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Kolumbien! Ein Land im politischen Zwiespalt! In diesen Schmelzofen der Gewalt, Korruption und Krieg, wird der frisch gebackene Konsul, André Hartmann, geschickt. Sein Vorgänger Dr. Weizmann ist verschwunden! Allein mit seiner Familie auf sich gestellt, nimmt er die Spur der Entführer auf und sucht einen diplomatischen Weg für Weizmanns Befreiung. Auch wenn er gegen seiner Überzeugung den Cali-Kartell, um Hilfe bitten muss.
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Seitenzahl: 437
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Das vorliegende Werk ist, auch wenn es auf Tatsachen basieren könnte, eine Fiktion. Figuren, Firmen, Organisationen und Behörden in diesem Roman sind entweder fiktiv oder, wenn real, in einem fiktiven Zusammenhang verwendet, ohne jede Absicht, ihr tatsächliches Verhalten zu beschreiben.
Prolog
Kapitel – Der neue Mann
Kapitel – Das Gutachten
Kapitel – Drogenkrieg
Kapitel – La Muerta – Der Tod
Im Schmelztiegel des Landes Kolumbien, lag die Stadt SAN JOSE del GUAVARE. Am gleichnamigen Fluss gelegen, bildete die Stadt den westlichen Grenzpunkt zwischen Toleranz und Intoleranz westlichen Einflusses. Hinter der Stadt fing unüberschaubares Brachland an und endete in einem tödlichen Dschungel, der sich bis zur Grenze Perus und darüber hinaus erstreckte. Ein Labyrinth, wo sich nur Einheimische und Bewohner des Dschungels auskannten.
Keine zweite Stadt war so heiß begehrt, wie San José. Auf der einen Seite stand die Rebellenarmee FARC, die immer wieder vom Dschungel her für Terror und Gewalt sorgte. Bereits in den 1960er gegründet und, seit 2013, eigentlich als aufgelöst geltend, sind nach wie vor treue Anhänger und Patrioten auf dem Pfad des Todes unterwegs. Um so mehr der westliche Lebensstandard in Kolumbien Einzug hält, um so mehr steigen die Mitglieder der FARC-Armee und ihrer Haupteinnahme-quelle, dem Entführen von ausländischen Personen. Vorzugsweise Amerikaner, da sie schon seit den 1970er Jahren einen Fuß durch Kolumbiens Hintertür, der Grenze von Panama her, zu be kommen.
Die USA ist das Hauptabnehmerland von Drogen. Kolumbien ist das Hauptanbaugebiet von Kokain. Es ist nur logisch, wenn auch durch späte Erkenntnis, moralisch fragwürdig, dass es jährlich zu Milliarden-Geschäfte zwischen beiden Staaten kommt. Seitens der Politik versuchte man das Drogen-Problem in bei den Staaten mit dem Programm „War of Drugs“ - Krieg gegen Drogen, in den Griff zu kriegen. In den 1970er nahm man, durch die Gründung der amerikanischen Drogenpolizei DEA, die ersten Drogen-Baro ne in Nicaragua fest. Richard Nixon, zu damaliger Zeit Präsident der Vereinigten Staaten, nutzte das Programm, um die Drogen von den Straßen fern zu halten. Vor allem aus den Armenvierteln der Schwarzen. Das gleiche Programm nutzte Jimmy Carter in den 1980er Jahren, um seine Population zu festigen. Erst durch den darauf folgenden Präsidenten Ronald Reagan säuberte man massiv Straßen und Hinterhöfe. Gegen die DEA und den Boarder-Einheiten an der Grenze zu Mexiko, setzten die Drogenbarone auf Zu sammenhalt und Stärke. Es entstanden die ersten Drogen-Kartelle. Zahlreiche Todesopfer gab es auf beide Seiten.
Durch die Zerschlagung der mexikanischen Kartelle, wie der Golf-Kartell oder Los Zeta, flüchteten Drogendealer, egal, wem sie angehörten, nach Kolumbien, um sich dort ihren Brüdern anzuschließen.
Zur gleichen Zeit, als der Golf-Kartell in Mexiko zerschlagen wurde, etablierte sich in Kolumbien der Medellin-Kartell, mit Pablo Escobar an der Spitze. Durch viele Gewaltaktionen gegen Polizei und Militär, ohne Rücksicht auf Verluste, nahm man unzählige Kollateralschäden in Kauf.
Diese harte Vorgehensweise hatte zur Folge, dass das Militär mit Sonderbefugnissen ausgestattet wurde. Sie übernahmen polizeiliche Aufgaben, wenn Not stand herrschte. Die Machtlosigkeit gegenüber der Brutalität des Medellin-Kartells schürte Hass und Gegengewalt. Auf den Straßen Bogotas und vor allem der Stadt Medellin, tobte der Krieg. Anschläge gegen Polizeiaperate, Justizgebäuden oder Regierungsbe amten waren an der Tagesordnung. Erst mit Escobars Tod 1993, befriedigte sich das Gebiet.
Zunehmend gewann die FARC und das Cali-Kartell an Bedeutung und Einfluss. Das Cali-Kartell übernahm Mitglieder des Medellin-Kartells und integrierte sie in ihrem System das Land zu unterwandern. Während sie die Regierung still und leise mit Bestechungsgeldern in zunehmend höheren Kreisen, beeinflussten, sah man in der FARC eine ernst zu nehmende Bedrohung. Vor allem bei Entführungen und Erpressungen, was unangenehme Folgen bei politischen Gesprächen mit anderen Nationen, hatte. Erst wenn die FARC befriedet sei, könnte man an erfolgreiche Verhandlun gen und Zusammenarbeiten mit anderen Regierun gen denken.
Immer mehr Staaten etablieren in der Hauptstadt von Kolumbien, Bogota, einen festen diplomatischen Sitz. Die Amerikaner haben zahlreiche diplomatische Vertretungen im Land, ebenso Engländer und Russen. Deutschland ist mit einer Botschaft in Bogota und vier Konsulatsgebäuden in den Städten, Cali, Barranquilla, Medellin und Cartagena, vertreten.
Einer der Konsulare war Helmut Weizmann, um die 50 Jahre alt, Halbglatze und ein Liebhaber von lateinamerikanischen, farbenfrohen Hemden. So traf man ihn vorwiegend im Konsulargebäude in Cali an, wenn er mal gerade nicht arbeitete. Neben der Überprüfung von Pass- und Dokumenten, war es seine Aufgabe, Verbindungen zur einheimischen Wirtschaft und potenziellen deutschen Wirtschafts-firmen Kontakt her zustellen. Kam ein Kontakt zustande, waren es für Weizmann ein paar Freunde mehr, die er dadurch gewonnen hatte. Denn, was Weizmann hier unten gelernt hatte, war es wichtig, dass man Freunde hatte. Freunde, die einem von Ärger abhalten oder aus einem Schlamassel herausholen konnten. Eine andere Methode war es, Gefahrvolle Situationen mit Geld zu erledigen. Aus diesem Grund hatte Weizmann immer einen Geldbündel unter seinem Strohhut und einem in seiner rechten Socke.
Als Witwer gab er sich abends und gelegentlich auch mal nachts, den Gewohnheiten einheimischer Nachtklubs und Bars hin. Er trank gern mal einen über den Durst, so lange es seiner Arbeit nicht schadete. War er Vormittags einmal blau, wie eine Haubitze, so öffnete er das Konsulat, was eh nur ein schmales Haus in einer Reihe schmaler Häuser war, erst am Nachmittag, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hatte.
Es kamen nur selten Deutsche vorbei. Und die wenigen, die sich hier her verirrten, waren gelegentlich mal deutsche Touristen, die hier und da eine Frage auf dem Herzen hatten. Genau genommen, hatte Helmut Weizmann viel Zeit. Zeit um mit seinen Freunden, den Finanzberater Bennedito Sanchez Golf zu spielen.
Er spielte lausig. Es war ein Wunder, dass seine Freunde ihn an das Tee zum Schlagen ließen. Er hatte ein großes Loch im Schwung. Die Griffhaltung war zu straff, als würde er mit einem Baseballschläger auf den kleinen Golfball dröschen. Sie spielten um Geld. Vielleicht war dies der Grund, dass sie ihn mitspielen ließen. Er war eine sichere Einnahmequelle. Weizmann störte dies nicht. Mit einer Zigarre im Mund genoss er die Zeit, sich so auszuleben. Gelegentlich macht Weizmann auch mit seinen Freunden Geschäfte, die ihm zu Vorteil reichen sollten. Meistens sagte er zu, nur beim letzten Angebot seines Freundes Bennedito Sanchez , zögert er noch bis heute. Dies ist auch der Grund, warum er in San José del Guavare war.
Die Nacht brach herein. Von den Straßencafés dran gen Samba-klänge ins Zimmer seines Hotels, welches er für wenige Nächte gebucht hatte. Weizmann war im Begriff zu gehen. Er stand vor einem Spiegel, richtete seine rote Krawatte, die optisch sehr gut zu seinem weißen Anzug passte. Er schlüpfte in die Schuhe, nahm seine Aktenmappe und verließ das Hotel zimmer, welches im vierten Stock lag.
Weizmann begab sich zum Fahrstuhl. Er drückte den Knopf und wartete. Er war kein Mann der schnell ungeduldig wurde und blieb einfach stehen. Nach und nach probierte er den Knopf erneut. Zunehmen verspürte er einen inneren Drang den Knopf durch mehrmaligem betätigen zu quälen. Doch der Fahrstuhl kam nicht. Mit einem tiefen Seufzer begab er sich ins Treppenhaus. Er ging gelassen die Treppen stufen hinunter und hielt sich dabei am Geländer fest. Vor ein paar Jahren hatte er sich mal den linken Knöchel beim Treppengehen angebrochen. Seit dem ist er vorsichtiger geworden.
Das Treppenhaus führte Weizmann in die Lobby. Nur wenige Gäste saßen in den ausgesessenen Ledersesseln, lasen Zeitung oder nahmen einen Drink zu sich. Mit schnellen Schritten begab er sich zum Concierge des kleinen Hotels. Er forderte die Rechnung und bezahlte prompt mit Bargeld. Ein Zahlungsmittel, was gern gesehen wurde. Kreditkarten oder gar internationale Visa-Karten funktionierten im Hinterland Kolumbiens so gut, wie gar nicht. In vielen Teilen des Landes gab es noch nicht einmal Elektrizität, geschweige ein Bankautomat. Und dann mussten die Bankautomaten mit der Kreditkarte kompatibel sein. Einheimische Banken lehnten weitestgehend eine Zusammenarbeit mit ausländischen Banken ab. Auch ist es für Ausländer erschwert, in Kolumbien ein Konto zu eröffnen. Dafür bedarf es ein Dokument, was den Banken einen Mittelsmann nannte, der die Glaubwürdigkeit und Liquidität des Kunden bestätigen konnte. Dass dieser Verbindungsmann dafür Geld bekam, könnte man auch als Bestechung eines Bankangestellten ansehen. Der Verbindungsmann konnte durchaus Ausländer sein, aber man bevorzugte doch Einheimische, die im Regen Kontakt mit der Bank standen.
Weizmann nahm seine Rechnung und verließ das Hotel. Auf dem Fußweg draußen, kamen ihm ein paar fröhliche Menschen, die sich zu den Samba-Klängen, gegenüber von der Straße, tanzend auf ihn zu bewegten. Es war eine kleine Gruppe, die auf dem Weg ins Hotel waren. Weizmann wollte nur zu seinem wagen. Er drängelte sich zwischen ihnen durch. An der Fahrertür blieb er stehen und klopfte seine Taschen ab. Er suchte die Autoschlüssel. Als er sie nicht fand, schaute er in seiner Aktenmappe nach. Ein Griff und er hatte sie in seiner Hand. Er schloss seinen Wagen, ein VW COMFORT COUPÉ, auf und setzte sich hinter das Steuer. Seine Aktenmappe legte er auf den Beifahrersitz und sein Handy steckte er in den Handyhalter. Er startet den Wagen und fährt in die Nacht.
Im Hotelzimmer hatte er sich noch ausgerechnet, dass er mindestens neun Stunden unterwegs sein würde, um nach Hause, in diesem Fall seine Wohnung, oberhalb der Büros des Deutschen Konsulats in Cali, zu kommen.
Er hatte noch nicht einmal die Stadtgrenze von San José erreicht und verspürte ein Gefühl der Langeweile. Zur Ablenkung schaltete er das Radio ein. Es liefen gerade Nachrichten. Das Übersetzen in die deutsche Sprache beschäftigte Weizmanns Gehirn und hielt ihn wach und lenkte ihn zeitgleich von anderen Gedanken ab. Gedanken, die ihn während der Fahrt zerfressen hätten. Für den Verlauf dieser Fahrt versuchte er sie zu vergessen, um sich konzentriert fort zubewegen.
Die Nachrichten wiederholten sich aller halbe Stunde. Erst kleine Nachrichten, dann große Nachrichten. Dominiert wurden sie heute von Polizeirazzia in Mitu. Eine Stadt an der Grenze zu Brasilien gelegen. Es wurden, laut Nachrichtensprecher eine Razzia in einem Lagerhaus eines brasilianischen Geschäftsmannes durchgeführt, wo man 300 Kilo gestrecktes Kokain in Wert von 16,48 Millionen beschlagnahmte.
Für Weizmann war es eine Meldung, wie jede andere auch. Das Land war übersät mit Drogen. Wen sollte es da verwundern, dass die Polizei gelegentlich welches fand. Nur die Brutalität, mit dem Polizisten manchmal vorgingen, wunderte ihn sehr. Der Begriff Menschlichkeit hatte genauso wenig Bedeutung wie Humanitäre Entwicklungshilfe. Männer, wie er und Frauen, die in gleichwertiger Weise mit Politik oder humanitären Organisationen, wie „Ärzte ohne Grenzen“, „Deutsche Welthungerhilfe“ oder „WHO“, zu tun haben , schauen nicht einfach weg oder geben auf. Sie sind es, die die Welt ein wenig verbessern und sich gegen den Welt der Mächtigen Drogenkartelle, Waffenlobbyisten und Pharma-Konzerne stellen, deren Zahlen und Statistiken mehr Wert sind, als ein Menschenleben. Sterben viele Menschen bei einer Unglück oder Anschlag, ist es eine Tragödie. Stirbt aber nur ein Mensch, ist es nur ein Zahl. Diese Sicht weise vermitteln hoch-angestellte Finanzhaie und Firmenbesitzer, die im Jahr Milliardenumsätze mit schmutzigen Geschäften machen.
Helmut Weizmann ist einer der Wenigen, die man als humanitärer Idealist bezeichnet. Er glaubt an das Gute im Menschen und dass sich jeder ändern kann, wenn er es wirklich will. Nach außen hin, schien er den Lebemann, der die Sonne Lateinamerikas auf sei ne Haut scheinen ließ, zu sein. Aber im Inneren verachtete er Geschäftemacher, die mit dem Tod anderer profitierten, um sich ein angenehmes Leben zu machen. In ihren Augen konnte Weizmann die Verachtung der Armen und Hilflosen erkennen.
Jeder ist sich selbst der Nächste. Dies galt zumindest für ein gewissen Teil der Bevölkerung. Jene Schicht die in heruntergekommenen Slums hausten, auf Straßen betteln gingen und Erwerbstätigen wertvolle Gegenstände, wie Handtaschen, Handys oder Uhren entwendeten, um daraus Geld machen zu können. Wenn der Staat einem nicht mehr helfen konnte, sich aber auch nicht mit Drogen oder Waffen einlassen wollte, blieb einem nur das Leben im Dreck.
Jede kolumbianische Stadt hatte ein Gebiet, meist abseits gelegen, die man Slums nannte. Die Reichen mieden diese Gegenden, ebenso die Polizei. Aber diese Müllhalden an den Stadtgrenzen, waren lukrativ für die ansässigen Drogenbarone, die von der Sucht der Dahinvegetierenden sich eine goldene Nase verdienten.
Weizmann gingen mehrere Gedanken durch den Kopf, als die Nachrichten schon längst beendet waren und wieder Musik ertönte. Der Himmel ergoss sich aus Eimern. Ein einheimischer Priester, den Weizmann vor einigen Wochen bei einem Sonntags-Gottesdienst kennen gelernt hatte, sagte einmal; „Gott weint, wenn er sieht, wie seine Schöpfung sich durch Drogen selbst tötet!“
Helmut Weizmann ging dieses Zitat, seit dem er es gehört hatte, nicht mehr aus dem Sinn. Und immer wenn es anfing mit Regnen, so wie in diesem Augen blick, dachte er an diese Worte. Ein gewissen Maß an Wahrheit vermag in den Worten liegen. Doch warum hat dann Gott Kokainpflanzen erschaffen, wenn nicht zum konsumieren?
Solche Argumente peitschten von Fürsprecher zu Widersacher und umgekehrt. Vor allem von Politikern die sich im Rahmen der Drogenpolitik einen Namen machen wollten, kamen immer wieder Kampfansagen gegen die Drogenkartelle. Doch sie verstummten schnell und landeten auf Todeslisten. Erst wurden sie eingeschüchtert, durch Bedrohen der Familienange hörigen und das Beenden ihres eigenen Lebens, dann kann es dazu kommen dass sie unerwartet, bei einer Rede auf einem öffentlichem Platz oder dem Betreten des Parlamentshauses in Bogota erschossen oder in die Luft gesprengt werden. Diese Methoden sind an der Tagesordnung, wenn man sich für eine Karriere im politischen Umfeld oder sich für einen höheren Posten im Justizministerium anstrebt.
Die Scheibenwischer schwangen sich von der einen Seite zur anderen. Befreiten die Windschutzscheibe für ein paar Sekunden von Regentropfen. Dann schwangen sie sich wieder hinüber.
Weizmann zündete sich eine Zigarette an. Der Verkehr war ruhig. Vor ihm befand sich auf freier Strecke kein Fahrzeug. Es war für ihn kein Risiko sich Eine anzustecken. Genüsslich inhalierte er den ersten Zug ein und wirkte sehr erleichtert. Die Straße erlaubte es, dass er sein Fernlicht einschaltete. Dadurch konnte er frühzeitig Hindernisse auf der Fahrbahn erkennen. Ähnlich, wie in Afrika, wo er einmal für drei Jahre als Konsul tätig war, konnte es passieren, dass an den Straßenrändern Einheimische aus dem Nichts auftauchten und eine potenzielle Gefahr darstellten.
Ebenso gefährlich war es, am Steuer zu telefonieren. Die Behörden hatten keine Regelung, was das Telefonieren während des Fahrens verbot. Wer damit umgehen konnte, tat es, wer nicht damit zu Recht kam, ließ es bleiben. Diese Entscheidung traf jeder für sich allein. Weizmann telefonierte gelegentlich. Besonders wenn er weite Strecken mit dem Wagen zurück legte, so wie in dieser Nacht. Es lenkte ihn ab und verhinderte, dass er sich im Prozess eines Sekundenschlafs wieder fand. Es kam schon mal vor, dass seine Augen sich vor Müdigkeit schlossen und er sie wieder blitzartig aufschlug und gleichzeitig einen Schlenker auf der Straße fuhr. In zeitlichen Abständen pausierte er auf freien Tankstellen an den Strecken. Er tankte eine halbe Stunde Tiefschlaf und fuhr etwas ausgeruht weiter. Immerhin hatte er über sechshundert Kilometer zurückzulegen, was auch an seinen Nerven zeterte.
Er kam an ein Schild, welches die Stadt NEIVA aus wies und die innere Landesgrenze zum Staatsgebiet HUILA, bekannt gab, vorbei. Die Hälfte der Strecke hatte er hinter sich. Die zweite Hälfte noch vor sich. Doch eine Straßenbaustelle blockierte plötzlich seine reibungslose Fahrt. Flutlichter erhellten das Stück Straße und machten einen großen Bulldozer im Silhouetten-Stil erkennbar.
Ein Bauarbeiter mit orangefarbener Neon-Weste und Warnflaggen, stellte sich auf die Fahrbahn und winkte Weizmann ab, so dass dieser anhalten musste, als er auf ihn zu ging. Immer näher kam der Bauarbeiter auf seinen Wagen zugelaufen. Währenddessen scherte ein Bagger auf die zweite Fahrspur und blockierte die Straße für den Verkehr von der anderen Seite.
Plötzlich blieb der Bagger neben dem Bulldozer stehen. Der Fahrer stieg ab, nahm etwas vom Sitz mit herunter und ging nun ebenfalls auf Weizmanns Wagen zu.
Helmut blickte in das Gesicht des Bauarbeiters. Es war mit einer veralteten Narbe versehen. Die Augen schmal und bedrohlich. Am Handgelenk bemerkte Weizmann ein Sternförmiges Tattoo. Langsam begriff er, was hier gespielt wurde. Schnell legte er den Rückwärtsgang ein und fuhr rückwärts los. Schweißperlen rannen über seine Stirn. Der Bauarbeiter zog eine Waffe hinter seinem Rücken vor, feuerte auf den Reifen. Die Luft wich in Sekundenschnelle heraus. Weizmann fuhr auf Felge, kam aber nicht weit. Er schleuderte mit seinem Wagen auf eine Wiese, die sich auf der rechten Seite der Fahrbahn befand.
Der zweite Bauarbeiter hielt seine Uzzi vor sich und feuerte. Er spuckte seine Kugeln auf den Grill und die Motorhaube des Wagens. Der Motorblock kochte und zischte plötzlich. Heißer Dampf schoss aus den Einschusslöchern heraus.
Weizmann verriegelte seine Tür. Er blickte die Männer an, die wieder auf seinem Wagen zugelaufen kamen. Ein Gesicht glicht dem anderen. Derselbe fanatische Ausdruck in den Augen, was ihm eine tief sitzende Angst einjagte. Sollte er den tapferen Mann spielen? In seinem Alter? Andere konnten schon mal einen Herzinfarkt erleiden, aber ihnen blieb die Erfahrung geknechtet zu werden erspart. Im Inneren wusste Weizmann, was die Stunde geschlagen hatte und wann er aufgeben musste. Er war kein Kämpfer, konnte nicht mal mit einem Klappmesser oder einer Handgranate umgehen. Er war Pazifist. Er verabscheute Waffen und hatte sehr viel Respekt vor dem Schaden, die sie verursachen konnten.
Weizmann blickte aus seinem Fahrerfenster, direkt in die Mündung eines 38er Revolvers. Er entriegelt die Tür und öffnete sie. Langsam stieg er aus, hielt aber gleichzeitig seine Hände hinter seinem Kopf. Er ergab sich der Übermacht. Nach wenigen Schritten spürte er einen Tritt in seinen Knien. Ein unfreundliches Zeichen, dass er sich hinknien sollte. Die Bauarbeiter zogen ihre Warnwesten aus und schmissen sie in Weizmanns Wagen hinein. Einer von ihnen pfiff laut stark und winkte mit seiner rechten Hand jemanden herbei.
Weizmann blickte langsam auf. Aus einer Böschung heraus kam ein älterer LKW mit offener Pritsche rückwärts angefahren. Vier weitere Männer sprangen ab. Diese trugen dunkle Tarnuniformen. Einer von ihnen ging rasch auf Weizmann zu, nahm seine AK47, die lässig an seinem Körper hing und hielt die Mündung an seinen Kopf.
Er wirkte aufbrausend, wollte etwas wissen, doch Weizmann verstand die frage nicht, die er ihm auf Spanisch zu brüllte. Er verlor die Geduld. Er drehte seine AK47 herum und schlug Weizmann mit dem harten Holzkolben. Weizmann©s Oberkörper sackt seitlich zu Boden.
Zwei der bewaffneten Männer, schleiften ihn, unter den Achseln fest im Griff, zum LKW und hoben ihn auf die Pritsche hoch. Ein Mann kletterte auf die Pritsche, fesselte und knebelte Weizmann. Er legte ihn in halbsitzender Position und stülpte ihm zur Sicherheit eine Ski-Maske über, für den Fall, dass er aufwachen würde.
Mit einem lässigen Wurf flog eine scharf gemachte Granate durch die Scheibe des Fahrerfensters. Der Soldat, der sie geworfen hatte, ging gelassen zum LKW. In dieser Sekunde explodierte der Wagen. Er stieg auf, blickte zum Feuerball und genoss die Fahrt durch den Dschungel. Bei seinen Kameraden schien eine Art Erleichterung spürbar zu sein, da sie wieder sich wieder etwas ausgelassener unterhielten. Das ungemütliche Schaukeln tat ihrer Stimmung kein Abbruch.
Die Luft roch nach positiver Nervosität. Alle waren angespannt. Die Absolventen, es waren um die fünfzig Personen, saßen in Reihe und Glied und warteten darauf, dass ihre Ernennung in den diplomatischen Dienst durchgeführt wird. Hinter ihnen saßen Angehörige. Omas, die mit ihrem Enkel der Mama zu winkten oder eine Verlobte, die den Wunsch hegte eines dieser männlichen Exemplare vor ihr, zu heiraten. In den Reihen befand sich auch André Hartmann. Ein gut aussehender Mann um die 32 Jahre , der nach außen hin sehr ruhig und souverän wirkte, sich Nichts anmerken ließ. Im Inneren war er genauso unruhig, wie seine Studienkameraden, seine zukünftigen Kollegen. Sein Herz schlug schneller, sein Puls raste und sein Magen schien eine heiße Rumba hin zu legen.
Den Meisten war es zum Feiern zu mute. Sicherlich würden sie nach der Zeremonie eine flotte Sohle aufs Parkett legen, so bald sie ein abgelegenes Restaurant betreten hätten. Hartmann war da anders. Er freute sich über das was er erreicht hatte. Aber er würde anders feiern. Ein gemütliches Essen mit seiner Frau Renate und seinen beiden Kindern Sophia und Lukas, die ebenfalls in den hinteren Reihen saßen und sich etwas ungeduldig hin und her bewegten. Nach der Zeit zu urteilen, hätte man längst mit der Zeremonie beginnen sollen. Doch irgendetwas verzögerte das Ganze.
Hartmann war es inzwischen gewohnt, alles auf sich zukommen zu lassen, Geduld zu zeigen. Er hätte ohnehin nichts ändern können, wenn er seinen Unmut über die Verzögerung zum Ausdruck gebracht hätte.
Plötzlich erwischt ihn ein kleiner Schweißausbruch. Es lag nicht daran, dass seine Hormone verrückt spielten, vielmehr dass er eine Fliege um seinem Hals trug. Renate hatte sie ihm gebunden. Dafür hatte André einfach nicht das richtige Händchen. Er war eher ein Liebhaber von Krawatten, die er nur einmal bin den und anschließend beim Zweitgebrauch einfach über den Kopf streifen brauchte. Er griff plötzlich zu seiner Fliege, quetschte seine Finger zwischen Stoff und Haus hinein, als würde er für dringenden Sauerstoff sorgen.
Sein Blick wanderte von einem Kameraden zum anderen. Auch zu seiner Frau wandte sich seine Augen. Er erhob sich, versuchte seine ruhige Haltung zu bewahren und begab sich mit schnellen Schritten zur Herrentoilette. Er öffnete die Tür, ließ einen Mann, der ebenfalls eine Anzug trug erst heraus, bevor er seinen ersten Schritt hineinsetzte. Er schloss die Tür hinter sich und begab sich zu den Waschbecken. Er lockerte die Fliege enorm, war dabei am überlegen, ob er sie weg lassen sollte. Er blickt sich im Spiegel an und fand, dass er ohne Fliege besser aussah. Auch wenn er später von seiner Frau Renate ein paar Worte hören würde. In diesem Moment war es ihm egal. Er musste sich in dem Anzug wohlfühlen und nicht seine Frau. Er war ohnehin ein Mensch der andere nicht nach dem Äußeren beurteilte. Der größte Schweinehund konnte aussehen, wie ein James Bond, dennoch blieb er ein Schweinehund. Und ein Mann mit schäbigem Anzug, den jeder zu meiden versuchen würde, sich aber für seine Mitmenschen einsetzte und als barmherziger Engel bezeichnet wird, könnte die Sinneswahrnehmung der Augen immens stören. Der Anzug macht keinen besseren Menschen, der Charakter schon. Dass ist es, was André Hartmann die fünf Jahre auf der Akademie für Diplomatische Dienste gelernt hatte.
André wusste auch, dass nicht jeder so denken würde, wie er, dass verlangte er auch nicht. Aber er hoffte, dass man seine Ansichten respektierte, so wie er die Meinungen seiner Mitmenschen akzeptierte. Er musste sie nicht gut heißen, aber anhören und respektieren konnte er sie. André verstaute seine Fliege in die Außentasche seines Anzugs, warf sich etwas Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab, setzte einen prüfenden Blick im Spiegel ab und begab sich wieder zu den geladenen Gästen des Auswärtigen Amtes.
Ein langer Gang führte wieder vor zur Empfangshalle. Vor einer Stunde betrat André mit seiner Familie das Gebäude und lief über die hellbraunen Marmorplatten, die unter dem grellen Licht der Deckenbeleuchtung, wie goldglänzender und königlicher Belag aus sah. André konnte den Empfangstresen sehen und die junge Dame, die ihn den Weg zum Veranstaltungsraum beschrieben hatte. Sie schrieb gerade eine SMS. An ihrem Lächeln konnte André erkennen, dass es eine Nachricht an ihren Freund war, da sie weder einen Verlobungsring oder einen Ring an ihrem rechten Ringfinger trug. Demzufolge war sie nicht verheiratet.
Es waren die kleinen Dinge, die André sich gut einprägen konnte. Eine Fähigkeit, die er auch bei der Polizei hätte einbringen können.
Seine Eltern. Die in Torgau geboren wurden und noch heute leben, konnten ihrem Sohn André eine gehobenere Schulbildung bieten. André hätte alles werden können, was nicht mit körperlicher Arbeit zu tun hatte. In den Augen seines Vaters standen nur wenige Be rufe zur Auswahl. Chirurg, Jurist oder Politik. André entschied sich für Politik und studierte Politwissenschaften in Berlin, wo er seine Frau Renate kennen lernte.
Voller Ideale und inneren Drang die Welt aus den Angeln zu heben, paukten sie gemeinsam und lernten sich lieben. Sie zogen zusammen, was Andrés Vater sehr missfiel. Zwei Jahre später wurde Lukas geboren. Renate brach ihr Studium ab, um sich um ihren gemeinsamen Sohn zu kümmern. Nach Abschluss seines Studiums, arbeitete André für die National-Bibliothek, die sich ebenfalls im Gebäude des Auswärtigen Amtes befand. Hier konnte er einige Kontakte knüpfen und frühere Akademie-Abgänger kennen lernen. Durch diese Kontakte und seinem Eifer, an gelte er sich eines der begehrten Ausbildungsplätze an den renommierten Akademie, die für jeden das Sprungbrett einer Karriere im diplomatischen Dienst darstellte.
In wenigen Minuten war es so weit. André lief zu dem Glaskasten und betrat ihn. Hinter ihm liefen einige Männer und Frauen, die den gleichen Weg hatten, wie er. André nahm an seinem Platz Aufstellung.
Ein etwas kleinerer Mann, als André es war, bestieg eilig eine kleinen Podest. Es waren nur drei Stufen, die er mit zwei Schritten erklommen hatte. Er stellte sich mit einem seiner Mitarbeiter neben Direktor Karl-Heinz Horowitz, der ihn ankündigte.
„Erheben Sie sich! Es spricht zu Ihnen , Außenminister Clemens!“
Die Absolventen und ihre Angehörigen applaudierten kurz, nahmen wieder platz, um die Worte des Außenministers zu lauschen.
„Herzlich Willkommen, meine Damen und Herren! Für Sie alle war es ein schwerer Weg, den Sie zurück legen mussten. Doch Sie alle verbindet etwas. Das Ziel, welches Sie mit heutigem Tag erreicht haben. Ich darf Ihnen allen mitteilen, dass Sie die Prüfung für den diplomatischen Dienst bestanden haben. Sicherlich hat der Eine oder Andere unter Ihnen bereits einige Vorstellungen, wo er arbeiten wird. Lassen Sie mich dazu nur so viel sagen; Geben Sie uns etwas Zeit, um Sie alle zu integrieren. Direktor.“
Clemens schien kurz angebunden zu sein. André fragte sich insgeheim, wie er die Zeit fand, hier eine kurze Rede zu halten. Sicherlich würde sein Terminkalender bis zum Abend voll sein. Aber sein Auftauchen gab der Veranstaltung eine besondere Note, die sicherlich nicht jeder seinen Kindern erzählen konnte.
Direktor Horowitz bedankte sich mit einem kurzen Nicken und stellte sich wieder an das Podium heran.
So schnell, wie Außenminister Clemens gekommen war, so schneller verschwand er auch wieder. Da sich nun alle Augen auf Direktor Horowitz kontrollierten, hatte es kaum einer bemerkt, dass er verschwunden war.
„Sie haben den Außenminister gehört! Da muss ja et was an dem Gerücht dran sein!“, versuchte Horowitz die Anwesenden zu erheitern. Ein leichtes Gelächter brach aus und es schien so, als hätte Horowitz mit seinen wenigen Worten das Eis gebrochen.
„Ich werde jetzt Ihre Namen verlesen. Wenn Sie ihren Namen hören, kommen Sie vor und nehmen Ihre Urkunde im Empfang. Nach der Verlesung lade ich Sie alle zum Sektempfang ein. Frau Sonja Alm, ... Herr Ewald Balser, ... Herr Ludwig Böhm, ... Frau Marlene Diekhoff, ...Herr Klaus Fellner, ... Herr André Hartmann.“
Alle sechs Personen begaben sich vor auf das Podium, wo ihnen Horowitz mit einem Händedruck gratulierte und ihnen eine Papierrolle mit einer feierlichen Schleife überreichte.
Die Absolventen nahmen ihre Urkunden in Empfang. Angehörige machten Fotos und sie verließen wieder das Podium mit einem überschwänglichen Lächeln der Freude, es endlich geschafft zu haben,
André nahm wieder auf seinem Stuhl platz. Er blickte nach hinten zu seiner Frau und seinen Kindern. Er hielt seine Urkunde hoch. Innerlich freute er sich so sehr, dass er es geschafft hatte. Renate warf ihn einen Handkuss zu, den André auffing und durch seine Finger an seinen Mund hielt.
Direktor Horowitz forderte weitere Kandidaten auf, ihre Urkunde abzuholen.
„Frau Anna Warbung und zu guter Letzt Herr Erich Zeisel.“
Beide begaben sich zu Horowitz und nahmen ihre Urkunden in Empfang. Rasch verließen sie das Podium wieder und nahmen platz.
„Wenn ich Sie nun alle in den Speisesaal bitten dürfte?“, forderte er die Gäste auf.
Sie alle erhoben sich und folgten Horowitz in den Nachbarraum, der sich als ein riesiger Saal mir runden Tischen und Kronleuchtern entpuppte. Eine gedeckte Tafel mit warmen Speisen und kalten Getränken lud zum ausgiebigen Feiern ein. Sektgläser klirrten, beim Anstoßen und Zuprosten innerhalb kleiner gebildeten Grüppchen.
Direktor Horowitz stieg auf einen Stuhl. In seiner Hand hielt er sein Sektglas. Mit einer Gabel klopfte er sachte daran, was alle Anwesenden wahrnahmen. Es wurde still.
„Auf die Abschlussklasse 2016!“, prostete der Direktor seinen ehemaligen Studenten zu und stieg vom Stuhl.
Sie stießen wieder aneinander und jeder nahm ein Schluck. Bis auf die Kinder, die Orangensaft in ihren Sektgläsern hatten.
André stieß mit seinen Kindern, Sophia und Lukas an. Er gab ihnen einen Kuss auf die Wange und kräuselte ihnen durchs Haar. Er stieß auch mit Renate an. Beide nahmen einen Schluck zu sich und gaben sich einen Kuss.
André bemerkte seine Freunde, dass sie alleine und verloren aussahen. Wie an einer Bushaltestelle, be stellt und nicht abgeholt.
„Entschuldige mich!“, bat er Renate und ging wenige Schritte zu ihnen. Er gesellte sich in ihre Runde.
Anna Warburg war etwas jünger als André. Er sah sie immer als junges Küken an, weil er sie in manchem Fach unterstütze. Es gab eine zeit, da hatte sich Anna in ihn verliebt. Doch nach einem ernsten Gespräch, blieben sie gute Freunde. Es ging so weit, dass sie gelegentlich als Babysitter für Sophia und Lukas ein sprang. Gelegentlich kam sie auch mal am Wochen ende, um mit den Kindern auf den Rummel zu gehen, während Renate und André dabei waren. Auch wenn Anna ihn immer noch mit verliebten Augen ansah und ihn anhimmelte, wusste sie genau, dass André nie etwas mit ihr anfangen würde, so lange er verheiratet war und seine Kinder hatte.
„Hast du dir schon Gedanken gemacht, wo du eingesetzt werden wirst?“, fragte Anna neugierig.
„Als wenn ich darauf ein Einfluss hätte. Man steckt uns da hin, wo wir gebraucht werden. In der Regel ist es mir egal. Man muss überall seinen Mann stehen ... und seine Frau!“, erwiderte er und stellte dadurch eine nüchterne Tatsache in den Raum.
Sie prosteten sich gegenseitig zu. Anna verließ die Gruppe und begab sich zu Renate und den Kindern. Sie ging in die Hocke, um mit ihnen auf Augenhöhe zu sprechen.
„Seid ihr denn noch nicht müde?“, fragte sie.
Lukas schüttelte den Kopf.
„Ich halte bis Mitternacht durch!“, gab Lukas ihr zu verstehen.
Anna stieß ihr Glas mit Lukas zusammen. Lukas trank, leerte sein Glas aus.
„Und du Sophia? Hältst du auch so lange aus?“
Sophia begann plötzlich zu gähnen.
„Da ist ja jemand sehr müde!“, stellte Anna fest.
Sophia rieb sich die Augen und versteckte sich hinter die Beine ihrer Mutter.
Renate stellt ihr Sektglas ab und nahm Sophia auf ihren Arm.
„Wir sollten uns auf den Weg machen, André!“, rief sie ihrem Mann hinüber.
„Es war schön euch alle mal wieder zu sehen! Ich hoffe es wird nicht lange dauern, bis wir uns wieder treffen! Anna, Klaus, Sonja! Ich wünsche Euch eine gute Nacht!“
Renate blickte zu Lukas hinunter.
„Komm Lukas! Wir gehen!“, teilte sie ihm mit. Er folgte ihr zum Ausgang. André leerte den Rest seines Sektglases und folgte seiner Frau und den Kindern zum Ausgang.
Draußen wehte ein frischer Wind. Allen jagte ein kurz er Kälteschauer durch die Kleidung. André hob seinen Arm und winkte sich ein Taxi heran, dass auch prompt vor dem Eingang des Auswärtigen Amtes hielt.
Sie stiegen rasch ein und schlossen die Fahrzeugtüren.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte der Taxifahrer und stellte so gleich seinen Taxameter ein.
„Kaiserin Augusta Allee 86, bitte!“, teilte ihm Renate mit. André, der vorn neben dem Fahrer saß, schnallte sich an. Er blickt nach hinten und sah, dass Sophia bereits halb schlafend auf Renates Schoß lag. Lukas blickte aus dem Fenster. Für ihn, war dieser Abend ein reines Abenteuer.
Renate strich Sophia durchs Haar. Dadurch schlief sie schneller ein, während der Fahrer Kurs auf die angegebene Adresse nahm und Familie Hartmann nach Hause fuhr.
Viele kleine Pfade führten durch unwegsames Dickicht und bis zu einem bestimmten Punkt konnte man nicht mehr mit motorisierter Unterstützung weiterkommen. Da galt es seine Beine in die Hand zu nehmen und zu marschieren.
In diesem Gebiet konnte nicht mal ein Langstreckenläufer durchhalten. Undurchdringliches Gestrüpp auf beiden Seiten musste man schon mit dem Schlag einer Machete entfernen. Es waren nicht nur die Pflanzen die einen verschlingen konnten, auch der Verstand vermochte einen Streich der Sinne zu spielen. So sehr, dass man verrückt wurde und Amok lief, wenn man keinen Führer hatte, der sich in diesem grünen Isotop auskannte.
Der Pritschen-LKW hatte gestoppt. Die Rebellen-Soldaten mit dem Emblem der FARC sprangen ab. Helmut Weizmann inzwischen wach geworden, war wie der ansprechbar und reagierte auf jede unsachliche Berührung. Da er nichts sehen konnte, hoffte er, dass ihm nicht noch Schlimmeres zustoßen würde, als es ohnehin schon der Fall war. Er wurde zum Ende der Ladefläche gestoßen. Zögerlich tippelte er vor sich her. Ein zweiter Schupser vom Soldaten hinter ihm und er stürzte von der Ladefläche zu Boden. Er landete auf seiner rechten Schulter und stieß einen unsagbaren innerlichen Schrei aus. Nach außen hin klang es, wie ein langes Brummen.
Ohne eine Geste des Bedauerns, wurde Weizmann auf seine Beine gestellt und zum Laufen animiert. Sei ne Hände wurden von hinten nach vorne gebunden. Ein Seil befand sich um seine Handgelenke, dass sich immer weiter zuschnürte, sobald jemand am Ende des Seiles zog. Und dafür würde schon jemand sorgen, sobald seine Füße schwach werden würden. Er vor Schmerzen nicht mehr einen Fuß vor dem anderen setzen konnte.
Weizmann bekam vieles mit. Er versuchte Gespräche mitzuhören. Ihren Sinn zu verstehen. Ein Wort zu erhaschen, was seine Entführung erklären würde. Doch die Soldaten unterhielten sich über Belangloses, wie Fußball oder ob es im Camp mal wieder warmes Wasser geben würde, weil man es satt hatte sich immer nur mit eiskaltem Wasser zu waschen.
Wie viel Kilometer er gelaufen war, vermochte Weizmann nicht einmal mehr einzuschätzen. Nach seinem Gefühl waren es hunderte von Kilometern. Seine Muskeln brannten, drohten zu überhitzen. Seine Fußsohlen schienen barfuß über den heißesten Wüstensand der Erde zu laufen. Und sein Körper war so sehr verschwitzt, dass man glauben könnte, er wäre eine Wasserrutsche herunter geschlittert. Seine Harre waren klitschnass, als stünde er unter der Dusche und sein Anzug, der ihn als seriösen Mann aussehen ließ, wirkte wie ein Abfallprodukt einer Mülldeponie. Verdreckt mit Schlamm auf der einen Seite und grüne Flecke vom Dschungelgras auf der anderen Seite.
Ohne eine Geste des Bedauerns, wurde Weizmann auf seine Beide gestellt und zum Laufen animiert. Sei ne Hände wurden von hinten nach vorne gebunden. Ein Seil befand sich um seine Handgelenke, dass sich immer weiter zuschnürte, sobald jemand am Ende des Seiles zog. Und dafür würde schon jemand sorgen, sobald seine Füße schwach werden würden. Er vor Schmerzen nicht mehr einen Fuß vor dem anderen setzen konnte.
Man hätte ihm auch gleiche eine Kugel in die Brust schießen können. Warum haben sie ihn nicht er schossen! Seine Entführung musste irgendetwas mit dem zu tun haben, was er vermutlich gesehen oder getan hatte. Doch Weizmann konnte sich an Nichts erinnern, was die FARC verärgert hätte. Dafür war er als einfacher Konsul ein unsichtbares Objekt ohne Wert für den Befreiungskampf der FARC. Auch fühlte er sich als kleines Licht, für die seine Regierung nie einen Cent zahlen würde. Dafür war er zu Bedeutungslos als Person. Seinen Tod hätte man vielleicht kurz in den deutschen Medien erwähnt und bedauert, und möglicherweise hätten sich Frauen und Männer gefunden, die er nie in seinem Leben kennen gelernt hatte, die sich zu seinem Tod äußerten und Gelder als Entführungs- oder FARC-Experten ausgaben. Es wären Personen gewesen, die nie ein Fuß in Kolumbien gesetzt hatten und dennoch das Image eines Beraters aufrecht erhalten, um der deutschen Bevölkerung einmal mehr vor Augen zu halten, dass die Welt in der wir leben nicht nur Sonnenseiten sondern vermehrt Schattenseiten des menschlichen Zusammenlebens aufwiesen.
Weizmann erinnerte sich einige Jahre zuvor an ein ähnliches Szenario, als in den Medien über entführte Opfer berichtet wurde, die von einer amerikanischen Öl-Plattform bei Landurlaub verschwanden. So weit er noch wusste, schaltete die amerikanische Öl-Gesellschaft eine Versicherungsgesellschaft in London ein. Diese Art Versicherung sah eine diplomatische aber auch eine gleichzeitige Gewalt bereite Lösung vor. Diese Art Versicherung wurde vor wenigen Jahren abgeschafft. Firmen sahen eher eine Chance auf diplomatischem Wege eigene Firmenangestellte frei zu bekommen.
Dass Weizmann jemals befreit werden würde, hielt er in seinen Augen für unmöglich. Er war Deutscher und kein Amerikaner. Dass sagte schon alles. Auch wenn es so ein Versuch geben würde, wären die Soldaten der Bundeswehr weit unterlegen. Sie hätten alle Nachteile auf ihrer Seite. Verändertes Klima, uneinsehbares und unbekanntes Gelände, keine Erfahrung im Guerilla-Krieg, geschweige denn Taktik dieser Kriegsführung, Sie kannten den Gegner und deren Tradition nicht, und erst Recht nicht die Stärke des Gegners. Es wäre wahrscheinlicher, dass mehr Bundeswehrsoldaten ihr Leben lassen würden. Vom logischen her, würde kein General seine Soldaten in eine Schlacht ziehen, für nur ein Menschenleben.
Seine Angst kam wieder, als er über eine unsichere Hängebrücke über einen reißenden Fluss geführt wurde. Krampfhaft klammerte er sich mit beiden Händen am gespannten Seil. Für die Überquerung nahm man ihm die Skimaske vom Gesicht. Weizmann bekam fast eine Panikattacke. Solch einer Stresssituation wurde er noch nie in seinem Leben ausgesetzt. Nicht einmal als Streich von seinen Freunden zu Studienzeiten.
Von seinen Peinigern wurde er von hinten und vorn angeschrien, dass er sich beeilen und zügig die Holzbretter überqueren soll. Weizmann bemerkte, dass hier und da ein Brett fehlte. Vermutlich als jemand seinen Halt verlor und in die Fluten stürzte. Das Rauschen des Wassers beruhigte ihn diesem Fall nicht. Im Gegenteil, es brachte sein Blut in Wallung und hinderte förmlich daran, seine Füße zu bewegen. Nur durch leichte Handschläge auf seinen Rücken, wurde er wie ein Tier zum Schlachtfest getrieben.
Die Fluten unter ihm preschten gegen kleine Felsformationen und schäumte an ihnen auf. Ein paar Stromschnellen schossen das Wasser von der Quelle hinunter in die Ebene, wo der Fluss VAUPÉS ruhiger wurde. Weizmann wusste nicht genau, wo er sich be fand. Er hatte nur zwei Flüsse zur Auswahl. Vaupés, der nach Brasilien übertrat oder den Fluss GUAVIARE der seine Bahnen in Richtung Venezuela zog. Zwischen beiden Flüssen erstreckte sich das Einzugsgebiet der FARC. Demzufolge, musste er sich dazwischen oder an Flussgrenze sich befinden. Für Weizmann war es ein kleiner Orientierungspunkt. Für die Rebellen ein Fluss der das Leben im Dschungel ermöglichte.
Mit rasendem Herzen und kaum messbarem Puls hatte Weizmann die Hängebrücke überquert. Mit einer kurzen Verschnaufpause wurde Weizmann be lohnt. Während seiner Atemzüge blickte er in die Gesichter der Rebellen. Sie waren alle erschöpft, auch wenn sie dieses Klima und diese Umgebung gewohnt waren. Kurzerhand wurde Weizmann wieder die Ski-Maske übergezogen. Mit schüttelnden Kopf wehrte er sich dagegen. In seinen Augen erschien diese Aktion unnötig zu sein. Er konnte nicht schreien, da er immer noch geknebelt war und er konnte nicht weg laufen, weil er sich im Labyrinth des Dschungel verirren würde und mit Sicherheit hätte er keine zehn Meter geschafft ohne eine Kugel im Rücken zu haben. Ein anderer Rebellen-Soldat schlug Weizmann in den Magen. Er krümmte sich, hielt seine gebundenen Hände vor seinen Bauch. Seine Muskulatur war in diesem Augenblick angespannt um den Schmerz zu kompensieren. In diesem Augenblick zog der andere Soldat Weizmann die Skimaske über. Er wurde wie der auf seine Füße gezogen und über den nächsten Pfad ins Nichts des Dschungels gezerrt.
Miguel Fuentes, Capitano der kolumbianischen Polizei, hatte seit geraumer Zeit die Stadt NEIVA in seine Zuständigkeit bekommen. Er vertrat einen Kollegen, der sich für längere Zeit in Urlaub befand. Fuentes hatte Glatze und glich einem Preisboxer im Mittel schwergewicht. Ein recht ansehnliches Gesicht und sicheres Auftreten. Ihm konnte man von Anhieb den Boxer oder den Polizisten abkaufen, wen man ihn vor sich stehen hatte. Mit 1.80 war er relativ groß, für einen Kolumbianer und musste schon als Kind Häm und Spott über sich ergehen lassen. Heute lachte keiner mehr, wenn er nicht im Knast zu den Halbstarken Messerstecher und Drogendealer wollte.
Auch nach Kolumbien kam das amerikanische Fernsehen. Besonders alte Serien wurden gerne gesehen. Serien, wie Kojak mit dem Lolli kauenden Polizisten, der von Telly Savallas verkörpert wurde. Seit diese Serie in der Straße, wo Capitano Fuentes wohnte, gesehen wurde, hatte er seinen Spitznamen weg. „KOJAK von CALI“ wurde er gerufen.
Cali war eine Stadt, die weiter nördlich lag als Neiva. Sein eigentlicher Arbeitskreis.
Am frühen Morgen des Tages wurde er von seinem Frühstückstisch geholt und direkt zur Unfallstelle gerufen. Nun fuhr er, mit einigen seiner Kollegen von Neiva die Straße entlang, wo sich ein gewaltiger Stau entwickelt hatte. Als sie auf der Straße nicht mehr voran kamen, führen sie einfach auf flacher Grasebene weiter.
Es dauerte nicht lange und sie befanden sich an der Baustelle, die den Stau verursacht hatte. Auch auf der anderen Seite dieser Baustelle hatten sich zahlreiche Verkehrsteilnehmer versammelt, wie sie erkennen konnten, als sie neben den Baufahrzeugen, auf dem grünen Streifen hielten und ausstiegen.
Bei den meisten Verkehrsteilnehmern kam ihr spanisches Temperament durch. Wenige von ihnen blieben ruhig und gelassen in ihren Fahrzeugen sitzen, während die anderen ausgestiegen waren und lauthals schrien, warum es nicht weiter ging.
Capitano Miguel Fuentes schien durch seine ruhige Art und sein Gespür fürs Detail die Fahrer in irgend einer Form zu provozieren. Sie wollten zügig an ihre Ziele kommen, dies leuchtete Fuentes auch ein. Den noch geschah hier womöglich ein Verbrechen, dem er sich widmen musste. Er beobachtete seelenruhig die Bremsspuren auf der Straße, die Anfahrtsspuren, die sich darüber gelagert hatten und den Reifenspuren im Gras bis hin zum verkohlten Wrack, dessen Metall noch warm war, seit dem es begann auszubrennen.
Ein hauchdünner, dunkler Schleier zog sich in die Luft. Am Wrack selber konnte er keine verwertbaren Spuren finden. Er musste sich damit abfinden, dass es hier Nicht zu holen gab, außer die Erkenntnis der Einschusslöcher der Motorhaube.
Zwischen den Baufahrzeugen fand er einen Zigarettenstummel, den er sicherstellte. Vielleicht konnte er anhand eines DNA-Testes den Genießer der Zigarette ermitteln. Doch dafür musste er sie zum Polizeilabor nach Bogota einschicken. Wenn es sich bei der entführten Person um eine kolumbianische Machtperson gehandelt hätte, würde Fuentes den Antrag für die Untersuchung des DNA-Testes mit einem Dringlichkeitsvermerk versehen. Ansonsten dauerte eine Untersuchung fast zwei Wochen, da es das einzige Labor war, wo mehrere Spuren von unterschiedlichen Polizeistationen des Landes eingesandt wurden. Für die Polizei in Bogota war es ein Fortschritt, für die Kollegen in den Kleinstädten eher ein Fluch.
Fuentes hieß diese Art der Polizei-Politik nicht gut, dennoch musste er sich mit ihr arrangieren und so gut es ging klar kommen.
Einer seiner Untergebenen, die die Umgebung des Wrackteils absuchten, fanden im Gras ein verbogenes, gut erkennbares Nummernschild.
„Capitano! Capitano! Kommen Sie!“, rief jener Polizist der es im mittelhohen Gras gefunden hatte und davor stehen blieb. Capitan Fuentes begab sich zu seinem Kollegen und watete durch Knie hohes Gras, bis er neben ihm stand. Er blickte zu Boden und sah es. Er nahm seine Sonnenbrille ab und kniete sich hin. Er konnte die Kennzeichen auf dem Nummernschild deutlich erkennen. Etwas Ruß hatte sich als hauch dünner Belag nieder gelegt, doch es störte nicht, um die Kennzeichen wahrzunehmen. Fuetes schrieb sich CO-310G in sein Notizbuch, welches er aus seiner äußeren, blauen Anzugtasche nahm.
Er richtete sich auf, setzte seine Sonnenbrille wieder auf und teilte dem Polizisten mit, was er tun sollte.
„Stellen Sie das Nummernschild sicher, eintüten und als Beweismittel kommt es in den Kofferraum.“
Fuentes wendete sich von seinem Kollegen ab und begab sich wieder zur Straße. Er trat auf die Grasnarbe, die Straße und den Grünstreifen abgrenzte. Fuentes wäre beinahe mit seinem linken Fuß abgeknickt, konnte sich aber fassen. Er blickte nach unten, nahm erneut seine Sonnenbrille ab und kniete sich erneut zu Boden. Ihm ist etwas ins Auge gefallen, was er soeben erkannte.
Es war ein Ring. Von weitem würde man es gar nicht erkennen, weil er so dünn war, dass man es als Bestandteil eines Fahrzeugbodens halten würde. Nur Experten der Polizei oder des Militärs könnten diesen Ring eindeutig zuordnen.
Fuentes nahm seinen Kugelschreiber zur Hand und fädelte damit den Ring ein und hob ihn an. Es war eindeutig ein Abzugsring mit Sicherheitsstift einer gebräuchlichen Handgranate. Fuentes wurde Einiges klar. Keine Leiche, verschiedene Reifenspuren, das abgeflogene Nummernschild und dieser Abzugsring, machten eines deutlich; die Person, die den Wagen fuhr, wurde auf klassische Weise gekidnappt.
Es war ein klassisches Szenario, wie er es auf der Polizeischule in Bogota gelernt hatte. Man stellt dem Opfer eine Falle, aus dem es kein Zurück mehr gibt. Mit einer kleinen Übermacht schüchtert man das Opfer ein, bis man es seiner habhaft wird. Mit Waffengewalt bedroht man das Opfer mit dem Verlust des eigenen Lebens, um den Willen zu brechen, aufzuzeigen wer die Macht hat. Dann wird das Opfer verladen und dahin verschleppt, wo man es nicht finden kann.
Fuentes hatte den Abzugsring eingetütet und sicher gestellt. Nun blickte er auf die andere Straßenseite. Er überquerte die Straße und bemerkte breitere Spuren die zur Straße hinführen. Seltsamerweise befanden sich diese Reifenspuren nicht auf dem Straßenbelag. Fuentes war sich sicher, dass es sich hierbei um ein Fahrzeug handelte, welches nicht von der Straße kam. Es hielt nicht neben dem Wagen des Opfers. Wenn es so wäre, hätte er ebenfalls leichte Bremsspuren sehen müssen. Doch er tat es nicht. Er vermutete, das Fahrzeug kam aus dem Dschungel. Aufgrund der Breite der Spuren im Grasabschnitt, das zum Dschungel führte, ging er von einem großen Fahrzeug aus. Ein Fahrzeug, dass groß genug war, um das Opfer und seine Peinige zu transportieren. Was er jedoch fand, war ein das Papier einer Kaugummi-Marke, welches sich auf der Spur befand. Als Capitano Fuentes das Papier sicherstellte, konnte er die Marke erkennen. Es war Bubble-Gum mit Cola-Geschmack.
Beim Sicherstellen des Kaugummi-Papiers fiel ihm etwas auf. Es war die Richtung in der sich das Gras niedergelegt hatte. Wenn man vorwärts und an schließend rückwärts fährt würde sich innerhalb der hinterlassenen Reifenspur eine Art Rosette bilden. Würde das Fahrzeug jedoch ausscheren um die Fahrtrichtung zu wechseln, so wie er es bei dem Wrack fest gestellt hatte, wären mehrere Reifenspuren sichtbar. Doch es war nur die Eine. Damit stand für Capitano Fuentes fest, dass das große Fahrzeug bereits rückwärts an die Straße fuhr, seine tödliche Fracht ablud, wartete, die Fracht wieder an Bord nahm und wieder geradeaus los fuhr.
Es war eine eingespielte Methode, wie es Capitano Fuentes häufiger erlebte. Er konnte die Entführungsopfer nicht mehr zählen. Für eine gewisse Zeit, schien es so, dass man Herr der Lage wurde, seitens der Polizeibehörden. Einen Monat später konnte sich das Blatt wenden. Angehörige der Entführungsopfer warteten auf Nachrichten. Eine Meldung, ein Lebenszeichen, dass es ihren Familienangehörigen gut ging. Manche warten noch bis heute, die die Hoffnung niemals aufgegeben haben und werden.
Zu viele Fälle musste Capitan Fuentes bearbeiten, An träge einsehen, genehmigen oder ablehnen, Beratungsgespräche mit Botschaftsangestellten führen, damit der Hauch einer Überlebenschance der entführten Geiseln entstehen konnte. Nur in geringen Fällen, wurde Fuentes als Mittelsmann oder Verhandlungspartner bei Entführungsfällen eingesetzt. Und wenn, dann bei Geiselnahmen, die sich innerhalb seines Einzugsgebietes ereigneten. Doch bei den Fällen, wo es womöglich um para-militärische Entführungsszenarien handelte, überschritt es seine Kompetenz. Er konnte nur die Fakten zusammentragen, Beweismittel sicher stellen und den Fall nach oben weiter leiten. Da wo man auf politischer Ebene etwas erreichen konnte. Aber eines stand für Fuentes fest, ohne die Erkenntnis, um welche Person es sich handelte, die entführt wurde, konnte er weder den Fall zu den Akten legen, noch seinen Vorgesetzten in Bogota übergeben. Er konnte sie nur darüber in Kenntnis setzen, damit auch dieser Entführungsfall als eine Zahl in einer Statistik endete.
Helmut Weizmann wusste weder ob es Tag oder Nacht war. Sein Erschöpfungszustand befand sich auf dem Nullpunkt, seit dem sie ihn in eine Blechhütte gesperrt hatten. In diversen Gefangenenlagern, wie in Mexiko oder Texas nannte man diese Art der Gefangenenhaltung; Brutkasten. Ein Ritual der Bestrafung für aufsässige und revoltierende Gefangenen, deren Geist man brechen wollte. Man brachte den Gefangenen für mehrere Tage in so einen Brutkasten, die nur aus dünnen Blechwänden und einem Blechdach bestanden und ließ sie von der Glut der Sonne darin zerkochen, wie ein Hähnchen in einem Kochtopf.
Jeder Bewegung, sei sie aggressiv oder ruhig, erzeugte nur Unmengen von Schweißperlen. Selbst das Sitzen oder Liegen verursachte Schmerzen. Irgendwann musste man sich ein wenig bewegen um keine Druckstellen zu bekommen. Wenn man Glück hatte, befand sich an irgend einer Stelle ein minimales Loch um zu sehen, was sich außerhalb der Blechhütte vor sich ging. Auch um festzustellen ob es Tag oder Nacht war. Die Ungewissheit konnte den Verstand zermürben und einen in die Irre führen. Irgendetwas brauchte man woran man sich fest halten konnte. Für Weizmann waren es die hauchdünnen Schattenlinien, die sich an der Blechwand abgezeichnet hatten. Er zählte sie von rechts nach links, dann von links nach rechts, summierte sie, teilte sie durch verschiedene Zahlen, nur um sein Gehirn aktiv zu halten. Dann stellte er sich vor, es wären die Tasten eines Klaviers und welche er benutzen würde um eine Melodie zu erzeugen, die dann in seinem Kopf wieder spielte, als wäre er ein Komponist.
Ihm gingen viele Melodien durch den Kopf, was schnell langweilig wurde. Er kannte sie alle schon. Es war nichts Neues dabei, was ein bisschen Konzentration rechtfertigte. Man wandte die Technik bereits in den ersten Schuljahren an. Um etwas zu lernen und zu begreifen, wiederholt man den Stoff des Vortages und kombiniert es mit etwas Neuem, um Interesse und Neugier zu wecken. In diesem Augenblick, wenn das Gehirn neues Wissen erkennt, wandern kleine Impulse zwischen den einzelnen Rezeptoren der großen Gehirnhälfte. Wie winzige Elektroschläge die man über die Haut aufnimmt, wenn man nach Reibung sich berührt oder einen Gegenstand anfasst.
Draußen schien etwas vorzugehen. Weizmann nahm eine Geräuschexplosion war. Er sah durch das winzige Loch in der Tür. Soldaten liefen umher. Ein LKW fuhr vom Lager weg. Darauf befanden sich Frauen und Männer in Zivilkleidung. Ein Lagerfeuer wurde mit Sang gelöscht. Die Sicht wurde ihm genommen, als sich ein Soldat auf ihn und die Blechhütte zu bewegte. Nun befanden sich die Geräusche sehr nah. In wenigen Sekunden wurde vor ihm die Blechtür aufgerissen. Die pralle Sonne strahlte in sein Gesicht. Instinktiv hielt Weizmann seine Hände vors Gesicht um sich zu schützen.
Er versuchte das Gesicht des Soldaten zu erkennen, doch es waren nur Umrisse. Die Körpersprache des Mannes verstand er sehr wohl. Er winkte ihn nach draußen. Weizmann besaß keine Kraft mehr, um sich überhaupt bewegen zu können. Er kroch, wie ein Hund über den Boden.
Da es dem Soldaten nicht schnell genug ging, zerrte er an Weizmanns Haaren und zog ihn ein wenig in gebeugte Haltung hoch. Mit seinen schreienden Worte, die er nicht verstand, spornte er Weizmann an, sich diese Körperhaltung zu bewahren.
Er konnte kaum einen Schritt vor den anderen machen. Seine Kniekehlen schmerzten. Über mehrere Stunden in ein und derselben Körperstellung hinterließen Spuren. Sichtbare Spuren in seinen Kniekehlen. Die Haut wies eine blaue Färbung auf, gemischt mit Weinrot und Violett. In der medizinischen Sprache verwendete man dafür den Begriff; Druckgeschwür, welches ähnliche Symptome wie ein Hämatom aufzeigte. Durch Druck und Zeit, konnte so ein Druckgeschwür entstehen. Erst wurde das Gewebe erweicht, beinahe schon gequetscht. Anschließend verspürt man unsagbare Schmerzen. Der Wille seine Gliedmaßen zu bewegen ging als Befehl vom Gehirn hinaus, doch die Umsetzung mangelte, als wenn eine innere Blockade sich gegen diesen Befehl verweigerte. Immer tiefer, bis fast zu den Sehnen und Knochen hätte sich dieser Zustand ausdehnen können.
Weizmann konnte froh sein, dass es nur zu einem oberflächlichem Druckgeschwür kam und nicht schlimmer. Dennoch war es sehr unangenehm, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Jedoch war jeder Schmerz erträglich, bis zu dem Gedanken, der Überzeugung den Tod vor Augen zu haben. Dieser Ort, so dreckig und abgelegen er auch war, vermittelte diesen Eindruck. Es brannte sich in die Gehirnrinde von Weizmann ein, um am Leben zu bleiben. Es war nicht nur die Angst, dass einer der Soldaten aus purer Mordlust ihm eine Kugel in den Kopf jagen konnte, auch die Gewissheit nie wieder sein altes Leben, so wie er es kannte, zu genießen.
Es gab zwei Arten so eine Situation zu überstehen. Entweder gab man sich auf und wird zur Hure des blanken Terrors oder man wehrte sich gegen diesen Terror und überlebt ihn mit der Freiheit, den man Tod nannte. Viele dachten im Vorfeld, wie Weizmann, dass man lieber tot sein wollte, als Folter, Erniedrigung und Qualen zu erleiden. Von Außenstehenden konnte man kein vernünftiges Urteil oder Meinung erwarten, bis auf jene, die sich in der gleichen Situation befanden, wie Weizmann jetzt.
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