es nach und nach licht geworden war, begann der Pfarrer hinter mir plötzlich zu lachen. „Ja, was hast du denn gemacht, Kleiner, du hast ja dein Höslein verkehrt an!“

Da gab’s mir einen Stich im Herzen; vor meinen Augen tanzten Sterne. — Was hat er gesagt, mein Höslein verkehrt? — Es war wohl so! — Das Hintere war vorn, das Vordere war hinten, und kein einzig Knöpflein war zu.

„Ist ja kein Unglück“, sagte der Pfarrer, „hast es halt ein wenig schnell gemacht. Setz’ die Laterne da auf den Stein, und mach’ Ordnung, ich wart’ auf dich.“

Ich ging hinauf in das Dickicht und zog aus und zog an, und eilte, daß doch der Knecht dieweilen nicht sterbe, und endlich, als alles recht saß, barg ich mein Gesicht in den Ellbogen.

Um mich aus der Verlegenheit zu befreien, begann der Greis ein Gespräch und erkundigte sich um die näheren Zustände des Knechtes. Er beschleunigte seine Schritte und sagte mir, daß es für einen Priester sehr peinlich sei, auf seinem Versehgange zum Kranken nur mehr einen Toten zu treffen und unverrichteter Sache wieder zurückkehren zu müssen. „Einmal hab’ ich das erfahren, mein lieber Kleiner. Es war vor