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"Der Körper meiner Zeit" ist ein Langgedicht in fünf Teilen, eine fortlaufende lyrische Bewegung markierend, die die Jahreszeiten, bestimmte Orte und Themen miteinander verknüpft, das Begehren, die Liebe, das Nichts und den Tod. Und wie immer bei Drawert, die Möglichkeit des poetischen Sprechens überhaupt. In erzählerisch weit ausholenden Versblöcken, in freier oder gebundener Rede, melancholisch, ironisch oder sarkastisch, bildstark und reflektierend, wird aus diesem Körper der Sprache ein Körper der Zeit. Er nimmt die Verwerfungen des Gegenwärtigen auf wie die Sehnsucht nach Dauer und Anwesenheit des sprechenden, lyrischen Ichs. Ein starkes Motiv ist die Trauer um eine scheiternde, große Liebe, der im Innersten widerfährt, was auch in der Welt ist. Fritz J. Raddatz, der Teile des Gedichts kannte, schrieb: "Kurt Drawert ist es gelungen, in makelloser Sprache, in brennenden Bildern zu bannen, was unser aller Existenz ausmacht: das Elend der Suche nach Glück." Beigeordnet ist eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, die den Blick vom Schreibtisch auch zu einer Topographie des Textes werden lässt: "Blicke auf nichts".
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Veröffentlichungsjahr: 2016
Kurt Drawert
Der Körper meiner Zeit
Gedicht
C.H.Beck
«Der Körper meiner Zeit» ist ein Langgedicht in fünf Teilen, eine fortlaufende lyrische Bewegung markierend, die die Jahreszeiten, bestimmte Orte und Themen miteinander verknüpft, das Begehren, die Liebe, das Nichts und den Tod. Und wie immer bei Drawert, die Möglichkeit des poetischen Sprechens überhaupt. In erzählerisch weit ausholenden Vers-blöcken, in freier oder gebundener Rede, melancholisch, ironisch oder sarkastisch, bildstark und reflektierend, wird aus diesem Körper der Sprache ein Körper der Zeit. Er nimmt die Verwerfungen des Gegenwärtigen auf wie die Sehnsucht nach Dauer und Anwesenheit des sprechenden, lyrischen Ichs. Ein starkes Motiv ist die Trauer um eine scheiternde, große Liebe, der im Innersten widerfährt, was auch in der Welt ist. Fritz J.Raddatz, der Teile des Gedichts kannte, schrieb: „Kurt Drawert ist es gelungen, in makelloser Sprache, in brennenden Bildern zu bannen, was unser aller Existenz ausmacht: das Elend der Suche nach Glück.“
Beigeordnet ist eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos, die den Blick vom Schreibtisch auch zu einer Topographie des Textes werden lässt: «Blicke auf nichts».
Kurt Drawert, geboren 1956 in Hennigsdorf bei Berlin, lebt als Autor von Lyrik, Prosa,
Dramatik und Essays in Darmstadt, wo er auch das Zentrum für junge Literatur leitet.
Bei C.H.Beck erschienen der Roman «Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte» (2008), die gesammelten Gedichte «Idylle, rückwärts» (2011), «Schreiben. Vom Leben der Texte» (2012) und «Was gewesen sein wird. Essays 2004–2014» (2015). Für seine Prosa wurde Drawert ausgezeichnet u.a. mit dem Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Uwe-Johnson-Preis und dem Ingeborg-Bachmann-Preis, für seine Lyrik u.a. mit dem Leonce-und-Lena-Preis, dem Lyrikpreis Meran, dem Nikolaus-Lenau-Preis, dem Rainer-Malkowski-Preis, zuletzt mit dem Robert-Gernhardt-Preis 2014.
Buch (1) – O Odenwald
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
Buch (2) – Das Buch Klara. Ístanbul (I)
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII
XXIX
XXX
XXXI
XXXII
XXXIII
XXXIV
XXXV
XXXVI
XXXVII
XXXVIII
XXXIX
Buch (3) – Das Buch Klara. Ístanbul (II)
XL
XLI
XLII
XLIII
XLIV
XLV
XLVI
XLVII
XLVIII
XLIX
Buch (4) – Die Zeit danach
L
LI
LII
LIII
LIV
LV
LVI
LVII
LVIII
LIX
LX
LXI
LXII/LXIII/LXIV
LXV
LXVI
LXVII
LXVIII
LXIX
LXX
Buch (5) – Wenn alles gesagt ist
LXXI
LXXII
LXXIII
LXXIV
LXXV
LXXVI
LXXVII
LXXVIII
LXXIX
LXXX
LXXXI
LXXXII
LXXXIII
LXXXIV
LXXXV
LXXXVI
LXXXVII
LXXXVIII
LXXXIX
Fußnoten
Ich habe meine Hoffnung
auf Deserteure gesetzt.
Günter Eich
Neue, recht schöne Heimat- und Naturgedichte,
herausgegeben vom Verfasser höchstselbst –
nebst einer Nachbemerkung zur Lage des Waldes
im Allgemeinen sowie sehr besonders am Beispiel
der Sausuhle bei Crautenbach/Südhessen.
Ich bin das Reh auf drei Beinen, wenn es am Baum steht
in seiner natürlichen Unschuld, und die Kugel ist schon
unterwegs. Ich bin der Schuss, der nach hinten ab-/feuert,
der gefährliche Rückstoß, der Unfall, das verlorene Auge.
Ich bin, was mich treffen wird, und ich bin das Getrof-
fene selbst. Ich bin das Unglück von beiden Seiten seiner
Wirkungsgeschichte, der Jäger, ehe er tötet, und das Blut,
das er fordert. Das Reh auf drei Beinen, wenn es das
vierte Bein ab-/spreizt, ein wenig nach oben in Richtung
eines immer fehlenden Gottes, bin ich, ich bin der Grund-
widerspruch aller Dinge in sich, die Aporie in ihrem
ursächlichsten Zustand, der Knoten, der nicht ge-/löst
werden kann. Ich bin die Sandspur der Schnecke, der Fall
der Zapfen in einen Ameisenhaufen, die Linie der flinken,
flitzenden Tiere. Ich sehe ringsum nichts als Dunkel-
heiten, sagte Pascal. Ich sehe ringsum nichts als mich
auf drei Beinen, das vierte zur Seite gehalten,
so lächerlich, so tragisch, kurz vor dem Ein-/schuss.
Ich bin selbst dieser Einschuss, das Loch, das er auf-
reißt, die Frage, die keine Antworten findet, das Wort,
das gilt und das nicht gilt. Ich klage nicht, ich fasse zu-
sammen: 1.) Ich sehe nichts um mich her als Vergeblich-
keiten. Ich bin eine davon, kleiner als etwas und größer
als nichts, unendlich in ihrer Zer-/streuung nach innen,
die Seele, ein Splitter-/paradies, ein Scherben-/haufen,
ein Algorithmus, der seinen Kaufrausch erwartet.
Aber nicht Nichts sein zu können, ist etwas, immerhin.
In Hinblick auf das Loch in meinem ab-/getrennten,
auf-/geplatzten Rehbockschädel bin ich also: 2.) alles.
So gehe ich hin, die Berge herauf und die Täler herab,
wenn der späte August erste Zeichen von Fäulnissen
sendet und die klügeren Vögel schon für den Rückflug
bereit sind. Der Mais ist die Uhr der Natur, er wächst,
er blüht, er verbrennt, grün, gelb, braun, schwarz. Ich lau-
fe an der Zeit vorbei und zähle, was mich überlebt – ein
Vielfaches immer. Hingegen ich bin 3.) das einzige Ding,
das mich nicht überdauert.
Es ist nicht immer schlecht, wenn es nichts gibt.
Der Bussard kreist über der Weide, die still und verbrannt
in sich selbst ruht, kein Wind peitscht die Bäume, die ab-
gezählten Rinder, die mir jeden Tag (o tote, geschändete
Metapher) «ins Auge fallen», sobald der Bauer
sie frei lässt, sind ein Loch im Gewebe des Bildes,
das ich mir von dieser Gegend gemacht haben werde,
später, wenn ich noch einmal älter als jetzt bin und wahr-
scheinlich blind, unterwegs auf einer Karte der erinnerten
Landschaft, in der man gelebt hat wie in Ketten geschlagen.
Das Fernsehgerät meines Nachbarn im Dauerbetrieb
zeigt die immergleiche Werbeschleife, alles ist größer,
als es ohne Übertreibungen wäre, der Apparat ist größer
als die Wand, an der er hängt, die Wand ist größer
als das Haus, das sie durchzieht, das Haus ist größer
als alle Bäume, die der Länge nach am Boden liegen
und vom Halswirbel abwärts gevier-/teilt werden, morgen,
wenn der Regen vorbei ist, der kein Novemberregen, kein
Schneeregen ist, kein apokalyptischer Regen, wie ihn
die Herbstwinde bringen. Es sind feine, warme Linien
der Luft, verspielte, versponnene Muster des Himmels,
die jetzt ein Helikopter zer-/schneidet, der nicht sucht,
was ich denke. Ich höre, was mein Nachbar sieht.
Es ist nichts, wie alles hier nichts ist, angenehm leer,
der Tontopf mit herausgeschlagenem Boden, der Blick,
wenn er ausschließlich sammelt, was er schon kennt,
die leere Stimme aus einem leeren Gehäuse: Niemand ist
da. Auch ich bin nicht da, sondern dort, wo ich nicht bin.
«And where you are is where you are not», schreibt Eliot.
Eine Wüste ist schön, solange sie kein Wasser verspricht.
Das Unglück beginnt, wo die Versprechen enden.
Das Fernsehgerät im Dauerbetrieb mit der immer-
gleichen Werbeschleife ist reines Unglück, von dem
der Betrachter nichts weiß, entschlafen vor seiner Knister-
tüte Vogelfutter und Coca-Cola vom Biobauern.
Nichts plus nichts ist nicht das Gleiche. Mein Nachbar
ist nicht die Figur in der Serie, die nichts tut, bis sie um-
fällt und tot ist. Die Differenzen sind dennoch nur klein,
fast nicht zu erkennen. Der Tod und die Fotos des Todes,
ein Fest auf dem Gutshof und die Beerdigung einer Taube
am Rande der Erdbeerfelder hinter dem Haus, sind gleich-
viel viel oder wenig. Die Zirkel des Vergehens sind kurz,
schon bricht der Tag/in zwei Teile. Ja, wir hatten die Zeit,
und keiner wird es bestreiten. Aber wo wir waren, als sie
verging, weiß heute niemand.
Der Ton der grausamen Glocken besagt: Jetzt musst du
Entscheidungen treffen, oder sie betreffen schon dich,
und dann ist es zu spät. Auf die Stunde gerechnet,
heißt das, gehen oder nicht gehen, etwas oder nichts
tun, in diesem Netz aus Regen und Stillstand und dem laufen-
den Fernsehprogramm. In diesem Moment kam Sehnsucht nach
Industrie in mir auf, elektronische Bauelemente, ver-
worren zusammengekehrt von einem Schwarzen, der
sich Schwarzgeld verdient, leere Handygehäuse, ein Monitor
mit zerschlagener Scheibe, denn so ist das Leben zu 2 Dritteln
auch. Noch mehr Kultur gibt es nur an der Tanke, sie ist
alles, was ab abends um sechs hier noch bleibt und in die
letzte Stunde dämmert. Um zehn ist Rattenstunde, trotz illumi-
niertem Zweckbau, der den Anschein erweckt, es sei etwas los.
Nichts ist, gar nichts, und selbst wenn etwas wäre, wäre
es nichts, die reine Vortäuschung einer mit Leere aufge-
schäumten, hochgequirlten Kunstmaterie, die aus einem Mode-
heft rieselt, serienmäßig, wie abgehängte Schweinefüße, wie
Anstaltskleidung, die sich für einen Festanzug hält.
Die Sonne bricht durch die Wolken, wie ein perforierter
Blinddarm sich in den Bauchraum ergießt. Die Strahlen sind
schmutzig, etwas gerötet, vor Scham. Die hellen Stunden neh-
men ab, die Fliegen zu, das muss einen Zusammenhang
bilden, wenn sich die Tiere versammeln, wo anderntags
gestorben wird. Fliegen, sagt man, sind die Engel des Purgato-
riums, Gefährten des letzten Weges. Sie haben ein feines Ge-
spür für Auflösungen und Verfall. Dann kommen sie
auch und halten sich auf. Einige verbrennen am Licht
einer Lampe, andere paaren sich, aber Geduld haben sie alle. Ab
wann der August September heißt, steht nicht in den Sternen,
aber offen steht der Weg in den Winter, die Tür zur Kälte
ist aufgestoßen, und immer noch zögernd gehen wir hin-
durch. Gewöhnlichkeit ist eine Gnade der Natur, die Gewöhnung
an die Gewöhnlichkeit, das allmähliche Hinüber-/wechseln in
einen anderen Zustand, das sich selbst nicht erfahrende
Gehen. So altern wir. So sterben wir. Wie der Sprung
eines Spiegels den Blick bricht eines festgehaltenen Bildes,
und stets unumkehrbar. Wir sahen uns nach langer Zeit an
und erkannten die Niederlagen, die Schüsse von hinten.
Außerhalb einer geregelten Form, eine Linie, die ab-
bricht, eine Folge, die endet, ist alles vergeblich, und deshalb
reden wir, auch wenn die Sprache keinen Sinn mehr verfolgt,
weiter, und weiter, damit die Erzählung ihren Abgrund
nicht zeigt, ihr ver-/rücktes, unendliches Nichts. Denn
es ist nichts, auch wenn etwas ist, und das erzählen die Fliegen
am Tage.
Blicke 14.8.13 I 20.8.13 I 21.8.13 I 25.8.13
Schaffe müsse muss hier jeder, streng puritanisch, wie
die Gleichzeitigkeit des Tickens der Uhren mit Weck-
funktion für die Lieblingssendung. Ich habe gedenkt,
du musst schaffe gehe, dazu rot gefärbte Haare und coole
grüne Fingernägel. Das Hexehuus hat sie allein aus dem
Sperrmüll gezogen und ungelogen allein neu errichtet.
Abends sitzen zum Schwarzbier die sprachlosen Männer
und entgehen ihrer Nichtigkeit nicht. Polternd und viel
zu laut, sind sie stumm und vermuten in mir einen Lehrer,
weil ich lesen kann. Manchmal, wenn auch keine Spinne
im Raum ist, der man süchtig nach einer Bewegung nach-
schauen könnte, wie sie das Geheimnis des Lebens in weiße
Laken verwebt, setzt sich mir an die Seite, dort, wo die
Leber die Gifte des Tages auskocht, ein Trinker und trinkt
und liest mit. Düsch is abbe nix for unsre eens. Ja, gut,
stimmt. Ich lese nur noch Bücher hart auf der Linie zur
Unverständlichkeit, wenn die Terme in die Bilder stürzen
und das Herzgeschäft zur Formel wird. Antike Ware,
als Denken noch sinnlich war und schön wie zwei sich
liebende Geschlechter. Was Zwecke erfüllt, ist schon
verloren, noch ehe es a sagen konnte. – «Erzählen Sie das
mal dem Volkswirt von Entenhausen, der tot umfällt,
wenn seine Kuh ihre Melkmaschine nicht von selber findet.»
Auf ein Zeichen warten sie alle, doch was kommt, ist Leere
und der bittere Geschmack im letzten Tropfen des Glases.
Ich fühle mich wie der September, in dem schon verbraucht
ist, was gut war, die Sätze fallen in die Risse der Sprache
und kommen zu keinem Resultat, es beginnt nichts mehr
und es endet noch nichts. Du musst mit Wiederholungen
leben, mit Gedanken in Schleifen, die unendlich kreisen
und am Grunde immer rätselhaft sind, denn es neigt sich
alles zum Rätselhaften, je länger wir leben. Es gibt auch
die helleren Tage, die sonnigen Stunden, die Erinnerungen
an etwas und ein Verlangen nach dem Verlangen, nur
die Werkzeuge fehlen. Auch wenn die Blüte noch steht,
ist die Blume gebrochen. Es ist noch Zeit, nur mir bleibt
keine mehr. Jede Minute ist unwiderruflich wie der Schnitt
des Metzgers in die Kehle der Schweine. Ich verblute
mit jeder Stunde. Meine Augen, die mich ernähren,
tragen mich noch über die Zeilen hinweg, aber sie über-
springen das meiste. Sie nehmen viel schneller wahr,
als ich es je könnte, wissen, wann nichts mehr folgt, sind
erfahren, reif wie die Kirschen, in denen schon die Maden
auf Wanderschaft sind. Ich kann so vieles nicht mehr
lesen, denn zu vieles habe ich verpasst, und zu vieles
war umsonst wie der Blick des Gärtners auf die graue Erde
des Gartens/nach den Erfolgen.
Ein Haushalt für einen heißt immer: vergammeltes Obst,
Karotten mit schwarzer Haut, alles, was die Ameisen
lieben. Es gibt zu vieles, das niemand mehr braucht,
und du siehst es, wenn du allein bist mit deiner Stimme
und dem schnellen Ende der Sätze. Allein sein heißt,
ein Teller, ein Messer, ein Glas. Was jetzt kommt, ist
Notzucht und Verpflichtung zum Mehrwert. Wenn stimmt,
dass mein Begehren das Begehren des anderen ist, ist gut,
man lebt in Monologen. Nur die Liebe hat das Recht,
zu verwirren und verschwenderisch zu sein, so wie du
in mein Leben gestolpert bist und ich losging, um uns
sofort vergoldetes Besteck zu besorgen. Heute liegt es
in einer alten Kommode, und wir sehen es nicht mehr.
Das Glück ist kurz, das die Dinge uns schenken, und Liebe
endet, wo die Dinge ihren Anfang haben. Ein Stuhl, ein
Tisch, ein Bett, ich meine nicht: dies ist meine Mütze/
dies ist mein Zwirn, wie ein Dichter es schrieb, als jeder
Restbestand schon ein Vermögen war, ich meine die Genüg-
samkeit, nur im Radius des Körpers zu leben, alles andere
gehört in die Welt der Verblendung. Begierde ist nur
ein Wort, keine Sache, oder sie steuert uns geradewegs
ins Grab. Als ich das schrieb und kurz aufsah, sah ich
zwei Kinder mir am Hang gegenüber, wie Edelsteine,
wenn sie geputzt in der Vitrine liegen, zwei gefallene
Septembersterne, im Glanz ihrer vergänglichen Unschuld,
standen und hielten sich fest an den Händen. Seltsam,
wie ein Bild sich verändert, sobald ein Mensch es
betritt; und er bildet immer die Mitte, auch wenn er
am Rand steht. Als ich dann abermals hinsah, waren
die Sterne verschwunden, die Steine gestohlen, die Bilder
wie stets und immer die gleichen. Mir fehlt zum Überleben
eine Mauer der Klage, ein Raum für die Zweifel, ein Haus
für die letzten bleiernen Jahre. Mit jeder Minute vergeht
die Zeit schneller, auch wenn sie im Kreis läuft. Die
alten Männer im alten Gemäuer der Kneipe am Ausgang
der Kirche, Alternativsaufanlage zum Hexehuus drei Wege
weiter, ein Generationswechsel um zweihundert Jahre,
versteinerte Gesichter, aschgrau, die Karten aufgeblättert
und ungespielt, die Würfel zurück in die geöffneten Hände
gefallen, von der aus ihre Zukunft begann. Hier ist Stumm-
heit auch Stille, nichts drückt als Bewegung sich aus,
die Falten der alten Haut, von Kriegen durchfurcht
wie die Erde von Schützengräben im Kursker Bogen,
die der Schankwirt mit Verdun in einer Rede zueinander-
bringt, hier findet das Ende der Geschichte, mehrfach
beschworen unter Berufung auf Theorien, tatsächlich statt.
Der mechanische Kuckuck alle dreißig Minuten, wenn er
herausschnellt aus seinem Gehäuse und zur geruhsamen
Nachtwache läutet, wird an Erkenntnis durch nichts über-
troffen. Die Weben der Spinnen beginnen, sich zu ver-
heddern und Netze zu ziehen, die doppelt gespannt sind,
und wenn ein Finger sich hebt zur letzten Bestellung,
war das schon der ganze Kommentar. Keiner hat Tränen
genug, um von sich selbst zu erzählen, geschweige denn,