Der Kopf des Toten - Andreas Schmidt - E-Book

Der Kopf des Toten E-Book

Andreas Schmidt

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Beschreibung

Die dunklen Geheimnisse des Westerwalds enthüllt im abgründigen Kriminalroman »Der Kopf des Toten« von Andreas Schmidt – jetzt als eBook bei dotbooks. Der Schock sitzt tief: Ahnungslos öffnet die Frau eines bekannten Unternehmers den Karton, der vor ihrer Haustür steht – und findet darin den abgehackten Kopf ihres Mannes! Obwohl sich dieser als täuschend echte Nachbildung herausstellt, bleibt die Frage, was aus dem spurlos verschwundenen Peter Wellershoff wurde. Während die Polizei im Trüben fischt, beginnt auch Bernd Kaltenbach zu ermitteln: Der Reporter folgt einer Spur, die ihn zu einer jungen Adligen führt, die auf dem verfallenen Stammsitz ihrer Familie ein Wachsfigurenkabinett unterhält. Und gibt es womöglich auch eine Verbindung zu dem eiskalten Killer, der begonnen hat, Jagd auf Prostituierte zu machen? Kaltenbach ahnt, dass ihm die Zeit davonläuft, um weitere Gewalttaten im ehemals so friedlichen Wiedtal zu verhindern … Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Der Kopf des Toten« von Andreas Schmidt. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 389

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über dieses Buch:

Der Schock sitzt tief: Ahnungslos öffnet die Frau eines bekannten Unternehmers den Karton, der vor ihrer Haustür steht – und findet darin den abgehackten Kopf ihres Mannes! Obwohl sich dieser als täuschend echte Nachbildung herausstellt, bleibt die Frage, was aus dem spurlos verschwundenen Peter Wellershoff wurde. Während die Polizei im Trüben fischt, beginnt auch Bernd Kaltenbach zu ermitteln: Der Reporter folgt einer Spur, die ihn zu einer jungen Adligen führt, die auf dem verfallenen Stammsitz ihrer Familie ein Wachsfigurenkabinett unterhält. Und gibt es womöglich auch eine Verbindung zu dem eiskalten Killer, der begonnen hat, Jagd auf Prostituierte zu machen? Kaltenbach ahnt, dass ihm die Zeit davonläuft, um weitere Gewalttaten im ehemals so friedlichen Wiedtal zu verhindern …

Über den Autor:

Andreas Schmidt, geboren 1969 in Wuppertal, begann als Redakteur der Schülerzeitung schon früh mit dem Schreiben. Später arbeitete er als Journalist für zahlreiche Zeitungen und andere Medien, bevor er begann, sich ganz der mörderischen Unterhaltung zu widmen: »Ich liebe den Krimi, weil er so facettenreich ist!«

Bei dotbooks veröffentlichte Andreas Schmidt seine Trilogie rund um das Wuppertaler Ermittlerduo Seiler und Göbel (Todeszug, Todeswasser, Todesschnitt) sowie den Kriminalroman Tod mit Meerblick, der den Leser an die Nordsee entführt. Auf für ihn ungewöhnlichen Pfaden wandelt Andreas Schmidt in Chaos schützt vor Liebe nicht, einer beschwingten Komödie – und beweist, wie meisterhaft er auch diese Tonart beherrscht.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2019

Dieses Buch erschien bereits 1999 unter dem Titel In Satans Namen im Rhein-Mosel-Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 1999 RHEIN-MOSEL-VERLAG, Briedel/Mosel

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Dr. Norbert Lange

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-398-3

***

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Andreas Schmidt

Der Kopf des Toten

Kriminalroman

dotbooks.

Prolog

Eine schwere Limousine bewegte sich über die steil abfallende Serpentinenstraße ins Tal hinab.

Die Lichtlanzen der Scheinwerfer durchschnitten die Dunkelheit, die sich vor einigen Stunden über die sanfte Hügellandschaft des rheinischen Westerwaldes ausgebreitet hatte. Nebelschwaden waberten über dem feucht schimmernden Asphalt und erschienen Lydia Wellershoff, der elegant gekleideten Fahrerin, wie Geister einer fremden Welt, die auf den Jaguar zuzuschweben schienen, um vom kantigen Kühlergrill zerfetzt zu werden und sich am wolkenverhangenen Nachthimmel neu zu formieren.

Die wohlhabende Frau warf einen knappen Blick nach rechts. Dort unten im Tal lag Rohrbach. In der vor einigen Jahren angelegten Neubausiedlung, die sich an die Berge schmiegte und über dem Ortskern zu thronen schien, lag ihr Haus. Ein Bleigürtel legte sich um die Brust der Frau, denn zur Zeit bewohnte sie das große Haus alleine. Ihr Mann Peter war von einer Geschäftsreise nach Fernost nicht zurückgekehrt und galt seitdem als vermißt.

Momentan führte sie die Firma ihres Mannes. Leider hatte sie keinen blassen Schimmer von der Leitung einer mittelständischen Keramikfabrik und der damit verbundenen Personalführung. So war es eine logische Schlußfolgerung, daß sie von den leitenden Angestellten der Firma nur leidlich akzeptiert wurde.

Ihre Tochter Sabine studierte Betriebswirtschaft in Koblenz und bewohnte dort eine bescheidene Studentenbude. Somit stand Lydia Wellershoff einsam und verlassen vor den Problemen einer Unternehmerin. Wie eine Jungfrau zu einem Kind, so war sie zu einer Fabrik gekommen.

Mit einem Seufzer auf den Lippen lenkte sie den Wagen über die Wiedbrücke, vorbei an der alten Autowerkstatt und bog nach rechts auf die Hauptstraße ab. Ihr Blick glitt über die unbeleuchteten Häuser des Dorfes. Lediglich im Gasthof »Zum Uhu«, dem Dorftreff der Bauern, brannte noch Licht. Vermutlich hockten einige Landwirte beim letzten Bier zusammen und verfluchten die unfähigen Politiker, die tagtäglich mit der Existenz der Landwirte spielten.

Als der sie den an der Hauptstraße gelegenen Petershof passierte, drang der Geruch von Vieh und Dung in den Wagen. Unwillkürlich rümpfte Lydia Wellershoff, die andere Duftnoten bevorzugte, die Nase. Nach einem knappen Kilometer durch das nächtliche Dorf bog sie links ab und lenkte die Limousine den Hang hinauf, an den sich die Siedlung schmiegte. Die meisten Fenster der schmucken Häuser waren dunkel. Die Bewohner, allesamt Selbständige und Angestellte im höheren Dienst, lagen längst in den Federn.

Einen Augenblick lang beneidete Lydia Wellershoff die Nachbarn um ihr vorprogrammiertes und abwechslungsloses Leben. Sie selber konnte sich über mangelnde Abwechslung und Aufregung nicht beklagen. Ihr Leben war momentan geprägt von Hiobsbotschaften und neuen Kontakten der unangenehmen Art. Mit Furcht und Sorge fragte sie sich, ob sie Peter jemals wieder lebend zu Gesicht bekommen würde.

Die Polizei hatte keinen Hehl daraus gemacht, daß es nicht mehr auszuschließen war, daß Peter einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei. Man hatte die Ermittlungen längst eingestellt.

Auch Recherchen durch einen sündhaft teuren Privatdetektiv waren erfolglos im Sande verlaufen.

Mittlerweile hatte Lydia Wellershoff ihr Grundstück erreicht. Wie eine uneinnehmbare Festung war die Villa im Scheinwerferlicht aufgetaucht.

Der Zierkies in der Einfahrt knirschte unter den breiten Reifen, als die reiche aber einsame Frau verunsichert feststellte, daß die leistungsstarken Halogenscheinwerfer, die an versteckte Bewegungsmelder gekoppelt waren, den Dienst quittiert hatten. Die Einfahrt blieb dunkel. Sie beschloß, morgen einen Elektriker zu beauftragen, die Anlage instandzusetzen. Es war zwischenzeitlich Mitternacht geworden, und die Geschäftsfrau spürte eine schwere Müdigkeit in sich aufsteigen. Sie war von einem Termin aus München nahezu ohne Pause durchgefahren und stellte resignierend fest, solche lange Fahrten nicht gewohnt zu sein. Lydia Wellershoff beugte sich vor und warf einen Blick auf die unbeleuchtete Villa. Die hohen, schmalen Fenster, auf die ihr Mann beim Bau vor rund zehn Jahren großen Wert gelegt hatte, schienen wie die Augen eines Ungeheuers hämisch auf sie herabzustarren.

Die elegante Frau trat ruckartig auf das Bremspedal, als ein etwa vierzig mal vierzig Zentimeter großer Gegenstand im Scheinwerferlicht auftauchte. Scheinbar handelte es sich um einen neutralen Pappkarton, den ein Bote hier während ihrer Abwesenheit angeliefert hatte.

Mit dem Schwur auf den Lippen, den Paketdienst morgen zur Rechenschaft zu ziehen, schaltete Lydia Wellershoff den Motor ab und griff nach ihrer Handtasche auf dem Beifahrersitz. Mit brennenden Augen stieß sie den Wagenschlag auf und setzte einen Fuß ins Freie.

Die frische Luft des angrenzenden Westerwaldes drang in ihre Lungen und kühlte ihre erhitzten Wangen. Ein lauer Abendwind erzeugte ein dumpfes Rauschen in den hohen Tannen hinter dem Haus. Eine Sekunde lang genoß Lydia Wellershoff die friedliche Ruhe, dann stemmte sie sich aus der Limousine. Mit einem dezenten Geräusch fiel Wagentür hinter ihr ins Schloß.

Die Fabrikantin wider Willen strich sich mit einer tausendfach geübten Bewegung das cremefarbene Kostüm glatt, bevor sie sich mit einem unerklärlich schlechten Gefühl dem dubiosen Paket vor dem Eingangsportal der Villa widmete.

Sie verfluchte die unfähigen Elektriker, die ihr eine mangelhafte Beleuchtung montiert hatten und registrierte ein beklemmendes Gefühl, das in ihr aufstieg.

Das Herz pochte bis zum Halse, als sie sich dem Karton näherte.

Lydia Wellershoff ging in die Knie und versuchte, den Karton zu heben, doch er war zu schwer.

Kopfschüttelnd durchsuchte sie ihre Handtasche nach der kleinen Stablampe, die sie stets mitführte.

Dann flammte der winzige Lichtschein auf. Mit kritzeliger Handschrift hatte der Absender den Karton mit der Anschrift der Wellershoffs versehen.

Sie riß das Klebeband mit dem Wagenschlüssel auf und bemerkte die Unruhe, die in ihr aufstieg.

Mit zitternden Fingern drückte sie die Deckelhälften des Kartons beiseite und stieß auf Seidenpapier, das im Schein der kleinen Lampe geheimnisvoll glitzerte.

»Da ist doch etwas faul«, murmelte sie und wühlte im Papier herum, ohne jedoch auf den eigentlichen Inhalt des Paketes zu stoßen. Für einen Augenblick dachte sie an eine Bombe, die sich unter dem Seidenpapier verbarg und zögerte.

Dann tippte sie eher auf einen schlechten Scherz. Vermutlich hatte man ihr Steine oder etwas ähnlich Nutzloses zugestellt, um sie zum Narren zu halten.

Die attraktive Endfünfzigerin mit den kurzen, rot getönten Haaren ließ ihre Finger über den nun endlich entdeckten Inhalt des Paketes gleiten. Sie ertastete etwas Hartes, Glattes, dann etwas Haariges. Lydia Wellershoff schluckte trocken, dann riß sie mit einer energischen Bewegung das Umschlagpapier aus dem Karton.

»Nein!« entfuhr es ihr.

Ihr Herz klopfte bis zum Halse, dann wurde es schwarz vor ihren Augen.

Sie hatte mit allem möglichen gerechnet, daß Menschen aber zu derlei Grausamkeiten imstande waren, hatte sie bislang angezweifelt. Nun wurde sie auf schlimmste Weise eines besseren belehrt.

»Das ... das kann ... das darf einfach nicht wahr sein«, stammelte Lydia Wellershoff.

Im Karton befand sich ein vom Rumpf abgetrennter Kopf, der Kopf eines Menschen.

Das aufgedunsene Gesicht war totenbleich und erschien im fahlen Licht der Taschenlampe wächsern.

Leblose, vor Schreck geweitete Augen starrten sie hilfesuchend an. Die Haare schienen am wuchtigen Schädel zu kleben. Der Mund stand einen Spalt breit offen, die Lippen fast weinerlich verzogen, so, als wolle der Kopf im Augenblick des Todes um Gnade winseln.

Vergeblich, wie sich nun herausstellte.

Lydia Wellershoff spürte, wie ihre Knie weich wurden. Schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Mit einem erschreckten Schrei auf den geschminkten Lippen zog sie die Hände vom Karton zurück, als hätte sie sich verbrannt. Die Lampe entglitt ihren Händen, während Lydia Wellershoffs Magen rebellierte.

Die Geschäftsfrau wandte sich röchelnd ab und übergab sich, während ihr zierlicher Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Der Kopf in dem Karton war ihr wohlbekannt.

»Peter« entfuhr es ihr heiser, bevor sie in einer alles erlösenden Ohnmacht versank.

Kapitel 1Eine böse Überraschung

»Ich bin's, Schorsch.«

Bernd Kaltenbach gähnte hemmungslos in den Hörer. »Weißt du, wie spät es ist?« fragte er und warf kopfschüttelnd einen Blick auf die Armbanduhr.

Fast ein Uhr.

Der Reporter des »Rhein-Wied-Express« haßte nächtliche Störungen, insbesondere dann, wenn er mit einer neuen Flamme im Bett gelandet war. Dies war der Fall, und alleine dieser Umstand trug nicht gerade dazu bei, seine Laune zu bessern. »Jammer nicht rum, Bernie, ich hab 'ne brandheiße Story für dich.«

»Und ich hab 'ne brandheiße Braut in den Federn, die ohne mich nicht gut kann.« Bernd kicherte. »Wenn du verstehst.«

»Direkt vor deiner Haustüre fährt die Polizei einen nächtlichen Großeinsatz, und du vergnügst dich mit 'nem Bunny im Bett.« Der schlaksige Reporter gähnte. »Worum geht's denn nun?«

Barfuß und nur mit Boxershorts bekleidet, stakste er durch das fast dunkle Bauernhaus. Lediglich die Stehlampe im Flur verbreitete einen diffusen Lichtschein. Bernd war an der Schlafzimmertüre angelangt und warf einen Blick auf das zerwühlte Bett, wo ein unbekleidetes, blondes Mädchen zusammengekauert lag und schlummerte.

Er hatte die Kleine bei einer Reportage in Koblenz kennengelernt. Ihre Eltern waren die wohlhabenden Wellershoffs, die eine ansehnliche Keramikfabrik oben in Breitscheid betrieben. Sie hatte sich vor einiger Zeit von ihren, wie sie fand, spießerhaften Eltern distanziert, um auf eigenen Füßen zu stehen.

»Jemand hat ein Paket vor seinem Haus gefunden«, wurde Bernd von Schorsch in die Wirklichkeit zurückgerissen.

»Wo ist da die heiße Story für mich?« entgegnete Bernd, ohne den Blick von Sabine zu nehmen. Wie gerne hätte er sich jetzt zu ihr gelegt, sie wachgeliebt und die angebrochene – und schon durch den Anruf versaute Nacht zum Tag gemacht.

Bernd seufzte, bevor er fortfuhr.

»Was ich sagen will: Was ist besonderes daran, wenn irgend ein Arsch ein Paket findet, das irgend ein anderer Arsch vor dem Eingang verloren hat?«

Sabine wachte auf, reckte sich und blinzelte verschlafen zu ihm hinüber. Bernd zuckte hilflos mit den Schultern und rollte mit den Augen, als er ihren fragenden Blick sah.

»Das Besondere wirst du sehen, wenn du dich jetzt auf deinen vergammelten Feuerofen setzt und in die Neubausiedlung gurkst.«

Schorsch machte es spannend.

Bernd war unbeeindruckt; für ihn war das Gespräch beendet. Er drückte eine Taste des schnurlosen Telefons und legte den Apparat auf das gläserne Nachtkonsölchen.

Dann strich er sich durch die schulterlangen Haare und ließ sich auf die Bettkante sinken, wo er gleich in Sabines Arme fiel.

»Wer war das?« fragte sie leise, während ihre Lippen über seinen Oberkörper glitten.

»Irgend ein Spinner, der sich verwählt hat«, murmelte er, dann erwiderte er ihre Liebkosungen.

Wieder einmal war er beeindruckt vom Feuer, das diese Sabine unter dem Hintern hatte. Es dauerte keine halbe Minute, und er hatte Schorschs Anruf vergessen.

Nicht lange allerdings, denn schon schlug das Telefon erneut an.

Das blonde Mädchen stieß ihn sanft fort und setzte einen gespielt vorwurfsvollen Blick auf. »Aha, verwählt«, nickte sie. »Zweimal hintereinander, was?«

Bernd zuckte mit den Schultern. »Okay, niemand hat sich verwählt. Der Typ – Schorsch – hat meine ›Else‹ beleidigt.«

»Und wenn jemand gegen dein Motorrad giftet, ist er bei dir unten durch, was?«

»Ja.«

Bernd, der ein leidenschaftlicher Motorradfahrer war, hatte seine liebevoll restaurierte Honda CBR 750F, die elf Jahre auf dem Buckel hatte, kurzerhand ›Else‹ getauft.

Er gab einem Freund gern sein letztes Hemd, auch sein vorletztes Bier, wenn es sein mußte, aber wenn jemand seine ›Else‹ als vergammelten Feuerofen bezeichnete, war dieser jemand Luft für ihn.

Pech für Schorsch.

»Geh schon ran«, flüsterte Sabine und knabberte zärtlich an seinem Ohrläppchen. »Alter Starrkopf!«

Bernd grummelte etwas und löste sich widerwillig aus der Umarmung.

Mit einem unterdrückten Fluch griff er zum Telefon.

»Wenn du nicht einen guten – einen sehr guten – Grund hast, mich bei meinem liebsten Hobby zu stören, bist du morgen ein toter Mann, Schorsch!«

»Es brennt, Bernie!«

»Nenn mich nicht Bernie!«

»Schon gut, Bernie. Wenn du sofort losfährst, bist du morgen der erste, der eine Story über den gefundenen Kopf bringen kann. Ich kann mir vorstellen, daß du bei Prangenberg Pluspunkte brauchen kannst.«

Bernd dachte mit Unbehagen an seinen cholerischen Chefredakteur, der stets mit Abmahnungen drohte, wenn seine Reporter nicht nach seiner Pfeife tanzten. Vielleicht konnte er etwas wettmachen, wenn er ihm morgen eine Exklusivstory auf den Tisch legen konnte.

»Den was?« murmelte Bernd.

»Den gefundenen Kopf, Mann!« Schorschs Stimme überschlug sich förmlich vor Euphorie.

»Du verarschst mich, ja?« fragte Bernd sicherheitshalber nach.

»Nein, Bernie. In dem ominösen Paket befand sich ein vom Rumpf abgetrennter Menschenkopf.«

»Kenne ich den Typ?«

»Ist anzunehmen.«

»Jemand aus Rohrbach?«

»Ja.« Schorsch legte eine Pause ein, bevor er fortfuhr.

»Sicher kennst du die Wellershoffs?«

Bernd zuckte zusammen. Er warf einen raschen Blick über die Schulter zu Sabine. Sie bekam nur die Hälfte der Konversation mit und ahnte nicht, worum es ging.

Dennoch fühlte der Reporter, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Er betete inständig, daß Sabine die dunkelrote Färbung seines Gesichts im Zwielicht nicht bemerkte.

»Scheiße.«

»Irgendwann trifft's jeden.«

Schorsch klang so gleichgültig, als unterhalte er sich über das Fußballspiel des Rohrbacher FCs am Wochenende. Wenn alles stimmte, was er sagte, dann war Bines Vater das Opfer eines grausamen Gewaltverbrechens geworden. Bernd hatte seinerzeit im »Rhein-Wied-Express« über das rätselhafte Verschwinden des Millionärs berichtet.

Ausgerechnet jetzt, wo dessen Tochter in seinem Bett gelandet war, mußte sich dieser Fall auf dermaßen perverse Weise lösen. Welch seltsame Fügung des Schicksals, durchzuckte es Bernd, während er nachdenklich den Kopf schüttelte.

»Wo fand man das Paket?« fragte er, um seine Unsicherheit rasch zu überspielen.

»Vor der Villa der Wellershoffs. Übrigens hat Lydia Wellershoff den Karton geöffnet und ist beim Anblick des Schädels ohnmächtig geworden.«

»Verständlich.« Bernd blickte erneut zu Bine, die sich verführerisch auf dem Bett räkelte.

»Überredet, Schorsch. Ich bin in zehn Minuten am Fundort.«

Diese Worte waren ihm wie automatisch über die Lippen gekommen.

Er wunderte sich selber darüber, während ein heißes Fieber in seine Lenden geschossen war. Beim Anblick der nackten Sabine Wellershoff, die ihn anlächelte, hätte er alles andere getan, als zum Tatort zu fahren, um eine Reportage zu erstellen.

In diesem Falle verhielt es sich anders, denn neben seiner beruflich bedingten Neugier ging es auch um Sabines Vater. »Wer ist dort mein Ansprechpartner?« fragte er und versuchte, seiner Stimme einen sachlichen Klang zu verleihen.

»Der Einsatzleiter.«

Bernd nickte, was Schorsch natürlich nicht sehen konnte.

»Hat der auch einen Dienstrang und/oder einen Namen, oder heißt er einfach nur Einsatzleiter?«

»Hauptwachtmeister Reuschenbach ist vor Ort«, erwiderte Schorsch, den dumme Fragen seines Freundes kalt ließen.

»Danke für den Anruf.«

Bernd grinste, obwohl ihm zum Heulen zumute war. Im Bett eine heiße Braut, und er wurde losgeschickt, um über den Tod des Vaters dieser Braut zu berichten. Pervers.

Es gab Tage, an denen Bernd Kaltenbach seinen Job haßte. Er legte ohne ein weiteres Wort auf.

Sabine hatte sich auf die Seite gerollt. Im Zwielicht wirkte ihre Haut wie Samt und irgendwie exotisch. Eine Sorgenfalte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet.

»Heißt das, daß diese Nacht für uns zwei beendet ist?«

Bernd legte den Apparat fort und strich ihr mit dem Zeigefinger über die Taille. Er nickte nachdenklich.

»Ich fürchte ja, Bine. Wenn alles klappt, bin ich in einer Stunde zurück.« Er fürchtete den Zeitpunkt seiner Rückkehr.

»Ein schlimmer Vorfall?«

Er nickte. »Mord«, sagte er knapp und erhob sich.

Kapitel 2Nächtlicher Einsatz

Blaulicht zuckte gespenstisch durch die Nacht und wurde in langen Schatten von den Wänden der umliegenden Häuser zurückgeworfen. Geschickt steuerte Bernd die Honda durch die Schaulustigen, die sich vor dem Grundstück der Wellershoffs versammelt hatten und über den makabren Fund debattierten. Ein Mordfall in ihrem idyllischen Dorf, das hatte es seit hundert Jahren nicht gegeben, wie ein mit einem geblümten Pyjama bekleideter Endvierziger zu berichten wußte.

»Wellershoff war kein Rohrbacher«, entgegnete ein anderer.

»Er kam aus der Stadt zu uns und versuchte, die schnelle Mark zu machen. Er war ein Mann, der die Bauern mit geringen Löhnen ausbeuten wollte. Geschieht ihm ganz recht!«

Der Glatzkopf zog den Gürtel seines Morgenmantels stramm.

»So schlecht war er gar nicht«, warf ein Dritter ein, dessen Zunge vom Alkohol schwer war. Die anderen beiden bedachten ihn mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Hör mir mit den Städtern auf«, rief der erste Mann und gestikulierte wild.

Bernd hatte seine ›Else‹ zwischenzeitlich neben einem der Streifenwagen abgestellt und die Spiegelreflexkamera aus dem Gepäckkoffer gekramt.

Er verschaffte sich einen kurzen Überblick vom Tatort, dann marschierte er auf einen milchgesichtigen Polizisten zu. Er hielt dem Knaben den Presseausweis unter die Nase und erkundigte sich nach Hauptwachtmeister Reuschenbach.

»Der Chef hat kein Interesse daran, zum jetzigen Zeitpunkt Fragen zu beantworten«, belehrte der Polizist ihn. »Morgen wird eine Pressekonferenz anberaumt, an der Sie gerne teilnehmen können. Derzeit aber ...« Er schüttelte mit wichtiger Miene den Kopf.

Schweigend blickte Bernd in das pickelübersähte Gesicht des jungen Polizisten. Abschätzend erkannte er erst einen Stern auf den Schulterklappen seiner frisch gebügelten Uniform.

»Gut«, nickte Bernd und grinste breit. »Dann werde ich jetzt selber zu ihm gehen.« Ohne ein weiteres Wort schritt er an dem gerade der Polizeischule Entflohenen vorbei.

»He, Sie, das geht aber nicht«, hörte er die schrille Stimme des Polizisten hinter sich. »Das Gelände ist abgesperrt worden, die Spurensicherung ...«

»Dann steh' hier nicht 'rum und bring mir endlich Reuschenbach, verdammt noch mal!« wurde er scharf von Bernd unterbrochen.

»Warten Sie hier und fassen Sie nichts an«, entgegnete der pubertäre Junge.

»Zügig«, murmelte der hochgewachsene Reporter des »Rhein-Wied-Express« und machte die Kamera schußbereit.

»König, was ist hier los?« dröhnte Udo Reuschenbachs Stimme durch die Nacht. Der Angesprochene fuhr wie von der Tarantel gestochen herum.

Der Hauptwachtmeister war wie aus dem Nichts hinter den jungen Kollegen getreten.

»Chef, hier ist jemand von der Presse. Ich habe ihn auf morgen Vormittag verwiesen. Es ist doch die Pressekon...«

Wachtmeister König überschlug sich förmlich vor Höflichkeit. Bernd bedachte ihn mit einem verachtenden Blick.

Schleimscheißer, dachte er.

Udo Reuschenbach, ein stämmiger Bursche mit dichtem, braunen Haar, bedachte den Jungbullen mit keinem Blick. Seine Miene hellte sich auf, als er Bernd Kaltenbach erkannte.

»Schon in Ordnung, König. Kümmern Sie sich lieber um die Schaulustigen.«

»Ja, Chef. Soll ich ...«

Reuschenbach fuhr herum. Seine grauen Augen funkelten böse.

Verdammter Nachwuchs, durchzuckte es ihn. »Hau'n Sie ab, Mann, bevor ich ...«, herrschte er König an.

»Schon gut, Chef ...«, König trollte sich.

»Wird sicher mal ein guter Bulle«, stichelte Bernd, als er Reuschenbach die Hand schüttelte.

Der Hauptwachtmeister winkte ab. »Vergiß es. Es ist schon eine Frechheit, was aus den Polizeischulen zu uns kommt.«

Kaltenbach und Reuschenbach verband eine langjährige Freundschaft. Der Polizeibeamte war Leiter einer Dienststelle in Linz und vertrat die Meinung, daß es in vielen Fällen hilfreich sein konnte, wenn man mit der Presse zusammenarbeitete.

Reuschenbach wohnte ebenfalls in Rohrbach, und so war es kein Zufall, daß er und Bernd das eine oder andere Problem bei einem Bier besprachen. Jeder kannte jeden, so war das eben in einem Dorf wie Rohrbach, und dieses Landleben hatte durchaus Vorteile, wie Bernd fand.

»Woher wußtest du, was vorgefallen war?« fragte Udo Reuschenbach den Reporter.

»Die Spatzen haben es mir verraten«, murmelte Bernd. Er verschwieg bewußt, daß Schorsch, der Taxifahrer, den Polizeifunk abhörte und ihn informierte, wenn etwas geschehen war.

»Und meine Oma ist permanent besoffen«, konterte Reuschenbach im Brustton der Überzeugung.

Bernd wußte, daß Udos Oma vor dreizehn Jahren das Zeitliche gesegnet hatte. Er wechselte das Thema.

»Hat's den Alten selber erwischt?«

Reuschenbach nickte. »Grauenhaft.«

»Ja.« Bernd blickte betroffen zu Boden und dachte an Sabine, die ahnungslos in seinem Bett auf seine Rückkehr wartete.

Ein Umstand, der Reuschenbach nichts anging.

Udo deutete auf die Nikon. »Willst du den Kopf fotografieren?«

»Ist das denn möglich?« Bernd entsann sich, daß man aus Pietätsgründen ein Fotografierverbot verhängte, wenn es um »heiße« Fotos in der Presse ging.

»Die Jungs von der Spurensicherung sind am Zuge, aber ich denke, man kann da etwas tun.«

Seite an Seite stapften sie auf die imposante Villa der Familie Wellershoff zu. Bernds Atem ging rasselnd.

Der Kies in der Auffahrt knirschte unter ihren Sohlen.

Bernds Blick fiel auf einen vor dem Haus geparkten Jaguar.

»Der Wagen von Lydia Wellershoff«, erklärte Udo.

Der Reporter blickte durch den Sucher seiner Kamera und schoß einige Fotos vom Haus und vom Wagen.

»Ist sie hier?«

Der stämmige Polizist schüttelte den Kopf. »Sie hat einen Schock erlitten und befindet sich im Linzer Krankenhaus.«

Bernd nickte. »Verständlich, wenn sie ihren Mann auf diese Art und Weise wiedersieht.«

»Hmm.« Bernd dachte erneut an Sabine und spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete.

Scheißjob, dachte er zum zehnten Male in dieser Nacht.

»Was geht hier vor?« schallte eine tiefe, herrische Stimme durch die Nacht. Udo Reuschenbach seufzte. »Die Spurensicherung.«

»Herr Kaltenbach vom ›Rhein-Wied-Express‹ möchte über den Fall berichten«, erklärte Udo dem Mann aus Koblenz.

»Kommissar Bechler«, stellte er sich mit gewichtiger Miene vor und drückte Bernd die Hand. »Bitte folgen Sie mir.«

»Gern«, erwiderte Bernd. Das war allerdings gelogen.

Das unheimliche Paket war zwischenzeitlich in einen Kastenwagen der Polizei verfrachtet worden. Bechler wies einen jüngeren Beamten an, den Karton zu öffnen.

Als Bernd zum Fotoapparat griff, spürte er, wie seine Hände zitterten. Er hoffte, daß niemand seine Unsicherheit bemerkte.

Vergeblich allerdings.

»Schiß oder schlechte Nerven?« fragte Reuschenbach ihn mit einem breiten Grinsen.

Bernd blickte ihn kurz an und preßte die Lippen zu einem strich zusammen. »Schlecht geschlafen«, murmelte er dann.

Bechlers Assistent hatte mit Plastikhandschuhen zwischenzeitlich die Deckelhälften des Kartons auseinandergedrückt.

Während der Reporter sich noch über die seltene Kooperationsbereitschaft der Kripo wunderte, warf er einen scheuen Blick in den Karton.

Es bestand kein Zweifel, daß es sich um den Kopf Peter Wellershoffs handelte. Der Reporter blickte in die schreckgeweiteten Augen. Der Mund mit den wulstigen Lippen war einen Spalt breit geöffnet, so, als winsele er im Moment des Todes um Gnade. Vergeblich, wie Bernd feststellte.

Die Haare klebten strähnig am massigen Schädel, an der Kartoninnenwand befand sich geronnenes Blut.

In seiner Zeit als Reporter hatte Bernd Kaltenbach schon einiges an Grausamkeiten erlebt, aber dies übertraf alles.

Er spürte, wie sein Magen sich drehte und wandte sich ab.

Bechlers Assistent raschelte mit dem blutverschmierten Seidenpapier.

»Geht's so?« fragte er hilfsbereit und trat an die Seite, um nicht ins Bild zu kommen.

»Ja, danke«, erwiderte Bernd leise und machte zwei, drei Aufnahmen von dem Kopf.

»Sieht doch echt aus, oder?« fragte Bechler nun.

Der Reporter fuhr herum. »Bitte – was?«

Kommissar Bechler deutete auf den Kopf des Fabrikanten.

»Er meint die Wachsbirne«, half Udo Reuschenbach ihm auf die Sprünge.

Irritiert blickte Bernd erst ihn, dann Bechler, dann den Kopf im Karton an.

»Ich verstehe nicht ganz«, stammelte der Lokalreporter.

»Hauptwachtmeister Reuschenbach meint die Imitation des Kopfes. Sie ist doch tatsächlich gelungen, oder?«

Bechler ließ die Hände in den Hosentaschen versinken und grinste jovial. »Derzeit überprüfen meine Leute die Konsistenz des Wachses.«

Der Reporter des »Rhein-Wied-Express« wußte nicht, ob er in erleichtertes Gelächter ausbrechen sollte.

Er hatte ernsthaft angenommen, wegen eines bestialischen Mordes hierhergekommen zu sein. Nun hatte sich alles als übler Scherz erwiesen. Immerhin lag vor ihm nicht das echte Haupt von Peter Wellershoff.

»Gibt es denn zwischenzeitlich einen Hinweis auf den Verbleib des echten Fabrikanten?« fragte er schließlich.

Kopfschütteln.

»War wohl nicht anders zu erwarten.«

»Momentan ermitteln wir, wer ein Interesse an einem dermaßen üblen Scherz haben könnte«, erklärte Reuschenbach ihm.

»Keine Ahnung?«

»Null. Derzeit tappen wir im Dunkeln.« Bechler machte eine bedauernde Miene.

Bernd, der noch immer nicht wußte, ob er erfreut oder enttäuscht über die verpaßte Sensation sein sollte, schoß noch ein paar Fotos, bevor er sich verabschiedete und auf seiner ›Else‹ nach Hause brauste.

»Du hast es sogar in weniger als einer Stunde geschafft«, empfing Sabine ihn, als er den Flur seines kleinen, renovierten Bauernhofes betrat.

Sie war, Bernd hatte es nicht anders erwartet, nackt und schmiegte sich sofort an ihn. Er schloß sie in seine Arme und strich ihr zärtlich durch das blonde Haar.

»Ehrlich gesagt, bin ich froh darüber«, flüsterte er nachdenklich.

»Hat das etwas mit mir zu tun?« fragte Bine mit Unschuldsmiene. Ihre Hände glitten unter sein T-Shirt und umkreisten seine Brust. Bernd reagierte auf ihre Liebkosungen nicht so, wie sie es gewohnt war.

»Indirekt«, sagte er und drückte sie sanft von sich fort.

»Ich war im Hause deiner Eltern.«

Bine blickte ihn an, als hätte er ihr erzählt, soeben eine Bank überfallen zu haben. »Ist etwas passiert?«

Wenig später führte Bernd sie in sein Arbeitszimmer und schaltete die kleine Schreibtischlampe an, bevor er sich seufzend auf den Drehstuhl hinter dem Schreibtisch fallen ließ. Hier erstellte er seine Reportagen, wenn es nicht dringend erforderlich war, daß er sich in der Neuwieder Redaktion aufhielt. Vom leistungsfähigen PC bis zum Faxgerät war alles vorhanden, was das Herz eines Journalisten begehrte. Eine Nische des kleinen Büros hatte er sich abgetrennt und als Dunkelkammer für eilige Fotoarbeiten eingerichtet. Sabine zog sich einen Stuhl heran. »Ja«, nickte Bernd nachdenklich, »es ist etwas vorgefallen in der Siedlung.« Er beugte sich über die Schreibtischplatte und stützte den Kopf in die Hände. In wenigen, knappen Sätzen schilderte er Sabine Wellershoff, was im Hause ihrer Eltern vorgefallen war.

***

»Kaltenbach, es gibt Tage, an denen du dich selber übertriffst!« Günter Prangenberg warf die Tageszeitung zufrieden auf den Schreibtisch und verschränkte selbstzufrieden die Hände hinter dem Kopf. Der dreiundfünfzigjährige Chefredakteur des »Rhein-Wied-Express« war entgegen der Gewohnheit voll des Lobes. »Kurz, knapp und präzise genug, eine detaillierte Berichterstattung zu ermöglichen. So muß es sein, Mann!« Bernd nickte. Er war übernächtigt und hockte nun mit geröteten Augen im Büro des Chefs. Nachdem er Sabine in die Geschehnisse eingeweiht hatte, hatte er seine Informationen zu einem Kurzbericht zusammengefaßt und die Fotos vom Anwesen der Wellershoffs entwickelt. Anschließend hatte er sich auf ›Else‹ geschwungen und war über die L 255, die Wiedtalstraße, in das Redaktionsgebäude des RWE gedüst, um seine Story beim Chef vom Dienst abzugeben. So war es möglich, daß der Bericht in der heutigen Ausgabe erscheinen konnte. Gegen vier Uhr morgens war Bernd dann todmüde ins Bett gefallen, um neben einer zutiefst enttäuschten und unbefriedigten Sabine einzuschlafen.

»Noch etwas«, riß Prangenbergs Stimme ihn aus den Gedanken.

»Das wäre?«

»Ich vermisse ein Statement des Opfers, dieser Frau Wellershoff.« Der Chef überflog den Artikel erneut.

Bernd, der total übermüdet war, sprang gereizt von seinem Stuhl hoch und fragte sich, ob der Chef nie hundertprozentig zufrieden war. Der hochgewachsene Mann trat an das Fenster und massierte sich den Nasenrücken. Er blickte schweigend hinab auf den Rhein, in dessen Wellen sich die Sonnenstrahlen wie abertausende winzige Diamanten brachen. Ein holländischer Frachter zog im Wasser seine Bahn. Bernds Blick glitt hinüber zur Rheinpromenade, wo eine alte Frau ihren Dackel dazu bewegen wollte, endlich ein Häufchen zu machen. Weiter rechts befand sich der Pegelturm und die Raiffeisenbrücke, die ihn immer an die Golden Gate Bridge in San Francisco erinnerte.

Der Reporter seufzte. »Sie stand unter Schock und befand sich in der Nacht im Linzer Krankenhaus«, murmelte der Reporter, ohne sich umzuwenden. »Hätte ich sie interviewt, stünde der Bericht nicht heute, sondern erst morgen in der Zeitung.«

»Schon gut, Kaltenbach. Aber bleib bitte am Ball!« Prangenberg hob beschwichtigend die Hände.

»Was liegt heute an?« fragte Bernd und hoffte, daß sein Chef ihn nach Hause schickte, um auszuschlafen. Er irrte sich.

»Es gibt ein Schützenfest in ...«, setzte er an.

Bernd schüttelte den Kopf. »Bloß nicht!« Er haßte jegliches Vereinsleben, haßte Schützenfeste und Karnevalsvereine, was ihm in der Vergangenheit schon die Mißgunst der Rohrbacher eingebracht hatte, die fast ausnahmslos in einem Verein tätig waren. Bernd beschränkte sich aufs Kampftrinken.

Prangenberg lachte. »Schon gut, einen Versuch war's ja wert.«

»Etwas Ruhiges darf's schon sein.«

Der fettleibige Chefredakteur nickte. »Ich hätte da noch etwas Blutrünstiges. Schreib mal über perverse, brutale Nuttenmorde oben im Westerwald.«

Bernds Miene erhellte sich. »Hört sich vielversprechend an.«

»Kennst du die Vorgeschichte? Klüber hat daran gearbeitet.«

»Ich habe wichtigeres zu tun, als den RWE zu lesen«, frotzelte Bernd und stieß sich von der Fensterbank ab, um auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen.

Günter Prangenberg ging nicht auf die spitze Bemerkung seines Reporters ein.

Er fuhr sich durch das schüttere Haar.

»In unregelmäßigen Abständen wurden im Westerwald Huren tot in ihren Wohnmobilen aufgefunden.«

»Vermutlich ein perverser Lüstling«, tippte Bernd.

Prangenberg schüttelte den Kopf.

»Nein. Entgegen der ersten beiden Morde fand man zuletzt keine Spuren einer vorangegangenen Vergewaltigung. Keine Verletzungen im Genitalbereich, keine Spermaspuren, nichts.«

»Die Mädels könnten um ihre Tageseinnahmen beraubt worden sein«, warf Bernd ein und machte sich Notizen auf seinem Block.

»Eine Möglichkeit, sicher. Aber wie erklärst du, daß bei dem letzten Mord anstatt der Geldbörse das Mädchen abhanden gekommen ist?« Prangenberg setzte ein feistes Grinsen auf.

Bernd haßte es, wenn sein Chef dermaßen überheblich grinste. Der schlaksige Reporter verzog die Mundwinkel. »Doch ein Perversling, was?«

»Nein.« Der Chef schüttelte den Kopf. »Die Polizei tappt im Dunklen. Es wäre toll, wenn wir es schaffen würden, an einen entscheidenden Tip zu kommen.«

Bernd erhob sich. »Wenn's mehr nicht ist ...«

Dann verließ er das Büro seines Chefs. Länger als zehn Minuten am Stück konnte er ihn einfach nicht ertragen.

Kapitel 3Sandy

Die schwarze Honda CBX brauste mit aufheulendem Motor über die kurvenreiche Landstraße von Breitscheid nach Krunkel, wo die Straße in die B 256 mündete. Wie Bernd wußte, konnte man dort die Mädels antreffen, für die er sich interessierte. In ihren Wohnmobilen warteten sie auf spendable Freier.

Der Asphalt flimmerte unter der sengenden Hitze des Tages, und Bernd Kaltenbach genoß jeden Meter Straße, der unter den Reifen seiner ›Else‹ zu verschwinden schien. Sehnsüchtig dachte er an einen ruhigen Tag im Wiedtalbad, den er sich nach eigenem Ermessen nach den Strapazen der zurückliegenden Nacht redlich verdient hatte. Ein Seufzen entfuhr ihm unter seinem Helm, als er an eine Erfrischung im Freibad, an niedliche Bikinimäuschen und ein kühles Weizenbier an der Bar dachte.

Prangenberg dachte anders. Leider. Nun mußte Bernd ihm hoch anrechnen, daß der Chef ihm einen relativ ruhigen Job gegeben hatte. So hatte der Reporter des »Rhein-Wied-Express« sich zumindest um die ätzende Redaktionssitzung drücken können. Er hatte beschlossen, den Tag mit Recherchen vor Ort zu verbringen.

Bevor er sich aus dem Redaktionsgebäude des RWE verdrückt hatte, war er im Archiv verschwunden, um sich mit Grundinfos einzudecken. Leider hatte Bernd sich in der Vergangenheit kaum mit dem »Milieu« befaßt und betrat praktisch Neuland. Er fürchtete, daß sich die Damen des »ältesten Gewerbes der Welt« nicht so leicht aushorchen ließen wie die Großmutter des Jungen, der seine kleine Schwester vor dem Ertrinken gerettet hatte. Bernd legte sich einen Plan zurecht, wie er vorgehen wollte. Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht, als er an das unwürdige Opfer dachte, das er für seinen Brötchengeber würde darbringen müssen. Wenige Minuten später hatte der Reporter sich eine Strategie zurechtgelegt. Er riß ein letztes Mal den Gashahn auf.

Endlich hatte er das Gewerbegebiet bei Krunkel erreicht und ordnete sich in den Verkehr auf der Bundesstraße 256 ein. Der Tank glänzte in der Sonne, als Bernd auf Güllesheim zufuhr. Er hatte ein ausgedehntes Waldgebiet erreicht und drosselte das Tempo. Auffällig erschienen ihm hier die zahlreichen Wohnmobile, die in Waldwegen parkten und ausschließlich von Frauen besetzt waren, die neugierig aufblickten, sobald sich ein Interessent näherte. Bernd hatte sich bald eine rassige Schwarzhaarige ausgeguckt. Dennoch spähte er auch in die anderen Wohnmobile. Die Sonne drang nur vereinzelt durch die tiefhängenden Äste der Bäume und warf lange Lichtbahnen auf die Fahrbahn. Als Bernd am Ende des gut vier Kilometer langen Waldstückes angelangt war, wendete er die Honda und ließ die Maschine in gemäßigtem Tempo zurückrollen. Der Reporter atmete tief durch. Jetzt oder nie, sagte er sich und ging in die Offensive.

»Handentspannung fünfzig, Blasen 'nen Hunni, Normalverkehr hundertfünfzig und pro Sonderwunsch 'nen Fuffi extra.« Das leichtbekleidete Girl mit der schwarzen Löwenmähne nannte seine Preise, als unterhielte sie sich über das Wetter. Bernd war etwas verunsichert von derart kalkuliertem Geschäftssinn und tippelte nervös von einem Bein auf das andere. Schließlich entschloß er sich, den Coolen rauszuhängen und winkte gelangweilt ab. »Hör zu ...«

»Sandy«, half ihm das Girl auf die Sprünge und deutete mit ihren rotlackierten Fingernägeln auf das Namensschild an der Windschutzscheibe. Dieser Name stand bestimmt nicht in ihrem Personalausweis, er tippte auf Elfi oder Uschi. Er wußte, daß die Konversation beendet war, wenn er sich jetzt schon als Reporter outete. Also weiter den Freier mimen, bis es spannend wurde.

»Hör zu, Sandy«, murmelte er und brachte ein gewinnendes Lächeln zustande. »Wenn ich 'ne Handentspannung bevorzuge, dann kann ich das notfalls auch alleine. Laß uns also zum Punkt kommen.«

»Du gefällst mir, Kleiner.« Sandy räkelte sich verführerisch in ihrem Beifahrersitz. Das Wort ›Kleiner‹ war allerdings Ironie, da Bernd fast zwei Meter groß war.

»Schön.« Bernd grinste.

Er klemmte sich seinen glänzenden Motorradhelm unter den Arm und näherte sich dem Wohnmobil. Die Honda hatte er so hinter den fahrbaren Puff gestellt, daß man sie von der Straße aus nicht erkennen konnte. Die großen Laubbäume des Westerwaldes boten genug Sichtschutz, um unentdeckt zu bleiben. Hoffte er.

Nicht auszudenken, wenn seine ›Else‹ neben dem Bumscontainer einer Nutte von einem Bekannten gesichtet wurde.

»Vielleicht erhältst du auch einen Rabatt, weil du so niedlich bist.« Sandy erhob sich, wobei ihr seidener Kimono einen Spalt breit zu weit auseinanderklaffte. Bernd hatte Mühe, ein trockenes Schlucken zu unterdrücken.

»Wäre nett. Laß uns jetzt loslegen, ja?« bat der Reporter, der fürchtete, im letzten Augenblick noch neben dem Wohnmobil gesehen zu werden.

Sandy lachte, wobei ihr praller Busen in Wallung geriet.

»Hui, du hast es aber eilig, was?«

Bernd nickte stumm, während er zur seitlichen Türe des Wohnmobils ging. Sandy hatte ihren Platz im Fahrerhaus verlassen und öffnete von innen. Kaltenbach warf einen letzten Blick über die Schulter, bevor er im Inneren verschwand.

»Also?« gurrte sie, nachdem sie die Türe hinter ihm verschlossen hatte.

In der Höhle des Löwen gefangen, durchzuckte es Bernd. Augen zu und durch. Und stark bleiben, Bernd, mahnte er sich.

»Was ›also‹?« fragte er, während sie am Gürtel ihres Kimonos zog. Das schmale Stoffteil glitt lautlos zu Boden. Fasziniert genoß Bernd des Anblick ihres makellosen Körpers. Weiße Spitzenwäsche, die mehr preisgab als sie verbarg, auf gebräunter Haut, jede Rundung da, wo sie hingehörte und ein Hüftschwung wie ein Topmodel.

Mit einer eleganten Bewegung strich sie sich eine Haarsträhne aus dem hübschen Gesicht und blickte ihn erwartungsvoll an.

Die langen, dauergewellten Haare umrahmten ihr Gesicht mit den großen blauen Augen und den markanten Wangenknochen, die zu einem sündigen Mund mit vollen Lippen zu deuten schienen.

»Na, wie möchtest du's denn gern?« fragte Sandy und näherte sich einen Schritt. Bernd spürte die angenehme Wärme, die von ihrem atemberaubenden Körper ausging, atmete den Duft ihres betörenden Parfums ein, während er nach einer Antwort suchte. ›Ich bin ein Reporter und würde dich gern über die Nuttenmorde ausfragen‹, konnte er schlecht sagen.

Diplomatie war also angesagt.

Aber wie? Bernd spürte, wie ihm heiß wurde und wußte nicht, ob es an der pikanten Situation lag oder an der ebenso heißen Sandy, die sich ihm langsam aber unaufhaltsam näherte.

Nur nicht rot werden und keine Unsicherheit anmerken lassen, mahnte er sich.

»Am liebsten hätte ich das volle Programm, Süße«, murmelte er mit kehliger Stimme. »Aber da ich noch etwas vorhabe, muß ich mich wohl mit der Standardnummer begnügen ...«

Sandy lachte gurrend. »Wie du willst.«

Sie öffnete ihren BH und ließ ihn gekonnt zu Boden gleiten, bevor sie sich das Höschen abstreifte.

Dabei lächelte sie den Reporter verführerisch an und ließ ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen.

Die Kleine ist viel zu schade, eine Professionelle zu sein, durchzuckte es Bernd fast wehmütig.

Ihr Körper war nahtlos braun, was den Reporter auf eine Sonnenbank tippen ließ.

Aber das war ihm relativ egal. Im Augenblick.

Nun schmiegte sie sich an ihn und machte sich an seiner Motorradkluft zu schaffen. Daß diese kein ernstzunehmendes Hindernis für Sandy darstellte, mußte er kurze Zeit später einräumen, als er mit ihr auf die große Liegefläche im Fond des Wohnmobils sank. ›Hast du Zeit für ein Interview‹, wäre wahrscheinlich die falsche Frage gewesen, um jetzt an wichtige Informationen zu gelangen, dachte er, während das kleine Biest sich intensiv um seinen kleinen Freund kümmerte. Eine Sekunde später hatte er vergessen, warum er überhaupt hierher gekommen war. Als er die Hitze ihres bereiten Schoßes spürte, schloß er die Augen und warf alle Bedenken über Bord. ›Verdammte Weiber‹ war das Letzte, was ihm einfiel.

»Weißt du eigentlich, was eine gute Fee ist?« beantwortete er später Sandys Frage, ob er zufrieden wäre, mit einer Gegenfrage.

Die Schwarzhaarige hatte sich ihren Kimono übergeworfen und reichte ihm Handtücher.

»Nein, weiß ich nicht«, murmelte sie verwirrt.

Bernd hatte sich frischgemacht und schlüpfte nun in den Bikerkombi. Er hatte die Oberhand gewonnen und grinste über beide Ohren. In der Tat hatte Sandy gute »Arbeit« geleistet, und er war zum ersten Male in seinem Leben im Bett einer Prostituierten gelandet.

»Eine gute Fee ist eine hübsche Frau, die sich nach wahnsinnig gutem Sex in einen Kasten Bier verwandelt«, erwiderte er nun.

Sandy machte ein empörtes Gesicht und warf ihn ein Kondom an den Kopf. Ein unbenutztes, wie er erfreut feststellte. Dennoch schleuderte er den Gummi auf den Boden und lachte.

»Scheißkerle, alle!« rief Sandy und stimmte in sein Gelächter ein. Trotz ihrer Verführungskünste, die den stärksten Mann im wahrsten Sinne umwarfen, hatte sie nichts Nuttiges an sich, fand Bernd.

Sie schien sogar verletzlich, und er fragte sich ernsthaft, wie sie an diesen Beruf geraten war.

»Macht der Job Spaß?« fragte er, nachdem das Lachen aus seinem kantigen Gesicht verschwunden war.

Sandy zog die Mundwinkel nach unten.

»Macht dein Job Spaß?«

»Manchmal.«

»Eben. So geht es mir auch. Mit dir zum Beispiel macht er sogar viel Spaß.« Sandy hockte auf einem Beistelltisch und schlug die Beine übereinander. Unwillkürlich starrte Bernd auf die Stelle, die er vor wenigen Minuten kennengelernt hatte.

»Erzählst du das nicht jedem?« fragte Bernd und fuhr sich durch die schulterlangen Haare.

Schulterzucken. »Wenn ich ›nein‹ sage, glaubst du mir sowieso nicht, gell?«

»Stimmt.« Bernd griente sie an und überlegte fieberhaft, wie er die nächste Frage stellen konnte, ohne den Deckmantel des ›Small Talk‹ zu verlassen.

»Was machst du überhaupt beruflich?«

Der Reporter zuckte unmerklich zusammen. »Ich ... ich arbeite für eine Druckerei ... gewissermaßen ...«

»Hmm.« Sandy nickte nachdenklich.

»Hast du eigentlich keine Angst?«

»Wovor?«

»In jeder Zeitung liest man von den Morden, die sich in letzter Zeit hier oben ereignet haben. Ich meine, da wird man doch nervös, oder?«

Sandy winkte gleichgültig ab. »Du bist auch fremd hier. Ich zumindest habe dich hier noch nie gesehen. Eigentlich müßte ich dir also mißtrauen.«

»Aber?«

»Ich habe mir eine Knarre zugelegt. Wenn mir ein Typ spanisch vorkommt, kann ich mich schützen.«

»Du ... du würdest jemanden umlegen?« fragte Bernd.

Sandy nickte. »Klar. Bevor ich draufgehe, wehre ich mich, oder würdest du anders handeln?«

»Wahrscheinlich nicht. Hat man sich um euch gekümmert, waren die Bullen da?«

Sandy lachte amüsiert, als hätte man ihr einen guten Witz erzählt.

»Bullen? Uns beschützen? Es sind immer die feinen Herren, die sich nach Feierabend ein Stößchen gönnen, bevor sie zu Muttern heimkehren. Genau diese Herren sind es aber, die uns in aller Öffentlichkeit übersehen und am liebsten verbieten würden.«

Bernd schüttelte verständnislos den Kopf. »Aber es hat doch Tote gegeben. Das ist Sache der Kriminalpolizei, oder?«

»Wenn es sich um normale Angestellte gehandelt hätte, sicherlich. Aber was soll's«, sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es sind doch nur Nutten gewesen, die man bestialisch umgebracht hat.«

»Hat keiner von euch einen Verdacht?«

»Sag mal: Bist du auch ein Bulle oder was?« fragte Sandy nun. Ihre blauen Augen funkelten zornig.

»Sieht das aus wie ein Verhör?« fragte Bernd beschwichtigend und hob beide Hände.

»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.« Sandy brachte ein versöhnliches Lächeln zustande.

»Eine Frage noch«, murmelte Bernd, bevor er die Tür des Wohnmobils aufstieß.

»Wie tief nimmst du ihn in den Mund?«

»Scheißkerl, verdammter!« rief Sandy in gespielter Empörung und warf ihm ein Kissen an den Kopf.

Sie puffte ihn freundschaftlich in die Seite. »Besuchst du mich mal wieder? Es war schön.«

»Ich weiß«, erwiderte Bernd todernst, »wo ist denn mein Preisrabatt?«

»Sorry, aber meinen Beschützer interessiert es nicht, ob ich meinen Spaß hatte.« Sandy zuckte mit den Schultern.

»Kann ja mal fragen«, griente der Reporter, bevor er das rollende Bordell verließ.

»Mach's gut, alter Macho«, rief Sandy ihm nach, dann zog sie die Türe hinter sich ins Schloß.

»Paß auf dich auf«, murmelte Bernd Kaltenbach leise.

***

Mit gemischten Gefühlen trat er den Heimweg an.

Wenn auch auf sexuellem Gebiet ausgeglichener, so mußte er sich eingestehen, in Bezug auf die Reportage keinen Schritt weitergekommen zu sein.

»Außer Spesen nichts gewesen«, brummte er, während er die Honda über die Landstraße ins Wiedtal hinabsteuerte.

Dann war da noch Sabine.

Obwohl er sie keine Woche kannte, keimte nun so etwas wie ein schlechtes Gewissen in ihm auf. Er hatte sie betrogen – mit einer Prostituierten. Hatte er sie betrogen?

Unterwegs hatte er kaum ein Auge für das satte Grün der Wiesen und ausgedehnten Wälder, durch die ihn sein Weg führte. Mit der Erkenntnis, um hundertfünfzig Mark ärmer, dafür aber um eine Erfahrung reicher zu sein, erreichte er nach knapp zwanzig Minuten den Ortseingang von Rohrbach. Es war früher Nachmittag geworden, und Bernd verspürte ein Ziehen in der Magengegend. Er schwankte bei seinen Überlegungen, seinen Hunger zu stillen, zwischen einer Mahlzeit in Jos Biergarten und einer aufgewärmten Dose Eierravioli aus der heimischen Küche.

Schließlich gab er den Ravioli den Vorzug und lenkte die Maschine über die Rohrbacher Straße, wo sein altes Bauernhäuschen etwas abgelegen von der Straße lag.

Das verwinkelte, zweistöckige Fachwerkhaus mit den windschiefen Wänden war sein ganzer Stolz. Den kleinen Hof hatte er seinerzeit für einen geringen Einstandspreis erworben, nachdem der Vorbesitzer das Anwesen heruntergewirtschaftet hatte. Nach und nach hatte Bernd den kleinen Hof restauriert und ihn nach seinem persönlichen Geschmack eingerichtet. In den zurückliegenden Jahren hatte der Reporter das Haus in ein Schmuckstück verwandelt, um das ihn so mancher Rohrbacher beneidete.

Als Kaltenbach von der Straße abbog, wußte er nicht, ob er sich freuen oder ärgern sollte. Auf der kleinen Holzbank neben dem Eingang hockten zwei ihm wohlbekannte Gestalten.

Scheinbar hatte man ihn daheim vermißt.

Erich, das seit einigen Jahren arbeitslose Dorforiginal, und Udo Reuschenbach, der Hauptwachtmeister in Zivil, hockten dort wie bestellt und nicht abgeholt.

Seufzend stellte Bernd seine ›Else‹ auf die »Beine« und kletterte vom Bock.

»Da freut man sich auf einen erholsamen Feierabend, und dann wird man vor der eigenen Haustüre derart überfallen«, murmelte er, während er seinen Helm absetzte und sich durch die Haare fuhr. »Is' ja widerlich ...«

»Wird Zeit, daß du aufkreuzt ...«, empfing Udo ihn und sprang in die Höhe.

»Ist euer Bier alle, oder was?«

»Udo hätt Neuischkeide ...«, Erich erhob sich ebenfalls, und Bernd stellte mit einem Seitenblick auf den Hünen fest, warum der Mensch vom Affen abstammen mußte.

»Was gibt es denn so wichtiges?« fragte Bernd gedehnt und nahm die Holzbank alleine in Beschlag. Er blinzelte in die Sonne, wo seine Besucher standen.

Irgendwo auf den Wiesen hinter dem Haus zirpten die Grillen, und es könnte alles so friedlich sein, wenn da nicht diese beiden Quälgeister wären.

»Es geht um den Wachskopf«, begann Udo zögernd.

»Was hat Erich damit zu tun?« brummte Bernd stirnrunzelnd.

»Los misch da russ!« rief der massige Mann, der zwar stark genug war, den alljährlichen Maibaum alleine in die Höhe zu stemmen, aber die Zehnerreihe nicht ohne Spickzettel aufsagen konnte. So verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs auf den umliegenden Gehöften, die zwar seine ganze Kraft, aber keine Intelligenz erforderten.

»Nicht Erich«, bemerkte Udo, »es geht um die Attrappe von Peter Wellershoffs Kopf.«

»Ich erinnere mich dunkel.« Bernd machte einen angestrengten Gesichtsausdruck.

»Dann isset ja juht.« Erich kicherte, wobei sein ganzer Körper in unkontrollierte Zuckungen geriet.

»Die Frau des Fabrikanten möchte dich kennenlernen.«

»... sie will was?«

»Ja, sie hat sich auf der Wache zur Erstellung des Protokolls gemeldet, und irgendwie fragte sie nach dem Reporter, der in der Nacht anwesend war und den Bericht im Express verfaßt hat.«

Bernd legte den Kopf schräg. »Warum meldet sie sich dann nicht in der Redaktion?«

Schulterzucken. »Keine Ahnung.«

»Das riecht nach Ärger.«

»Den Eindruck hatte ich allerdings nicht«, erwiderte Udo.

»Dann werde ich gleich morgen nach Linz fahren, um ihr einen Besuch abzustatten. Vielleicht kann ich nähere Umstände erfahren.«

Bernd erhob sich.

»Unnötig«, entgegnete der Polizist. »Sie befindet sich bereits wieder zu Hause.«

»Gut.«

Bernd betrat das Haus, ohne sich um seinen Besuch zu kümmern.

Sein Magen hing ihm bis in die Kniekehlen.

»Bernd?«

Er fuhr herum. »Was?«

»Hast du 'n Bier?«

»Ich denke, du hast Nachtschicht?«

»Isch äwwer nit«, mischte Erich sich mit vor Erwartung glänzenden Augen ein.

»Und ich habe Freizeitausgleich.«

Bernd seufzte. »Kommt rein, verdammte Bande!«

Mit Grauen dachte er an seinen Artikel, den Prangenberg morgen auf dem Schreibtisch haben wollte. Es würde vermutlich wieder einen Luftartikel geben: Einige rhetorische Zeilen, die eigentlich keine wesentliche Message enthielten und nur dazu dienten, die Zeitung übermorgen auszufüllen. Es war zum Haare raufen ...

Es kam, wie es kommen mußte. Nach drei Bier wechselte man das Lokal. Im »Uhu« belegten die drei ungleichen Freunde die Theke, um direkt neben der Quelle zu sitzen.

Dann wurde es ein Besäufnis, wie sie es zweimal im Monat durchzogen. Abwechselnd zum Pils stand dann ein Gläschen »Westerwälder Strünzer« auf dem Tresen, der wiederum so süß war, daß man Durst auf ein weiteres Bier bekam.