Der kochende Fluss – eine Reise zum Amazonas - Andrés Ruzo - E-Book

Der kochende Fluss – eine Reise zum Amazonas E-Book

Andrés Ruzo

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Beschreibung

Der junge Geowissenschaftler und »National Geographic«-Autor Andrés Ruzo schreibt in seinem TED Book über ein bislang unerforschtes Wunder der Natur: den kochenden Fluss. Schon als Kind hatte Andrés Ruzo von diesem geheimnisvollen Mythos gehört und macht sich als Erwachsener auf die Reise in die Tiefen des Amazonas. Er begegnet Holzfällern, Schamanen und Indianern, die ihm bei seiner Suche helfen. Und tatsächlich: An einer Stelle des Flusses ist das Wasser so heiß, dass es brodelt und die Einheimischen ihren Tee damit zubereiten; kleine Tierchen, die hineinfallen, sind auf der Stelle durchgegart. Als einer der Ersten untersucht und dokumentiert Ruzo dieses Wunder der Natur. Eine Mischung aus Abenteuerroman und verblüffender Wissenschaft.

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Seitenzahl: 128

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Andrés Ruzo

Der kochende Fluss – eine Reise zum Amazonas

TED Books

Aus dem Englischen von Irmengard Gabler

FISCHER digiBook

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

[Widmung]1 Enthüllungen im Dunkeln2 Die Legende meines Großvaters3 Dumme Fragen4 Nur eine Geschichte5 Sichtbar und doch verborgen6 Hoffnungen und harte Fakten7 Der Fluss8 Der Schamane9 Eine langersehnte Rückkehr10 Die Zeremonie11 Dschungelgeister12 Das Corpus Delicti13 Die größte Bedrohung14 PaititiEpilogDankBildnachweisTED TalkKleine Bücher – große Ideen![Mehr Information]

Gewidmet meiner größten Entdeckung:

meiner Frau und Mitstreiterin Sofía

1Enthüllungen im Dunkeln

Ich stehe auf einem Felsen inmitten eines Flusses. Die Nacht des Dschungels umhüllt mich. Instinktiv greife ich nach oben und schalte meine Stirnlampe aus. Das Schwarz ist jetzt vollkommen, ich bleibe stehen und warte. Ich hatte die Dunkelheit vermisst. Ich atme ein. Die Luft ist dick und unnatürlich heiß, sogar für das Amazonasgebiet. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben, hebt sich die Silhouette des Dschungels allmählich von der Nacht ab: Schwarztöne, Grautöne, dunkles Blau, sogar Silberweiß. Es ist erstaunlich, was uns entgeht, wenn die Lichter an sind. Der Mond ist nur eine schmale Sichel, und zahllose Sterne beherrschen den Himmel über mir, erhellen die Weiten des Dschungels und tauchen jedes Blatt, jeden Stein in ihr sanftes Licht. Rings um mich herum steigen Dämpfe auf, wie Geister im Sternenlicht. Einige sind dünne Dunstfahnen, andere dicke Wolken, die sich wie in Zeitlupe bauschen.

Ich lege mich flach auf den Felsen und beobachte reglos, wie der Dampf in die Nacht aufsteigt. Sobald eine kühle Brise bläst, verdichten sich die Nebel zu blassen, graublauen Wirbeln, die sich gegen den Himmel kräuseln. Der Fels unter mir schimmert weißlich im schwachen Licht. Wo mein Rücken und meine Beine die Oberfläche des Steins berühren, schwitze ich leicht. Ein Wasserschwall, heiß genug, um mich umzubringen, und breiter als eine zweispurige Straße, flutet an meinem Felsen vorbei und ertränkt in seinem Tosen den nächtlichen Dschungelchor. Meine Sinne sind geschärft, und jede meiner Bewegungen ist wohlüberlegt.

Ich befinde mich im Herzen des Peruanischen Amazonasdschungels. Die anderen Mitglieder meines Teams liegen schon im Bett in der kleinen Gemeinde in der Nähe, aber ich könnte jetzt nicht schlafen – nicht bei dem, was hier vor mir liegt. Ich habe Herzklopfen und bin gleichzeitig absolut ruhig. Mein Blick folgt den Dämpfen aus dem Fluss, die zum Firmament aufsteigen und damit verschmelzen. Die Milchstraße erstreckt sich über den Himmel und scheint den Fluss zu spiegeln. Die Inka begriffen die Milchstraße als Himmlischen Strom, als Weg in eine andere Welt, von Geistern bewohnt. So vereinen sich die Dämpfe hier mit zwei großen Flüssen. Es ist klar, warum die Menschen, die hier leben, dem Dschungel große spirituelle Kraft zuschreiben. Die Worte des Schamanen klingen in meinem Kopf nach: »Der Fluss zeigt uns, was wir sehen müssen.«

Ich stehe vor einem der größten Abenteuer meines Lebens. Ich werde noch meinen Kindern und Enkeln davon erzählen – und alles, was ich in diesem Moment unternehme, fügt der Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu, in dem jede Sekunde von Bedeutung ist. Auf meinen rechten Arm spritzt siedend heißes Wasser. Nicht länger gedankenverloren, setze ich mich auf und ziehe den Arm an die Brust. Ich erinnere mich an die Worte meines Professors, eines Vulkanologen: »Auf Vulkanen sterben nur die Unerfahrenen, die sich der Gefahr nicht bewusst sind, und die Experten, die vergessen haben, dass dort Gefahr droht.«

Ich stehe auf, vergewissere mich, dass ich einen festen Tritt habe, und springe ans nächstgelegene Ufer zurück. Als ich auf den kochenden Fluss zurückblicke, kann ich mir ein aufgeregtes Flüstern nicht verkneifen: »Es gibt ihn also. Es gibt ihn wirklich.« Ich erinnere mich, dass der Schamane sagte, der Fluss habe mich aus einem bestimmten Grund zu sich gerufen, und spüre, dass eine größere Mission auf mich wartet. Ich werde heute nicht viel Schlaf abbekommen.

Die Dämpfe tanzen im Sternenlicht, als ich mir den Weg zurück zur Hütte bahne, den Kopf voller Gedanken an den Fluss, den dunklen Dschungel ringsum, und an die Geschichte, die darauf wartet, niedergeschrieben zu werden. Diese Geschichte begann mit einer Legende, die man mir als Kind erzählt hat – sie handelt von Forschung und Entdeckung und dem Bedürfnis, etwas zu begreifen, was schier unglaublich erscheint. In dieser Geschichte stoßen moderne Wissenschaft und traditionelle Weltsicht aufeinander – nicht gewaltsam, sondern respektvoll –, vereint in ihrer tiefen Ehrfurcht vor der Natur.

In einer Zeit, in der bereits alles kartographiert, vermessen und verstanden zu sein scheint, stellt dieser Fluss all unser vermeintliches Wissen in Frage. Er hat mich gezwungen, die Grenzen zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, dem Überlieferten und dem Modernen, zwischen Wissenschaft und Spiritualität anzuzweifeln. Er erinnert uns daran, dass es noch große Wunder zu entdecken gibt. Wir finden sie nicht nur in der schwarzen Leere des Unbekannten, sondern auch im weißen Rauschen des Alltags – in den Dingen, von denen wir kaum Notiz nehmen, die unserer Aufmerksamkeit fast entgehen, sogar im Detail einer Geschichte.

2Die Legende meines Großvaters

Das Geräusch von heißem Wasser, das in eine Teetasse rinnt, erfüllt die kühle Luft der Küche. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster, auf die Ausläufer der Anden, die in Limas grauen Winterhimmel ragen. Der Winter in Lima hat stets eine gewisse Reglosigkeit an sich, und dieser August macht keine Ausnahme. Ich bin zwölf Jahre alt, sitze in der Küche im Haus meiner Tante und warte gespannt auf die Ankunft meines Großvaters.

Während ich ungeduldig auf die Uhr starre, steht Dioni, die Köchin meiner Tante, am Waschbecken und schält dicke peruanische Karotten. Sie ist für mich wie eine Großmutter. »Es ist schön, dass du uns besuchen kommst«, sagt sie, ohne den Blick von der Arbeit zu heben. Dioni spricht Spanisch mit einem starken Quechua-Akzent. Quechua, die Sprache der Inka, wird sehr besonnen und zurückhaltend gesprochen – weil sie in der Kälte der hohen Anden entstanden ist, sagt man. Dionis Stimme erinnert mich daran, dass die Sprache der Inka mehr als vierhundert Jahre nach der spanischen Eroberung noch immer sehr lebendig ist.

Sie fährt fort: »Deine Tante hat mir erzählt, dein Vater und seine Brüder hätten dich eine Woche lang nach Marcahuasi mit hinaufgenommen! Das ist sehr hoch, dafür bist du noch zu klein!«

Ich setze mich auf einen Barhocker am Ende der Kücheninsel und bereite mir meinen Mate de Coca, indem ich die staubig grünen Blätter in heißes Wasser tauche, bis es blass golden wird.

»Hast du die Blätter aus Marcahuasi mitgebracht?«, fragt Dioni. Ich nicke. »Das da sind die echten Coca-Blätter, die aus den Bergen – sie schmecken viel besser als die aus dem Supermarkt.«

Ich nehme den ersten Schluck und genieße den erdigen, krautigen Geschmack. Vor einer Woche, auf der kalten Hochebene von Marcahuasi, befiel mich eine lähmende Höhenkrankheit. Mate de Coca war das Einzige, was mir Linderung verschaffte.

Endlich kommt mein Großvater durch die Tür und streckt die Arme nach mir aus. Ich laufe ihm entgegen, um ihn zu umarmen, und lache, als er Grimassen schneidet. Einige Menschen tragen das Herz auf der Zunge; er trägt das seine im Gesicht.

Meine Tante Lydia ist bei ihm. »Soll ich dir etwas bringen?«, fragt sie meinen Großvater. »Wir haben Tee.« Er schüttelt den Kopf. »Kaffee?« Wieder Kopfschütteln. »Inca Kola? Saft? Wasser?« Und zuletzt: »Pisco?«

Jetzt strafft sich der Körper meines Großvaters, und ein schlaues Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. »Bueeeeeno, wenn du mich so fragst …«

Auf einem eleganten Silbertablett bringt sie eine ordentlich gefaltete Stoffserviette, eine frisch geöffnete Flasche ausgezeichneten Pisco, mit dem Korken nur leicht im Flaschenhals steckend, und ein Tulpenglas aus Kristall. Er gießt sich ein, und wir beide stoßen an, er mit seinem Pisco, ich mit meinem Matetee.

Er kommt auf den Ausflug nach Marcahuasi zu sprechen und erklärt, was er alles besser, schlauer und effizienter gemacht hätte, wenn er dabei gewesen wäre. Meine Aufmerksamkeit schweift ab, und seine Stimme tritt in den Hintergrund.

Aua! Ein kurzer Schlag auf den Kopf mit einer zusammengerollten Zeitschrift holt meine Aufmerksamkeit zurück. »Guanaco! Hör gefälligst zu! Was ich dir zu sagen habe, ist wichtig!«, schimpft er, und ich sehe ihn beleidigt an. Zu meiner Überraschung weicht seine Ungeduld einem stolzen Lächeln.

»Deine Mimik ist genauso lebhaft wie die meine!«, sagt er. »Ich bin froh, dass meine Gene in dir weiterleben.« Ich schaue noch immer finster drein.

»Na schön, cangrejo, ich erzähl dir eine Geschichte, die dich aufmuntern wird.«

Ich spitze erwartungsfroh die Ohren. Ich liebe die Geschichten meines Großvaters.

»Es ist eine Abenteuergeschichte. Sie handelt von der Eroberung Perus durch die Spanier, dem Fluch der Inka, und einer geheimnisvollen Stadt, die tief im Amazonasdschungel verborgen ist – und ganz aus Gold besteht.« Ich sehe ihn gebannt an, während er wieder an seinem Pisco nippt. »Es ist die Legende von Paititi.«

»Paititi?«

»Glaub bloß nicht, dass es bei der Eroberung um Gott ging«, fährt mein Großvater fort. »Die Konquistadoren brachten zwar ein paar Mönche mit, aber eigentlich wollten sie nur Gold und Ruhm.« Ich sitze reglos, die Beine über Kreuz, auf dem Boden, als mein Großvater beginnt:

1532 erreichten Francisco Pizarro und seine Männer Peru, an der nördlichen Grenze des Inka-Reiches. Die Inka waren in einen blutigen Bürgerkrieg verstrickt und hatten ihre Späher überall. Kaum waren die Spanier gelandet, wurden sie heimlich von den Inka beobachtet, die all ihre Bewegungen und Gepflogenheiten eifrig studierten und weitergaben. Die Inka wussten, dass die Konquistadoren keine Götter waren, doch eines vor allem blieb ihnen ein Rätsel – ihre Gier nach Gold. Die Spanier, so wurde gemunkelt, beträten grußlos die Dörfer der Inka und stellten den Bewohnern immer nur die eine Frage: Wo ist das Gold? Woraufhin sie die Dorfbewohner so lange terrorisierten, bis sie bekamen, was sie wollten. Ihre Gier nach Gold war so unersättlich, dass viele Inka glaubten, die Spanier ernährten sich davon. Für die Inka, die das Gold als Manifestation einer Gottheit betrachteten, war diese Gier irritierend.

Atahualpa, der Herrscher der Inka, überlegte, wie mit diesen Fremden umzugehen sei, die seine Untertanen behelligten. Ein Berater meinte, er solle sie gefangen nehmen und bei lebendigem Leibe verbrennen. Doch Atahualpa war eher neugierig als ängstlich. Welche Gefahr sollten 170 diebische weiße Männer für sein Volk darstellen? Er, Atahualpa, herrschte über Millionen. Seine Armee zählte über 250000 Krieger. Er war der mächtigste Gottkönig auf Erden, ein Sohn der Sonne, der über den Zauber der Winde gebot.

Atahualpa entsandte daher Boten, um die Fremden nach Cajamarca einzuladen, damit er sie in Augenschein nehmen könne. Die Konquistadoren folgten seiner Einladung. Dann aber überfielen sie Atahualpa bei dem vermeintlich friedlichen Treffen. Die Spanier – zahlenmäßig weit unterlegen, aber mit besseren Waffen ausgestattet – schlugen die Inka vernichtend.

Atahualpa, jetzt ein Gefangener, blickte den spanischen Eroberern wild und trotzig in die Augen. Keiner von ihnen hielt seinem Blick stand, angeblich war es so, als blicke man in die Sonne. Atahualpa trat feierlich an die Wand, griff so weit nach oben, wie er konnte, und zog eine Linie. Dann rief er einen Diener herbei und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Diener richtete sich auf und sagte zu den Spaniern: »Mein Gebieter sagt, er wolle den Raum bis zu dieser Linie mit Gold füllen und noch zweimal mit Silber, wenn ihr sein Leben verschont und ihn gehen lasst.«

Die Spanier berieten sich untereinander. So viel Gold und Silber würde sie reicher machen, als sie sich jemals erträumt hatten. Sie willigten ein. Atahualpa vergewisserte sich, dass sie den Schwur vor ihrem eigenen Gott leisteten, der ihn den Fremden ausgeliefert hatte.

Die folgenden zwei Monate sahen die Eroberer zu, wie Gold, Silber und kostbare Steine aus dem gesamten Reich herbeigeschafft wurden, um Atahualpas Lösegeld zu begleichen. Schließlich hatte Atahualpa seinen Teil der Abmachung erfüllt. Er wäre frei, gedemütigt zwar, aber am Leben.

Weitere Monate verstrichen. Die Fremden hatten Atahualpa zwar nicht getötet, ihm die Gefangenschaft auch relativ angenehm gemacht, aber er blieb ihr Gefangener. »Den Schwur vor ihrem eigenen Gott werden sie nicht brechen«, sagte er sich.

Eines Nachts kam ein Diener zu Atahualpa und raunte ihm zu: »Ich hörte, wie die Spanier sagten, du seist zu gefährlich, um am Leben zu bleiben. Deine Häscher werden ihren Schwur brechen und dich morgen holen.« Da kam ein spanischer Wachsoldat und stellte den Diener zur Rede. »Ich bringe meinem Gebieter nur frische Kokablätter für seinen Morgentee«, erwiderte dieser und reichte Atahualpa einen kleinen Beutel mit frischen Blättern. Der Wachsoldat sah die Blätter und schickte den Diener fort. Atahualpa bereitete sich auf den Morgen vor.

Ich trinke meinen Matetee und stelle mir Atahualpa vor, als er sich bewusst wurde, dass er betrogen worden war.

»Tags darauf«, erzählt mein Großvater weiter, »erwachte Atahualpa und erfuhr, dass er mit einer bewaffneten Eskorte abgeführt werden sollte.«

Atahualpa hatte keine Waffe, um sich zu verteidigen. Als die Soldaten näher kamen, griff Atahualpa mit beiden Händen in den Stoffbeutel, holte drei Blätter heraus und rief: »Bei diesen Blättern verfluche ich euch, ihr weißen Männer! Mama Coca, erinnere dich an ihre Bosheit! Peinige ihre Nationen und räche mich!« Er warf die Blätter den Spaniern entgegen, den Fluch besiegelnd, den die Kokablätter über sie bringen würden.

Atahualpa wurde hingerichtet, doch die Inka kämpften weiter. Es dauerte noch vierzig Jahre, bis sie von den Spaniern endgültig besiegt wurden. Der Krieg endete 1572, als Túpac Amaru, zu deutsch »Leuchtende Schlange«, der letzte Herrscher der Inka, vor fünfzehntausend seiner Untertanen auf dem Hauptplatz von Cusco gehenkt wurde.

Das Volk der Inka war erobert, und sein heiliges Gold – ein Symbol des Lebens – wurde eingeschmolzen, um die Eroberer zufriedenzustellen.

Immer wieder kamen Konquistadoren, erpicht darauf, in Cortés’ und Pizarros Fußstapfen zu treten. Als sie die Inka fragten, wo es noch eine andere Zivilisation zu erobern gäbe, sagten diese: »Im Osten, jenseits der Anden, liegt das Land der Pflanze. Dort findet ihr Paititi – eine riesige Stadt ganz aus Gold.«

Die Spanier unternahmen Expeditionen in den Amazonas-Regenwald, und die Inka sahen mit stoischen Gesichtern zu, wohl wissend, dass sie schon bald bekommen würden, was sie sich am meisten wünschten – Rache.

Die wenigen Spanier, die aus dem Regenwald zurückkehrten, erzählten regelrechte Horrorgeschichten. Sie waren auf Inka gestoßen, die der Eroberung entkommen waren und die Spanier zwangen, geschmolzenes Gold zu trinken und damit ihre Gier nach Gold ein für alle Mal zu stillen. Sie waren auch auf Eingeborene gestoßen: mächtige Schamanen, die dem Dschungel befahlen, sie anzugreifen, und wilde Krieger, deren Giftpfeile Menschen binnen Sekunden töteten.

»Sie hatten einen Ort betreten, an dem die Bäume in den Himmel wuchsen und die Sonne auslöschten«, flüstert mein Großvater. »Dort marschierten sie in beständiger Dunkelheit. Moskitos und bissige Fliegen saugten ihnen das Blut aus. Der Dschungel mit seiner grünen Eintönigkeit trieb sie in den Wahnsinn, verhöhnte sie mit den Geräuschen von Tieren, die sie nie zu Gesicht bekamen, und mit Süßwassertümpeln, in denen Krankheiten lauerten. Hunger, Durst und Wahnsinn waren ihre einzigen Weggefährten. Sie erzählten von Schlangen, die ganze Männer verschlangen, von Spinnen, die Vögel fraßen – sogar von einem kochenden Fluss.«

»Die Stadt Paititi aber fanden sie nicht, und der Dschungel, von dem sie einst glaubten, er berge das irdische Paradies, erwies sich als lebende Hölle.«