Der Kuss der Mafia Ⅱ - Marina Milutinov - E-Book

Der Kuss der Mafia Ⅱ E-Book

Marina Milutinov

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Beschreibung

»Der Menschenkenntnis kann man nicht trauen, wenn dein Gegenüber ein noch besserer Schauspieler ist.« Wenn Rache alles zerstört und man um das Glück kämpft, selbst wenn die Welt um einen herum zusammenzubrechen droht. Mariella sehnt sich nach einem Neuanfang, um die schmerzhaften Erinnerungen hinter sich zu lassen. Sie trifft eine Entscheidung, von der Luca nichts weiß. Ihr Leben ändert sich schlagartig, jedoch nicht so, wie sie es sich vorgestellt hat. Schmerz und Vergeltung, Liebe und Lust vermischen sich und entführen sie in eine Welt dunkler Geheimnisse. Dass die Camorra das Böse ist, ist nichts Neues für Mariella. Doch nicht nur die Mafia kann zur Gefahr werden. Wer ist ihr Feind und Freund? Die Mafia oder die Polizei? Mariella darf sich keinen falschen Schachzug erlauben. Ein packender Roman über Liebe, Verrat und den Kampf der Emotionen. Tropes Love Triangle | Betrayal | Revenge | Secrets and Lies | Emotional Turmoil

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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DER KUSS

DER MAFIA II

Vendetta

 

ROMAN

Band 2

 

 

Marina Milutinov

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Marina Milutinov

c/o COCENTER

Koppoldstr. 1

86551 Aichach

 

1. Auflage, 2024

Diese Ausgabe, 2025 bei Tolino Media.

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, ist untersagt und kann zivil- oder straf-rechtlich verfolgt werden.

Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.

 

© 2024 Marina Milutinov

 

Grafikdesign: Marina Milutinov

Bildmaterial: Envato

Lektorat: Milana Čergić

Korrektorat: Selina Pierstorf

 

Instagram Autor: @marina.mi.autor

 

ISBN: 978-3-7592-8815-8

 

 

Liebe Leser,

 

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte.

Jeder soll bitte für sich selbst entscheiden, ob er diese Warnung liest oder nicht.

 

 

 

-        Vergewaltigung

-        Mord

-        Gewalt

-        Selbstmordgedanken

-        Erpressung

-        Krankenhausaufenthalt

KAPITEL 1

 

MARIELLA

 

Ich verdränge den typischen Krankenhausgeruch und beobachte wie in Trance dieses kleine Wesen in meinen Armen. Zum ersten Mal darf ich den kleinen Emiliano halten. Neun Monate habe ich auf sein Kommen gewartet und jetzt ist der Moment da. Endlich kann ich sein hübsches Gesicht sehen und muss nicht mehr auf seine Ultraschall-Bilder warten. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so unglaublich schön sein wird, ihn in echt zu sehen und seine zarte Haut zu berühren. Emilianos Gesichtszüge erinnern mich an seinen Vater. Bei dieser Ähnlichkeit muss ich schmunzeln. Ich kann diesem Moment keinen Namen geben, aber er ist besonders. Ich spüre eine intensive Verbindung zu dem Kleinen und ich könnte schwören, dass er dasselbe fühlt. Mit einem langsamen Blinzeln schauen mich diese winzigen Augen an, als würden sie tief in meine Seele blicken und meinen Schmerz spüren. Und ich frage mich: Wie fühlt es sich an, Mutter zu sein?

Ich reiche Carla den kleinen Emiliano. »Hier. Ich glaube, dein Sohn bekommt Hunger.«

»Gut möglich. Er gönnt meinen Brustwarzen nie eine Pause.« Mit einem schmerzverzerrten Gesicht legt sie ihre Hand auf ihre prallen Brüste.

Als ich ihn nicht mehr in meinen Armen halte, vermischen sich meine Emotionen zu einem großen Durcheinander. Einerseits möchte ich ihn halten und die Vorstellung genießen, er wäre mein Baby. Aber andererseits verstärkt seine Nähe meinen Schmerz und erinnert mich an meinen Verlust.

Vier Jahre ist meine Fehlgeburt her und es war mir nicht möglich, wieder schwanger zu werden, da Luca seit seiner Verhaftung im Gefängnis sitzt. Ich bin mir sicher, dass der Stress seiner Festnahme der Grund dafür war, dass ich kurz danach das Baby verloren habe. Und das ist alles Giannis schuld. Er hat mir nicht nur meinen Mann genommen, sondern auch unser Kind. Schon allein, wenn ich an ihn denke, kommt eine enorme Welle an Wut in mir hoch, sodass ich mich in seiner Gegenwart nicht beherrschen könnte. Ich würde diesen Mann am liebsten tot sehen, denn er ist der Mörder meines unschuldigen Babys.

»Hast du nicht gesagt, du willst Fotos von Emiliano machen?«, reißt mich Carla aus meinen Gedanken.

»Das wollte ich. Aber ich habe mein Handy zu Hause vergessen.«

»Ach, Mariella. So sehr hast du auf diesen Moment gewartet und dann vergisst du dein Handy?«

»Ja, ich weiß. Dumm von mir.« Immer wieder schaue ich nervös auf meine Handtasche, die sich auf einem Tisch am anderen Ende des Raumes befindet.

»Dann schicke ich dir meine Fotos.« Carlas Lächeln verschwindet und sie nimmt sanft meine Hand. »Ich sehe, wie du leidest.«

»Das geht schon«, versuche ich meine Gefühle zu überspielen.

»Du kannst mich nicht anlügen. Es muss schwer sein, mich mit meinem Baby und meinem Mann an meiner Seite zu sehen. Ich verstehe dich und glaube mir, meine Schuldgefühle zerfressen mich.«

»Schuldgefühle? Du kannst doch nichts dafür. Das alles ist Giannis Schuld.«

»Ich weiß. Dennoch schmerzt es, meine beste Freundin leiden zu sehen, während ich all das habe, was du verloren hast.«

»Ich freue mich für euch, Carla.«

»Trotzdem ist es keine leichte Situation für dich und das verstehe ich. Aber ich glaube fest daran, dass alles irgendwann wieder gut wird und du wieder mit Luca vereint sein wirst. Und dann werdet ihr glückliche Eltern werden.«

Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Ja, irgendwann.«

Und da ist es wieder … irgendwann. Wann ist dieses irgendwann? Wann darf ich endlich mit Luca glücklich sein? Er hat neun Jahre bekommen. Vier sind jetzt um. Also soll ich noch fünf Jahre warten, bis er endlich frei ist? Das werde ich. Ich werde auf ihn warten, so wie ich es ihm versprochen habe, aber diese neun Jahre wird man uns genommen haben und wir werden sie nie wieder zurückbekommen. Außerdem werde ich auch nicht jünger. Wer weiß, ob es dann mit der Babyplanung klappt. Wenn ich nicht die Fehlgeburt gehabt hätte, dann hätten wir jetzt wenigstens ein dreijähriges Kind zusammen.

Das Vibrieren in meiner Tasche bekommt meine Aufmerksamkeit.

»Was ist das?«, fragt mich Carla.

»Ich weiß nicht, was du meinst«, lüge ich.

»Hörst du es nicht? Irgendwo vibriert ein Handy. Meins ist es nicht.« Ihr Blick fällt auf meine Tasche. »Hast du nicht gesagt, dass du dein Handy vergessen hast? Anscheinend hast du nur vergessen, dass du es eingepackt hast.«

»Ich glaube deine Hormone spielen noch verrückt. Ich höre nichts.«

Zum Glück hört das Vibrieren auf, als Mario ins Zimmer kommt. »Hier habt ihr eure Snacks und jetzt lasst mich meinen Sohn halten.« Das Knabberzeug wirft er auf den Tisch.

Ich zucke zusammen, als die Sachen neben meiner Tasche landen.

»Er trinkt gerade«, erwidert Carla.

»Dann warte ich.«

Ich stehe auf. »Ich werde dann mal gehen.«

Carla schaut mich verblüfft an. »Schon? Bleib noch ein bisschen.«

»Ich muss noch ein paar Unterlagen durchgehen.« Die nächste Lüge. »Lucas Firma führt sich nicht von allein.«

»Das kannst du auch später machen.«

Ich küsse vorsichtig Emilianos kleine Hand und höre sein genüssliches Schmatzen. »Ich muss jetzt wirklich los, Carla. Ich komme euch ja wieder besuchen.« Als ich meine Tasche nehme, spüre ich wieder ein Vibrieren, aber dieses Mal ist es nur kurz. »Genießt die Zeit mit eurem Sohn. Wir sehen uns.«

»Wenn du was brauchst, ruf mich an«, erwidert Mario.

Mario hält sein Versprechen, welches er Luca gegeben hat. Luca hatte seine Geschäfte gut unter Kontrolle und dadurch konnte man nicht alles nachweisen. So konnte er ein paar legale Unternehmen behalten, unter anderem die Firma, in der Carla früher gearbeitet hat. Während Luca in Haft ist, kümmere ich mich um seine Geschäfte, mit Marios Hilfe. Genauso kümmert sich Stefania um Fabios Betriebe. Luca und Fabio haben Mario vor Gericht nicht belastet, sodass wenigstens eine vertrauenswürdige Person bei mir und Stefania bleiben kann. Die letzten vier Jahre war Mario immer für uns da, privat als auch beruflich … bis auf die eine Sache, von der er nichts weiß.

Sobald ich das Zimmer verlasse, nehme ich das alte Handy aus meiner Tasche und sehe Stefanias Nachricht.

 

 

Stefania:

Ich bin da.

 

                                                

Ich bin es nicht mehr gewohnt, ein altes Tastaturhandy zu benutzen, also brauche ich ein wenig länger, bis ich mich wieder zurechtfinde.

 

 

Ich:

Ich komme.

 

Stefania:

Ach, übrigens … Ich sitze in einem dunkelblauen Auto.

 

Stefania:

Und ich hasse dieses alte Handy!

 

Ich:

Dunkelblau? Du weißt schon, wie viele dunkelblaue Autos es gibt? Welche Marke? Sonst suche ich dich ewig auf diesem riesigen Parkplatz.

 

Stefania:

Ich schicke dir ein Foto, dann weißt du genau, welches Auto es ist.

 

 

Ein Foto? Sie ist doch etwa nicht so dumm und hat ihr Smartphone mit.

 

 

Stefania:

Verdammt! Ich habe vergessen, dass diese alten Dinger keine Fotos machen können. Und ein wütendes Emoji kann ich jetzt auch nicht hinzufügen, um dir meinen Ärger zu verdeutlichen. Stelle ihn dir vor. Du weißt, wie der aussieht.

 

Ich:

Ich weiß, Schwesterherz. Du schickst mir das Emoji oft genug. ;-)

 

Stefania:

Ich stelle mich einfach vor den Eingang. Da wirst du mich finden.

 

 

Als ich das Krankenhaus verlasse, steht ein neuer dunkelblauer 7er BMW vorm Eingang. Das kann nur Stefania sein.

Ich setze mich auf den Beifahrersitz. »Haben wir nicht gesagt, dass wir ein unauffälliges Auto mieten?«

»Wir haben eine siebenstündige Autofahrt bis nach Venedig vor uns. Bei so einer langen Reise fahre ich nicht mit einer Schrottkiste.«

»Du bist so eine Prinzessin.«

»Ich habe an alles gedacht. Ich bin extra nach Rom gefahren, um das Auto zu mieten. Heißt, keine Spur führt nach Neapel.«

»Prin … zes … sin.«

»Außerdem habe ich der Autovermietung gefälschte Dokumente gezeigt. Ich heiße jetzt übrigens Lykke Pettersen.«

»Was ist das für ein Name?«

»Norwegisch.« Stefania reicht mir einen Ausweis mit meinem Bild drauf. »Dir habe ich vorsichtshalber auch einen besorgt.«

Ich nehme den Ausweis. »Jonna Eriksen.«

»Hey, Jonna«, sagt Stefania mit einem Grinsen im Gesicht.

Ich schaue sie skeptisch an. »Hättest du nicht Namen nehmen können, die eher zu unserem Aussehen passen? Wir sind nicht so helle Typen wie die Norweger.«

»Dann ist unsere Mutter eine Latina aus Südamerika und wir haben ihren dunklen Teint.«

»Wir sind keine Schwestern. Wir haben verschiedene Nachnamen.«

»Dann haben wir eben verschiedene Väter. Unsere Mutter hatte eine Schwäche für norwegische Männer.«

»Von mir aus … Lykke.«

»Wehe der Name bleibt mir.«

»Für diesen Auftrag sind wir Lykke und Jonna. Also fahr los, Lykke.«

Stefania startet den Wagen und die Reise beginnt. Langsam verwandelt sich der Plan in Realität. Ich schließe die Augen, um meine Nervosität zu lindern, dabei atme ich mehrmals tief durch. Mein Magen reagiert auf meine Unsicherheit mit Saltos. Die Risiken habe ich mir immer wieder durch den Kopf gehen lassen und dennoch will ich es durchziehen. Es gibt keine andere Lösung. Wir müssen das machen.

»Hast du die andere Sache besorgt?«, reißt mich Stefania aus meinen Gedanken.

Ich schaue auf meine Tasche, die ich mit den Armen fest umklammert habe. »Ja, ist hier drinnen.« Keine Sekunde habe ich sie aus den Händen gelassen. Nur als ich in Carlas Zimmer war, lag sie auf dem Tisch. Ich wollte sie nicht in Emilianos Nähe haben.

»Zeig mal.«

Ich öffne die Tasche und nehme vorsichtig eine Pistole heraus. »Hier.«

»Für mich hast du aber auch eine, oder?«

»Natürlich. Ist alles hier drinnen. Munition habe ich auch genug mit.«

»Glaubst du, dass wir so viel brauchen werden?«

»Ich hoffe nicht, aber ich will vorbereitet sein.«

Stefania reibt mit den Händen am Lenkrad. Sie muss nichts sagen, ich kenne sie zu gut.

»Ich bin auch nervös«, sage ich ihr.

»Nervös ist untertrieben. So eine abgefuckte Scheiße habe ich noch nie getan.«

»Wir müssen das jetzt machen.« Ich atme einmal tief durch. »Sie hätten es auch für uns getan.«

»Ich weiß.«

 

KAPITEL 2

 

MARIELLA

 

Ich nehme den smaragdgrünen Umschlag aus meiner Tasche. Obwohl ich Luca besuchen darf, schickt er mir hin und wieder Briefe in seiner typischen Manier.

 

Rosen sind rot. Veilchen sind blau … Ach, für diesen Scheiß bin ich einfach nicht geeignet. Ich wünschte, ich könnte dich zur Feier des Tages von hinten nehmen und deinen geilen Arsch betrachten. Alles Gute zum Hochzeitstag. Ich liebe dich.

 

Schmunzelnd lege ich den Brief in meine Tasche zurück. Mit den Fingern fahre ich über den Smaragdanhänger meiner Halskette, ehe ich meine Augen schließe und mir vorstelle, wie Luca und ich diesen besonderen Tag zusammen verbringen.

Die leise Musik des Radios vermischt sich mit dem Brummen des Motors. Sanfte Bewegungen schaukeln mich und meine Lider werden schwerer. Kurz bevor ich in einen tiefen Schlaf falle, fällt mein letzter Blick auf Stefania.

Sofort werde ich munter. »Was ist los, Stefania?«

Sie wirkt angespannt und ihr Blick wandert immer wieder auf den Rückspiegel. »Ich glaube, wir werden verfolgt.«

Ich drehe mich um und sehe mehrere Autos hinter uns. »Welches Auto?«

»Der schwarze Audi. Er ist ein paar Autos weiter hinten, aber er ist mir schon vor zwei Stunden aufgefallen und er ist immer noch da. Und immer hält er einen großen Abstand zu uns.«

»Fahr auf die nächste Raststätte und wir werden sehen, ob er uns nachfährt.«

Bei der nächsten Gelegenheit wechselt Stefania ohne zu blinken auf die Spur, die zur Raststätte führt. Während sie sich auf die Straße konzentriert, schaue ich zurück.

»Er fährt uns nach«, gebe ich ihr Bescheid.

»So ein Mist. Wer ist das?«

»Du hast doch niemandem erzählt, was wir vorhaben, oder?«

»Natürlich nicht. Du weißt, dass ich so etwas nie tun würde.«

»Ich weiß, aber ich weiß auch, dass du dich manchmal verplapperst.«

»Doch nicht bei so einer wichtigen und heiklen Sache.«

Ich nehme Stefanias Tasche vom Rücksitz und lege eine Pistole hinein. »Für alle Fälle. Damit du auch eine hast.«

»Was machen wir jetzt?«

»Wir verhalten uns normal. Tanken das Auto und essen was. Nebenbei behalten wir unseren Verfolger im Auge.«

Stefania bleibt an einer Zapfsäule stehen und tankt. Ich steige aus und tue so, als würde ich mich strecken, dabei halte ich Ausschau nach dem schwarzen Audi. Er fährt an uns vorbei und parkt Richtung Autobahnauffahrt.

»Er wartet auf uns«, sagt Stefania.

»Ich weiß. Geh du bezahlen, ich parke das Auto vors Restaurant.«

Während ich am Parkplatz auf Stefania warte, steht der Audi noch immer an derselben Stelle. Ich frage mich, ob er das absichtlich macht oder wir einfach zu paranoid sind und alles nur Zufall ist. Es kann niemand wissen, wo wir hinfahren. Niemand kennt unsere Pläne. Wenn Stefania und ich darüber gesprochen haben, hatten wir nicht einmal unsere Handys dabei.

»Vielleicht haben wir doch übertrieben?«, höre ich Stefania, als sie auf mich zukommt.

»Ist ja keine harmlose Sache, die wir hier machen. Da muss man vorsichtig sein.«

»Gehen wir essen, Schwesterherz. Ich glaube, das war ein Fehlalarm.«

Im Restaurant setzen wir uns an einen Tisch neben dem Fenster. So können wir vorsichtshalber unser Auto im Auge behalten.

Stefania schnappt sich die Menükarte. »Ich habe einen Mörderhunger.«

»Wir hätten auch früher eine Pause machen können.«

»Ich weiß, aber ich wollte noch ein Stück weiterkommen. Wir haben immer noch vier Stunden Fahrt vor uns.«

Ich nehme meine Menükarte und öffne sie, dabei fallen mir Bewegungen im Augenwinkel auf. Ich schaue auf den Parkplatz und sehe wieder den schwarzen Audi.

»Stefania, da ist er wieder.«

»Der fährt verdächtig langsam an unserem Auto vorbei.«

»Wir sind nicht paranoid. Er verfolgt uns.«

Etwas weiter entfernt von unserem Wagen parkt der Audi, zwei Männer steigen aus und gehen in Richtung Restaurant. Beide sind ungefähr in unserem Alter. Auch wenn der Beifahrer ein Stück kleiner ist, sind sie beide groß. Der Fahrer hat einen komplett tätowierten Arm. Ihre Mimik ist ernst und finster.

»Ich kenne die nicht. Du?«, will Stefania von mir wissen.

»Auch nicht.«

»Wisst ihr schon, was ihr wollt?«, fragt uns die Kellnerin.

Stefania und ich schrecken zusammen, als wir sie hören.

»Noch nicht«, fängt Stefania an. »Wir brauchen noch einen Moment.«

»Okay, dann komme ich in ein paar Minuten wieder.«

Als die Kellnerin weggeht, sehe ich zum Eingang. »Stefania, die zwei Männer kommen rein.«

»So ein Mist!«

Wir greifen beide in unsere Taschen und halten unauffällig die Waffen fest. Bereit für einen Angriff.

»Was machen sie? Ich möchte mich nicht umdrehen und sie anschauen. Das wäre zu auffällig«, fragt mich meine Schwester.

»Sie … sie setzen sich an die Bar und bestellen etwas.«

»Haben sie uns schon gesehen?«

»Sie haben kein einziges Mal in unsere Richtung geschaut.«

»Die zwei machen mich noch wahnsinnig. Verfolgen sie uns oder bilden wir uns das alles ein?«

»Gehen wir!«

»Was? Und mein Essen?«

»Nur so werden wir wissen, ob sie wegen uns hier sind. Wir gehen jetzt und wenn sie das auch tun, dann ist es eindeutig.« Ich stehe auf und schnappe mir den Autoschlüssel.

»Ich schwöre dir, ich verhungere noch bis Venedig.«

Als wir an den Männern vorbeigehen, schauen sie uns nicht an. Entweder ist wirklich alles Zufall oder sie sind Profis.

Wir setzen uns ins Auto und fahren los.

»Mariella, da sind sie!«

Ich schaue zum Restaurant und sehe die zwei herauskommen.

»Gib Gas!«, ruft Stefania.

Ich drücke auf die Pedale, aber komme nicht viel weiter. Bei der Autobahnauffahrt fährt ein Auto langsam vor uns.

»Verschwinde!« Ich hupe und blende ihn. »Komm schon. Hau ab!«

Stefania dreht sich um. »Sie sind im Auto und kommen näher.«

»Fuck!« Ich drücke auf die Dauerhupe und fahre ganz nah an das Heck des Wagens vor mir. »Verpiss dich!« Endlich macht er Platz und ich fahre mit Vollgas an ihm vorbei.

Auf der Autobahn überschreite ich die Geschwindigkeitsbegrenzung und rase an den anderen Fahrern vorbei.

»Fahr schneller. Sie verfolgen uns.«

»Ich mach ja schon. Stärker kann ich auch nicht aufs Gaspedal drücken.«

Ich weiche den Autos aus, indem ich links und rechts die Spur wechsle. Wenn mich nur einer von ihnen nicht sieht und auf meine Spur kommt, werde ich bei der Geschwindigkeit nicht rechtzeitig abbremsen können. Im Rückspiegel sehe ich den schwarzen Audi, der dicht hinter uns ist.

»Wir werden die nicht los«, sage ich.

»Siehst du? Jetzt stell dir vor, ich hätte so eine Schrottkiste genommen. Damit hätten sie uns schon längst erwischt.«

»Stefania, wir sind mitten in einer Verfolgungsjagd. Das ist nicht der richtige Moment, um darüber zu diskutieren.«

»Wir entkommen ihnen nicht. Vielleicht hätte ich doch den Lamborghini nehmen sollen.«

»Das hat keinen Sinn.« Ich gehe vom Gas runter und verlangsame das Tempo.

Schockiert sieht mich Stefania an. »Was machst du?«

»Wir gehen auf volles Risiko.« Ich fahre ganz nach rechts und stelle das Auto am Pannenstreifen ab.

»Spinnst du?« Sie dreht sich wieder nach hinten. »Da hast du es … Sie haben hinter uns gehalten und steigen aus.«

Ich hole meine Pistole aus der Tasche. »Nimm deine Waffe, Stefania.«

Sie tut, was ich ihr sage. »Du bist verrückt.«

Wir steigen aus dem Auto und richten die Waffen auf die zwei Männer, die uns entgegenkommen. Lässig gehen sie weiter, als wäre es das Normalste der Welt, mal eben jemanden zu verfolgen und dann in den Lauf der Waffe zu sehen.

Der Fahrer grinst mich an. »Wo wollen die Schwestern hin?«

Sie bleiben vor uns stehen, während wir weiterhin die Waffen auf sie gerichtet halten.

»Was wollt ihr von uns?«

»Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet.«

»Wir müssen uns nicht vor euch rechtfertigen. Ihr seid diejenigen, die uns verfolgen. Also sagt mir, was wollt ihr und wer hat euch geschickt?«

»Stimmt. Vor uns müsst ihr euch nicht rechtfertigen … aber vor Luca schon.«

Sprachlos starre ich ihn an. Alle möglichen Dinge gehen mir durch den Kopf. Wie kommt er auf Luca? Hat er sie geschickt? Woher weiß er, dass wir etwas vorhaben? Im Augenwinkel sehe ich Stefanias Kopf in meine Richtung schnellen. Großer Fehler!

Im nächsten Moment packt der andere Kerl ihre Waffe und entnimmt sie ihr.

Ich richte die Waffe auf ihn, aber behalte den Fahrer im Auge. »Gib ihr die Waffe zurück.«

»Sonst was?«

»Fordere mich nicht heraus.«

Die zwei fangen an zu lachen.

»Nimm die Waffe runter, Mariella. Wir sind nicht eure Feinde.«

»Wenn ihr nicht unsere Feinde seid, dann gib mir meine Waffe zurück«, zischt ihn Stefania an.

Der Fahrer bekommt wieder meine Aufmerksamkeit, als sein Handy klingelt. »Hey!«, meldet er sich. »Das versuchen wir gerade herauszufinden. Jedenfalls haben sie Waffen mit.« Er fängt an zu lachen. »Und sie drohen uns damit.«

Der Anrufer ist sicher der Kerl, der sie geschickt hat. Ich reiße ihm sein Handy aus der Hand und halte es an mein Ohr. »Wer ist da?«

»Mariella? Was macht ihr?«

»Mario? Du? Warum lässt du uns beschatten?«

»Ich habe euren Männern das Versprechen gegeben, dass ich auf euch achten werde.«

»Das weiß ich, aber da gehört nicht dazu, dass du uns heimlich überwachen lässt.«

»Doch, wenn ich das Gefühl habe, dass es notwendig ist.«

»Dein Gefühl ist scheiße. Es gibt keinen Grund, uns zu überwachen. Ich bin nur mit meiner Schwester unterwegs.«

»Ach ja? Warum fahrt ihr so weit weg? Warum habt ihr eure Handys nicht mit? Und warum konntest du deine Tasche nicht aus den Augen lassen? Ich habe gesehen, wie dein Blick immer dorthin gewandert ist und wie du zusammengezuckt bist, als ich das Essen auf den Tisch geworfen habe. War da etwa die Pistole drin?«

»Natürlich behalte ich meine Handtasche im Auge, wenn da eine Waffe drin ist.«

»Wozu braucht ihr die?«

»Du weißt, mit wem wir verheiratet sind. Wir müssen immer vorsichtig sein.«

»Warum habt ihr eure Handys nicht mit? Und wo fahrt ihr so lange hin?«

»Du hast vor ein paar Stunden einen Sohn bekommen. Solltest du dich nicht um ihn kümmern?«

»Mariella!«

Ich atme einmal tief durch. »Okay, warte.« Ich entferne mich von den anderen, sodass niemand unser Gespräch hören kann, und lehne mich an die Motorhaube unseres Autos. »Ich habe mein Handy zu Hause vergessen und Stefania hat ihres nicht mitgenommen, weil sie mich mit einer Reise überrascht hat. Sie wollte das Wochenende nur mit mir verbringen, ohne gestört zu werden.«

»Das glaube ich dir nicht. Sie hätte es mir auch sagen können und ich hätte euch nicht beschatten müssen.«

Ich presse meine Lippen zusammen und unterdrücke den Schmerz in mir. »Sie wollte nichts sagen, weil sie euch mit meinen Problemen nicht belasten wollte. Ich freue mich für euch, aber es erinnert mich an meinen Verlust.« Und das ist nur teilweise gelogen. Es schmerzt wirklich. Wenn ich Emiliano sehe, frage ich mich immer, wie mein Kind ausgesehen hätte. Ich frage mich, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen wäre. Welchen Namen hätten wir dem Kind gegeben? Aber das ist nicht der wahre Grund unserer Reise.

Dennoch kann ich meine Tränen nicht zurückhalten.

Mario hört mein Schluchzen. »Es tut mir leid, Mariella. Ich wusste nicht, dass dich deine Schwester mit einer Reise ablenken wollte. Ich dachte, ihr verheimlicht mir etwas. Sagt mir nur, wo ihr hinfahrt, damit ich wenigstens weiß, wo ihr euch befindet.«

»In eine Therme im Norden Italiens. Ich weiß nicht welche. Das hat alles Stefania geplant.«

»Okay, das reicht mir. Ihr könnt mich von dort anrufen, wenn ihr was braucht.«

»Natürlich, aber pfeife deine Hunde zurück. Wir brauchen keine Aufpasser.«

»Es wäre besser, wenn jemand mit euch kommt.«

Das muss ich verhindern. Sie dürfen nicht sehen, wo wir hinfahren. »Mir geht es richtig beschissen, okay? Ich will niemanden sehen. Ich will für ein paar Tage meine Ruhe. Bitte gönn mir das.«

»Okay, ausnahmsweise. Aber auch nur, weil ich möchte, dass du dich erholst.«

 

KAPITEL 3

 

MARIELLA

 

Es ist dunkel, als wir in Venedig ankommen. Das Auto stellen wir in einer Parkgarage ab, denn weiter kommt man damit nicht in die Stadt hinein.

Wir bleiben lange nervös im Wagen sitzen.

»Wir ziehen es also wirklich durch, hm?«, höre ich Stefania.

»Jetzt sind wir hier. Es gibt kein Zurück.«

»Oder wir gehen wirklich in eine Therme.«

»Machst du einen Rückzieher?«

»Nein, das war nur Spaß. Ich versuche mit dem Scherzen, meine Aufregung zu dämpfen.«

Aus meiner Tasche hole ich zwei schwarze Kopftücher und Sonnenbrillen heraus.

»Was ist das jetzt?«

»Damit verdecken wir unsere Gesichter. «

»Wenn wir so herumlaufen, wirken wir erst recht verdächtig.«

»Und was sollen wir tun? Riskieren, dass uns jemand erkennt?«

»So schaffen wir es nicht zum Ziel. Wenn uns jemand sieht, wird er die Polizei rufen.«

»Es ist keine Straftat, nachts eine Sonnenbrille aufzusetzen.«

»Ist es nicht, aber es wirkt verdächtig.«

»Das siehst nur du so. Für alle anderen sind wir nur zwei Verrückte.«

Sie nimmt das Tuch und die Sonnenbrille. »Hoffen wir mal, dass du recht hast.«

Mit dem Tuch um den Kopf und der aufgesetzten Sonnenbrille gehen wir durch die Gassen Venedigs. Wir bewegen uns weiter in die Stadt hinein. Während das Plätschern des Wassers leiser wird, bleibt der Geruch des Meeres in der Luft. Manche Leute schauen uns schräg an und manche sind so in ihre Welt vertieft, dass sie unser kurioses Styling nicht einmal bemerken. Ich lasse mich von nichts beirren und schaue auf die Karte in meinen Händen.

»Bist du sicher, dass du weißt, wohin wir gehen müssen?«, fängt Stefania unsicher an. »Wir haben uns deutlich von unserem Wagen entfernt.«

»Mir gefällt es auch nicht, dass wir danach nicht gleich mit dem Auto fliehen können, aber das ist der Weg zu der Adresse, die mir Rozana gegeben hat.«

»Rozana … das ist diese eine Kundin von dir.«

»Genau. Ich kann es immer noch nicht fassen, was für ein Zufall das alles ist … oder Schicksal.«

»Und du bist sicher, dass sie dir die Wahrheit erzählt hat?«

»Natürlich. Sie hat mir die Bilder gezeigt. Es stimmt alles, was sie mir erzählt hat. Und auch wenn ich mir nicht sicher wäre, wäre ich jetzt trotzdem hier und würde es wenigstens versuchen. Ich könnte nicht tatenlos zusehen.«

»Das ist mir schon klar. Ich hätte es nicht anders gemacht, dennoch sagt mir mein Verstand, dass es auch eine Falle sein könnte.«

»Ich weiß und den Gedanken hatte ich auch schon. Aber was hätten wir tun sollen? Die Chance verpassen, auch wenn es möglicherweise kein Hinterhalt ist?«

»Nein, auf keinen Fall. Ob Falle oder nicht, versuchen müssen wir es. Ich habe nur Angst, dass es schiefgehen könnte.«

»Angst habe ich auch, aber mein Zorn ist mächtiger.«

»Wie könnte es auch anders sein?« Stefania dreht sich immer wieder nach hinten.

»Was schaust du?«

»Ich fühle mich beobachtet … verfolgt … als würde jemand wissen, was wir vorhaben. Was, wenn man uns unerwartet angreift?«

»Wir können uns wehren.« Ich tätschle meine Tasche und deute mit dem Kopf auf ihre.

Unsicher sieht sie auf ihre Tasche. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.«

»Du vielleicht nicht, ich schaffe das aber schon«, antworte ich fest entschlossen.

Wir gelangen in eine Gasse, die von einem Kanal begleitet wird. Da bleiben wir bei einem Wohngebäude stehen, welches im gotischen Stil vor uns ragt.

»Wir sind da«, gebe ich meiner Schwester Bescheid.

»Jetzt wird es ernst, was?«

»Gehen wir hinein.«

»Warte.« Sie packt mich am Arm. »Gibt es keine Wachen?«

»Soviel ich weiß, nein. Keiner ist mitgekommen.«

»Das riecht nach einer Falle.«

Wir zucken zusammen, als wir einen Schrei hören.

Instinktiv greife ich zu meiner Waffe, doch schnell gebe ich Entwarnung. »Es ist nur ein Gondoliere.«

Stefania legt erleichtert die Hand auf ihre Brust. »Verdammt, wer fährt denn auch noch um diese Uhrzeit mit der Gondel?«

»Sicher Touristen. Wahrscheinlich ein frisch verheiratetes oder junges Paar, das seine gemeinsame Zeit in zweisamer Romantik genießt.« Doch mein Ton hört sich nicht romantisch an. Ich klinge zynisch und genervt. Verbittert darüber, dass ich meinen Mann seit vier Jahren nicht einmal anfassen konnte, geschweige denn küssen oder mehr.

»Bringen wir die Sache einfach hinter uns und schauen, dass wir hier lebend wieder rauskommen«, sagt Stefania.

Wir gehen durch einen Flur, der uns zu einem wunderschönen Innenhof führt. In der Mitte steht ein Brunnen, umgeben von verschiedenen Pflanzen und Blumen. Die Fassade bröckelt an manchen Stellen, das verleiht dem Ambiente noch einen bezaubernderen Charme. Die meisten Fenster sind in dieser warmen Sommernacht geöffnet.

»Und jetzt?«, will Stefania von mir wissen, während sie zu den drei Türen sieht. »Wo müssen wir hin?«

Ich erinnere mich an Rozanas Beschreibung. »Es ist die Tür auf der linken Seite, da müssen wir hinein. Die Wohnung befindet sich im zweiten Stock.«

»Wow, ist das gruselig«, hören wir eine männliche Stimme hinter uns, gefolgt von einer weiteren. »Müssen wir sterben? Holen sie uns?«

Wir drehen uns um und sehen zwei Männer, die sichtlich betrunken sind.

»Sie sehen uns an«, flüstert einer von ihnen.

»Was stimmt nicht mit euch?«, stänkert Stefania sie an. »Noch nie zwei Frauen bei Nacht gesehen?«

»Doch, aber noch nie bei Nacht, umhüllt von schwarzen Tüchern und neben einem Brunnen stehend. Das wirkt unheimlich.«

»Schaut, dass ihr weiterkommt und lasst uns unsere Arbeit machen«, antworte ich ihnen genervt.

»Was ist eure Arbeit? Geister beschwören? Menschen die Seele nehmen?«

»Verpisst euch einfach.«

Vorsichtig bewegt sich einer der Männer auf uns zu und bleibt vor uns stehen. »Was ist mit euren Augen? Warum versteckt ihr sie hinter eurer Sonnenbrille?«

»Du hast eindeutig zu viel Alkohol in dir, gepaart mit einer zu großen Fantasie.«

Er schaut mich an. »Lass mich deine Augen sehen.«

»Fabrizio, ich würde ihnen nicht so nahekommen«, warnt ihn sein Freund ängstlich.

Fabrizio ignoriert ihn. »Zeig sie mir.«

»Du spinnst doch. Ich zeige dir gar nichts.« Gerade, als ich mich umdrehen möchte, schnappt er sich meine Sonnenbrille und zieht sie herunter. »Hey, was soll das?«

»Das sind ja ganz normale Augen«, sagt er. Sehe ich da Enttäuschung in seinem Blick?

»Gib die her.« Beim Versuch, ihm die Sonnenbrille wegzunehmen, fällt sie auf den Boden und landet vor einem Fenster. Prompt hebe ich sie auf und Blicke in die Augen einer älteren Dame, die aus dem Fenster sieht. Fuck! Sie sieht mein Gesicht! Rasch setze ich die Brille auf und hoffe, dass sie nicht viel erkennen konnte.

»Lykke, gehen wir!«, rufe ich meiner Schwester zu.

Ich gehe durch die Tür auf der rechten Seite und Stefania folgt mir. Dort verstecken wir uns in einer Kammer neben ein paar Fahrrädern und Kinderwagen.

»Das ist die falsche Tür«, sagt sie.

»Ich weiß, aber wenn wir das hier erledigt haben und sie uns dort haben hineingehen sehen, dann werden sie wissen, dass wir es waren.«

»Ist es nicht sowieso schon offensichtlich, dass wir als erstes verdächtigt werden?«

»Ist es. Aber die zwei sind sturzbetrunken. Wir können nur hoffen, dass sie sich bis morgen an nichts mehr erinnern können. Was mir mehr Sorgen macht, ist die alte Dame, die mich gesehen hat.«

»Welche alte Dame? Ich habe keine gesehen.«

»Sie stand am Fenster und sah hinaus.«

»Was soll sie schon anstellen?«

»Sie hat mein Gesicht gesehen. Ich stand direkt vor ihr.«

Stefania legt erschrocken ihre Hand über den Mund. »Sie hat dich gesehen?«

»Ja, leider.«

»Was machen wir jetzt? Wir können das auf keinen Fall durchziehen.«

»Ich ziehe es durch. Koste es, was es wolle.«

»Spinnst du, Ma-«

»Shh!«

»Entschuldige.«

»Es reicht, dass man mein Gesicht gesehen hat. Man muss nicht auch noch meinen Namen hören«, flüstere ich.

»Es ist viel zu riskant, das jetzt zu machen. Verschieben wir es lieber auf ein anderes Mal.«

»Jetzt oder nie, Lykke. Noch einmal mache ich den Scheiß nicht durch. Wir haben es so weit geschafft und wir werden das heute beenden.«

»Ich weiß nicht. Man hat dein Gesicht gesehen.«

»Es ist nicht vorteilhaft, dass man mich gesehen hat, aber es gibt keine Beweise, dass ich das bin. Unsere Handys sind zu Hause. Das Auto gehört nicht uns und es ist aus Rom. Und unsere Ausweise sind gefälscht. Es kann genauso gut eine Frau sein, die mir ähnlich sieht.«

Stefania schaut mich besorgt an.

»Wenn du es nicht tun möchtest, dann mache ich es allein. Ich würde deine Entscheidung akzeptieren und es dir nicht böse nehmen. Aber ich werde es riskieren.«

»Glaubst du wirklich, ich würde dich das allein machen lassen? Entweder machen wir es zusammen oder gar nicht. Nie würde ich dich im Stich lassen.«

Ich umarme meine Schwester und drücke sie ganz fest. »Danke. Ich liebe dich.«

»Ich dich auch, Jonna.«

»Ich mag meinen neuen Namen nicht.«

»Geht mir genauso.«

Etwas mehr als eine Stunde warten wir in unserem Versteck, bis keiner mehr im Innenhof zu sehen ist und die Lichter in den Wohnungen nacheinander ausgegangen sind.

»Ich glaube, wir können gehen«, sage ich. Vorsichtig öffne ich die Tür und spähe hinaus. »Die Luft ist rein. Bist du bereit, Lykke?«

»Ich bin bereit. Ziehen wir es durch.«

Wachsam gehen wir durch den Innenhof hinüber zur anderen Tür. Über eine Treppe kommen wir ins zweite Stockwerk und bleiben vor einer Wohnungstür stehen.

Ich lege mein Ohr an die Tür. »Niemand zu hören.«

Stefania nimmt ihre Waffe aus der Tasche, aber ich sehe, wie ihre Hände zittern.

»Bist du dir sicher, dass du das machen willst? Es ist okay, wenn ich die Arbeit allein mache.«

»Das geht schon. Ich schaffe das.« Sie hebt die Pistole und richtet sie auf die Tür. »Ich bin bereit.«

Ich mache es ihr gleich und bin bereit zu schießen. Ich klopfe an und warte, dass die Tür geöffnet wird. Es vergehen nur Sekunden bis dahin, aber sie fühlen sich wie Stunden an. Mein Herz rast und ich spüre das kalte Metall in meinen Händen durch meinen Schweiß feucht werden. Ich habe Angst. Riesengroße Angst. Aber ich kann nicht anders. Ich muss das hier machen.

Als die Tür offen ist, steht er endlich vor mir. »Hallo, Paolo! Oder soll ich sagen Gianni?«

PENG!

KAPITEL 4

 

MARIELLA

 

Ich habe tatsächlich auf einen Mann geschossen. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas Schreckliches getan habe. Unfassbar, wozu ein Mensch fähig ist, wenn man ihm das nimmt, was er liebt und dadurch der Zorn im Inneren wütet. Ich war diejenige, die gegen Rache und Gewalt gewesen war, doch seit der Verhaftung und der Fehlgeburt hat sich das geändert. Die letzten vier Jahre war Rache mein Ziel. Meine Vendetta. Doch jetzt frage ich mich: War es das Richtige? Ich fühle nicht die Erleichterung, auf die ich gehofft habe. Ich fühle mich schlecht. Als wäre ich das schlimmste Geschöpf auf Erden. Und ich habe es getan, ohne zu zögern.

Durch den Schalldämpfer der Pistole konnte man nur ein leises Geräusch hören.

»Mariella, ich weiß, dass du es bist«, höre ich Gianni, der verletzt auf dem Boden liegt. Ich wollte ihm in den Kopf schießen, aber ich weiß nicht mehr, ob ich bewusst oder unbewusst seine Schulter getroffen habe.

Ich lege meine Sonnenbrille ab und lasse mir meine Unsicherheit nicht anmerken. »Ja, ich bin es.«

»Wie habt ihr mich gefunden?«

»Du warst nicht vorsichtig genug.« Ich werde ihm sicher nicht Rozanas Namen verraten.

»Es ist unmöglich. Niemand weiß, dass ich hier bin.«

»Wie du siehst, ist es möglich. Deine falsche Identität hat dir nicht viel geholfen … Paolo.«

»Und was jetzt? Willst du mich töten?« Er lacht. »Ach, komm schon. Wir wissen beide, dass du dazu nicht fähig bist.«

»Ich war fähig, dich zu finden, also bin ich auch fähig, dich zu töten.« Und warum rede ich mit ihm, anstatt ihn zu erschießen?

»Du bist nicht Luca«, sagt er herablassend. »Er hätte schon längst geschossen.«

Mein Puls steigt und meine Atmung beschleunigt sich. Dieses miese Arschloch hat mir mein ungeborenes Baby und meinen Mann genommen und jetzt wagt er es auch noch, mich zu provozieren. Ich umklammere die Waffe noch fester. Dieser Mistkerl hat es nicht verdient, zu leben. Schieß, Mariella! Bringe ihn ein für alle Mal zum Schweigen. Tu es, bevor er euch tötet! Ich kann nicht hinsehen, wie ich einen Menschen töte, also schließe ich meine Augen.

PENG!

Ich möchte meine Augen nicht öffnen, da ich Angst vor dem Anblick habe. Ich habe Angst, diesen toten Mann und das Blut zu sehen, für das ich verantwortlich bin.

»Jonna, komm. Wir müssen schnell weg hier, sonst tötet er uns«, höre ich Stefania neben mir.

Was? Er uns töten? Unmöglich! Ich öffne meine Augen und sehe nichts. Gianni ist weg.

Stefania zieht an meinem Ärmel. »Komm schon. Er holt bestimmt eine Waffe. Wir müssen hier weg.«

Ich setze wieder die Sonnenbrille auf und wir laufen die Treppen hinunter. Noch nie bin ich so sehr um mein Leben gerannt. Es ist schwer, mit verdunkelter Sicht durch die Gassen Venedigs zu laufen. Durch das Tuch um meinen Kopf habe ich das Gefühl zu ersticken. Aber die Angst ist zu groß, erkannt zu werden. Ein paar Straßen weiter bleiben wir stehen und lehnen uns an eine Wand.

Wir atmen eine Weile schwer, bis Stefania spricht. »Ich habe es nicht geschafft.«

»Was meinst du?«

»Ich konnte nicht auf ihn schießen. Es tut mir leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Es ist okay.«

»Aber ich hätte verhindern können, dass wir jetzt so tief in der Scheiße stecken. Er lebt. Er wird uns verraten.«

»Er wird uns nicht verraten. Dafür müsste er zur Polizei gehen und wenn er das tut, kann er sich nicht mehr verstecken. Und er wird es um nichts in der Welt riskieren, von Luca und Fabio gefunden zu werden.«

»Vielleicht hätten wir es ihnen gleich sagen sollen, anstatt das selbst zu machen.«

»Jetzt im Nachhinein wäre es bestimmt klüger gewesen, aber ich wollte es selbst machen. Luca hätte das nie zugelassen. Aber ich wollte … ich wollte einfach … ich wollte mich einfach bei ihm rächen. Es wäre keine Genugtuung für mich gewesen, wenn es jemand für mich getan hätte.« Ich atme einmal tief durch. »Nur bin ich leider zu unfähig, es selbst zu machen.«

»Das bist du nicht. Du bist einfach ein guter Mensch. Gute Menschen tun keine bösen Dinge. Egal, wie sehr sie dieses böse Ding hassen und tot sehen wollen. Ich konnte es auch nicht.«

»Glaubst du, ist es besser, dass wir es nicht durchgezogen haben? Ich meine … vielleicht hätten wir damit nicht leben können. Ich dachte, ich wäre robuster.«

»Jetzt, wo ich gesehen habe, dass wir beide es nicht durchziehen konnten, ist es vielleicht besser so. Wahrscheinlich hätten wir nicht mit dieser Schuld leben können. Der Zorn hat uns gesteuert und unsere Sinne betäubt.«

»Da könntest du recht haben. Luca und Fabio dürfen aber nie von dem heutigen Vorfall erfahren. Kannst du dir vorstellen, wie wütend sie auf uns wären?«

»Ich weiß. Das bleibt unser Geheimnis.«

»Und vor Gianni brauchen wir uns nicht fürchten. Er weiß, dass er ein toter Mann ist, wenn er nach Neapel kommt.«

Wir gehen weiter.

Im Auto befreien wir uns endlich von der Kopfbedeckung und der Sonnenbrille. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, sodass mir die Lichter der Parkgarage zu hell sind.

Während ich das Auto fahre, sitzt Stefania stillschweigend neben mir und schaut aus dem Fenster.

»Worüber denkst du nach, Stefania?«

»Wir hätten wissen sollen, dass wir nicht den Mut haben, einen Menschen zu töten. Wir haben uns mit der Aktion nur in Gefahr gebracht.«

»Es ist nichts passiert.«

»Dennoch war es leichtsinnig.«

Ich schweige für einen Moment. »Ich weiß.«

»Wir hatten Glück, dass niemand von seinen Leuten dort war.«

»Er vertraut niemandem. Jeder von ihnen hätte ein Verräter sein können. Deshalb durfte niemand wissen, wo er ist, und deswegen lebt er unter einer falschen Identität.«

»Und wie ist Rozana zu ihm gekommen?«

»Sie hat ihre Eltern in Venedig besucht und da haben sie sich kennengelernt. Sie haben sich in einer Bar getroffen.«

»Und das Foto?«

»Er hat ihr nicht erlaubt, Fotos von ihm zu machen, aber sie hat heimlich eins gemacht, als er geschlafen hat. Sie meinte, sie müsste ein Foto von so einem schönen Mann haben.«

»Und dann hat er ihr das Herz gebrochen, weil er nur Sex wollte und nicht mehr.«

»Genau.«

»Rozana weiß aber nicht, wer er wirklich ist, oder?«

»Nein, das war mir zu riskant. Sie weiß nicht, dass ich ihn kenne.«

»Das ist Schicksal, dass genau deine Kundin sich in Gianni verliebt und dir von ihrer neuen Eroberung erzählt.«

»Die Frage ist nur, wozu dieses Schicksal gut war, denn tot ist er immer noch nicht.«

»Hm … wer weiß. Vielleicht werden wir das bald erfahren.«

Diese Nacht übernachten wir in einem Hotel, zwei Stunden von Venedig entfernt.

 

Als ich am nächsten Tag unsere Villa betrete, fühle ich mich allein. So ist es mir die letzten vier Jahre hier ergangen. Man sollte sich in seinem Heim wohlfühlen, aber bei mir ist es genau das Gegenteil. Ich hasse diesen Ort, seitdem Luca nicht mehr hier ist. Wie so oft gleite ich an der Eingangstür herab und setze mich. Das sind die Momente, die niemand kennt, an denen ich weinend am Boden sitze und die Tränen unkontrolliert fließen lasse. All der Luxus um mich herum ist nichts wert, wenn ein geliebter Mensch nicht bei mir ist. Ich vermisse ihn. Ich vermisse ihn so sehr, dass es wehtut. Mein Herz ist gebrochen … ich bin gebrochen. Ich bin mit meinen Nerven am Ende, darf es aber nicht sein. Ich muss Lucas Firma führen und meine ebenfalls. Ich muss jede Nacht allein ins Bett gehen und jeden Morgen allein aufwachen. Vor Stefania darf ich keine Schwächen zeigen, weil sie in derselben Situation ist und ich sie nicht in das Loch ziehen möchte, in dem ich mich befinde. Und am größten wurde dieses Loch, als ich mein Baby verloren habe.

Natürlich geht es Stefania auch nicht gut, aber sie hat keine Fehlgeburt erlebt, sie muss nicht neben der Firma ihres Mannes auch ihr eigenes Unternehmen führen. Hinzu kommt, dass sowohl ich als auch Mario und mein Vater Stefania helfen, da sie nicht der Typ für Unternehmensführung ist. Obwohl ich die Jüngere von uns beiden bin, muss ich mich mehr um sie kümmern als sie sich um mich. Aber ich möchte kein Mitleid. Ich darf es mir nicht erlauben, denn sobald ich zerbreche, zerbricht Stefania auch und das wäre fatal. Denn ich bin die mental Stärkere von uns beiden. Wenn sie meine wahren Emotionen kennen würde, würde Panik in ihr ausbrechen. Und so muss ich die starke und widerstandsfähige Frau spielen, die ich in Wahrheit nicht bin. Und die Krönung bei der ganzen Sache ist, dass mich meine Schwiegermutter seit Lucas Verhaftung hasst. Anfangs mochte sie mich wirklich sehr, doch jetzt bin ich in ihren Augen schuld, dass Luca im Gefängnis sitzt. Gianni habe Luca wegen mir verraten, was ja auch stimmt, dennoch kann ich nichts dafür. Aber sie sieht das anders.

Mein Zuhause ist zu meiner persönlichen Hölle geworden. Ich hasse es hier, weil mich alles an Luca erinnert. Vor allem hasse ich es, an dem Zimmer vorbeizugehen, das ich als Babyzimmer geplant hatte. In dieser Villa fühle ich nichts außer Schmerz. Deshalb habe ich mich zu etwas entschieden, was ich die letzten vier Jahre nicht gewagt habe. Ich habe mir eine Wohnung gekauft, wo ich leben werde, und die Villa werde ich nur ab und zu besuchen. Erst wenn Luca frei sein wird, möchte ich wieder hierher zurückkehren.

Nachdem mein täglicher Zusammenbruch geendet hat, wische ich mir die Tränen weg und stehe auf. Jetzt bin ich wieder Mariella Cassini. Die starke und selbstbewusste Unternehmerin und stolze Ehefrau von Luca Cassini. Ja, stolz. Ich weiß, dass Luca viele schlimme Dinge getan hat, die ich nicht in Ordnung finde und darauf bin ich natürlich nicht stolz. Dennoch stehe ich zu ihm, denn so habe ich ihn kennen- und lieben gelernt. Nicht viele können das, aber ich sehe seine guten Seiten. Ich bin nicht hier, um über ihn zu urteilen. Ich bin hier, um ihn zu lieben. Und vielleicht bringt meine Liebe ihn dazu, diese schlimmen Dinge nicht mehr zu tun.

Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich mich fertig machen muss. Heute ist die Schlüsselübergabe für meine neue Wohnung und packen muss ich auch noch. Ich will noch heute dort übernachten.

Eine Stunde später stehe ich in meiner neuen Wohnung. Die Wohnung ist leer. Nicht einmal ein Bett gibt es hier. Aber das ist mir egal, denn alles ist besser, als in der Villa zu bleiben, auch wenn ich dafür auf dem Boden schlafen muss. Gleich morgen werde ich Möbel kaufen gehen.

Ich habe ein paar Decken und Polster mitgenommen, damit ich nicht direkt auf dem harten Boden liege. Gerade, als ich alles ausbreite, klingelt es an der Tür. Skeptisch halte ich inne. Wer kann das sein? Niemand weiß von meiner neuen Wohnung. Mein Körper verspannt sich und ich starre zur Eingangstür. Ist es einer von den Nachbarn? Die Polizei? Oder … oder Gianni? Nein, das würde er nicht wagen. Ich schaue mich nach einem Gegenstand um, den ich als Waffe benutzen kann, finde aber nichts. Die Wohnung ist leer. Nicht einmal ein Messer habe ich. Dann sehe ich zu meiner Tasche. Die Pistole! Die ist immer noch drinnen. Zwar bin ich nicht mutig genug, auf jemanden zu schießen, das hat mir der Vorfall in Venedig gezeigt, dennoch könnte ich einen Angreifer damit abschrecken.

Es klingelt wieder. Mit der Pistole in der Hand nähere ich mich leise der Tür.

Klopf! Klopf! »Mariella, mach auf! Ich weiß, dass du da bist.«

Er?

 

KAPITEL 5

 

MARIELLA

 

Was macht er hier? Wieso weiß er, dass ich hier bin?

Ich reiße die Tür auf. »Was machst du hier, Mario?«

»Das sollte ich dich fragen.« Er schubst mich leicht zur Seite und betritt die Wohnung. »Hier ist alles leer.«

»Wirklich? Ist mir gar nicht aufgefallen.«

Sein finsterer Blick trifft mich. »Mir ist nicht zum Scherzen zumute.«

»Und mir nicht, dass man mich verfolgt.«

»Ich habe Luca ein Versprechen gegeben.«

»Und das heißt, dass du jeden Schritt von mir überwachst?«

»Nein, aber ich hatte so ein Gefühl, dass du etwas verheimlichst.«

»Wie kommst du drauf?«

»Du bist wieder in der Stadt und hast dich noch gar nicht bei Carla gemeldet. Das ist unüblich für dich.«

»Woher weißt du, dass ich wieder hier bin?«

»Stefania hat es mir gesagt. Komischerweise hat sie sich gemeldet, du aber nicht.«

Verdammt!

»Also sagst du mir jetzt, was das hier soll?«

»Wonach sieht es aus? Ich will nicht allein in so einer großen Villa wohnen. Hier fühle ich mich wohler, bis Luca wieder kommt.«

»Und warum verheimlichst du es dann?«

»Damit ihr mich davon abhaltet? Nein, danke. Ich weiß, dass ihr es für eine dumme Idee haltet.«

»Als ob jemand deinen Sturkopf von irgendwas abhalten könnte.«

Ich zucke mit der Schulter. »Sicher ist sicher.«

Er schaut sich in der Wohnung um. »Wo wirst du schlafen?«

»Auf dem Boden.«

Sein Kopf schnellt in meine Richtung. »Wozu? Du hast mindestens fünf Betten in der Villa. Warum wartest du nicht bis morgen und kaufst dir wenigstens ein Bett?«

»Ich habe kein Problem damit, auf dem Boden zu schlafen, Prinzessin.«

»Nenn mich nicht Prinzessin!«

»Dann lass mich schlafen, wo ich möchte.«

»Schon gut. Mach, was du willst. Ruf mich an, wenn du die Möbel holst, ich helfe dir.«

»Danke, aber das ist nicht nötig. Ich lasse sie mir liefern und zusammenbauen. Ich habe keine Zeit, mich auch noch damit zu beschäftigen.«

»Okay, wenn du meinst.« Er geht Richtung Eingangstür. »Dann wünsche ich dir eine gute Nacht … auf dem Boden.«

»Ach, bevor ich es vergesse, richtest du Luca bitte aus, dass ich ihn in nächster Zeit nicht besuchen kann?«

»Warum?« Seine Stimme klingt plötzlich so bedrohlich, als wäre ich sein Feind.

»Weil ich … ich habe in den nächsten Tagen einiges zu erledigen. Du weißt ja, nächste Woche habe ich eine Vernissage im Juwelierladen.«

»Ach so, ja. Die Vernissage. Luca hat bestimmt damit gerechnet, dass du deswegen nicht kommen kannst, aber ich sage es ihm zur Erinnerung.«

»Danke.«

Mario verabschiedet sich und verlässt meine Wohnung, ohne den wahren Grund zu erfahren. Nicht die Vernissage ist der Grund, warum ich Luca nicht besuchen kann. Es ist die Unruhe in mir … wegen Venedig. Das Geschehene klebt immer noch wie eine Last an mir und bedrückt mich. Ich weiß, dass Gianni nicht nach Neapel kommen wird, dennoch ist die Angst da. Und wenn Luca erfährt, was ich getan habe und dass ich es ihm verheimlicht habe … Ich möchte mir nicht einmal vorstellen, wie wütend er wäre. Jedenfalls möchte ich ihm nicht die Wahrheit sagen, solange er im Gefängnis ist. Das würde die Sache nur noch schlimmer machen. Ich gebe mir Mühe, Luca während seiner Haft nicht immer von allen Problemen zu erzählen. Ich möchte ihm den Aufenthalt nicht noch mehr vermiesen. Solange ich die Nacht in Venedig nicht verarbeitet habe, werde ich nicht zu ihm können. Zu groß ist die Angst, dass er mir anmerken würde, dass etwas nicht stimmt. Bis zur Vernissage habe ich noch etwas Zeit, danach muss ich mich wieder fassen.

 

Obwohl ich auf dem Boden geschlafen habe, muss ich sagen, dass ich eine bessere Nacht hatte, als in der Villa. Die Gedanken haben sich nicht im Kreis gedreht und ich habe meine Ruhe gefunden. Ich habe mich halbwegs erholen können.

Mein erstes Ziel heute ist das Möbelhaus. Ich bestelle alle Möbel, die ich brauche und lasse sie zu mir nach Hause liefern. Vincenzo, einem Assistenten aus Lucas Firma, habe ich die Wohnungsschlüssel gegeben. Er wird während des Aufbaus anwesend sein. Heißt, wenn ich heute Abend nach Hause komme, wartet eine vollmöblierte Wohnung auf mich.

Mein zweites Ziel heute ist mein Juwelierladen. Die Vernissage ist in einer Woche und ich muss noch viel vorbereiten.

»Flavia, hast du dich ums Catering gekümmert?«

»Alles erledigt. Du musst nur die Speisen aussuchen.« Sie legt mir die Menükarte auf den Schreibtisch.

»Danke. Kannst du währenddessen bitte die Gästeliste nochmal durchgehen?«

»Aber klar doch.« Sie nimmt die Mappe und verlässt mein Büro.

Austern, Canapés, Mini-Wraps, Salat im Glas und vieles mehr. Ich gehe alles durch und ändere die Speisekarte jedes Mal aufs Neue. Viel zu groß ist die Auswahl und ich kann mich nicht entscheiden.

Ich bin dankbar für die Unterbrechung, als es an der Tür klopft, und schiebe die Menükarte zur Seite. »Herein.«

Luisa, eine meiner Mitarbeiterinnen, öffnet die Tür. »Mariella, du hast Besuch.«

»Wer ist es?«

»Er wollte mir keine Infos geben.«

Ich setze mein Pokerface auf und lasse mir die Unruhe nicht anmerken. Es macht mich skeptisch, dass der Besucher unangekündigt kommt und nicht viel von sich preisgeben möchte. Hat ihn Gianni geschickt?

»Lass ihn herein.«

Als Luisa kurz den Raum verlässt, wische ich mir den Schweiß von meinen Händen weg. Mein Herz rast, sodass ich das Klopfen bis in meinen Kopf spüre.

Nach ein paar Sekunden kommt Luisa mit dem Besuch zurück. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg, als ich ihn sehe und ihn für Luca halte. Die Ähnlichkeit ist groß.

»Guten Tag, Mariella Cassini.« Mein Name gleitet langsam über seine Zunge. Vor allem den Nachnamen betont er.

»Guten Tag. Und Sie sind?«

Er schaut kurz zu Luisa. »Können wir unter vier Augen reden?«

Unsicher blickt sie zu mir und ich nicke ihr zu. Zögerlich verlässt sie das Büro und schließt die Tür.

»Ich gehöre zur venezianischen Kriminalpolizei.«

Scheiße!

»Darf ich mich setzen?«

Ich glaube, dass ich mich noch nie so zusammenreißen musste. Hoffentlich merkt er meine Nervosität nicht. Was für ein Blödsinn. Natürlich merkt er das. Er ist dafür geschult.

»Sicher. Setzen Sie sich.« Ich bin erleichtert, weil wenigstens meine Stimme nicht versagt.

Er nimmt auf dem Stuhl mir gegenüber Platz. »Wo waren Sie letztes Wochenende?«, schießt er gleich los, sodass mir nicht viel Zeit zum Überlegen bleibt.

Ich räuspere mich und schlucke meine Aufregung hinunter. »Dürfte ich zuerst wissen, was die venezianische Polizei von mir möchte?«

Sein süffisantes Lächeln schüchtert mich noch mehr ein. »Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, warum ich hier bin.«

Während ich seinem Blick standhalte, bin ich verblüfft, dass ich äußerlich so ruhig bleibe. Also spiele ich weiter das Spiel. »Ich muss Sie enttäuschen, das weiß ich leider nicht. Erklären Sie es mir.«

Ich sehe in seinen Augen, dass er mir das nicht abkauft, aber er bleibt professionell. »Na gut. Man hat große Blutspuren in einem Treppenhaus in Venedig gefunden, aber keine Leiche. Nicht einmal eine verletzte Person. Das Blut hat uns in der Datenbank auch kein Ergebnis gebracht. Niemand hat etwas gesehen oder gehört … bis auf eine Person. Und der Hinweis hat mich zu Ihnen geführt. Es soll eine Diskussion mit zwei Männern gegeben haben.«

Das war bestimmt die alte Dame beim Fenster. »Ihre Zeugin irrt sich. Ich kenne niemanden in Venedig.«

Grinsend lehnt er sich zurück. »Und woher wissen Sie, dass es eine weibliche Person ist?«

Fuck! Ich bringe mich gerade selbst ins Gefängnis. »Das war nur eine Vermutung. Könnte genauso auch ein Mann gewesen sein. Ich weiß es nicht, immerhin war ich nicht dort.«

»Und wo waren Sie dann?«

»Mit meiner Schwester in einer Therme.«

»Dann zeigen Sie mir die Buchungsbestätigung.«

Wir sind am Arsch! An das haben wir nicht gedacht. Jetzt habe ich auch noch Stefania hineingezogen, obwohl sie nicht einmal verdächtigt wurde. Ich muss eine andere Taktik anwenden.

»Als ob ich Ihnen meine privaten Daten hergeben würde. Sie platzen in mein Geschäft und nennen mir nicht einmal Ihren Namen. Wieso soll ich überhaupt annehmen, dass sie wirklich zur Polizei gehören? Das kann jeder von sich behaupten. Außerdem klingt die Geschichte absurd. Venezianische Kriminalpolizei. Ich habe mit Venedig nichts zu tun.«

»Es tut mir leid. Sie haben recht.« Warum grinst er immer noch so zynisch? »Mein Name ist Enzio … Enzio Cassini.«

Entgeistert starre ich ihn an. »Cassini?«

»Ja, meine liebe Schwägerin. Ich bin Lucas Bruder.«

 

KAPITEL 6

 

MARIELLA

 

Ich springe auf. »Wer bist du? Luca hat keinen Bruder.«

»War klar, dass er mich nicht erwähnt hat. Ich bin ja auch das schwarze Schaf der Familie.«

»Das ist eine Lüge. Luca würde mir so etwas nie verheimlichen.«

»Du musst nicht enttäuscht sein. Mich erwähnt keiner von den Cassinis. Ich bin ein Verräter für sie, weil ich zur Polizei gegangen bin und nicht zusammen mit meinem Bruder das Imperium meines Vaters führen wollte.«

Sprachlos sehe ich ihn an. Ich weiß nicht, was ich sagen oder machen soll. Die Information überfordert mich dermaßen, sodass mir leicht schwindelig wird. Kurz verliere ich mein Gleichgewicht und schwanke nach hinten. Enzio springt auf und umfasst mich mit seinen Armen.

»Schön langsam, Mariella. Beruhige dich erst mal.«

Ich sehe in sein Gesicht und jetzt verstehe ich auch die Ähnlichkeit. »Luca.«

»Ich weiß, wir sehen uns ähnlich, aber ich bin immer noch Enzio.«

Sollte ich mich schlecht fühlen, weil ich mir gerade vorstelle, in Lucas Armen zu sein?

»Komm, setz dich und trinke einen Schluck Wasser. Die Botschaft hat dich heftig getroffen.«

Enzio begleitet mich zur Couch und lässt mich sanft hinuntergleiten.

Vom Tisch nimmt er einen Krug mit Wasser und schüttet etwas in ein Glas. »Hier.«

Mit zittrigen Händen nehme ich das Glas und nehme einen kräftigen Schluck. »Warum bist du wirklich hier?«

»Ich habe dir gesagt, warum. Ich mache meinen Job.«

Ich fühle mich in die Ecke getrieben dadurch, dass er vor mir steht und ich zu ihm aufsehen muss. Das gehört bestimmt zu seiner Taktik, aber meine Knie zittern immer noch, sodass Aufstehen für mich nicht infrage kommt. »Aber warum du? Du kannst mir nicht sagen, dass du in ganz Venedig der einzige Kriminalpolizist bist. Es hätte genauso auch ein Kollege von dir kommen können.«

»Da hast du recht. Das ist mein Verdienst. Als ich die Täterbeschreibung gehört habe, wollte ich unbedingt den Fall bekommen.«

»Warum?«

»Ist doch eine nette Gelegenheit, meine Schwägerin kennenzulernen, oder nicht?« Er zwinkert mir zu.

»Einen besseren Moment hättest du nicht finden können. Und wie kommt die Zeugin auf mich?«

»Sie meinte, es wäre die Frau vom verhafteten Mafiaboss Cassini gewesen. Mehr Infos brauchte ich nicht.«

»Wir haben es also medial bis nach Venedig geschafft?«

»Du kennst die Medien. Immer bereit für Klatsch und Tratsch.«

»Na ja«, ich stelle das Glas ab, »trotzdem verschwendest du hier deine Zeit. Ich war nicht in Venedig.«

»Du spielst also weiter dieses Spiel?«

Ich zucke mit der Schulter.

»Na gut. Dann möchte ich die Buchungsbestätigung sehen.«

»Bekommst du.«

»Zeig sie mir.«

»Ich habe sie jetzt nicht da. Die Buchungsbestätigung läuft auf meine private E-Mail-Adresse und außerdem stecke ich gerade mitten im Umzug. Ich müsste einmal in dem Chaos meinen Laptop finden.«

»Klingt wie eine billige Ausrede.«

»Ist aber Tatsache.«

»Du hast viel von deinem Mann gelernt. Glaubst du, ich weiß nicht, dass du Zeit schindest, um jemanden zu schmieren, damit du die Bestätigung bekommst?«

»Beweise es.«

Enzio lacht. »Du bist ja schon ein richtiger Mafioso.«

»Du verwechselst da was. Ich bin eine Geschäftsfrau.«

»So nennt ihr euch heutzutage … Geschäftsleute. Warum sitzt dein Mann nochmal im Gefängnis? Er ist doch nur ein Geschäftsmann, oder?«

»Das heißt noch lange nicht, dass ich solche Sachen auch mache.«

Wieder grinst er süffisant. »Sagt die Tochter von Marcello Fiore.«

»Mein Vater ist schon lange aus diesen Kreisen draußen.«

»Principessa, aus diesen Kreisen kommt man nie ganz raus.«

»Nenn mich nicht so.«

»Wieso nicht? Du bist doch die Mafiaprinzessin und hast dich nach Venedig geschlichen. Blöd für dich, dass du bei deiner Rückkehr Spuren hinterlassen hast.«

»Blöd für dich, dass du die falschen Spuren verfolgst.«

Enzio beugt sich zu mir runter. Mit seinen Händen stützt er sich an die Rückenlehne der Couch links und rechts neben meinem Kopf. Sein Gesicht ist direkt vor meinem und ich kann tief in seine dunklen Augen sehen. »Ich bin nicht umsonst diesen weiten Weg gefahren. Ich weiß, dass du etwas damit zu tun hast. Mir fehlen nur noch handfeste Beweise, aber die bekomme ich noch.« Dann kommt er dicht zu meinem Ohr. »Ich bin noch nicht mit dir fertig, Principessa.«

Sein Atem kitzelt mich. Instinktiv schließe ich meine Augen. Eine Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus. Als er sich von mir entfernt, werde ich aus meiner Trance gerissen. Plötzlich vermisse ich seine Wärme. Was ist nur los mit mir?

Nachdem ich die Augen öffne, merke ich, dass ich allein im Büro bin. Ich fange an, wieder klar zu denken, und laufe zum Fenster. Ich muss sichergehen, dass er tatsächlich weg ist und mir nicht folgen kann.

Enzio geht zu seinem Auto. Bevor er einsteigt, bleibt er stehen und dreht sich zu mir. Sein süffisanter Blick sagt mir, dass er ganz genau weiß, dass ich nicht unschuldig bin.

Erst als er schon einige Minuten weg ist, traue ich mich aus dem Büro. »Flavia, ich muss los und werde heute nicht mehr kommen. Kümmere du dich bittet um alles.«

»Mariella, was ist los? Du wirkst so durcheinander. Wer war der Kerl?«

»Das … es ist kompliziert.«

»Sag Luca Bescheid. Er wird sich darum kümmern, wenn dir jemand Probleme macht. Du weißt, dass ihn nichts hindern kann, auch wenn er im Knast sitzt.«

»Es macht mir niemand Probleme.«

Luca kann ich nicht sagen, dass ich in Venedig war, um Gianni zu töten, und damit seinen geheimen Bruder in die Stadt gelockt habe. Wenn er das schwarze Schaf der Familie ist, dann wird sich bestimmt keiner freuen, dass Enzio hier ist.

Ich gehe zu Lucas Motorrad, mit dem ich hergefahren bin. Als er verhaftet wurde, habe ich extra einen Führerschein dafür gemacht, damit das Motorrad bewegt wird und nicht vom langen Stehen einrostet. Bevor ich jedoch losfahre, rufe ich Stefania an.

»Hey Jonna«, meldet sich meine Schwester.

---ENDE DER LESEPROBE---