Der Kopf - Heinrich Mann - E-Book

Der Kopf E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Klassiker von Heinrich Mann über Leben und Leid Anfang des 20. Jahrhunderts.Das Leben der beiden Jugendfreunde Terra und Mangolf könnte nicht unterschiedlicher verlaufen. Während Terra sich mit vielen Jobs jenseits der Legalität durchschlägt, macht Mangolf Karriere und bewegt sich in Berliner Regierungskreisen. Die Wege der beiden kreuzen sich immer wieder. Fast scheint es so, das Schicksal der beiden sei miteinander verbunden – sogar bis in den Tod... -

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Heinrich Mann

Der Kopf

 

Saga

Der Kopf

 

Coverbild/ Illustration: Shutterstock

Copyright © 1925, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726885675

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Neunzig Jahre vorher

Indes es noch dämmerte, entfaltete sich der linke Flügel des französischen Heeres am Wald hin. Aus dem Wald schwärmten Schützen, sie nahmen schon den Brückenkopf. Die ganze Festung geriet in furchtbare Verwirrung, ihre Verteidiger flohen bis unter die Mauern. Auf einem der niedrigen Hügel, die die Ebene beherrschten, sagte der Kaiser, den Feldstecher vor den Augen: »Der Feind denkt auf jeder der Landstraßen, die drüben sich kreuzen, eine seiner Divisionen entwischen zu lassen, aber er wird sich betrogen sehen, wir stürmen die Brücke, denn er wird die Sonne in den Augen haben. Ein prachtvoller Tag!« Er trällerte aus einer Operette: »Es kann kein Zweifel sein, der Dummkopf fällt herein.« Da nahm er mit einem Ruck das Glas fort: er hatte den linken Flügel weichen gesehen. Sofort schickte er einen seiner Adjutanten hinunter, um die Ursache zu erfahren.

Sie bestand darin, daß die Truppen seit zwei Tagen kein Brot mehr hatten. Am Wald unter einer Eiche, bei großem Hinundherjagen, Geschrei und Kanonengetöse, beschimpfte der General den Intendanten. »Ihre Leute stehlen!« Wie er den Adjutanten des Kaisers nahen sah, ward der General noch wütender. »Sie stehlen selbst!« schrie er dem Intendanten zu.

In diesem Augenblick wurden zwei Männer in bürgerlicher Kleidung vorbeigeführt, sie sollten Spione sein. Der Intendant, der sie etwas von Getreide hatte rufen hören, klammerte sich an den Zwischenfall, er ließ sie herbeibringen.

»Ihr habt Getreide?« fragte er erbittert. »Dann habt Ihr die Bauernwagen gestohlen, die nicht eingetroffen sind. Ich lasse Euch aufknüpfen.«

Der General und der Adjutant sprengten fort, um sich persönlich von dem Stande der Schlacht zu überzeugen. Der Intendant verlangte von den Männern:

»Her mit dem Getreide!«

»Bezahlen Sie es?« sagte der eine.

»Sonst suchen Sie es!« sagte der andere.

Der Intendant sah sie an. Sie hatten entschlossene Gesichter, der eine ein rundes ziegelrotes, mit Ringen in den Ohren, der andere ein langes, fromm und hart. Sie trugen Mäntel mit drei Kragen, dazu Pelzkappen und lange Stiefel.

»Schurken!« sagte der Intendant – und dann leise, wegen der Umgebung: »Ich kann Euch retten.«

Sie befragten einander mit den Augen, darauf schien es, als hätten sie nichts gehört. Der Intendant warf sich in die Brust, denn General und Adjutant kehrten zurück. Der Adjutant hatte die Truppen von der Unzufriedenheit des Kaisers verständigt. Zugleich hatte er ihnen zugerufen, es sei Brot eingetroffen. Niemand zweifelte an dem Erfolg des einen oder des anderen Mittels, wenn auch vorerst der Kampf noch immer näher kam. Mehrere Granaten platzten vor den Füßen der Herren, einige Verwundete wälzten sich zu nahe, die Herren traten ein wenig zurück. Die beiden Bürger, auf die niemand mehr acht gab, gingen ruhig mit, wie geladene Zuschauer. Dem General ward eine Flasche aus der Hand geschossen. Da er sich umsah, reichte einer der Bürger ihm die seine.

»Ihr seid noch da?« fragte der General. »Warum holt Ihr Euer Getreide nicht?«

Der mit dem langen Gesicht fragte: »Wird es uns bezahlt werden?« Der General sagte: »Wir haben den Höchstpreis.«

»Zum Höchstpreis liefern wir nicht.« Dies sagten sie einstimmig.

»Auch nicht, wenn ich Euch erschießen lasse?«

»Lieber erschossen als ruiniert«, sagten sie. Der Adjutant des Kaisers bemerkte: »Es ist, als wenn wir sagen: lieber tot als entehrt.«

Der General lächelte witzig. »Ihr seid Freunde?« fragte er; und da sie nickten: »Einem von Euch will ich mehr zahlen als den Höchstpreis. Der andere hat das Nachsehen.«

»Wir brauchen aber alles«, rief der Intendant. »Auch die zehnte Division hat nichts mehr.«

Der General dagegen: »Mir ist es gleich, was die anderen essen, wer liefert also?« fragte er die beiden Männer.

Sie sahen an einander vorbei und schwiegen.

Der General hatte gewartet, plötzlich faßte er den Größeren bei der Schulter, er schien mit ihm zu verhandeln. Da stieg dem Kleineren das Blut ins Gesicht. »Was Sie von dem bekommen«, sagte er bissig, »können Sie auch von mir haben.«

»Ihr Kamerad ist aber billiger als Sie.«

»Woher wissen Sie es?« Der Kleinere bekam rote Augen. »Ich will nicht mehr als den Höchstpreis.«

Das Gesicht des Größeren blieb fromm und hart, aber er ward heiser. »Das fehlte nur noch«, stieß er aus, gegen den anderen.

Der General sah sich triumphierend um. Inzwischen hatten auch seine Truppen Erfolg. Sie drangen dem Feind nach, der Kampf entfernte sich. Der General saß auf und sprengte hinterdrein, der Adjutant ritt in gestrecktem Galopp nach dem Hügel drüben, damit der Kaiser die Wirkung seines Eingreifens von niemand als ihm selbst erfahre. Auch den Intendanten riefen die Ereignisse, wie alle anderen. Allein standen die beiden Bürger vor einander, am Waldrand, einige hundert Meter von der Schlacht, die sie nicht sahen noch hörten. Sie hatten Sinne nur für ihre Sache.

Der Größere grollte aus der Tiefe: »Was tust Du hier?«

Der Kleinere keifte sofort auf. »Ich bin hier an meinem Platz so gut wie Du.«

»Nur weil ich herkam, kamst Du auch. Vom Hause her auf Schritt und Tritt hast Du Dich an mich gehängt, die ganzen hundert Meilen.«

»Wer hat mich nicht aus den Augen gelassen?«

»Weil Du in jedem Hof schon gewesen warst, wo ich mich einstellte.«

Der Größere trat näher an den anderen hin. Der Kleinere hob sich auf die Fußspitzen, um ihm die Fäuste unter die Nase zu halten. »Du hast die Bauern bestochen«, keifte er. Jener grollte: »Du hast Räuber gedungen, damit sie mich ausplünderten.«

Da stieß der Kleinere zu, und sofort umschlang ihn der Größere, sie rangen. Sie warfen einander gegen Bäume, stürzten, rollten fort; und in Atempausen, wenn einer über dem anderen lag, keuchten sie einander noch zu: »Vor zehn Jahren bei dem Hauskauf hast Du mich betrogen!«

Dem Kleineren quollen die Augen heraus, er lag unten. Aus der Frömmigkeit in dem langen Gesicht des Größeren war Leiden geworden. Er glaubte die Besinnung zu verlieren, so sehr litt er. Um sich zu erleichtern, packte er den Kleineren um die Kehle. Der brachte trotzdem hervor: »Wärest Du nie auf der Welt gewesen!« Jener konnte nicht sprechen, er drückte nur fester, da schwieg der andere.

Der Mörder sprang auf, eine Kugel war an seinem Kopf vorbeigeflogen. Er sah in einem, wo er war und was er getan hatte. Er floh in den Wald. Als er schon weit war, kehrte er um. Andere Getötete lagen da, er mußte den seinen erst suchen. Dann kniete er bei der Leiche hin, das Gesicht nach der Schlacht gewendet, und wartete. Jetzt kam keine Kugel. Allmählich sank seine Stirn bis auf den Boden.

»Holla, Euer Getreide ist keinen Heller mehr wert!« rief jemand. Der Intendant war es, er rüttelte, man mußte wohl aufstehen. »Die Schlacht ist gewonnen«, der Intendant überschrie sich und fuchtelte. »Die Brücke genommen, der Feind umzingelt, gefangen, was nicht tot ist. Wir haben seine Vorräte.«

Schon beruhigte er sich und sah klarer. »Sie sind in einem Zustand, als hätten Sie mitgekämpft. Ihr Kamerad scheint sogar – aber wo ist seine Verwundung?«

Da der Intendant aus der Faust des Getöteten einen Fetzen vom Mantel zog, gestand der Mörder: »Wir haben Streit gehabt.«

Sofort warf der Offizier sich in die Brust. »Sie haben gemordet«, stellte er fest. Er rief Soldaten an, sie packten den Mörder. Da kam der General vorbei, er hielt sein Pferd an. »Und das Getreide?« fragte er. »In der Festung haben wir keines gefunden.«

»Der Mann hat seinen Begleiter ermordet«, sagte ernst der Intendant. Der General stutzte. »Ich weiß, sie hatten Streit. Sie gönnten einander den Wucher nicht.« Er hob die Schultern, mißbilligend und mit Verachtung. »Aufhängen.«

Der Mann aber zuckte heftig. Dies war ein Irrtum, sie wußten nichts. Er wollte erklären.

»Wir waren Freunde«, sagte er mit brechender Stimme.

»Um so schlimmer«, sagte der General und ritt weiter, denn er sah den Kaiser nahen.

»Ich habe mich noch nicht deutlich genug gemacht«, dachte der Mann, aber schon warf ihm jemand einen Strick um den Hals, das andere Ende hing schon über einem Ast. Da sah er, es war die Eiche, unter die sie als Spione geführt worden waren, er und sein Freund – vor wenig Zeit erst. Er hatte geglaubt, er sei tageweit fort von hier. Vor seinen Füßen lag sein Freund tot. Plötzlich sah er seine eigenen Füße über dem Toten schweben, sie zogen ihn hinauf. »Was fällt ihnen ein«, dachte er. »Ich bin doch ein Kaufmann aus weiter Ferne.«

Er dachte an ein Haus dort hinten, an Söhne und Töchter, die Schiffe im Hafen. Am Hafen kam ihm sein Freund entgegen. Jetzt sah er ihn nicht mehr, weil die Sonne ihn blendete.

Die Sonne stand hoch über dem Schlachtfeld. Nach ihrem Aufgang hatte sie den Feind geblendet, wie der Kaiser es gewollt hatte. Jetzt strahlte sie auf seinen Sieg. Er kam geritten mit seiner Marmormiene, im Abstand hinter ihm der glänzende Schwarm. Sein Pferd tänzelte gewandt zwischen den Leichen.

Erster Teil

Erstes Kapitel. Die Frau von drüben

Der Zwanzigjährige stürmte die Straße hinan. Sie war steil, der Wind strich her, ihm stockte der Atem. Wie sehr er stürmte, der Körper meinte zu erstarren, so weit voraus lief ihm die Seele.

Als er um die schiefen Nachbarhäuser bog, ging grade die alte Glocke seines Vaterhauses, und auf der Schwelle stand sein Freund. »Ich wollte zu Dir«, sagte der Freund und erblaßte bei der Lüge, denn er kam von drinnen. Terra begriff nichts. Er rief gegen den Wind: »Ich werde glücklich werden!«

Mangolf lächelte wehmütig und gewitzigt. »Jetzt, den fünften Oktober 1891 um zwölf Uhr zehn, bist Du glücklich. Sage lieber nicht mehr als das.«

»Lebewohl«, sagte Terra. »Ich muß zum Juwelier.«

»Dein Brautgeschenk? Sie willigt ein?«

Terra faßte stämmig Fuß auf dem Pflaster; um seine Mundwinkel flog es. »Ich würde in dem längsten Leben die Selbstverachtung nicht verwinden können, zu der die freiwillige Aufgabe meines höchsten Lebenszieles mich verdammt hätte.«

Der Freund fragte: »Mit dem Geld versieht Dich der wucherische Schneider?«

»Schon nächstes Jahr macht mein Erbe mich wohlhabend. Ich gehe, wohin es mir gefällt, mit der Frau, die das Leben ist.«

»Lebewohl denn«, schloß der Freund. Terra senkte die Augen, er sagte mit Überwindung, wie ein Mädchen, das sich schämt: »An unsere Verabredung heute Abend denkst Du nicht?«

Mangolf, um so klangvoller: »Wenn Dir an ihr noch etwas liegt? Eine Frau geht zehn Freunden vor.«

»Aber nicht dem einen«, sagte Terra, schlug die Augen auf und meinte zu versinken. Mangolf fühlte: »Um Gotteswillen, das darf er nicht allein gesagt haben.« – »Wir wissen Bescheid«, sagte er männlich und warm. Er sah dem Freunde nach. Terra ging langsamer fort, als er gekommen war, sein Glück bedenkend wohl, anstatt es zu erstürmen.

 

Mangolf drang schnell in das Haus. Der weite Flur hallte noch von dem Geklapper der Glocke, da war er schon über die gelbe Treppe. Man dachte drunten: er geht zum Sohn. Er schlüpfte aber an dem Zimmer des Sohnes vorbei, in die Tür daneben.

Die Schwester saß lesend, die Hände auf den Ohren. Ein schmaler Blitz aus ihren Augen in den Spiegel gegenüber, dann blieb sie regungslos haften am Ende der Seite, ohne umzublättern. Der dunkle Knabe dort hinten verschlang sie, hart klopfenden Herzens: die schmalen Schenkel, die vorragten vom Sitz, den hohen weißen Nacken über der Lehne, und um das süße, ferne Profil, »fern, noch wenn ich es küsse«, der gebauschte blonde Prunk ihres Haares, worin, von dem geschlossenen Laden her, ein runder Lichtschein flammte.

Jetzt war er da, griff ohne Schonung zu und drückte ihr das Gesicht in den Nacken. Sie schloß die Augen erst, als seine Lippen auf ihre halboffenen stießen. Sie sank, wie seine ungeschickten, gierigen Hände auf sie eindrangen, immer tiefer an ihn hin.

Als sie das Kleid wieder glatt strich, schien ihr gesenktes Gesicht zu lächeln, sicher spöttisch und wahrscheinlich grübelnd. Ja; sie sagte: »Was heißt das. Wenn man wüßte, was das heißt.«

Weil ihn dies beleidigte, griff er aufs Neue zu, jagte sie durch das Zimmer – und ward von ihr gefangen. Dann brachte sie selbst die Antwort. »Das heißt, wir nehmen Abschied.«

Er verschränkte die Arme und wollte sich wegwenden, sie zog ihn herum. »Mach' immerhin Deine Luziferbrauen! Wolf, Du heiratest mich nicht. Wolf, ich will Dich auch nicht.«

Er entgegnete ordnungsgemäß: »Ein Wort genügt, und meine gern erfüllte Pflicht geht Allem vor.« Sie sagte aus ihrer blonden Höhe: »Mein Lieber, wir nehmen beide das Leben viel zu ernst, um uns nur zu unserem Vergnügen zu heiraten.«

Er nahm die Arme auseinander. »Wenn Du es denn hören willst, ich habe zu viel vor mit mir in der Welt, als daß ich mich schon heute in die Abhängigkeit von Deiner Familie begeben möchte.«

»Und wenn Du erst Deine Studien beendet hast, fühlst Du Dich verpflichtet, ein Mädchen zu suchen, das um mehrere Millionen reicher ist als ich.«

»Ich will durch mich selbst hinauf«, behauptete er.

»Das sage auch ich.« Dabei verschränkte nun sie die Arme. »An Dir hängen bleiben, bewahre. Obwohl Du mein Typ bist, aber davon gibt es mehr. Vor Allem beim Theater, wohin ich gehe.«

»Wenn Du denkst, daß das leicht ist.«

»Eifersüchtig! Weil Du nicht unersetzlich bist.«

»Warum betonst Du es? Du haßt mich. Es ist der Geschlechtshaß«, sagte der Zwanzigjährige.

Dies Wort, so hochgemut sie selbst auch reden konnte, machte ihr Scham, sie trat zum Fenster. Er war sogleich bei ihr und sprach ihr in den Nacken. »Wären wir frei! Geliebte Lea!« Sie unterbrach. »Du darfst mich Nora nennen, wie Alle, außer meinem Bruder.«

»Ich wünschte mir nichts, Leonora, als auf und davon mit Dir, und für Dich arbeiten, hungern, kämpfen. Erfolge, damit Du lächeln kannst! Reichtum, damit Du schön bist! Ein langes Leben, weil Du lebst!«

Sie hielt sich still, und erschauerte im Innern, so weich, so brennend war seine Stimme. Da erschien ihr im Spalt des Ladens ihr Bruder.

Der Bruder betrat festen Schrittes das Haus gegenüber. Dort wohnte die Fremde, die er liebte. Die Fremde schien droben hinter den Vorhängen sich anzukleiden. Jetzt gingen bei ihr die Türen. Der Bruder betrat das Zimmer daneben. Zu der Frau kam ihr Mädchen und half ihr. Schneller, die Frau stampft, sie kann es nicht erwarten, bis er ihr seine Geschenke und sich selbst bringt. Fertig, sie wird die Tür aufreißen, hinter der er umhergeht. Nein, Hut und Mantel – und fort, hinunter, zur Haustür hinaus, nahe der Mauer hin, damit er sie von oben nicht sieht, und um die Ecke. Fort.

Droben der Bruder aber ahnte nichts und ging umher. Plötzlich stand er, als sammelte er sich und erforschte, was geschah.

Die Schwester hinter dem Laden spürte im Nacken den Hauch ihres Geliebten, sie murmelte: »Was Du dahinredest, Claudius tut es. Er tut es, Lieber.«

»Er will in die Welt gehen mit einer Abenteurerin. Sie hält ihn überdies zum besten. Wir denken darüber dasselbe, schöne Lea.« Da biß die Schwester sich auf die Lippe.

Der Bruder drüben hatte sich gesetzt, war aufgesprungen und hielt nun das Ohr an die Tür nach dem Zimmer der Frau. Die Schwester sah seine Brust arbeiten, sie fühlte: »Wäre die Frau noch drinnen, jetzt müßte sie ihm öffnen!« Aber dem Bruder ward nicht geöffnet, er fiel auf einen Sitz, wie erschöpft von Anstrengungen, legte die Hand über die Stirn, die Augen, und wollte wohl still bleiben, – aber ihm zuckten die Schultern.

Der Schwester zuckten sie wie ihm, auch ihre Augen brannten. Der Freund hinter ihr murmelte: »Soll man ihn beneiden?« Sie wandte sich um. »Hüte Dich vor ihm!« sagte sie glühend. Er verzog den Mund. »Wir müssen uns beide vor ihm hüten. Im Grunde aber kenne ich ihn. Er spielt Komödie.«

Sie schritt tragisch in das Zimmer vor. »Rühre daran nicht!«

Er verbeugte sich. »Und Du bist seine Schwester.«

»Wie wir beide, Lieber, uns eigentlich fremd sind!« sagte sie verächtlich. Er ward bleich und stieß hervor: »Ich vergesse es selten.«

Sie sagte gehoben: »Ihn verstehe ich. Warum ist er nur mein Bruder!«

»Bringe es vor ihm selbst über die Lippen!« verlangte er höhnisch.

»Und warum mußt Du da sein?« fragte sie, und ihr junger, unbändiger Schmerz spielte sich ihr dennoch auch vor.

Er streckte die Arme nach ihr aus. »Ergreifend bist Du, Lea!«

»Nenne mich nicht Lea!«

Da lehnte er sich auf. »Ich bin aus anderem Blut als Ihr. Ganz recht, aus einem besser erhaltenen. Mich werfen die Gefühle nicht um. Vor mir wird Mancher daliegen.«

Damit war er draußen. Leonore hatte nur abgewehrt. Das Zimmer drüben, worin ihr Bruder geweint hatte, stand nun leer. Wann kam er zurück von seinem Lauf? Denn sie wußte, er lief jetzt durch die Stadt, ohne zu sehen noch zu hören, und den Kopf voll der alleräußersten Entschlüsse. Sie ward zum Mittagessen gerufen, aber sie verzog. »Wenn er heimkommt, will ich ihm auf der Treppe begegnen. Diesmal geschehe was will, ich umarme ihn. Habe ich es nicht schon einmal getan? Ich war zwölf Jahre alt, er vierzehn.«

Schon schritt er über die Straße herbei. Von der Treppe sah sie ihm entgegen, er blies noch immer aus einem Mund, den verstörter Haß krümmte, in Stößen den Zigarettenrauch. Als er seine Schwester erblickte, blieb der arbeitende Mund ihm stehen, Entspannung und Erlösung machten, daß seine Miene töricht ward. Ja, er lächelte, und er hob ein wenig die Hände, wie sie; es konnte der Anfang ihrer Umarmung sein. Dann streiften aber nur die Hände einander. In geschwisterlicher Scheu öffnete er ihr die Tür zum Saal und ging sie vor ihm her.

 

Da kamen von drinnen auch die Eltern, und jeder ging schweigend auf seinen Platz an dem runden feierlichen Tisch, der unter dem Kristall und den Wachskerzen des Lüsters inmitten des Saales gedeckt stand. Um die tafelnde Familie her, wie schon längst um ihre Vorfahren, glänzten in den feinen, gebrechlichen Holzwänden die alten Spiegel matt. Gemalte Ranken und bunte Vögel überzogen an den Rändern das Glas. Die Fenster trugen geraffte weiße Seide, goldgelbe Vorhänge, hoch wie in Bühnenbildern, und auch noch vergoldete Kandelaber hielten davor Wache.

Der Vater, im Frack, weil er von irgendeiner bedeutungsvollen Begebenheit kam, zerlegte ein Geflügel, die Mutter äußerte sinnend ihre Sorgen wegen der Tischordnung auf ihrem nächsten Diner, die Kinder saßen in guter Haltung. Ein Schiff sollte bald getauft werden, der Vater wünschte den Sohn zur Seite zu haben bei der Zeremonie. Die Reichstagswahlen standen bevor; der Freund des Vaters, Ermelin, war Kandidat; – da traf es uns doppelt peinlich, daß unser eigener Angestellter, der Buchhalter im Hafenspeicher, sich hatte aufstellen lassen von der verbotenen Sozialdemokratie. »Du bist unterrichtet, mein Sohn?« – was ein Verweis war, denn der Sohn war unbesonnen genug gewesen, den Buchhalter, in Gegenwart anderer Angestellter, durch ein Gespräch auszuzeichnen.

Der Sohn schien seinen Fehler nicht einzusehen, der Vater erwähnte daher Mangolf, den Freund. »Ihr Studenten erscheint hier für einen Ferienmonat, fühlt Euch noch keineswegs bürgerlich eingeordnet und bewegt Euch demgemäß. Meinetwegen. Dein Freund Mangolf hat aber die Gabe, seinen künftigen Pflichten vorzugreifen und schon heute der Welt Verständnis entgegenzubringen. Ich erfahre von den Beteiligten, daß sowohl der Hauptpfarrer von Sankt Simon wie der Direktor des Stadttheaters ihn als erste Kraft für ihre religiöse Aufführung schätzen.«

Erst bei dem letzten Satz hörte der Sohn wieder hin, er überlegte, das sei es, weshalb er seinen Freund zuletzt doch ablehne. »Uns trennt ein einziges Wort, das er anbetet: Erfolg haben.« Worauf er wieder in den inneren Anblick dessen versank, was ihm vor allem Ehrgeiz, allen Siegen stand. Da unterbrach die Mutter. »Wie starrst Du Deine Schwester an, ihr wird schlecht.«

Die Schwester hatte sein Gesicht sich verdüstern gesehen, – etwa nicht, weil der Name ihres Geliebten fiel? Der Bruder aber sah die ganze Zeit, mit den Augen in ihren, doch nur ein Gesicht, das nicht da war. Er kannte es, wie nur es, und verging doch vor Unruhe, was er denn kenne. Man konnte jene Frau also lieben wie das Leben, und vor lauter Begehren nicht einmal in ihrem Gesicht Bescheid wissen, ob es böse war, ob es glücklich war, ob es überhaupt das Gesicht eines fühlenden Herzens war. »Das ist meine Schwester«, sah er, »die ich klein kannte. Schön ist auch sie, auch sie blond, farbenhell und mit der dreisten Nase. Sehe ich sie einzeln, keiner ihrer Züge ist vollkommen, die Augen nicht, der Mund nicht, aber alles zusammen macht ein Wesen aus, wie es gewachsen ist mit mir selbst und wie es sein soll. Furchtbare Frau dort drüben, die unkennbar und doch unausweichlich ist! Ich muß zu ihr hinüber«, sah der bedrängte Zwanzigjährige und rückte schon den Stuhl.

Ein Wort des Vaters hielt ihn zurück. Ob er Eile habe. Ob die Ferien ihm zu lange währten. Er verteidigte sich ausweichend. »Schließlich kann ich nicht mehr tun, als daß ich sämtliche Prüfungen mache, zu denen mir Gelegenheit geboten wird.« Aber er wußte schon, wo dies hinaus wollte.

»Du möchtest vielleicht nächstes Semester mehr Geld ausgeben? Gern. Zerstreue Dich.« Der Vater fragte von unten, mit der gefalteten Stirn, die überlegen und doch auch machtlos aussah. Der Sohn ward weich. »Wie sehr muß ein so strenger Mann Kummer leiden, bevor er sogar meinen Leichtsinn unterstützt.« Die Augen der Mutter erbaten es wie eine verdiente Huldigung, er möge die Frau ihr opfern. Der Blick der Schwester freilich wollte vielleicht nur miterleben, was in ihm jetzt vorging.

Die Eltern hatten sich heimlich verständigt, daß er weich genug sei, die Mutter versuchte: »Man spricht davon, mußt Du wissen. Es kann uns nicht gleich sein.« – »Für wie vernünftig wir Dich auch halten«, ergänzte der Vater.

Der Sohn sah den Ernst der Lage. »Ich lebe nicht für die Leute«, versicherte er, mit gewollter Festigkeit.

»Gegen sie ist es nicht leicht zu leben«, bemerkte der Vater umso nachsichtiger. »Besonders, wenn sie schon alles wissen, was wir eigentlich als Erste erfahren müßten.« Da er den Sohn in Unruhe sah, sprach er schlicht belehrend. »Mein Sohn, ich habe hier einige Schriftstücke, Rechnungen und Anderes; sie sollen Dich aufklären über eine Dame, die Dir, es scheint leider so, nahe steht?« Besorgte Frage, der Sohn überhörte sie geflissentlich. Die Schwester machte eine Bewegung. »Nora kann dableiben«, entschied der Vater. »Eins unserer Kinder muß es wissen, wenn das andere in Gefahr ist«.

»Ich will nichts wissen«, hauchte die Schwester, in großer Furcht für sich selbst. Da sie den Bruder entgeistert anstarrte, glaubte er, sie verwerfe ihn feige. Erbittert stieß er aus:

»Anonyme Briefe!«

»Es sind Rechnungen«, sagte der Vater. »Mit deutlichem Firmenaufdruck. Deine, sollen wir sagen Verlobte, hat sich berechtigt geglaubt, auf Deinen Namen Schulden zu machen – nicht unbeträchtliche, aber immerhin bleibt sie damit in den Grenzen unserer Lebenshaltung. Sie weiß sich anzupassen, es ist keine unerfahrene Person.«

Diese Anspielung war zu viel. Der Sohn aber fühlte, er würde vielleicht auch sie noch ertragen haben, hätte nicht im Gesicht der Schwester Verrat gestanden. Unter seinem haßerfüllten Blick verlor sie den Kopf, sie plapperte: »Um Gotteswillen, Klaus, eine Abenteurerin!«

»Deine Schwester sagt es«, stellte der Vater fest, da sprang der Sohn vom Stuhl, untersetzt stand er da und wollte, mit leidenschaftlichem Zucken des Gesichtes, den Kampf aufnehmen. Der Vater winkte ab. »Ich weiß schon. Nächstes Jahr hast Du etwas Geld, von Deinem kleinen Erbe zahlst Du die Schulden der Dame und gehst – setzen wir gleich das Ärgste voraus – mit ihr in die Welt. Glaubst Du aber, daß sie so lange wartet?«

Der Sohn fuhr auf; was wagte man! Die Mutter und die Schwester hatten sich vom Tisch zurückgezogen, der Vater ließ sich nicht stören. »Auch darüber habe ich Nachrichten, nicht einmal ohne Namen. Ich darf sogar fragen, ist sie zur Stunde noch in der Stadt? War sie heute zu Hause? Du wirst es wissen.«

Es schwindelte den Sohn, er umkrallte seinen Stuhl. Die Mutter, die ihn erschüttert sah, sagte ruhig und geschmackvoll: »Wie war es nur möglich. Eine Abenteurerin, und weder jung noch hübsch.« Die Schwester fühlte: Wieder gut machen, ihm helfen, wie es geht! »Jeder hat seinen Geschmack«, sagte sie schüchtern, und aus Schüchternheit mit einer Art Lachen. »Nun kennen wir wenigstens den Deinen«, meinte der Vater, denn er hielt den Ansturm für gelungen und glaubte schon, spotten zu dürfen.

Der Sohn würdigte die Schwester keines Blickes mehr. »Was willst Du, Vater, mit Deinen Polizeiberichten, dort wo es mir um das Leben geht!« – worauf der Vater auf einmal geschlagen und arm aussah. Die Mutter, ihres besseren Wissens sicher, bewegte verneinend den Kopf.

»Der Fürst, ihr Mann, hat sie mißhandelt«, stieß der Sohn aus. Die Mutter lehnte ab. »Er war nicht ihr Mann, und sie hatte ihm, glaube ich, seinen Kutscher vorgezogen«. – Da der Sohn, um an sich zu halten, durch die Nüstern blies, erhob sie sich: »Erledige dies mit Deinem Vater!« – und entfernte sich gelassen. Die Schwester fühlte sich ausgestoßen, drum ging auch sie, die Augen voll Tränen.

Der Vater in seinem Frack saß abwartend da. Er hatte den Kopf schief gestellt und betrachtete den Sohn wohlwollend, fast gar nicht gönnerhaft. »Wir sind unter uns«, sagte er dann. »Jetzt könnten wir am Ende zugeben, daß wir diesmal hineingefallen sind.«

»Vater, ich schwöre Dir, daß sie den Fürsten –«

»Und den Bankier, mit dem sie vorher war? Und zwischen den beiden, als sie sich in Varietétheatern ausstellte? Aber es kommt auf kein Mehr oder Weniger an. Die Frage ist, willst Du auftreten im Leben – mit einer Gefährtin, die, man darf wohl vermuten, dem Abgang näher als dem Auftritt ist?«

»Falsch.«

»Du hältst sie wohl für ein unbeschriebenes Blatt?«

»Für keusch im Tiefsten. Ich erfahre es an mir selbst.«

Der Vater neigte das Gesicht, so versank das Lächeln im Schnurrbart. Hierauf fand er es geboten, den Ton höher zu nehmen. »Du legst Wert darauf, daß ich Dir ausdrücklich mit Enterbung drohe? Ich soll Dir erklären, daß ich weder entehrt noch ruiniert werden will?« Die starken Worte übten nun doch ihre Wirkung auf ihn selbst, er stand auf und sagte gerötet: »Wir sollen uns wohl niemals verstehen.«

»Wenn Du es nicht willst, Vater.«

Dies erbitterte Gesicht, die schwankend zufahrende Stimme erbarmten den Vater. »Wir brauchen einander doch«, sagte er mit gütiger Strenge. Der Sohn, nur noch erbitterter: »Wozu? Damit Du mich angreifst in meinem Besten?« – wobei er aber fühlte: er benimmt sich gut.

»Wir sind anständige Leute, wir finden uns schon wieder.«

»Kann sein, nie.« Der Sohn schnitt ab, um nur loszukommen.

Der Vater richtete die Hand gegen den sich Zurückziehenden. »Die Folgen trägst Du allein. Ich sitze weiter hier.«

Dabei mußte er sich wirklich setzen, die Knie versagten ihm, – und er sah mit abgehetzter Miene zu, wie der Sohn, rückwärts zur Tür gelangt, jäh kehrt machte und verschwand.

 

Er ging hinüber. Die Fürstin sei bei ihrem Anwalt, hieß es. Aber auch von dort war sie schon fort. Wohin? Gradaus kam der Hafen, die langen, krummen Gassen, das Gepolter der Lastwagen. Was hätte sie suchen sollen zwischen den Trägern, Handlungsgehilfen und den schwankenden Reihen angetrunkener Matrosen? Dennoch kam sie daher, als könnte es nicht anders sein. Er erkannte sie zuerst nicht, so unbefangen und zugehörig trat sie auf, mit ihrem großen Körper, ihrem Gang, ein wenig schaukelnd aber zielbewußt, ihren kühnen Bewegungen und Farben. Auch erregte sie weder Erstaunen noch Mißtrauen. Die Männer sahen sich um nach der schönen Person, mit Gesichtern, die vor lauter Verlangen entweder unterwürfig oder frech waren; manche Frau schalt hinter ihr her. Das Alles hieß nicht: was treibst Du hier? Es hieß: Du bist hier die Schönste. Zwei Leute kamen vorbei. »Sie ist aus dem Blauen Engel,« sagten sie und sahen sich um, weil Jemand sie begrüßte.

Terra war dunkelrot, er stotterte, als er sie begrüßte, er erging sich in umständlichen, mit harter Stimme gesprochenen Komplimenten, die ihm Zeit ließen, zu leiden. »Sie gehört aller Welt, ist es nicht klar? Sie verspricht sich Jedem, sie fordert Jeden. Es gibt Niemand, der sie nicht nackt sieht. Sie wird mich immer und ewig Leiden kosten.«

Er sagte ihr etwas über ihren Gang in der Menge und fühlte dabei: »Ihr Gesicht ist zu Allem fähig. Jetzt sieht es nur unzufrieden aus, weil ich sie hier betroffen habe. Aber ich weiß kein Wagnis, ob Glück oder Verderben, das ich ihrem Mund, ihrer Stirn nicht zutrauen würde. Ihre Stimme ist göttlich, sie enthält keinerlei Voraussetzungen.«

»Sie waren bei mir?« fragte sie nur.

»Warum vermuten Sie es?«

»Waren wir nicht verabredet? Nur: ich Sie sehe, fällt es mir ein.« Auf seinen empörten Blick antwortete sie: »Haben Sie etwas? Ach, das Kollier. Danke, ich fand es auf dem Tisch, es gefällt mir.«

»So geht es nicht,« sagte er heiser. »Ich setze mein Leben auf Sie, ich bin drauf und dran, mit Ihnen durchzugehen. Sie aber stellen sich jedesmal wieder, als sei nichts vorgefallen.«

»Wie langweilig,« dachte sie, »und hier, wo man gesehen wird. Die Spitzel des Fürsten sind überall, er könnte seine Zahlungen einstellen.« – »Kind!« sagte sie hell. »Wenn Sie erst groß und Kavalier sind, werden Sie von selbst an den Ruf der Frauen denken.«

»Da Sie doch morgen mein sein können!« Er raunte beschwörend.

»Darauf soll ich mich verlassen. Seien Sie meinetwegen beleidigt, aber wie weit kommen Sie denn mit mir?«

Er verstand nicht: mit dem Geld; er schwur feurig, um die Welt reiche seine Liebe. Sie sagte: »Und wie kann ich es verantworten vor Ihren Eltern? Auch eine Schwester haben Sie.« Sie lachte ihr freies, farbloses Lachen. »Wissen Sie, daß Ihre Schwester mir ähnlich sieht?« – was ihn vor Freude und Schrecken stumm machte.

»Und wenn man von Jemand spricht –« sagte sie da und sah hinüber. Was war das? Lea? Und mit Mangolf! Soeben verschwanden sie hinter einer Reihe von Lastwagen.

»Ein hübscher Junge«, sagte die Frau. »Es ist mein Freund«, sagte Terra, – worauf sie lachte. Warum? Er zog die Brauen in Falten. »Sie gehen spazieren.«

»Wie wir«, – immer lachend.

»Es regnet. Wir täten besser, uns unterzustellen,« bemerkte er plötzlich und trat in das Tor einer Wirtschaft. Sie blieb davor stehen, sie sah den Beiden nach, wie sie hinter den Fuhrwerken hervorkamen. »Ihre Schwester will zum Theater? Sehr richtig, dahin gehört sie. Gute Figur, nicht spießig.«

»Gehen wir weiter!«

»Nein. Es regnet.« So folgte er ihr in das Gastzimmer. Es war leer, frisch gescheuert und roch nach kleinen Leuten. Er dachte, die Brauen gefaltet: »Wie kommt man hierher? Und dieser Ton über meine Schwester?«

Sie saß am Tisch und beobachtete gelassen sein Platzwechseln. Dann sagte sie: »Claudius – warum sind Sie verstimmt? Auch eine Schwester ist eine Frau.«

Die schöne Stimme konnte nicht trösten, sie war nicht biegsam. Aber ihre klare Hand, die sie entkleidet hatte, kam auf dem Tisch zu ihm hin. Er packte sie, er packte auch ihren Arm. »Eine Frau wie Du! Sprich kameradschaftlich von ihr, es ist eine Ehre. Sei ihre Freundin! – da Du meine Frau bist. Komm mit mir!«

»Lächerlich, ich bin zu alt für Dich.«

»Morgen fangen wir beide das Leben erst an.«

»Du stellst Dir das Leben einfach vor.«

»Ich stelle es mir vor mit Deinem Gesicht und Deinem Körper.«

»Ich kann es mir doch nicht mit Deinem vorstellen.«

»Du mußt. Ich will es.«

»Darin hat mir noch keiner befohlen.«

»Du bist zu weit gegangen mit mir. Ich bin nicht Dein Geliebter, aber ich bin mehr. Eine Verbannte, die in Prozessen liegt, keinen Mann sehen darf, weil sie verfolgt wird, und wirtschaftlich so gut wie seelisch und sozial vor die Hunde kommen kann, bevor ihre Verhältnisse sich ordnen lassen, ist mir um den Hals gefallen, weil ich mit allem erdenklichen Zartgefühl auf ihre bedrohliche Lage einging. Sie ziehe endlich die Konsequenzen!«

Sie maß nachdenklich seine gedrungene Gestalt, die plumpen Finger, die sich lösten und verschlangen, das vom Zorn bewegte Gesicht. Nach der Prüfung waren ihre Augen wärmer.

Unvermittelt fragte sie: »Sagen Sie doch, lieber Freund, mußte das Kollier denn sein?«

Er überzeugte sich durch einen Blick, ob es wirklich wahr sei, sie denke an seine Verhältnisse. Plötzlich fiel er mit den Lippen auf ihre Hand, er stöhnte: »Madelon!«

Sie streichelte ihm zerstreut den Kopf, lachte und begann von einem anderen Kollier, einem sehr teueren, für das ihr früherer Mann, der Bankier, ihr einen Teil des Geldes, den übrigen aber schon der Fürst geliefert hatte – jeder ohne Wissen des andern. Jeder war entzückt von seinem billigen und reichen Geschenk, unglücklicherweise sagten sie es einander und bereuten dann beide. Dies war sogar der Anfang ihrer jetzigen Schwierigkeiten gewesen, der Fürst hatte kein volles Vertrauen mehr gefaßt. »Ihr Kollier, lieber Freund, ist hoffentlich nur mit Ihrem Geld bezahlt, ich werde keine Unannehmlichkeiten haben?«

Ach! nur dafür hatte sie Sinn. Er klopfte heftig auf den Tisch, zahlte, nahm seinen Mantel. »Wir gehen?« fragte sie, und folgte gehorsam. Er wäre sonst ohne sie gegangen.

Die Straße war schon dunkel, ungebeten nahm sie seinen Arm. »So gefallen Sie mir besser«, sagte sie klar. Er schwieg. So kamen sie zum Hafen; sie fragte nicht, warum in eine solche Gegend. Keine Geräusche der Arbeit mehr, und anstatt des Gewühls der Träger und Gehilfen streiften nur mehr vereinzelte Gestalten, die die Hände in den Taschen hielten, wie Fledermäuse an ihnen vorbei. Aus einer rinnsteinartigen Seitengasse, wo ein roter Punkt glomm, drang ein Schrei. Da blieb sie stehen, sie hielt dringend seinen Arm fest.

»Der Anwalt sagt, man wisse nicht. Manchmal schlägt alles fehl. Eine Unglücksserie, sagte Nepfer, der Bankier. Was tun? Ich bin für Sorgen wahrhaftig nicht geboren.«

Er hielt still, er ließ sie immer schwerer werden. Schon lag sie an seiner Schulter, er fühlte berauschend jedes Schluchzen. Sie sagte unter Schluchzen, aber immer mit dieser von Gefühlen ungefärbten Stimme: »Ich denke nicht nur an mich, wie Du meinst. Sonst wäre ich längst mit Dir durchgegangen. Ich will nicht, daß Du durch mich herunterkommst.«

Im Herzen jubelte er: Durch Dich, in den höchsten Himmel! – hielt aber still und ließ sie noch schwerer werden. Schon mußte er sich fest auf das Pflaster stemmen. »Nur Ferien will ich mir einmal machen.« Sie seufzte tränenfeucht. »Einige Tage keine Sorgen haben. So lange kann ich wohl unbemerkt verschwinden. Daß nur auch Deine Familie nichts merkt!«

Ihr dämmerweiches Gesicht lag nahe unter seinem Mund, er wühlte sich hinein, und sie empfing ihn, atmend, die Augen geschlossen. Aus der Gasse drang ersterbend jener Schrei.

Sie kehrten um, er faßte noch keinen Gedanken. Sie schritt lässig, ihre Hüfte glitt über die seine hin. Allmählich rührte sich sein Bewußtsein. »Dies ist nun das Leben, an meinem Herzen halte ich die Frau von drüben. Dies sind nicht mehr die harmlosen Freuden im Schutz der Familie, wie meine alten Flammen, oder wie Lea und Mangolf. Es ist der Ernstfall.«

»Madelon!« – nur um Besitz zu ergreifen von ihrem Namen, ihrem Sein. Sie sagte aber: »Den Namen will ich von Dir nicht hören.« Vertraulich die Stimme gesenkt: »Sage Lili! So nennst nur Du mich.«

Er stutzte, aber warum enttäuscht sein. »Ich bin auch der Einzige, für den meine Schwester Lea heißt.«

»Siehst Du, ganz wie ich.«

Hierin versenkte er sich.

Da sah er, ihr Haus war schon nahe. Tatkraft her! »Mein Kind, Du wirst sofort Deinen Koffer packen«, sagte er klar und endgültig. Er bezeichnete das Dorf, das Gasthaus, wo sie heute Nacht den Frühzug erwarten sollten. Ihre Antwort brauchte er nicht, er gab ihr kurz die Hand. Sie ließ seine Hand aus der ihren zurückgleiten, bis zu den Fingerspitzen, die hielt sie noch. Dabei hatte sie, in dem schwach erhellten Flur, ein rätselhaftes Lächeln und neigte den Kopf ein wenig nach der Seite, wo die Treppe lag.

Auch die Fingerspitzen trennten sich, sie nickte und verschwand. Er ging mit weniger starken Schritten über die Straße, als er gedacht hätte.

*

Vor der Tür des Vaterhauses überlegte er, es sei viel besser, nichts zu packen, ohne Gepäck zu reisen, niemand mehr zu sehen. Die letzte Stunde gehörte dem Freund, – auf, zu ihm! Gleich ward ihm die Brust weiter. Nie anders als mit tiefer, reicher Freude hatte er diesen Weg gemacht, und wenn es täglich zweimal war. In Unruhe bedachte er, daß der Gang zu der Frau hinüber ihn nur selten so ganz beglückt habe, wie dieser, zu seinem Freund.

Das Haus hinter der alten Veitskirche, in der abendlich aufgeräumten Straße kleiner Werkstätten und Kontore, stand da wie der Alltag, verstaubt die farbigen Scheiben des Flurs, auf der engen Treppe die Spuren zahlreicher Besucher. Noch immer kamen Stimmen aus dem Zwischenstock, mit dem Schild: Mangolf, Agent. Ein Stockwerk höher trat die Mutter aus ihrer Küche gleich auf die Stiege hinaus. Sie trocknete ihre geschwollenen Hände und öffnete demütig dem vornehmen Gast jene kleine Tür. Hinter einer kleinen Tür begann, merkwürdig und bedeutungsvoll, die steile Stiege nach dem Zimmer des Freundes.

Der Freund saß am Schreibtisch, links stützte er sich auf den Deckel des Klaviers. Der Gast trat zwischen dem Feldbett und dem grünen Sopha in das Zimmer, kein Stuhl hätte mehr Platz darin gehabt. Der Freund streckte ihm aufleuchtend die Hand hin, von dem Sopha räumten sie die Bücher, Terra sagte dabei schon: »Weshalb ich besonders komme: Du bist ein Schwein. Leugnest Du vielleicht Deine Machenschaften mit dem Pfarrer und dem Theaterdirektor? Anständige Leute lassen Dir keinen Zweifel darüber, daß das nicht geht. Die bürgerliche Welt ihrerseits erkennt Deine gute Gesinnung an. Ich sehe mit Befriedigung, daß Du vernichtet bist.«

Mangolf saß und kaute an der Lippe. Er hielt die feinen Schultern gebeugt, die breite gelbe Stirn stand vorgeschoben, und er sah gramvoll aus. Terra auf seinem Sopha bebte im ganzen Gesicht vor Angriffslust. Seine schwarzen Augen brannten unter den Haaren, die tief in die Stirn wuchsen und von den Schläfen sich weit zurückzogen.

Mangolf aber entschloß sich, zu lächeln, melancholisch und witzig. »Du glaubst, ich spiele ihnen ihre fromme Komödie? Ich führe sie an der Nase.« – Womit freilich nichts gesagt war. Nur der Abrechnung war ausgewichen. Statt dessen kam ein Vorstoß von Mangolf. »Weißt Du auch schon, daß Dein Vater seinen Buchhalter Schlüter festnehmen lassen wollte?«

»Den Buchhalter im Hafenspeicher?«

»Wegen sozialdemokratischer Propaganda. Der Mann hat sich gerade noch freigeschwindelt; er sollte machen, daß er fortkommt.«

Mangolf blickte erwartungsvoll; aber Terra verriet nichts, als naives Erstaunen. Wie die Dinge im Munde der Welt ihre Gestalt änderten! Wie sie seinen Vater ansah! Sein Vater, der bedenkenreichste Mensch der Welt!

»Quatte aber hat es für angezeigt gehalten, Wechsel zu fälschen«, sagte Mangolf hohnvoll. »Die bürgerliche Ehrsamkeit eines ganzen, alteingesessenen Familienklüngels dieser ehrwürdigen Stadt wird wieder einmal mit Erfolg in Frage gestellt durch Christian Leberecht Quatte.«

Und Terra, schneidend: »Sie gehen zur Kirche, sie taufen sogar ihre Schiffe. Sie versacken in einem Geisteszustand, der links vom Nationalliberalismus nur mehr eine Art Unzucht sieht ...« Er sprach noch lange mit jener Empörung, die ihn in der Tiefe nur heiterer stimmte, – bis Mangolf einwendete, man sei hier reich, gesellschaftlich geschult, und mancher von hier ausgegangen, der weit gekommen sei. Diese Entschuldigung ließ der Patrizier Terra nicht gelten, er haßte die Stadt schlechthin – nicht mit dem Drang nach oben, der den Sohn des Agenten Mangolf quälte. Der Sohn des hochverehrten Mitbürgers Terra sagte: »Hier kannst Du nicht einmal mit viel Geld etwas werden.«

»O doch.« Mangolf straffte sich. »Denke Dir, ich wäre in der Lage, als Führer einer großen Partei das Kontor des Getreidehauses Terra zu betreten und seinem Chef besonders inhaltreiche Auskünfte zu geben über das künftige Schicksal der alten Bismarckschen Schutzzölle.«

»Was weiter?«

»Heute helfen sich die bedrohten Firmen, wie sie können.« Blick auf Terra, der verständnislos blieb. »Oft mit interessanten Mitteln. Das Schiff des Konsuls Ermelin, das neulich unterging, war erst seit kurzem hoch versichert.«

»Wenn ein Verbrechen dahinter stäke, könnte doch Ermelin nicht der Freund meines Vaters sein.«

Hier nahm Mangolf die zusammengepreßten Lippen von einander, als gäbe er es auf.

»Nun«, machte er harmlos. »Auch der Kaiser ist mit manchem befreundet. Man nennt nicht alles gleich Verbrechen.«

Terra setzte sich zurecht, es ging los. »Darüber bin ich anderer Meinung. Jene Freundschaften prägen einen Mann. Heute, 1891, sehe ich kein zweites Land, wo es noch möglich wäre, das gesamte öffentliche Leben auf eine Privatangelegenheit zu stellen, nämlich auf den persönlichen Ringkampf Wilhelms des Zweiten mit der Sozialdemokratie.«

Mangolf, voll höhnischer Anerkennung: »Er findet, die Sozialdemokratie widerspreche den göttlichen Lehren, soll heißen, seinen eigenen Interessen.«

»Das Wort: ›Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich‹ – ist geradezu ein Jahrtausendwort, was falsches Denken betrifft.«

»Alles wörtlich auffassen – wie ein schlechter Schauspieler, der alle Sätze gleich stark bringt: mein Großvater heilig, der himmlische Appell«, sagte Mangolf und sprach selbst wie ein Schauspieler. Terra fiel ein.

»Das Gottesgnadentum!«

»Das ein romantischer Schwindel ist und nirgends eine kirchliche Stütze hat.«

»Humanität aber hat er noch niemals anders ausgesprochen als in Verbindung mit falsch.«

»Einzig die Sucht, die ganze Welt persönlich zu nehmen, kann einen Menschen dahin bringen, daß er anderen zumutet, sie sollen ihre Eltern niederschießen.«

»Er glaubt auf dem Heer zu stehen. Im Grunde aber steht er auf Paradoxen. Wie lange können sie halten?« fragte Terra.

Hier wiegte der junge Mangolf den Kopf. »Sehr lange«, sagte er nüchtern.

Der junge Terra sagte feurig: »Es ist unmöglich, daß heute, 1891, die Vernunft lange ungerächt bleibt. Wer glaubt ihm eigentlich? Sie tun so, aus Furcht, aus Klugheit, aus Snobismus.«

»Wer die Macht hat, dem glaubt man«, sagte Mangolf mit Überzeugung.

»Dann darf es keine Macht geben!«

»Sie ist aber da. Und jeder will sie mitgenießen.«

Der einmütige Marsch der Geister brach ab, die Zwanzigjährigen maßen einander, herrisch der eine, der andere trotzig.

»Du sinnst Verrat«, behauptete Terra. »Auch Du wirst Deine religiöse Komödie spielen – genau wie Dein Kaiser.«

»Und wenn? Du schwörst auf die Vernunft. Aber das Unvernünftige sitzt in uns allen viel tiefer, und in der Welt bewirkt es viel mehr,« schloß Mangolf, erhitzt und krampfig. Terra, stark und kalt: »Ausreden für Heuchler!«

»Flachkopf! Man kann Wechsel fälschen und doch aufrichtig beten. Ich berufe mich auf den Kaiser, Herrn Quatte und mich selbst.«

»Sauber muß es aussehen in so einem.«

»Ich verachte Deine Sauberkeit«, sagte Mangolf. »Das Wissen erwirbt sich erst in Abgründen, die nicht sauber sind. Was weißt Du vom Leiden.« Erhitzt und krampfig.

Terra sah ihn dasitzen mit den verdächtigen Augen der schamvoll eitlen Geständnisse. Er lehnte ab, zu hören; stand auf und drehte sich aus Platzmangel um sich selbst. »Dein Leiden! Sprechen wir es einmal klar aus! Daß das Leben nicht das Händewaschen wert ist?«

»Wer es durchschaut hat, muß es verachten«, sagte der zwanzigjährige Mangolf.

»Und kennt die verführerische Anziehung des Nichts. Ich aber kenne sie nicht,« sagte der andere. »Verachte mich ruhig! Dein Leiden liegt auf der Hand. Es rührt daher, daß Du wider Dein besseres Wissen ein großer Streber bist.«

»Werben um die Welt, wie um eine schlichte Hure – tiefe Wollust der Selbstverachtung.«

»Auch noch Dich selbst? Du verachtest zu viel, es wird Dir schaden. Ich hasse lieber.« Terra stand stämmig da. »Ich hasse die Erfolge, zu denen Du Dein Gewissen erst überreden mußt. Die Lüge schwächt. Du wirst die Aufsicht verlieren über Deine vergewaltigte Vernunft, wirst Dich verrennen und schlecht enden.«

»Mit Deiner unbefleckten Vernunft greife nur sogleich zum Revolver, früher oder später ist er Dir sicher.«

Auch Mangolf stand. Sie sahen einander glühend an, prophetisch jeder erfüllt von der ganzen Wahrheit seines Lebens, und tödlich gespannt, zu kämpfen für seine Wahrheit.

Dann trat einer zurück, so weit er konnte, und der andere strich sich über die Stirn. Sie sahen einander nicht mehr an, jeder wußte: »Ich habe ihm den Tod gewünscht.« Terra befreite sich zuerst, er lachte schwer auf. »Wären wir jetzt einfachere Naturen gewesen, wer weiß, wie dies geendet hätte.«

Mangolf sagte mit einem tiefen Lächeln: »Dann wäre es nicht um den Geist, sondern um das Geld gegangen.«

»Wie bei unseren beiden Urgroßvätern.«

»Du weißt also davon«, sagte Mangolf verhalten. Er setzte sich an das Klavier. Terra stand erschüttert noch da.

Als er auf seinen Sitz zurückgekehrt war, kam ihm unvermittelt die Frau in den Sinn – die Frau von drüben, mit der es noch heute Nacht in das Leben ging. Das Herz schlug ihm stark, er vernahm etwas wie die Lebensbrunst selbst und merkte, jener spiele Tristan.

»Ich muß fort«, sagte Terra, schon bei der Tür. Mangolf brach wider Erwarten ab und wandte sich her. Sein Jünglingsgesicht war umwölkt von schwülem Leiden.

»Klaus! Du gehst zu Deiner Geliebten.«

»Tue dasselbe, Wolf – und lebe wohl!«

Die Augen Mangolfs zitterten, ihm war es nicht wohl bei dem Triumph, den er fühlte. »Du willst also durchgehen, Klaus. Du willst sie, was weiß ich, heiraten.«

»Begreife es oder begreife es nicht!«

»Dies ist somit der Fall, wo auch Du Deine Vernunft opferst, Klaus.«

»Mit Freuden!«

»Einer Frau? Einem trügerischen Wesen, das uns schwächt?« fragte Mangolf mit tiefer Wollust. Nie hatte er die Schwester des Freundes geliebt wie in dieser Minute. Der Haß zwischen ihm und dem Freund stand demnach in einem abgründigen Zusammenhang mit seiner Liebe zu der Schwester. Fragwürdiges Erleben, wie schmerzlich befriedigte es Mangolf!

Terra schlang die Finger ineinander, er sagte halblaut, stark und eintönig: »Ich will für sie leben und sterben, arbeiten und wenn nötig, stehlen. Für sie könnte auch ich zum Streber und Lügner werden, aber dann würde sie mich nicht lieben. Und ihre Liebe wird immer für mich das einzige Zeichen sein, daß ich gesiegt habe und nicht gestrandet bin.«

Mangolf hörte dies Fieber, dies Schicksal. Er selbst, erst heute, hatte solche Worte zur Betörung einer Frau gebraucht. Dieser brauchte sie zu seiner eigenen. Mangolf sagte ernst:

»Ich könnte Dich verachten. Aber ich will Dich bewundern.«

»Denn Du bist mein Freund«, sagte Terra; und sie hielten die Hände ineinander, bevor er ging.

 

Er ging nach Haus; alle schienen schon zu schlafen; nahm das Notwendigste mit und stieg hinunter in den Garten. Er sah sich nicht mehr um, das Vaterhaus sollte vergessen sein. Durch die Pforte entkam er auf die Wiese, dann an das Flußufer, bestieg das Boot und fuhr zu. Er rechnete auf zwei Stunden Ruderns im sternenlosen Dunkel, barhäuptig und den Wind vom Meer auf der Stirn. Statt dessen wäre er, nahe der Flußmündung, beinahe in einen Zug von Lastkähnen hineingefahren. Die Stimme, die ihn anrief, klang bekannt. Dann ward eine Laterne erhoben. »Schlüter?«

»Der junge Herr! Soll ich vielleicht doch noch umkehren?«

»Wohin fahren Sie denn?«

»Und Sie?« fragte der Lagerverwalter mißtrauisch.

»Ich komme zu Ihnen hinauf.« – Als er oben war: »Mein Vater schickt Sie fort? Wegen des Konsuls Ermelin? Nur heraus damit!« Er sah die Kähne entlang: »Getreide?«

»Wegen des Getreides fahre ich,« gestand der Verwalter. »Auch wegen des Herrn Konsuls, damit er in den Reichstag gewählt wird. Aber bei der Gelegenheit schaffen wir gleich das Getreide fort, es ist zu billig.«

»Zu teuer, meinen Sie?«

»Der junge Herr kennt das Geschäft noch nicht. Das Getreide ist noch vor dem neuen hohen Schutzzoll hereingekommen, und viel billiger als das hiesige, es verdirbt den Preis. Es muß aus dem Land, ich fahre es hinüber.«

Der Sohn schwieg hierauf lange im Dunkeln. Als er dies ganz erfaßt hatte: »Sie helfen das Brot zu verteuern, Sie, ein Sozialdemokrat?«

»Grade darum. Ihr Vater kann zu so etwas nur Einen brauchen, der noch mehr auf dem Kerbholz hat. Man will doch wieder zurück dürfen. Ich rede nicht. Sie können beruhigt sein, junger Herr.«

»Ich bin es. Aber Sie müssen allein hinausfahren. Ich gehe in mein Boot zurück und lege an.«

Von unten fragte Terra noch: »Was machen Sie, wenn die Zollwache Sie anhält?«

Der Beauftragte seines Vaters rief herab: »Dann kehre ich um und versenke alles.«

Darauf griff der Sohn noch schneller aus. Er fuhr auf den Meeresstrand auf, und durch das wehende Gras ging er den wohlbekannten Weg in das Dorf, nach dem Wirtshaus, das ihn zu jeder Zeit des Lebens schon aufgenommen hatte, als lachendes Kind mit den freundlichen Eltern, als übermütigen Schüler unter vielen, nicht weniger graden Herzen, als Herangewachsenen mit Seinesgleichen, denen es nicht fehlen konnte. Mißverständnisse, dies Alles. Niemals war so das Leben gewesen. So war nur die Unwissenheit, die besonnte Oberfläche. Eines Tages erfuhr man eine Wahrheit, sie war ungeahnt und so furchtbar, daß Dir für immer Spiel und Lachen verging. Andere Wahrheiten gliedern sich an, die Kette wird schwerer und schwerer. Du trägst sie durch das freieste Leben als Sträfling.

In dem schlechten Zimmer unter der niederen Decke stand der Sohn und durchdachte die Miene seines Vaters, seine Miene in großen Augenblicken, seinen Ausdruck, wenn er mit sich allein war, sein Gesicht bei Nichtigkeiten, die, wer weiß warum, ewig unvergeßlich sind. Die Decke war geschwärzt von der rauchenden Lampe. Jetzt prasselte Regen an das Fenster. Das Meer dort hinten hub Schläge zu rollen an. Das Haus in Wetter und Weite bebte wie ein Schiff. Der Sohn suchte, atemlos und verzerrten Gesichtes, nach dem Gesicht eines schlechten Menschen, der sollte sein Vater sein. Er fand es nicht. Dafür vernahm er in seinem Herzen jenen Tonfall von heute Mittag, der wohlwollend, kundig und sogar schüchtern klang. Das war der Freund des Verbrechers Ermelin? Dann wissen wir um unsere eigenen Taten nicht, und eben dies ist das Hoffnungslose.

Was weiß wohl die Mutter, vornehm und kindlich sicher. Aber jener junge Leutnant, den der Sohn, noch halbwüchsig, einst durch alle Räume jagte, bis er ihn im Musikzimmer der Mutter aus einem Vorhang zog? »Ach! ich glaubte, Dein Vater sei es,« sagte der Leutnant und lachte erleichtert.

Das Haus erbebte, den Sohn kam ein Schauder an. Er selbst hatte mit heiterem Mund seine Eltern bestohlen, um zu Weibern zu gehen oder auch um ein Vergnügen, von dem man hätte sprechen können. Er hatte Freunde verleugnet. Feige Handlungen und unreine Beweggründe waren sein menschlicher Gewinn, noch bevor er einundzwanzig Jahre alt ward.

Auf einem Strohstuhl über sich selbst gebeugt, ließ er die Gesichte heraufsteigen. Unheil und kein Ende, auch die Schwester erschien: in verdächtiger Gasse am Arm seines eigenen Freundes, heimlich fortgetrieben unter fallendem Regen. Das Lachen der Frau von drüben! Er weigerte sich nicht länger, es zu verstehen ... Keine der kindlich verehrten Gestalten stand noch fest – und keiner der alten Glaubenssätze! Mit eben dem Freunde, der ihn jetzt verriet, hatte er an stolzen Tagen und in erhitzten Nächten bezweifelt, was irgend Gesetz war. Entfesselter Geist, erhaben über Sitte, Bekenntnis, Menschenfurcht, hingeflogen, wo nicht mehr Welt und auch nicht Gott war, – um jählings niederzustürzen vor die Füße einer Frau.

Er fuhr auf, ihm brannte das Gesicht. Die Frau, die er liebte, um derenwillen er floh. Alles abbrach. Alles wagte! Kommt sie schon? Die verabredete Stunde! Aber daß sie nur jetzt mich nicht ertappt! Jetzt, da ich die Beute meiner Zweifel bin. Erhabenheit des unbeugsamen Geistes, Empörung noch unerbittlicher Moral – sollten sie nichts weiter gewesen sein, als Fallstricke der Sinne? Flucht! Aufruhr! – aber wann, in welchem Zeitpunkt? Als mein Vater mir den abenteuerlichen Verkehr verbot ... So ist mein Aufruhr Vermessenheit und Lüge. Im Grunde bin ich wie Jedermann. Ich würde zu allem geschwiegen, alles leicht genommen haben, ließ man mir nur die Begehrte. Sie soll nicht kommen, ich schäme mich.

Wie aber? Es wird Tag? Er riß das Fenster auf. Rauhe Stille; erstes Grauen ohne Hoffnung auf Sonne. Wolkenbänke tief auf glanzlosem Meer. Atmen – wir atmen doch. Und hab' ich mich belogen, jetzt weiß ich die Wahrheit, auch diese letzte, daß ich ein schlechter Kerl bin. Ich fliehe mit einer schlechten Frau, so ist es, so bleibt es, ich will es nicht anders. Daß sie noch nicht kam, das hat sie gut gemacht. Jetzt mag sie kommen!

Er ging zu der Haltestelle der Bahn. Sie saß dann also in dem Frühzug, er sollte gleich einsteigen zu ihr, und fort, aus der Nacht des Erkennens und der Abschiede geradenwegs hinein in das Leben, wie es ist. Nur kein Nichtsehen mehr, keine betrügerische Wohlanständigkeit! Mit der Abenteurerin verbündet, ein großer Mann werden, ein Lump oder ein Tropf – »nur wissen um mich! Die einfachste Menschenwürde verlangt die Befreiung meines Gewissens. Man soll mir in das Gesicht schlagen, nur ich selbst will es nicht tun müssen.«

Der Zug, – da bin ich! Aufgerissen die Türen, sie saß hinter keiner. Er trat zurück, betäubt, ganz ratlos. Es war doch hart, sie hätte kommen sollen. Sie verließ ihn genau zu der Stunde, da alles ihn verließ. Jetzt heißt es, ganz allein mit Deinem aufgeklärten Gewissen hinausfahren in das Leben, das noch soeben Reiz und Zauber gehabt hatte durch sie. Auf einmal war es fahl und leer, wie hinter dem wegfahrenden Zug die morgendliche Meeresfläche. Ziehe Deinen Kahn vom Strand, steuere hinaus, kehre nie wieder! Du wirst vom Leben nur den Tod gekannt haben, aber vielleicht hat Mangolf recht, und er ist der bessere Teil ... Auch von der anderen Seite kam ein Zug, Terra stieg ein, ohne zu überlegen, Flüchtling, auch wenn er heimkehrte.

 

Am Bahnhof sah er, es war erst sieben. Er ging nach Hause, das Fenster im Zimmer seiner Schwester stand schon offen; es zog ihn zu ihr, er eilte hinauf, er riß die Tür auf, – da fuhr er zurück.

Die Wut verzerrte sein Gesicht so ungeheuerlich, daß die Schwester, schon bereit, gegen ihn vorzugehen, ergriffen stillhielt. Der Freund, abwechselnd bleich und rot, rang mit der Scham, dem Hochmut, der Lust zu schaden. Das Paar suchte sich nicht, als der Bruder nun dastand; es trennte sich.

Terra, mit wildem Hohn: »Die Lage berechtigt mich, zu fragen, ob Du Lea zu heiraten gedenkst.«

Worauf Mangolf: »Ich befinde mich in Übereinstimmung mit Lea, wenn ich Nein sage.« Und die Schwester nickte dazu trotzig.

Terra zog erst jetzt die Tür zu. Er trat vor, als nähme er einen Anlauf; mit Blicken von ihm zu ihr schien er auszumachen, wen von Beiden er anspringe. Da er sich nicht entschloß, sagte Mangolf ruhig, fast demütig: »Wäre es nicht vorzuziehen, daß ich gehe? Ich bin sicher, mit Deiner Schwester verständigst Du Dich dann alsbald.«

Terra knirschte, noch immer in geduckter Haltung. »Meine Zustimmung zu Deinem Abgang bekommst Du nur gegen Dein feierliches Ehrenwort, daß dies im ganzen Leben unsere letzte Begegnung gewesen sein soll.«

»Das dürfen wir nicht hoffen. Wir dürfen es auch nicht wünschen.«

»Ich erflehe es vom Schicksal.« Terra schlug sich auf die Brust. Mangolf, traurig und ironisch:

»Ich fühle, wie das Schicksal nein sagt. Lebt Beide wohl!«

Die Schwester schloß das Fenster, sie blieb davor stehen. Da sie ihn aber keuchen hörte, als liege er und sterbe, erschrak sie und sah hin. Er stand, die Stirn am Kleiderschrank, und hielt sich die Schläfen. Als er ihre Stimme hörte, »Klaus«, fuhr er herum wie gestochen. »Achte wenigstens meine Erniedrigung!« Scharf schreiend: »Lauf ihm nach! Bezähme Deinen namenlosen Drang nur nicht! Wirf Dich ihm schnell noch einmal vor die Räder, bevor der Feigling Dir durchgeht!«

Er hörte nicht, daß sie Einspruch erhob.

»Ich sah euch in der Hafenstraße. Gott gnade Dir, er schlenderte nur so als Anhang mit, der Verrat stand ihm auf der Stirn.«

Mit verzweifeltem Gelächter und vor Augen die Frau von drüben: »Das kennt man! Laß Deine Würde hier nicht verschimmeln, lauf' ihm nach!«

Erschöpft fiel er auf einen Stuhl, sie kam zu Wort:

»Es handelt sich um meine Würde nicht. Ich bin keine Verlassene. Ich will zum Theater.«

Der Bruder, erschöpft: »War dies die Vorbereitung?«

»Höhne nicht. Du weißt nicht, wie wahr Du sprichst. Ich habe letzthin so viel erfahren, daß selbst die vollsten Häuser von mir noch werden lernen können.«

Sie stand ausdrucksvoll gereckt; das weiße Gesicht, die roten Lippen verkündeten von oben ihren Schmerz und ihren Mut. Der Bruder sah von unten zu, der Mund blieb ihm offen. Dann begann er vertraulicher. »Wenn wir denn Ausnahmen wären, – man ist es doch nur in gehobenen Stunden. Dazwischen aber liegt das Leben, mitsamt dem Theater, das ein einfacher Broterwerb ist.«

Hochmütiges Lachen, und sie sagte: »Ich fühle mich stark genug, um über die toten Stunden glücklich hinwegzukommen.«

»Du? Mit einem Gewissen, wie das unsere?«

Mochte sie sich noch stolzer recken, er sagte: »Auch Du wirst zu Kreuz kriechen. Noch vor einer Stunde glaubte ich mich gewappnet gegen das Leben der Mittelmäßigen. Es hat mich wieder gründlich in der Zange.«

Die Schwester sah seinen Mund zucken, sanft sagte sie: »Jemand hat Dich enttäuscht. Gib nicht Dir und mir die Schuld. Wollen wir zusammenhalten?« Sie näherte ihm ihre schöne und noch kindliche Hand.

»Nur keine übereilten Vertraulichkeiten!« sagte er scharf.

»Wir haben uns nicht sehr beeilt. Mußt Du böse sein, weil Du jetzt wieder als kleiner Junge dastehst?«

Seine Brust hob sich. Schluchzen wollte aufsteigen, er fühlte: »Es zog mich zu Dir, drum bin ich noch da. Zu Dir allein auf der Welt.« Aber er dachte: »Um Gotteswillen, dezent bleiben!« Er nahm ihre Hand, um sie wohlwollend zu streicheln.

Sie beugte sich ihm in den Nacken, damit er sich nicht schämen sollte, ließ den Arm, um ihn zärtlicher zu stimmen, über seine Schulter hängen, und murmelte: »Wie? Du hast mit ihr abreisen wollen ... Jemand sagte es.«

Der Bruder war nicht im Zweifel, wer dieser zögernd erwähnte Jemand sei. Und ihr Arm, ihre lockende Stimme! Sie benahm sich wie eine Frau, wie – Jene. Er hielt still, und er schwieg.

»Ich wußte auch. Du wartetest dort draußen vergebens.«

»Warum?«

»Weil sie drüben sitzen blieb, bis lange nach Abgang des Zuges, und erst spät das Haus verließ.«

Er wandte sich schnell um. »Ich sehe, wir sind Beide bestimmt, manches Stückchen zu erleben ... Ich gehe hinüber.«

»Sie ist doch ausgezogen«, rief die Schwester ihm nach. Er kehrte um. »Du weißt wohl, was Du sagst?«

»Sie ist ins Hotel gezogen, ich weiß nicht in welches. Wie siehst Du aus. Tu' mir nichts!«

Er stürmte die Straße hinan. Sie war steil, der Wind strich her, ihm stockte der Atem. Der Körper meinte zu erstarren, so weit voraus lief ihm die Seele. Am Markt dahinter ein Wagen, noch hält er, ihn einholen! Das Gepäck darauf, – und als sie hervortrat und einstieg, war auch er da. Er schwang sich von drüben in den fahrenden Wagen, sogleich ergriff er ihre beiden Handgelenke, er bog sie. »Du wolltest abreisen, gestehe!«

»Was ist da zu gestehen.« Sie suchte ihr Gesicht dem Fenster zu nähern, sie hatte Furcht!

»Ich zerbreche Dir die Hände.«

Sie schrie auf, unvermittelt aber sagte sie mit ihrer gewöhnlichen klaren Stimme: »Der Fürst hat geschrieben. Er versöhnt sich mit mir. Was kannst Du danach noch wollen?«

»Dich«, sagte er, bog ihre Gelenke und küßte sie, in ihren Mund gewühlt, wie gestern Nacht am Hafen.

»Zum Hafen!« rief er hinaus. Die Schenke von gestern! – und darüber im Hause ein Zimmer für die Verrichtungen der Hafendirnen, unter denen sie gestern sich verloren hatte, denen sie glich! Fühlst Du, wer Du nun bist? Dies tat Dir not, um unter meinen Händen weich zu werden.

In das Zimmer ließ sie sich tragen, auf das Bett ließ sie sich werfen. Das Zimmer roch wie eine leere wattierte Schachtel, nach einem verbrauchten Inhalt. Das Bett hatte Vorhänge, und oben vereinigte sie ein Spiegel.

Der Zwanzigjährige sagte ihr rachsüchtig in den Mund: »Und jetzt? Kommst Du jetzt mit mir?«

Glücklich seufzend sagte die Frau von drüben: »Dummer Mann, das hättest Du früher haben können.«

»Ich will, daß Du mit mir kommst.«

»Der Fürst hat aber geschrieben« – gähnend.

»Du wärest fähig, hinzugehen?«

»Selbstverständlich.«

Er hob die Fäuste. Sie sagte in der Abwehr: »Es ist nun so.«

»Daß Du mich quälst? Daß Du Dich verkaufst? Daß Du uns um unser ganzes Glück bringst?«

»Daß wir vernünftig sind«, schloß sie und zog ihn zu sich herab.

Er hatte gewütet, hatte vor Schmerz gebrüllt, vor Trauer geweint, – nun denke nicht mehr, genieße! Ihr Leib ist weiß, wie eine Ampel, geschmeidig, wie ein kämpfendes Tier. Er breitet aus der Armut dieses verdächtigen Gelasses sich hinaus und wächst Dir in das All, Du bist von ihm voll. Schweige, trink', gebannt an ihr dämmerndes Gesicht, fließende Ahnungen in Dich hinein. »Sie ist eine fremde Frau, und hat das Haar meiner Schwester. Eine Dirne, und hat, gereifter, ihren Mund. Ich küsse ihren Mund, jetzt kenne ich erst meine Schwester. Verschwistert ist diese ihr und mir. Wir alle sind eins.«

Sie fragte: »Wovon ist Dein Gesicht so schön?« denn es war schwärmend, war selig aufgelöst.