Der kleine Blaue - Sven Elvestad - E-Book

Der kleine Blaue E-Book

Sven Elvestad

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  • Herausgeber: vss-verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Detektiv Asbjörn Krag ist Held dieses hochspannenden Romans und ein ausgefuchster norwegischer Sherlock Holmes. Seine Geschichten erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ein Muss für Liebhaber des historischen Krimi-Vergnügens!

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Seitenzahl: 94

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Sven Elvestad

Der kleine Blaue

I. - Der Agent

Vor einigen Jahren lag in einer der Straßen in der Nähe des Johannishügels ein kleines zweistöckiges Holzhaus. Das war vor der Zeit des Baubooms. Das Haus ist später abgerissen worden, um einem der großen Mehrfamilienhäuser Platz zu machen. Damals standen noch nicht viele Häuser in der Straße, die schlecht ausgebaut und nur teilweise gepflastert war. Das erwähnte Haus bemerkte man sofort, weil es ein bisschen vorstand, mit rotbrauner Farbe überschmiert war und mitten an der Fassade ein Schild hatte, das stark quietschte, wenn es windig war. Auf dem Schild stand:

A. Jonson, Lebensmittelladen.

Es war ein Geschäft, das sehr schlicht wirkte; hinter dem Ladentisch stand eine ältere, mollige Frau. Es war die Witwe von »A. Jonson«, der vor mehreren Jahren gestorben war. Sie führte den kleinen Laden jetzt allein und hatte sich durch Sparsamkeit und Tatendrang so viel zurückgelegt, dass sie das Haus kaufen konnte, in dem sie wohnte. An den Laden grenzte eine Wohnung, bestehend aus einem größeren und einem kleineren Zimmer und einer kleinen Küche. Zunächst durch den Laden und dann durch eine Tür verbunden, lag das kleinere Zimmer, das die Witwe bewohnte. Mitten in die Tür war ein rundes Loch ausgeschnitten und eine Glasscheibe eingesetzt, durch die die Witwe, so oft sie nur wollte, den Laden überblicken konnte, und auch die Straße davor.

Um in das erste Stockwerk des Hauses zu gelangen, musste man in den Hof hinausgehen. Von dort führte eine Treppe in die obere Wohnung. Es waren eigentlich zwei Wohnungen im ersten Stock, im ganzen vier Zimmer, aber nur eine Küche. Die Küche lag in der Mitte. Die zwei Zimmer rechts benützte die Witwe als Lagerräume. Hier lagen die Öl-Tonnen und die Fässer mit grüner Seife und ähnliche Dinge, die sie nicht gut unten im Laden unter all den Esswaren aufbewahren konnte. Aber die zwei Zimmer links hatte sie vermietet. Zu dem erwähnten Zeitpunkt bewohnte sie ein älterer graubärtiger Mann. Er hatte eine gelbe Messingplatte an die Tür angebracht, und darauf stand folgendes eingraviert:

Agent Jaerven, Umsatz von Wertpapieren.

Als dieser Agent Jaerven einzog, ahnte die Witwe nicht, wer er war oder was für eine Art von Geschäft er betrieb. Er bezahlte die Miete im Voraus, aber handelte so viel herunter, wie er nur konnte. Möbel hatte er nicht viele, ein altes massives Sofa, einen großen, runden Tisch, ehemals poliert, aber ziemlich abgenützt, einige wenige Stühle, eine Kommode, ein Bett aus Eisen und vor den Fenstern unscheinbare rotgemusterte Gardinen. Mitten in dieser Szenerie schleppte man eine sehr schwere und klobige eiserne Kasse, die obendrein mit einem eigenen Schließmechanismus versehen war. Sie war so schwer, dass sechs kräftige Helfer die Kasse die Treppe hinauftragen mussten, die unter der Last ächzte. Die Witwe hatte damals den Agenten gefragt, was er denn eigentlich beruflich machte, aber hatte ausweichende Antworten bekommen.

Der alte Mann war ein guter Mieter, er bezahlte die Miete und verhielt sich ordentlich. Einmal die Woche kam eine Frau und wusch seine Wäsche. Er machte sich sein Frühstück selbst, die anderen Mahlzeiten nahm er stets in der Stadt ein. Mit der Genauigkeit eines Uhrwerks verlief sein Tag. Um sieben Uhr morgens stand er auf, und um acht Uhr hörte ihn die Witwe immer die Treppe hinunterlaufen. Er blieb dann drei Stunden weg. Zwischen elf und ein Uhr hielt er sich immer in seiner Wohnung auf, und um diese Zeit konnte es oft vorkommen, dass Besuche zu ihm kamen. Viele merkwürdige Besuche übrigens. Es waren Damen und Herren, die einen gut gekleidet, die anderen weniger gut gekleidet. Hier und da konnte es vorkommen, dass ein Wagen drüben an der Ecke hielt und ein Mann ausstieg, sich vorsichtig umsah und dann die Treppe zu Agent Jaerven hinaufschlich. Es geschah auch, aber sehr selten, dass die Witwe laute Stimmen oder auch laute Schläge aus dem Zimmer des Agenten hörte. Die Witwe merkte bald, dass es sich dabei um Geldgeschäfte des Agenten handelte. Aber was kümmerte sie das, wenn sie ihre Miete pünktlich bekam und er sich auch sonst ordentlich verhielt.

Der Agent zog zu Johanni ein, und etwa zwei Jahre vergingen, bevor das geschah, was nun erzählt werden soll. Es war an einem der ersten Frühlingstage des Jahres, und die Leute, die über die Straße gingen, waren sonnenhungrig und fühlten, wie sie schon wärmte, und sahen wie lange sie schon schien. Der Schnee war während des Tauwetters der letzten Tage geschmolzen. Das Schmelzwasser rieselte durch die Dachrinnen, und die Straßen waren aufgeweicht und schmutzig.

*

Damals war Asbjörn Krag noch aktives Mitglied des Christianiaer Detektivkorps und stand durch die Art, wie er die ihm gestellten Aufgaben löste, hoch in der Gunst seiner Vorgesetzten.

Als er sich eines Morgens im Büro des Chefs einfand, fand er diesen in ungeduldiger Erwartung.

»Ich habe da gerade eine Sache bekommen, die wohl etwas für Sie sein wird,« sagte er. »Diese Dame hier,« – er wies auf eine ältere, korpulente Frau, die auf dem schwarzen Ledersofa des Büros Platz genommen hatte – »diese Dame hat mir eben mitgeteilt, dass einer ihrer Mieter auf ganz merkwürdige Weise verschwunden ist.«

Krag, dessen Interesse augenblicklich erwachte, setzte sich an den grünen Tisch des Chefs.

Er war darauf bedacht, mit dem Rücken gegen das Licht zu sitzen. Es ist seine Gewohnheit geworden, wenn er sich in einem der Vernehmungsräume befand; das Tageslicht fiel dann dem, der verhört wurde, ins Gesicht, und er konnte so jeden kleinen Wechsel in seiner Mimik beobachten.

»Darf ich Sie bitten, Ihre Erzählung zu wiederholen,« sagte der Polizeichef. »Es ist notwendig, dass mein Mitarbeiter sie direkt von Ihnen hört.«

Die Dame erhob sich und trat näher. Die Mantille raschelte um sie. Krag bemerkte, dass sie sehr nervös und erregt war. Sie sprach auch mit leicht zitternder Stimme.

»Ich habe mir schon mehrere Tage gedacht, dass ich mich an die Polizei wenden müsste,« sagte sie, »aber habe es immer wieder aufgeschoben, weil ich hoffte, dass er zurückkommen würde. Aber nun denke ich, dass etwas geschehen muss!«

»Von was, oder besser gefragt, von wem sprechen Sie?« fragte Asbjörn Krag.

»Vom Agenten Jaerven, der zwei Zimmer in meinem Hause bewohnt.«

Asbjörn Krag griff nach seinem kleinen Notizbuch und notierte den Namen. Er wechselte einen Blick mit dem Polizeichef.

»Agent Jaerven ist also verschwunden?« fragte Krag.

»Ja,« erwiderte die Dame, »und ich habe so eine Ahnung, dass ihm etwas passiert ist.«

»Wann war er zuletzt zu Hause?«

»Donnerstag abends, den Zwölften. Heute haben wir den Zweiundzwanzigsten. Also vor zehn Tagen.«

Krag nickte und notierte.

»Und Sie wissen bestimmt, dass er donnerstagabends zu Hause war?«

»Ganz bestimmt.«

»Können Sie mir die genaue Uhrzeit sagen, wann er wegging?«

»Es war ungefähr zur Dämmerung. Ich denke, es wird gegen acht Uhr gewesen sein.«

»Ging der Agent oft – vielleicht jeden Abend, um diese Zeit aus?«

»Nein, durchaus nicht. Darum fiel es mir eben auf, dass er ausging. Er ging auch den vorigen Tag um acht Uhr aus der Wohnung, und das war noch nicht vorgekommen, soweit ich zurückdenken kann. Aber damals redete ich mit ihm, und da sagte er mir, dass er wohl bis halb zwölf wegbleiben würde.«

»War er damals anders als sonst?«

»Nein. Er sah aus wie gewöhnlich und sprach auch ganz ruhig. – Sonst kam Jaerven immer gegen sechs Uhr von seinen Nachmittagsterminen zurück,« setzte die Dame ihre Erzählung fort. »Er schloss sich dann in seinem Zimmer ein und empfing nicht gerne Besuch. Gegen acht Uhr war er meistens draußen in der Küche und machte sich sein Abendessen, und gleich nachdem er gegessen hatte, legte er sich hin. So verliefen seine Abende immer; ich kann mich nicht erinnern, dass es anders gewesen wäre. Darum war ich auch so erstaunt, als ich sah, dass er diesen Abend ausging und den Abend darauf wieder. Ich weiß noch, dass ich ganz laut zu mir selbst sagte: ›Nein, jetzt ist Jaerven aber komisch geworden! Was in aller Welt macht er noch so spät in der Stadt!‹«

Krag notierte wieder etwas in sein Notizbuch.

Dann fragte er:

»Nun, und hat der Agent schon früher tagsüber irgendetwas getan, was Ihnen seltsam vorkam?«

»Nichts Besonderes,« erwiderte die Witwe, »er hat sich nur auch schon vormittags eingeschlossen. Sonst pflegte er immer zwischen elf und ein Uhr Besuche zu empfangen; aber an diesem Tage wollte er niemanden hereinlassen. Er hatte die Tür von innen zugeschlossen. Ich hörte ihn mit schweren Schritten drinnen auf und ab gehen. Und das war auch etwas, was er sonst nie tat. Wenigstens ist es mir nie früher aufgefallen.«

»Was waren denn das für Leute, die ihn an jenem Vormittag besuchen wollten?«

Die Witwe warf einen prüfenden Blick auf den Detektiv.

»Ich weiß nicht,« erwiderte sie zögernd.

Asbjörn Krag lächelte.

»Genieren Sie sich doch nicht,« sagte er. »Ich kann Ihnen sagen, dass wir hier bei der Polizei mehr vom Agenten Jaerven wissen, als Sie, obwohl er zwei Jahre bei Ihnen gewohnt hat.«

»Ich kümmere mich nicht um die Angelegenheiten anderer Leute,« gab die Witwe schlagfertig zurück.

»Na, na! Also: Was für Art Leute waren das, die den Alten besuchten?«

»Ich denke, es werden Leute gewesen sein, die sich Geld von ihm ausleihen wollten.«

»Richtig,« erwiderte der Detektiv. »Sie werden doch die ganze Zeit gewusst haben, dass Agent Jaerven Geld auf Verzinsungsbasis auslieh. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Aber die Sache ist die, dass er oft zu hohe Zinsen nahm, und deshalb kennen wir ihn hier so gut. Verstehen Sie?«

»Ja, ich habe mir ja auch so meine Gedanken darüber gemacht,« antwortete die Witwe.

»Schön, schön! Sie wissen also nicht, warum er an jenem Donnerstag seine Kunden nicht hereinlassen wollte?«

»Nein, ich habe keine Ahnung. Ich hörte nur, dass Leute oben waren und an der Tür rüttelten; aber als er nicht aufmachte, gingen sie wieder. Sie werden wohl geglaubt haben, dass er nicht zu Hause ist. Er verhielt sich auch ganz still, solange jemand draußen war. Das ist mir auch aufgefallen. Hingegen habe ich mir seine Kunden nicht genauer angeschaut, ich war ja so gewohnt, sie kommen und gehen zu sehen. Nur einer von ihnen ist mir aufgefallen. Es war ein großer, dicker Mann, der rüttelte stärker als die anderen an der Klinke, und als niemand aufmachte, da fluchte und schimpfte er auf den Alten. Er stieß auch ziemlich kräftig mit dem Fuß an die Tür, bevor er ging. Gegen halb drei Uhr pflegte ich zu dem Agenten hoch zu gehen, um zu fragen, ob ich ihm bei etwas behilflich sein könne, Einkäufe zu besorgen, oder dergleichen. Auch mir machte er nicht auf, er antwortete nicht einmal auf meine Frage. Den ganzen Nachmittag blieb er eingeschlossen, und erst um acht Uhr ging er weg. Seither habe ich ihn nicht gesehen und auch nicht das Geringste von ihm gehört. Die Miete ist seit sechs Tagen fällig, und diese hat er doch sonst immer pünktlich bezahlt. In den letzten Tagen haben mir alle möglichen Leute, die ihn sprechen wollten, förmlich die Tür eingerannt. Ich glaube, es ist ihm ein Unglück zugestoßen.«

»Was für eine Art von Unglück?« fragte der Detektiv ernst.

»Ich weiß nicht, er war den letzten Tag so sonderbar.«

»Nun?«

»Vielleicht hat er sich das Leben genommen?«

Ein beinahe unmerkliches Lächeln huschte über Asbjörn Krags Gesicht.