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Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers fünftes Abenteuer. Hornblower nimmt an Bord der ›Lydia‹ Kurs auf Südamerika. Noch glaubt er, Aufständischen im Kampf gegen die spanische Monarchie zu helfen. Doch schneller als er den Pazifik überqueren kann, ändern sich die Fronten und England tritt in eine Allianz mit Spanien ein. Eine noch gefährlichere Überraschung allerdings wartet auf den Kapitän in Form der verführerischen Lady Wellesley. Der fünfte Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.
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Seitenzahl: 379
Veröffentlichungsjahr: 2012
Cecil Scott Forester
Der Kapitän
Horatio Hornblower Band 5
Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz
Mit Illustrationen von Samuel H. Bryant
Fischer e-books
Bald nach dem Anbruch der Morgendämmerung betrat Kapitän Hornblower das Achterdeck der Lydia. Bush, der Wachhabende Offizier, führte grüßend die Hand an den Hut, sagte aber nichts. Im Verlauf einer sieben Monate lang dauernden Reise, bei der man kein Land berührt hatte, war er sich über manches klargeworden, was dem Kommandanten gefiel oder nicht gefiel. So durfte man ihn zum Beispiel während der ersten Stunde des Tages nicht anreden oder auf andere Weise seine Gedankengänge unterbrechen. Den Ständigen Befehlen entsprechend, die infolge der ungewöhnlichen Länge der Fahrt bereits zur Überlieferung geworden waren, hatte Bootsmann Brown dafür gesorgt, daß die Luvseite des Achterdecks schon beim ersten Tagesschimmer mit Sand und Steinen gereinigt worden war. Sowie Hornblower erschien, zogen sich Bush und der Fähnrich der Wache auf die Leeseite zurück, worauf Hornblower sofort mit seinem einstündigen Morgenspaziergang begann. Er beschränkte sich darauf, auf dem sieben Meter langen, eigens für ihn mit Sand bestreuten Teil der Decksplanken auf und ab zu gehen. Auf der einen Seite wurde seine Wanderung durch die Gleitschienen der Deckgeschütze begrenzt, auf der anderen durch die in das Deck eingelassenen Ringbolzen, an denen die Taljen zum Richten der Kanonen angeschlagen wurden. So kam es, daß die Fläche, auf der sich Hornblower frühmorgens Bewegung zu machen pflegte, fünf Fuß breit und einundzwanzig Fuß lang war.
Schnellen Schrittes wanderte der Kommandant hin und her, hin und her. Obwohl er ganz in Gedanken versunken war, wußten seine Untergebenen doch aus Erfahrung, daß sein seemännischer Instinkt stets wach blieb. Unbewußt bemerkte er den über die Decksplanken fallenden Schatten der Takelage des Großmastes, und er spürte den Luftzug auf seiner Wange, so daß die geringste Unachtsamkeit des Rudergängers eine Zurechtweisung seitens des Kommandanten nach sich zog; sie fiel um so schärfer aus, als Hornblower in der wichtigsten Stunde seines Tagewerks gestört wurde. In gleicher Weise nahm sein Unterbewußtsein die Wind und Wetter betreffenden Tatsachen zur Kenntnis. Beim Erwachen hatte er, ohne es bewußt zu wollen, noch in der Koje liegend, an dem über ihm im Deck befestigten Kajütskompaß festgestellt, daß Kurs Nordost anlag, wie das seit drei Tagen der Fall war. Ebenso unwillkürlich erkannte er beim Betreten des Oberdecks, daß die westliche Brise gerade ausreichte, das Schiff steuerfähig zu erhalten, daß alle Segel bis zu den Royals standen, daß der Himmel ein ungetrübtes Blau zeigte, und daß die See fast spiegelglatt war. Gewichtig und gleichmäßig glitt die Lydia über die langgestreckte, friedliche Dünung.
Der erste bewußte Gedanke des Kommandanten bestand in der Beobachtung, daß der im Morgenlicht tiefblaue und gegen den Horizont hin silbrig werdende Pazifik einem in Silber und Blau gehaltenen Wappenschild ähnelte, und dann schmunzelte Hornblower fast ein wenig, denn dieser Vergleich drängte sich ihm seit vierzehn Tagen jeden Morgen auf. Der Gedanke und das Schmunzeln machten sein Hirn im Augenblick ganz klar. Er sah die Leute unten das Hauptdeck mit Sand und Steinen schrubben. Sie unterhielten sich in gleichbleibendem Tonfall. Zweimal vernahm er ein Lachen. Das war gut so. Leute, die plauderten und lachten, sahen nicht danach aus, als planten sie eine Meuterei. An solche Möglichkeit hatte Kapitän Hornblower aber letzthin immer wieder denken müssen. Sieben Monate befand sich das Schiff in See. Die Vorräte waren fast aufgezehrt. Vor acht Tagen hatte er die tägliche Wasserration auf einunddreiviertel Liter herabsetzen müssen, und das war für Männer, die zehn Grad nördlich des Äquators vorwiegend von Salzfleisch und Hartbrot leben mußten, nicht viel, zumal das seit über einem halben Jahr mitgeführte Wasser schon fast zu einer grünlichen, von Lebewesen wimmelnden Brühe geworden war.
Ebenfalls vor einer Woche hatte Hornblower den letzten Zitronensaft austeilen lassen. Innerhalb eines Monats mußte man mit dem Auftreten von Skorbut rechnen; und dabei befand sich kein Arzt an Bord, denn Hankey war, als man in der Höhe des Kap Hoorn stand, der Syphilis und den Folgen alkoholischer Ausschweifungen erlegen. Seit Monatsfrist gab es wöchentlich fünfzehn Gramm Tabak, und Hornblower beglückwünschte sich dazu, daß er den Tabakvorrat in persönliche Verwaltung genommen hatte. Hätte er das unterlassen, so hätten die Narren bereits alles verraucht, und ohne Tabak wurden die Männer unzuverlässig. Er wußte auch, daß die Leute sich die Kürzung des Tabaks mehr zu Herzen nahmen als den Mangel an Feuerung für die Kombüse, der zur Folge hatte, daß ihnen ihre Tagesration Pökelfleisch halbgar ausgegeben wurde, sobald die Brühe aus Seewasser zu kochen begann.
Dennoch bedeuteten alle diese Einschränkungen noch nichts im Vergleich mit der weitgehenden Verringerung der Rumration. Sie vollends zu streichen, hatte Hornblower nicht gewagt, aber nun befand sich nur noch für zehn Tage Rum an Bord. Der besten Kriegsschiffbesatzung der ganzen Welt war nicht mehr zu trauen, wenn man sie ihrer Rumration beraubte. Man weilte in der Südsee, und im Umkreis von zweihundert Seemeilen gab es kein anderes Schiff des Königs von England. Dafür aber lagen dort irgendwo im Westen paradiesische Inseln mit schönen Frauen und reichlicher Nahrung, die man sich mühelos beschaffen konnte. Ein Leben glückseligen Nichtstuns schien zum Greifen nahe zu sein. Es brauchte sich bloß ein Halunke unter den Leuten zu befinden, der, besser unterrichtet als die übrigen, davon erzählte. Wohl würde er zunächst keinen Einfluß ausüben können, aber wenn es in Zukunft mittags nicht mehr die ersehnte Rumausgabe gab, so mußte damit gerechnet werden, daß die Mannschaft solchen Einflüsterungen zugänglich wurde. Seitdem die von den Reizen des Pazifik betörte Besatzung der Bounty gemeutert hatte, lastete dieses Ereignis auf der Seele eines jeglichen Kommandanten Seiner Großbritannischen Majestät, den der Dienst in jene Gewässer führte.
Immer noch mit raschen Schritten auf- und abgehend, warf Hornblower den Matrosen nochmals einen scharf prüfenden Blick zu. Sieben Monate ununterbrochener Seefahrt hatten zwar glänzende Gelegenheit geboten, aus dieser Bande von Galgenvögeln und gepreßten Menschen brauchbare Seeleute zu machen, aber die Reise dauerte dafür, daß es keinerlei Ablenkung gab, nachgerade zu lange. Je eher man die Küste von Nicaragua erreichte, desto besser. Ein Landurlaub würde die Leute zerstreuen, und zudem konnten frische Lebensmittel, Wasser, Tabak und alkoholische Getränke beschafft werden. Hornblowers Gedanken beschäftigten sich mit dem letzten Besteck. Der Richtigkeit der errechneten Breite war er gewiß, und die Mondbeobachtung der vergangenen Nacht schien die mittels des Chronometers bestimmte Länge zu bestätigen, obwohl es eigentlich unglaublich war, nach siebenmonatiger Reise überhaupt noch den Chronometer zu Rate ziehen zu können. Wahrscheinlich lag die pazifische Küste Mittelamerikas keine hundert Seemeilen weit mehr vor dem Bug des Schiffes, und höchstens handelte es sich noch um dreihundert. Crystal, der Obersteuermann, hatte zwar zu Hornblowers bestimmter Versicherung zweifelnd den Kopf geschüttelt, aber Crystal war ein alter Trottel, den man als Navigationsoffizier nicht brauchen konnte. Jedenfalls würde es sich binnen weniger Tage herausstellen, wessen Meinung die richtige war.
Wiederum sprangen die Gedanken des Kommandanten um. Wie sollte man die nächsten zwei oder drei Tage zubringen? Die Mannschaft mußte beschäftigt werden. Nichts war für das Entstehen einer Meuterei günstiger als lange, faule Tage. Während der zehn wilden Wochen, die ihn das Umsegeln des Kap Hoorn gekostet hatte, war ihm die Möglichkeit einer Empörung überhaupt nicht vor Augen getreten. Also der Vormittag sollte zu einer Klarschiff-Übung und zu einem Scharfschießen verwendet werden, wobei jedes Geschütz fünf Schuß feuern sollte. Möglicherweise wurde das bißchen Wind durch die Erschütterung der Luft zeitweilig gänzlich vertrieben, aber daran ließ sich nichts ändern. Vielleicht war dies die letzte Gelegenheit zur Übung, ehe es zu wirklichen Gefechtshandlungen kam.
Eine neue Erwägung drängte sich dem Kommandanten auf. Fünf Salven würden das Schiff durch den Verbrauch von Pulver und Kugeln um über eine Tonne erleichtern. Dabei lag die Lydia, deren Vorräte fast völlig verbraucht waren, ohnehin leicht auf dem Wasser. Vor seinem geistigen Auge sah Hornblower die unteren Räume und vor allem die Vorratslasten der Fregatte. Es war Zeit, an das Trimmen, an den Ausgleich der Gewichte zu denken. Nach dem Mittagessen der Leute gedachte er sich in einem Kutter um das Schiff pullen zu lassen. Vermutlich lag es achtern etwas hoch. Nun, das ließ sich gleich morgen dadurch in Ordnung bringen, daß man die beiden vorne stehenden Karronaden wieder auf ihren ursprünglichen Platz schaffte. Und da die Fregatte während dieser Besichtigungsfahrt im Beiboot Segel kürzen mußte, so konnte Hornblower die Sache gründlich tun und Bush anweisen, die Mannschaft in der Takelage zu bewegen. Wie es sich für einen Ersten Offizier gehörte, besaß Bush geradezu eine Leidenschaft für diese Art der Seemannschaft. Heute bot sich der Mannschaft Gelegenheit zur Verbesserung ihres eigenen Rekordes. Bisher hatte sie mindestens elf Minuten, einundfünfzig Sekunden zum Hochbringen der Marsstengen und vierundzwanzig Minuten, sieben Sekunden zum Setzen aller Segel bei niedergeholten Marsstengen benötigt. Hornblower stimmte mit dem Ersten darin überein, daß es sich dabei durchaus nicht um Spitzenleistungen handelte; viele Schiffe konnten mit anderen Zahlen aufwarten; jedenfalls behaupteten das ihre Kommandanten.
Hornblower stellte fest, daß der Wind ein wenig aufgefrischt hatte; wie ein leises Flüstern strich es durch die Takelage. Dem Gefühl nach, das er auf seinem Nacken und auf seiner Wange empfand, mußte die Brise um einen Strich oder zwei umgesprungen sein, aber während er noch überlegte, wie lange es wohl dauerte, bis Bush davon Notiz nahm, hörte er bereits ›Wache auf, klar zum Manöver‹ pfeifen. Clay, der auf dem erhöhten Achterdeck stehende Fähnrich, brüllte wie ein Stier nach seinen Leuten. Seit der Abfahrt von England wechselte der Junge Mensch die Stimme. Er konnte sie jetzt schon richtig gebrauchen, während er früher nur immer abwechselnd gequiekt und gekrächzt hatte.
Anscheinend ohne der Geschehnisse zu achten, lauschte Hornblower doch dem wohlvertrauten Lärm, den die an Oberdeck und an die Brassen stürzenden Seeleute machten, indessen er selbst nach wie vor auf der Hütte, wie das Achterdeck auch genannt wurde, auf und ab schritt. Ein Klatschen und ein Schrei verrieten ihm, daß der Bootsmann Harrison seinen Stock auf dem Sitzfleisch irgendeines feisten oder unglücklichen Matrosen hatte landen lassen. Harrison war ein prächtiger Seemann, der nur die Schwäche besaß, seinen Rohrstock mit umfangreichen Hinterteilen in Berührung zu bringen. Jeder Mann, dessen Hosen prall ausgefüllt waren, durfte darauf gefaßt sein, lediglich aus diesem Grunde einen Hieb vor die Kehrseite zu empfangen; vor allem dann, wenn er das Pech hatte, beim Vorbeikommen Harrisons sich bei seiner Arbeit bücken zu müssen.
Die Betrachtungen, die Hornblower über die Schwäche des Bootsmanns anstellte, hatten fast die ganze, zum Trimmen der Segel nötige Zeit in Anspruch genommen. Nun das Manöver beendet war, brüllte Harrison: »Tauwerk aufklaren! Klar Deck!«, worauf sich die Wache wieder an ihre bisherige Beschäftigung begab. Gleich darauf schlug die Schiffsglocke siebenmal an. Sieben Glas in der Frühwache. Hornblower hatte die Morgenwanderung ein gutes Stück über das Stundenmaß hinaus ausgedehnt. Er fühlte, daß seine Haut unter dem Hemde schweißig wurde. Nun trat er zu dem neben dem Ruder stehenden Ersten Offizier.
»Guten Morgen, Mr. Bush«, sagte Hornblower.
»Guten Morgen, Sir«, erwiderte Bush genau so, als sei der Kommandant nicht bereits seit fünfviertel Stunden wenige Meter von ihm entfernt hin und her gewandert.
Hornblower besah sich die Schiefertafel, die einen Überblick über die Geschehnisse der letzten vierundzwanzig Stunden gab. Es hatte sich nichts Besonderes ereignet. Das stündliche Loggen hatte Geschwindigkeiten von drei bis viereinhalb Knoten ergeben, und aus der Rückseite der Tafel war zu ersehen, daß das Schiff während des ganzen Tages auf nordöstlichem Kurs geblieben war. Hornblower merkte sehr wohl, daß ihn sein Erster gespannt ansah und daß er mit Fragen sozusagen geladen war. Es befand sich nur ein einziger Mensch an Bord, dem das Ziel der Lydia bekannt war, und dieser eine war der Kommandant selbst. Mit versiegelter Order hatte er die Heimat verlassen, und als er den Umschlag befehlsgemäß auf 30 Grad Nord und 20 Grad West geöffnet hatte, war es ihm nicht in den Sinn gekommen, wenigstens den Ersten Offizier vom Inhalt des Schreibens zu unterrichten. Seit sieben Monaten gab sich Leutnant Bush alle Mühe, keine Fragen zu stellen, aber es fiel ihm sichtlich schwer.
»Ha … hm«, räusperte sich Hornblower ausweichend. Ohne ein Wort zu sprechen, hängte er die Tafel wieder auf, stieg den Niedergang hinunter und betrat seine Kammer.
Es war Pech für Bush, daß er in solcher Weise im Dunkeln gehalten wurde, aber Hornblower hatte nicht deswegen auf eine Erörterung seiner Befehle verzichtet, weil er Bushs Schwatzhaftigkeit fürchtete; vielmehr hegte er andere Befürchtungen. Auf einem früheren Kommando hatte er seinem eigenen Mitteilungsbedürfnis die Zügel schießen lassen, und sein damaliger Erster Offizier hatte sich das so weitgehend zunutze gemacht, daß Hornblower schließlich keinen Befehl mehr erteilen konnte, ohne daß dieser vorher besprochen wurde. Auf der letzten Reise war er bemüht gewesen, den Untergebenen innerhalb der von den Regeln der Höflichkeit gezogenen Grenzen zu halten, doch hatte er erkannt, daß es ihm selbst unmöglich war, diese Grenzen zu bestimmen; stets sprach er ein Wort zuviel, das er dann später bereute. Dieses Unternehmen nun hatte er mit dem festen Vorsatz begonnen – er ähnelte darin einem Trinker, der sich nicht zutraut, bei mäßigem Alkoholgenuß zu bleiben –, nichts zu seinen Offizieren zu sagen, was der Dienst nicht unmittelbar erforderte. Sein Entschluß war durch die zwingende Notwendigkeit zur Geheimhaltung der ihm erteilten Befehle noch fester geworden. Sieben Monate lang hatte er sich daran gehalten. Je stärker er unter die Einwirkung des natürlichen Standes der Dinge geriet, desto verschlossener wurde er. Im Atlantik hatte er mit Mr. Bush immerhin zuweilen über das Wetter gesprochen. Hier drüben im Stillen Ozean beschränkte er sich auf ein Räuspern.
Seine Kammer war ein winziges, von der Kajüte durch eine Holzwand getrenntes Gelaß. Die Hälfte des Raumes wurde von einem Achtzehnpfünder eingenommen, und im Rest hatten gerade noch seine Koje, der Schreibtisch und seine Seekiste Platz. Sein Steward Polwheal packte das Rasierzeug und den Ledernapf aus, den er auf einer kleinen Konsole unterhalb des an der Wand angebrachten Stückchens Spiegelglas aufbaute. Die beiden Männer konnten sich in der Enge kaum bewegen. Um seinen Vorgesetzten eintreten zu lassen, quetschte sich Polwheal gegen den Schreibtisch. Er sagte nichts, denn er war ein Mann weniger Worte. Aus diesem Grunde hatte Hornblower ihn ausgesucht, denn auch seinen Dienern gegenüber mußte er sich vor seiner Sünde der Geschwätzigkeit in acht nehmen.
Hornblower streifte das feuchte Hemd und die Hosen ab. Nackend trat er vor den Spiegel, um sich zu rasieren. Das Gesicht, das er im Glase bemerkte, war weder hübsch noch häßlich, weder alt noch jung. Melancholisch braune Augen blickten ihn an; die Stirn war ziemlich hoch, die Nase einigermaßen gerade, und der gutgeformte Mund verriet die in zwanzigjährigem Seedienst erworbene Charakterfestigkeit. Das leicht gelockte braune Haar begann an den Schläfen lichter zu werden, wodurch die Stirn noch etwas höher erschien. Hornblower war dies unbehaglich, denn der Gedanke, eine Glatze zu bekommen, war ihm zuwider. Und als er nun an seinem nackten Körper heruntersah, kam ihm die andere Sorge zum Bewußtsein. Schlank und muskulös war er gebaut; ja, wenn er sich zur ganzen Höhe seiner sechs Fuß aufrichtete, machte er eine durchaus wirkungsvolle Figur. Dort unten aber, wo die Rippen endeten, ließ sich das Vorhandensein eines Bauches nicht verheimlichen, der gerade begann, über den unteren Teil des Bruskorbes hervorzutreten. Mit einem für seine Generation seltenen Abscheu fürchtete Hornblower das Dickwerden. Ihn ekelte der Gedanke, seinen schlanken, glatthäutigen Körper durch eine unziemliche Wölbung verunstaltet zu sehen. Das war der Grund, weswegen er, der im Grunde genommen zur Bequemlichkeit neigte und das Gewohnheitsmäßige haßte, sich dazu zwang, jeden Morgen einen Spaziergang auf dem Achterdeck zu machen.
Nachdem er das Rasieren beendet hatte, legte er Messer und Pinsel nieder, damit Polwheal sie reinige und wegräume, worauf ihm der Steward einen zerschlissenen Schlafrock um die Schultern legte. Polwheal folgte ihm an Deck zur Hauptpumpe, nahm ihm den Schlafrock ab und pumpte eifrig Seewasser, während sich Hornblower würdevoll unter dem Wasserstrahl drehte. Dann bekleidete Polwheal die tropfnassen Schultern abermals mit dem Schlafrock und folgte dem Kommandanten wieder in die Kajüte. Ein sauberes Leinenhemd – verbraucht, aber instand gesetzt – sowie weiße Hosen lagen auf der Koje. Hornblower zog sich an, und Polwheal half ihm in den abgetragenen, mit verblichenen Litzen besetzten Rock und reichte ihm den Hut.
Während der ganzen Zeit wurde kein Wort gesprochen, so sehr war dem Kommandanten das System des Schweigens, zu dem er sich selbst gezwungen hatte, in Fleisch und Blut übergegangen. Und er, dem jede Routine verhaßt war, hielt sich jetzt, um das überflüssige Sprechen zu vermeiden, so völlig an sie, daß er, wie das übrigens jeden Morgen geschah, genau in dem Augenblick wieder an Oberdeck erschien, als es Acht glaste.
»Mannschaft zum Strafvollzug, Sir?« fragte Bush, die Hand am Hutrand.
Hornblower nickte. Sofort begannen die Bootsmannspfeifen zu trillern.
»Antreten zum Strafvollzug!« brüllte Harrison, der auf dem Hauptdeck stand, und aus allen Teilen des Schiffes quollen die Leute hervor, um an den ihnen zugewiesenen Stellen anzutreten.
Regungslos stand Hornblower in der Nähe der Reling des Achterdecks. Sein Gesicht versteinte sich. Ihn bedrückte die Tatsache, daß ihm der Vollzug körperlicher Strafen als bestialische Angelegenheit erschien, daß es ihn ekelte, sie anzuordnen und ihnen beizuwohnen. Ein paar tausend Auspeitschungen hatte er im Laufe der letzten zwanzig Jahre gesehen und war doch nicht unempfindlich dagegen geworden; ja, beschämt mußte er sich eingestehen, daß er weicher war als damals der siebzehnjährige Fähnrich. Jedoch hatte er nicht umhingekonnt, das Opfer von heute zu bestrafen. Es war ein Walliser namens Owen, der es sich einfach nicht abgewöhnen konnte, an Deck zu spucken. Ohne sich auf den Kommandanten zu berufen, hatte Bush geschworen, er werde ihn für jede weitere Übertretung peitschen lassen, und Hornblower blieb nichts anderes übrig, als diesen Beschluß im Namen der Disziplin zu decken, doch hegte er ernstliche Zweifel, ob ein Mensch, der dumm genug war und sich nicht einmal durch die Furcht vor einer körperlichen Züchtigung zurückschrecken ließ, auf die Decksplanken zu spucken, es nach erhaltener Strafe unterlassen würde.
Glücklicherweise war die Sache bald überstanden. Die Bootsmannsmaaten heißten den bis zur Hüfte nackten Owen in die Großwanten und hieben unter dem Rasseln der Trommeln drauflos. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Seeleute heulte der Gepeinigte auf, als ihn die neunschwänzige Katze in die Schultern biß. Er führte groteske Tanzbewegungen aus, seine bloßen Füße klatschen auf das Deck, bis er gegen das Ende der ihm zugemessenen zwei Dutzend Schläge regungslos und stumm an den gefesselten Unterarmen baumelte. Irgend jemand übergoß ihn mit Wasser, und dann wurde er unter Deck geschafft.
»Alle Mann Frühstück, Mr. Bush«, sagte Hornblower knapp. Er hoffte, daß ihn die von der Tropensonne gebräunte Haut davor bewahrte, so blaß auszusehen, wie er sich fühlte. Auf nüchternen Magen der Auspeitschung eines geistig Minderwertigen zuzusehen, war durchaus nicht nach seinem Geschmack. Dabei ärgerte er sich maßlos über sich selbst, daß er nicht energisch genug war, derlei überhaupt zu verhindern, und auch, daß ihm kein Ausweg aus dem Dilemma eingefallen war, in das ihn Bushs Entscheid gebracht hatte.
Die Gruppe der auf dem Achterdeck versammelten Offiziere zerstreute sich, als alles wegtrat. Gerard, der zweite Leutnant, übernahm von Bush die Wache. Hornblower ging nach unten, wo Polwheal das Frühstück für ihn bereithielt. »Kaffee, Sir«, sagte der Steward. »Burgoo.«
Hornblower setzte sich zu Tisch. Im Verlauf der sieben Monate dauernden Reise hatte längst jeglicher Luxus aufgehört. Der Kaffee war ein Aufguß von geröstetem Brot, und alles, was man zu seinen Gunsten sagen konnte, war, daß er heiß und süß war. Und das Burgoo schließlich stellte eine unappetitliche, aus zerquetschtem Hartbrot und gehacktem Pökelfleisch zusammengerührte Masse dar. Hornblower aß, ohne bei der Sache zu sein. Mit der Linken, die ein Stück Hartbrot hielt, klopfte er auf den Tisch, um die im Brot enthaltenen Maden zu veranlassen, auszuwandern, bis er mit seinem Burgoo fertig geworden war.
Während er aß, umgaben ihn ringsum die Geräusche des Schiffes. Jedesmal, wenn die Lydia ein wenig schlingernd auf den Kamm der Dünung gehoben wurde, knarrte es leise im Gebälk. Oben vernahm er den Schritt Gerards, der auf dem Achterdeck hin und her ging. Zuweilen auch ertönte das Klatschen einer hornigen, nackten Sohle, wenn irgendein Matrose vorüberkam. Im Vorschiff rasselten und klinkten die Pumpen bei der täglichen Arbeit des Lenzpumpens der Bilge. Doch alle diese Geräusche waren von längerer oder kürzerer Dauer. Ein Laut nur blieb in seiner Art so gleichförmig, daß sich das Ohr daran gewöhnte und ihn nur wahrnahm, wenn die Aufmerksamkeit bewußt darauf hingelenkt wurde: das Wehen der Brise in den unzähligen Teilen der Takelage. Eigentlich war es nur ein ganz feines Summen, eine Harmonie von Tausenden hochschwingender Töne, aber dennoch durchdrang es das ganze Schiff. Masten, Stagen und Wanten übertrugen es auf den Rumpf, und das periodisch ächzende Holzwerk leitete es weiter.
Hornblower hatte mittlerweile sein Burgoo gegessen und wandte sich dem Stück Hartbrot zu, mit dem er auf die Tischplatte getrommelt hatte. Mit beherrschtem Widerwillen musterte er es. Eine dürftige Nahrung für einen Mann, und in Ermangelung der Butter – das letzte Faß war schon vor einem Monat ranzig geworden – mußte man das trockene Zeug wohl mit dem sogenannten Kaffee hinunterspülen. Ehe Hornblower jedoch den ersten Bissen zu sich nehmen konnte, ließ ihn ein oben ertönender Schrei aufhorchen, so daß seine Hand, die den Schiffszwieback hielt, auf halbem Wege zum Mund stehenblieb.
»Land!« hörte er. »An Deck, Land, zwei Strich an Backbord voraus, Sir!« (Vgl. (1), Karte (›Die Pazifische Küste Mittelamerikas‹)
Das war der Ausguck, der vom Vortopp aus das Oberdeck anrief. Hornblower, der noch immer regungslos verharrte, vernahm wachsenden Lärm. Nach drei Monaten bekam man zum erstenmal wieder Land zu sehen, und das mußte natürlich gerade auf dieser Reise mit unbekanntem Ziel jedermann in Aufregung versetzen. Der Kommandant selbst machte davon keine Ausnahme. Nicht nur war er äußerst gespannt, ob er das Land richtig angesteuert hatte, es bewegte ihn auch der Gedanke, daß er sich möglicherweise binnen vierundzwanzig Stunden mitten in jener gefahrvollen und schwierigen Mission befand, mit der ihn die Lords der Admiralität betraut hatten. Er fühlte, daß sein Herz schneller zu schlagen begann. Er spürte das leidenschaftliche Verlangen, der ersten Gemütsregung nachzugeben und an Deck zu stürmen, doch bezwang er sich. Stärker noch als sonst wünschte er in den Augen seiner Offiziere und Mannschaften als ein Mann zu erscheinen, der über Selbstvertrauen und unerschütterlichen Gleichmut verfügte, und zwar weniger um seiner selbst willen: je mehr Respekt die Besatzung vor dem Kommandanten hatte, desto besser war es für das Schiff. So zwang er sich zu einer lässigen Haltung, schlug die Beine übereinander und schlürfte gänzlich gleichgültig seinen Kaffee, als der Fähnrich Savage an die Kajütentür klopfte und gleich darauf hereinpolterte.
»Meldung von Mr. Gerard, Backbord voraus Land in Sicht, Sir«, sagte der junge Mann, der vor Erregung kaum stillzustehen vermochte. Hornblower schlürfte erst noch einen Schluck Kaffee, bevor er antwortete, und dann kamen seine Worte langsam und ruhig.
»Sagen Sie Mr. Gerard, daß ich in wenigen Minuten nach Beendigung meines Frühstücks an Deck kommen werde.«
»Aye aye, Sir«, stieß der Fähnrich hervor. Dann stolperte er aus der Kajüte. Seine großen plumpen Füße polterten über die Stufen des Niedergangs.
»Mr. Savage! Mr. Savage!« rief Hornblower ihm nach, worauf das Vollmondgesicht des Gerufenen abermals erschien.
»Sie haben vergessen, die Tür zu schließen«, sagte Hornblower kühl. »Und bitte machen Sie nicht solchen Lärm auf dem Niedergang.«
»Aye aye, Sir«, stammelte Savage verlegen.
Hornblower war mit sich zufrieden. Wohlgefällig strich er sich über das Kinn. Dann nippte er wieder an seinem Brotkaffee, doch sah er sich außerstande, noch mehr von dem Hartbrot zu essen. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, als könne er dadurch die Zeit beschleunigen. Vom Vortopp, wohin ihn Gerard vermutlich mit einem Kieker geschickt hatte, vernahm er die Stimme des jungen Clay.
»Sieht aus wie ein brennender Berg, Sir. Zwei brennende Berge, Vulkane, Sir!«
Sofort stand vor Hornblowers geistigem Auge das Bild der Seekarte, die er so oft in der Abgeschlossenheit seiner Kajüte studiert hatte. Vulkane gab es hier an der Küste überall; die Gegenwart zweier feuerspeiender Berge an Backbord konnte den Standort des Schiffes noch nicht mit Bestimmtheit festlegen. Und doch … und doch … unzweifelhaft wurde die Einfahrt zum Golf von Fonseca durch zwei an Backbord erscheinende Vulkane markiert. Es schien also, daß er, nachdem man elf Wochen lang außer Sicht von Land geblieben war, tadellos navigiert hatte. Hornblower vermochte nicht länger sitzen zu bleiben. Er stand auf, besann sich noch gerade rechtzeitig darauf, daß er langsam gehen mußte, und begab sich mit völlig unbeteiligtem Gesichtsausdruck an Oberdeck.
Auf dem Achterdeck drängten sich die Offiziere. Die vier Leutnants waren zur Stelle, außerdem der Obersteuermann Crystal, Simmonds von den Seesoldaten, der Zahlmeister Wood und der Fähnrich der Wache. Die Wanten wimmelten von Unteroffizieren und Matrosen. Sämtliche Ferngläser des Schiffes schienen in Gebrauch zu sein. Hornblower sagte sich, daß ein streng auf Manneszucht achtender Vorgesetzter an solchem ganz begreiflichen Verhalten Anstoß nehmen würde, und so tat er desgleichen.
»Was soll denn das heißen?« rief er scharf. »Hat hier an Bord kein Mensch etwas zu tun? Mr. Wood, bitte, lassen Sie den Küfer kommen, und bereiten Sie mit ihm das Auffüllen der Wasserfässer vor. Lassen Sie die Royals und die Stagsegel festmachen, Mr. Gerard.«
Sofort kam wieder Leben ins Schiff. Die Bootsmannspfeifen trillerten und Harrison brüllte: »Alle Mann auf, klar zum Segelbergen!« Mit fast schlaffen Segeln rollte die Lydia in der Dünung.
»Jetzt glaube ich den Rauch schon von Deck aus erkennen zu können, Sir«, meinte Gerard schuldbewußt. Er reichte dem Kommandanten sein Glas und deutete nach vorn. Unterhalb eines weißen Wolkenstreifens lag dicht über dem Horizont etwas grau Aussehendes, das immerhin Rauch sein konnte. »Ha … hm«, räusperte sich Hornblower nach seiner Gewohnheit statt einer allgemeinen Redensart. Er begab sich zum Vorschiff und enterte die Fockwanten auf. Da er von Natur kein Turner war, empfand er einen leichten Widerwillen gegen diese Tätigkeit, doch mußte sie durchgeführt werden. Dabei war ihm das Bewußtsein unbehaglich, daß sich aller Augen auf ihn richteten. Obwohl ihn das mitgenommene Fernglas behinderte, mußte er auf die Benutzung des sogenannten Soldatenloches verzichten und den schwierigeren Weg außen um den Mars herum wählen. Unterhalb dieser Plattform befanden sich die Püttings, bei deren Passieren er zeitweilig hintenüberhing. Nicht einmal eine Atempause durfte er sich gönnen, um sich vor seinen Fähnrichen keine Blöße zu geben, denn diese jungen Burschen pflegten mit unglaublicher Behendigkeit ohne weiteres bis zum Flaggenknopf des Großtopps aufzuentern.
Hand über Hand strebte er nach oben. Die Arbeit strengte ihn gehörig an. Endlich erreichte er schweratmend die Bramsaling. Er suchte dem Fernrohr einen festen Halt zu geben, soweit ihm das die arbeitende Brust und seine plötzlich einsetzende Nervosität gestatteten. Clay saß wenige Meter von ihm entfernt in lässiger Haltung im Reitsitz auf der Rah, aber Hornblower beachtete ihn nicht. Die leicht rollende Bewegung des Schiffes schwang ihn in weiten, korkzieherartigen Windungen herum; aufwärts ging es, vorwärts, nach der Seite und wieder abwärts. Zunächst konnte er nur selten einen Blick auf die fernen Berge erhaschen, doch gelang es ihm nach einem Weilchen, das Ziel ziemlich gleichmäßig im Auge zu behalten. Eine fremdartige Landschaft sah er vor sich. Dort waren die spitzen Kegel mehrerer Vulkane; zwei sehr große an Backbord und beiderseits eine Menge kleinerer. Noch während er beobachtete, quoll eine graue Dampfwolke aus dem einen Berg hervor, doch nicht aus dem eigentlichen Krater, sondern aus einer seitlichen Spalte. Träge stieg der Dampf aufwärts, um sich mit der darüberhängenden weißen Wolke zu vereinigen.
Außer diesen Kegeln befand sich dort drüben eine langgestreckte Bergkette, der die Peaks vorgelagert waren, doch schien auch das Gebirge selbst aus alten verwitterten Vulkanen zu bestehen. Jener Küstenstreifen mußte einer Höllenküche geglichen haben, als sich noch sämtliche Feuerschlünde in Tätigkeit befanden. Die oberen Teile der Berghänge sahen grau aus mit einem ins Rötliche gehenden Schimmer, und weiter unten bemerkte Hornblower etwas wie grüne Wasserfälle. Offenbar waren es Vegetationsstreifen, die sich in den Schluchten und Spalten der Berge hinaufzogen. Er schätzte die unterschiedlichen Höhen der Vulkane und verglich sie mit den ihm geläufigen Angaben der Seekarte. Zweifellos stimmte sie damit überein.
»Ich glaube soeben Brecher gesehen zu haben, Sir«, meldete Clay, worauf Hornblower seine Aufmerksamkeit dem Fuß der Bergkette zuwandte.
Dort bemerkte er einen zusammenhängenden grünen Streifen, der nur an jenen Stellen unterbrochen wurde, wo kleinere Vulkane ihn überragten. Langsam ließ Hornblower das Glas in Höhe der Kimm hin- und herwandern. Er sah etwas Weißes aufblitzen, spähte genauer hin und erkannte, daß der winzige weiße Fleck in regelmäßigen Zwischenräumen immer wieder erschien.
»Ganz recht; das sind Brecher«, bemerkte er und bedauerte bereits im gleichen Augenblick seine Worte. Es wäre durchaus nicht nötig gewesen, Clay etwas zu erwidern. Darunter konnte nur sein Ruf als der eines ›Eisernen‹ Mannes leiden.
Die Lydia lag stetig ihren Kurs zur Küste an. Hornblower blickte nach unten. Auf dem zweiundvierzig Meter unter ihm liegenden Vorschiff sah er die drollig verkürzten Gestalten der Leute. Eine eben angedeutete Bugwelle verriet ihm, daß das Schiff ungefähr vier Seemeilen Fahrt machte. Man würde also lange vor dem Einbruch der Dunkelheit vor der Küste stehen, zumal dann, wenn die Brise im Verlauf des Tages auffrischte. Hornblower setzte sich ein wenig bequemer zurecht und starrte abermals zur Küste hinüber. Allmählich gewahrte er noch mehr Brandungswellen rechts und links der Stelle, wo er den ersten Brecher beobachtet hatte. Dort mußte die Ozeandünung gegen eine senkrechte Felswand donnern, wobei die Gischt hoch emporgeschleudert wurde. Hornblowers Überzeugung, sein Reiseziel tadellos angesteuert zu haben, wurde jetzt bestärkt. Beiderseits der Brecher sah er am Horizont einen Streifen ruhigen Wassers, und jenseits davon ragte ebenfalls auf beiden Seiten je ein mittelgroßer Vulkan empor. Eine weitgespannte Bucht, mehrere Inseln in der Mitte der Einfahrt und zwei flankierende Vulkane; genauso sah der Golf von Fonseca auf der Karte aus. (Vgl. Karte (›Der Golf von Fonseca‹)
Dennoch war Hornblower nicht beruhigt, denn er wußte, daß selbst ein ziemlich geringfügiger Fehler in der Navigation ihn bis zu hundert Meilen abseits seines Ziels bringen konnte. Er sagte sich, daß an einer Küste, die wie diese mit feuerspeienden Bergen geradezu besät war, ein Abschnitt dem anderen sehr ähnlich sehen konnte. Selbst das Aussehen einer Bucht und einer Insel mochte sein Gegenstück in irgendeiner anderen Formation des Küstenstreifens finden. Überdies konnte er sich auf die Seekarten nicht verlassen. Sie waren von jenen abgezeichnet worden, die Anson vor sechzig Jahren in diesen gleichen Gewässern erbeutet hatte, und hinsichtlich der Brauchbarkeit solcher Dago-Karten wußte jedermann Bescheid. Dago-Karten aber, die man noch der Revision durch irgend solch einen unnützen Zeichner der Admiralität überlassen hatte, konnten ganz und gar unzuverlässig sein. Doch während er weiterbeobachtete, schwanden die Zweifel nach und nach. Die Bucht, die sich da vor ihm auftat, besaß einen riesigen Umfang. An der ganzen Küste konnte eine zweite ihrer Art nicht einmal der Aufmerksamkeit eines spanischen Kartographen entgangen sein. Hornblowers Auge schätzte die Breite der Einfahrt auf über zehn Seemeilen. Eine der tiefer im Golf liegenden Inseln zeigte eine für die Landschaft typische Gestalt: ein steiler Kegel, der jäh aus dem Wasser stieg. Das innere Ende der Bucht war selbst jetzt, da das Schiff ein gutes Stück näher herangekommen war nicht zu sehen.
»Mr. Clay«, sagte Hornblower, ohne das Auge vom Kieker zu nehmen, »Sie können niederentern. Sagen Sie Mr. Gerard meine Empfehlung, er möchte alle Mann zum Mittagessen schicken.«
»Aye aye, Sir.«
Jetzt würde die Besatzung wissen, daß etwas Außergewöhnliches in der Luft lag, denn das Essen wurde eine halbe Stunde vor der üblichen Zeit ausgegeben. Die Offiziere britischer Schiffe legten stets großen Wert darauf, daß die Leute etwas in den Magen bekamen, ehe man Anforderungen an sie stellte, die über das alltägliche Maß hinausgingen.
Hornblower bezog wieder seinen Ausguck. Nun stand fest, daß die Lydia in den Golf von Fonseca einfuhr. Er hatte also ein navigatorisches Meisterstück geleistet, über das jeder berechtigten Stolz empfinden durfte, denn es war wirklich keine Kleinigkeit, ein Schiff geradewegs seinem Ziel zuzuführen, obwohl man elf Wochen lang in See gewesen war, ohne Land zu sehen. Dennoch versetzte ihn die Erkenntnis nicht in gehobene Stimmung. Es lag nicht in seiner Natur, sich über Dinge zu freuen, die im Bereich seiner Möglichkeiten blieben. Sein Ehrgeiz sehnte sich nach dem Unmöglichen, als verschlossener tüchtiger Mann zu gelten, den nichts aus der Fassung brachte.
Derzeit lag der Golf verödet da; keine Boote waren zu sehen, kein Rauch. Es hätte sich um eine unbewohnte Küste handeln können, der er sich, ein zweiter Kolumbus, näherte. Da er damit rechnen konnte, daß sich im Verlauf der nächsten Stunde nichts Besonderes ereignen würde, so schob er sein Fernrohr zusammen, enterte an Deck nieder und begab sich mit selbstbewußter Gelassenheit nach achtern.
Crystal und Gerard standen in angeregtem Gespräch an der Reling. Offensichtlich hatten sie sich außer Hörweite des Mannes am Ruder begeben und den Fähnrich möglichst weit fortgeschickt. Aus der Art, wie sie dem sich nähernden Kommandanten entgegenblickten, war zudem ersichtlich, daß sie über ihn sprachen. Ihre Aufregung ließ sich begreifen, denn seit Ansons Zeiten war die Lydia das erste britische Kriegsschiff, das bis zu den pazifischen Küsten Mittelamerikas vordrang. Sie befand sich im Gebiet der berühmten Galiot von Acapulco, eines Küstenseglers, der auf jeder seiner Jahresreisen Werte von einer Million Pfund Sterling beförderte. An diesen Küsten krochen die kleineren Fahrzeuge entlang, die das Silber von Potosi nach Panama schafften. Anscheinend war das Glück jedes einzelnen Besatzungsmitgliedes gemacht, wenn es nur die unbekannten Orders des Kommandanten erlaubten. Daher waren seine Entschlüsse für alle von ungeheurer Wichtigkeit.
»Mr. Gerard, schicken Sie einen zuverlässigen Mann mit einem guten Glas in den Vortopp.« Das war alles, was Hornblower sagte, ehe er unter Deck verschwand.
In der Kajüte wartete Polwheal bereits mit dem Essen. Einen Augenblick stellte Hornblower Erwägungen über die Vorzüge eines in den Tropen und zur Mittagszeit genossenen Gerichts fetten gepökelten Schweinefleischs an. Er verspürte nicht den geringsten Hunger, aber das Bestreben, in den Augen des Stewards als Held zu erscheinen, überwand die ausgesprochene Appetitlosigkeit. Er nahm also Platz und aß heftig zehn Minuten lang, wobei er sich allerdings dazu zwingen mußte, die schlechtschmeckenden Bissen herunterzuwürgen. Polwheal beobachtete jede seiner Bewegungen mit geradezu verzweifelter Aufmerksamkeit. Unter seinem starren Blick erhob sich Hornblower, ging der niedrigen Decke wegen leicht gebückt in seine Kammer und sperrte den Schreibtisch auf.
»Polwheal!«
»Sir!« Sofort erschien der Gerufene auf der Schwelle.
»Lege meinen besten Rock mit den neuen Epauletten zurecht. Saubere weiße Hosen – die Breeches meine ich – und dazu die besten weißen Strümpfe. Sorge dafür, daß die Schnallen der Schuhe glänzen. Schließlich brauche ich noch den Säbel mit dem goldenen Griff.«
»Aye aye, Sir.«
In die Kajüte zurückgekehrt, streckte sich Hornblower auf der unter dem Heckfenster stehenden Backskiste aus und entfaltete nochmals die geheimen Befehle der Admiralität. Er hatte sie bereits so oft gelesen, daß er sie fast auswendig kannte, doch wollte er sich vergewissern, den Sinn jedes Wortes begriffen zu haben. Das Schreiben war verständlich genug.
Irgendein Schreiber der Admiralität hatte bei der Abfassung seiner Phantasie die Zügel schießen lassen. Die ersten zehn Absätze handelten von dem bereits erledigten Teil der Reise, wobei in erster Linie auf die Notwendigkeit strengster Geheimhaltung hingewiesen wurde, denn in Spanien durfte man keine Ahnung davon haben, daß sich eine britische Fregatte der pazifischen Küste der spanischen Besitzungen näherte. ›Sie werden hiermit ersucht und angewiesen …, auf dieser Reise so viel wie möglich aus Sicht von Land zu bleiben‹, und ›es wird Ihnen hiermit nachdrücklich untersagt …, innerhalb des Pazifik bis zu Ihrem Eintreffen vor dem Golf von Fonseca überhaupt in Sicht von Land zu geraten.‹ Buchstäblich hatte Hornblower diese Befehle befolgt, obwohl es in der Marine wenige Kommandanten gab, die dazu befähigt gewesen wären und die dementsprechend gehandelt hätten. Von England kommend, hatte er sein Schiff bis hierher gebracht und mit Ausnahme eines flüchtigen Blickes auf das Kap Hoorn kein Land gesehen. Hätte er vor acht Tagen den von Crystal vorgeschlagenen Kurs steuern lassen, so wäre das Schiff in den Golf von Panama gesegelt, womit alle Möglichkeiten zur Geheimhaltung gänzlich hinfällig geworden wären.
Hornblower riß die Gedanken von der Erwägung der in diesen Gewässern zu erwartenden Kompaßmißweisung los und zwang sich zu einem weiteren Studium der erhaltenen Befehle. ›Sie werden hiermit ersucht und angewiesen …‹, hieß es, und dann folgte der Befehl, nach dem Erreichen des Golfes von Fonseca ein Bündnis mit dem reichen Grundbesitzer Don Julian Alvarado zu schließen, dessen Liegenschaften sich dem westlichen Ufer des Golfs entlang erstreckten. Mit Hilfe der Briten gedachte Don Julian einen Aufstand gegen die spanische Monarchie zum Ausbruch zu bringen. Hornblower war beauftragt, ihm die fünfhundert Musketen und Bajonette, die fünfhundert Patronengurte und eine Million Patronen auszuhändigen, die er in Portsmouth an Bord genommen hatte. Im übrigen sollte er alles tun, was dem Erfolg der Revolution zustatten komme. Wenn er es für nötig erachte, so könne er den Rebellen eine oder mehrere seiner Kanonen zur Verfügung stellen. Aber vor ein Kriegsgericht werde man ihn stellen, wenn er ihnen die fünfzigtausend Guineen in Gold ohne zwingenden Grund aushändige. Das dürfe er nur tun, falls der Aufstand ohne sie zusammenbreche. Es sei ihm sogar gestattet, Don Julian Alvarados Herrschaft über jedes von ihm eroberte Gebiet anzuerkennen, vorausgesetzt, daß Don Julian entsprechende Handelsverträge mit Seiner Britannischen Majestät abschließe.
Die Erwähnung von Handelsverträgen hatte offenbar sehr belebend auf die Einbildungskraft des Schreibers gewirkt, denn die nächsten zehn Absätze befaßten sich übertrieben eingehend mit der zwingenden Notwendigkeit, die spanischen Besitzungen dem britischen Handel zu erschließen. Gegen englische Manufakturwaren erwartete man, Perubalsam, Holz, Kochenille und Gold einzutauschen. Während der Schreiber alle diese Einzelheiten mit schwungvoller Schrift zu Papier gebracht hatte, mußte sein Federkiel geradezu mit Erregung geladen gewesen sein. Fernerhin: ein Teil des Golfes von Fonseca wurde, wie man annahm, Estero Real genannt. Sein Ufer war nicht weit vom Binnensee Managua entfernt, der mit dem Nicaragua-See in Verbindung stehen sollte. Dieser aber floß durch den San Juan zum Karibischen Meer ab. Kapitän Hornblower wurde ersucht, sein möglichstes zu tun, um diesen quer über den Isthmus führenden Weg für den britischen Handel zu öffnen. Er müsse Don Julians diesbezügliche Bemühungen unterstützen.
Erst nach dem Gelingen der Revolution und der Erledigung der genannten Aufgaben wurde es dem Kapitän Hornblower freigestellt, die im Stillen Ozean anzutreffenden Schatzschiffe anzugreifen. Darüber hinaus aber dürfe der Schiffsverkehr in keiner Weise behindert werden, falls dadurch Menschen betroffen würden, die sonst den Aufständischen günstig gesinnt wären. Zur Information des Kapitäns Hornblower wurde erwähnt, daß die Spanier zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft in jenen Gewässern angeblich einen Zweidecker von fünfzig Kanonen unterhielten. Das Schiff heiße Natividad. Man erwartete von Kapitän Hornblower, daß er dieses Fahrzeug bei erster Gelegenheit ›erobern, versenken, verbrennen oder zerstören‹ werde.
Zum Schluß wurde dem Kapitän Hornblower befohlen, baldmöglichst mit dem Konteradmiral in Verbindung zu treten, der die Marine-Station Leeward-Inseln kommandierte, um sich von ihm weitere Befehle geben zu lassen. Hornblower faltete das knisternde Papier zusammen und verfiel in Nachdenken. Jene Befehle stellten die übliche Mischung von kaum Erreichbarem und purer Donquichotterie dar, wie sie ein mit einer Sondermission beauftragter Seeoffizier erwarten konnte. Nur ein Nichtseemann konnte jene einleitenden Befehle geben, den Golf von Fonseca anzusteuern, ohne vorher anderes Land im Stillen Ozean zu sichten … nur eine Folge von Wundern (Hornblower schrieb den Erfolg weder seinem guten Urteil noch seinem seemännischen Können zu) hatte die Ausführung möglich gemacht.
Das Anzetteln einer Rebellion in den spanischen Kolonien war schon längst ein Traum der britischen Regierung gewesen; ein Traum, der für die britischen Offiziere, die ihn verwirklichen sollten, einen Alpdruck darstellte. Im Verlauf der letzten Jahre hatten die Admiräle Popham und Stirling sowie die Generäle Beresford und Whitelocke bei den wiederholten Versuchen, an den Ufern des La Plata eine Revolution zum Ausbruch zu bringen, ihren guten Ruf eingebüßt.
Ebenso gehörte die Eröffnung eines über den Isthmus von Darien verlaufenden Handelsweges schon längst zu den Lieblingsphantasien von Admiralitätsschreibern, die nur Karten kleinen Maßstabes vor sich hatten und keine praktische Erfahrung besaßen. Vor dreißig Jahren hatte der damals noch junge Kapitän Nelson beinahe den Tod gefunden, als er eine Expedition jenen Fluß San Juan hinaufführte, den Hornblower von seiner Quelle bis zur Mündung bereisen sollte.
Und um allem die Krone aufzusetzen, wurde so ganz nebenbei die Anwesenheit eines feindlichen Kriegsschiffes von fünfzig Kanonen erwähnt. Es war bezeichnend für die heimischen Behörden, daß man leichten Herzens eine Fregatte von sechsunddreißig Kanonen damit beauftragte, einen fast doppelt so starken Gegner zu erledigen. Die englische Flotte war in Einzelkämpfen stets so erfolgreich gewesen, daß man ihren Schiffen nachgerade zutraute, mit allen nur denkbaren Schwierigkeiten fertig zu werden. Gelang es der Natividad durch irgendeinen Umstand die Lydia niederzukämpfen, so würde man keine Entschuldigung gelten lassen, und Hornblowers Karriere war erledigt. Selbst wenn ihm das unvermeidliche Kriegsgericht nicht den Hals umdrehte, so wäre er doch gezwungen, den Rest seines Daseins bei Halbsold zu verkümmern. Ein Mißerfolg bei der beabsichtigten Wegnahme der Natividad, ein Mißerfolg der geplanten Erhebung, ein Mißerfolg beim Eröffnen des Handelsweges … jeder einzelne dieser im Bereich der Möglichkeit liegenden Fehlschläge würde einen Verlust an Ansehen und dienstlicher Tätigkeit bedeuten. Nach der Rückkehr in die Heimat wäre er dann dazu verdammt, seiner Frau als ein Mann gegenüberzutreten, der weniger taugte als seine Kameraden.
Nachdem er alle diese düsteren Möglichkeiten erwogen hatte, schob Hornblower sie mit entschlossenem Optimismus beiseite. Zunächst einmal galt es, mit diesem Don Julian Alvarado in Verbindung zu treten. Das würde nicht sonderlich schwerfallen. Danach konnte man den Schatzschiffen nachstellen und Prisengelder gewinnen. Seine Sorgen um die weitere Zukunft drängte Hornblower gewaltsam zurück. Er erhob sich von der Backskiste und ging in seine Kammer.
Zehn Minuten später erschien er auf dem Achterdeck. Diebischen Spaß machte es ihm, daß die Offiziere sich vergebens bemühten, keine Notiz von seinem aufgeputzten Aussehen zu nehmen. Hornblower warf einen Blick zu der schnell näherkommenden Küste hinüber.
»Lassen Sie Klarschiff anschlagen, Mr. Bush«, befahl er. Gleich darauf rasselten die Trommeln, und es wurde äußerst lebendig an Bord. Von den Rufen und Püffen der Maate angetrieben, stürzte sich die Besatzung mit Feuereifer an die Arbeit, das Schiff gefechtsklar zu machen. Die Decks wurden mit Wasser übergossen und dann mit Sand bestreut. Die Feuerlöschmannschaft trat bei den Pumpen an; man entfernte die hölzernen Trennungswände innerhalb der Decks. Atemlose Pulverjungen schleppten Kartuschen an die Geschütze. Unten ließ der zum Wundarzt beförderte Zahlmeister die Seekisten der Fähnriche zusammenrücken, um daraus einen Operationstisch zu bauen.
»Wir wollen die Geschütze laden und ausrennen, Mr. Bush«, ordnete der Kommandant an.
In Anbetracht der Tatsache, daß die Fregatte vor dem Winde segelnd spanisches Hoheitsgebiet anlief, waren das sehr vernünftige Vorsichtsmaßregeln. Die Geschützbedienungen rissen die Bezüge von den Bodenstücken, zerrten wie die Wilden an den Taljen, um die Kanonen binnenbords zu ziehen, rammten die Pulverladung und die Rundkugel ein, vor die noch ein Pfropfen gekeilt wurde, und dann wurden die Geschütze mit Hilfe der Taljen wieder ausgerannt, so daß die Mündungen durch die offenen Stückpforten ins Freie ragten.
»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir«, meldete Bush, als das letzte Poltern verhallte. »Dauer des Manövers zehn Minuten, einundzwanzig Sekunden.« Noch immer nicht hätte er zu sagen vermocht, ob es sich um eine Exerzierübung oder um blutigen Ernst handelte. Es schmeichelte Hornblowers Eitelkeit, ihn weiterhin darüber im Zweifel zu lassen.
»Sehr schön, Mr. Bush. Bitte Lotgasten in die Rüsten und klar zum Ankern.«
Die auf Land zu wehende Brise wurde von Minute zu Minute frischer, und die Lydia machte immer mehr Fahrt. Vom Achterdeck aus durchs Glas spähend konnte Hornblower jede Einzelheit der Einfahrt erkennen. Er sah auch die breite Durchfahrt zwischen der Insel Conchaquita und dem westlichen Festland. Der Karte zufolge sollte sie bei fünf Meilen Länge eine Tiefe von zwanzig Faden besitzen, aber diesen spanischen Seekarten war nicht zu trauen.
»Frage Lotung«, rief Hornblower.
»Mit dieser Leine keinen Grund, Sir.«
»Wie lang ist denn Ihre Leine? Nehmen Sie die lange See-Lotleine.«
»Aye aye, Sir.«
Totenstill wurde es an Bord. In der Takelage harfte der Wind, und unter dem Heck gurgelte das Wasser.
»Hundert Faden und keinen Grund, Sir.«
Demnach mußte die Küste sehr steil sein, denn man stand nur noch zwei Meilen vom Lande ab. Immerhin hatte es keinen Zweck, unter vollen Segeln auf Grund zu laufen.
»Lassen Sie die Untersegel festmachen«, ordnete Hornblower an. »Laufend weiter loten.«
Nur unter Marssegeln glitt die Lydia dem Ziel entgegen. Bald verkündete ein Ruf aus den Rüsten, daß man bei hundert Faden Grund hatte, und dann nahm die Tiefe mit jedem Wurf gleichmäßig ab. Hornblower hätte gerne Näheres über die Gezeiten gewußt. Wenn man doch noch auflief, so war das bei Flut weniger schlimm als bei Ebbe. Indessen fehlte ihm die Möglichkeit, Feststellungen zu machen. Um einen besseren Überblick zu gewinnen, enterte er in die Unterwanten des Kreuzmastes. Abgesehen von den Lotgasten standen sämtliche Leute der Besatzung ungeachtet der blendenden Hitze unbeweglich auf ihren Manöverstationen. Die Fregatte hatte fast die Mündung der Durchfahrt erreicht. Hornblower bemerkte unweit der Schiffsseite einiges Treibholz, und als er das Glas darauf richtete, erkannte er, daß es in die Bucht hineintrieb. Also hatte die Flut noch nicht ihren Höchststand erreicht. Um so besser.
»Grade … neun!« sang der Lotgast aus.
Na ja, und die Dago-Karte zeigte an dieser Stelle zehn Faden an.
»Einhalb über sieben.«
Die Wassertiefe nahm schnell ab. Vermutlich mußte man aus diesem Grunde bald ankern.
»Einhalb über sieben.«
Immer noch reichlich Wasser unter dem Kiel. Hornblower rief dem Rudergänger etwas zu, worauf die Lydia nach Steuerbord abfiel und einer schwachen Biegung der Fahrtrinne folgte.
»Einhalb über sieben.«
Schön. Die Fregatte blieb auf dem neuen Kurs.
»Grade … sieben.«
Der Kommandant spähte scharf nach vorn, als könne er den Verlauf der tiefsten Senke erkennen.
»Grade … sieben.«
Ein Befehl Hornblowers brachte das Schiff etwas dichter ans jenseitige Ufer heran. Ruhig schickte Bush die Leute an die Brassen, um die Rahen für den anliegenden Kurs zu trimmen.
»Einhalb über sieben.«
Das war besser.
»Grade neun.«