Der Kult - Sein Wort ist dein Gesetz - Mariette Lindstein - E-Book

Der Kult - Sein Wort ist dein Gesetz E-Book

Mariette Lindstein

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Beschreibung

Sie glaubten, der Albtraum sei vorbei, doch die Fänge des Kults reichen weit – Band 2 der neuen Reihe von Schwedens Spannungskönigin Mariette Lindstein!

Nachdem Dani nur knapp aus den Fängen des Kults gerettet werden konnte, wollen sie und ihre Zwillingsschwester Alex das Geschehene vergessen. Sie verlassen Schweden und ziehen nach Kalifornien in ein Haus am Meer. Aber es ist nicht leicht neu anzufangen, sie sind schwer traumatisiert. Dann taucht eines Tages eine geheimnisvolle Frau auf, und für die Schwestern beginnt ein neuer Albtraum. Gehört diese Frau zum Kult, vor dem die Schwestern so weit geflohen sind? Und: Hat die Sekte etwa ein neues Ziel ... wollen sie ausgerechnet das, was Alex und Dani mehr bedeutet als alles andere – sogar mehr als ihr eigenes Leben?

Endlich, die mitreißende Fortsetzung von Mariette Lindsteins neuer Reihe um die Brisell-Zwillinge!

Alle Bände der Bestsellerserie aus Schweden:

Der Kult – Sein Griff hält dich gefangen

Der Kult – Sein Wort ist dein Gesetz

Entdecken Sie außerdem »Die Sekte«, die erste beliebte Reihe der Autorin.

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Seitenzahl: 728

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Buch

Nachdem Dani nur knapp aus den Fängen des Kults gerettet werden konnte, wollen sie und ihre Zwillingsschwester Alex das Geschehene vergessen. Sie verlassen Schweden und ziehen nach Kalifornien in ein Haus am Meer. Aber es ist nicht leicht, neu anzufangen, sie sind schwer traumatisiert. Dann taucht eines Tages eine geheimnisvolle Frau auf, und für die Schwestern beginnt ein neuer Albtraum. Gehört diese Frau zum Kult, vor dem die Schwestern so weit geflohen sind? Und: Hat die Sekte etwa ein neues Ziel … wollen sie ausgerechnet das, was Alex und Dani mehr bedeutet als alles andere – sogar mehr als ihr eigenes Leben?

Autorin

Mariette Lindstein war fünfundzwanzig Jahre lang Mitglied bei Scientology. Sie arbeitete unter anderem im Hauptquartier der Kirche in Los Angeles, bis sie die Gemeinschaft 2004 verließ. Heute ist sie mit dem Autor und Künstler Dan Koon verheiratet. Die beiden leben mit ihren drei Hunden in einem Wald außerhalb von Halmstad. Ihre Debütreihe »Die Sekte« eroberte die Spitzenplätze der internationalen Liste, wurde mehrfach prämiert und wird derzeit verfilmt. Mit »Der Kult« erschafft sie eine neue bedrohliche Reihe, die die Leser*innen fesselt. Neben dem Schreiben hält Mariette Vorträge über die Gefahren von Sekten.

Von Mariette Lindstein bereits erschienen

Der Kult – Sein Griff hält dich gefangen

Die Sekte – Es gibt kein Entkommen

Die Sekte – Deine Angst ist erst der Anfang

Die Sekte – Dein Albtraum nimmt kein Ende

Die Sekte – Deine Welt steht in Flammen

Die Sekte – Dein Feind ist dir ganz nah

MARIETTE LINDSTEIN

Der Kult

Sein Wort ist dein Gesetz

Thriller

Aus dem Schwedischen

von Stefanie Werner

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Sprickor i jorden« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

1. Auflage 2023

Copyright der Originalausgabe © Mariette Lindstein 2019,

by Agreement with Enberg Agency

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Joern Rauser

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

JS · Herstellung: sam

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-29113-6V001

www.blanvalet.de

Prolog

In diesem Sommer reiste ich mit Carl zum ersten Mal wieder nach Schweden zurück. Es sollte nur eine Stippvisite sein, denn Carl hatte den Wunsch, mir unbedingt den Solvikhof im Simlångstal zu zeigen, wo er ein Jahr später eine Art Frauenhaus eröffnen wollte. Der Hof befand sich auf einem riesigen Grundstück und bestand aus einem Hauptgebäude und vier kleineren Wohneinheiten. Direkt hinter dem Garten lag eine Wiese, die an ein Buchenwäldchen grenzte, dahinter floss der Fylleån, in dem das Wasser tanzte, plätscherte, sprudelte und spritzte. Auf dem Gelände waren die Renovierungsarbeiten gerade voll im Gange, daher war das Grundstück mit Baumaterial und Gerümpel übersät. Wir übernachteten in einem der kleineren Häuser. Mehrere Wände waren noch nicht tapeziert, und in einer Ecke stand ein Tisch mit einer Bandsäge. Von der Decke baumelten schon Kabel herunter, Lampen fehlten aber noch.

Doch Carl war so ausgelassen wie ein kleiner Junge. Ich war überrascht, dass sich das Simlångstal von der kargen Küstenlandschaft in Halland, die mir so vertraut war, stark unterschied. Hier schlängelten sich wilde Flüsse durch tiefe Wälder, und hinter dichten Birkenwäldchen tauchten plötzlich glitzernde Seen auf.

Carl hatte das Simlångstal ins Herz geschlossen, denn in dieser Gegend war seine Mutter groß geworden. Soviel er wusste, hatte sie hier eine glückliche Kindheit und Jugend erlebt, bis sie seinen Vater heiratete, von dem sie später schwer misshandelt wurde. Als sie die eheliche Gewalt und die Demütigungen nicht länger ertrug, nahm sie sich das Leben. Carl war damals gerade zwölf Jahre alt gewesen. Das Frauenhaus-Projekt war nun sein Versuch, sich mit seiner Kindheit auszusöhnen.

An unserem letzten Abend, bevor wir den Heimweg nach Kalifornien antreten mussten, wollte mir Carl den Danska Fall, einen Wasserfall, zeigen, der sich ganz in der Nähe befand. Ich war übermüdet, da ich immer noch unter dem Jetlag litt. Außerdem war Dani, meine Zwillingsschwester, im achten Monat schwanger, daher stand ich unter Strom und fand keine Ruhe. Doch Carl ließ nicht locker. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er nicht umzustimmen. Seine Sturheit erstaunte mich immer wieder.

Also brachen wir zu diesem Wasserfall auf. Der lange Wanderweg führte uns durch helle Buchenwälder und vorbei an mächtigen, alten Eichen. Das Blattwerk der Baumkronen war dicht. Die Sonne senkte sich schon wieder, und in der Luft lagen die Düfte des Hochsommers. Alles war friedlich und still. Die Vögel schienen sich in ihre Nester zurückgezogen zu haben. Rechts und links vom Weg schossen junge Buchen aus dem Boden und stellten uns mit ihren zarten Zweigen ein Bein. Wir waren ganz allein unterwegs und hatten das Gefühl, als wanderten wir durch eine Märchenwelt. Ich versuchte, jeden Gedanken an Dani und das Baby, dessen Geburt so kurz bevorstand, auszublenden. Und tatsächlich – innerhalb kürzester Zeit hatten mich die betörenden Düfte, das zauberhafte Licht und die gigantischen Baumkronen oberhalb von uns völlig in ihren Bann gezogen. Eine kleine kupferfarbene Ringelnatter schlängelte sich quer über den Weg zum nächsten Gebüsch. Als sich feine Wolkenfetzen vor die Sonne schoben, frischte es deutlich auf.

Wir erreichten ein großes Feld, das von Hahnenfuß und Kamille gesäumt war. Als wir das Ende der Lichtung erreicht hatten, ergriff Carl meine Hand und führte mich einen Waldhang hinauf. Anfangs konnte ich das Wasser nur hören, erst ein feines Rauschen, dann donnerte es richtig, und schließlich sah ich ihn. Ich hatte einen einzigen, imposanten Wasserfall erwartet, stattdessen bot sich uns ein Bild mit vielen kleinen, terrassenartigen Wasserstürzen und Stromschnellen. Das Wasser fand zwischen Gestein und Felsvorsprüngen zahlreiche Wege, es verwirbelte sich und bildete Teichbecken auf mehreren Stufen. Wir mussten auf den Steinen balancieren, um auf einen Damm zu gelangen, der sich unterhalb des größten Wasserfalls befand. Unmittelbar vor uns stürzten die Wassermassen hinab, und der Wind trieb uns den Schaum ins Gesicht. Ich war vor Staunen und Freude ganz außer mir.

»Weißt du, wie so ein Wasserfall entsteht?«, rief ich Carl zu.

»Ich habe mal gelesen, dass sich Wasserfälle bilden, wenn ein fließendes Gewässer den Gesteinsuntergrund nicht überall gleichmäßig ausspülen kann. Dann kommt es zu einer Art Sturz«, versuchte er mir zu erklären.

Wir mussten fast schreien, so laut dröhnte es an dieser Stelle.

»Hier sieht es aus, als wäre der Berg aufgesprungen, damit das Wasser heraussprudeln kann«, sagte ich.

»Ja, obwohl das Wasser die Steine abschmirgelt – oder besser gesagt erledigen das der Kies und der Schlamm, den es mitführt.«

Hinter dem Wasserfall lag ein größerer Damm, an der Seite stand das Wasser still. Wir zogen Schuhe und Strümpfe aus, krempelten die Hosenbeine hoch, wateten hinein und setzten uns in der Mitte auf einen großen flachen Stein. Durchs Blattwerk schien die Sonne und brachte die Wasseroberfläche wie einen Edelstein zum Glitzern und Funkeln.

Der Abend war so wunderschön, er schien mir geradezu vollkommen.

Die Bäume um uns herum nahmen uns die Sicht, sodass kaum auszumachen war, wo der Damm begann und wo er endete. So hockten wir dort einfach in einem silbrig schimmernden Licht.

»Meine Mutter hat immer von diesem Ort geschwärmt«, sagte Carl. »Sie ist jeden Nachmittag hergekommen, hat kaum einen Tag ausgelassen, nur wenn ihr das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Sie hat erzählt, dass sie hier endlich zur Ruhe kommen und sich in dieser fast meditativen Atmosphäre entspannen konnte.«

Dann begann er, überschwänglich von seiner Mutter zu erzählen, Geschichten, die ich noch nie von ihm gehört hatte. Erinnerungen an gemeinsame Unternehmungen, an innige Momente. Und er fand gar kein Ende. Ich gab mir die größte Mühe, aufmerksam zuzuhören, doch meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Die frische Luft machte mich hundemüde. Ich gähnte so sehr, dass mir eine Mücke in den offenen Mund fliegen konnte und beim Ausatmen wieder hinausgeschleudert wurde.

Da stockte Carl und sah mit einem Mal merkwürdig abwesend aus.

Er legte seinen Kopf in die Hände und schloss wohl die Augen.

Ich wurde ganz still. Er hob den Kopf. Wir saßen uns gegenüber, sahen uns an und sahen uns doch nicht. Das Schweigen zwischen uns wurde immer dichter. Ich spürte etwas Kaltes in mir, als hätte ich einen Eisblock im Körper. Noch bevor er den Mund öffnete, begriff ich, dass ich ihn sehr verletzt hatte.

»Sorry, tut mir schrecklich leid«, sagte ich. »Aber ich bin einfach todmüde.«

»Müde sein wäre das eine, gelangweilt sein ist aber etwas anderes.«

Seine Stimme klang jetzt unterkühlt. Sein Blick war verfinstert. Ihm war anzusehen, wie er um seine Beherrschung rang. Meine Unaufmerksamkeit hatte ihn offenbar sehr gekränkt.

»Aber ich bin überhaupt nicht gelangweilt«, entgegnete ich. »Ich würde sehr gern noch mehr über deine Mutter erfahren.«

Mir war jetzt tatsächlich zum Heulen zumute. Meine Beklommenheit nahm rasend zu. Es sah Carl gar nicht ähnlich, so schnell beleidigt zu sein, so kannte ich ihn überhaupt nicht. Er war immer für mich da, egal wie gut oder schlecht ich drauf sein mochte. Vor einem Jahr hatte er meinen Nervenzusammenbruch miterlebt. Da hatte er sich rührend um mich gekümmert. Er hatte mich getröstet und mir versprochen, dass alles wieder gut werden würde. Und ich hatte ihm geglaubt. Schlimmer hätte es auch wirklich nicht mehr kommen können. Und er hatte recht behalten. Von seiner Kindheit hatte er mir bislang nur wenig erzählt. Und jetzt, nachdem er sich mir anvertraut hatte, hatte ich Schussel es grundlegend vermasselt.

Carl stand auf. Er war fast einen Meter neunzig groß. Als sein Schatten auf mich fiel, wurde mir mulmig. Doch dann wurde sein Blick wieder freundlicher und seine Stimme sanfter, wie so oft, wenn er seinem Ärger einmal Luft gemacht hatte.

»Schon gut, Alex. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, weil Dani jetzt in Kalifornien allein ist. Ich hätte dich nicht überreden sollen mitzukommen.«

»Aber ich bin doch gern mit dir hier.«

Wehmut überkam mich, als hätte ich irgendetwas nicht sagen dürfen, und jetzt nahm es mir die Luft. Carl war jedoch nicht der Mensch, der in Selbstmitleid zerfloss. Er reichte mir die Hand und lächelte. Dann bombardierte er mich ausgelassen mit Fragen.

»Möchtest du nicht mitkommen? Bist du auf dem Stein angewachsen? Ist es nicht traumhaft schön hier? Hättest du Lust, im Herbst noch mal mit mir herzukommen? Dann ist es noch tausendmal schöner.«

Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn wie es schien, war er mir nicht mehr böse. Als wir dann zum Solvikhof zurückkamen, setzen wir uns in den Garten und unterhielten uns so lange, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war. Allmählich verlor der Himmel sämtliche Farben, und irgendwann war er bloß noch bleich. Die Dunkelheit schlich sich jetzt an. Die einzigen Geräusche, die zu uns drangen, waren das Rauschen des Flusses und das melodische Trällern einer Amsel. Über den Tannenwipfeln stieg ein großer Vollmond auf.

In vielerlei Hinsicht war dies ein wunderbarer Abend.

Und doch spürte ich hier zum ersten Mal diese Kluft zwischen uns. Sie kam und ging. Nur wurde ich bald das Gefühl nicht mehr los, dass sie auf uns lauerte und nur darauf wartete, sich baldmöglichst wieder zwischen uns zu zwängen.

1

Für die Jahreszeit wirkte der Abend relativ kühl, und über Half Moon Bay fiel die Nacht herein. Vom Meer her war Nebel aufgezogen. Ich war schon lange nicht mehr im Büro gewesen, denn die Wochen nach meinem Schweden-Trip hatte ich zu Hause verbracht, um im letzten Monat vor der Geburt meines Neffen an Danis Seite zu sein.

Nun hatte ich meinen ersten Arbeitstag nach dem Urlaub hinter mir und war völlig erledigt. Das Telefon hatte nicht stillgestanden, und da ich ganz allein im Büro gewesen war, hatte ich ohne Pause durchgearbeitet. Aber jetzt setzte ich alles daran, mich so schnell wie möglich wieder einzuarbeiten. Carl war nach Stockholm gereist, um seine Kunstausstellung zu eröffnen. Die Vernissage war gerade zu Ende gegangen, und ich war gespannt, ob schon erste Rezensionen im Internet auftauchten.

Und doch war irgendetwas sonderbar. Je näher ich unserem Haus kam, desto hellhöriger wurde ich. Ich lauschte meinen Schritten. Als ich mir sicher war, dass ich beobachtet wurde, blieb ich instinktiv stehen. Ich warf einen Blick über die Schulter, doch da war niemand. Wahrscheinlich sah ich mal wieder Gespenster. Wenn mich die Angst überkam, fragte ich mich allen Ernstes, ob ich überhaupt bei Sinnen war, oder ob mein Körper jetzt ganz und gar kopflos agierte. Ich setzte mich wieder in Bewegung, und doch wurde ich das beklemmende Gefühl nicht los, dass sich jemand Fremdes in der Nähe befand. Als ich ins Haus ging, flackerte vor meinem inneren Auge das Bild eines Mannes mit Kutte auf. Das ist nur Einbildung, hier bist du in Sicherheit, die Sekte gibt es nicht mehr, redete ich mir im Stillen gut zu. Glücklicherweise hatte ich inzwischen eine Methode gefunden, wie ich die Kontrolle zurückgewinnen konnte. Konzentriert machte ich meine Atemübungen gegen die Angst. Die saß tief in meiner Magenkuhle, fühlte sich finster und kalt an, aber wenn ich mich ganz auf sie konzentrierte, verlor sie nach und nach die Macht über mich. Die dunklen Wolken zogen weiter. Ich ermahnte mich selbst, diese Bilder nicht ständig zwanghaft aufzurufen.

Im Haus war es friedlich, hier konnte ich nichts Bedrohliches entdecken. Also lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das, was ich eigentlich tun wollte – nämlich die Reaktionen auf Carls Kunstausstellung zu checken.

Die sogenannte IPad-Kunst war sein Hobby. Mit großer Leidenschaft und Fantasie kreierte er diese Bilder, im Gegensatz zu seiner ansonsten so besonnenen, manchmal auch pedantischen Art. Seine Werke stellte er jetzt zum allerersten Mal aus, und ich hätte ihn nur zu gern nach Stockholm zu seiner Vernissage begleitet. Doch Danis Sohn war gerade erst auf die Welt gekommen, und ich traute mich nicht, meine Schwester schon jetzt mit dem Säugling allein zu lassen. Sie hatte nach der Geburt gesagt, sie wolle mich so viel wie möglich an ihrer Seite haben. Ihr Kind ließ sie nicht aus den Augen.

Die Tür zu ihrem Schlafzimmer war geschlossen. In der Küche fand ich einen Zettel, auf dem sie mich bat, leise zu sein. Und ich dürfe mir etwas von der Rüblitorte aus dem Kühlschrank nehmen. Zuerst ging ich ins Wohnzimmer und fuhr meinen Computer hoch. Eine der großen schwedischen Tageszeitungen hatte bereits eine Kritik zu Carls Ausstellung veröffentlicht. Sie war der Aufmacher im Feuilleton.

CARLASHERÜBERRASCHTMITIMPOSANTERKUNSTAUSSTELLUNG

In der Galerie Aquarell in Stockholm startet das Herbstprogramm mit einer Ausstellung von iPad-Kunst. Carl Asher, CEO des exklusiven Datingunternehmens Ash & Coal, überraschte mit einer starken künstlerischen Performance. Asher ist Psychologe, der sich auf Sex als Therapieform spezialisiert hat, daher ist das Thema der Werkschau, wie sollte es anders sein, »Erotik«. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Bildern, die sowohl vor Emotionen triefen als auch von prickelnder Lust und von Sehnsucht erzählen. Auch wenn die Ausstellung durchaus als gewagt bezeichnet werden kann, wird sie heutzutage kaum mehr einen Kunstliebhaber schockieren.

Ich hielt inne und las den Text noch einmal, bloß um mich zu vergewissern, dass ich nichts falsch verstanden hatte. Nein, alles klang positiv, und der Rezensent fuhr im selben Stil fort.

Die Räumlichkeiten der Galerie werden bei Ashers Ausstellung optimal genutzt. Die großzügigen Säle beherbergen die besonders großen, beeindruckenden Werke, während die eher intimen, stillen Bilder in den kleineren Räumen gezeigt werden. Nicht nur der völlig ungezügelte Einsatz von Farben lässt den Puls der Betrachter höherschlagen, auch die Vorstellung, dass die Motive auf den Bildern der Wirklichkeit entspringen, erhöht die Spannung beträchtlich. Das Werk Alex steht im Mittelpunkt der Ausstellung. Es bringt Gefühl pur auf die Leinwand, eine große Intimität, und tut dies in so beeindruckender Weise, dass man sich vorstellen könnte, es wäre die erste Szene in einem groß angelegten erotischen Film. Ein Paar sitzt nackt, eng umschlungen, offenbar sich wiegend vor der Kamera und scheint sich in dieser innigen Umarmung zu verlieren.

Auf dem Bild sah man Carl und mich. Wir hatten beim Sex eine Kamera mitlaufen lassen, Carl hatte das Gemälde nach einem Standbild angefertigt, eine Szene direkt nach unserem Höhepunkt. Er hatte einen Augenblick voller Zärtlichkeit eingefangen, daher bekam ich beim Betrachten des Bildes wieder einen Kloß im Hals. Wir sahen so himmelhochjauchzend glücklich aus. Carl verfremdete die Gesichter auf seinen Bildern immer, gab auch sonst nie die Namen preis, doch in dem Fall hatte er sich mein Einverständnis geholt und das Werk Alex getauft. Die Zeitungskritik endete mit folgendem Fazit.

In Schweden steckt iPad-Kunst noch in den Kinderschuhen, doch in den USA ist sie bereits äußerst populär. Das Bild wird auf einem iPad kreiert und kann auf mehr oder weniger jedes Material gedruckt werden. Asher präsentiert die Mehrzahl seiner Werke auf gebürstetem Stahl. Es bleibt zu hoffen, dass viele weitere Künstler diese spannende neue Kunstform für sich entdecken werden. Im nächsten Jahr wird die Ausstellung im Kunstmuseum Göteborg gezeigt.

Ich konnte einen kleinen Freudenschrei nicht unterdrücken, aber ich hielt sofort an mich. Ich wollte nicht riskieren, Dani aufzuwecken. Seit das Baby auf der Welt war, galt jede Minute ihres Schlafes als heilig. Ich versuchte, Carl anzurufen, doch er ging nicht an sein Handy, also schickte ich ihm eine SMS und gratulierte zu diesem Wahnsinnserfolg.

Dann machte sich mein Hunger wieder bemerkbar. Ich ging in die Küche, verschlang die Rüblitorte noch im Stehen und kippte ein Glas Milch hinterher. Als ich aufgegessen hatte, merkte ich erst, wie müde ich war. Ich wusch mir das Gesicht und putzte mir die Zähne. Kaum hatte ich mich hingelegt, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Von dem Surren des Handys schreckte ich auf. Entweder war es sehr spät in der Nacht oder schon früh am Morgen. Ich setzte mich auf, machte Licht und ging ran. Carls Stimme klang erstaunlich nah, als säße er neben mir.

»Ein irrer Erfolg, Alex! Es hätte nicht besser laufen können.«

Ich räusperte mich, um nicht verschlafen zu klingen.

»Glückwunsch! Ich freu mich so für dich. Hab die Kritik schon gesehen. Jetzt wirst du wahrscheinlich etwas eingebildeter nach San Francisco zurückkommen?«

»Nur ein bisschen. Unser Bild Alex ist für dreihunderttausend über den Tisch gegangen. Das ist dein Geld. Ohne dich hätte es das Bild nicht gegeben.«

Die meisten Menschen wären jetzt wohl total aus dem Häuschen gewesen, ich aber nicht. Seit ich den Job als Carls Assistentin hatte, litt ich nicht mehr an Geldmangel, und dieses Bild liebte ich heiß und innig.

»Wer hat es gekauft?«

»Ein Mann, Diplom-Ingenieur. Mehr weiß ich nicht über ihn. Er hat bestimmt eine halbe Stunde davorgestanden und es angestarrt. Aber viele Gäste haben es bewundert. Eine Zeit lang waren es richtige Menschentrauben.«

Ich fand die Vorstellung befremdlich, dass sich jemand dieses intime Bild von uns beiden in sein Wohnzimmer hängte. Und ich musste zugeben, dass ich auch etwas enttäuscht darüber war, wie leichtfertig Carl unser Bild aus der Hand gegeben hatte. Das merkte er mir offenbar an, denn er schob gleich hinterher:

»Ich drucke es für uns noch einmal aus. Natürlich haben wir unser eigenes Exemplar. Aber das Honorar geht auf jeden Fall an dich.«

Seiner heiseren, leiernden Stimme merkte ich an, dass er nicht viel Schlaf bekommen haben konnte.

»Das Geld ist mir völlig egal, ich wäre nur so gern dabei gewesen«, sagte ich.

»Du warst dabei«, erwiderte er. »Und du fehlst mir.«

Ich schloss die Augen und stellte mir sein Gesicht vor, sah seine vertrauten Züge mit all den kleinen Fältchen, jeden Zentimeter bildhaft vor mir. Als ich Carl vor einem Jahr kennenlernte, fand ich ihn anfangs kompliziert, rätselhaft und unnahbar. Doch obwohl er mir hin und wieder immer noch Rätsel aufgab, war er längst nicht mehr unnahbar. In den letzten Monaten waren wir ein Paar geworden. Zwischen uns knisterte es noch wie am ersten Tag. Man könnte auch sagen, dass wir uns liebten. Die Frage war nur, was aus uns werden würde. Und ob es wichtig war, dass unsere Beziehung ein Ziel bekam.

»Bist du noch da, Alex?«

»Sorry, ja, klar«, sagte ich und hörte, wie kratzig meine Stimme klang.

»Du wirkst traurig, was ist denn los?«

»Gestern Abend hatte ich wieder so einen Flashback. Ich habe gespürt, wie mich jemand vor dem Haus beobachtet hat. Das hat sich so echt angefühlt, dass diese Wahnsinnsangst wieder hochgekommen ist.«

»Und jetzt ist alles wieder gut?«

»Ja, als ich ins Haus gegangen bin, war die Angst wieder verflogen. Bist du sicher, dass uns keiner von denen beobachtet?«

Carl atmete tief durch. Dani und ich hatten die Ereignisse des letzten Jahres noch lange nicht verarbeitet, aber Carl besaß die Fähigkeit, uns immer wieder zu beruhigen.

»Das glaube ich nicht, Alex. Seit dem Winter haben wir nichts mehr von ihnen gehört. Mach dir keine Sorgen. Warum sollten sie uns auch beobachten?«

»Vielleicht, um sich zu rächen?«

»Das glaube ich nicht.«

Ganz sicher war ich mir da aber nicht.

»Carl?«

»Ja?«

»Sie sind nicht mehr aktiv, oder?«

»Ja, soweit ich weiß.«

»Ich kann es irgendwie nicht glauben. So fanatisch, wie sie waren …«

»Beruhig dich wieder, Alex. Im Haus könnt ihr euch wirklich sicher fühlen.«

Ich musste daran denken, wie gut er roch, wie sich seine Bartstoppeln an meiner Wange anfühlten, wie schön warm seine Hände waren und wie gern ich mit ihm zusammen war. Der Kloß in meinem Hals kam zurück, mir schossen Tränen in die Augen.

»Carl, kommst du ganz sicher wieder nach Hause?«, fragte ich.

»Sorry, was hast du gesagt?«

»Ich möchte nur sichergehen, dass du wirklich wieder zurückkommst.«

»Aber, Alex …«

Nur ganz selten sprach er meinen Namen mit solcher Zärtlichkeit aus.

»Ich vermisse dich einfach so«, sagte ich und lachte, während mir die Tränen über die Wangen liefen. »Nachts bin ich immer so gefühlsduselig.«

»Ich komme morgen«, sagte er. »Das weißt du doch. Bei dir kommen nur die Erinnerungen hoch. Das ist bei einem Trauma ganz normal. Wir reden weiter, wenn ich zurück bin.«

Ich wollte etwas antworten, öffnete den Mund, aber genau in dem Augenblick knackte es im Fußboden heftig laut. Ich stockte und sah mich erschreckt um.

Der Nachttisch begann zu wackeln. Dann ein Geräusch, als würde ein Zug kommen und geradewegs durch unser Haus fahren. Nun schaukelte auch die Deckenlampe hin und her, dabei blinkte sie unaufhörlich. Dann donnerte es dumpf, wie aus dem Inneren der Erde. Wir waren wie gelähmt, schwiegen beide eine ganze Weile.

»Hallo? Alex? Was passiert da?«

»Shit«, sagte ich leise.

Es war, als würde sich der Boden bewegen, so wie Wellen im Meer. Der Lärm wurde lauter. Ein endloses, ohrenbetäubendes Donnergrollen. Ich ließ das Handy fallen und klammerte mich ans Bett. Mein erster Gedanke galt Dani und dem Kind, die im Raum nebenan lagen, aber als ich aufzustehen versuchte, war es, als würde das Haus mit großer Gewalt hochgehoben, und ich wurde zurück aufs Bett geschleudert. Das Poltern wurde immer lauter. Mir schien der Kopf zu platzen. Es war unmöglich, das Gleichgewicht zu halten. Mir schoss Adrenalin durch den Körper, und ich konnte nur noch an eines denken.

»Nimm das Baby und legt euch unters Bett!«, schrie ich verzweifelt zu Dani hinüber.

Sie gab keine Antwort. Ich wollte hinüberrennen, doch das ganze Haus wackelte. Aus dem Wohnzimmer drang das Geräusch von zerspringendem Glas. Bilder fielen von den Wänden. Ich konnte erkennen, wie ein Teil vom Dach herunterkrachte.

»Alex! Bist du noch da?« Carls Stimme drang aus dem Telefon, war nun ganz weit weg.

Dann rief er meinen Namen, immer und immer wieder.

2

Das Beben nahm einfach kein Ende. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. Es konnte nicht wahr sein, dass Dani und ich jetzt bei einem Erdbeben starben – nach dem, was wir im vergangenen Jahr überlebt hatten. Und das arme Baby.

Unheimliche Erinnerungen wurden wach. Während ich da auf dem Boden lag und darauf wartete, dass das Ende kam, tauchten die Bilder dieser schrecklichen Nacht am Syrkhultasee wieder auf, als sei es gestern gewesen. Ich kniff die Augen zu, wollte nicht hinschauen und mich lieber auf den Lärm konzentrieren. Aber es half nichts. Die Ereignisse dieser Nacht überfielen mich noch einmal und machten alles doppelt so schlimm.

Es war am Silvesterabend passiert. Dani war damals schon ein halbes Jahr spurlos verschwunden gewesen. In dem Sommer, als sie gekidnappt wurde, hatte ich einen Nervenzusammenbruch, nachdem die Polizei mir mitgeteilt hatte, dass sie die Suche nach Dani einstellen würden. Einen geschlagenen Monat verbrachte ich danach in der Psychiatrie. Doch dann nahm ich all meine Kraft zusammen und machte mich auf die Suche nach Dani. Ich weigerte mich hartnäckig zu glauben, dass sie tot war. Völlig unbeirrt ging ich jeder noch so kleinen Spur nach, traf Menschen, stellte unablässig Fragen. Nichts konnte meinen Durst nach Antworten stillen. Nach und nach deutete alles darauf hin, dass Danis Verschwinden im Zusammenhang mit einer geheimnisvollen Ordensgemeinschaft stand, die in den Sechzigerjahren gegründet worden war. Am Ende war ich mir sicher, dass diese Leute Dani entführt hatten.

Die meisten Menschen um mich herum waren skeptisch – mein Psychologe, die Polizei, mein Freundeskreis – und am Ende war Carl der Einzige, der mir glaubte. In den Monaten, in denen ich fieberhaft nach Dani suchte, kümmerte er sich rührend um mich. Aber am Silvesterabend hatten wir Streit, der Auslöser war meine Eifersucht gewesen. Ich stand kurz vor dem nächsten Zusammenbruch, war völlig paranoid und hysterisch.

Da machte ich mich ganz allein auf den Weg zu einer Kirche, die in Schonen mitten im Wald lag. Das war ein letzter verzweifelter Versuch, Dani zu finden. Ich vertraute ganz auf meine Intuition, denn immer wieder konnte ich fühlen, was in meiner Schwester vorging. Dani und ich waren zwar eineiige Zwillinge, aber so etwas hatten wir vorher noch nie erlebt, und hinterher im Übrigen auch nicht mehr. Nur in dieser Zeit, als sie verschwunden war, konnten wir die Gefühle der anderen wahrnehmen, wie durch Telepathie.

Als ich Dani schließlich in der Kirche fand, wo sie in der Krypta eingesperrt war, war es fünf vor zwölf. Aber ich konnte ihr zur Flucht verhelfen. Jim Zander, der geistige Führer der Sekte, versuchte uns aufzuhalten, doch Dani erschlug ihn, rasend vor Wut, mit einem Kerzenleuchter.

Er hatte sie bei einem spiritistischen Ritual in der Kirche brutal vergewaltigt. Auf diesen Paarungsritus hatte man sie sechs Monate lang vorbereitet. Er sollte zur Geburt eines göttlichen Kindes führen. Sie bemalten Danis Körper kunstvoll, als sei sie eine Puppe. Sie stachen ihr Ringe durch die Brustwarzen. Jim propagierte immer wieder, dass Frauen einer niederen Art angehörten. Dani war ein Tier in einem Käfig. Nur ein Werkzeug. Aber sie überlebte diese Hölle, ohne den Verstand zu verlieren, und ich konnte mir kaum vorstellen, welche Willenskraft man dafür aufbringen musste. Als sie eine Zwischenblutung bekam, ging Jim davon aus, dass sie eine Fehlgeburt gehabt hatte, und wollte sie zur Strafe auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Dann sollte ich in die Kirche geholt werden, um Danis Platz einzunehmen, so lautete sein Plan.

In der Silvesternacht wollten sie sie hinrichten, am selben Abend, als ich sie endlich fand und retten konnte. Aber auf unserer Flucht durch den Wald sind wir dann in eine Wildfalle der Sekte geraten. Wäre Carl nicht in letzter Sekunde mit Sondereinsatzkräften der Polizei aufgetaucht und hätte uns gerettet, wir wären beide auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

Seitdem war nun ein gutes halbes Jahr vergangen, und immer, wenn mich irgendein Angstgefühl überkam, tauchten die Bilder dieser Nacht zwanghaft wieder auf – die Fackeln in der Krypta wie ein Flammenmeer, die Männer in den weißen Kutten, die uns festhielten. Am deutlichsten sah ich Jims blutiges Gesicht vor mir, als Dani mit dem Kerzenleuchter wie besinnungslos auf ihn einschlug und gar nicht mehr aufhören konnte. Gegen diese Erinnerungen kam ich nicht an. Die Bilder haben sich hartnäckig gehalten – unabhängig vom Lauf der Zeit und von unseren Zukunftsträumen.

Noch immer schämte ich mich dafür, dass es Jim gelungen war, mich zu manipulieren. Monatelang hatte er ein doppeltes Spiel getrieben – während er Dani in der Krypta quälte, schlich er sich in mein Leben ein und tat so, als sei er mein Freund. Ich war sogar drauf und dran gewesen, mich auf eine Beziehung mit ihm einzulassen. Er hatte sich allerdings auch wirklich überzeugend präsentiert. Der erfolgreiche Architekt. Männlich, aber sensibel. Buk sogar in seiner Freizeit Sauerteigbrot. Doch da draußen in der Kirche übernahm er die Rolle des brutalen, allmächtigen Sektenführers.

Diese Sekte war vollkommen verrückt. Sie nannten sich die Wächter des Wanderfalken, doch für mich waren sie ausschließlich die »Mördersekte«. Wie die Killerwale, allerdings tausendmal schlimmer. Man wird sie einfach nicht los. Die Sektenmitglieder waren über die ganze Welt verstreut, lauter angesehene Männer in hochrangigen Positionen. Viele gehörten zur Elite des Kulturbetriebs. Sie waren perfekt organisiert und sadistisch veranlagt. Dabei waren sie hart wie Stahl, in ihren Augen flackerte kein Fünkchen Mitgefühl. Psychopathen mit kaltblütigem, höhnischem Grinsen, kontrollsüchtig. Aber im Grunde waren das erbärmliche Menschen, die einem leidtun konnten. In der Gerichtsverhandlung hatten sie sich reumütig gegeben, doch das hatte ihnen nicht viel genützt. Jetzt saßen sie hinter Gittern, zumindest die Mehrheit von ihnen. Und obwohl Jim nicht mehr am Leben war, war Danis Hass ungebrochen. Wenn ich aus Versehen seinen Namen fallen ließ, flippte sie sofort aus. Jetzt machte ich einen großen Bogen um das Thema. Über die Sekte selbst konnte man mit ihr sprechen, aber der Name Jim löste in Dani noch immer heftige Reaktionen aus. Wenn er fiel, verlor sich ihr Blick in der Ferne, danach war sie eiskalt.

»Ich finde …«, hatte ich einmal zaghaft vorgeschlagen, »du solltest mit einem Psychotherapeuten über Jim reden.«

»Warum? Er ist doch tot«, sagte sie dann, und schon war dieser eiskalte Blick wieder da.

Ich versuchte krampfhaft, die kalten Schauer, die mir den Rücken hinunterliefen, zu ignorieren.

»Aber du reagierst so heftig, wenn sein Name fällt.«

Dann schweifte ihr Blick wieder ab, war ganz entrückt. Und genau das machte mir am meisten Angst – nicht ihre gefühlskalten Augen, sondern diese Leere in ihnen – da hatte ich das Gefühl, sie würde ganz verschwinden.

»Er hätte noch viel mehr Leid verdient gehabt«, sagte sie schließlich.

Ich wollte eigentlich sagen: »Wir können seine Leiche ja ausbuddeln und ihn noch mal verbrennen«, aber solche Geschmacklosigkeiten verkniff ich mir natürlich. Auch wenn es mir gutgetan hätte, es hätte mich befreit, mit Dani wieder über alles reden zu können, so wie früher.

Dass unsere Eltern uns verlassen hatten, als wir sechzehn Jahre alt waren, hatte unser Schicksal besiegelt. Sie wollten ihr Leben lieber in einer dubiosen, indischen Sekte namens Ammata Kumar fortsetzen. Seitdem mussten wir zwei allein zurechtkommen.

Jim war von Ammata Kumar als einer von mehreren Architekten eingeladen worden, um ein neues Gebäude für die Sekte zu entwerfen. Bei der Gelegenheit war ihm ein Foto von uns ins Auge gestochen, das meine Mutter in ihrem Büro stehen hatte. Und so war er überhaupt auf die Idee gekommen, uns für sein krankes Experiment zu benutzen – ein göttliches Kind zu zeugen.

Aber Carl hatte uns schließlich gerettet. Danach war einiges passiert – wir waren nach Kalifornien umgezogen, Carl hatte mich in seiner Firma Ash & Coal zur Partnerin gemacht, und unsere Beziehung war immer enger geworden. In unserem Haus am Meer in Half Moon Bay, wo wir jetzt wohnten, fühlte ich mich fast rundum sicher. Innerhalb weniger Monate war es Dani und mir gelungen, unser kaputtes Leben nach und nach wieder zusammenzuflicken. Äußerlich wirkte ich wohl meist gelassen, doch in meinem Kopf saß das Trauma tief. Die Angst würde mich nie aus ihren Fängen lassen, die Erinnerung konnte ich nicht auslöschen, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, dass wir auf einem guten Weg waren.

Doch jetzt, als das Erdbeben das Haus erschütterte und ich vor Angst fast verging, kamen die Szenen dieser Nacht schlagartig wieder hoch. Mir wurde kalt. Ich sah alles ganz klar vor mir. Mein Körper bebte unter meinen keuchenden Atemzügen. Carl. Jetzt würde ich ihn nie mehr wiedersehen. Und all diese unglaublichen Heldentaten, meine hartnäckige Suche nach Dani im letzten Jahr, alles Leid, das wir ertragen hatten, das süße Baby, und dann sollte es auf diese Art enden.

Dieses verfluchte Beben. Ich wollte raus ins Freie, raus aus den vier Wänden. Die Panik wuchs. Wie konnte man so etwas Furchtbares wie diese Sektengefangenschaft überleben, um dann innerhalb weniger Minuten zu Tode zu kommen, bloß weil man zufällig in einem erdbebengefährdeten Gebiet lebte? Es war so sinnlos und so ungerecht.

Genau in diesem Augenblick hörte das Beben auf.

Immerhin atmete ich noch.

Mein Puls hämmerte an meinen Schläfen, doch das Schwindelgefühl ließ schon nach. Von draußen hörte ich wieder das Rauschen der Wellen und weiter entfernt das Bellen eines Hundes.

Ich holte ein paarmal ganz tief Luft – wie eine Schwimmerin, die wieder auftaucht. Die Sonne kroch plötzlich hinter den Wolken hervor und schien durchs Fenster, fast als wolle sie feiern, dass das Erdbeben vorbei war.

Die Sonnenstrahlen fielen auf meine nackten Beine. Wie wunderbar, sie wieder zu spüren.

Wir hatten es geschafft.

3

Um mich herum ein einziges Chaos: umgekippte Möbel und auf dem Boden sämtliche Gegenstände kreuz und quer. Aber unser Haus stand noch, und an den Wänden konnte ich keine Risse erkennen.

Meine Ohren taten jetzt weh, aber die Übelkeit und der Schwindel waren abgeklungen. Ich stand auf und ging mit weichen Knien zu Dani ins Zimmer. Auch wenn ich bereits wusste, dass es ihr gut ging, so wie ein Zwilling das eben spürt, empfand ich eine große Erleichterung, es bestätigt zu finden: Zusammengekauert hockte sie unter dem Schreibtisch. Ihr stand der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Den Kleinen hielt sie krampfhaft fest. Sonderbarerweise war er an ihrer Brust ganz still. Ich hockte mich hin, kroch dann unter den Tisch und nahm sie in den Arm. Danis Nachthemd war klitschnass.

»Wir haben überlebt, das war ein Erdbeben«, sagte ich.

Danis Blick war verstört und sonderbar. Aus ihrem Mund drang ein tiefes Stöhnen.

»Ich dachte, ich würde sterben. Als Strafe dafür, dass ich Jim umgebracht habe.«

»Schsch, das ist nur der Schock. Komm mal da raus.«

Behutsam zog ich sie unter dem Tisch hervor. Ihr Sohn war tatsächlich an ihrer Brust eingeschlafen. Irgendwie hatte ich immer noch das Gefühl, das Haus würde schwanken, doch alles war ruhig, so wie nach einem Sturm.

Ich streichelte Dani über die Wange.

»Du machst dir doch keine Vorwürfe, dass du Jim getötet hast? Ich glaube, du hasst ihn immer noch.«

»Tu ich auch. Und dafür werde ich bestraft. Ich habe Fantasien, wie ich auch die anderen Männer, die dabei waren, umbringe. Ihnen die Augen aussteche. Mit dem brennenden Leuchter auf sie losgehe. Schon beim kleinsten Gedanken an sie spüre ich diesen unsäglichen Hass und die Demütigungen wieder. Warum werde ich das nicht los, Alex? Was stimmt mit mir nicht?«

Wenn sie so sprach, klang ihre Stimme ganz fremd. Arme Dani. Sie war immer die Fleißige, Brave von uns beiden gewesen. Intelligent, empathisch und nachsichtig. Ich dagegen war die mit dem losen Mundwerk und dem schwarzen Humor – aus der man nicht schlau wurde, die einen Flirt nach dem anderen hatte und sich weigerte, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Doch Dani konnte nach dieser Zeit der Gefangenschaft nicht mehr nachsichtig sein und vergeben. Und auch ich hatte mich verändert. Ich hatte erlebt, wie es ist, wenn man einen anderen Menschen so sehr vermisst, dass man sich selbst vergisst. Jetzt wollte ich ihr helfen, das Trauma zu verarbeiten, aber ich wusste nicht, wie.

»Es wird vorbeigehen«, sagte ich. »Da bin ich mir ganz sicher. Das sind posttraumatische Symptome.«

Und da fing der Raum wieder an zu vibrieren. Für einen Augenblick dachte ich schon, jetzt geht es wieder los, doch dann begriff ich, dass es nur ein kleines Nachbeben war.

»Das ist nicht gefährlich, nur ein Nachbeben«, beruhigte ich sie.

»Okay«, erwiderte Dani. »Ich glaube, das Schlimmste ist überstanden, jetzt habe ich keine Angst mehr.«

So saßen wir einfach still da. Warteten ab – ob es noch mal vibrierte, wackelte, bebte – doch nichts dergleichen.

»Lass uns mal den Fernseher einschalten«, sagte ich. »Vielleicht kommt schon etwas in den Nachrichten. Warte mal.«

Da fiel mir das Telefonat mit Carl wieder ein. Ich kroch in mein Schlafzimmer hinüber – warum auch immer auf allen vieren – aber das Gespräch war weg und der Akku in meinem Handy leer. Und in all dem Durcheinander war es unmöglich, ein Ladekabel zu finden.

Ich stand wieder auf, ging ins Wohnzimmer zurück und flog fast über einen Stuhl, der umgekippt auf dem Boden lag. Dann schaltete ich den Fernseher ein. Und da kamen schon die ersten Nachrichten über das Erdbeben. Stärke 6,3 auf der Richterskala, das Epizentrum an der Küste zwischen Half Moon Bay und dem San-Andreas-Graben, es wurden keine Toten gemeldet, allerdings zahlreiche Sachschäden, das stärkste Erdbeben seit 1926 in diesem Gebiet.

Jetzt brauchte ich frische Luft, doch es kostete mich große Überwindung, die Haustür zu öffnen. In meiner Fantasie hatte sich das Meer angehoben und rollte mit einer Monsterwelle direkt auf unser Haus zu. Ganz vorsichtig drückte ich die Klinke hinunter. Laue Morgenluft schlug mir entgegen. Durch einen Nebelschleier fielen die ersten grellen Sonnenstrahlen auf den Strand.

Wie sonderbar, alles sah aus wie immer. Die Häuser, die Straßen, das Meer und die Anlegestelle in der Ferne. Eine große Welle schlug auf den Strand, doch sie kam nicht einmal in die Nähe der Dünen. Trotz der diesigen Luft glänzte die Küstenlandschaft lebendig und wild, voller Energie durch die brandenden, peitschenden Wellen. Die Luft roch nach Seegras und Schwefel. Vom Land drang Brandgeruch in meine Nase. Wie trostlos. Kein Mensch weit und breit. Aber dann sah ich auf und entdeckte jemanden. Im ersten Stock des Hauses nebenan stand ein Mann auf dem Balkon und lehnte sich ans Geländer. Er sah aufs Meer hinaus. Allein der Anblick dieses lebendigen Menschen beruhigte mich ungemein.

Dann erschien Dani hinter mir. Ich fuhr herum. Erleichterung lag in der Luft.

»Siehst du was?«, fragte sie mich.

»Nein, alles ist wie immer. Wo ist der Kleine?«

»Schläft weiter. Verrückt, oder? Ich habe ihn in sein Bettchen gebracht.«

Da legte ich ihr die Hand auf die Schulter. Sie erzitterte von der Berührung.

»Komm, wir gehen wieder rein und fangen an aufzuräumen«, sagte ich.

Unsere Wohnung war ein Chaos ohne Gleichen. Im Wohnzimmer gab es gar nicht viele Möbel, doch das Erdbeben hatte einiges angerichtet. Die Bücher waren aus den Regalen gefallen. Die Tür eines Hängeschranks in der Küche stand offen, und der Boden war voller Scherben von Gläsern und Geschirr. Das Haus gehörte der Firma Ash & Coal, wir hatten es nur gemietet. Es war schon in die Jahre gekommen, doch vor unserem Einzug hatten wir die Wände noch hellgrau streichen und auf den Böden ein hochwertiges Eichenparkett verlegen lassen.

Wenn ich etwas Schockierendes erlebe, ist es für mich die beste Medizin zu putzen. Das war schon immer so. Ich holte Kehrblech und Handschaufel und begann, die Scherben zusammenzufegen. Dani stellte die umgekippten Möbel wieder hin und hob die Bücher auf. Wir schwiegen einfach, schließlich wussten wir, was im Kopf der anderen vor sich ging. Eigentlich hätte ich als Erstes nach einem Ladekabel suchen und Carl zurückrufen sollen, doch ich brauchte ein paar Minuten, um mich zu sammeln.

Im Fernsehen liefen nun auf allen überregionalen Sendern die Nachrichten über das Erdbeben. Sie zeigten Bilder von Sprüngen in Gebäuden, abgerissenen Elektroleitungen und umgestürzten Bäumen. Es gab zwar ein paar Verletzte, aber nach aktuellem Kenntnisstand keine Toten.

An den Wänden hatten wir einige wenige Bilder aufgehängt, es waren überwiegend gerahmte Fotos. Nur an einem war die Glasscheibe heil geblieben. Es war eine Aufnahme von Dani und mir und stammte aus der Zeit vor den schrecklichen Ereignissen, also aus der Zeit, als wir noch glücklich waren. Wir standen auf einer Sanddüne vor unserem Sommerhaus in Lomma. Beim Betrachten hatte ich das Gefühl, es sei gestern gewesen. Fast roch ich den Duft des Meeres, der Nadelhölzer und unserer sonnengebräunten Haut. Wie sehnte ich mich zurück in diese Zeit, als wir noch unbeschwert waren!

Wie oft reiste ich in Gedanken in die Zeit vor der Entführung zurück, zu diesem Augenblick, in dem die Aufnahme gemacht worden war. Dann stellte ich mir vor, genau dann auf »Pause« zu drücken, um die Zukunft zu ändern. Ich machte mir selbst die größten Vorwürfe, dass ich an besagtem Abend betrunken gewesen war und Dani nicht begleitet hatte. Auf dem Heimweg war sie von Jim gekidnappt worden.

Mit Schuldgefühlen hat es etwas Sonderbares auf sich. Sie stecken nicht nur tief in einem drin, sie übertragen sich auch auf die Umgebung. Nachdem Dani die Gefangenschaft in der Sekte mit knapper Not überlebt hatte, trug ich einen Teil ihrer Angst ständig mit mir. Nach monatelanger Gefangenschaft reagierte sie paranoid auf alles und jedes. Ich wollte ihr helfen, versuchte, beruhigend auf sie einzuwirken, doch dafür musste ich meine eigene Angst verdrängen. Manchmal schüttete ich Carl mein Herz aus. Aber nur, wenn ich wirklich nicht mehr konnte.

Ich hängte unser Foto zurück an die Wand. Mein Blick wanderte zur Decke hoch, von wo ein ungewohnter Geruch kam, eine Mischung aus nassem Gips und Wandfarbe. Während des Bebens hatte ich gedacht, das ganze Dach stürze ein, aber jetzt konnte ich feststellen, dass nur ein kleines Stück abgebrochen war. In der Ecke sah es aus, als sei da erst kürzlich etwas zugespachtelt worden. Dort saß ein Streifen Klebeband, der ein Kabel fixierte, das entlang der Leiste in Richtung Haustür geführt wurde. Das weckte meine Neugier, und ich ging zum Hauseingang und öffnete die Tür.

Und da entdeckte ich an der Außenwand unseres Hauses eine Überwachungskamera.

4

Sanctum-Rehaklinik für Suchterkrankungen,

Arjeplog, Norrland

Die Wanduhr zeigt Viertel vor sechs.

Das ist die Todesstunde, so nennen jedenfalls die Schwestern und Pfleger diese Zeit am frühen Morgen gern, weil dann die meisten Patienten in dieser widerwärtigen Suchtklinik im Schlaf versterben. Genau dann dreht die Pflegehelferin mit dem Medikamentenwagen ihre Runde und weckt sie. Zu einer Zeit, wenn alle im Tiefschlaf sind.

Zumindest alle außer Andrea. Sie ist die einzige Person, die schon wach ist.

Sie sitzt am Fenster und wartet. Draußen ist es noch dunkel, aber diese Dunkelheit stört sie nicht. Die Dunkelheit in ihr ist schlimm. Obwohl auch das ein Ort ist, an dem sie sich verstecken kann. Wenn man in ein schwarzes Loch abtaucht, ist es leichter zu vergessen, wer man früher mal gewesen ist. Heute drehen sich ihre Gedanken allerdings mehr darum, wer sie in Zukunft sein möchte.

An der Einfahrt zum Klinikgelände steht ein großes, von Spots angestrahltes Schild. Darauf ist ein manisch lächelnder Mann abgebildet, daneben der Schriftzug: Sanctum-Rehaklinik – wo die Seele Ruhe findet. Doch in Andreas Fall geht es nicht um Drogenentzug, eher wird sie hier damit vollgepumpt, um sie gefügig zu machen. Dass sie das Wort Rehabilitation benutzen, ist der blanke Hohn. Es handelt sich nämlich um keine normale Rehaklinik.

Der ganze Betrieb erinnert Andrea eher an eine freireligiöse Gemeinschaft. Sie ist am falschen Ort gelandet, das wird die Zukunft zeigen.

Sie nimmt die Stille in sich auf, diese ganz eigenartige Stille in dieser Klinik – sie wirkt steril und statisch. Oft geht sie ihr derart auf die Nerven, dass sie ganz kribbelig wird. Sie sehnt sich so sehr nach dem echten Leben, denn hier passiert einfach nichts. Und wie sie sich danach sehnt! Die Medikamente beeinträchtigen fast alles, bremsen sie, machen sie benommen und zerstreut, nur ihre Sehnsucht bleibt. Fast wären ihr die brutaleren Behandlungsmethoden lieber, wie Zwangsjacken oder Elektroschocks, um dieser fürchterlichen Eintönigkeit hier ein Ende zu machen. Sie hofft auf kleine Veränderungen im Tagesablauf, bloß ein bisschen Freiraum. Mehr will sie ja gar nicht. Das ist das Einzige. Aber das ist reines Wunschdenken. Sie werden sie niemals laufen lassen – nach allem, was sie getan hat.

Es gibt Dinge, die werden dir nie verziehen.

Nicht mehr lange, dann wird die Pflegehelferin mit den Medikamenten kommen. Und wie immer wird sie ihr noch zusätzlich ein paar Beruhigungsmittel in den Pappbecher schmuggeln, nur um ganz sicherzugehen. Die Pflegerin ist freundlich, aber die Höflichkeit der Menschen ist immer ganz dünnes Eis. Die Angestellten in diesem Betrieb sind wie Maden, sie ernähren sich von totem, abgestorbenem Material. Am schlimmsten ist die Psychotherapeutin, Ursula Becker. Sadistisch lächelnd wandelt sie über die Flure. Ursula Becker meint, Andrea befinde sich im Spätstadium einer ausgedehnten Psychose, wolle es aber nicht wahrhaben. Sie nervt damit, dass Andrea ihre Wut bearbeiten solle, ihre Erinnerungen, sie soll all das bearbeiten, wovon Ursula Becker nicht die geringste Ahnung hat.

Aber Andrea weigert sich aufzugeben.

Eines Tages wird Ursula Becker nicht mehr bei der Arbeit erscheinen. Sie wird krank werden, einen Unfall erleiden oder sich einen Fehltritt erlauben und ihren Job verlieren. Und dann wird jemand anders ihren Platz einnehmen. Hier liegt Andreas ganze Hoffnung, dass jemand nachrückt, der sie besser versteht.

Sie wirft wieder einen Blick auf die Wanduhr. Zwölf Minuten vor sechs.

Sekunden später ertönt vom Flur her ein dumpfer Knall.

Sie verspürt einen leichten Windzug. Die Tür quietscht, als sie geöffnet wird.

Schwere Schritte knarzen auf dem Linoleumboden.

Ein Körper, der leicht verschwitzt riecht. Eine Knoblauchnote im Atem.

Das versetzt sie in Aufregung. Diese Person ist ihr fremd.

Langsam dreht sie sich um.

Ein etwas übergewichtiger Mann in den Fünfzigern zieht sich einen Stuhl vom Tisch und nimmt vor ihr Platz. Er hat graue Haare und trägt eine Hornbrille. Auf seinem Namensschild steht Dipl.-Psychologe Nils Wallin.

»Ihre behandelnde Psychotherapeutin hat leider eine Lebensmittelvergiftung und ist krankgeschrieben«, erklärt er.

Das ist die beste Nachricht seit Langem. Andrea fragt sich, warum nicht längst jemand auf die Idee gekommen ist, Ursula Becker zu vergiften.

»Ich habe mir gedacht, ich schaue gleich heute Morgen mal bei Ihnen vorbei, um mich zu erkundigen, wie es Ihnen geht«, fährt Nils Wallin fort.

Auf eigentümliche Weise reckt er immer wieder seinen Nacken, und nach jedem Satz muss er schlucken. In einer Hand hält er einen Notizblock, in der anderen lässt er einen Stift durch die Finger rotieren.

»Heute wird auch die Schwester mit der Medizin nicht kommen«, spricht er weiter. »Ich habe jetzt die Leitung der Psychiatrie im Haus übernommen und mir Ihre Unterlagen geholt. Da ich die Dinge etwas anders sehe, werden wir an Ihrer Medikation einiges umstellen.«

Sein durchdringender Blick macht sie auf gewisse Weise nervös, sie weiß selbst nicht genau, warum.

Sie reißt sich zusammen, um sanft zu lächeln – Sympathie erheischend.

»Jetzt werde ich Sie nicht länger belästigen. Nach dem Mittagessen komme ich noch mal vorbei, dann können wir uns in Ruhe unterhalten«, sagt er und sieht sie noch einmal intensiv an.

Es wirkt eigenartig, dass er so freundlich ist, aber sie ist ja nicht blöd. So benimmt man sich nur, wenn man etwas von jemandem will.

Nachdem er wieder gegangen ist, sitzt sie noch lange mit halb geschlossenen Augen da.

Es gibt einen Weg hinaus. Dieses Ziel darf sie nicht aus den Augen verlieren.

5

Ich trug einen Stuhl zum Hauseingang, stellte mich darauf und nahm die Kamera aus der Halterung. Sie hatte sich durch das Erdbeben aus der Befestigung gelöst, und nun zeigte die Linse zum Boden, eine schwarze Kapsel mit einem kleinen Auge in der Mitte. An der Rückseite befand sich ein grauer Metallstab.

»Das ist eine Kamera mit Mikro«, erklärte Dani.

Ich wurde stutzig.

»Woher weißt du das?«

»Ich war im Haus, als sie angebracht wurde. Da bist du gerade bei der Arbeit gewesen.«

Jetzt war ich fassungslos.

»Du hast das veranlasst?«

»Nein, Carl hat eine Securityfirma beauftragt, und die haben die Kamera installiert. Im Garten sind auch Bewegungsmelder, und nebenan behält ein Mitarbeiter dieser Firma unser Haus rund um die Uhr im Auge.«

Unsere Blicke trafen sich. Wir kannten uns nun schon ein ganzes Leben lang und waren immer ein Herz und eine Seele gewesen, doch in diesem Moment waren wir uns richtig fremd.

»Aber Dani, warum sollen wir überwacht werden?«

Verstohlen kaute sie auf ihrer Lippe herum, natürlich war ihr die Sache unangenehm. Die Stimmung zwischen uns bewegte sich gerade in Richtung Gefrierpunkt.

»Alex, lass es mich erklären, bevor du aus der Haut fährst. Das war meine Idee. Seit der Kleine auf der Welt ist, hab ich eine Riesenangst. Ich musste immer an diese Prophezeiung von dem heiligen Kind denken, und irgendwann war mir klar, dass sie versuchen würden, meinen Sohn zu entführen. Carl kam gerade vorbei, als du noch im Büro warst, und da habe ich ihn um Hilfe gebeten. Ich wollte einfach ganz sichergehen, dass uns niemand hinterherspioniert. Wenn einen Monat lang nichts Verdächtiges passiert, können wir die Kamera auch wieder abmontieren und die Security abbestellen.«

»Ich kapiere überhaupt nicht, wovon du redest. Die Sekte hat sich doch aufgelöst. Sie sitzen hinter Schloss und Riegel.«

»Ich weiß. Aber ein paar sind ihnen doch durch die Lappen gegangen. Ich möchte einfach kein Risiko eingehen.«

»Und warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich habe mich doch immer wieder beobachtet gefühlt. Ich hatte schon Angst, ich drehe durch.«

»Ich wollte es dir ja sagen, aber Carl meinte, du regst dich bloß unnötig auf. So wie du es jetzt tust.«

»Er hat mir kein Sterbenswörtchen gesagt.«

»Ich habe mich dabei wirklich ganz schlecht gefühlt, Alex. Aber es geht nun mal um unsere Sicherheit. Hätte es dieses Erdbeben nicht gegeben, dann hättest du es gar nicht gemerkt.«

»Dani, jetzt mal im Ernst: Glaubt Carl wirklich, dass sich hier bei uns Sektenmitglieder herumtreiben? In Kalifornien?«

»Nein. Aber immerhin ist die Sekte hier gegründet worden. Und als mir das wieder eingefallen ist, habe ich Schiss gekriegt.«

»Gibt es denn irgendwelche Hinweise darauf, dass …«

»Nein. Gar keine.«

»Seit wann vertraust du mir nicht mehr?«

Dani machte einen Schritt auf mich zu.

»Aber natürlich vertraue ich dir«, sagte sie.

Doch so leicht ließ ich mich nicht besänftigen.

»Warum können wir uns nicht wieder alles erzählen, so wie früher?«

»Unsere Erlebnisse im letzten Jahr haben uns furchtbar verletzt. Und nun versuchen wir jeden Tag, so zu tun, als wäre alles normal, als wäre unser Leben in Ordnung, und zum Teil stimmt es ja auch. Aber wir haben noch eine ganze Menge im Gepäck, was uns belastet.«

»Hast du ernsthaft Angst, dass sie den Kleinen entführen könnten?«

»Ja, hin und wieder schon. Aber das wird nicht passieren. Vorher bringe ich sie alle um. Ich habe vor, mir eine Pistole zu kaufen und schießen zu lernen.«

An diese neue, fremde Seite von Dani hatte ich mich überhaupt noch nicht gewöhnt. Nach Monaten der Gefangenschaft hätte ich eher erwartet, dass sie in sich gekehrt wäre, vielleicht verängstigt. Aber das ganze Gegenteil war der Fall. In ihr loderte ein Hass auf ihre Peiniger, der anscheinend nicht zu ersticken war.

Wie ungerecht. Als wir Kinder waren, hatte ich meine intelligente, beliebte Schwester manchmal beneidet, weil alle sie vergötterten, ich auch. Sie war immer so nachsichtig gewesen, hatte nie auf Vergeltung bestanden, so wie jetzt. Dieser Hass hatte sie verändert, durch ihn war sie zu einem ganz anderen Menschen geworden.

Ich hatte große Lust, Carl zur Rede zu stellen, weil er diese Securityfirma hinter meinem Rücken beauftragt hatte. Gleichzeitig war ich gerührt, dass er auf diese Weise versucht hatte, Dani zu helfen. Es war schön zu sehen, dass Dani und Carl sich bestens verstanden, dass sie sich so respektierten. Aber jetzt waren sie definitiv zu weit gegangen.

»Wo ist dein Handy?«, fragte ich Dani.

»Im Schlafzimmer. Warum?«

»In diesem Chaos finde ich mein Ladekabel einfach nicht, und ich muss Carl anrufen und ihm die Meinung sagen.«

Sanft strich sie über meinen Handrücken.

»Bitte mach das nicht am Telefon. Morgen ist er doch sowieso wieder da. Das ist alles meine Schuld. Er ist zufällig vorbeigekommen, als du bei der Arbeit warst, und da habe ich ihm mein Herz ausgeschüttet.«

»Ich bin da, wenn du jemanden brauchst, um dein Herz auszuschütten.«

»Ich weiß, aber letztes Jahr hast du mindestens genauso viel durchgemacht wie ich, auch wenn du das nicht zugeben willst. Ich möchte dich nicht auch noch mit meinen Ängsten belasten. Ich werde es nicht zulassen, dass uns noch einmal irgendwer verletzt. Und ich bin fest entschlossen, schießen zu lernen, egal, was du davon hältst. Eines Tages werden die Männer, die in der Nacht dabei waren, ihre gerechte Strafe bekommen. Ich sehe ihre Gesichter immer noch vor mir. Ich will, dass sie mitten in der Nacht hochschrecken und den Gestank ihrer eigenen Angst riechen können. Ich werde ihnen nie verzeihen, was sie mir angetan haben.«

Wenn Dani so redete, bekam ich eine Heidenangst. Was würde ich darum geben, wenn sie diese Rachelust endlich überwand. Ich beherrschte mich, um nicht laut zu werden. Aber widersprechen musste ich schon.

»Du wirst diese Männer nie wieder sehen, Dani. Sie haben doch keinen Führer mehr und …«

Ich verstummte, und in der Luft hing das Unausgesprochene, das in ein einziges Wort verpackt hieß: Jim. Jetzt musste ich ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken und verhindern, dass unser Gespräch aus dem Ruder lief. Langsam schüttelte sie den Kopf.

»Du lebst in einer Blase. Nur weil wir im letzten Jahr so etwas Schreckliches überlebt haben, glaubst du, dass uns nichts mehr zustoßen kann. Unser Kopf hält keine Ängste mehr aus. Aber das ist ein Trugschluss, Alex, wirklich. Wir müssen vorsichtig sein.«

»Reicht es denn nicht, dass wir am Leben sind?«

Sie seufzte, beugte sich vor und nahm mein Gesicht in ihre warmen Hände.

»Du bist inzwischen richtig lieb geworden. Und ich böse. Auf lange Sicht wirst du es mit mir nicht aushalten.«

»Red doch keinen Unsinn. Wir gehen mit unseren Ängsten nur unterschiedlich um. Du lässt deinen Gefühlen freien Lauf. Und du hast recht, ich verdränge vermutlich zu viel.«

»Genau das meinte ich. Früher war es genau andersherum.«

»Wie auch immer, jedenfalls musst du jetzt an das Baby denken. Und willst du ihm nicht endlich mal einen Namen geben?«

»Ich habe mich schon entschieden, er soll Erik heißen. Das bedeutet groß, mächtig und stark.«

»Okay«, sagte ich. »Schöner Name. Aber ich finde, du solltest mal darüber nachdenken, ob du wieder mit einer Therapie anfängst.«

Sie ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen.

»Mal sehen«, erwiderte sie kurz und knapp.

»Und kannst du jetzt bitte aufhören, dir Sorgen wegen der Sekte zu machen?«, fuhr ich fort. »Sie haben nicht den geringsten Grund, uns weiter zu verfolgen.«

»Ach, meinst du? Sie würden alles darum geben, Erik zu bekommen. Hast du vergessen? Sie sind überzeugt, dass er ein göttliches Kind ist. Sie leben in dem Glauben, dass er zu einem übermenschlichen Wesen heranwachsen und in der Zukunft der spirituelle Führer ihrer Sekte sein wird.«

Das war mir alles nicht geheuer. Früher hatte Dani mir die meisten Entscheidungen überlassen. Heute konnte ich nicht einmal mehr ihre Reaktionen und Verhaltensweisen vorhersehen. Wir hatten vor Kurzem ein Erdbeben überlebt, aber Dani hatte sich mir nichts, dir nichts schon wieder von dem Schrecken erholt. Ihr Gesicht strahlte rosig frisch.

Und wie immer wusste sie, was in meinem Kopf vor sich ging.

»Schau mich an, Alex. Was siehst du? Ich habe mich verändert. Und zwar nicht durch die Vergewaltigungen, nein. Es sind die Erniedrigungen und die vielen Demütigungen, die noch wie ein Stachel tief in mir sitzen. Vor dem Tod habe ich keine Angst, an den Gedanken daran habe ich mich monatelang in der Krypta gewöhnen können. Und Rachsucht ohne Todesangst macht einen ziemlich radikal.«

Es erschien mir sinnlos, darauf zu reagieren.

»Eins noch«, sagte sie.

»Was denn?«

»Ich habe allmählich das Gefühl, dass ich eine Last für dich bin.«

»Wie kommst du auf die Idee?«

»Du hast eine Beziehung mit Carl. Wir können doch nicht ewig so zusammenleben wie zwei alte Jungfern.«

»Aber Dani …« Mir blieben die Worte im Hals stecken. Was sollte ich darauf antworten? Dass ich sie mehr liebte als alles andere auf der Welt? Dass sie doch meine zweite Hälfte war? Dass ich mir ohne sie immer verloren vorkam? Stattdessen sagte ich:

»Können wir jetzt nicht erst einmal dafür sorgen, dass du psychisch wieder ganz gesund wirst, und uns um Erik kümmern? Ihr seid doch meine Familie, jemanden anders brauche ich nicht.«

Dani schloss mich in die Arme.

»Ich möchte nur nicht, dass du dich verpflichtet fühlst«, flüsterte sie in mein Ohr.

So standen wir minutenlang da, bis ich mich aus ihrer Umarmung löste, hineinging und ihr Handy holte. Kaum hatte ich Carls Nummer gewählt, erklang seine Stimme in meinem Ohr. Er war aufgeregt und schien sich die allergrößten Sorgen zu machen.

»Dani! Mein Gott, ist alles in Ordnung?«

»Hier ist Alex. Ich habe ihr Handy geliehen. Uns gehts gut. Am Haus ist auch nichts kaputtgegangen.«

Obwohl ich mir Mühe gab, ganz normal zu klingen, spürte ich beim Sprechen die Nachwirkungen des Schocks.

»Du klingst ziemlich verstört, aber ich bin heilfroh, dass ihr das gut überstanden habt.«

»Ja, alles ist okay, bis darauf, dass das Erdbeben eine Überwachungskamera an der Hauswand zu Fall gebracht hat«, sagte ich.

Er verstummte.

»Verstehe. Kann ich dir das in Ruhe erklären, wenn ich wieder zu Hause bin? Ich habe gerade angefangen zu packen, und wenn ich fertig bin, mach ich mich auf den Weg zum Flughafen.«

»Dani hat mir schon gebeichtet, was ihr hinter meinem Rücken ausgeheckt habt. Du denkst, ich halte die Wahrheit nicht aus?«

»Unsinn. Ich versuche bloß, dein Leben nicht noch mehr zu erschüttern. Was du jetzt brauchst, sind Ruhe und Entspannung, damit die Wunden an deiner Seele heilen können. Können wir später darüber sprechen?«

»Man kann von der Kontrollsucht, die manche Menschen entwickeln, irgendwann auch genug bekommen, weißt du?«

»Wie gut, dass es bei uns nicht so ist. Und ich bin so froh, dass ihr das unbeschadet überstanden habt. Grüß Dani von mir.«

»Wenn du morgen gelandet bist, fährst du dann zuerst ins Büro?«

»Ja, ich komme auf jeden Fall kurz vorbei.«

»Dann werde ich da sein, und du musst mir einiges erklären.«

Die Antwort darauf blieb er schuldig.

6

Nach dem Telefonat mit Carl machte ich mich auf und lief zum Strand, ich musste mich irgendwie beruhigen. Danis Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Eine Portion frische Meeresluft würde mein Gedankenkarussell hoffentlich zum Stillstand bringen.

Ich zog eine Jeans, ein T-Shirt und Sandalen an.

Als ich zur Strandpromenade kam, hatte ich das sonderbare Gefühl, als befände ich mich unter einem Mikroskop. Ich sah auf, so hastig, dass er nicht gleichzeitig reagieren konnte – der Mann auf dem Balkon, der mir schon nach dem Erdbeben aufgefallen war. Der Securitymitarbeiter. Klar. Ich schüttelte den Kopf und ging runter zum Meer.

Der Wasserstand war hoch. Vom Strand war nur noch ein schmaler Streifen übrig. Ein Sonnenstrahl hatte sich durch die graue Wolkendecke gekämpft und zeichnete nun einen goldenen Lichtstreif auf die Wasseroberfläche. Etwas entfernt sah ich einen unserer Nachbarn spazieren gehen, der mit einem Stock in dem Zeug stocherte, das die Wellen angespült hatten. Er erkannte mich und grüßte.

Ich ließ mir Zeit, stand einfach still da, genoss den Strand und sog die frische Meeresluft ein. Nur das Peitschen der Wellen drang noch in meine Ohren. Diese Ruhe tat so gut, sie war wie eine kühle Hand auf meiner Stirn. Das Brausen des Meeres wirkte wie sanftes Streicheln.

Meine Gedanken wanderten zu Carl zurück, wie sehr vermisste ich ihn schon nach einer Woche! Möglicherweise viel zu sehr. Lange Beziehungen waren nicht gerade seine Stärke. Mehrfach hatte er mir erklärt, dass er nicht vorhabe, sich fest zu binden. Seine Argumente konnte ich mittlerweile auswendig. In einer festen Beziehung zu leben, bedeutet Unselbstständigkeit, Sich-gefangen-Fühlen. Früher oder später endet jede feste Beziehung damit, dass man sich gegenseitig als Besitz betrachtet.